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R u d o l f A n t h e s : B e i l ä u f i g e B e m e r k u n g e n z u m M y t h o s v o n Morus u n d Osiris 75

RUDOLFANTHES

Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horns und Osiris

I. Zwei Probleme des Osirismythos nach seiner Fassung in der „Memphitischen Theologie".

Meine bisherigen Arbeiten an der Mythologie der ältesten Zeit, zu denen auch die in dieser Zeit-
schrift, Band 80 und 82ff., veröffentlichten Aufsätze gehören, sind zuletzt im wesentlichen zu-
sammengefaßt in der Abhandlung ,,Egyptian Theology in t h e Third Millenium B.C." (Journal of
Near Eastern Studies 18 [1959], S. 169—212). Kürzlich h a t t e ich Gelegenheit, diese Ergebnisse mit
einigen späteren ägyptischen Vorstellungen und Texten gründlicher zu Abgleichen, als es mir bisher
möglich war und notwendig erschien, und zwar gelegentlich meines Beitrags zu dem von S. N.
Kramer herausgegebenen Sammelbande Mythologies of the Ancient World (Anchor Book, Double-
day and Co. in New York) ; aus dieser Arbeit, in der sich meine einschlägigen früheren Beobach-
tungen klar bestätigt haben, sind die folgenden Miszellen zur Osirissage und eine Behandlung des
Sonnenauges entstanden. Auf die beiden genannten Veröffentlichungen m u ß ich öfters verweisen
unter den Bezeichnungen J N E S 18 und ,,Mythologies". Eine kurze Darstellung der E n t s t e h u n g
des Osirismythos nach dem jetzigen Stand meiner Untersuchungen habe ich hier unten am Ende
des Abschnittes I gegeben. In Abschnitt II dieses Aufsatzes sind Bemerkungen, die sich in Ab-
schnitt I finden, entweder näher ausgeführt oder ohne Zusammenhang mit der Besprechung der
,,Memphitischen Theologie" erweitert worden; die Hinweise mit Buchstaben wie (a), (b) usw. in
Abschnitt I beziehen sich auf die entsprechenden Absätze in Abschnitt II.
Der erste Teil der ,,Memphitischen Theologie", H. J u n k e r s ,,Politische Lehre von Memphis",
besteht aus einer auf Memphis bezogenen Wiedergabe des Mythos von Osiris, Horus und Seth, die
in erzählender Form mit eingestreuten Wiederholungen des Inhalts in Dialogform abgefaßt ist.
Dabei ist merkwürdig, daß die Erzählung sich scheinbar gar nicht an die zeitliche Folge der mytho-
logischen Ereignisse hält. Soweit sie erhalten ist, lautet sie im wesentlichen und in einer an den
W o r t l a u t angelehnten Wiedergabe folgendermaßen nach ZI. 7—37 der Inschrift:
ZI. 7—9: Geb mit der Neunheit traf eine Entscheidung zwischen Horus und Seth zur Vermeidung
eines Streites. Er machte Seth zum König von Oberägypten, wo Seth geboren war, und Horus zum
König von Unterägypten, Λνο der Vater des Horus ertrunken war. Der Friede zwischen den beiden
Ländern wurde hergestellt in Ajn (Tura). -— ZI. 10c—12c: Geb bereute die Teilung und gab sein
(ganzes) Erbe dem Horus, da dieser der Sohn seines ältesten Sohnes war. — ZI. 13c—14c: Horus
stellte sich über das Land, er vereinigte „dieses L a n d " und wurde mit seinem großen Namen
genannt ,,Ta-tenen, der südlich von seiner Mauer ist, der Herr der Ewigkeit" (so J u n k e r ; nach
Sethe wurde ,,dieses L a n d " [Ägypten] Ta-tenen usw. genannt). Die béiden Kronen erwuchsen auf
seinem Haupte. So war er erschienen als König von Ober- und Unterägypten und als Vereiniger
der beiden Länder in dem Gau von Memphis. — ZI. 15 c—16c: Die Verbrüderung von Horus und
Seth, das E n d e ihres Streites und ihre Vereinigung im Hause des P t a h , der ,,Wage der beiden
L ä n d e r " , wurde zum Ausdruck gebracht durch die Darstellung л'оп Binse und Papyrus am Doppel-
tor des Hauses des P t a h (a). — ZI. 17 erwähnt „Osiris im Hause des Sokaris" in unbekanntem
Zusammenhang. — ZI. 18c—22, ergänzt nach ZI. 62—64: Osiris trieb im Wasser dahin. Isis und
Nepthhys sahen ihn. Horus befahl der Isis und der Nephthys (b), den Osiris zu ergreifen, so daß
er nicht mehr dahintrieb. So brachten sie ihn ans Land. (ZI. 63 fügt hier ein: Osiris t r a t ein in die
verborgenen Tore in der Herrlichkeit der Herren der Ewigkeit gemäß dem Wandel des im Horizont
Erstrahlenden und auf den Wegen des R e ; s. Junker, Politische Lehre, S. 40—42.) E r vereinigte
sich mit dem stp-sS und gesellte sich zu den Göttern des(?) Ta-tenen P t a h , des Herrn der Jahre.
,,So n a h m Osiris sein Wesen an in der Erde in der Königsburg in der nördlichen Hälfte dieses

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76 RudolfAnthes: Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris [86. Band

Landes, und sein Sohn Horus ist erschienen als der König von Ober- und Unterägypten im Arm
seines Vaters Osiris und der Götter, die л'ог ihm waren und nach ihm kommen werden" (c). —
ZI. 23—37 erwähnt zuerst das Bauen der Königsburg, die danach noch einmal genannt wird.
Zwischen diesen Erwähnungen liegt ein Gespräch des Geb mit Thot, das vielleicht den Bau
betrifft, und die Festsetzung des Friedens zwischen Horus und Seth durch Isis. — ZI. 17—37
sind sehr fragmentarisch erhalten.
So behandelt der Text zuerst die Versöhnung von Horus und Seth, dann die Auffindung der
Leiche des Osiris und zuletzt noch einmal die Versöhnung von Horus und Seth. Sethes Erklärung
dieses Fehlens zeitlicher Folgerichtigkeit durch einen Hinweis auf eine ähnliche Nichtachtung der
Zeitfolge in mittelalterlichen Mysterienspielen (Dramatische Texte, S. 17f.) scheint mir durch
Junkers Deutung des Zusammenhanges zwischen den erzählenden und den dramatischen Text-
abschnitten überholt zu sein. Junker sieht den Text als eine dogmatische Abhandlung an, in der
zuerst der Nachweis geführt wird, daß ,,Ptah der rechtmäßige König der beiden Länder" ist
(ZI. 7—14, 15a/b—18a/b mit zwei Gesprächen in ZI. lOa/b—12a/b und ZI. 13a/b—18a/b), und
anschließend der Nachweis, daß „Memphis die Hauptstadt des Landes und Sitz des Königtums" ist
(Z. 15c—18c, 19—37 mit drei Gesprächen in ZI. 20a—21a, ZI. 24a—35a und ZI. 25b—26b,
28b—35b); s. Götterlehre S. 73ff. Jede These wird begründet durch Erzählung und Zitate von je
einer Phase des Mythos. Die Gespräche stammen nach Junker aus drei Schauspielen, die die
Trennung und Einigung des Reiches (ZI. 10a—18b), den Tod des Osiris und die Bergung seiner
Leiche (ZI. 20 a—21a) und den Bau der Königsburg und ihre Übergabe an ihre Bestimmung
(ZI. 24a—36b) behandeln; s. Götterlehre S. 13ff. Die Folge der Zeilen ist so zweifellos richtig ver-
standen. Die Verteilung der Gespräche auf drei verschiedene Dramen erscheint dem kritischen
Beobachter etwas erzwungen und unwahrscheinlich, aber sie ergibt sich aus der angeblichen
Zusammensetzung des Textes aus zwei gesonderten Thesen, von denen jede durch eine Phase des
Osirismythus bewiesen werden sollte. Mir scheint nun, daß diese Zweiteilung des Textes nicht auf-
rechterhalten werden kann. Äußerlich ist der Beginn des nach Junker zweiten Abschnittes mit
Beginn der Zeile 15 c nicht gekennzeichnet. Wohl aber ist er nach Junker durch den Wortlaut
gekennzeichnet, denn mit seiner Übersetzung von 15 c, ,,Es sind Binse und Papyrus an dem
Doppeltor des ,Hauses des Ptha' angebracht: das bedeutet Horus und Seth, die sich vertrugen
usw.", wird der Lauf der Erzählung unterbrochen durch die Feststellung eines gegenwärtigen
Tatbestandes, der eine neue Erzählung einleitet. Gegen diese Deutung des Textes muß ich aber
zwei Einwendungen erheben. Erstens habe ich unten in I I a eine abweichende Übersetzung des
Satzbeginnes grammatisch begründet, nämlich ,,Es geschah, daß Binse und Papyrus . . . ange-
bracht wurden" ; so verstanden führt der Satz die Erzählung ohne Unterbrechung weiter. Zweitens
schließen sich ZI. 15c—16c auch inhaltlich so eindeutig an das Vorhergehende an, daß man sich
weigern möchte, den Beginn eines neuen Abschnittes darin zu sehen. Nach meinem Urteil enthält
der gesamte Text der ,,politischen Lehre" in der erhaltenen Form keinerlei Hinweis darauf, daß
er aus zwei aufeinanderfolgenden Abschnitten besteht. So kann ich auch nicht die Abhandlung
zweier Thesen darin erkennen und bin nicht genötigt zu der Annahme, daß die Zitate aus drei
verschiedenen Dramen stammen. Was wir vor uns haben, erscheint von ZI. 7 an als eine fortlaufende
mythologische Erzählung, die stellenweise durch Gespräche unterbrochen ist, die offenbar aus einer
dramatischen Fassung des gleichen Stoffes stammen. Ist das richtig, so stehen wir nach der Ab-
lehnung von Sethes und Junkers Erklärungen aufs neue vor der Frage, warum diese Erzählung
sich gar nicht an den Gang der Ereignisse zu halten scheint.
Die Antwort liegt, wie ich denke, auf der Hand, sobald wir uns klarmachen, daß Horus und
Osiris ursprünglich nicht zwei Persönlichkeiten der mythischen Vergangenheit, sondern zeitlose
mythologische Begriffe sind (d). Horus ist u. a. der auf Erden lebende König von Ägypten, ein
zeitloser Begriff. Seine uns hier angehenden Wesenszüge sind die, daß er in Auseinandersetzung mit
Seth zur Existenz gelangt, daß er der Sohn des Osiris ist, und daß er selbst einmal Osiris werden
wird. Osiris ist als mythologischer Begriff des Königs nur der verstorbene, niemals der lebende

