Sie sind auf Seite 1von 2

nzz 25.08.10 Nr.

196 Seite 7 al Teil 01

Boykott statt Bomben gegen die


Besetzung
Die Palästinenser beunruhigen Israel mit gewaltlosen Formen des Widerstands
Palästinensische Aktivisten ent- Ein Beispiel sind die wöchentlichen nenser bisher wenig mobilisiert. Dass
Demonstrationen in Dörfern, die durch Boykotte und Demonstrationen gegen
wickeln gewaltlose Formen des
den Bau von israelischen Siedlungen die Propaganda- und Militärmaschine
Widerstands gegen die israeli- und Sperren von ihrem Ackerland abge- Israels wirksamer sein sollen als Ka-
sche Besetzung und mobilisieren schnitten werden. So ziehen in Bilin bei laschnikows und Bomben, scheint für
dafür internationale Unterstüt- Ramallah die Dorfbewohner begleitet viele schwer vorstellbar.
zung. Gegenkampagnen israeli- von Aktivisten aus vielen Ländern seit Von einer dritten Intifada nach dem
fünf Jahren jeweils freitags zur israeli- Beispiel der ersten ist denn auch wenig
scher Gruppen prangern die schen Mauer, um Zugang zu ihrem zu spüren. Die Kundgebungen gegen
« Delegitimierung» Israels an. Land zu fordern. Jedes Mal werden sie israelische Sperren und Schikanen mo-
von israelischen Truppen mit Tränengas bilisieren ein paar Dutzend, höchstens
Jürg Bischoff, Ramallah und Gummigeschossen auseinanderge- ein paar hundert Teilnehmer. Der Boy-
trieben. Obwohl Demonstranten zu Ge- kott israelischer Waren wird, wie eine
An der Türe fast jeden Ladens in fängnis verurteilt, verletzt und sogar ge- kleine Umfrage in den Läden Ramallahs
Ramallah verkündet ein Kleber: « Die- tötet wurden, haben die Leute von Bilin zeigt, bei vielen Ladenbesitzern und
ses Geschäft ist sauber von Produkten bis heute nicht aufgegeben. Kunden im Prinzip zwar unterstützt, in
und Dienstleistungen der Siedlungen.» der Praxis aber höchstens selektiv be-
Sie sind das Zeichen einer Kampagne Gandhi als Vorbild folgt. Bei gewissen Produkten, wie der
der palästinensischen Autonomiebe- Frischmilch, gibt es keine Alternative,
hörde, welche die Forderung nach ei- Einer der Vordenker des « Volkswider- bei anderen gilt das israelische Erzeug-
nem Ende der israelischen Besatzung stands» ist der Arzt Mustafa Barghuti, nis als besser. Wie der Verkäufer einer
und Besiedlung der 1967 vom jüdischen Leiter einer medizinischen Hilfsorgani- Kleiderboutique erklärt: « Klar kommen
Staat eroberten Gebiete in praktisches sation und als ehemaliger Präsident- meine Kleider aus Israel. Aber ihr Stoff
Handeln umsetzt. Um den Boykott be- schaftskandidat Vertreter eines « dritten wird aus dem Ausland eingeführt, und
kanntzumachen, haben Polizisten in den Wegs» zwischen der Fatah und der genäht werden sie von Palästinensern.
letzten Monaten in den Läden Kontrol- Hamas, den zwei grossen palästinensi- Was soll also der Boykott?»
len durchgeführt, Waren beschlagnahmt schen Parteien. « Es gibt drei Wege, die Jamal Jumaa, Organisator der Kam-
und Händler gebüsst. Besetzung zu einem Ende zu bringen», pagne gegen die israelische Mauer, er-
erklärt er, « bewaffneter Kampf, Ver- klärt, die Leute seien durch die unter-
handlungen und Volkswiderstand.» Die schiedlichen Ziele der Behörde und der
Wöchentlich eine Demo
erste Option sei angesichts der Kräfte- Basisbewegung verwirrt. Nachdem die
Doch für Diana Buttu, Aktivistin einer verhältnisse selbst von der Hamas auf- Fatah den Respekt der Bevölkerung
