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Der heimliche
Corona-Kanzler
MARKU S SÖDER
#ISCHG LGATE
Wie der Skiort zur
Virenschleuder wurde
GEGEN MITTE L
macht Hoffnung
Eine Ebola-Arznei
Leben der Armen
KAMIK AZE-DO NALD
Trump spielt mit dem
Nr. 14 / 28.3.2020
Deutschland € 5,30
In diesen Tagen
ist vieles unsicher.
Strom soll es
nicht sein.
Wir leben in dramatischen Zeiten. Vieles, was unser Leben ausgemacht hat,
ist auf unbestimmte Zeit nicht mehr verfügbar. Gerade jetzt ist Strom eine
wichtige Konstante. Wo Strom ist, sind Licht, Wärme und Kommunikation,
dabsind Produktion, medizinische Versorgung und Mobilität. Wir bei RWE
setzen alles daran, betriebliche Risiken zu minimieren und unsere Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen – um unser Produkt Strom
jederzeit und lückenlos liefern zu können. Darauf können Sie sich
verlassen. Seit über 120bJahren und insbesondere in diesen Tagen.
Das deutsche Nachrichten-Magazin
Hausmitteilung
Betr.: Coronavirus, Ischgl, S-MAGAZIN
Inhalt
Titel
Chef der Medizintechnikfirma,
Seuchen Wie lange halten wir über fehlende Schutzmasken
das durch? Worauf Politiker und Beatmungsgeräte . . . . . . . 48
ihre Entscheidungen
74. Jahrgang | Heft 14 | 28. März 2020
stützen und wie teuer der Schule Warum das Corona-
Shutdown werden könnte . . . . 8 Abitur nicht fair sein wird . . . 50
o vieles ist in diesen Zeiten gefordert: Geduld ein Dilemma, sondern ein Trilemma, drei Güter stehen
1
Bis zu 10.000 € Neu-für-Alt-Prämie für Ihren
Gebrauchten beim Kauf eines neuen Renault 2
Renault Kadjar: Gesamtverbrauch kombiniert (l/100 km): 5,9–4,3; CO2 -Emissionen kombiniert: 136–112 g/km. Energieeffizienzklasse: C–A
(Werte nach Messverfahren VO [EG] 715/2007).
1
Restwert des Altfahrzeugs und zusätzlich 10.000 € Neu-für-Alt-Prämie bei Kauf eines Renault Koleos, Talisman, Talisman Grandtour und Espace,
5.000 € bei Kauf eines Renault Kadjar, Scénic, Grand Scénic, Mégane, Mégane Grandtour, Master Pkw und Trafic Pkw, 4.000 € bei Kauf eines Renault
Kangoo Pkw, 3.000 € bei Kauf eines Renault Clio, Clio Grandtour und Captur, 2.500 € bei Kauf eines Renault Twingo. Ausgeschlossen sind alle
Mégane R.S. Varianten. Das Altfahrzeug muss mindestens 3 Monate auf den Käufer des Neufahrzeugs zugelassen sein. Nicht kombinierbar mit
anderen Aktionen/Angeboten. Ein Angebot für Privatkunden, gültig bei Kaufantrag bis 30.04.2020 und Zulassung bis 30.06.2020. 2 2 Jahre Renault
Neuwagengarantie und 3 Jahre Renault Plus Garantie (Anschlussgarantie nach der Neuwagengarantie) für 60 Monate bzw. 100.000 km ab Erstzu-
lassung gem. Vertragsbedingungen. Abb. zeigt Renault Kadjar BOSE Edition mit Sonderausstattung. Renault Deutschland AG, Postfach, 50319 Brühl.
Am Anfang der
Skyline von Frankfurt am Main: Reicht es, die verschärften Maßnahmen bis Ostern in Kraft zu lassen?
8
Coronakrise
D
Die Welt fährt »auf Sicht«, kein Land ist
ausgespart, und es kommen noch härtere
Tage. Die Menschheit ist, bei allen Diffe-
renzen und von wenigen Narren abgese-
hen, vereint in der Furcht vor einer Seuche,
die schlimmstenfalls Verheerungen anrich-
ten wird, wie man sie nur aus illustrierten
Geschichtsbüchern kannte.
Jetzt türmen sich die Särge in Bergamo,
Wuhan zählt seine Gräber, in Madrid, Pa-
ris, Teheran erschöpfen sich die Kapazitä-
ten der Krankenhäuser, in New York ste-
cken sich in rasendem Takt die Menschen
an. In Indien appelliert die Regierung an
ihr Milliardenvolk, eine 21-tägige Quaran-
täne einzuhalten, weil das Land sonst um
21 Jahre zurückfallen werde. In Afrika
macht sich das Virus breit. In Amerika.
