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Manuskript

Beitrag: Albtraumurlaub: Cook-Pleite –


Steuergelder für Regierungsversagen

Sendung vom 17. Dezember 2019

von Andreas Halbach

Anmoderation:
Zuerst vermasselte die Thomas-Cook-Pleite Tausenden
Urlaubern ihre lang ersehnte Traumreise. Jetzt könnte sie auch
Millionen Steuerzahlern die Laune verderben. Denn Cook-
Kunden, die auf ihren Kosten sitzen bleiben, weil der insolvente
Reiseveranstalter unterversichert ist, werden nun vom Staat
entschädigt. Damit bezahlt die Bundesregierung mit Steuergeld
gewissermaßen ihre eigene Pleite. Denn sie versäumte es
jahrzehntelang, die Haftungsgrenze für Reisekonzerne
anzupassen. Dabei waren die Folgen abzusehen. Andreas
Halbach berichtet.

Text:
Ende September 2019. Zigtausend Urlauber aus Deutschland
sind dem Herbst entflohen. Doch ihr Ferienvergnügen endet
plötzlich mit einer bösen Überraschung: Thomas Cook, ihr
Reiseveranstalter, ist pleite.

Hoteliers wollen die Gäste nicht gehen lassen, obwohl die ihre
Rechnungen bereits im Voraus an Thomas Cook gezahlt hatten.
600.000 Urlauber sitzen fest, müssen mit staatlicher Hilfe nach
Hause geflogen werden, darunter 140.000 Deutsche.

Ralf Merz konnte seinen Urlaub gar nicht erst antreten. Mit seiner
Frau wollte er die Feiertage auf Teneriffa verbringen - angezahlt
hatte er auch schon:

O-Ton Ralf Merz:


Wir vertrauen da drauf, wir fliegen seit Jahren pauschal in
Urlaub, ja. Und wir machen das deswegen, damit wir da auch
abgesichert sind, damit wir auf der sicheren Seite sind, ja.

Mit der Cook-Pleite begann das große Zittern um 2.000 Euro.

O-Ton Ralf Merz:


Kurz darauf hatte es sich dann rauskristallisiert, dass
„Bucher Reisen“ mit zu Thomas Cook mit reingehört, wo wir
dann doch geschockt waren.

Reise futsch, Geld weg - so wie Merz ergeht einer halben Million
Deutschen. Doch mitten im Advent tritt die Ministerin für Justiz
und Verbraucherschutz vor die Fernsehkameras - mit froher
Botschaft:

O-Ton Christine Lambrecht, SPD, Bundesministerin für


Justiz und Verbraucherschutz, am 11.12.2019:
Das Bundeskabinett hat heute meinem Vorschlag
zugestimmt, dass wir die Thomas-Cook-Reisenden nicht im
Regen stehen lassen. Die Kunden haben darauf vertraut,
dass mit ihrem Sicherungsschein Anzahlungen gegen eine
Insolvenz des Reiseveranstalters abgesichert sind.

O-Ton ZDF heute journal:


Die Bundesregierung will bei der Entschädigung von
Thomas-Cook-Kunden einspringen.

O-Ton Ralf Merz:


Zum Glück bekommen wir unsere Anzahlung von 2.000 Euro
wieder zurück. Das ist eine schöne Weihnachts-
überraschung.

Eine Weihnachtsüberraschung der Regierung – auf Kosten des


Steuerzahlers. Denn für mehr als 500.000 deutsche Urlauber sind
Reiseverträge nicht erfüllt worden. Das kann teuer werden.

Nachfrage bei der Bundespressekonferenz, vergangenen Freitag:

O-Ton Frontal 21:


Weiß die Bundesregierung denn heute, wie teuer diese
Reiserettungsaktion für den Steuerzahler wird?