Basisbewegung, die gewaltlose Formen gegeben worden, und Verhandlungen verloren habe, werde auch die islamisti-
des Widerstands gegen die israelische mit Israel seien in der gegenwärtigen sche Opposition der Hamas in Zweifel
Besetzung organisiert, ist das zu wenig. Lage aussichtslos; es bleibe also nur gezogen. Die Herausforderung der Ba-
« Die palästinensische Behörde muss zu noch der Volkswiderstand. sisbewegung bestehe darin, eine neue
einem Boykott aller israelischen Pro- Das Konzept zieht Lehren aus den nationale Bewegung zu schaffen, die
dukte aufrufen», fordert sie. Damit Erfahrungen der zwei grossen palästi- gleichzeitig eine glaubwürdige Opposi-
könnte die Regierung ihr Ansehen stär- nensischen Aufstände. Die weitgehend tion sei. Mustafa Barghuti sieht das Ziel
ken und demonstrieren, dass sie nicht gewaltlos geführte erste Intifada zwang des Volkswiderstands auch darin, die
mit der Besetzungsmacht kollaboriert, die Besatzungsmacht, die palästinensi- Einheit der Palästinenser wiederherzu-
meint Buttu. Aber die Behörde sei vom schen Aspirationen anzuerkennen, stellen. Dies betreffe nicht nur Nationa-
Geld, von den Bewilligungen und Ver- während die Gewaltspirale der zweiten listen und Islamisten, Westjordanland
günstigungen Israels abhängig und be- Israel die Gelegenheit bot, seine militä- und den Gazastreifen, sondern auch die
fürchte, von Israel auf die gleiche Weise rische Übermacht auszuspielen und den Einheit zwischen den Palästinensern in
isoliert zu werden wie die Hamas- Aufstand zu unterdrücken. « Ich sage der Diaspora, jenen in Israel und jenen
Regierung in Gaza. nicht, bewaffneter Kampf ist nicht rech- in den besetzten Gebieten.
Der Boykott gegen Israel ist eines tens», lautet die Schlussfolgerung Bar- Deshalb unterstreichen die Sprecher
der Instrumente des « Volkswider- ghutis, « ich sage, Volkswiderstand ist der Bewegung, dass sie kein politisches
stands» oder « Volkskampfs», der von wirkungsvoller», und verweist auf Gan- Programm verträten. « Wir sind weder
einer breiten Allianz palästinensischer dhi und Martin Luther King. für die Fatah noch für die Hamas, weder
Nichtregierungsorganisationen propa- für die Einstaat- noch für die Zweistaa-
giert wird. Der Kampf gegen die Beset- « Was soll der Boykott?» tenlösung», erklärt Buttu. Und Jumaa
zung soll nach den Vorstellungen seiner betont, dass der « Volkswiderstand»
Organisatoren nicht Politikern, Funk- Früher hochgehaltene nationalistische, nicht für einen palästinensischen Staat
tionären und Kämpfern überlassen wer- marxistische und islamistische Konzep- kämpfe – « wir werden keinen Quadrat-
den, sondern die ganze Bevölkerung te des bewaffneten Kampfes haben sich zentimeter Land befreien», sagt er –
und auch die internationale Öffentlich- als erfolglos erwiesen. Aber die Ideen sondern für die Rechte der Palästinen-
keit mobilisieren. Neben dem Boykott eines gewaltlosen Widerstands, die aus ser. « Eigentlich sind wir nicht eine Be-
umfasst er Demonstrationen, Sit-ins, die der amerikanischen Bürgerrechtsbewe- wegung», merkt Buttu an, « wir sind eine
Unterwanderung der israelischen Blo- gung, dem Kampf gegen die Apartheid Gruppe von Leuten, welche die gleiche
ckade des Gazastreifens und andere ge- in Südafrika oder europäischen Bürger- Sprache sprechen.»
waltlose Aktionen. initiativen stammen, haben die Palästi- Diese Sprache wird im Ausland bes-
nzz 25.08.10 Nr. 196 Seite 7 al Teil 02

