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Rechts- und Sozialphilosophie
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE
IM ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERT
I. Einleitung 1
1 Die Association of American Law Sdiools kreierte 1939 das Committee on Twentieth Century
Legal Philosophy Series, dem ich seit seiner Errrichtung angehörte. Die Aufgabe dieses Komi
tees ist es, eine Reihe von Bänden vorzubereiten und herauszugeben, welche die führenden
Rechtsphilosophen Kontinental-Europas in diesem Jahrhundert in englischer Ubersetzung brin
gen. Vier Bände sind erschienen, der erste ist KELSEN General Theory of Law and State
(Harvard University Press 1945), der zweite ist der lnteressenjurisprudenz gewidmet, der vierte
gibt die Rechtsphilosophie GUSTAV RADBRUCHs und JEAN DABINs. Vier weitere Bände
werden die Rechtsphilosophien MAX WEBERs, der französischen Ecole des Institutions, PET
RAZYCKIs und die Sowjet-Rechtsphilosophie geben.
Im Herbst 1942 beschloß das Komitee, einen Band der Rechtsphilosophie Latein-Amerikas zu
widmen und meine Kollegen beauftragten mich, diesen Band vorzubereiten, herauszugeben und
die Einleitung zu schreiben. Um diese Aufgabe zu erfüllen, habe ich von 1942 bis 1947 die
notwendigen Studien unternommen, dem Komitee Berichte und Vorschläge über Autoren und
Werke erstattet. Meine Vorschläge wurden von dem Komitee angenommen. Dieser von mir vor
bereitete Band ist als 3. Band der Serie erschienen: Latin American Legal Philosophy (Harvard
University Press. 1948).
Schon bei Beginn meiner Studien mußte ich konstatieren, daß über diesen Gegenstand in den
Vereinigten Staaten und in Europa so gut wie nichts bekannt war und daß selbst in Latein
Amerika keine adäquate Studie existierte. Mein Studium mußte daher einen Pioniercharakter
annehmen. Die Einleitung zu dem von mir herausgegebenen Band beschränkte sich auf die in
ihm übersetzten Autoren und Werke. Das Ergebnis meiner Forschungen legte ich daher in einer
längeren Arbeit nieder, die zuerst in Abhandlungen in drei aufeinanderfolgenden Nummern
der New York University Law Quaterly Review 1949 erschien und nun als Buch veröffentlicht
ist. JOSEF L. KUNZ Latin-American Philosophy of Law in the Twentieth Century (New York
1950). Mein Buch wird demnächst in der spanischen Ubersetzung von LUIS RECASÉNS SICHES
auch in Buenos Aires erscheinen.
Die vorliegende Abhandlung habe ich auf Einladung des Archivs für Rechts- und Sozialphilo
sophie deutsch als eine kurze Zusammenfassung meines Buches geschrieben, auf das ich für eine
eingehende Darlegung und Bibliographik verweisen muß. Das Thema sollte in Deutschland
besonderes Interesse finden, nicht nur wegen der Bedeutung und bisherigen Unbekanntheit des
Gegenstandes, sondern auch weil die gegenwärtige latein-amerikanisdie Philosophie und Rechts
philosophie nahezu ausschließlich auf deutschen und österreichischen Gedankenleistungen auf
gebaut ist.
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 227
8 Der bedeutendste Vertreter ist JOSE INGENIEROS (1877—1925). Vgl. seine Bücher: Socio
logia argentina (1910). El hombre mediocre (1913). Hacia una moral sin dogma (1918). Estudios
de historia de la filosofía (1918).
8 Vgl. jetzt die eingehenden Untersuchungen von LEOPOLDO ZEA: El positivismo en Mexico.
(Mexico, 1943.) Apogeo y decadencia del positivismo en Mexico, (ib. 1944.)
4 Vgl. CRUZ COSTA, El positivismo en el Brasil und besonders: JOAO CAMILO DE OLI
VEIRA TORRES, O positivismo no Brasil (Rio de Janeiro, 1943).
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228 JOSEF L. KUNZ
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 229
*
war ein großer Bewunderer JHERINGs, dessen Buch: Der Kampf ums
Recht schon in seinem Titel ganz den Ideen BARRETOs entsprach, für den
das Recht als historisches Phänomen das Ergebnis eines Kampfes, ein
ständiges „fieri" ist. Er war auch stark von HERMANN POST beein
flußt. Doch entwickelte sich sein Denken unter dem Einfluß Kants8 über
den orthodoxen Positivismus hinaus.