O-Ton Stefan Zimmermann, Sprecher Bundesministerium für


Justiz und Verbraucherschutz, am 13.12.2019:
Also, insbesondere, das hatte ich ja am Mittwoch schon
erläutert, sind ja auch zahlreiche Rechtsfragen im Moment
noch ungeklärt, insofern können wir im Moment keine
konkrete Summe nennen.

Der Geschäftsführer des Rechtsdienstleisters myRight vertritt


Thomas-Cook-Opfer. Der Anwalt geht von gut 400 Millionen Euro
Schaden aus. Die Zeche zahlt die Allgemeinheit - und die Politik
trage die Verantwortung.

O-Ton Jan-Eike Andresen, myRight:


Die Europäische Union hat eine Richtlinie erlassen zum
Schutz aller Pauschalreisenden. Hier ist festgelegt in der
Richtlinie, dass die Reisenden in vollem Umfang geschützt
sind. Und wenn wir ins deutsche Gesetz gucken, dann sehen
wir hier eine Haftungsbeschränkung auf 110 Millionen Euro.
Die Bundesregierung hat diese EU-Richtlinie also nicht
richtig und nicht vollständig umgesetzt. Und deshalb haftet
die Bundesrepublik hier für den entstandenen Schaden der
Reisenden.

Rückblick. Der Bundestag beschließt am 1. Juni 2017 die neue


deutsche Reiserichtlinie. Die Reisekonzerne können sich freuen:
Bis maximal 110 Millionen Euro haften sie im Schadensfall.

O-Ton Prof. em. Klaus Tonner, Reiserechtler, Universität


Rostock:
Diese 110 Millionen, die heute im Gesetz stehen, stehen da
schon seit Ewigkeiten drin. Und es ist schon seit Jahren,
Jahrzehnten kann man sagen, klar, dass dieser Betrag nicht
ausreichen würde, wenn man sich den Umsatz eines
Großveranstalters ansieht. Das hab ich schon in einem
Gesetzgebungsverfahren im Jahr 2001 so ausgeführt. Ich
hab das bei dem jetzigen Gesetzgebungsverfahren, was 2017
stattfand, erneut betont, leider ist man diesen Argumenten
nicht gefolgt. Die Industrie hat hier größeren Einfluss
offenbar gehabt und die Summe so niedrig halten können.

Im Bundesrat hatten sogar die Justizminister der Länder zuvor


gewarnt: Die Höchstgrenze von 110 Millionen Euro sei, Zitat: „zu
niedrig bemessen“. Es bestehe sogar die Gefahr, dass die
Verbraucher „vollkommen leer ausgehen“.

Die Bundesregierung habe das nicht gestört:

O-Ton Prof. em. Klaus Tonner, Reiserechtler, Universität


Rostock:
Um es kurz zu sagen, die geltende Höchstbetragsregelung
mit den 110 Millionen entspricht nicht den Voraussetzungen
der Richtlinie, sie ist europarechtswidrig.

Und nun Staatshaftung - Erklärungsversuche:

O-Ton Christine Lamprecht, SPD, Bundesministerin für


Justiz und Verbraucherschutz, am 11.12.2019:
Es war nicht vorhersehbar, dass die Höhe des
Versicherungsschutzes nicht ausreichend ist.

Nicht vorhersehbar? Sommer 1993. Die Reisegesellschaft „MP


Travel Line“ ist pleite. Auch damals: Tausende Urlauber sitzen am
Ferienort fest, andere können vorausgezahlte Reisen nicht
antreten. Eine Versicherung für deutsche Urlauber gibt es damals
nicht - und das, obwohl die EU-Kommission drei Jahre zuvor die
erste Verbraucherschutzrichtlinie für Pauschalurlauber erlassen
hatte. Dafür rüffelte der Europäische Gerichtshof die
Bundesregierung 1996:
O-Ton ZDF heute, am 9.10.1996:
Die Bundesregierung muss mehrere Tausend Urlauber für
Kosten entschädigen, die Ihnen durch den Konkurs des
Reiseveranstalters „MP Travel Line“ entstanden sind. Das
hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

O-Ton Felix Methmann, Experte für Reiserecht,


Verbraucherzentrale Bundesverband:
Es ist unfassbar, wenn ich das sehe. 23 Jahre ist das her und
der deutsche Staat hat offenbar nicht dazu gelernt. Denn jetzt
haben wir die zweite Pleite, die Pleite eines großen, eines
Branchenriesen, mit Thomas Cook. Und das hätte verhindert
werden können.