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1961] R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris 77

König. Geb ist als Herrscher der mythologische Begriff der königlichen Ahnen; s. näher JNES 18,
S. 208/9q. Unsere Erzählung arbeitet nun mit diesen mythologischen Begriffen und nicht mit
pseudogeschichtlichen Figuren, und so verstanden wird die Erzählungsfolge klar. Zuerst wird
geschildert, daß Geb den Streit zwischen Horus und Seth zunächst vorläufig schlichtet, dann das
alleinige Königtum des Horus, des Sohnes des Osiris, in Memphis festlegt und daß erst dieses
Königtum des Horus über die vereinigten beiden Länder den wirklichen Ausgleich, einen Einklang
von Horus und Seth bedeutet — soviel ich sehe, wird in der älteren Zeit Seth nicht mehr als Ver-
brecher angesehen, sobald einmal das Königtum des Horus verkündet ist. Dann wird berichtet,
wie der König von Ägypten als Osiris, also nach seinem Tode, im Wasser schwamm, von Isis und
Nephthys auf Befehl des Horus, also des lebenden Königs, seines Sohnes, in Memphis ans Land
und zur Ruhe gebracht wurde, dort irgendwie in den étp s ì , die Götter und die Königsburg einging
und vereint mit allen früheren und künftigen Königen Ägyptens, also als die Ewigkeitsform des
Königs, den irdischen Horus in die Arme schloß. Zuletzt wird wohl die „Königsburg" behandelt,
in der wohl die Befriedung von Horus und Seth durch Isis erneut oder bestätigt wurde. Wir können
den ganzen Bericht uns verständlich machen, wenn wir ihn als die Erzählung von zwei Generationen
des ägyptischen Königtums ansehen, doch müssen wir uns dabei vergegenwärtigen, daß es sich
hier um mythologische Begriffe, nicht aber um Figuren der mythischen Vergangenheit handelt.
Zwei Generationen oder besser beide Begriffe, Horus und Osiris, mußten behandelt werden, um
dem doppelten Aspekt des Königs gerecht zu werden, dem des zeitlichen Königs Horus und dem
des Königs, der von Uranfang her ewig besteht und durch das Medium des Osiris, des letztver-
storbenen Königs, des Vaters des Horus, begreifbar wird. Dabei erscheint mir sinnvoll, daß erst
nachdem dieser doppelte Aspekt des Königs im Bericht festgelegt worden ist, die Errichtung der
Königsburg berichtet wird, die man vielleicht als ein Zeugnis der Beständigkeit des Königtums
verstehen darf.
Mir erscheint dieser Bericht der „Memphitischen Theologie" als eine theologisch spekulative
Parallele aus alter Zeit zu dem um einige Jahrhunderte jüngeren Osirishymnus der Bibliothèque
Nationale, jetzt im Louvre. In diesem Hymnus gibt die individuelle mythologische Figur des Gottes
Osiris Anlaß, erst die Königsherrschaft des Osiris, dann die bewahrende Kraft des verwitweten
,,Thrones", der Isis, und dann die endgültige Herrschaft des Horus zu feiern (e). Im Hymnus ist es
eine einfache Geschichte durch zwei Generationen, da Osiris und Horus als mythologische Figuren
der Vergangenheit unterschieden sind, obgleich ihr Königtum offensichtlich das gleiche ist. In der
,,Memphitischen. Theologie" aber dürfen wir nicht versuchen, den Horus der ersten Generation
gegen den der zweiten abzugrenzen, denn beide sind der Sohn des Osiris, der einzige Horus. Um im
folgenden mich verständlich zu machen, muß ich aber die beiden Aspekte des irdischen Horus-
königs unterscheiden in den Bezeichnungen als „Horus, der Osiris wird" und ,,Horus, der Sohn des
Osiris". Ich möchte hinzufügen, daß diese Hilfskonstruktion vermutlich gar nichts zu tun hat mit
dem „älteren Horus (Hr smáw)" und dem „großen Horus {Hr «τ)", von denen jedenfalls der letztere
anscheinend nicht mit dem Osirismythos zusammenhängt.
Die Unterscheidung zwischen „Horus, der Osiris wird" und ,,Horus, dem Sohn des Osiris" habe
ich schon einmal angewandt, wenn auch nicht mit diesen Bezeichnungen. In JNES 18, S. 199—202n
habe ich mit ihrer Hilfe versucht, den Streit von Horus und Seth um das Auge herauszulösen aus
seiner Verquickung mit der Vorstellung, daß die Erbschaft des Osiris dem Horus durch das Gericht
zuerkannt wird. Da dieser Versuch, auf den ich nachher noch einmal zurückkommen muß, mir
gelungen zu sein scheint, glaube ich, daß die Scheidung der beiden Aspekte des Horuskönigs im
Osirismythos auch in der ,,Memphitischen Theologie" um so mehr berechtigt ist. Übrigens findet
meine a. a. 0 . begründete Ansicht, daß Seth das Horusauge dem „Horus, der Osiris wurde" entriß,
so daß dann ,,Horus, der Sohn des Osiris" einerseits als Horus es an sich nahm, andrerseits es seinem
Vater Osiris als dem ursprünglichen Eigentümer wiedergab, eine merkwürdige Unterstützung in
der neuägyptischen Erzählung von den Brüdern Recht und Unrecht. Darin wird bekanntlich
berichtet, daß Vater Recht geblendet wurde von seinem Bruder Unrecht und daß diese Freveltat

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78 R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris [86. Band

