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auf allen "Tiefsinn" verzichten soll,6 kann ich nicht ganz mit Ihnen
übereinstimmen. Gewiss ist ja das Weltanschauungsgerede, wie man
es manchmal trifft, wissenschaftlich oft geradezu unerträglich, aber
das beweist doch nicht, dass wir es überhaupt aufgeben sollen, in
5 diese letzten Fragen auch mit Hülfe der Wissenschaft einzudringen,
soweit das eben irgendwie geht. In vielem anderen natürlich stimme
ich Ihnen freudig zu, und ich glaube, dass unsere Wege sich im Gros-
sen und Ganzen doch noch immer mehr nähern werden.
Gern wüsste ich, was Sie zu der beiliegenden Abhandlung sagen.
10 Sie haben ja viel auf diesem Gebiete gearbeitet, und ich habe Ihre
Philosophie der Arithmetik mit lebhaftestem Interesse und auch mit
grossemNutzen gelesen. Die Form dieses Artikels verbot jedes Her-
anziehen fremder Literatur, sonst hätte er den Umfang, der mir im
Logos zur Verfügung steht, weit überschritten. Ich hoffe aber, man
15 wird merken, dass ich die Literatur kenne, auch wenn ich sie nicht
citiere.
Haben Sie nicht Lust wieder einmal etwas für den Logos zu schrei-
ben? Wir Alle hier in Freiburg würden uns sehr darüber freuen.
Mit den besten Empfehlungen bin ich
20 Ihr sehr ergebener
Heinrich Rickert.
Busserls Bibliothek).
12 Vgl. E. Husserl, "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und
phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch", Jahrbuch für Philosophie und
phänomenologische Forschung I (1913), S. 1-323 (=Husserliana III/1).
174 DIE NEUKANTIANER
Göttingen 26. 6. 15
Sehr geehrter Herr College!
Herzlichen Dank für die gütige Zusendung der neuen Auftage Ih-
25 res Werkes "Kulturw<issenschaft> u. Naturw<issenschaft>". 16 Ich
brauche nicht zu sagen, wie sehr willkommen mir diese Gabe ist,
zumal Sie nun auch auf die neueren kritischen Einwände eingehende
Rücksicht genommen haben. Darf ich bei Gelegenheit anfragen, wie
15 Joseph Geyser, Grundlagender Logik und Erkenntnislehre. Eine Untersuchung
der Formen und Principien objektiv wahrer Erkenntnis, Münster i.W. 1909 (in Hus-
serls Bibliothek). Seit WS 1913/14 war der weltanschaulich gebundene (katholische)
Lehrstuhl für Philosophie in Freiburg vakant, für den Geyser als Kandidat in Frage
kam (Geyser wurde allerdings erst 1916 in Freiburg ernannt).
16 H. Rickert, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. 3., verbesserte Auflage,
Tübingen 1915 (in Husserls Bibliothek). Laut Notiz auf dem Titelblatt erhielt Husserl
das Werkam 25. Juni 1915.
176 DIE NEUKANTIANER
einsamen Wegen. Aber meine Sehnsucht geht auf Einigkeit mit allen
ernst Strebenden und kraftvoll Wirkenden, und ich hoffe noch die
Möglichkeit zu finden mich mit Ihnen literarisch auseinandersetzen
und verständigen zu können.
5 Gestatten Sie, daß ich schließlich zeitgemäße gute Wünsche für
Ihre w<erte> Familie beifüge, insbesondere für Ihren Sohn Hein-
rich, dessen ich noch mit herzlicher Sympathie gedenke. Meine
beiden Söhne, von denen der eine seine schwere Verwundung gut
überstanden hat, kämpfen an der Westfront ich habe also allen Grund
10 dem Schicksal dankbar zu sein.
Mit kollegialem Gruße und wiederhohem Danke für Ihre gütigen,
mir sehr werten literarischen Gaben
Ihr sehr ergebener
EHusserl
furter Zeitung), Tübingen 1915. Windelband war am 22. Oktober 1915 gestorben.
178 DIE NEUKANTIANER
Diese haben auch auf mich in jungen Jahren stark gewirkt, ja mich
geradezu entzückt. Ihnen danke ich es, daß meine Seele, schon in mei-
nen naturalistischen Anfängen, mit einer geheimen Sehnsucht nach
dem alten romantischen Land des deutschen Idealismus erfüllt wurde.
5 Aber freilich, volle Realität gewann es für mich durch Windelband
nicht. Erst als ich auf meinen, mir selbst so mühseligen Wegen, im
Aufstieg von unten, mich unvermerkt im idealistischen Gelände fand,
da war ich in der Lage, unter Abstreifung aller Begriffsromantik das
Große und ewig Bedeutsame im deutschen Idealismus zu erfassen.