ser verstanden als in Palästina selbst. schiffe für Gaza, nicht humanitäre Hil-
Die Organisatoren der Bewegung su- fe, sondern die Delegitimierung Israels
chen die Zusammenarbeit mit verschie- im Sinne zu haben.
denen Solidaritätsgruppen, kirchlichen Zur Bekämpfung dieser strategischen
Organisationen, akademischen Institu- Bedrohung sei die israelische Diploma-
tionen, Gewerkschaften, politischen tie schlecht gerüstet, meinen die Reut-
Parteien und Nichtregierungsorganisa- Experten und entwerfen Form und In-
tionen in aller Welt, um Druck auf halt einer Gegenkampagne, um die
Israel zu machen. Dazu gründeten sie öffentliche Meinung für Israel zu gewin-
im Jahr 2005 die Kampagne für Boy- nen. Am globalen Forum gegen den
kott, Desinvestition und Sanktionen Antisemitismus des israelischen Aussen-
(kurz BDS). Nachdem die Staaten das ministeriums von 2009 wurde ein ande-
Rechtsgutachten des Internationalen rer Entwurf zu einer BDS-Gegenkam-
Gerichtshofs, das den israelischen pagne erarbeitet. Laut der « Jerusalem
Mauerbau in Cisjordanien als völker- Post» stellt er bezeichnenderweise fest,
rechtswidrig erklärte, während eines es sei nicht nötig und möglicherweise un-
Jahres ignoriert hatten, sollte die BDS- möglich, in einer Debatte über israeli-
Kampagne nun die internationale öf- sche Siedlungen oder palästinensische
fentliche Meinung mobilisieren. Unabhängigkeit den Sieg davonzutra-
Zu ihren Mitteln gehören Aufrufe gen. Wichtig sei es, Israels Existenzrecht
zum Boykott israelischer Universitäten, zum Thema der Debatte zu machen und
das Lobbying für den Abzug von Inves- die antisemitischen Hintergründe der
titionen aus israelischen Unternehmen BDS-Kampagne aufzudecken.
oder Aufrufe an Musiker, nicht in Israel Mustafa Barghuti sieht ein langes Rin-
aufzutreten, ebenso wie die Hilfsschiffe, gen um die Rechte der Palästinenser vor-
welche die Blockade des Gazastreifens aus. « Unser Kampf richtet sich aber nicht
zu durchbrechen suchen. « Weil unsere gegen das jüdische Volk», versichert er.
Aktionen gewaltlos sind und die Ach- « Denn ein Apartheid-Staat wäre nicht
tung der Menschenrechte und des Völ- nur eine Katastrophe für uns, er wäre
kerrechts verlangen, sprechen sie nicht auch eine Katastrophe für die Juden.»
nur die Palästinenser an, sondern auch
die internationale Öffentlichkeit und
fortschrittliche Israeli», erklärt Omar
Barghuti, einer der Organisatoren der
Kampagne.
Barghuti verweist auf skandinavische
Pensionsfonds, die Aktien des israeli-
schen Rüstungsunternehmens Elbit aus
ihren Portefeuilles verbannt haben, und
auf italienische Supermärkte, die nicht
mehr bei einem israelischen Exporteur
von Siedlungsprodukten einkaufen. Er
zählt Stars aus dem Showbusiness auf,
die dieses Jahr Auftritte in Israel abge-
sagt haben, wie Santana, Elvis Costello
oder Meg Ryan. « Fünf Jahre nach ihrem
Start übersteigt der Erfolg der Kampa-
gne unsere kühnsten Träume», gesteht
Barghuti. Die Boykottkampagne gegen
die Apartheid in Südafrika habe 30
Jahre gebraucht, bis sie Wirkung gezeigt
habe. « Wir haben eine Art des Wider-
stands entwickelt, gegen die Israel noch
keine Waffe gefunden hat.»

« Delegitimierung» Israels
Dass die Kampagne Israel politisch
oder wirtschaftlich geschwächt hat,
kann bezweifelt werden. Sie hat in
Israel und in jüdischen Organisationen
weltweit aber eine spürbare Beunruhi-
gung ausgelöst. Ein Bericht des Reut-
Instituts, einer israelischen Denkfa-
brik, erkennt in der BDS-Kampagne
einen Teil eines globalen Propaganda-
feldzugs zur « Delegitimierung» Israels
mit dem Ziel, die Existenz des jüdi-
schen Staates zu untergraben. Höhe-
punkt dieser Kampagne sei der Gold-
stone-Bericht zum Gaza-Krieg, mein-
ten die Reut-Forscher im Februar, und
im Mai bezichtigte Vizeaussenminister
Ayalon die Organisatoren der Hilfs-

Das könnte Ihnen auch gefallen