л о т Sohne des Recht gesühnt wurde. Die augenfällige Parallele zurOsirissage wird erst dann wirk-
lich klar, wenn wir in der Figur des Recht, der offenbar dem Osiris entspricht, ebenso wie in der
Figur des Osiris im Hymnus den mythologischen Begriff des ,,Horus, der Osiris wurde" und der
das Auge verlor, erkennen. Das Grundthema der Erzählung von Recht und Unrecht kann somit
auf die älteste mythologische Vorstellung zurückgeführt werden, entweder direkt oder vermittels
theologischer Tradition, während ihre uns vorliegende Fassung offensichtlich aus dem Neuen Reiche
stammt. Noch ein л·ierter Text, A'ielmehr nur ein Satz, darf A'ielleicht verstanden werden aus der
Unterscheidung der beiden Aspekte des Horus im Osirismythos: im Dramatischen Ramesseum-
Papyrus, ZI. 31, spricht Horus zu den Gefolgsleuten des Seth ,,Schlagt diesen meinen Vater nicht!"
Die mit diesem Satz angedeutete Gegenwart des Horus vor oder bei dem Morde des Osiris wider-
spricht den elementaren Tatsachen des Mythos. Der Satz und damit die aus ihm sich ergebende
Situation kann schwerlich durch die bloße Notwendigkeit entstanden sein, durch das Wortspiel
zwischen it ,,Emmer" und it ,,Vater" eine Beziehung zwischen dem Dreschen und dem Osiris-
mythos herzustellen, wenngleich diese Notwendigkeit gewiß dazu beitrug, daß die Vorstellung einer
so unglaublich erscheinenden Situation gewagt wurde. Ob das Ritual der Mundöffnung, in dem der
Satz nach E. A. W. Budge, The Book of Opening the Mouth II S. 16, ZI. 33, auch vorkommt, eine
andere Erklärung sichert, wage ich jetzt nicht zu entscheiden. Wenn wir Horus in diesem Zu-
sammenhang als ,,Horus, der Osiris wurde" ansprechen, so wird sein Ausruf jedenfalls verständlich.
Wir können ihn dann paraphrasieren mit den Worten ,,Schlagt mich nicht, damit ich nicht mein
Vater Osiris werde". Da die beiden von mir für den Zweck dieser Diskussion unterschiedenen
Horusse nicht zwei mythologische Figuren, sondern zwei Aspekte des einen mythologischen Be-
griffes ,,Horus" sind, kann dieser Erklärungsversuch nicht durch den Hinweis widerlegt werden,
daß in der unmittelbar dem Ausruf folgenden ZI. 32 „Horus, der Sohn des Osiris" den Osiris
anredet.
Das zweite Problem aus der ,,Memphitischen Theologie", das ich hier besprechen möchte, ist das
Ertrinken des Osiris oder, besser gesagt, das Dahintreiben seiner Leiche im Nil. In ZI. 8 (mit H a )
und 22 = 64 ist ausdrücklich gesagt, daß es in Unterägypten oder ,,der nördlichen Hälfte des
Landes" geschah. ZI. 22 = 64, wo davon die Rede ist, daß Osiris in Nordägypten in die Erde kam,
ist oben in der Inhaltsübersicht der ,,Politischen Lehre" wörtlich zitiert. In ZI. 8 heißt es: ,,So
setzte Geb den Horus als König von Unterägypten in Unterägypten (ii mh{w)) ein von dem Platze
her, an dem sein Vater im Wasser dahintrieb {dr bw mh(w) it.f imy\ Weder hier noch in der ent-
sprechenden Rede des Geb in der dramatischen Fassung (ZI. H a ; mit it.к ,,dein Vater" statt it.f)
kann der Hinweis auf das Dahintreiben im Wasser (mh) durch den bloßen W^unsch zu einem Wort-
spiel veranlaßt sein, denn das oberägyptische Gegenstück bringt kein Wortspiel in ZI. 10a und
vielleicht auch keines in ZI. 8. So ist das Dahintreiben wohl eher als etwas Charakteristisches im
Textzusammenhang der ZI. 8 genannt, und jedenfalls wird es als etwas Wichtiges ausführlich
behandelt in ZI. 18—22 und dem Paralleltext, ZI. 62—64. Es stellt den Zusammenhang zwischen
Osiris und Memphis her. Andrerseits ist die Nennung der ,,nördlichen Hälfte dieses Landes" in
ZI. 22 = 64 auffallend und könnte überflüssig erscheinen, da niemand Memphis und die „Königs-
burg" im Süden suchen würde. Mir scheint, daß das Dahintreiben im Wasser hier auffällig betont
ist und daß die zweimalige Nennung von Unterägypten einen Gegensatz zu Oberägypten andeutet.
An diesen Befund seien drei weitere Beobachtungen angeschlossen. Wie gesagt, habe ich in
J N E S 18, S. 199ff. n, eine gewisse Trennung des Mythenstoffes durchgeführt mit Bezug auf die
Kämpfe des Horus mit Seth um das Auge in Heliopolis und den Mord an Osiris in Nedit oder
Gehesti — aus Pyr. 260b/c und 957c darf nicht etwa auf eine Gleichheit von Heliopolis (oder Buto)
mit Nedit geschlossen werden. Ferner habe ich a. a. 0., S. 199 m, daraufhingewiesen, daß ein Er-
trinken oder im Wasser Schwimmen nicht zu der in den Pyramidentexten vorliegenden Form des
Osirismythos gehört. Es wird dort allerdings dreimal in einander ähnlichen Zusammenhängen
erwähnt, in gleichem Wortlaut, der wie ein Zitat aus der ,,Memphitischen Theologie" klingt:
dr bw тпЦп). к im „von dem Platze her, an dem du im Wasser dahintriebst" (Pyr. 24, 615, 766) ; wie

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1961] R u d o l f A n t h e s : B e i l ä u f i g e B e m e r k u n g e n z u m M y t h o s v o n H o r u s u n d Osiris 79

Sethe im Kommentar zu 615a—d (Band I I I , S. 142) gezeigt hat, bezieht sich das auf ünter-
ägypten, also ebenso wie in der ,,Memphitischen Theologie". Ich möchte hier hinzufügen, daß die
Vorstellung, daß Osiris sich im Nile befindet (Руг. 1044b) oder mit der Überschwemmung zu tun
hat (Pyr. 25), in den Pyramidentexten auch sonst besteht, aber dabei ist nicht an den verewigten
König, sondern an die Vegetation, die Osiris ist, gedacht. Drittens sei betont, daß nach Pyr. 754c
und 2108b Nedit in Abydos liegt. Die Annahme, daß es ,,erst nach Einführung des Osiriskultes
hier lokalisiert worden" sei ( B o n n e t , Reallexikon s. v. Nedit; s. auch K e e s , Görtterglaube,
S. 331 mit Anm. 7) ist, soviel ich sehe, willkürlich angesichts der wohlbezeugten und, wie wir sehen
werden, natürlichen Verbindung des Osiriskönigs mit Abydos und dem thinitischen Gau; s. zahl-
reiche Zitate bei S e t h e , Kommentar zu Pyr. 754c und K e e s , a. a. 0 .
Die vier genannten Punkte, nämlich erstens die Betonung von Unterägypten und vom Dahin-
treiben der Leiche des Osiris in der ,,Memphitischen Theologie", zweitens das Schweigen der Pyra-
midentexte über das Dahintreiben mit Ausnahme eines dreimal vorkommenden Satzes, der wie ein
Zitat aus der ,,Memphitischen Theologie" klingt, drittens die begründete Unterscheidung zwischen
den Geschehnissen des Osirismythos in Heliopolis und Nedit und viertens die eindeutige Lokalisie-
rung von Nedit in Abydos, legen folgende Deutung nahe, die ich annehmen möchte, bis etwas ihr
Widersprechendes sich findet. Einerseits ist die Identifizierung des verstorbenen Königs als Osiris
und damit die Entstehung des Osirismythos nach meinen Untersuchungen wohl sicher gleichzeitig
mit der Auffassung des Königs Horus als des Weltengottes entstanden, also spätestens unter König
Schlange; andrerseits wurden die Könige der ersten und ein Teil, wenn nicht alle, der zweiten
Dynastie in Abydos begraben. Danach erscheint es nicht verwunderlich, sondern höchst wahr-
scheinlich, daß Nedit oder Gehesti, der Platz, wo Osiris von Seth niedergeschlagen (ndi) und so
von Horus, Geb und den Frauen aufgefunden wurde, in Abydos vermutlich um des Mythos willen
geschaffen wurde, jedenfalls sich dort befand (f). Die Tatsache aber, daß spätestens seit der dritten
Dynastie die Könige in Memphis begraben wurden, veranlaßte den Verfasser der ,,Memphitischen
Theologie" oder seine Gewährsleute, einen Zusatz in den Mythos zu bringen, nach dem die Leiche
nicht in Nedit gefunden und von dort aus bestattet wurde, sondern nun mußte sie vom Nil nach
Unterägypten hin getragen und dort in Memphis im Wasser gefunden und bestattet werden. Eine
Parallele zu solchem Dahintreiben im Nil von Süden nach Norden finden wir in spätester Zeit in
der Reise der acht Urgötter von Theben nach Hermopolis, Memphis oder Heliopolis ( S e t h e , Die
acht Urgötter §§ 93—102). Für den Osiriskönig wird solche Nilfahrt „auf seinem Wasser" (ZI. 19.62;
s. S e t h e , Dramatische Texte, S. 38—39, e) besonders annehmbar erschienen sein wegen des Cha-
rakters des Osiris als Vegetation, die überflutet wird und aus der Flut auftaucht, und vielleicht
auch in Anbetracht einer wirklichen Fahrt der Königsleiche auf dem Fluß, von wo aus auch immer
sie stattgefunden haben mag.
* Die Deutung, daß das Motiv des Ertrinkens im Osirismythos entstanden ist im Zusammenhang
mit Memphis und in gewissem Gegensatz zur Vorstellung von dem oberägyptischen Nedit, kann
durch zwei weitere Beobachtungen unterstützt werden. Erstens ist dieses Motiv, abgesehen von
der Spätzeit, anscheinend nicht häufig erwähnt; unten in II e habe ich darauf hingewiesen, daß es,
wie meines Wissens Moret zuerst gesehen hat, im Osirishymnus des frühen Neuen Reiches jedenfalls
nicht vorkommt. Zweitens hat Sethe im Kommentar zu „Memphitische Theologie" ZI. 8 gezeigt,
daß das Ertrinken des Osiris auch nach andern, späten Texten nahe dem Gau von Memphis oder
nördlich davon stattgefunden haben soll.
So dürfen wir wohl sagen, daß wahrscheinlich Memphis der Ursprungsort der Vorstellung ist,
daß der Osiriskönig des Mythos im Wasser sich befand ebenso wie die Vegetation, die Osiris war.
Dann aber erscheint es sehr glaubhaft, daß der dreimal in den Pyramidentexten vorkommende
Ausdruck „von dem Platze her, wo du (Osiris) im Wasser dahintriebst" als Bezeichnung Unter-
ägyptens oder einer unterägyptischen Örtlichkeit wirklich ein Zitat aus der ,,Memphitischen
Theologie" ist, als welches ich ihn schon versuchsweise bezeichnet habe; die Alternative, daß er als
Zitat aus den Pyramidentexten in die ,,Memphitische Theologie" gekommen sei, erscheint jeden-