Es ist eine Binsenweisheit, dass die Zu-
kunft nicht vorhersehbar ist, und doch rich-
ten sich in Zeiten existenzieller Bedrohung
alle Fragen jäh an sie. Werde ich mich an-
Welle
stecken? Wird meine Mutter überleben?
Wie lange bleibt dieses Virus? Wie viele
Tote wird es geben? Wie viel Schaden wird
es anrichten? Und: Habe ich noch Arbeit
morgen? Ist mein Betrieb in sechs Wochen
MICHAEL PROBST / AP
10
Coronakrise
haben den Reiseverkehr niedergerungen«, betten von derzeit 28 000 auf mindestens zu lernen, dass die Politik sich sehr beeilen
sagt ein Bundespolizist, das gilt auch für 56 000 zu verdoppeln – so steht es auch sollte, um genügend Intensivbetten und
die illegalen Einreisen: Nur noch zehn Fäl- im »Notfallplan« von Bund und Ländern, Beatmungsgeräte vorzuhalten. In China
le zählte die Bundespolizei am Montag. der vergangene Woche beschlossen wurde. hat sich gezeigt, dass sich die Ausbreitung
Und die Verschärfungen gehen weiter, wie Ob die Ausgangsbeschränkungen wir- von Infektionen zwar stoppen lässt, wenn
es aus Kreisen der Bundespolizei heißt. In ken, wird schwer zu erheben sein. Einfa- man Millionenstädte abriegelt, dass dieser
Kürze sollen alle deutschen Landgrenzen cher ist die Prüfung, ob die Kontaktsperre Hausarrest aber einen hohen Preis hat:
überwacht werden und Flüge aus noch überhaupt eingehalten wird. Das RKI ver- Angst. Isolation. Depression. Häusliche
mehr Staaten. wendet dafür die anonymisierten Bewe- Gewalt.
Es ist eine Ausnahmesituation, alle wis- gungsdaten von 46 Millionen Kunden der In diesem Spannungsfeld bewegt sich
sen es, Bundesgesundheitsminister Jens Telekom. Minister Spahn wäre gern – nach Politik ständig. Es gibt die abstrakten Da-
Spahn sagte es, als er sich am Dienstag in dem Vorbild Südkoreas – weiter gegangen. ten, und es gibt die reale Alltagswelt, die
einem Video mit einem Durchhalteappell In das überarbeitete Infektionsschutz- sie nur unvollständig erfassen. Wie wägt
an die Mitarbeiter seines Hauses wandte. gesetz, das der Bundestag am Mittwoch man ab zwischen Infektionsraten und
Auch Spahn stellt sich die Frage, wie und verabschiedet hat, wollte er einen Passus Grundrechten? Zwischen Krankheitsfällen
wann sich dieser Zustand wieder beenden aufnehmen lassen, der die Erfassung der und politischen Werten? Zwischen einer
lässt. Geht es allein um die Fakten, ver- Bewegungsdaten von Coronavirus-Infi- neuen Bedrohung und einer alten demo-
traut der Gesundheitsminister auf den Rat zierten ermöglicht hätte – ohne Anonymi- kratischen Tradition? Auch Spahn treiben
von RKI-Präsident Wieler, von dem er sich sierung. Gesundheitsbehörden hätten solche Fragen um. Er griff in dieser Lage
täglich unterrichten lässt. Für Spahn ist dann leichter mögliche Kontaktpersonen zum Telefon und wählte die Nummer von
Wieler so etwas wie das Orakel der Krise. identifizieren und über Ansteckungsrisi- Peter Dabrock, dem Vorsitzenden des
Als Wieler am Mittwoch gefragt wurde, ken informieren können. Der Passus wur- Deutschen Ethikrates. Ihn hat Spahn ver-
wann er eine Aussetzung der rigiden Vor- de nach Protesten von Datenschützern ge- gangene Woche gebeten, eine Stellungnah-
gaben empfehlen könne, antwortete er: strichen. Spahn bedauert das, weil sich mit me zu den aktuellen Optionen vorzulegen,
»Das ist ein Geschehen, für das es keine solchen Daten die Aufhebung von Aus- die schon am Donnerstagnachmittag bei
Blaupause gibt.« gangssperren leichter hätte organisieren ihm eintraf. Das Papier ist mit den Worten
Klar ist allein das Ziel aller Mühen: Die lassen, argumentiert er, er verweist dabei überschrieben: »Solidarität und Verant-
Ausbreitung des Virus muss so verlang- auf das Beispiel Südkorea. wortung in der Corona-Krise«. Die Exper-
samt werden, dass die Kliniken die Zahl Auf der Suche nach guten Verfahren im ten sprechen von einem »ethischen Kern-
der gleichzeitig schwer Erkrankenden Umgang mit der Krise, nach »best prac- konflikt«: auf der einen Seite ein leistungs-
ohne Engpässe bewältigen können. RKI- tice«-Beispielen, schaut sich der Gesund- fähiges Gesundheitssystem zu sichern und
Chef Wieler hat empfohlen, die Intensiv- heitsminister weltweit um. Von Italien sei auf der anderen Seite Folgen für die Ge-
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sellschaft abzumildern. Es handele sich um tin-Luther-Universität gleich mit. Halle viel von den Expertenfragen, um die es
»konkurrierende moralische Güter«. war die erste deutsche Großstadt, die solch jetzt in der Coronakrise geht.