CLOVIS BEVILACQUA (1859—1944)9, einer der größten Juristen
Brasiliens, Schöpfer des brasilianischen Bürgerlichen Gesetzbuches, war
rechtsphilosophisch soziologischer Positivist, beeinflußt von SPENCER,
der italienischen scuola positiva, der ethnologischen Jurisprudenz POSTs
und SUMNER MAINEs, vor allem aber JHERINGs. Im späteren Ver
lauf seines langen Lebens zeigte er Sympathie für STAMMLERs
„Naturrecht mit wechselndem Inhalt" und wurde so in gewissem Sinn
ein Eklektiker.
Das einflußreichste, rechtsphilosophische Buch in Brasilien am Beginn
des zwanzigsten Jahrhunderts stammt von SYLVIO ROMERO10, dessen
Originalität in dem Versuch einer Kombination von SPENCERs Evo
lutionstheorie und der kritischen Philosophie von KANT besteht, der
für ROMERO der größte Philosoph aller Zeiten ist. Er entwickelte so
einen „kritischen Realismus". Spencers Evolutionstheorie ist für Romero
in ihren essentiellen und dauernden Zügen eine Form des Neo-Kan
tianismus.
Dagegen war PEDRO LESSA, dessen Buch11 vielleicht brasilianische
Universitätskreise in der Zeit von 1910 bis 1925 am stärksten beein
flußte, ein Gegner Jherings und versuchte auch, Kant zu widerlegen.
Seine Realität ist in orthodoxer Weise die Evolutionstheorie SPEN
CERs, seine Methode die des Positivismus COMTEs.
Zur Zeit der Beendigung des ersten Weltkrieges machte sich in Latein
Amerika eine starke Reaktion gegen den langen, prädominierenden Ein
fluß von Auguste Comte geltend. Diese Reaktion, kontinental-euro
8 Der Einfluß Kants und Sdiopenhauers ist in Barretos Buch: „Estudos allemaes" (Recife, 1893)
zu sehen.
• Sein wichtigstes Buch auf diesem Gebiete ist: Juristas Philosophos (Bahia, 1897). Es ist eine
Sammlung von Essays über u. a. BARRETO, den er sehr bewunderte; SYLVIO ROMERO,
POST und JHERING.
18 Ensayo de philosophia do direito, (Rio de Janeiro, 2. A. 1908).
11 Estudos de philosophia do direito, (Sao Paulo, *2. A. 1916).
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 231
zesse gibt, die den juristisch-sozialen entsprechen. Das Recht hat sei
Wurzel in biologischen Notwendigkeiten; politische Probleme sind n
zu stets mathematische und biologische Probleme. Ein wirklich wiss
schaftliches Studium des Rechts muß metaphysikfrei sein, muß sein
Ausgang von der Evolutionstheorie nehmen und muß Tatsachen dur
die Methoden der Beobachtung, der Induktion und des Experime
studieren. Denn das Objekt der Rechtswissenschaft sind nicht Norm
sondern Realitäten, Tatsachen.
17 Besonders ist hier HEINRICH ROMMEN, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts (Leipzig,
1936) zu nennen.
18 J. B. LUNO PEÑA, SANCHO IZQUIERDO, MENDIZABEL, Vater und Sohn (Tratado
de Derecho Natural. Madrid, 7. A. 1928.)
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232 JOSEF L. KUNZ
12 Vgl. ERICH PZYWARA, S. J. Die Problematik der Neuscholastik (Kant-Studien 33, Ber
lin 1928, S. 73—98).
2# Vgl. den spanischen katholischen Existenzialisten TEJADO SPINOLA: Introducción al
estudio de la ontologia jurídica. 1942. MARITAIN schrieb, daß der hl. Thomas der ,,exi
stenzialistischste" aller Philosophen sei.
11 Um ein paar prominente Namen hier zu nennen: MIQUEL MARQUEZ und MARIANO
ARAMBURO y MACHADO in Cuba, RAFAEL FERNANDEZ CONCHA, FRANCISCO
VIVES und EDUARDO HAMILTON in Chile, MANUEL VICENTE VILLARAN in Peru,
besonders ALFREDO FRAGUE1RO in Argentinien, Autor zahlreicher ausgezeichneter Arbeiten.
12 Der Führer der neo-thomistisdien Rechtsphilosophie, der Erneuerer der philosophia perennis
des hl. THOMAS in Mexico ist OSWALDO ROBLES, der vor Kurzem auch eine Darstellung
der neo-scholastischen Bewegung in Mexiko gegeben hat. (In der Zeitschrift: Filosofía y Letras
Mexico, Nr. 23, 1946, S. 103—129). Besonders zu nennen sind DANIEL KURI BRENA und der
Neo-Agostianer JOSÉ FUENTES MARES.