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80 R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris [86. Band

falls ausgeschlossen, während die dritte Möglichkeit, daß die Übereinstimmung in der Ausdrucks-
weise zufällig ist, nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich ist. Ein Zitat aus der ,,Memphitischen
Theologie" zuerst in der Pyramide des Teti (Pyr. 615T) würde, wenn gesichert, einen Beweis für
die Entstehung der ,,Memphitischen Theologie" spätestens in der Zeit des Wechsels von der fünften
zur sechsten Dynastie darstellen, der höchst willkommen sein würde. Denn wenn auch die zumeist
angenommene Datierung des Textes in das Alte Reich durch die Untersuchungen von Erman,
Sethe und Junker ausgezeichnet begründet worden ist, so liegt es doch so, daß jeder von uns sich
den Beweis neu erarbeiten muß. Ich wenigstens kann meine volle Überzeugung nicht hinter die
bisher vorgebrachten orthographischen, sprachlichen und inhaltlichen Gründe für diese Datierung
stellen, und so ist es mir auch geschehen, daß ich nicht in der Lage war, den kritischenNichtägypto-
logen einwandfrei davon zu überzeugen, daß der Text, der uns ja nur in einer Kopie von 700 v. Chr.
vorliegt, aus spätestens der Mitte des dritten Jahrtausends stammt. Die Möglichkeit, und ich
möchte sagen die Wahrscheinlichkeit, daß ein Zitat daraus spätestens unter König Teti in die
Pyramidentexte gelangte, muß deswegen mit großer Aufmerksamkeit behandelt werden. Jeden-
falls darf diese Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit nicht mit dem Hinweis darauf in Frage gestellt
werden, daß die ,,Memphitische Theologie" eine Kampfschrift gegen Heliopolis gewesen sei, wie
Junker sie darstellt, so daß ein Zitat aus ihr in den doch wohl in Heliopolis gehüteten Pyramiden-
texten als ein unwahrscheinlicher Kompromiß mit den Forderungen der Memphiten, wenn nicht
als Verrat an den Lehren von Heliopolis angesehen werden müßte. Theologische Streitigkeiten um
Dogma und Mythus dürfen angesichts der Liberalität in Mythenbildung und des undogmatischen
Charakters der Religion in Ägypten im Alten Reiche gewiß nicht angenommen werden und sind
auch später nur unter unnormalen Zuständen bekannt — ich wüßte nur Echnaton und die Reak-
tion gegen ihn zu nennen und vermute, daß religiöser Fanatismus in der griechisch römischen Zeit
wie im Volke so auch unter Priestern geherrscht haben kann. Meines Erachtens ist die „Memphi-
tische Theologie" eine theologische Begründung der weder von Heliopolis noch sonst jemandem
bestrittenen Tatsache, daß Memphis Residenz und Begräbnisplatz der Könige war. Da der Götter-
stammbaum von Heliopolis von Horus aufwärts zu Atum aufgebaut war, konnte die „Götterlehre
von Memphis" ihren P t a h nur oben anfügen durch Gleichsetzung mit Nunu und Nunut, deren
Anciennität gegenüber Atum von Heliopolis zwar anerkannt, aber aus guten Gründen im Stamm-
baum nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Ich möchte denken, daß Heliopolis nicht den geringsten
Einwand gegen die Memphitische Theologie hatte, aber auch nicht den geringsten Anlaß, sie etwa
in die Pyramidentexte einzubauen oder sonst zu betonen, da Heliopolis eben nicht Memphis war.
Ich habe diese meine Ansicht in „Mythologies" bei der Besprechung der ,,Memphitischen Theo-
logie" näher begründet und ausgeführt und darf hier darauf verweisen.
Zum Schluß möchte ich hier kurz noch einmal darlegen, wie die Entstehung des Osirismythos
sich mir jetzt darstellt, da diese Auffassung den hier vorgelegten Ausführungen zugrunde liegt und*
somit notwendig zu ihrem Verständnis ist. Ich kann nur mit der Vermutung anfangen, daß Osiris
ein wahrscheinlich uralter ägyptischer Begriff der pflanzlichen Fruchtbarkeit, der Vegetation
war. Sicher aber wurde die Gleichsetzung des verstorbenen Königs mit Osiris aufgestellt und
theologisch verankert im Rahmen des Stammbaums des Horus, durch den der göttliche, urzeitliche
und weltumfassende Charakter des Königs bewiesen wurde; das habe ich zur Genüge in J N E S 18
und ,,Mythologies" ausgeführt. Die Festlegung des Stammbaums geschah vermutlich im Zusam-
menhang mit der Begründung des ägyptischen Königtums, jedenfalls nicht später als in der Zeit
des Königs Schlange, für die die Vorstellung vom irdischen und dem himmlischen Horus durch die
Darstellung auf dem Elfenbeinkamm bezeugt ist. Die Form, in welcher der Stammbaum festgelegt
wurde, war vermutlich eine Kulthandlung, vielleicht eine Art Katechismus für den Thronfolger
etwa so, wiê ich ihn zuerst inZÄS 80 (1955), S. 88f., zur Verständlichmachung konstruiert habe.
Mit diesem Stammbaum entstanden die Grundbegriffe des Osirismythos. Wie er Gestalt annahm,
kann vielleicht am besten so verstanden werden, daß die Riten, durch welche die mythologischen
Begriffe, namentlich Osiris und Horus, bei jedem Regierungswechsel lebendig wurden, in den

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1961] R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos λόπ Horus und Osiris 81

Ritualen einschließlich der Hymnen und Verklärungen gedeutet wurden als durch menschliche
Affekte bewirkte Geschehnisse. Die Grundbegriffe des Mythos sind wohl die Ermordung des Königs
durch Seth, die Akklamation seines Sohnes, des Horus, durch die Körperschaft von Heliopolis und
die Verklärung des Osiris, die hier unten in I l e besprochen wird. Daneben erscheinen als wesent-
liche zusätzliche Faktoren bei der Gestaltung des Osirismythos die Vorstellungen von der Über-
windung des Doppelcharakters des Königs als Horus und Seth, von der Witwenschaft des Thrones
und von der Wiederkehr des Horusauges zu seinem angestammten Besitzer, dem König. Andere
mögliche Elemente muß ich zunächst zurückstellen, da ich sie noch nicht bearbeitet habe. Meine
früheren Ausführungen zu den genannten Punkten können jetzt durch ein besseres Verständnis des
mythologischen Begriffes des ,,Auges" ergänzt werden. Das wird in dem eingangs erwähnten Auf-
satz über das Sonnenauge dargelegt. In den vorliegenden Ausführungen wollte ich nur zu zeigen
versuchen, daß der erste Teil der ,,Memphitischen Theologie" eine einheitlich durchgeführte Dar-
stellung des Mythos von Horus und Osiris, wenn auch nicht der mythologischen Erzählung ist,
und daß das Motiv vom Ertrinken des Osiris in Memphis entstanden ist, soweit wir jetzt urteilen
können.

