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SAMSTAG,
10. NOVEMBER 2012 OSNABRÜCK 25

„Serben sind schlecht zu behandeln“


Historiker suchen Erklärungen: Warum im Lager Eversheide manches anders war als im übrigen Hitlerdeutschland
Von Rainer Lahmann-Lammert

OSNABRÜCK. Für die Stadt-


planer ist das Kasernenge-
lände an der Landwehrstra-
ße ein ideales Gewerbege-
biet. Historiker aus
Deutschland, Serbien und
Israel betrachten das frühe-
re Kriegsgefangenenlager
Eversheide auf dem Areal an
der Landwehrstraße als ei-
nen Ort internationaler Ge-
schichte. Bei einer Tagung in
der Universität wurden Be-
sonderheiten erörtert und
Hintergründe beleuchtet.

„Serbische Kriegsgefange-
ne, vor allem Offiziere, sind
auf Befehl des Führers als Ur-
heber des Vertragsbruches
schlecht zu behandeln.“ So
lautete ein Befehl, den der Ge-
neralstab im April 1941 aus-
gab. Die Gefangenen sollten
„rücksichtslos“ zu Straßen-
bauarbeiten eingesetzt wer-
den. Rüdiger Overmans, Mili-
tärhistoriker aus Freiburg,
brachte den 70 Teilnehmern
der Tagung in der Uni-Biblio-
thek das Dokument mit und
verwies ausdrücklich auf die
Randnotiz. Handschriftlich Serbische Kriegsgefangene in Belgrad. Von 1941 bis 1945 wurden Offiziere aus Jugoslawien im Lager Oflag VIc Eversheide gefangen gehalten. Foto: Archiv
hat dort jemand vermerkt:
„Das ist doch selbstverständ- sphäre geherrscht hätte. In je- Die Juden, die überwie- gergebäude war das beherr-
lich!“ dem Augenblick mussten die gend zur linksintellektuellen schende Thema in der
Dennoch: Die Offiziere im Insassen mit gewalttätigen Elite gezählt wurden, hatten Schlussrunde der Tagung. An-
Lager Eversheide Oflag VIc Übergriffen der Wachmann- in diesem Geflecht unter allen gelika Geiger vom Landesamt
wurden nicht zu Straßenbau- schaften rechnen. Aus den Lagerinsassen den schwers- für Denkmalpflege in Hanno-
arbeiten herangezogen. Im Nürnberger Prozessen ist be- ten Stand und mussten im- ver unterstrich den Anspruch,
Großen und Ganzen, so urtei- kannt, dass Gefangene aus mer auch mit der Gefahr aus möglichst das gesamte Lager
len die Historiker, standen sie Übermut und Willkür erschos- den eigenen Reihen rechnen. „in seiner Dichtigkeit und Ori-
unter dem Schutz der Genfer sen und misshandelt wurden. Es waren rechtsorientierte ginalität“ zu bewahren. Nach
Konvention – einem Schutz, Die Tagung in der Osnabrü- serbische Offiziere, die am 21. den Beobachtungen der
der den Kriegsgefangenen aus cker Uni-Bibliothek machte März 1943 den von Rabbiner Denkmalpflegerin lässt sich
der Sowjetunion verweigert deutlich, wie politisch hetero- Hermann Helfgott eingerich- der Stellenwert des Gefange-
wurde. gen das Lager zusammenge- teten Gebetsraum entweihten nenlagers für die Erinne-
Sogar die jüdische Minder- setzt war. „Die Fronten verlie- und plünderten. rungskultur schon daran ab-
heit lebte im Lager Eversheide lesen, dass Nachkommen ehe-
in relativer Sicherheit – auf je- „Gemeinsamer Nenner „Hermann Helfgott maliger Insassen diesen Ort
den Fall sicherer als zu Hause der Rechten war könnte man hier ein aufsuchen.
in Jugoslawien. „Es hat sich Geiger dementierte nicht, „Jüdische Gefangene wur-
herausgestellt, dass für sie die Antikommunismus“ Denkmal setzen“ dass die Entscheidung, nur ei- den relativ gut behandelt“:
Kriegsgefangenschaft ein Se- Zoran Janjetovic, Rüdiger Overmans, ne Baracke unter Denkmal- Daniel Uziel, Yad Vashem.
gen war“, urteilt der Belgrader Historiker aus Belgrad Militärhistoriker schutz zu stellen, wohl das Er-
