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Michael Großheim

Heidegger und der Humanismus

I. Einleitung

Als Martin Heidegger (1889–1976) sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit sei-
ner Schrift Über den Humanismus (1947) wieder zu Wort meldete, dürfte
seine Stellungnahme gerade zu diesem Thema für die damalige Öffentlich-
keit überraschend gewesen sein. Sie schien allein durch die äußeren Umstän-
de motiviert zu sein, genauer durch eine Frage Jean Beaufrets (1907–1982),
die Heidegger mit der französischen Diskussion des Themas konfrontierte.
Tatsächlich aber hatte der Humanismusbrief im Denken Heideggers eine in-
nere Vorgeschichte; er bildete nur das letzte, sichtbare Zeugnis einer länge-
ren Auseinandersetzung, die heute auf der Grundlage der publizierten Vorle-
sungen umfassend dargestellt werden kann. Dem Denken, das den Menschen
in den Mittelpunkt stellt, stand Heidegger von Beginn seiner akademischen
Tätigkeit an distanziert gegenüber; er hat es zunächst als Anthropologie,
dann als Anthropomorphismus und schließlich als Humanismus kritisiert.
Die Motive haben sich dabei verändert, sodass zwischen zwei Phasen dif-
ferenziert werden kann, die durch ein anthropologisches Zwischenspiel ge-
schieden sind.1 Während Heidegger zunächst ein Verbot der anthropologi-
schen Subsumtion aus Sorge um die Subjektivität ausspricht, geht es ihm
später um eine ontologisch formulierte Kulturkritik des Anthropozentris-
mus.
Innerhalb dieser jahrzehntelangen Abgrenzung lässt sich auch eine Aus-
einandersetzung mit jenen Kollegen aus der Klassischen Philologie und Phi-
losophie feststellen, die im 20. Jahrhundert für eine Erneuerung des Huma-
_____________
1 Vgl. dazu Michael Großheim: Heidegger und die philosophische Anthropologie (Max Sche-
ler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen). Von der Abwehr der anthropologischen Subsum-
tion zur Kulturkritik des Anthropozentrismus. In: Heidegger-Handbuch. Leben – Werk –
Wirkung. Hg. v. Dieter Thomä unter Mitarbeit v. Katrin Meyer u. Hans Bernhard Schmid.
Stuttgart, Weimar 2003, S. 333–337. Darüber hinaus können (und müssen) weitere Phasen
in Heideggers außerordentlich dynamischem Denkweg unterschieden werden. Vgl. die
entsprechende, aus eingehender Textkenntnis entwickelte Rekonstruktion von Heideg-
gers Denken in Hermann Schmitz: Husserl und Heidegger. Bonn 1996. Schmitz’ Werk ist
Zeugnis einer philosophischen Auseinandersetzung mit Heidegger, zu der auch die vor-
liegende Untersuchung einen Beitrag zu leisten versucht.

DOI: 10.1515/9783110558562-006
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nismus im engeren, an der Antike orientierten Sinne eintraten. Im Haupt-


teil meiner Untersuchung steht also nicht das allgemeinere Verständnis von
Humanismus im Mittelpunkt, auf das sich Jean-Paul Sartres (1905–1980) Er-
läuterung des Existentialismus bezieht. Die französische Frage nach dem
Humanismus beantwortet Heidegger vor einem ganz anderen Hintergrund,
dessen Rekonstruktion zum Verständnis seiner eigenwilligen Distanzierung
erforderlich ist. Ebenso wenig ist an eine landläufige Verwendung des Wor-
tes im Sinne von ›Menschenfreundlichkeit‹ gedacht und an den damit zu-
sammenhängenden Gegensatz ›human‹ versus ›inhuman‹. Der Humanismus
des 20. Jahrhunderts, von dem hier die Rede ist, bezieht sich auf die griechi-
sche und die römische Kultur; er ist nach dem Renaissance-Humanismus
und dem Humanismus der Weimarer Klassik der ›Dritte Humanismus‹.
Als Hauptvertreter dieses Neuhumanismus werden in unserem Zusam-
menhang Altphilologen und Historiker der antiken Philosophie betrachtet,
vornehmlich Werner Jaeger (1888–1961) und Julius Stenzel (1883–1935).2 Der
Terminus ›Dritter Humanismus‹, den auch Jaeger zur Bezeichnung seines
Ansatzes verwendet hat, ist nicht von ihm geprägt worden, sondern von
Eduard Spranger (1882–1963) in einer Rede aus dem Jahre 1921.3 Öffentli-
che Verbreitung fand die Formel vermutlich erst durch das gleichnamige
Buch von Lothar Helbing, das 1932 im Berliner Verlag Die Runde4 erschie-
nen ist. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Autor Wolfgang Frommel
(1902–1986), der zu einer jüngeren Generation von Anhängern Stefan Geor-
ges (1868–1933) gehörte, die mit diesem nicht in persönlicher Verbindung
stand und somit auch nicht zum sogenannten George-Kreis gehörte. Der
akademische Neuhumanismus hat sich von diesem Ansatz distanziert, so wie
_____________
2 Vgl. die neueste gründliche Auseinandersetzung von Ernst A. Schmidt: Werner Jaegers
›Dritter Humanismus‹. Analyse des Programms, der Stimmen der Kritiker und ihrer Po-
sitionen. In: Internationales Jahrbuch für Hermeneutik 2 (2003), S. 193–223. Vgl. auch den
Beitrag von Ernst A. Schmidt im vorliegenden Band: Humanistische und antihumanisti-
sche Kritik an Werner Jaegers neuem Humanismus.
3 Vgl. Beat Näf: Werner Jaegers Paideia: Entstehung, kulturpolitische Absichten und Re-
zeption. In: William M[usgrave] Calder III (Hg.): Werner Jaeger Reconsidered. Proceed-
ings of the Second Oldfather Conference, held on the campus of the University of Illi-
nois at Urbana-Champaign, April 26–28, 1990. Atlanta/GA 1990, S. 125–146, hier S. 141.
Der Autor verweist auf Eduard Spranger: Der gegenwärtige Stand der Geisteswissen-
schaften und die Schule. Rede gehalten auf der 53. Versammlung deutscher Philologen
und Schulmänner in Jena am 27. September 1921. Leipzig, Berlin 1922, S. 10. Jaeger ver-
weist auf diesen Text (Werner Jaeger: Platos Stellung im Aufbau der griechischen Bildung.
In: Ders.: Humanistische Reden und Vorträge. Berlin, Leipzig 1937 [im Folgenden HRV],
S. 125–168, hier S. 125).
4 Der Verlag Die Runde hat in den Dreißigerjahren eine Reihe von Arbeiten zu den The-
men Antike und Humanismus veröffentlicht, darunter auch die erste Auflage von Hel-
mut Kuhns Buch über Sokrates (Sokrates. Ein Versuch über den Ursprung der Metaphy-
sik. Berlin 1934). Vgl. die Bibliographie des Verlages in Philobiblon 20 (1976), S. 284–289.

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umgekehrt die George-Schule die Platon-Deutungen von Jaeger und Sten-


zel zurückgewiesen hat.5 Die vorhandenen inhaltlichen Gemeinsamkeiten in
wichtigen Positionen erlauben aber die zusammenfassende Behandlung bei-
der Gruppierungen unter dem Ausdruck ›Dritter Humanismus‹ oder ›Neu-
humanismus‹.

II. Die Formen der Humanismuskritik

Wenn man den Charakter der Humanismuskritik Heideggers genauer erfas-


sen möchte, ist es sinnvoll, sich zuvor einen Überblick über die möglichen
Gegenpositionen zu verschaffen. Soweit ich sehe, lassen sich drei Arten der
Humanismuskritik unterscheiden, die hier mit provisorischen, eingestande-
nermaßen pauschalen Etikettierungen versehen werden: eine vitalistische,
eine subjektivistische und eine dezentralistische Humanismuskritik. Diese
Ausdrücke sind rein deskriptiv gemeint; ihre übliche Bewertung spielt kei-
ne Rolle. Die erste Form soll etwas ausführlicher dargestellt werden, weil sie
spezifisch den Humanismus zu treffen sucht, während die beiden anderen
Formen dies eher beiläufig tun. Soweit dies möglich ist, finden Beiträge Hei-
deggers im Folgenden besondere Berücksichtigung. Was er und andere kri-
tisieren, ist natürlich nicht das Denken einer historischen Epoche wie der Re-
naissance, sondern eine bestimmte philosophische Tradition, die ihren An-
fang in der Antike hat und sich auch auf diese zu berufen pflegt. Was die
Gegner des Humanismus stört, sind gemäß der skizzierten Einteilung drei
Gegenstände: der Mensch im Menschen, der Mensch als Gattungswesen und
der Mensch im Mittelpunkt.
_____________
5 Vgl. Julius Stenzel: Die griechisch-römische Bildungswelt. In: Ders.: Kleine Schriften zur
griechischen Philosophie. Hg. v. Bertha Stenzel mit Unterstützung v. Hans Diller u. Ger-
hard Müller. Darmstadt 1956, S. 220–270, hier S. 269 sowie die kritische Rezension des
Buches von Lothar Helbing in der von Werner Jaeger herausgegebenen Zeitschrift Die
Antike: Karl O[skar] Brink: [Rez.] Wirkungsgeschichte des Altertums. Humanismus. In:
Die Antike. Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums 8 (1932), Beilage
1, Nr. 3, S. 1–20, hier S. 4, 6. Jaeger selbst nimmt Abstand von George (vgl. HRV, S. 89). –
Die Gegenseite meldet sich zu Wort in Kurt Hildebrandt: [Sammelrez.] Das neue Platon-
bild. Bemerkungen zur neueren Literatur. In: Blätter für deutsche Philosophie 4 (1930/
1931), S. 190–202, hier S. 191f., 198–202. Etwas positiver gegenüber Jaeger, jedoch wei-
terhin negativ gegenüber Stenzel fällt die Standortbestimmung aus in Kurt Hildebrandt:
Platon. Der Kampf des Geistes um die Macht. Berlin 1933, S. 395. Edith Landmann über-
liefert kritische Äußerungen Georges über Jaeger (Edith Landmann: Gespräche mit Ste-
fan George. Düsseldorf, München 1963, S. 22f.). Einen guten Überblick über die eigene
Platon-Literatur der George-Anhänger bietet Ernst Eugen Starke: Das Plato-Bild des Ge-
orge-Kreises. Diss. Köln 1959. Allerdings geht der Autor von der Einschätzung aus, dass
zwischen Jaegers Darstellung und der Platon-Deutung des George-Kreises »nur ganz lo-
ckere Berührungspunkte« bestehen (ebenda, S. 219f.).