II. Erläuterungen und zusätzliche Bemerkungen


(a) ^ e m p h i t . Theologie ZI. 15c—16c beginnt mit den Worten hprn wdw Sn' w3d r rwty ht Pth, Hr
StS pw htpwy sm3w(y), in Junkers Übersetzung: „Es sind Binse und Papyrus an dem Doppeltor
des Hauses des Ptah angebracht: das bedeutet Horus und Seth, die sich vertrugen und verbün-
deten"; es folgen Verben in der ádm./-Form. Nach Junker ist dieser Satz die Schilderung eines für
Verfasser und Hörer gegenwärtigen Zustandes, somit abgesetzt von der vorhergehenden Erzählung
aus der Vergangenheit zur Einführung eines neuen Textabschnittes. Die Frage, ob ein Wechsel
Λ^οη Erzählung zu Schilderung und der Beginn eines neuen Abschnittes wirklich vorliegen, ist, wie
oben in Abschnitt I dargelegt, von weittragender Bedeutung für das Verständnis des ganzen Textes.
Junker hat seine Auffassung in,, Götterlehre", S. 50—54, ausführlich begründet. Seine dortige Dis-
kussion zielt vornehmlich auf zwei Punkte, die wir jedoch in nachträglicher Kritik besser ausein-
anderhalten können. Der erste Punkt ist der Nachweis, daß das ,,unpersönliche" hprn vor einem
Verbum finitum als Hilfsverbum gebraucht wird; mit Hinblick auf die Erwähnung einer andern
,,unpersönlichen" Verbalform hier unten in I I b darf ich einfügen, daß mir Gardiners Deutung in
Grammarl § 486 obs. 1, nach der das dem hprn folgende Satzgebilde die Funktion eines Subjekts
des hprn hat, annehmbarer erscheint, zumal da dadurch ein Mißverständnis vermieden wird. Aber
ob wir diese oder jene Bezeichnung benutzen, jedenfalls stellt Junkers Nachweis, über S e t h e ,
Dramatische Texte, S.89—90, hinausgehend, den häufigen gleichen Gebrauch des hprn im Rames-
seumpapyrus in den richtigen Zusammenhang grammatischen Verständnisses. Der zweite Punkt,
den Junker gleichzeitig beweisen wollte, läuft darauf hinaus, daß das Hilfsverbum hprn genau die
gleiche Bedeutung haben müsse wie das Hilfsverbum wnn (iw) im gleichen ,,unpersönlichen"
Gebrauch, so daß möglicherweise „das entsprechende hprn eine ältere Einleitung (des Verbal-
satzes) darstellt, die später durch iw abgelöst wurde" (S. 54). Die Beweisführung, die verquickt ist
mit dem erstgenannten Punkte, weiter mit der Feststellung, daß hprn sehr wohl präsentische
Bedeutung haben kann, und der Versicherung, daß es einen neuen Abschnitt einleite, ist aber für
sich allein genommen gar nicht überzeugend. Gewiß kann man hprn oft verstehen als ,,es ist gewor-
den oder wurde" im Sinne von „es ist" (S. 52), weil das „geworden sein" ein „sein" bedeuten kann.
Aber die Wörter hpr ,,werden, geschehen" und wnn ,,sein" haben doch grundverschiedene Bedeu-
tungen insofern, als das eine das Zustandekommen des Seins, das andre den Zustand des Seins
bezeichnet, hprn wdw Ы' kann m. E. nur übersetzt werden mit ,,es geschah, daß die Binse gesetzt
wurde", wobei die Frage offenbleiben muß, ob diese Setzung vorübergehend war oder beständig
blieb; in jedem Falle ist das Werden (hpr) und nicht das Sein {wnn) berichtet. Der nächstliegenden
Annahme, daß hprn mit verbum finitum eine Erzählungsform ist, widerspricht, soviel ich sehe, keines
der von Junker angeführten Beispiele. Auch ist Junkers Feststellung, daß hprn zur Einleitung

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82 RudolfAnthes: Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris [86. Band

eines neuen Abschnittes dient, in dieser F o r m nicht überzeugend. Man kann ebensogut argumen-
tieren, daß es mit einem neuen Gedanken das vorher Gesagte f o r t f ü h r t . Das ist m. E. deutlich in
der Aneinanderreihung der Szenen im R a m e s s e u m p a p y r u s und m u ß ebenso gelten f ü r Memphit.
Theol. ZI. 54 und 58. Sehr deutlich erscheint es mir auch in dem hier zur Diskussion gestellten
A n f a n g der ZI. 15c. Dieser schließt an eine E r z ä h l u n g an, in der neben andern F o r m e n sdmn.f-
Form und sdm.f-Form wechseln (ZI. 13) und eine E r l ä u t e r u n g zur E r z ä h l u n g durch einen Nominal-
satz mit pw gegeben wird (ZI. 11c). ZI. 15 c p a ß t ganz in diese stilistische F o r m hinein, setzt offen-
sichtlich die vorhergehende E r z ä h l u n g fort und darf nicht л-erstanden werden als eine Feststellung
gegenwärtigen Seins, die den Fluß der E r z ä h l u n g u n t e r b r i c h t . Eine P r ü f u n g des Inhalts f ü h r t genau
zu dem gleichen Ergebnis. — Ich übersetze ZI. 15c, A n f a n g : „ ( D a n n ) geschah es, d a ß Binse und
P a p y r u s an dem Doppeltor des Hauses des P t a h angebracht w u r d e n — das b e d e u t e t (bedeutete)
Horus und Seth, die sich vertragen und vereinigt haben ( h a t t e n ) " .

