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62 BLINDTEXT Deutsch perfekt X  /   2018

Zwei Giganten werden Freunde


Im Sommer 1794 beginnt eine legendäre Dichter-Freundschaft: In Weimar lernen
sich Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller kennen.
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E
ndlich ist es so weit! Endlich Herzog Karl-August von Sachsen-Wei-
]s “st so weit!  das Leiden, - 
ist Friedrich Schiller seinem mar-Eisenach die Schule. Goethe ist 30 , hier: ≈ Der Moment ist , hier: Krankheit und
Idol Johann Wolfgang von Jahre alt. Für viele ist er schon ein Ge- endlich da! Gefühle von (psychischem)
Goethe nahe gekommen. nie. Sein Briefroman Die Leiden des jungen Schmerz
nahe k¶mmen 
Am 20. Juli 1794 führen die Werthers und das Drama Götz von Berli- ,  in die Nähe kommen von der Räuber, - 
,  Person, die anderen
beiden berühmtesten deutschen Dichter chingen haben ihm internationalen Erfolg führen 
etwas wegnimmt (z. B.
in Jena ihr erstes richtiges Gespräch mit- gebracht. Außerdem hat er eine wichtige , hier: haben
Geld)
einander. Es ist der Beginn einer Freund- Position am Hof von Karl-August in Wei- r“chtig 
der St¢rm ¢nd Dr„ng 
, hier: wirklich
schaft, die zum Mythos werden wird. mar. Für Schiller ist Goethe ein Idol. Auch , hier: Epoche zwischen
Jahrelang hat Schiller auf so eine Chance nur ein Blick in die Augen des Älteren ist der R•ckblick, -e  1765 und 1785 in der
,  Blick zurück in die deutschen Literatur, in der
gehofft. zu viel für ihn. Geschichte Emotion zentral stand
Rückblick, 15 Jahre früher: Friedrich Aber 1782 wird auch Schiller berühmt:
der H¡rzog, ¿e 
Schiller ist 20 Jahre alt und Student der Die Premiere seines ersten Dramas Die ,  Aristokrat, der eine
Karlsschule in Stuttgart, einer Militär- Räuber im Januar in Mannheim wird zum Region regiert
schule. Er studiert Medizin. Johann Skandal. Der 22-Jährige ist plötzlich der
Wolfgang von Goethe besucht mit dem neue Star des Sturm und Drang. Wenig
Deutsch perfekt 9 / 2 019 GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE  63