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II.1. Vitalistische Humanismuskritik

Der Gegenstand der vitalistischen Humanismuskritik ist der Humanismus


als Selbstdisziplinierung des Menschen in Gestalt einer internen Distanzie-
rung vom ›Tier‹ im Menschen. Es geht hier nicht um die ältere externe Dis-
tanzierung des Menschen vom Tier überhaupt, wie wir sie etwa schon bei
Hesiod6 (um 700 v. Chr.) oder Alkmaion von Kroton7 (um 500 v. Chr.) fin-
den. Die interne Distanzierung richtet sich gegen etwas im Menschen, das
dann mittels einer problematischen Übertragung als das ›Tier im Menschen‹
bezeichnet wird; sie gilt den Bereichen der Leiblichkeit und der Gefühle, all
dem, was sich spontan regt. Diese unwillkürlichen Regungen werden in zen-
tralen Werken der Philosophiegeschichte durch Tiere veranschaulicht, gegen
die sich »[d]er eigentliche Mensch«, der »Mensch im Menschen« zu behaup-
ten und zuallererst herauszubilden habe.8 Vor allem Platon hat dieses Motiv
in eindrucksvolle Bilder gefasst, etwa im Phaidros mit dem Wagenlenker-
gleichnis (246a–b; 253c–254e), oder, noch bedeutungsvoller für den Huma-
nismus, im dreiteiligen Seelenmodell der Politeia (Buch IV und IX, insbe-
sondere 588b–e, 589b).
Humanisierung wird so als Beherrschung und Kontrolle der ›Tierheit‹
im Menschen verstanden. Hieraus ergibt sich, dass Erziehung von Anfang
an in das Konzept des Humanismus gehört, weil der eigentliche Mensch nur
eine Teilinstanz in einer von ihm zu verändernden Umgebung darstellt, das
heißt, der unerzogene, naiv als Ganzes betrachtete Mensch ist noch nicht
Mensch im Sinne des Humanismus. Insofern ist die strikte Trennung zwi-
schen ›humanistisch‹ und ›humanitär‹ konsequent. Der Neuhumanist Wer-
ner Jaeger etwa zieht die »ältere[-] und vulgäre[-] Bedeutung des Humanitä-
ren«9 ausdrücklich nicht in Betracht; ihm geht es um den »zweiten höheren
_____________
6 Die Differenz zwischen Tier und Mensch wird durch den Besitz der ›dike‹ markiert. Vgl.
Hesiod: Werke und Tage. Griechisch/Deutsch. Übersetzt u. hg. v. Otto Schönberger. Stutt-
gart 1996, S. 23 (V. 273–279).
7 Hier bestimmen Erkenntnisfähigkeiten den Unterschied (DK 24 B 1a = Hermann Diels:
Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch. 3 Bände. Hg. v. Walther Kranz.
Unveränderter Nachdruck der 6. Auflage v. 1951. Zürich 2004–2005. Bd. 1: 1–58. Zürich
2004, S. 215: »Der Mensch unterscheidet sich von den übrigen Geschöpfen dadurch, daß
er allein begreift, während die übrigen zwar wahrnehmen, aber nicht begreifen«). Vgl. aus
späterer Zeit Immanuel Kant: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Ders.: Kants
Werke. Akademie-Textausgabe. 9 Bände. Berlin 1968. Bd. 7: Der Streit der Fakultäten.
Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 117–334, hier S. 127.
8 Werner Jaeger: Paideia. Die Formung des griechischen Menschen. 3 Bände. Berlin, Leip-
zig 1934–1947. Bd. 3. Berlin 21955, S. 86.
9 Werner Jaeger: Paideia (Anm. 8). Bd. 1. Berlin, Leipzig 21936 [im Folgenden P 1], S. 13f.
Auf diese Formulierung seines Lehrers bezieht sich Schadewaldts späteres Bekenntnis,
seine Studien hätten ihn zu seiner eigenen Verwunderung dahin geführt, »daß jener an-
dere, wie man gesagt hat, ›nur vulgäre‹ Begriff des Menschlichen als des ›nur Humanitä-

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und strengeren Sinn« von ›humanitas‹ als »die Erziehung des Menschen zu
seiner wahren Form, dem eigentlichen Menschsein« (P 1, S. 14). Ähnlich äu-
ßert sich übrigens der Theologe Emil Brunner (1889–1966) in seinem Vor-
trag Die Grenzen der Humanität aus dem Jahre 1922.10
Jaeger erweist sich als ein treuer Platoniker, wenn er im dritten Paideia-
Band schreibt: »Was wir gemeinhin den Menschen nennen, ist nur eine täu-
schende äußere Hülle, die […] den Eindruck erweckt, als ob der Mensch
eine problemlos glatte Einheit sei«.11 Als der »eigentliche Mensch« gilt Pla-
ton wie Jaeger der geistige Teil der Seele.12 »[D]ie Entfaltung des Menschen
im Menschen« ist das »Ziel«,13 das heißt, Mensch ist man nicht von Natur
aus, man muss es erst werden. Jaeger schreibt im Sinne Platons: »Es ist die
Aufgabe der Erziehung, die edleren irrationalen Regungen der Seele in sol-
chen Einklang mit dem geistigen Teil des Menschen zu bringen, daß, auf sie
gestützt, das an sich so schwache wahrhaft Menschliche das Untermensch-
liche in Schach zu halten vermag«.14
Gegen diese Auffassung richtet sich die vitalistische Humanismuskritik
von Friedrich Nietzsche (1844–1900) bis Ludwig Klages (1872–1956),15 die
die unwillkürlichen Regungen gegen das Projekt der unbedingten Selbstdis-
ziplinierung in Schutz nimmt. Nicht Bändigung der Gefühle, Leidenschaf-
ten, Triebe und leiblichen Regungen, sondern Intensität des Erlebens ist hier
das Ziel.
Im 20. Jahrhundert erreicht die Debatte um die vitalistische Humanis-
muskritik mit dem wachsenden Einfluss Nietzsches einen gewissen Höhe-
punkt. Der Romanist Ernst Robert Curtius (1886–1956) macht sich im Jah-
re 1932 Sorgen um das Schicksal des Humanismus und beginnt mit einer
selbstkritischen Bilanz, die der vitalistischen Kritik eine Teilberechtigung zu-
spricht. Curtius selbst ist keineswegs ein Anhänger der vitalistischen Hu-
manismuskritik, die aufgrund ihrer häufig einseitigen und überschießenden
_____________
ren‹ doch die eigentliche tragende Grundlage unserer Vorstellungen vom Menschlichen
ist und sein muß« (Wolfgang Schadewaldt: Der Gott von Delphi und die Humanitäts-
idee. Vortrag gehalten anläßlich der Entgegennahme des Reuchlin-Preises der Stadt Pforz-
heim zu Pforzheim am 16. November 1963. Pforzheim 1963, S. 11).
10 Emil Brunner: Die Grenzen der Humanität (1922). In: Jürgen Moltmann (Hg.): Anfänge
der dialektischen Theologie. 2 Bände. München 1962–1963. Bd. 1: Karl Barth, Heinrich
Barth, Emil Brunner. München 1962, S. 259–279, hier S. 260.
11 Werner Jaeger: Paideia (Anm. 8). Bd. 3. Berlin 21955, S. 86.
12 Ebenda.
13 Ebenda.
14 Ebenda, S. 87.
15 Vgl. z. B. Ludwig Klages: Das Problem des Sokrates. In: Ders.: Sämtliche Werke. 9 Bän-
de u. 2 Supplemente. Hg. v. Ernst Frauchiger, Gerhard Funke, Karl J. Groffmann u. a.
Bonn 1964–1992. Bd. 3: Philosophie III. Mit einem Kommentar v. Hans Eggert Schrö-
der. Bonn 21991, S. 656–663. Vgl. dazu Heinz Horn: Die Antike im Weltbild der deut-
schen Lebensphilosophie. In: Die Antike 12 (1936), S. 310–327.