(b) Memphit. Theologie ZI. 62 l a u t e t : wdw. Hr η ist Nbtht ^ ^ | jj ndr.sn m Wéir hw.án mh.f ;
das heißt nach Sethe ,,Horus befahl der Isis und der N e p h t h y s ohne Verzug, d a ß sie den Osiris
packten, d a m i t sie v e r h ü t e t e n , daß er \'ersinke". Das in ZI. 18c einzig erhaltene Zeilenende lautet
zusammen m i t den anschließenden W o r t e n : Nbtht ist ^ I (19) η mhnWsir hr mw.j, ,,...Neph-
t h y s und Isis ohne Verzug (Sethe), denn Osiris trieb auf seinem Wasser d a h i n " . Hier soll m dd
besprochen werden. Sethe h a t seine Übersetzung in Dramatische Texte, S. 37—38 (d), begründet
m i t seiner D e u t u n g von m sdm.f als ,,ohne daß er h ö r t " und mit ddn sdm.f ,,es d a u e r t nicht
lange, bis er h ö r t " . Wir können darnach m dd m. E. folgendermaßen e r k l ä r e n : der Satz würde voll-
ständig lauten wdw Hr η Sst Nbtht m dd wd.f, also ,,. . . ohne daß es lange dauerte, bis er b e f a h l " ;
aber wd.f, das als S u b j e k t von dd diente, konnte ausfallen, da es mit Sicherheit aus dem vorher-
gehenden wdw Hr ergänzt werden k a n n ; so m a c h t nun m dd, als ádm.f-Form ohne S u b j e k t , den
Eindruck eines ,,unpersönlichen" v e r b u m finitum. Trotz dieser Z u s t i m m u n g müssen jedoch Be-
denken gegen die vorliegende Übersetzung erhoben werden, weil die Ausdrucksweise bemerkens-
wert umständlich und die Mitteilung, d a ß Horus den Befehl ohne Zögern gab, einigermaßen sinnlos
erscheint. Deswegen möchte ich auf eine a n d r e Möglichkeit der Lesung a u f m e r k s a m machen, die
in den Textwiedergaben in D r u c k t y p e n nicht e r k e n n b a r ist. Die beiden rfd-Zeichen stehen nämlich
in der vertikalen Zeile nebeneinander ebenso wie die Namen der Isis und der N e p h t h y s und wie
sehr häufig in diesem T e x t parallele W ö r t e r in parallelen Satzteilen. Ich stelle hier die Schreibung
unserer Stelle nach ZI. 18c neben eine besonders gleichartige in ZI. 9; in ZI. 62 steht Isis vor Neph-
Z1 18c ZI 9 t^^y®' jeder der beiden Namen ist mit dem F r a u e n d e t e r m i n a t i v versehen und
„ , Ц sonst ist es wie 18 c. Zweifellos also k a n n unser Satz auch aufgelöst werden in
J H T T wdw Hr η ist m dd ( ' ) und η Nbtht m dd ( f ). D a n n heißt es in Übersetzung
c^ ψ - · - \Ш • - Ш
IJN I k „ H o r u s befahl der Isis als dd-Pfeiler (?) und der N e p h t h y s als dd-Pfeiler (?), daß
sie den Osiris p a c k t e n " . Diese A u f f a s s u n g bringt auch den Vorteil m i t sich, d a ß
^ ^ sie die Nennung der Namen von Isis u n d N e p h t h y s hier verständlich m a c h t ;
m a n sieht nämlich sonst nicht recht, w a r u m der T e x t nicht einfach wdw Hr n.sn
l a u t e t , das nach den u n m i t t e l b a r vorhergehenden ptr.sn und mnh.sn als das natürliche erscheinen
würde. Aber ich verstehe den T e x t in der neuen Lesung nicht sicher. Ich k a n n n u r hinweisen auf
wh' dd in P y r . 1255 und 1486;.ich verstehe diese Stellen zwar nicht, aber es scheint deutlich, daß
in 1255 das zweimalige wh' dd in Beziehung zu Isis und N e p h t h y s an der Leiche des Osiris steht,
und auch in 1486 bezieht sich der Ausdruck auf eine, die um Osiris t r a u e r t . Ebenfalls m u ß hier er-
w ä h n t werden die Bezeichnung von Göttinnen als dd in griechischen Tempeln : S e t h e , Sonnenauge
S. 33 bringt diese Bezeichnung für H a t h o r ( W B V 627, 14—15) an einer Stelle in Verbindung m i t
dem Osirismythus (,,Wie das rfrf-Symbol den Leichnam des Osiris vor Seth verbarg, so soll
hier H a t h o r als Ddt den Re geschützt h a b e n " ) , und die beiden (weiblichen) dd in Dendera ( W B
V 628,1) erinnern an die Zweiheit der Göttinnen Isis und N e p h t h y s . So rufen die griechischen

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1961] R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris 83

Tempelinschriften die Vorstellung wach, daß Isis und Nephthys vielleicht verkörpert werden
konnten in je einem ¿d-Pfeiler, und gerade das würde in ZI. 18c und 62 der „Memphitischen Theo-
logie" zum Ausdruck gebracht sein, wenn mein Vorschlag zur Lesung richtig ist; aber ob und
wie das wh' dd der Pyramidentexte dazu passen könnte, muß jetzt offenbleiben.
(c) Memphit. Theologie ZI. 64 lautet: si.f Hr h^ m nsw, h' m bity, m hnw ' Wsir hn' ntrw tpyw-'.f
imyw-ht.f. Sethe übersetzte: ,,Sein Sohn Horus erschien als König von Oberägj'pten und erschien
als König von Unterägypten in den Armen seines Vaters Osiris inmitten der Götter, die vor ihm
waren und (der Götter), die hinter ihm waren". Junker übersetzte: „Sein Sohn Horus erschien
(usw.) in den Armen seines Vaters Osiris, so wie die Götter vor ihm und nach ihm". Ich halte
folgende Übersetzung für richtig: ,,Sein Sohn Horus erschien (usw.) in den Armen seines Vaters
Osiris und der Götter, nämlich derer die vor ihm waren und derer die nach ihm sein werden". In der
Auffassung, daß tpyw-'. f imyw-ht. f zeitlich und nicht örtlich ,,vor" und ,,nach" verstanden werden
muß, stimme ich Junker zu. Aber Sethe hat die ausgezeichnete Beobachtung gemacht, daß tpyw-' .f
und imyw-ht.f untereinander stehen, obgleich sie, wie er sagt, „hier wieder gut in gespaltener
Kolumne nebeneinander (hätten) gesetzt werden können, und das wäre vielleicht sogar besser
gewesen, da dann das ntrw vor beiden Ausdrücken gestanden hätte, was man eigentlich erwartet.
Da der Schreiber das aber trotz des recht starken Raummangels nicht getan hat, wird es in seiner
Vorlage auch nicht (oder nicht mehr ?) der Fall gewesen sein" (Dramatische Texte, S. 77 [c]).
Dieser Tatbestand paßt, wie ich erst nachträglich gesehen habe, vorzüglich in meine Auf-
fassung der Stelle, und ich habe ihn deswegen in der Übersetzung zum Ausdruck gebracht. —
Die Übersetzung des hn' als ,,inmitten" begründet Sethe a. a. 0 . folgendermaßen: ,,Da Horus
nicht gleichzeitig in den Armen seines Vaters ,und' der Götter, die hier genannt werden (nämlich
der Götterstandarten. R.A.), sein kann, wird hn' hier notwendig etwas anderes bedeuten müssen,
nämlich ,mit' im Sinne von ,in Gegenwart von', ,in Gesellschaft л'оп', ,inmitten von', wie das
griech. μετά mit Gen. plur. gelegentlich gebraucht wird". Junker hat diese Beweisführung mit
Recht zurückgewiesen und kommt zu dem Schluß (Politische Lehre, S. 43): „Osiris ist die Ver-
körperung des rechtmäßigen Königtums, und der regierende König hat aus seiner Hand die
Herrschaft erhalten; hn' ist dann in seiner üblichen Bedeutung ,und', ,sowie auch' verwendet".
Aber zwischen „und" und „so wie", wie es in Junkers Übersetzung (a. a. O. S. 38) heißt, ist doch
ein sehr großer Unterschied; „und" oder ,,mit" paßt nicht in Junkers Auffassung der Stelle
(s. auch Götterlehre S. 9).
In meiner oben wiedergegebenen Übersetzung habe ich mich an die von Sethe aus inhaltlichen
Gründen zurückgewiesene, aber sprachlich einzig mögliche und erforderte Bedeutung des hn' als
„und" oder „mit" gehalten. Mit „Osiris und die Götter, die welche vor ihm waren und die welche
nach ihm sein werden" wird daran gedacht sein, daß Osiris nach Bestattung und Verklärung eins
geworden ist mit allen Königen, die schon gestorben sind und noch geboren werden, und daß er
nun mit ihnen vereint zum mythologischen Begriff des Königs geworden ist, der geboren wurde im
Nunu, bevor Himmel und Erde entstanden (Руг. 1040 und 1466). Zu dieser Auffassung, daß Osiris
nun zur Einheit mit dem Begriff des in der Urzeit entstandenen Königs geworden ist, paßt das ver-
bindende hn' in „sein Vater Osiris und die Götter" ebenso gut wie es sonst gebraucht wird zur
Verbindung zweier Aspekte einer Urgottheit, also „Niw und {hn') NnV\ „Чтп und ЧтШ'·'·, „Atum
und Ruruti" und „Schu und Tefnut" (Pyr. 446—447). Soviel ich sehe ist diese Einswerdung des
Osiriskönigs mit dem (wenn ich so sagen darf) Urkönig bewirkt durch die Verklärung des Osiris in
den himmlischen Horus, wie sie in den Pyramidentexten vollzogen wird. Eine Gruppe der ent-
scheidenden Nachweise für diesen Übergang des verstorbenen Königs aus dem Wesen des Osiris
in das des himmlischen Horus habe ich in einem Aufsatz, The Original Meaning of тЗ' hrw ( JNES13
(1954), S. 21—51), richtig dahin gedeutet, daß тЗ' hrw sich auf Horus, nicht auf Osiris beziehe,
aber die eigentliche Bedeutung dieser Stellen habe ich damals weder verstanden noch zu verstehen
geglaubt. Im Zusammenhang seiner Ernennung zum König durch Zuruf der Götter ist der ver-
storbene NN in Parallele zur irdischen Königsernennung, als Horus bezeichnet; in anderem Zu-