Die Folgen eines dauerhaften Lock- drastische Schritte vollzog. Tschentscher tauscht sich auch mit ehe-
downs ohne Begrenzung und ohne Aus- Wiegands Aktion ist in der Rückschau maligen Studienkollegen aus, er wolle »ein
weg zeichnet das Gremium in düsteren umso bemerkenswerter, weil es in Halle Gefühl dafür bekommen, ob unsere Ent-
Farben: Die Beschränkungen des öffent- am Tag der Verkündung erst sieben Infek- scheidungen zu den Erfahrungen im medi-
lichen Lebens führten zu »Systemgefähr- tionsfälle gab und das Land Sachsen-An- zinischen Betrieb passen«. Das helfe ihm,
dungen« in nahezu allen Teilen der Gesell- halt nicht zu den besonders betroffenen sich zu vergewissern, »ob wir auf einem
schaft, von Wissenschaft und Bildung über Gebieten zählt. Der Bürgermeister begrün- guten Weg sind«, sagt er in einem Telefonat
Kultur bis Sport. Vor allem bedrohten die dete sein Vorgehen damit, dass Gefahr im am Mittwoch. Er sei aber Labormediziner,
Nebenwirkungen der Maßnahmen die Verzug sei. Er habe nicht schnell, sondern kein Virologe oder Epidemiologe.
Gesundheit und »sogar das Leben« von »verantwortungsbewusst« gehandelt, sagt Deshalb ist Tschentscher vorsichtig mit
Personen, die schutzbedürftigen Gruppen er. Einen Stab in Sachen Virus hatte er Prognosen, vor allem, wenn es um die ban-
angehören. schon am 28. Februar einberufen, noch ge Frage geht, wie lange das alles dauern
Dazu zählten Patienten, deren Behand- ehe überhaupt ein Corona-Fall in Halle soll, das öffentliche Leben im Isolations-
lung zugunsten von Corona-Patienten festgestellt worden war. betrieb, die Wirtschaft gedrosselt, die
ausgesetzt werde, Menschen, die auf Kin- Der Bürgermeister nutzte die Fachkom- Rechtspflege eingeschränkt, die Parlamen-
der- und Jugendhilfe oder Behinderten- petenz vor Ort und suchte unter anderem te in Notbesetzung. Während sein Kollege
einrichtungen angewiesen seien, oder die den Rat des in Halle lehrenden Virologen Stephan Weil aus Niedersachsen Mitte der
Bewohner von Pflegeheimen. Ebenso wie Alexander Kekulé, der mittlerweile bun- Woche schon vorsichtig Hoffnung ge-
Menschen, »denen Vereinsamung droht«, desweit bekannt geworden ist. Hat es ge- macht hatte auf eine schrittweise Rückkehr
und Frauen und Kinder, die von häuslicher holfen in Halle? Am Donnerstagmittag zum Alltag nach Ostern, sagt Tschentscher,
Gewalt bedroht sind. Außerdem fürchtet gab es 104 Coronafälle in der Stadt, Ten- »ob wir das können, wird sehr stark von
der Ethikrat »Wohlstandsverluste für jeder- denz steigend. 16 Infizierte waren in Kran- den Einschätzungen der Experten abhän-
mann« und einen »Zusammenbruch des kenhäusern, 3 wurden künstlich beatmet. gen«. Könne man die Verbote wirklich lo-
marktwirtschaftlichen Gesamtsystems«. Ob Halle den Kampf gegen das Virus ge- ckern, so müsse man das sehr vorsichtig
Er empfiehlt der Politik deshalb, fort- winnt, ist offen. »Die Zahlen lassen bisher tun. »Wir dürfen nicht riskieren, dass wir
laufend zu kontrollieren, ob die Maßnah- keine klaren Prognosen zu«, sagt Bürger- dann erneut in eine problematische Dyna-
men erforderlich und angemessen sind – meister Wiegand. mik der Epidemie kommen.«