10 (Begreiflicher Weise zieht mich Fichte in steigendem Maße an.) So
fühle ich mich im letzten Jahrzehnt mit den Führern der deutschen
idealistischen Schulen eng verbunden, wir kämpfen als Bundesgenos-
sen gegen den Naturalismus unserer Zeit als unseren gemeinsamen
Feind. Wir dienen, jeder in seiner Art, denselben Göttern u. da uns
15 allen dieser Dienst eine ernste u. heilige Sache ist, auf die wir unser
ganzes Leben gestellt haben, so wird eben jede solche Art ihre Not-
wendigkeiten in sich tragen und für den Fortschritt der Philosophie
unentbehrlich sein.
Aufrichtig gefreut habe ich mich darüber, daß <es> Ihren tapfe-
20 ren Söhnen fortgesetzt wohl ergeht, daß sie Ihnen in diesem schwer
auf den Gemütern lastenden Kampf erhalten geblieben sind. Mögen
sie mitausharren dürfen bis an das siegreiche Ende, das unsere Sehn-
sucht u. unsere feste Zuversicht ist. Auch meinen Kindern, den beiden
Söhnen als Kriegsfreiwilligen an der Westfront, der Tochter als Hel-
25 ferin beim roten Kreuz geht es gut, sie sind noch, u. hoffentlich auch
weiter, rüstig auf ihrem Posten.
Mit kollegialen Grüßen u. allen guten Wünschen für Ihre neue
Heidelberger Lebens- u. Schaffensperiode bin ich
Ihr sehr ergebener
30 EHusserl
psychologe Georg Elias Müller (seit 1881 dort) waren die beiden Göttinger Ordina-
rien für Philosophie.
23 In Jena war Husserl 1911, in Bonn 1913 von der Fakultät primo loco vorge-
es ihm gut ergeht. Möge es so, u. desgleichen für seinen Bruder, weiter
bleiben. Von meinen Jungens habe ich keine neuen Nachrichten.
Mit den freundlichsten Grüßen
Ihr aufrichtig ergebener
5 EHusserl
Ihr Brief mit Poststempel v<om> 23ten ist erst heute eingegangen!
Göttingen 7. l. 1916
Sehr verehrter Herr Kollege!
10 Zu meiner Freude ist der erhoffte Ruf schon gestern an mich
ergangen. Ich werde Dienstag von Geh. Rat Schwöre.-24 in Karlsruhe
erwartet und reise Sonntag nach Freiburg, da ich gerne vorher mit
Ihnen Rücksprache nehmen möchte. Ich komme Ihnen wohl Montag
Vormittag nicht ungelegen. Es soll nur ein kurzer Besuch sein, da ich
15 nach Abschluß der Verhandlung in Karlsruhe wieder nach Freiburg
komme, um die Wohnungsfrage zu regeln.
Mit den freundlichsten Grüßen
Ihr sehr ergebener
EHusserl
20 Ich werde im Parkhotel absteigen.
Universitätsangelegenheiten.
25 Max Schelerwar in Heidelberg als Kandidat für die Nachfolgedes im Mai 1915
Freiburg 16.1.1917.
Sehr verehrter Herr Kollege.
Ich habe Ihren Nachruf für Münsterberg 26 mit großer
15 Genugthuung gelesen u. danke Ihnen herzlich. Seitdem ich seine
Philos<ophie> d<er> Werte 27 und nachher auch seine "Grundzüge
d<er> Psych<ologie>"28 studiert habe, bin ich von größter
Schätzung für ihn u. seine philosophische Bedeutung erfüllt, u.
diese Schätzung steht hinter der Ihren (obwohl bei mir keine
20 freundschaftliche Voreingenommenheit mitwirken kann) nicht
zurück. Und für diesen nicht bloß glänzenden, sondern wirklich
reichen u. schöpferischen Geist war in Deutschland kein Platz -
und was für subalterne Leute sind ihm vorgezogen worden! Er
ist allzufrüh dahingegangen, aber in den von Ihnen mitgetheilten
Versen 29 kommt doch in schöner Weise zum Ausdruck, daß sich sein
Leben glücklich gestaltet u. vollendet hat. Er lebte aus dem Vollen.
Bei der Überfülle seiner Kraft konnte er sich nie unfrei, gehemmt
fühlen. Er konnte immer u. immer noch mehr als er schuf. Es war
5 für sein Bewußtsein nichts "über seine Kraft". 30 Wohl ihm!
Also vielen Dank u. herzliche Empfehlungen u. Wünsche v<on>
Haus z<u> Haus.
Ihr sehr ergebener
EHusserl
(Ober unsere Kraft) von Bj~mstjeme Bj~msons Trauerspiel Over Aevne (1. Teil
1883, 2. Teil 1895).