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Art durchaus etwas Abschreckendes hat. Aber er sieht in ihr ein berechtig-
tes Moment, das gegen den gerade in Deutschland zu oft mit Schulmeiste-
rei und dürrer Pflichtmoral verknüpften Humanismus spricht. In der Tra-
dition von Nietzsches Protest gegen die Verkümmerung des Menschlichen
erinnert Curtius an den »volle[n] Humanismus« im Symposion Platons.16
Wenn er dann am Ende seines Buches einen »totale[n] Humanismus« for-
dert,17 so hat das weniger mit der Tendenz des Zeitgeistes zum Totalen zu
tun, sondern ist als ein Versuch zu verstehen, einen Humanismus zu ent-
werfen, dessen Menschenbild auf Integration statt auf Division beruht. Der
neue totale Humanismus, wie er Curtius vorschwebt, soll »sinnlich und geis-
tig, philologisch und musisch, philosophisch und künstlerisch, gläubig und
politisch in einem sein«;18 er wäre also ein Verzicht auf die inkonsequente
Aussperrung des ›Tiers im Menschen‹ und damit ein Versuch zur Überwin-
dung der anankastischen Tendenz des traditionellen Humanismus.
Der Streit um diesen Aspekt des Humanismus ist vermutlich der hef-
tigste. Einen rhetorischen Höhepunkt erreicht er noch einmal in Thomas
Manns (1875–1955) Verteidigung des Humanismus gegen den »Kult[-] des
Unteren«, gegen »die Ohnmacht des Geistes und der Vernunft im Vergleich
mit den Mächten des Seelenuntersten, der Leidenschaftsdynamik, dem Ir-
rationalen, dem Unbewußten«,19 gegen »eine boshafte Zoologisierung des
Menschen als des Raubtiers mit der Greifhand«.20 Diese Formeln, von de-
nen es in seinem Werk viele gibt, sind eindrucksvoll, aber nicht unbedingt
repräsentativ für Manns tatsächliche Haltung. Eine genauere Lektüre zeigt,
dass er andererseits auch zwischen einer gewissen Berechtigung des vitalisti-
schen Protestes und seiner »populäre[n] Verhunzung«,21 dem »menschheits-
widrige[n] Mißbrauch« unterscheidet.22
Unter den Neuhumanisten tritt zum Beispiel Werner Jaeger der vitalis-
tischen Kritik entgegen, die er in traditioneller platonischer Perspektive als
_____________
16 Vgl. Ernst Robert Curtius: Deutscher Geist in Gefahr. Stuttgart, Berlin 1932, S. 106.
17 Ebenda, S. 129.
18 Ebenda; vgl. ebenda, S. 115: »Der neue Humanismus wird nicht nur eine Geistigkeit,
sondern auch eine Sinnlichkeit bedeuten müssen. Kunst und Dichtung, Spiel und Schau,
geliebte Schönheit, nicht gelehrte Gründlichkeit werden ihn tragen müssen«.
19 Thomas Mann: Die Stellung Freuds in der modernen Geistesgeschichte. In: Ders.: Ge-
sammelte Werke in dreizehn Bänden. Zweite, durchgesehene Auflage. Frankfurt a. M.
1974. Bd. 10: Reden und Aufsätze 2, S. 256–280, hier S. 268, 261. Auch an dieser Stelle
richtet sich die Kritik gegen Nietzsche, Bachofen und Klages.
20 Thomas Mann: [Ansprache an die Jugend]. In: Ders.: Gesammelte Werke (Anm. 19). Bd. 10:
Reden und Aufsätze 2, S. 316–327, hier S. 326.
21 Thomas Mann: Achtung, Europa! In: Ders.: Gesammelte Werke (Anm. 19). Bd. 12: Re-
den und Aufsätze 4, S. 766–779, hier S. 769.
22 Thomas Mann: Leiden in Deutschland. Tagebuchblätter aus den Jahren 1933 und 1934.
In: Ders.: Gesammelte Werke (Anm. 19). Bd. 12: Reden und Aufsätze 4, S. 684–766, hier
S. 697; vgl. zudem ebenda, S. 699, 716.

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Angriff des Animalismus auf den Geist versteht und in Nietzsche sowie in
Johann Jakob Bachofen (1815–1887) personifiziert sieht.23 Mit ähnlichem
Impetus wendet sich der George-Anhänger Lothar Helbing in seiner 1932
erschienenen Schrift Der dritte Humanismus gegen Bachofen und Klages.24
Die vitalistische Humanismuskritik interessiert Heidegger lediglich in
der Zeit seiner intensiven Beschäftigung mit Nietzsche in den 1930er Jah-
ren;25 er referiert diese Position, macht sie sich aber nicht zu eigen. Der von
ihm entwickelte Ansatz hat vielmehr mit der zweiten und dritten Form der
Humanismuskritik zu tun.

II.2. Subjektivistische Humanismuskritik

Die subjektivistische Humanismuskritik ist weniger spezifisch gegen einen


mit der Antike verknüpften Humanismus gerichtet als die vitalistische. Sie
eignet sich daher nicht nur zur Kritik am Humanismus im modernen, erwei-
terten Sinne – und erfährt selbst von dieser Seite am meisten Widerspruch –,
sondern kann bereits gegen jede Form von Anthropologie ins Feld geführt
werden. Als ihr Gründungsvater kann Max Stirner (1806–1856) betrachtet
werden, wenn man ihn von philosophiegeschichtlichen Klischees befreit und
philosophisch ernst nimmt, das heißt nicht bloß als ein Enfant terrible des
Egoismus behandelt.
Stirner wird zum subjektivistischen Humanismuskritiker durch die Ver-
weigerung der anthropologischen Subsumtion: »Ich bin Mensch und bin
zugleich mehr als Mensch, d. h. Ich bin das Ich dieser meiner bloßen Eigen-
schaft«.26 »Darum ist es notwendig, daß Ich nichts mehr als Mensch in An-
spruch nehme, sondern alles als Ich, dieser Ich, mithin nichts Menschliches,
sondern das Meinige, d. h. nichts, was Mir als Mensch zukommt, sondern –
was Ich will und weil Ich’s will«.27

_____________
23 Bezeichnend für Jaegers Haltung gegenüber der vitalistischen Zivilisationskritik ist fol-
gende Stelle: »Beide, die humanistische Tradition der Antike und die christliche Religi-
on, sind bedroht von dem gleichen Geistfeind, dem Animalismus« (Werner Jaeger: Pai-
deia Christi (1959). In: Ders.: Humanistische Reden und Vorträge. Berlin 21960, S. 250–
265, hier S. 264f.; vgl. auch P 1, S. 229). Zu Nietzsche und Bachofen vgl. HRV, S. 184.
24 Vgl. Lothar Helbing [= Wolfgang Frommel]: Der dritte Humanismus. Berlin 1932, S. 5,
11, 56–59.
25 Vgl. z. B. Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1975ff. [im Folgenden GA].
Abt. II: Vorlesungen 1923–1976. Bd. 27 [= Bd. 43 des Gesamtwerks]: Nietzsche. Der
Wille zur Macht als Kunst. Hg. v. Bernd Heimbüchel. Frankfurt a. M. 1985.
26 Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Mit einem Nachwort hg. v. Ahlrich Meyer.
Durchgesehene u. verbesserte Ausgabe. Stuttgart 1981 [1845], S. 195.
27 Ebenda, S. 310.