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84 R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris [86. Band

sammenhang aber wird er zum himmlischen Horus durch seine Identifizierung als Morgenstern;
vgl. a. a. 0 . S. 47—49 und die auf S. 27—44 besprochenen Textstellen*.
Wenn wir also in „Osiris und die Götter, die welche vor ihm waren und die welche nach ihm sein
werden" eine Umschreibung des ewigen Königs, des himmlischen Horus erkennen dürfen, die un-
gewöhnlich aber aus dem vorliegenden Textzusammenhang sehr wohl begreiflich ist, so müssen
wir uns auch fragen, was es bedeuten soll, daß Horus als König erscheint ,,in den Armen {m hnw ')
seines Vaters Osiris und der Götter usw.". Sethe verweist in diesem Zusammenhang auf ü r k . IV
255,12 und 256,15, wo es heißt, daß der noch lebende alte König Thutmose I. seine Tochter, König
Hatschepsut, in seine Arme nimmt. Aber hier in der „Memphitischen Theologie" ist der alte König
schon Osiris, lebt also nicht mehr auf Erden. In J N E S 18, S. 171, habe ich darauf aufmerksam
gemacht, daß Horus in seinen drei Aspekten als Falke, König von Ägypten und himmlischer König
eine echte Trinität bildet. Wenn nun der irdische König im Arm ,,seines Vaters Osiris und der
früheren und zukünftigen Götter", das heißt des himmlischen Horus, erscheint, so kann das kaum
besser dargestellt werden, als es die Statue desCh^fren mit dem Falken zeigt: der Horusfalke spreizt
seine Flügel aus um den König oder, etwa aus künstlerischen Gründen, um des Königs Kopf. Zur
Ausdrucksweise darf ich daran erinnern, daß nach Pyr. 1370 der König ,,in die Flügel (m hn,v dnhy^
seiner als himmlischer Geier erscheinenden Mutter gesetzt wird. Die Haltung des Falken des Chefren
ist ganz die des schützenden Geierweibchens (s. J N E S 18, 190, Anm. 35) und das ,,Setzen" in den
Flügel oder Arm ist rdit im Pyramiden- wie im Hatschepsut-Text. So ist der vorliegende Satz der
,,Memphitischen Theologie" gewiß eine literarische Beschreibung der gleichen Vorstellung, die für
Chefren durch eine Skulptur zum Ausdruck gebracht ist. Darum ist es denkbar, aber nicht not-
wendigerweise so, daß in ZI. 64 auf eine Statue in der Königsburg angespielt ist, ebenso wie ZI. 15c
sich bezieht auf ein Relief der verknoteten beiden Pflanzen über einer Tür des Ptahtempels.
(d) In J N E S 18, S. 202—203, habe ich meine Definition des Ausdruckes ,,mythologischer
Begriff" (,,mythological concept") gegeben, die ich hier folgendermaßen umschreiben darf: Ein
,,mythologischer Begriff" ist das Ergebnis eines menschlichen Versuches, ein Wesen oder ein
Ereignis, oder auch eine Gruppe von Wesen oder eine Folge von Ereignissen, die zur ,,göttlichen
Welt" gehören, sich begreiflich zu machen vermittels menschlicher Sinne und menschlichen Ver-
standes. Unter ,,göttliche Welt" verstehe ich in diesem Zusammenhang den Teil der Welt, der nicht
durch menschliche Sinne und Verstand begriffen werden kann, also quantitativ verschieden heute
ist von dem, was er etwa vor 5000 Jahren war. Für weiteres kann ich nur auf jenen Aufsatz ver-
weisen. Schon so aber ist wohl deutlich, daß ein mythologischer Begriff keineswegs identisch sein
muß mit einer mythologischen Figur in der Erzählung.
(e) Der Osirishymnus des Amenmose aus etwa der Mitte des 16. Jh.s ist veröffentlicht von
A. M o r e t , „La légende d'Osiris à l'époque thébaine d'après l'hymne à Osiris du Louvre" in ВIFAO
30 (1931), S. 725—756 und Taf. I — I I I . Ich habe den zweiten Teil des Hymnus in meinem Beitrag
zu Mythologies übersetzt und möchte zwei Punkte der Übersetzung hier besprechen. In ZI. 16 ist
Isis geschildert als ,,die das Land durcheilte mit Klageschreien und nicht ruhen wollte bevor sie
ihn fand ; die Schatten machte mit ihren Flügeln, die Wind erzeugte mit ihren Schwingen, die ein
Jauchzen erhob, die ihren Bruder zur Ruhe bettete {mnit sn.á), die die Schwäche des Müden auf-
richtete, die seinen Samen in sich aufnahm, die einen Erben hervorbrachte usw.". Moret hat
zweifellos richtig gesehen, daß mni hier nicht ,,(aus dem Wasser) ans Land ziehen" heißt, wie
E r m a n , Literatur S. 187ff. und WB II, 74,6 annahmen, denn es ist nichts davon gesagt, daß
Osiris sich im Wasser befand. Moret übersetzt es ,,aborder (ensevelir)" und bemerkt im Kommen-
tar, daß dieser Ausdruck verstanden werden müsse als die Bezeichnung einer mit allen Riten aus-
geführten vollständigen Bestattung, wie sie von Isis und ihren Genossen^ Anubis, Thot, Horus usw.
erfunden sei. Ich sehe die Bedeutung von mni etwas anders an. Die Grundbedeutung ist offenbar

Nachtrag bei der Korrektur: Zum Charakter des himmlischen Horus als Morgenstern s. jetzt auch meinen
Aufsatz über das Sonnenauge in diesem Bande der Zeitschrift. Im übrigen hoffe ich, ein klareres als das hier
vorgetragene Verständnis der Verklärung des Osiris bald veröffentlichen zu können.

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1961] R u d o l f A n t h e s : Beiläufige Bemerkungen zum Mythos von Horus und Osiris 85