Historiker Zoran Janjetovic. gebnis eines politischen Kom-
Daniel Uziel von der Jeru- fen zwischen pro-jugoslawi- Oberwasser bekamen die promisses ist. Dass diese Ba-
salemer Gedenkstätte Yad Va- schen, national-serbischen Judenfeinde, als in Serbien racke mit der Nummer 35
shem hält es für gesichert, und links stehenden Kräften“, die hitlerfreundliche Mario- schon seit acht oder zehn Jah-
dass jüdische Kriegsgefange- fasst Bernd Robiniok von der „Das ist doch selbstverständlich!“, hat hier jemand an den nettenregierung unter Milan ren leer stehe und nicht be-
ne im Oflag VIc „relativ gut be- Humboldt-Universität Berlin Rand gekritzelt. Es geht um Hitlers Befehl von 1941, die ge- Nedic am Ruder war. Über die heizt werde, gefährde die his-
handelt wurden“ und mit ih- zusammen. Zoran Janjetovic fangenen Serben schlecht zu behandeln. Quelle: Bundesarchiv Situation in Jugoslawien wa- torische Substanz. Historiker
rem Rabbiner Hermann Helf- markiert noch weitere Trenn- ren die Gefangenen offenbar Overmans wurde noch deutli-
gott sogar ihre eigene Ge- linien und unterscheidet die Der ideologische Kampf,
nenbewegung hätten durch gut informiert, weil sie über cher: „Ein Haus, das nicht be-
meinde aufbauen konnten. Linken in Vorkriegskommu- der in Serbien tobte, habe
ihre Vorträge, Kurse, Konzer- mehrere ins Lager geschmug- wohnt wird, verkommt“, wet-
Das heißt aber nicht, dass nisten, Sympathisanten und sich im Lager widergespie-
te und illegale Zeitschriften gelte Radios verfügten. terte er, eine Baracke aus Holz
im Lager eine friedliche Atmo- Juden. gelt. Anhänger der Partisa-
den „Volksbefreiungskampf“ Dass es der jüdischen Min- erst recht.
unterstützt. Aber auch da- derheit gelang, offenbar mit Der Verein Antikriegsbara-
durch, dass sie ihre politi- Einverständnis der Lagerlei- cke Atter, der die Tagung
schen Gegner im Lager ver- tung nicht nur Gottesdienste, gemeinsam mit der Univer-
prügelten. sondern ein funktionierendes sität veranstaltet hat, will eine
Auf der anderen Seite sieht Gemeindeleben aufzubauen, Gedenkstätte auf dem La-
Janjetovic den rechtsorien- ist nach Einschätzung von gergelände an der Landwehr- „Definitiv einmalig“: Rüdi-
tierten Teil der gefangenen Rüdiger Overmans „definitiv straße einrichten, aber die ger Overmans zur Geschich-
Offiziere, zu dem er die Mehr- einmalig“. Idee droht am Geldmangel te des Lagers Eversheide.
heit der Generäle und die hö- Der Freiburger Militärhisto- zu scheitern. Rolf Keller von
heren Dienstgrade zählt. Die- riker sieht den Rabbiner Her- der Stiftung niedersächsi-
se rechte Gruppe sei noch ver- mann Helfgott als „Spiritus scher Gedenkstätten machte
schiedenartiger gewesen als Rector“ dieses Glaubensmuts der Osnabrücker Initiative
die linke, mit anglophilen, und dieses Selbstbehaup- Mut. Wer solch ein Projekt
rechtsradikalen, monarchisti- tungswillens. „Ihm könnte auf den Weg bringen wolle,
schen und antisemitischen man hier ein Denkmal setzen“, müsse einen langen Atem ha-
Elementen. Ihren gemeinsa- lautet Overmans’ Plädoyer, ben. Deshalb gelte es, weiter-
men Nenner sieht Janjetovic „ich denke, das wäre es wert.“ zumachen, offen zu diskutie-
Alles noch original: Walter Gröttrup vom Verein Antikriegsbaracke Atter mit Besuchern der einzig im strammen Antikom- Die Denkmalwürdigkeit ren und dicke Bretter zu boh-
Tagung vor der einzigen denkmalgeschützten Baracke im Lager Eversheide. Foto: Egmont Seiler munismus. der bis heute erhaltenen La- ren.