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Der Kern des Problems wird noch sichtbarer, wenn man die spätere exis-
tenzphilosophische Kritik an der anthropologischen Subsumtion in den Blick
nimmt. Bernhard Groethuysen (1880–1946) hat darauf hingewiesen, dass der
Mensch in der philosophischen Anthropologie gewissermaßen stets von sich
selbst in der dritten Person spricht: »Das eigentliche, gar nicht weiter ableit-
bare Verhältnis, in dem er zu sich selbst steht, ist dabei das Irrelevante. Er
ist sich selbst ›ein Fall‹, Exemplar einer Gattung; er ist ein Mensch«. In der
anthropologischen Einstellung betrachte sich der einzelne Mensch »von au-
ßen«, »als etwas allgemein zu Fassendes«; »er selbst und die anderen wer-
den auf die gleiche unpersönliche Ebene projiziert. Was ihm geschieht, ver-
liert sein Interesse, soweit es ihm geschieht, und dient nur dazu, etwas zur
Anschauung und zur Erkenntnis zu bringen, was ihn nicht mehr selbst im
besonderen betrifft, sondern den Menschen«.28
In den Jahren 1919 bis 1927 verfolgt Heidegger unter dem Einfluss Søren
Kierkegaards (1813–1855) das Anliegen, diese von den Anthropologen stets
wie selbstverständlich vorgenommene Objektivierung zu unterlaufen und
bei der Untersuchung des Menschen Raum für eine radikal ›jemeinige‹ Per-
spektive zu schaffen. Vom Menschen ist bei Heidegger in dieser Zeit aller-
dings selten die Rede,29 und das hat tiefere Gründe. Ihn beschäftigt nämlich
die Frage nach dem »Seinssinn« des »ich bin«,30 und dadurch gerät er in Kon-
flikt mit der von Groethuysen beschriebenen anthropologischen Perspek-
tive. Vor diesem Hintergrund muss man Heideggers Weigerung verstehen,
»das ›ich‹ zu einem einstellungsmäßig feststellbaren und einzuordnenden Ob-
jekt« zu machen, sowie seinen »radikalen Verdacht[-] […] gegen alle regio-
nal objektivierenden Vorgriffe« (GA 9, S. 30). Was er fürchtet, ist eine »Ein-
ebnung des Seins«, der das Sein des einzelnen Menschen zum Opfer fällt:
»Alles Sein wird im vorhinein angesetzt als Mannigfaltigkeit von Seinsre-
gionen, betreffbar von gültigen Sätzen. Darin liegt nun, daß das Dasein als
solches in dasselbe einheitliche Seinsfeld wie das Seiende versetzt wird«.31
Dagegen postuliert Heidegger eine »spezifische Regions- und Sachgebiets-
_____________
28 Handbuch der Philosophie. Hg. v. Alfred Baeumler u. Manfred Schröter. München, Ber-
lin 1927–1934. Abt. III: Mensch und Charakter. Philosophische Anthropologie, Ethik
des Altertums, Ethik des Mittelalters, Ethik der Neuzeit, Psychologie, Charakterologie,
Erziehungsphilosophie. Bd. A: Bernhard Groethuysen: Philosophische Anthropologie.
München, Berlin 1928, S. 45, 63.
29 Für das Thema »jeweils unser eigenes Dasein« vermeidet Heidegger grundsätzlich Aus-
drücke, in denen das Wort ›Mensch‹ vorkommt. Vgl. Martin Heidegger: Sein und Zeit.
Tübingen 151984, S. 46; GA 63 [= II, 47], S. 21 (Ontologie. Hermeneutik der Faktizität).
30 Vgl. GA 9 [= I, 9], S. 10, 29–34 (Wegmarken).
31 GA 17 [= II, 1], S. 283 (Einführung in die phänomenologische Forschung). Darin liegt
Heidegger zufolge auch der Fehler von Descartes: »Der Sinn des sum ist entleert zum
Sinn des formal-ontologischen Etwasseins. Darum ist auch die Descartes angemessene For-
mulierung, daß er sagt: ich bin ein Denkding (sum res cogitans)« (ebenda, S. 250).

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fremdheit des ›ich‹« (GA 9, S. 29), die er immer wieder mit neuen Wendun-
gen umschrieben hat. In einem Brief an Karl Jaspers (1883–1969) erklärt er,
dass Mensch-Sein »gerade nicht als ›Sphäre‹, ›Gebiet‹ mit unbestimmtem
Seinscharakter gefaßt werden« dürfe.32 In seiner Vorlesung von 1919/1920
zum Thema Grundprobleme der Phänomenologie wird in entsprechender
Weise dargelegt, welche Missverständnisse dem ›Michselbsthaben‹ drohen.
Wie bereits gegenüber Jaspers warnt Heidegger hier vor der »Einstellung in
Ordnungsbeziehungen«, vor dem »zum Objektmachen des Ich, so daß da-
bei das Ich als Ich, als seiner Gegenstandsregion zugehörig, als von ihrer Art
seiend erkannt würde«.33 Und in der ebenfalls aus dieser Zeit stammenden
Jaspers-Rezension wird eingeschärft: »Die faktische Lebenserfahrung selbst,
in der ich mich in verschiedener Weise haben kann, ist aber nicht so etwas
wie eine Region, in der ich stehe, nicht das Allgemeine, dessen Vereinzelung
das Selbst wäre« (GA 9, S. 32). Diese »spezifische Regions- und Sachge-
bietsfremdheit des ›ich‹« (GA 9, S. 29) kehrt dann in Sein und Zeit anläss-
lich der Einführung der ›Jemeinigkeit‹ wieder in Gestalt der These, dass das
Dasein ontologisch nie »als Fall und Exemplar einer Gattung von Seiendem
als Vorhandenem« zu fassen sei.34 Heidegger formuliert hier sozusagen ein
Subsumtionsverbot aus Sorge um die Subjektivität.
Die Verweigerung der anthropologischen Subsumtion verbreitet sich
bald im zeitgenössischen Denken; sie findet sich bei Rudolf Bultmann (1884–
1976) ebenso wie bei Karl Jaspers. Aus der Abwehr der zuvor selbstverständ-
lichen Koppelung – die anthropologische Subsumtion versähe das Dasein
mit einem stabilen Sosein – gewinnt die Existenzphilosophie ihren spezifi-
schen Gestus. Ende der 1920er Jahre, in der Zeit seiner Annäherung an Max
Scheler (1874–1928) und des erwachenden Interesses an der Anthropolo-
gie, gibt Heidegger die subjektivistische Kritik auf; möglicherweise haben
dabei die Einwände verschiedener Autoren (Julius Stenzel, Georg Misch,
Helmuth Plessner, Max Scheler) gegen diesen Aspekt von Sein und Zeit ei-
ne Rolle gespielt. Auch Werner Jaeger sucht, genau wie Stenzel es in seiner
Heidegger-Kritik getan hat,35 bei den antiken Griechen ein Gegengewicht
zu dem vor allem durch existenzphilosophische Impulse verstärkten moder-
_____________
32 Martin Heidegger an Karl Jaspers, 27. Juni 1922. In: Martin Heidegger – Karl Jaspers:
Briefwechsel 1920–1963. Hg. v. Walter Biemel u. Hans Saner. Frankfurt a. M., München,
Zürich 1990, S. 26–30, hier S. 26.
33 GA 58 [= II, 42], S. 164 (Grundprobleme der Phänomenologie (1919/20)).
34 Martin Heidegger: Sein und Zeit (Anm. 29), S. 42; vgl. dazu GA 58, S. 162.
35 Vgl. dazu auch Julius Stenzel: Platon der Erzieher. Mit einer Einführung v. Konrad Gai-
ser. Hamburg 1961 [1928], S. 228f.; ähnlich der Aufruf für eine möglichst treue Wieder-
erzeugung des verlorenen Weltgefühls zur Überwindung des Individualismus (vgl. Juli-
us Stenzel: Das Problem der Willensfreiheit im Platonismus. In: Ders.: Kleine Schriften
(Anm. 5), S. 171–187, hier S. 187).

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106 Michael Großheim

nen Subjektivismus. In einer zentralen programmatischen Aussage schreibt


er 1929: »Die Bedeutung der Griechen für uns liegt gerade in ihrer Objek-
tivität. Sie sind die Schöpfer des objektiven, normativen Menschenbegriffs.
[…] In unserem Subjektivismus liegt unser Anderssein, aber auch der Grund
unseres dauernden Bedürfnisses, uns an den Griechen wieder zum Ganzen
zurückzufinden« (HRV, S. 184).
Heideggers späte Position ist dann geprägt durch eine Verdrängung der
›Jemeinigkeit‹, die er nun mit seinen früheren Kritikern als Vorrang des Sub-
jekts missversteht. Zunehmend wird daher das ›Sein‹ aufgerufen als etwas,
das dem Menschen seinen Vorrang nehmen kann, als eine bindende, ber-
gende und bändigende Instanz. Damit profiliert sich der späte Heidegger
als Vertreter einer dezentralistischen Humanismuskritik.

II.3. Dezentralistische Humanismuskritik

Diese Variante der Kritik stört sich in erster Linie am expliziten oder impli-
ziten Anthropozentrismus des Humanismus und stellt dieser Auffassung
eine Einbettung des Menschen unter Verlust seiner auf verschiedene Weise
begründeten Vorrangstellung unter allem Seienden entgegen. Dazu werden
beispielsweise Instanzen wie Gott, die Natur, das Sein oder das ›All-Leben‹
bemüht.
Heideggers Mitte der 1930er Jahre wiederaufgenommene Auseinander-
setzung mit der Anthropologie gehört hierher. Sie entwickelt sich parallel
zur Verschiebung seiner Descartes-Kritik, die sich bereits 1929 – eventuell
unter dem Einfluss Plessners – abzeichnet:36 Bei Descartes »wird das ›Ich‹
zum ausgezeichneten Subjekt, zu demjenigen, mit Bezug auf welches die üb-
rigen Dinge erst als solche sich bestimmen«.37 Subjektivität versteht Hei-
degger als »Selbstsicherheit des Menschen als Subjekt«,38 als »aufständische
Souveränität des neuzeitlichen Menschen« (GA 54, S. 203). Die Welt werde
zum verfügbaren Objekt distanziert von einer um den Menschen kreisenden
Weltbetrachtung namens »Anthropologie«.39 Insofern feiere Descartes »sei-
nen höchsten Triumph« im »Heraufkommen der Anthropologien« (GA 5,
S. 99) beziehungsweise in Nietzsches Lehre vom ›Übermenschen‹.40

_____________
36 Vgl. GA 28 [= II, 12], S. 271 (Der deutsche Idealismus (Fichte, Schelling, Hegel) und die
philosophische Problemlage der Gegenwart).
37 GA 41 [= II, 25], S. 106 (Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzen-
dentalen Grundsätzen).
38 GA 54 [= II, 38], S. 112 (Parmenides).
39 GA 5 [= I, 5], S. 93 (Holzwege).
40 Vgl. GA 48 [= II, 32], S. 53, 57 (Nietzsche: Der europäische Nihilismus).