und wann sie beendet werden können. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Ostern ist der Termin, an den sich der-
»Damit eng verknüpft ist das Postulat, der Tschentscher telefoniert in diesen Tagen zeit alle klammern. Bis mindestens dahin
Öffentlichkeit zu erläutern, wie und unter häufiger mit ehemaligen Kollegen, vor al- sind fast alle Schulen und Kitas im Land
welchen Voraussetzungen Wege zurück in lem vom Universitätsklinikum Hamburg- geschlossen. Auch Manuela Schwesig, Mi-
einen Zustand der Normalität beschritten Eppendorf (UKE), wo er zuletzt als Ober- nisterpräsidentin von Mecklenburg-Vor-
werden« können. arzt gearbeitet hat. Tschentscher ist der pommern, plant so. Was passiert nach
In seiner Stellungnahme warnt der einzige Landeschef mit Medizinstudium, Ostern? Sie habe »die Hoffnung, wie alle,
Ethikrat davor, die Entscheidung über das er hat über die »Immunchemische Unter- dass wir danach schrittweise wieder
weitere Vorgehen den Virologen und scheidung hochhomologer Proteinstruktu- lockern können, aber in Aussicht stellen
Epidemiologen allein zu überlassen. »Die ren« promoviert und versteht mutmaßlich kann ich das nicht, niemand kann das
aktuell zu klärenden Fragen berühren derzeit«. Kann man mit Hoffnung Politik
die gesamte Gesellschaft; sie dürfen nicht machen? Ja, sagt Schwesig, denn »Kämp-
an einzelne Personen oder Institutionen Beziffertes Risiko fen und Durchhalten kann man nur, wenn
delegiert werden«, heißt es. »Gerade Letalität bei Covid-19-Infizierten in man Hoffnung hat«.
schmerzhafte Entscheidungen« müssten Spanien nach Lebensalter Bayern greift in der Krise auf bewährte
von gewählten Volksvertretern getroffen Es sterben von allen Infizierten der Altersgruppe Mechanismen zurück: Man pocht auf die
werden. »Die Corona-Krise ist die Stunde eigenen Befugnisse im föderalen System
der demokratisch legitimierten Politik.« 0% 0 bis 9 Jahre und vertraut auf die Kompetenz der eige-
Die Welt fährt auf Sicht, das gilt jetzt nen Verwaltung. Das Land war früh betrof-
auf allen Ebenen. Die Weltgesundheits- 0,5 10 bis 19 Jahre fen, die Regierung von Ministerpräsident
organisation ist in der Pflicht, das globale Söder hatte schon im Januar mit den ersten
Große und Ganze im Blick zu behalten. In 0,3 20 bis 29 Jahre deutschen Corona-Fällen zu tun. Seither
Deutschland mühen sich Bundesministe- profiliert sich Söder als Macher, der dieser
rien und nachgeordnete Behörden um na- 0,1 30 bis 39 Jahre Tage gern betont, dass er in der Schule Ma-
tionale Antworten, und auch Landes- the-Leistungskurs gewählt hatte. Schul-
regierungen, Landräte, Bürgermeister fra- schließungen, Ausrufung des Katastrophen-
gen sich nach ihren Möglichkeiten im
0,3 40 bis 49 Jahre
falls, Ausgangsbeschränkungen, jedes Mal
Kampf gegen die Pandemie. Und derer gibt ging Bayern als Land voran. Dabei beruft
es viele im föderalen System Deutschlands. 0,6 50 bis 59 Jahre sich auch Söder auf die Empfehlungen von
Bernd Wiegand ist der parteilose Ober- Experten, auf das Robert Koch-Institut, das
bürgermeister von Halle an der Saale, den 2,2 60 bis 69 Jahre momentane Machtzentrum Deutschlands.