die Exist¡nz, -en  das W¡rk, -e 


später möchte er weg aus Stuttgart. Er darauf, in Zukunft zusammenzuarbeiten. , hier: finanzielle Basis , hier: alle Texte eines
hat Streit mit Herzog Carl Eugen, für den Die Giganten beginnen, sich zu schrei- Dichters
prekär 
er inzwischen als Militärarzt arbeitet. Für ben. In einem empathischen und muti- , hier: schlimm; schwierig die [rbeitsweise, -n 
den jungen Dichter steht fest: Er will in gen Brief zu Goethes Geburtstag im Au- , Arbeitsstil
die Fl¢cht 
Zukunft vom Schreiben leben. Aber sei- gust analysiert Schiller das Werk und die , von: fliehen = weglaufen, … für s“ch gew“nnen 
ne Existenz ist prekär. Er ist auf der Flucht Arbeitsweise des Älteren. Damit gewinnt um an einem anderen Ort in , hier: erreichen, dass
Sicherheit zu leben man … als Freund hat
vor Carl Eugen und hat kaum Geld. er sein Idol endgültig für sich. Es ist der
der Staatsmann, ¿er  ¡ndgültig 
Ganz anders Goethe, der immer mehr Anfang einer Epoche: Mit dem Brief-
,  wichtiger Politiker , hier: ≈ für immer
zum Staatsmann wird. In Weimar küm- wechsel zwischen Goethe und Schiller
die b¡ste Ges¡llschaft  der Briefwechsel, - 
mert er sich um die Finanzen. Er leitet beginnt die Weimarer Klassik. , hier: High Society , hier: Wechsel von
die Bibliothek und das Theater. Er hat Im September besucht Schiller Goethe Meinungen und Gedanken
s“ch einsetzen für 
genug Geld und Kontakte in der besten für zwei Wochen in Weimar, um über die in Briefform
,  viel für eine Person oder
Gesellschaft. Aber seine Inspiration wird gemeinsame Arbeit zu sprechen. Sie sind Sache tun temperam¡ntvoll 
, L still; ruhig; langweilig
schwächer. Im September 1786 startet er sehr verschiedene Typen: Goethe ist ein f¡st 
zu seiner Reise nach Italien. Erst im Mai emotionales Genie, intuitiv, tempera- , hier: stabil und vorher reflektiert 
vereinbart ,  so, dass man genau
1788 wird er nach Weimar zurückkehren. mentvoll, interessiert an der Natur und überlegt, was man sagt
die geistige Dist„nz 
Bei Goethes Rückkehr ist Schiller ge- ihren Prinzipien. Schiller ist viel analyti- oder tut
, hier: Verschiedenheit
rade in Weimar zu Besuch. Charlotte scher und reflektierter – ein Denker, der in als Dichter ¡ng 
von Lengefeld, die Schiller wenig später seinen Werken für die Freiheit kämpft. Sie die Rivalität, -en 
, hier: intensiv; so, dass
man sich oft sieht
heiraten wird, organisiert ein Treffen im akzeptieren ihre Unterschiede. Das wird , hier: Kampf um die
Garten ihrer Mutter. Aber es die Basis ihrer Freundschaft. höchste Reputation s“ch entw“ckeln 
, hier: ≈ werden; da sein
gibt nicht einmal ein richti- Nur elf Jahre Danach besuchen sich die inszenieren 
, hier: ≈ eine Show ma- der Hase, -n 
ges Gespräch zwischen den werden den beiden immer wieder. Und
chen oder etwas erzählen, ,  kleines Tier mit langen
beiden. 1789 wird Schiller beiden für ihre wenn sie sich nicht sehen, schi- was nicht wahr ist Ohren
Professor in Jena und unter- Freundschaft cken sie sich ihre neuen Texte der Verleger, -  adlig 
richtet Geschichte. Ohne dass bleiben – dann zum Lesen. Eine enge Arbeits- ,  Person, der ein Verlag , aristokratisch
er es weiß, hat G
­ oethe sich für beziehung entwickelt sich – gehört
stirbt Schiller. aufsteigen 
ihn eingesetzt. Aber Schiller und eine enge Freundschaft. (der Verlag, -e  , hier: in eine höhere
,  Firma, die Zeitschriften, Position kommen
bekommt kein festes Gehalt. Wenn Goethe Schiller in Jena
Zeitungen oder Bücher
Seine Existenz und die seiner Familie besucht, spielt er mit dessen Kindern und der Literaturwissen-
macht)
schaftler, - 
sind noch immer unsicher. bringt kleine Geschenke für die Küche mit: die M“tarbeit  ,  Person, die Literatur
Sein Plan, Goethe näherzukommen, Erdbeeren, einen Hasen oder einen Fisch. , von: mitarbeiten = systematisch untersucht
bleibt ein Wunsch. Obwohl sie nur noch Ein Konflikt bleibt aber: Goethes Lie- hier: einen Teil der Arbeit
die Beerdigung, -en 
machen
rund 20 Kilometer voneinander entfernt besbeziehung mit Christiane Vulpius. 18 ,  Ritual, bei dem man
mutig  einen Toten in ein Loch in
wohnen, bleibt die geistige Distanz groß. Jahre lang leben die beiden zusammen,
,  ohne Angst der Erde legt
Im Rückblick sieht es fast so aus, als hät- ohne verheiratet zu sein – ein Skandal.
das Dasein 
ten die beiden ihre Rivalität inszeniert. Schiller hat eine adlige Frau geheiratet , Sein
Im Frühling 1794 bekommt Schiller und ist gesellschaftlich aufgestiegen. Er
von dem Stuttgarter Verleger Johann kann das nicht akzeptieren.
Friedrich Cotta den Auftrag, eine neue Nur elf Jahre werden den beiden für
Zeitschrift zu starten. Schiller plant ein ihre Freundschaft bleiben. Schiller wird
philosophisches Journal für Intellektuel- schon als junger Mann sehr krank. Er
le. Schiller braucht dafür die wichtigsten weiß, dass er nicht mehr viel Zeit hat. Des-
Intellektuellen als Autoren. halb arbeitet er in seiner Zeit in Jena und
Foto: FALKENSTEINFOTO/ lamy Stock Photo

Im Juni 1794 bittet Schiller Goethe in Weimar sehr viel. Am 8. Mai 1805 stirbt
einem Brief um seine Mitarbeit. Dieser Schiller. Er ist erst 45 Jahre alt. Für Litera-
hat zu der Zeit keinen ganz so großen Er- turwissenschaftler endet mit seinem Tod
folg mehr. Deshalb kann er nicht ableh- die Weimarer Klassik.
nen. Einen Monat später kommt es zum Für Goethe ist das ein großer Schmerz.
ersten richtigen Gespräch. Am 20. Juli Zur Beerdigung geht er nicht – das tut er
spazieren sie in Jena nach einer Veranstal- nie. Aber er schreibt in einem Brief davon,
Eine Übung zu diesem
tung gemeinsam zu Schillers Wohnhaus. was er mit Schiller verloren hat: „die Hälf- Text finden Sie auf
Sie diskutieren – und sie einigen sich bald te meines Daseins“. Barbara Kerbel Seite 54.

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