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Heidegger und der Humanismus 107

Das Sich-selbst-Wichtignehmen des Menschen wird Heidegger zuerst


in den Jahren 1928/1929 als »Anthropologismus« suspekt.41 Anthropologis-
mus gilt ihm hier als die erste von »drei Formen der Entartung der Weltan-
schauung als Haltung« (GA 27, S. 374), durch die das Leben als »Geschäft«
(GA 27, S. 375) in Gang gehalten werden soll. An zweiter Stelle kommt hier
schon der Humanismus ins Spiel; zuletzt stößt man auf einen ›Existenzia-
lismus‹, der zu einem gewissen Teil wie eine rückblickende Selbstkritik Hei-
deggers anmutet. Jedenfalls darf dieses Schema als wichtiges Dokument ei-
ner Neuorientierung im Denken Heideggers gelten, die durch die kritische
Intervention Julius Stenzels angeregt worden sein könnte. Das gemeinsame
Kennzeichen der drei genannten »entarteten Formen der Haltung« ist »ein
gewisser Vorrang des Daseins«, »ein Wesentlichwerden des Selbst« (GA 27,
S. 375). Allein das reicht nun aus, um die Qualifikation ›entartet‹ auf sich zu
ziehen. An diesem Punkt beginnt Heideggers dezentralistische Humanis-
muskritik.
Anthropologismus bedeutet für Heidegger in der ersten, der psycholo-
gischen Ausrichtung: »Der Mensch selbst wird wichtig; alles wird auf den
Menschen bezogen und aus seinem Sinnen und Trachten erklärt. Der Mensch
selbst wird damit ein betonter Gegenstand der Erörterung und Besinnung«
(GA 27, S. 373). Zum Anthropologismus gehört jede Form von »Betulich-
keit dem Menschen gegenüber«, alles, was sich an der »wahllosen Zergliede-
rung des Menschen und Anhäufung von Kenntnissen über ihn« beteiligt, das
heißt auch die seinerzeit lebendige geisteswissenschaftliche Psychologie, die
Charakterologie und ähnliche Disziplinen. Hier macht sich zugleich Heideg-
gers tiefsitzende und häufig dokumentierte Aversion gegen die Psychologie
bemerkbar.42
Die zweite in Heideggers Augen ›entartete‹ Haltung, der Humanismus,
rückt nun in eine eigenartige Nähe zum Dandytum. Sie wird als Geste we-
sentlich; es geht um die Gebärde, den Sinn für Niveau, den ausgeprägten
Geschmack, die Pflege der Literatur und um die deutliche Zurückweisung
jedes Barbarentums. Das ist mit einem Formalismus verbunden: »Das Wie
des Handelns hat einen gewissen Vorrang vor dem Was des Tuns und dem,
womit wir beschäftigt sind« (GA 27, S. 373). Die Gebärde sucht sich einen
entsprechenden Inhalt, wobei es zu einer – allerdings nur literarischen und
ästhetischen – Erneuerung von Kulten und Mythen sowie zu einer Heroi-
_____________
41 GA 27 [= II, 11], S. 373f. (Einleitung in die Philosophie).
42 Zu Heideggers antipsychologischem Affekt vgl. GA 61 [= II, 45], S. 71 (Phänomenolo-
gische Interpretationen zu Aristoteles. Einführung in die phänomenologische Forschung),
GA 24 [= II, 8], S. 228 (Die Grundprobleme der Phänomenologie), GA 27, S. 86, GA 29/
30 [ = II, 13/14], S. 115f. (Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Ein-
samkeit).

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108 Michael Großheim

sierung bestimmter Menschen kommt. Das, was Heidegger hier unter dem
Titel »aesthetischer Humanismus« schildert,43 wirkt wie eine Mischung aus
den Ansätzen Stefan Georges und Werner Jaegers.
In der dritten Form der ›Entartung‹ spielt das freie Wählen, die Ent-
scheidung eine wesentliche Rolle. Der Wählende kommt hier auf sich selbst
als Instanz zurück und gibt der Besinnung den Vorzug gegenüber äußeren
Umständen: »Die Innerlichkeit erfährt eine Pflege, nicht in psychologischer
Erörterung, nicht in aesthetischer Gestaltung, sondern im Ernst der Gesin-
nung und der Bekümmerung um sich selbst. […] Hier […] steht der Mensch
im Zentrum hinsichtlich des Heils seiner Existenz« (GA 27, S. 374). Für
diese Form, die aus einer Erneuerung Kierkegaard’scher Gedanken resultie-
ren soll, reserviert Heidegger mit deutlicher inhaltlicher Distanzierung den
Begriff ›Existenzialismus‹.
Insgesamt unterscheidet er also drei Möglichkeiten innerhalb des Kom-
plexes, der unter dem Titel »Entartung der Weltanschauung als Haltung«
(GA 27, S. 374) eingeführt worden ist: »psychologische Betulichkeit«, »neu-
humanistische Gebärde« sowie »existenzielle[s] Denken[-]« (GA 27, S. 375).
»Betulichkeit, Gebärde und Innerlichkeit« sind für Heidegger letztlich alle-
samt nur »Subjektivismus in verschiedenen Abwandlungen«.44 Mit »Subjek-
tivismus« nimmt er ein Stichwort auf, das kurz zuvor als Vorwurf gegen ihn
selbst gerichtet wurde. Nun macht er selbst sich – wenngleich in eigentüm-
lich verwandelter Form – die Position der Subjektivismuskritik zu eigen, die
er fortan nicht mehr verlassen wird.
Nach diesem Zwischenspiel mit der Formel ›Anthropologismus‹ ent-
deckt Heidegger im Jahre 1936 bei Friedrich Schelling (1775–1854) das The-
ma »›Anthropomorphismus‹«,45 im Sinne einer Vermenschlichung Gottes
und der Dinge überhaupt; daraufhin wird nun auch Nietzsches Denken als
Anthropomorphie interpretiert.46 Heidegger verallgemeinert den Begriff des
Anthropomorphismus schließlich so sehr, dass auch erkenntnistheoretischer
Idealismus oder Konstruktivismus und Kulturalismus darunterfallen könn-
_____________
43 GA 27, S. 374. Zehn Jahre später nennt Heidegger den Humanismus »eine moralisch-
ästhetische Anthropologie« (GA 5, S. 93). Snell spricht ebenfalls von einem »ästhetischen
Humanismus« (mit Blick auf Jaeger). Vgl. Bruno Snell: Die alten Griechen und wir. Göt-
tingen 1962, S. 26: »Die Schwäche eines ästhetischen Humanismus hat seit der Mitte der
20er Jahre Werner Jäger ins Licht gerückt und seine Kritik ist in vielem treffend. Die Iro-
nie ist nur, daß Jäger selbst, der einen politischen an die Stelle des veralteten Humanis-
mus setzen wollte, in eigentümlicher Weise das Politische ästhetisierte – und damit un-
wirksam machte«.
44 GA 27, S. 374; vgl. GA 26 [= II, 10], S. 19 (Metaphysische Anfangsgründe der Logik im
Ausgang von Leibniz).
45 GA 42 [= II, 26], S. 204 (Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809)); vgl.
auch ebenda, S. 282–284.
46 Vgl. GA 47 [= II, 31], S. 268 (Nietzsches Lehre vom Willen zur Macht als Erkenntnis).

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Heidegger und der Humanismus 109

ten.47 Anthropomorphismus in diesem weiten Sinne erklärt er zur Voraus-


setzung für »die Vorherrschaft der Anthropologie und des Interesses für
sie« (GA 47, S. 315).
Als Nachfolger der Anthropomorphismus-Formel scheint der ›Huma-
nismus‹ zu dienen, der zuvor vor allem als Geistesmode (›Neuhumanismus‹)
kritisiert worden ist, auf jeden Fall nicht mit Anthropologie in Verbindung
stand. Nun identifiziert Heidegger sogar beides48 oder macht – wie im Vor-
trag Die Zeit des Weltbildes von 1938 – aus dem historischen Humanismus
eine moralisch-ästhetische Anthropologie. Humanismus ist für ihn jene phi-
losophische Deutung des Menschen, die vom Menschen aus und auf den
Menschen zu das Seiende im Ganzen erklärt und abschätzt,49 wobei der
Mensch sich »den Vorrang der Bezugsmitte« zuschreibt (GA 5, S. 94). Da-
mit ist Humanismus die geistige Grundlage für eine Haltung, in der der
Mensch sich im Verhältnis zum Seienden vor allem auf Aspekte wie Belie-
bigkeit, Willkür, Berechnung und Sicherung fixiert.
Will man das vorgestellte Schema der verschiedenen Möglichkeiten, den
Humanismus zu kritisieren, für den Fall Heidegger fruchtbar machen, so
lässt sich festhalten, dass auf eine frühe Phase subjektivistischer Humanis-
muskritik bis etwa 1928 eine Phase dezentralistischer Kritik etwa seit Mitte
der 1930er Jahre folgt, die ihren Höhepunkt im Humanismusbrief erreicht.
Allgemein ergibt sich weiterhin, dass der Humanismus seinerseits je nach
Konstellation als Vitalismuskritik oder Subjektivismuskritik auftritt; der Neu-
humanismus Werner Jaegers und Julius Stenzels ist vor allem Letzteres.