es wenig kümmerte, dass sich die Bundes- Ständig finden nun Telefonschalten
politik Mitte März noch gegen generelle 5,2 70 bis 79 Jahre statt, in denen sich Bundes- und Landes-
Schulschließungen aussprach. Er ließ per politiker austauschen. Thüringens Minis-
Allgemeinverfügung nicht nur die Schulen 17,9 80 Jahre und älter terpräsident Bodo Ramelow, der den
seiner Stadt schließen, sondern auch die Amtssitz in sein Ferienhaus am See verlegt
Kindertagesstätten, Horte, Theater, Oper, Basis: 18 959 Infizierte (davon 805 verstorben), Stand:
22. März, bestätigte Fälle; Quelle: Spanisches Gesundheits-
hat, erzählt von acht Telefonkonferenzen
Orchester und den Lehrbetrieb der Mar- ministerium allein am vergangenen Sonntag, zwei da-
von mit seinen Landesministern, eine mit wir es geschafft haben, die Infektionskurve Philipp Steinberg hat schon in normalen
dem Bundeskanzleramt. Ramelow hört zu verlangsamen, indem wir die Glocke Zeiten eine der wohl schwersten Aufgaben
auch die Ratschläge des in Sonneberg über uns stülpen, wäre das ein Teilerfolg.« im Bundeswirtschaftsministerium: Er soll
beheimateten Krankenhaushygienikers Danach müssten die Maßnahmen immer die Zukunft erraten. Der Chefökonom im
Klaus-Dieter Zastrow, aber, sagt Ramelow, wieder angepasst werden. Es müsse ein Bundeswirtschaftsministerium ist verant-
nicht jede Expertenempfehlung sei mach- kontrolliertes Auf und Ab der Infektionen wortlich für die Prognose, wie sich das
bar. Zastrow habe etwa empfohlen, dass geben, um die Bevölkerung zu immuni- Bruttoinlandsprodukt entwickelt. Die
am besten alle Menschen Masken tragen sieren und die Welle abzuflachen. Brock- klügsten Wirtschaftswissenschaftler des
sollten. Was soll Ramelow damit anfan- mann hat nicht den Eindruck, dass die Landes helfen ihm dabei, die sogenannten
gen? »Es gibt nicht mal genug Masken für Politik das Szenario bereits verstanden hat. Wirtschaftsweisen füttern ihn mit Zahlen.
das Klinikpersonal.« Es herrsche die falsche Idee vor, man kön- Auch für diesen April war er dabei, die
Ein Blick in den täglichen Lagebericht ne dieses Virus aussitzen wie einen Sturm, Zahlen zusammenzutragen, Zahlen, die
des Thüringer Krisenstabs zeigt das Di- der vorüberziehe. eigentlich ganz gut für das Land aussahen,
lemma. Die »Durchhaltefähigkeit« des Die Welt fährt auf Sicht, und die Sicht ein leichter Aufschwung war zu erwarten.
Rettungsdienstes und der notärztlichen ist schlecht. Dass am Ende des Tunnels ein Seit der Coronakrise reden die Fachleute
Versorgung betrage nur noch wenige Tage, Land liegt, das so aussieht wie vorher, glau- nicht mehr in Zahlen. Die wirtschaftliche
stand dort am Dienstag. Es fehle an per- ben viele schon heute nicht mehr. Gnaden- Zukunft wird jetzt mithilfe von Buch-
sönlicher Schutzausrüstung für die Helfer. los legt die Pandemie Schwächen offen, staben beschrieben, von denen jeder für
Im Saale-Holzland-Kreis könne es sein, die unbemerkt im Alltag vieler Länder ein anderes Szenario steht: V, U und L.
dass schon in zwei Tagen ein Ende der Ret- schlummerten. Im Englischen gibt es den Gemeint ist die Form von Kurven in ei-
tung drohe. Ausdruck vom »perfect storm«, dem per- nem Koordinatensystem, ein mathemati-
Ramelow hat Glück im Unglück. Am fekten Sturm, als Bild für eine Situation, sches Bild der Wirtschaftsentwicklung. L,
Flughafen Erfurt kamen Mitte der Woche in der sich alle Probleme auf einmal ballen. das wäre die Katastrophe: ein steiler Ab-
100 Tonnen Masken aus Russland an. Es Das Coronavirus hat einen solchen Sturm sturz und eine lang gezogene Flaute. Auch
gab Schwierigkeiten mit dem Zoll wegen entfacht. Zur Seuche kommt die Krise, die U bedeutete schlechte Aussichten. Der
der CE-Kennzeichnung, die die EU für be- aus der Reaktion auf sie erwächst. Umschwung am unteren Ende des Buch-
stimmte Produkte fordert. Ramelow fuhr Die Welt steht still, in diesem Bild liegt stabens ist zu übersetzen mit einer langen,
deshalb selbst zum Zoll, die Ladung wurde der reine Horror, der alle Akteure der Wirt- schmerzhaften Trendwende, ehe es wieder
am Ende freigegeben. Die Welt improvi- schaft gerade erfasst, die großen wie die nach oben geht mit der Wirtschaft.