Doch es kam anders. Und so buchte auch das Berliner


Rentnerpaar Ute und Dietmar Miethling Pauschalreisen - im
Herbst in die Türkei und über Weihnachten nach Fuerteventura.

O-Ton Dietmar Miethling:


Thomas Cook, da waren wir davon ausgegangen, dass das
ein renommiertes Unternehmen ist. Das älteste
Reiseunternehmen weltweit überhaupt, die solche
Pauschalreisen anbieten. Und wir waren davon
ausgegangen, da können wir uns drauf verlassen.

Rund 1.600 Euro hatten sie angezahlt. Nach der Cook-Pleite


haben sie umgebucht - auf eigene Kosten, weil Tochter und
Schwiegersohn mit dem einzigen Enkelkind in Irland leben.

O-Ton Ute Miethling:


Die Enttäuschung wäre immens gewesen, wenn wir jetzt
gesagt hätten, wir lassen das unter den Tisch fallen. Wir
haben also noch mal gebucht, um das Enkelchen abzuholen
von Dublin, wieder hin zu fahren.

Die Kosten der geplatzten Reisen plus Zinsen und Mehrkosten für
die Neubuchungen wohl mehr als 2.000 Euro.

O-Ton Markus Tressel Bündnis 90 / Die Grünen, MdB,


Obmann Ausschuss für Tourismus:
Dafür zahlt jetzt der Steuerzahler die Rechnung, dass die
Bundesregierung sich dem Lobbydruck an dieser Stelle
gebeugt hat und dafür gesorgt hat, mit der Deckelung, dass
es niedrige Versicherungsbeiträge gibt. Der
Verbraucherschutz ist in den Hintergrund getreten im
Interesse der Wirtschaftsförderung, insbesondere der großen
Reisekonzerne.

Wien. In Österreich sind alle Thomas-Cook-Opfer voll


abgesichert. Der Grund: Je größer der Touristikkonzern, desto
höher muss er Pauschalreisen absichern.
O-Ton Cornelia Kern, Verein für Konsumenteninformation
(VKI), Österreich:
Die österreichische Kundengeldabsicherung ist aus meiner
Sicht jedenfalls besser als die deutsche, weil sie sich am
Umsatz des Unternehmens orientiert. Und damit besser auf
die Größe des Unternehmens Rücksicht nimmt und auch auf
die potenziell betroffenen Kunden. Konkret ist die Höhe der
Versicherungssumme in Österreich zumindest 18 Prozent
vom Umsatz des Unternehmens im Kalenderjahr.

Vier Milliarden Euro Umsatz machte Thomas Cook vor der Pleite.
Hierzulande machen sieben weitere Reisekonzerne jährlich
Milliardenumsätze. Sie alle seien im Falle einer Pleite
unterversichert, warnen Experten.

O-Ton Felix Methmann, Experte für Reiserecht,


Verbraucherzentrale Bundesverband:
Wir müssen uns den größten Branchenriesen vornehmen,
das ist die TUI, die hat fünf Milliarden Umsatz im
Geschäftsjahr 17/18 gehabt. Und wenn man davon ausgeht,
dass 20 Prozent davon Kundengelder sind,
Vorauszahlungen, dann bedeutet das eine Milliarde muss
abgesichert werden.

Und die Bundesregierung? Justizministerin Lambrecht hat eine


neue deutsche Reiserichtlinie versprochen.

Steuermillionen durch Pleitekonzerne – das soll sich nicht


wiederholen. Eine späte Einsicht – zu spät im Fall Thomas Cook.
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