III. Martin Heidegger und Werner Jaeger

Während fast zwei Jahrzehnten, von 1924 bis 1941, finden sich bei Heidegger
verschiedene Stellungnahmen zu den Arbeiten Jaegers. Angesichts Heideg-
gers insgesamt eher spärlicher Berücksichtigung altphilologischer Arbeiten
ist dieser Umstand bemerkenswert.50 Zunächst gilt seine Aufmerksamkeit
_____________
47 »Der Anthropomorphismus ist die ausgesprochene oder unausgesprochene, die zugestan-
dene oder unerkannt angenommene Überzeugung, daß das Seiende im Ganzen ist, was es
ist und wie es ist, kraft und gemäß des Vorstellens, das im Menschen, d. h. im vernunft-
begabten Tier, als ein Lebensvorgang unter anderen abläuft. Das Seiende, und was man
so nennt und kennt, ist ein menschliches Gemächte« (GA 66 [= III, 3], S. 159 (Besin-
nung) = GA 48, S. 208; vgl. ebenda, S. 133, 170f., GA 5, S. 39, GA 7, S. 28).
48 Vgl. GA 9, S. 236f.
49 Vgl. GA 5, S. 93 sowie GA 9, S. 236f.
50 Ansonsten würdigt Heidegger unter den Altphilologen seiner Zeit, soweit ich sehe, nur
Karl Reinhardt noch eines gewissen Interesses. Vor allem dessen Buch Parmenides und die
Geschichte der griechischen Philosophie (1916) ist ihm wichtig. Vgl. dazu GA 22 [= II, 6],

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110 Michael Großheim

den beiden Werken Jaegers über Aristoteles, der 1912 als Buch erschienenen
Dissertation Studien zur Entstehungsgeschichte der Metaphysik des Aristo-
teles und der berühmteren Studie Aristoteles. Grundlegung einer Geschichte
seiner Entwicklung aus dem Jahr 1923, von denen er jedoch das erste mehr
schätzt. Für eine nähere Darstellung der Jaeger-Rezeption Heideggers ist hier
aber nicht der Raum.
Stattdessen konzentriere ich mich auf einzelne, besonders prägnante Stel-
lungnahmen. Bereits aus ›äußeren geistespolitischen‹ Gründen kann Jaegers
rege Wissenschaftspolitik von Heidegger keine Sympathie erwarten. Zu Jae-
gers Tätigkeiten dieser Jahre gehören die Gründung einer wissenschaftlichen
›Gesellschaft für antike Kultur‹, einer Zeitschrift (Die Antike) und zweier
Schriftenreihen (Neue Philologische Untersuchungen, Neue Wege zur An-
tike) sowie die regelmäßige Veranstaltung von Tagungen. Derartiges ist für
Heidegger schlichtweg »Betrieb« und als solcher bereits verdächtig; wenn
das Ganze obendrein unter dem Banner eines ›Humanismus‹ organisiert
wird, muss das aus seiner Perspektive so wirken, als ob hier nur »die An-
gestellten eines Schlagwortes, Anhänger eines Programms« gesammelt wer-
den sollen (GA 29/30, S. 244). Bezeichnend ist Heideggers Reaktion auf Jae-
gers Zusendung eines Sonderdruckes Ende der 1920er Jahre:51 Am 3. De-
zember 1928 schreibt er an Jaspers, man müsse »darüber wohl mal sprechen,
schon aus geistespolitischen Gründen«.52
Heideggers Distanz hat aber noch andere, inhaltlich bedeutsame Grün-
de. Zwei Motive prägen seine Auseinandersetzung mit dem Neuhumanis-
mus: erstens der Vorwurf einer Unterschätzung der Problematik und zwei-
tens die These von der Verfehltheit eines bloßen historischen Rückgriffs.
Um dies zu verdeutlichen, wähle ich zunächst zwei charakteristische Stel-
len aus Vorlesungen der späten Zwanzigerjahre aus. Nachdem Heidegger den
besagten Sonderdruck Jaegers zur Kenntnis genommen hat, nimmt er vor
seinen Studenten im Wintersemester 1928/1929 dazu Stellung. Er begegnet
_____________
S. 57, 62, 63f., 230 (Die Grundbegriffe der antiken Philosophie), GA 26, S. 219 sowie
Martin Heidegger: Sein und Zeit (Anm. 29), S. 223, Anmerkung. Vgl. dazu Jochen Schlü-
ter: Heidegger und Parmenides. Ein Beitrag zu Heideggers Parmenidesauslegung und zur
Vorsokratiker-Forschung. Bonn 1979, S. 338f., Anmerkung 6 sowie GA 9, S. 142. Zum
Sophokles-Buch vgl. GA 40 [= II, 24], S. 115 (Einführung in die Metaphysik) sowie GA 7
[= I, 7], S. 282f. (Vorträge und Aufsätze).
51 Es handelt sich um Werner Jaeger: Über Ursprung und Kreislauf des philosophischen Le-
bensideals. In: Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Philosophisch-Historische Klasse. Bd. 25 (1928). Berlin 1928, S. 390–421.
52 Martin Heidegger – Karl Jaspers: Briefwechsel (Anm. 32), S. 114f., hier S. 115. Geistes-
politisch motiviert ist auch die Beschwerde Heideggers über mangelndes Engagement Jae-
gers in einer Berliner Berufungsangelegenheit (Brief vom 17. Mai 1930): »Ob solche Feig-
linge die rechten Leute sind, um einem Neu-Humanismus auf die Beine zu helfen, ist mir
nicht erst jetzt zweifelhaft geworden« (ebenda, S. 132f., hier S. 133).

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Heidegger und der Humanismus 111

mit »den größten Bedenken« dem Versuch, die theoretische Haltung der an-
tiken Philosophie als

Lebensideal in einem sogenannten Neuhumanismus wieder zu erneuern. Es bleibt


eine kraftlose Angelegenheit von Gelehrten, die sich vielleicht um eine Zeitschrift
scharen (›Antike‹), aber es reicht nicht in die Wurzeln heutiger Existenz; im Ge-
genteil, man will der Abgründigkeit des heutigen Daseins aus dem Wege gehen,
statt die freien Rufe zu hören oder erst das Gehör dafür zu bilden.
(GA 27, S. 167f.)

Man könnte diese Äußerung als einen typischen Fall von Heidegger’scher
Überbietungsrhetorik werten, die immer wieder begegnet in Erklärungen
von der Art, dass eine Sache noch nicht tief genug bedacht, eine Frage noch
nicht tief genug gefragt worden sei, und die gelegentlich wie ein verselbstän-
digtes, bequemes Ausweichmanöver wirkt, wenn es gilt, gegenüber Antwor-
ten anderer Farbe zu bekennen. Doch möglicherweise ist Heidegger selbst
an solchen Punkten tatsächlich außerstande, nähere und zufriedenstellende
Auskunft zu geben, obwohl ihm ein ganzheitlicher, zu Urteilen anleitender
Eindruck vorschwebt, dessen Explikation aber noch nicht weit genug ge-
diehen ist. Geht man heuristisch von dieser Annahme aus, dann erhält man
durchaus Hinweise, mit denen sich etwas anfangen lässt. Die Gegenwart
Heideggers scheint von einer neuartigen anspruchsvollen Problematik be-
troffen zu sein: »der Abgründigkeit des heutigen Daseins«. Die Neuhuma-
nisten bemerken diese zwar, wagen es aber nicht, sich ihr zu stellen. Sie ge-
ben die Freiheit auf, die Situation aus eigener Kraft zu deuten, und suchen
ungeduldig Halt in der Überlieferung. In der Frage nach dem angemessenen
Umgang mit einer erst provisorisch beschriebenen Grundproblematik der
Moderne scheiden sich also die Geister.
Die zweite angekündigte Stellungnahme schließt sich zeitlich unmittel-
bar an. In der Vorlesung des Sommersemesters 1929, Der deutsche Idealis-
mus […] und die philosophische Problemlage der Gegenwart, erklärt Heideg-
ger mit Worten, die genau so in seinem Kant-Buch wiederkehren, dass bei
aller Anhäufung von Wissen über den Menschen dieser selbst sich zu keiner
Zeit so fragwürdig erschienen sei.53 Die philosophische Grundtendenz zur
Anthropologie sei daher gleichermaßen durch Macht wie Ratlosigkeit ge-
kennzeichnet. Auf Kulturkritik oder dialektische Kulturphilosophie dürften
dabei nach Heideggers Ansicht keine Hoffnungen gerichtet werden, denn
man habe es mit einem »Grundgeschehen« zu tun, »dem gegenüber solche
Maßstäbe unangemessen bleiben, dem gegenüber alle neuhumanistischen, aus
der Antike oder sonstwoher geschöpften Programme versagen oder versa-
_____________
53 Vgl. GA 28, S. 16f. (= GA 3 [= I, 3], S. 209 (Kant und das Problem der Metaphysik)).