siert. Alle fahren auf Sicht. kleinen. Fluggesellschaften, Hotelkonzer- Womöglich tritt das Best-Case-Szenario
Auch in Baden-Württemberg, wo Stefan ne, Restaurantketten kämpfen von heute ein, das V. Steiler Absturz, sofortiger Auf-
Brockmann so etwas wie der oberste Seu- auf morgen um ihr Überleben, der Welt- schwung. Mitglieder des Sachverständi-
chenarzt ist, Leiter des »Referats für Ge- Tourismusverband sprach diese Woche da- genrats haben Steinberg mitgeteilt, dass
sundheitsschutz und Epidemiologie« im von, dass 75 Millionen Jobs allein in dieser sie diese Möglichkeit für die wahrschein-
Stuttgarter Landesgesundheitsamt, gab es Branche bedroht seien. Autofabriken lie- liche halten. Aber das sehen nicht alle so.
bis Donnerstag mehr als 8000 Infizierte gen brach, in der Textilindustrie brechen Noch viel mehr als in normalen Zeiten gilt
und 76 Todesfälle, und Brockmann sagt: Lieferketten, es erwischt Taxifahrer, Kell- gerade der Spruch: Fragst du drei Ökono-
»Wir sind noch ganz am Anfang der Welle.« ner, Friseure, Kioskbesitzer. Bald werden men, bekommst du vier Antworten.
Frühestens an diesem Wochenende wer- ganze Volkswirtschaften in Schulden- Ihre Einschätzungen schwanken noch
de man sehen, ob die Maßnahmen der löcher blicken tiefer denn je. Wer behält extremer als sonst: Der Sachverständi-
Landesregierung erfolgreich seien: »Wenn den Überblick in diesem Sturm? Und wie? genrat der Bundesregierung rechnet mit
einem Minus von 5 Prozent beim Brutto- perten nur noch mit halbem Ohr zu hören. So sieht die Rechnung von Finanzminis-
inlandsprodukt, das Institut für Weltwirt- Die Stützungs- und Kreditprogramme ter Olaf Scholz und seinem Stab aus: Fal-
schaft in Kiel von minus 9 Prozent. Das mussten kommen, auch wenn keiner weiß, len mit dem Shutdown drei Monate lang
Ifo-Institut hat vor einem Wirtschafts- ob die Wirtschaft um 5 oder um 15 Prozent 20 Prozent der deutschen Wirtschaftsleis-
einbruch von bis zu 20 Prozent gewarnt. einbricht. Heißt das, die Regierung ent- tung aus, schrumpft das Sozialprodukt
Das käme einer ökonomischen Kern- scheidet eigentlich ins Blaue? »Nicht ins übers Jahr gerechnet um etwa fünf Prozent.
schmelze gleich, vergleichbar mit den Blaue«, sagt Wirtschaftsminister Altmaier. Gleicht der Staat zwei Drittel dieser Sum-
Krisen, die Ost- und Mitteleuropa nach »Die Kanzlerin würde sagen: Wir müssen me aus, muss er dafür rund 125 Milliarden
dem Zusammenbruch der Sowjetunion ins Offene entscheiden.« Euro einsetzen. Im Nachtragshaushalt, den
erlebt haben. Im Ministerium geht man davon aus, Finanzminister Olaf Scholz diese Woche
40 bis 50 Milliarden Euro koste der Still- dass die Wirtschaft die Schließungen eini- vorgelegt hat, ist vorsorglich ein Wirt-
stand von Industrie, Handel und Dienst- germaßen übersteht, wenn sie Ende April schaftsminus von sechs Prozent unterstellt.
leistungen jede Woche, rechnet das Ifo- wieder gelockert würden. Alles, was über Dadurch steigt der staatliche Finanzbedarf
Institut vor. Steigen diese Kosten noch, den April hinausginge, würde heftig, vor auf rund 156 Milliarden Euro.
wenn die Krise anhält? Schießen sie gar, allem wäre es unkalkulierbar, weil dafür Das klingt nach einer gewaltigen Sum-
wie die Zahlen der Corona-Infizierten, die Modelle der Ökonomen nichts taugen. me, ist aber im Maßstab einer großen
irgendwann exponentiell durch die Decke? »Man müsste wissen, wie weit das Virus Volkswirtschaft ein überschaubarer Betrag.