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 233
îs Vgl. seine beiden umfangreichen Werke: Fundamentos do direito. (Sao Paulo, 1940.) Teoría
do direito e do estado. (Ib., 1940.)
î4 Perspectivas actuales del derecho natural. (Buenos Aires, 1939.)
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 235
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236 JOSEF L. KUNZ
î8 Obras (3 Bände, La Plata 1938—1940). Siehe besonders sein Werk: La libertad creadora.
(1922.)
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 237
2* Wie FICHTE die Reden an die Deutsche Nation, so schrieb CASO sein Dis
Nación Mexicana (1922).
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238 JOSEF L. KUNZ
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 239
" KELSENs neueste Darstellung der Reinen Rechtslehre (General Theory of Law and State,
Havard University Press. 1945) erschien vor Kurzem in der spanischen Übersetzung von
EDUARDO GARCIA MAYNEZ (HANS KELSEN: Teoría General del Derecho y del Estado,
Mexiko 1950).
M Vgl. CARLOS COSSIO: Hans Kelsen, el jurista de la época contemporánea (Anales de la
Faculdad de Ciencias Jurídicas y Sociales de La Plata 1941).
u JOSEF L. KUNZ: La Teoría Pura del Derecho. Mexiko, 1948.
55 Teoría General del Derecho. 2. A. Havana 1940. (Vgl. meine Besprechung in Harvard Law
Review. Band 50 11942.1. S. 1240—1242.)
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240 JOSEF L. KUNZ
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242 JOSEF L. KUNZ
36 Obras completas (6 Bände, Madrid 1946—1947). Vgl. besonders: Meditaciones del Quijote.
1914. España invertebrada. 1921. El tema de de nuestro tiempo. 1923. Tríptico: Mirabeau, Kant,.
Goethe desde dentro. 1927. La rebelión de las maras. 1929. Ideas y creencias. 1940.
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 243
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244 JOSEF L. KUNZ
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I-ATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 245
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246 JOSEF L. KUNZ
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 247
IX. Mexiko
47 Ich möchte besonders auf die Revista de la Escuela Nacional de Jurisprudencia und die
Zeitschrift Filoso fia y Letras hinweisen.
48 Etica y Jurisprudencia (Mexiko, 1947).
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248 JOSEF L. KUNZ
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 249
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250 JOSEF L. KUNZ
M Direcciones contemporáneas del pensamiento jurídico. La filoso fia del derecho en el siglo XX.
(Barcelona, 1928.)
57 Vida Humana, Sociedad y Derecho. (Mexiko, 1. A. 1940, 2. A. 1946.) Englische Übersetzung
in dem von mir herausgegebenen Werk (op. cit., 1948), S. 1—341.
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 251
Redit zu sein. Das Recht ist eine Form; seine Rec&tiqualität liegt nicht
in seinem Inhalt, sondern in der inexorablen Durchsetzung seiner Nor
men, die den verschiedensten Inhalt haben können.
Aber diese rechtstheoretische Erkenntnis, fährt RECASÉNS SICHES
fort, bedeutet nicht einen philosophischen Relativismus, bedeutet keine
Indifferenz gegenüber den Zielen des Rechts. Doch der Ort für die
Dntersuchung dieser Probleme ist nicht die Rechtstheorie, sondern die
„Estimativa Jurídica", die juristisdie Wertlehre, der der dritte Teil
des Werkes gewidmet ist. Eine wissenschaftliche juristische Wertlehre
hat die Axiologie Schelers und Hartmanns mit der Lebensphilosophie
Ortega y Gassets zu vereinen. Der Versuch, Schelers Wertlehre in der
Lebensphilosophie zu verankern, stellt den originalen Beitrag von
Recaséns Siches auf philosophischem Gebiet dar. Das menschliche Leben
ist die radikale Realität. Der wirkliche Mensch von Fleisch und Blut ist
der Vermittler zwischen der realen Welt der Phänomene und der idealen
Welt der Werte. Die idealistische Philosophie von Descartes bis Kant
muß überwunden werden. Der Ausgangspunkt kann nicht das Ich, son
dern muß die Koexistenz der Welt mit mir sein. Das menschliche Leben
ist, in den Worten Ortegas ein Drama, macht in jedem Moment Ent
scheidungen, die getroffen werden müssen, notwendig. Jeder Akt des
Lebens stellt ein Problem dar, bedarf einer Rechtfertigung, Entscheidung
setzt Wählen, Wählen setzt Vorziehen, Vorziehen setzt Werte voraus.
Das Leben ist ein Komplex von Wertungen.