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112 Michael Großheim

gen müssen, weil dergleichen unsere Geschichte noch nie erfahren hat« (GA
28, S. 18). Heidegger prophezeit also dem Neuhumanismus schon zur Zeit
seiner beginnenden Blüte Erfolglosigkeit. In ähnlicher Weise macht Horst
Rüdiger (1908–1984) auf die Lebensfremdheit des akademisierten neuen Hu-
manismus aufmerksam.54 Dementsprechende Ausdrücke wie »Literatentum«
und »akademische Attitüde« finden sich in Bruno Snells Beurteilung von
Werner Jaegers Paideia-Projekt.55
Warum erklärt Heidegger den Neuhumanismus kurzerhand zu einer
bloßen »Gelehrtenvorstellung«?56 Für den Neuhumanismus ist die Antike
allgemein »das Urbild der europäischen Kulturidee«,57 der »klassische Re-
präsentant der Idee der Kultur« (HRV, S. 135). Die Frage nach der Vorbild-
lichkeit der antiken Kultur lenkt den Blick auf ein wichtiges Ereignis in der
Geschichte des Neuhumanismus: Im Jahre 1930 fand unter der Leitung Wer-
ner Jaegers die inzwischen legendäre Naumburger Tagung Das Problem des
Klassischen und die Antike statt. Der im darauffolgenden Jahr veröffentlich-
te Tagungsband58 hat eine Reihe von Stellungnahmen provoziert. Helmuth
Plessner (1892–1985) verfasste 1936 im Exil eine ausführliche Auseinander-
setzung unter dem Titel Das Problem der Klassizität für unsere Zeit.59 Er hält
eine strenge Bindung der Gegenwartskultur an das Vorbildliche und Mus-
terhafte vergangener ›klassischer‹ Zeiten für unmöglich, weil dieses Konzept
Menschen voraussetzt, die im Hinblick auf das Vergangene ein Neues schaf-
fen, das heißt ihre eigentliche zeitliche Existenz im Bild einer durch die Zeit
hindurch währenden Dauer sehen. In der Moderne sei dagegen der Schwer-
punkt des Lebens in die Zukunft verlagert, das Mustergültige als das Voll-
_____________
54 Vgl. Horst Rüdiger: Der dritte Humanismus. In: Ders.: Wesen und Wandlungen des Hu-
manismus. Hamburg 1937, S. 279–297 u. die Anmerkungen S. 311–312; zitiert nach dem
Wiederabdruck in Hans Oppermann (Hg.): Humanismus. Darmstadt 1970, S. 206–223,
hier S. 222: »[S]o vermag […] der Bildungsbegriff des Dritten Humanismus die Einheit
zwischen dem modernen Menschen in seiner Gesamtheit und dem Leben nicht zu schaf-
fen«.
55 Vgl. Bruno Snell: Die alten Griechen und wir (Anm. 43), S. 26–32 (Kapitel: Politischer
Humanismus).
56 GA 36/37 [= II, 21/22], S. 207 (Sein und Wahrheit. 1. Die Grundfrage der Philosophie;
2. Vom Wesen der Wahrheit).
57 Werner Jaeger: Staat und Kultur (1932). In: Ders.: Humanistische Reden und Vorträge
(Anm. 23), S. 195–214, hier S. 202.
58 Werner Jaeger (Hg.): Das Problem des Klassischen und die Antike. Acht Vorträge, gehal-
ten auf der Fachtagung der Klassischen Altertumswissenschaft zu Naumburg 1930. Leip-
zig 1931.
59 Helmuth Plessner: Das Problem der Klassizität für unsere Zeit [1936]. In: Ders.: Politik –
Anthropologie – Philosophie. Aufsätze und Vorträge. Hg. v. Salvatore Giammusso u. Hans-
Ulrich Lessing. München 2001, S. 87–99. Vgl. ders.: Das Schicksal deutschen Geistes im
Ausgang seiner bürgerlichen Epoche. Zürich, Leipzig 1935, S. 55: »Der ›dritte Humanis-
mus‹ hat über altphilologisch gebildete Kreise hinaus kaum gewirkt«.

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Heidegger und der Humanismus 113

kommene durch den Prozess der Vervollkommnung ersetzt. Ein neuer Hu-
manismus könne deshalb nicht mehr ›wahr‹ sein.60
Heidegger hegt nun eine ganz ähnliche Skepsis wie Plessner gegenüber
der Möglichkeit einer Aufstellung historischer Vorbilder: Dafür sei einfach
keine Zeit.61 Der moderne Mensch würde ein antikes Paradigma ohnehin
nur als ›Event‹ zur Kenntnis nehmen und ohne nachhaltigen Eindruck zur
Tagesordnung übergehen. Daher könnten auch auf die Antike bezogene,
gut gemeinte Rettungsversuche nicht mehr helfen: »Also zurück zum ›hu-
manistischen Gymnasium‹. Nein. Denn in geschichtlichen Augenblicken von
der Art des jetzt sich vorbereitenden ist jedes bloße ›Zurück zu‹ eine Selbst-
täuschung, gelte dieses Zurück dem klassischen Altertum oder dem Neuen
Testament«.62
Heideggers strikte Zurückweisung aller Versuche, die sich mit der For-
mel »Zurück zu« beschreiben lassen, ist eine charakteristische Geste seines
Denkens in den 1930er und 1940er Jahren, die unabhängig von der Ausein-
andersetzung mit dem Humanismus noch allgemeinere Bedeutung hat. Die
ausführlichsten Überlegungen zu diesem Thema entwickelt Heidegger in der
Vorlesung des Wintersemesters 1937/1938. Was etwa seit Ende der 1920er
Jahre bereits thematisch in den Vordergrund tritt, das Bevorstehende, Kom-
mende, Anfangende, das bestimmt nun vollends jedes Urteil über das Ver-
gangene. In diesem Kontext nutzt Heidegger noch seine ältere Theorie vom
»Abfall« oder der »Entartung« des Tradierten, jedoch mit dem Unterschied,
dass zuvor die »Quelle« die zentrale Rolle in seinem phänomenologischen
Programm spielte, nun hingegen der »Anfang« in den Rahmen einer Ge-
schichtsphilosophie gestellt wird. Das hat zur Folge, dass es nicht mehr um
einen Rückgang zu den Quellen oder um eine positive Aneignung der Ver-
gangenheit geht, sondern um Umwälzungen des Gewöhnlichen, um »Revo-
lutionen«.63
Heidegger benennt nun auch einen konkreten Gegner, nämlich den Ver-
walter des Historischen, den Bewahrer des Gewöhnlichen, den Konservati-
ven, der Vergangenes zum Ideal und zur Regel erklärt, der aber den Anfang
nie fassen kann, weil er dazu »auf die Krücken und Auswege des Gewöhn-
_____________
60 Gerechterweise muss man sagen, dass es im Neuhumanismus auch differenzierte Positio-
nen gibt, die Plessners Konzept der ›produktiven Mimesis‹ sogar recht ähnlich sind. Vgl.
Stenzels Absage an die »Wiederholung« und seine Idee der »schöpferische[n] Wiederge-
burt« (Julius Stenzel: Was ist lebendig und was ist tot in der Philosophie des klassischen
Altertums? (1930). In: Ders.: Kleine Schriften (Anm. 5), S. 300–306, hier S. 301).
61 Vgl. GA 55 [= II, 39], S. 68 (Heraklit. 1. Der Anfang des abendländischen Denkens; 2. Lo-
gik. Heraklits Lehre vom Logos).
62 GA 53 [= II, 37], S. 81 (Hölderlins Hymne »Der Ister«).
63 Vgl. GA 45 [= II, 29], S. 37, 40f. (Grundfragen der Philosophie. Ausgewählte »Proble-
me« der »Logik«); GA 65 [= III, 2], S. 434f. (Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)).