Könnte die Wirtschaft an einen Punkt in der Bevölkerung herum ist«, sagt Alt- Im Zuge der Finanzkrise wendete der deut-
kommen, wo sie derart gelähmt ist, dass maier. »Auch müsste man das regional wis- sche Staat ab 2009 mehr als 200 Mil-
sie gar nicht mehr hochkommt? Und was sen, um dann die Ausgangsbeschränkun- liarden Euro auf, um die Folgen der globa-
sagt es aus, dass die monatliche Umfrage gen wieder gezielt aufzuheben.« len Rezession abzufedern. Die Staatsver-
unter den Chefeinkäufern von 5000 euro- Im Bundesfinanzministerium haben die schuldung kletterte damals sprunghaft von
päischen Unternehmen am Dienstag den Beamten längst alles ausgewertet, was sie 65 Prozent auf 82 Prozent der Wirtschafts-
größten Absturz seit Bestehen des Index zur Ökonomie des Shutdowns finden leistung. Es war eine gewaltige Last, die
ausgewiesen hat? konnten, sprich: eines unerwarteten Ereig- sich dennoch als tragbar erwies. Sieben
Steinberg und seine Beamten bekom- nisses, das dazu zwingt, Teile der Wirt- Jahre später hatte der Staat den Schulden-
men auch andere Theorien präsentiert, schaft zeitweise lahmzulegen. Die Ergeb- berg aus der Finanzkrise bereits vollstän-
darunter eine, die man als Szenario der nisse sind, wenn die Krise länger als ein dig abgetragen.
»Gewöhnung« bezeichnen könnte: Dem- paar Wochen dauert, ernüchternd: Müs- Ob die Rechnung aufgeht, hängt von
nach lernen die Unternehmen, mit dem sen größere Teile der Wirtschaft für zwei einer Reihe von Fragen ab, auf die derzeit
Shutdown zu leben. Autounternehmen oder drei Monate abgeschaltet werden, niemand eine verlässliche Antwort geben
könnten ihre Produktion so organisieren, können viele Unternehmen die Verluste kann. Sind die Corona-Schäden größer als
dass die Arbeiter genügend Abstand zum nicht mehr wegstecken. Dann müsste der unterstellt? Weil die Pandemie mehr Lie-
anderen halten. Auch die Lieferketten Staat für einen Teil der laufenden Kosten ferungen und Transporte unterbricht als
könnten trotz aller Widrigkeiten organi- geradestehen, um möglichst viele Betriebe bislang gedacht? Muss der Shutdown zum
siert werden. Aber wer glaubt daran? vor der Pleite zu bewahren. Sonst nämlich Schutz der Schwerkranken in den Kliniken
Im Wirtschaftsministerium ist man dazu kann die Wirtschaft nach dem Ende der wiederholt werden, vielleicht sogar mehr-
übergegangen, auf die Kakofonie der Ex- Pandemie nicht wieder durchstarten. fach? Und was ist, wenn der Produktions-
ausfall zu einer Finanz- und Bankenkrise
führt, die Eurostaaten wie Italien oder Spa-
nien in den Abgrund reißt? Muss Deutsch-
land dann zusätzlich für die Währungs-
union haften?
Der Mann, der Antworten auf solche
Fragen haben müsste, steht am Dienstag
in einer Einkaufsstraße am Prenzlauer
Berg in Berlin. Es ist früher Abend, es ist
das erste Mal seit Tagen, dass Wolfgang
Schmidt nicht bis Mitternacht im Büro
sitzt, sondern ein paar Stunden mit seiner
Familie verbringen kann. Wo sonst das
bunte Leben eines gut situierten Szene-
viertels spielt, sieht es nun genauso tot aus
wie im Rest der Republik. Die Geschäfte:
geschlossen, die Straßen: leer gefegt.
Schmidt ist Staatssekretär im Finanz-
BERND VON JUTRCZENKA / DPA
15
des Bundes aus Krediten und Garantien
erleichterte Bewilligung erweiterte summiert sich auf bis zu 1,8 Billionen Euro.
eines Kinderzuschlags Regelungen Es hat ein solches Programm in Deutsch-
Teure Aktion für Kurzarbeit land noch nie gegeben. Der Staat hat die
Hartz-IV: Entfall der Geplante
in Unternehmen Wirtschaft praktisch auf die Intensivstation
Prüfung von Vermögen Rettungsmaßnahmen verlegt. In Tausenden Betrieben werden die
und Miethöhe für ein der Bundesregierung gelockertes Löhne künftig teilweise vom Staat über-