Die Rechtsphilosophie von RECASÉNS SICHES ist eine Philosophie
der juristischen Werte, das Problem der Rechtfertigung des positiven
Rechts, natürlich nicht vor einem Gerichtshof, sondern in foro conscien
tiae. Dieses Problem ist unvermeidlich, aber es transzendiert die Rechts
theorie. Gerechtigkeit ist kein Teil des rechtstheoretischen Rechtsbegriffes;
aber alles Recht ist notwendigerweise auf Werte bezogen. Wohl akzep
tiert der Autor Schelers und Hartmanns Wertlehre; aber er betont
auch die Notwendigkeit einer Revision dieser Lehre: Die Werte sind
objektiv, aber nicht jenseits des menschlichen Lebens, sondern intra-vital.
Das Recht kann nur die Gemeinschaftswerte verwirklichen, die hier
archisch tiefer stehen als die individuellen Werte der Ethik und Religion.
Die juristischen Werte haben nicht den höchsten Rang. Der Begriff der
Rechtsperson bedeutet die Teilnahme an einer tieferen Schicht von Wer
ten, in der alle Individuen gleich, generalisiert, schematisiert, zu Typen
geformt sind. Aber die Rechtssicherheit ist die unentbehrliche Voraus
setzung für das wirkliche, das einzigartige, das authentische Individuum,
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252 JOSEF L. KUNZ
X. Argentinien
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 253
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254 JOSEF L. KUNZ
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LATEIN-AMERIKANISCHE RECHTSPHILOSOPHIE 255
Statue, sondern „lebendes menschliches Leben". Das Recht ist ein „eg
logisches" Objekt — daher der Name seiner Theorie. Recht ist mensc
liches Verhalten — el derecho es conducta —: das ist der Grundpfeile
von Cossios Lehre. Daher ist die Rechtswissenschaft eine empirische
senschaft, eine Wissenschaft von Realität; aber diese Realität ist nich
die Erfahrung der Natur, sondern der Freiheit; menschliches Verhal
ist „phänomenalisierte metaphysische Freiheit".
Jede Wissenschaft ist Erkenntnis durch Begriffe, operiert nicht m
der intuitiven, sondern der analytischen Methode. Das Objekt
Rechtswissenschaft ist menschliches Verhalten; die rechtlichen Begrif
sind Objekt der juristischen Logik. Da nur eine neue Logik des Sollen
dem egologischen Objekt des Rechts adäquat ist, sieht Cossio in d
Entdeckung und Ausarbeitung der juristischen Logik Kelsens unsterb
liches Verdienst.
COSSIO nimmt im allgemeinen Kelsens Reine Rechtslehre an. Ab
— und das ist das Neue an ihm — er gibt ihr eine neue Interpretatio
Die Reine Rechtslehre ist für Cossio zwar für die Rechtswissenschaft
unentbehrlich, aber nicht selbst Rechtswissenschaft, sondern juristische
Logik. Alle Themen Kelsens schreibt er, sind logische Themen und in
dieser Beziehung hat Kelsen Definitives geleistet. Aber sie ist nicht
Rechtswissenschaft, da deren Objekt menschliches Verhalten ist, während
die Normen nur intellektuelle Vorstellungen sind, mit deren Hilfe wir
das wirkliche Objekt der Rechtswissenschaft, menschliches Verhalten,
denken. Im Gegensatz zu GARCIA MÁYNEZ und RECASÉNS SI
CHES, zieht er die Scheidungslinie nicht zwischen Rechtstheorie und
R.editsphilosophie, sondern zwischen Rechtswissenschaft und juristischer
Logik; neben beiden steht eine metaphysische Theorie der wahren juri
stischen Werte.
Da menschliches Verhalten Werten gegenüber nicht neutral sein kann,
muß die Rechtsnorm sich mit juristischen Werten befassen. Cossio sieht,
im Gegensatz zu anderen spanisch-amerikanischen Denkern, im Recht
nicht eine Vermittlung zwischen menschlichem Verhalten und den Wer
ten; die Werte sind vielmehr dem Recht immanent. Das Recht hat nicht
nur logisch-formale und materiell-kontingente Elemente, sondern auch
ein drittes Element, juristische Wertungen, das sowohl notwendig als
materiell ist. Cossio akzeptiert voll Kelsens Forderung, daß die Rechts
wissenschaft als Wissenshaft sih ihrem Objekt in unparteiliher und
neutraler Haltung nähern muß. Aber für den Juristen sind die positiven,
einer bestimmten positiven Rechtsordnung immanenten Werte, als Daten
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256 JOSEF L. KUNZ
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