Mehr Fragen als Antworten: Alltag der Gefangenen


Im Offizierslager Eversheide konnten die Juden einigermaßen unbehelligt ihre Gottesdienste veranstalten
„Ideologische Kämpfe“
rll OSNABRÜCK. Es gibt Er- Historiker in der Osnabrü- den 400 jüdischen Lagerin- Die „Chewra Kadischa“ und Reiss – begann mit „Jo- auch im Lager: Historiker Zo-
eignisse, die sich ihrem histo- cker Universität erörtert. sassen war er offensichtlich nahm die rituelle Waschung schew Besseter“. Blam kom- ran Janjetovic aus Belgrad.
rischen Zusammenhang zu Im Lager Eversheide, von eine charismatische Figur. vor. Die deutsche Komman- ponierte eine besondere Melo-
entziehen scheinen. Solche den Nazis Oflag VIc genannt, Nach dem Krieg kämpfte er dantur gestattete die Zeremo- die für die Begräbniszeremo-
Fragen wirft das Gefange- waren Offiziere unterge- in Palästina, später arbeitete nie, und 30 Mann, 18 jüdi- nie. Es wurden Psalmen ver-
nenlager Eversheide in Osna- bracht, die zuvor in der kö- er unter dem Namen Zvi Asa- sche und 12 nichtjüdische Of- lesen, und der Rabbi nahm
brück auf, in dem etwa 5000 niglichen Armee gedient hat- ria als Kölner Gemeinderab- fiziere, begaben sich in die Abschied von dem Kamera-
jugoslawische Offiziere wäh- ten. Nach 1945 wollten oder biner und als niedersächsi- Stadt Osnabrück. Die Teil- den. Nach der Beisetzung er-
rend des Zweiten Weltkriegs konnten viele von ihnen scher Landesrabbiner. nehmer des Begräbnisses blickten die Gefangenen in
festgehalten waren. nicht in Titos sozialistisches Hier ein Auszug aus sei- blickten sich in der Stadt um. der Ferne einen Mann mit
Die jüdische Minderheit Jugoslawien zurückkehren. nem Tagebuch von 1942. Asa- Die Ruinen wiesen deutlich gelbem Stern und der Auf-
im Lager konnte einigerma- Viele blieben in Osnabrück ria schreibt von sich selbst in darauf hin, was sich außer- schrift „Jude“. Der Rabbi rief
ßen unbehelligt ihre Gottes- und gründeten die serbisch- der dritten Person: halb des Gefangenenlagers ihn insgeheim herbei und
dienste veranstalten – zu ei- orthodoxe Gemeinde, deren Nach dem Fasttag am 9. abspielte. Ein Lastauto voller fragte: „Wie viel Juden gibt es
nem Zeitpunkt, als die jüdi- Mittelpunkt die Kirche an Aw . . . erreichte uns Gefange- Frauen fuhr vorbei. Wohin in Osnabrück?“ Die Antwort:
schen Zivilisten in Deutsch- der Wersener Landstraße ist. ne die Nachricht, Leutnant werden sie geführt? „10 bis 12.“
land längst in die Vernich- Einblicke in den Lagerall- Neumann, der sich im Kran- Nach drei Stunden erreich- Rabbi im Gefangenenlager: „Familien?“
tungslager deportiert waren. tag gibt das Buch „Wir sind kenhaus außerhalb des La- ten die Gefangenen den jüdi- Hermann Helfgott. Foto: Archiv „Nein, Seelen.“
Was zu diesem augen- Zeugen“, in dem der Militär- gers befand, sei gestorben. schen Friedhof. Zahlreiche „Wo sind denn die Juden?“
scheinlichen Anachronismus rabbiner Hermann Helfgott Fünf Tage nach dem Tode Frauen und Kinder waren fangenen traten an den Sarg „Die arbeiten, und es geht „Die Fronten gingen durch
geführt hat, wurde jetzt auf seine Tagebuchaufzeichnun- wurde die Leiche ins Lager dort versammelt. Gibt es beim Grab heran. Das Quar- ihnen gut“, antwortete der das Lager“: Bernd Robiniok,
einer Tagung internationaler gen veröffentlicht hat. Unter überführt. auch Juden darunter? Die Ge- tett – Blam, Scher, Feldbauer Mann lächelnd. Berlin. Fotos: Lahmann-Lammert

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