31 Heinrich Rickert, Die Philosophie des Lebens. Darstellung und Kritik der
zur Erfüllung kommen lassen. Seit Jahren, allzuviel Jahren, sind alle
meine literarischen Arbeiten, schon für fast fertig gehaltene Werke, in
Fluß u. in Stocken geraten, obschon ich nie das Bewußtsein größeren
Fortschreitens u. fruchtbringenderer Arbeit hatte. Ich bin eben noch
5 immer im Werden - u. es droht das Alter. Das macht mich in der
Austheilung meiner Ferienzeiten sparsam - allzu sparsam. Doch
will ich jetzt den Gedanken dieses Besuches wieder ernstlicher ins
Auge fassen, ich denke, wir sind beide nicht zu starr geworden, um
nicht geistige Wirkungen austauschen zu können. - Die ohne meine
10 Genehmigung in den Kantstudien für diesen Herbst angekündigte
"Phänomenologie u. Erkenntnistheorie"35 kann ich nicht in Aussicht
stellen. Ich komme jetzt von Anderem und Wichtigerem nicht los,
ich muß erst was im Werden ist zu einem innerlich klaren Abschluß
bringen.
15 Sehr erfreut es mich zu hören, daß Sie so viel weiter sind und wir
wirklich sehr bald Ihr System erwarten dürfen.
Mein Freund und ehemaliger Göttinger Schüler (aus der Zeit um
1905) Dietrich Mahnke ist Oberlehrer am Gymnasium in
Stade. Ich freue mich, daß Sie ihn schätzen.
20 In der letzten Woche begann Ihr Sohn Arnold 36 mich zu mo-
dellieren: Die Büste ist in schönem Gelingen. Leider brachte der
Wetterumschlag eine unliebsame Unterbrechung. Ich hatte in die-
ser Zeit täglichen Zusammenseins mit ihm viel Freude an seiner
Persönlichkeit, die mir dabei erst vertrauter wurde. Er, wie seine
25 reizvolle Frau - Beides ganze Menschen von reicher u. tiefer In-
nerlichkeit. - In St. Märgen geht es uns unverdient gut, fern von
dem Hoteltreiben. Ich bin in guter Arbeit. Mit den schönsten Feri-
enwünschen u. erg<ebenen> Grüßen v<on> Haus zu Haus.
In Hochschätzung
30 Ihr aufrichtig ergebener
EHusserl
1), Tübingen 1921 (in Husserls Bibliothek). Laut Notiz auf dem Vorblatt hat Husserl
das Buch "Vom Verf<asser> erhalten 9/11 1921 ".
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Sehr erfreut hat mich Ihr Brief durch die Äußerungen über Hei-
degger- also dadurch, daß ich entnehmen konnte, wie voll Sie meine
Wahl des Nachfolgers auf Ihren ehemaligen Lehrstuhl billigen.41
Doch gabs da eine Wahl? Durch seine philosophische Originalität,
5 durch seine ganz einzige Lehrbefähigung war er der gegebene Mann.
Es ist in Deutschland Niemand, der so die Herzen der Jugend zu
sich hinreißt. Und dabei eine reine, völlig selbstlose Persönlichkeit,
so ganz den großen Sachen hingegeben. Ich bin begierig, wie er
sich weiter entwickeln wird, aber wie ich hoffe den großen Stil des
10 Aufstiegs innehalten wird, den ich erhoffen möchte.
Nun schließe ich meine wärmsten Wünsche für Sie u. Ihre verehrte
Gemahlin zum n<euen> Jahre bei, vor Allem auch für schöne Arbeit,
sich auswirkend in schönen Gedanken.
In Hochschätzung
15 Ihr
EHusserl
*
Nehmen 43 Sie, sehr verehrter Herr Kollege, den Ausdruck beson-
derer Freude über Ihren gütigen Brief entgegen, der mir nach Paris
nachgeschickt und von meiner Frau für den wirklichen Geburtstag
l 0 zurückbehalten worden ist.
Eine der schönsten Überraschungen war für mich die von einem
Kreis von Freunden gespendete Büste, die Ihr Sohn Arnold vor circa
9 Jahren modellirt hatte. Es ist in der That ein schönes Kunstwerk,
das allgemein in Auffassung u. Beseelung und selbst hinsichtlich der
15 Portraitähnlichkeit gerühmt wird. Wir bedauern sehr seinen Wegzug
von Freib<ur>g, wir hegten für ihn u. seine liebe Frau stets freund-
schaftliche Gesinnungen. Doch sehr erfreulich ist, daß er nun endlich
in eine fest gesicherte Stellung gekommen ist.
Mit collegialen Grüßen und in herzlicher Erwiederung Ihrer guten
20 Wünsche
Ihr sehr ergebener
EHusserl
Mit den besten Wünschen für Ihre weitere Arbeit an der Vollen-
dung Ihres "Systems" und den freundlichsten Grüßen
Ihr sehr ergebener
EHusserl
102. Der Umschlag, in dem Rickert den Sonderdruck gesandt hatte, trägt einen
Poststempel vom 16.7.32 (Ms. D 10/1+17 und 54+68 des Husserl-Archivs).