„(das Schiff) am Landepflock anbinden", und das ist etwas ganz andres als „aufs Land ziehen".
Das Landen am Landepflock bedeutet zur Ruhe gehen nach der Fahrt, und nur von dieser Bedeu-
tung aus können m. E. die übertragenen Bedeutungen ,,sterben", ,,richtig zum Ziel führen" u. a.
verstanden werden. M. E. muß auch mni mhw übersetzt werden ,,den Ertrunkenen zur Ruhe
bringen" und nicht, ,,ihn ans Land ziehen"; das heißt also, im Sinne von Moret, ,,für seine Bestat-
tung zu sorgen". Aber im oben gegebenen Zitat aus dem Osirishymnus, wo nichts von Ertrinken
gesagt ist, ziehe ich ,,zur Ruhe bringen" im Sinne von würdig hinlegen und л-orläufig betten dem
,,begraben" vor, und zwar wegen der darauffolgenden Worte.
Die zweite Bemerkung zum Osirishymnus ist wichtiger. Auch Moret wie wohl allen seinen Vor-
gängern und dann auch de Buck in seinem Reading Book (S. llOff.) ist es entgangen, daß in ZI. 6
und 18—19 m Μ ny Gb und nicht m wd ny Gb gelesen werden muß. Der Unterschied zwischen |
hier wie in ZI. 2 und 12 gegen | in ZI. 10, 14, 19 und 25 ist sehr deutlich auf der photographischen
Wiedergabe bei Moret, Taf. 3'. Somit heißt es in Zl. 6 prn.f htp m hd ny Gb, ,,er ist in Frieden
herausgetreten mit der Keule des Geb" und nicht nach Erman und Moret ,,Opfer werden ihm ge-
bracht nach dem Befehle des Geb"; und in ZI. 12 heißt es prn.f mdhw m hd ny Gb, „er ist bekränzt
herausgetreten mit der Keule des Geb". Die folgenden Bemerkungen sollen den Befund erläutern.
Da mdhw (ZI. 12) ,,mit geschmücktem H a u p t e " heißt, kann es kaum mit dem folgenden m Μ im
Sinne von ,,geschmückt mit der Keule" verbunden werden, auch dann nicht, wenn wir ohne gute
Berechtigung an mdh „ G ü r t e l " denken wollten. So wollen wir auch nicht versuchen, in ZI. 6 htp m
,,befriedet durch (die Keule des Geb)" zu lesen. An beiden Stellen heißt es prn.f m hd, wobei die
Identifizierung durch m im Sinne von db3 m, 'pr m, „bekleidet, versehen m i t . . . " wohl verstanden
werden kann, also ,,er t r a t heraus mit der Keule des Geb". Die Charakterisierung des Heraus-
tretenden durch ,,in Frieden" (ZI. 6) mag deswegen gewählt sein, weil es Osiris ist, während ,,mit
bekränztem Haupte" (ZI. 18—19) auf den triumphierenden Horus sich bezieht; in beiden Fällen
aber ist der Gott als König gemeint.
Die Äd-Keule ist als Königsabzeichen in alter Zeit wohl bekannt; ich zitiere hier P e t r i e , Royal
Tombs I, Taf. 14,9; II, Taf. 7,6; Hatnub Inschr. I (Cheops) und VI (Merenre); Pyr. 731; 1166;
1374; 2004. Während die Kopfbedeckung des Königs in diesen Darstellungen und Beschreibungen
wechselt, ist ihnen allen gemeinsam, daß die Keule in der einen Hand getragen wird und in der
andern ein Stab, nämlich der lange Stab in den Bildern und der i/ni-Stab, der also vermutlich die
gleiche Sorte ist, nach den Texten. In dieser Ausstattung sitzt der König auf dem Thron (Pyr. 1166;
Hatnub) oder er schreitet (Royal Tombs) oder er ,,erscheint" {h'; Pyr. 1374; 731, wo er sich an die
Spitze der beiden itrty zum Vorsitz des Gerichtes stellt ebenso wie in 2004/5). Offensichtlich also ist
die Keule in allen diesen Fällen nicht als Waffe, sondern als Herrschaftszeichen getragen. So wird
auch die Keule an der Standarte des Upwawet (Pyr. 1374 M Ν), mit dem der König hier identifi-
ziert ist, nicht auf Krieg, sondern auf einen feierlichen Auszug des Königs im Rahmen einer Regie-
rungshandlung hinweisen, und gerade das ist wohl mit dem prn.f des Osirishymnus ZI. 6 und
18—19 gemeint.
Nicht so einfach ist die Frage beantwortet, warum die Keule im Osirishymnus „die Keule des
Geb" genannt ist;,ich kenne den Ausdruck sonst nicht. In J N E S 1 8 , S. 209, habe ich Geb charakte-
risiert, mit Angabe von Zitaten, als den Herrscher auf der Erde, den Vorsitzenden der Neunheit, als
welchen Atum ihn eingesetzt hat (Pyr. 1645), als Herrscher der Götter; aber obgleich er im Hym-
nus, Pyr. Spr. 592, als König von Unterägypten und der, aus dessen Haupt die beiden Kronen
hervorkommen, angesprochen ist, scheint er nicht König zu sein, sondern Repräsentant oder Ver-
walter des Königtums, der dem Horus das Königtum zuspricht, ähnlich wie in der ,,Memphitischen

>) Nachtrag bei der Korrektur: Herr Westendorf hat mir freundlichst mitgeteilt, daß die auffällige Zeichen-
gruppe ^ I in der Tat nur durch den Osirishymnus in die Liste der Schreibungen von u>d „Befehl", WB I,
S. 396, geraten ist; sie darf dort also gestrichen werden.

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86 Rudolf A nthes: Das Verbum i m „umschließen, b a n n e n " in den P y r a m i d e n t e x t e n [86. Band

Theologie". Wir dürfen wohl annehmen, daß er mit dem Königtum auch die Keule dem Horus
übergibt. So nehme ich an, daß der Ausdruck ,,er trat hervor mit der Keule des Geb" im Osiris-
hymnus darauf sich bezieht, daß der Gott als König feierlich erscheint mit der Keule, die ihm
gerade vorher von Geb überreicht worden ist, und daß er nicht andeutet, daß Geb als Vertreter
der königlichen Ahnen diese Keule einst getragen habe. Daß nach dem Osirishymnus Geb die Keule
nicht nur dem Horus, sondern auch dem Osiris gibt, ist nur verständlich daraus, daß, wie ich oben
in Abschnitt I ausgeführt habe, Osiris im Hymnus für den ,,Horus, der Osiris wird" der ,,Memphi-
tischen Theologie" steht.
(f) W. H e l c k hat in seinem Aufsatz ,,Die Herkunft des abydenischen Osirisrituals" (Diatribae
Lexa, Prag 1952, S. 72—85) sehr richtig darauf hinge\4'iesen, daß ein Zelebrieren des Todes desOsiris
gar nicht zu den Osirisfeierlichkeiten von Abydos gehört haben kann. Er kommt zu diesem Schluß
aus seiner Erklärung des Ersten Auszuges des Upwawet, der den Beginn des Festes bildet, als des
Nachkömmlings der Zeremonie des Herrschaftsantrittes des neuen Königs, der normalerweise
natürlich erst nach dem Tode des alten Königs stattfand. Zum gleichen Ergebnis, daß die Feiern für
Osiris nichts mit seinem Sterben zu tun haben, gelangt man auch auf andren Wegen. Upwawet
unternimmt den Ersten Auszug r nd it.f, ,,um für seinen Vater einzutreten" (Ichernofret ZI. 17),
und das Wort nd it.f, wie immer man es übersetzen mag, bedeutet doch wohl im Zusammenhang
des Osirismythus die Tätigkeit des Horus für seinen verstorbenen, nicht für einen lebenden Vater.
Ferner ist, wie wir oben genugsam gesehen haben, Osiris als mythologischer Begriff ausschließlich
der verstorbene, nicht der lebende König. Osiris als König existiert nicht einen Augenblick früher,
als nachdem der König Horus seinen letzten Atemzug getan hat. So kann man zwar in der Erzäh-
lung rückblickend von seinem Sterben sprechen, aber das Erlebnis des Osirismythos im Kult kann
ihn nicht als einen sterbenden, sondern nur als den toten und dann wieder zum Leben gebrachten
Gott kennen. — Nun könnte der Einwand erhoben werden, daß, wenn wir den Mythos so genau
verstehen wollen, Nedit-Gehesti als der Platz, an dem Osiris von Seth getötet wurde, ursprünglich
kaum nach Abydos gehören könnte; vielmehr müßte es der Sterbeplatz des Königs sein. In Wirk-
lichkeit aber sind offenbar die entscheidenden Geschehnisse in Nedit-Gehesti das Finden des
gefällten Osiris (Pyr. 1008, 1033, 1799, 2144) und die Wiederbelebung des „der in Nedit ist"
(Pyr. 721 a u. a., s. Sethes Kommentar). Auch die, soviel ich sehe, einzigen Hinweise darauf, daß
Seth den Osiris in Nedit-Gehesti gefällt habe (Pyr. 972 und 1256; dagegen s. 956), finden sich nur
beiläufig im Zusammenhang des Findens des Osiris durch seine Schwestern.

RUDOLFANTHES

Das Verbum sni „umschließen, bannen" in den Pyramidentexten

Die vorliegende Untersuchung wurde zunächst für persönliche Arbeitszwecke vorgenommen,


doch hatte sie ein überraschend klares und aufschlußreiches Ergebnis, so daß ihre Veröffentlichung
nützlich erscheinen kann. Mein Ausgangspunkt war der folgende: In einem Ritual für die Ver-
ehrung der unterägyptischen Krone und Schlange wird der König zweimal bezeichnet als Hr Sn m
s3 irt.f, „Horus, der Sn ist ( Pmacht ?) zum Schutz seines Auges", und zwar steht das betont am
Abschluß je eines Teiles der Anrufung (Pyr. 195 e und 198 d). Sethe übersetzte „Horus, der gestritten
hat zum Schutze seines Auges", und Helck schließt daraus auf den Begriff eines „streitbaren
Horus", Hr Ы (Diatribae Lexa S. 74 mit Anm. 8). Ganz so einfach liegt die Sache aber nicht.
Gegen Sethes Übersetzung erhebt sich unmittelbar der Einwand, daß Horus unseres Wissens
niemals zum Schutz seines Auges gekämpft hat. Es ist ihm im Kampfe geraubt worden, und er hat

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