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114 Michael Großheim

lichen und Gewohnten« verzichten müsste (GA 45, S. 41). Die Neuhumanis-
ten dürften zu diesen Gegnern zählen,64 wenngleich ihre Denkweise durch-
aus differenzierter ist. Was Plessner ihnen kritisch vorhält – dass einer Zeit,
die den Schwerpunkt des Lebens in die Zukunft verlagert, der Rückblick auf
Vergangenes als Mustergültiges unplausibel wird –, das realisiert sich jetzt
im Falle Heideggers, der das Gegenwärtige ganz aus der Zukunft erfährt65
und dem »Zurück zu« ein »nach vorn« entgegenstellt: »Denn der Mut lockt
nach vorn, der Mut löst sich vom Bisherigen, der Mut wagt das Ungewohn-
te und Unberechenbare« (GA 16, S. 192). Ein Neuhumanismus, der sich als
kontinuierliche bildungsgeschichtliche Traditionsbewegung versteht und
auf in gewissen Abständen auftretende besondere Gipfel zurückblickt, so-
genannte »Renaissancen« (HRV, S. 119), dieser Neuhumanismus stößt hier
auf ein Denken, das auf »alle bloß ›humanistischen‹ Anknüpfungen und Wie-
derbelebungen (›Renaissancen‹)« herabschaut,66 weil es Kontinuität vor al-
lem als Verfall begreift und Hilfe aus der Geschichte nicht nötig hat. Vor
dem Hintergrund der Wahrnehmung eines »schöpferische[n] Zeitalter[s]«
(GA 45, S. 50) wendet Heidegger sich an denjenigen, »der sich der Bequem-
lichkeit entrissen hat, in der unschöpferischen Versteifung auf ein Bisheri-
ges – etwa das Christentum – sich im Besitze der Heilmittel zu dünken […],
der nicht zurück, sondern nach vorn, nicht zu einem ›Fortschritt‹, sondern
in die verhüllte Zukunft will« (GA 45, S. 25f.). Das Heil erwartet Heideg-
ger nicht von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft; der Ausweg soll
also nicht in einer theoretischen Vorbildnahme am bereits fixierten Gewese-
nen liegen, sondern in der praktischen Gestaltung des noch offenen Kom-
menden.67
Schließlich distanziert Heidegger sich von Jaegers Platon-Deutung, ei-
nem zentralen Element des Paideia-Konzeptes, indem er Platon zum Objekt
einer dezentralistischen Humanismuskritik macht. In einer etwas eigenwil-
ligen Interpretation werden das Höhlengleichnis und die Ideenlehre über-
_____________
64 Möglicherweise spielt Heidegger in diesem Zusammenhang auch auf einen Aspekt des
neuhumanistischen Denkstils an, der sich im häufigen Gebrauch der Formel »immer wie-
der« ausdrückt (vgl. GA 45, S. 41).
65 Vgl. GA 16 [= I, 16], S. 71 (Reden und andere Zeugnisse eines Lebensweges. 1910–1976).
66 GA 53, S. 155; vgl. GA 45, S. 134. Zur Bezeichnung »Renaissancen« vgl. auch GA 69 [=
III, 6], S. 15f. (Die Geschichte des Seyns. 1. Die Geschichte des Seyns (1938/40); 2. Koi-
non. Aus der Geschichte des Seyns (1939/40)). Dass das Stichwort von Heidegger dabei
stets in Anführungszeichen gesetzt wird, könnte ein Indiz dafür sein, dass er auf Jaegers
emphatischen Begriff von »Renaissancen« anspielen will.
67 Dabei relativiert das Gefühl, im Besitz von Gestaltungskraft zu sein, den Sinn von Be-
wahrung, wie Heidegger bereits zehn Jahre früher feststellt (GA 26, S. 10). Seine wieder-
holten Mahnungen (GA 5, S. 96; GA 45, S. 41, 50, 182; GA 53, S. 66) sollen sicherstellen,
dass das neue geschichtliche Selbstermächtigungsbewusstsein sich nicht im Historischen
verfängt.

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Heidegger und der Humanismus 115

haupt zu einem Zeugnis des platonischen Humanismus erklärt. Der Mensch


rücke bei Platon wissentlich »in eine Mitte des Seienden«; es vollziehe sich
»ein metaphysisch bestimmtes Kreisen um den Menschen in engeren oder
weiteren Bahnen« (GA 9, S. 236). In dieser Hinsicht denken wir Heidegger
zufolge noch genauso humanistisch wie die Antike. Genau betrachtet wird
damit also das historische Monopol der Antike auf den Humanismus auf-
gehoben; er verliert die Verankerung in einer bestimmten, abgeschlossenen
Zeitepoche und wird zu einer kontinuierlich prägenden Größe, die »›grie-
chisch‹ gesagt« ebenso gut »Anthropologie« heißen könne (GA 9, S. 236f.).
Die Bezeichnungen werden von Heidegger enthistorisiert. Da die alten Pro-
bleme mit der philosophischen Überlieferung irrelevant geworden seien, er-
übrigten sich die Bemühungen, den Faden wiederanzuknüpfen. Heidegger
verdeutlicht dies durch den schlichten Hinweis, dass »Platons Lehre von der
›Wahrheit‹ […] nichts Vergangenes« sei, sondern »geschichtliche ›Gegen-
wart‹« (GA 9, S. 237). Damit soll zugleich wieder Distanz zum Neuhuma-
nismus geschaffen werden, dem diese Einsicht in die Geschichte der Meta-
physik verborgen sei. Seine Vertreter greifen nach Heidegger zu kurz, wenn
sie das Verhältnis zur Vergangenheit als Nachwirkung eines Lehrstückes,
als Wiedererweckung beziehungsweise Nachahmung des Altertums oder
als bloße Bewahrung des Überkommenen auffassen.68
Der traditionelle Humanismus wird noch in doppelter Hinsicht über-
holt: Die Allgemeinheit des Heidegger’schen Humanismusbegriffes über-
spielt den Gegensatz von Individualismus und Kollektivismus, um den es in
der neuhumanistischen Diskussion geht. ›Der Mensch‹ – das zeigt nun end-
gültig den Übergang von der subjektivistischen zur dezentralistischen Hu-
manismuskritik – kann hier bedeuten: ein Menschentum oder die Mensch-
heit, der Einzelne oder die Gemeinschaft, das Volk oder die Völkergruppe.
Entsprechend werden im Humanismusbrief Identifizierungen vorgenom-
men: Jeder Nationalismus sei metaphysisch ein Anthropologismus und als
solcher Subjektivismus;69 der Kollektivismus sei »die Subjektivität des Men-
schen in der Totalität« (GA 9, S. 341). Das Kriterium dieser ungewöhnli-
chen Zusammenstellungen ist die unbedingte Selbstbehauptung, bei der als
unerheblich betrachtet wird, ob sie von einem Subjekt oder von einem Kol-
lektiv ausgeht. Aus dieser Vogelperspektive hat die neuhumanistische Pro-
blemstellung ihre Bedeutung verloren – für Heidegger allerdings erst, nach-
_____________
68 Vgl. GA 9, S. 237.
69 Vgl. GA 7, S. 85: »Deshalb west diese [die ›Ichheit‹] auch dort, wo keineswegs das ein-
zelne Ich sich vordrängt, wo dieses vielmehr zurücktritt und die Gesellschaft und andere
Verbandsformen die Herrschaft haben. […] Die Philosophie im Zeitalter der vollendeten
Metaphysik ist die Anthropologie«. Vgl. GA 48, S. 212 sowie die ausführlichere Darstel-
lung in GA 54, S. 203f., 247 und GA 66, S. 160.

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116 Michael Großheim

dem ihm selbst der Unterschied zwischen den Positionen eines Individualis-
mus und eines Kollektivismus gleichgültig geworden ist, das heißt, nachdem
er seine Erwartungen an das »geschichtliche Volk«70 aufgegeben hat. Hei-
deggers Irritation durch Stenzels Ende der 1920er Jahre geäußerte Kritik ist
damit endgültig aufgehoben.
Die philosophische Vogelperspektive ermöglicht es Heidegger, den Hu-
manismus auch dadurch zu überholen, dass nun unter einer sehr allgemei-
nen Bestimmung alle historischen Variationsformen Platz finden. Der Hu-
manismus erscheint als ein einseitig angelegtes Selbstbekümmerungsprojekt
der Gattung Mensch: »Immer gilt es, im Bereich eines festgemachten meta-
physischen Grundgefüges des Seienden den von hier aus bestimmten ›Men-
schen‹, das animal rationale, zur Befreiung seiner Möglichkeiten und in die
Gewißheit seiner Bestimmung und in die Sicherung seines ›Lebens‹ zu brin-
gen«. Die konkreten Realisationen sind demgegenüber zweitrangig: »Das ge-
schieht als Prägung der ›sittlichen‹ Haltung, als Erlösung der unsterblichen
Seele, als Entfaltung der schöpferischen Kräfte, als Ausbildung der Vernunft,
als Pflege der Persönlichkeit, als Weckung des Gemeinsinns, als Züchtung
des Leibes oder als geeignete Verkoppelung einiger oder all dieser ›Huma-
nismen‹« (GA 9, S. 236). Der zeitgenössische Rezensent Emil Staiger (1908–
1987) macht darauf aufmerksam, dass so verstanden die römische Ethik eben-
so gut wie Goethes Weltbürgertum oder auch das Christentum ›Humanis-
mus‹ seien.71

_____________
70 GA 39 [= II, 23], S. 284 (Hölderlins Hymnen »Germanien« und »Der Rhein«).
71 Vgl. Emil Staiger: Martin Heidegger und der Humanismus. In: Universitas 3 (1948), S. 237–
239, hier S. 239.

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