halbes Jahr in Höhe von Insolvenzrecht
nommen. Branchen wie der Tourismus oder
rund 750 Mrd. € der Flugverkehr werden mit öffentlichen
Kündigungs- Krediten über Wasser gehalten. Und in Be-
schutz für trieben, die besonders hart getroffen sind,
Mieter soll der Staat zumindest vorübergehend als
Eigentümer einsteigen. Die Frage ist nur, ob
die Maßnahmen ausreichen und wie lange
mindestens Großunternehmen die Wirtschaft – und der Staat – das durch-
3 Mrd. € halten können. Wochen? Monate?
Liquiditätshilfen durch
An Scholz’ Programm wird sich dann
Unterstützung für Sonderkreditprogramm 100 entscheiden, wie das Land auf Corona zu-
Krankenhäuser der Förderbank KfW Mrd. € rückblickt. Hat der Staat gut und gerecht
und großzügig agiert? Waren die 1,8 Bil-
mögliche lionen gut angelegt oder hinausgeworfenes
Kleine Firmen und Unternehmens- 100 400 Mrd. € Geld? Haben wirklich auch die kleinen
Soloselbstständige beteiligungen Mrd. € Kredit- Betriebe profitiert? Wurde, was in der
50 direkte Zuschüsse durch den Staat garantien Makroökonomie zu Kurven und Modellen
Mrd. € von bis zu 15 000 Euro und Billionen gerinnt, die millionenfache
für Firmen
über drei Monate existenzielle Krise realer normaler Leute
verhindert?
Julian Müller wird dereinst bezeugen
hatte. Die Flüchtlingskrise 2015, bei der runter die Institutschefs Clemens Fuest, können, ob es geklappt hat. Oder ob es
Scholz als Hamburger Bürgermeister die Gabriel Felbermayr und Marcel Fratzscher. scheiterte. »Vier bis sechs Wochen«, sagt
Interessen der SPD-Länder vertrat. Die Runde war sich schnell einig. Die Maß- Müller, er ist Geschäftsführer der eBuch-Ge-
Nun ist er als zuständiger Spitzenbeam- nahmen der Regierung gingen zwar in die nossenschaft, länger halte sein Unterneh-
ter des Scholz-Ministeriums einer der richtige Richtung, so argumentierten die men den Shutdown nicht durch. Er klingt
wichtigsten Krisenmanager der Regierung. Professoren, aber sie reichten bei Weitem dabei, als könne er das selbst nicht glauben.
Er steuert die Arbeit an den milliarden- nicht aus. Die geplanten Liquiditätshilfen Mit jedem Tag fehle mehr Geld in der Kasse.
schweren Staatshilfen, die sein Chef in die- könnten sich als »unzureichend erweisen«, Seit Mittwoch voriger Woche ist es schon
ser Woche auf den Weg gebracht hat. Und hieß es auch in einem Papier der Professo- ein niedriger siebenstelliger Betrag.
er hält den Kontakt zu Kanzleramtschef ren. Sie müssten durch Steuersenkungen Müllers Buchhandelsdienstleister in
Helge Braun, der die Krisenprogramme und als Ultima Ratio einen Rettungsfonds Heidelberg hat 25 Mitarbeiter. Sie belie-
mit den Ministerpräsidenten der Länder für Unternehmen ergänzt werden. Kurz fern 800 inhabergeführte Buchhandlun-
koordiniert. darauf entschieden Kanzlerin Merkel und gen im ganzen Land, zudem betreibt er
Schmidt hat schon viele hektische Re- die Ministerpräsidenten, die Republik in mit zwei Partnern einige Buchläden. Er ist
gierungsphasen erlebt, doch die Corona- Quarantäne zu schicken. Da wurde auch ein Buchenthusiast. Seit den Anfängen vor
krise ist auch für ihn eine neue Erfahrung. den Fachleuten in Schmidts Ministerium 20 Jahren ist das Unternehmen organisch
Er spricht von »unzähligen Brandherden«, klar, dass die Regierung ihr Paket noch ein- gewachsen. »Noch vor drei Wochen hätte
weil »viele Sektoren gleichzeitig betroffen« mal aufstocken musste, und zwar kräftig. ich mir nicht vorstellen können, dass wir
seien. Und obendrein müsse Berlin »im- Kleinunternehmen und Selbstständige sol- jemals um unsere Existenz kämpfen müs-
mer an Europa denken«. Vom Vorwurf, len nun direkte Zuschüsse und nicht nur sen«, sagt Müller. Im Gegenteil: eBuch
die Regierung habe das Virus unterschätzt, Kredite erhalten. plante eine Party mit 800 Gästen zum 20-
will Schmidt nichts wissen. Das wahre Pro- Die Regierung legt einen Fonds auf, um jährigen Bestehen rund um die Hauptver-
blem sei ein anderes. »Die Pandemie ent- sich zur Not an coronageschädigten Groß- sammlung im Mai.
wickelt sich exponentiell, aber alle denken unternehmen zu beteiligen. Und sie macht Der erste Einschlag kam Anfang März
linear.« den Weg für Minijobber und Freiberufler mit der Absage der Leipziger Buchmesse.
Anfang März brachte die Bundesregie- frei, ohne große Vermögensprüfung So- Der Stand war gebucht, die Broschüren
rung ihr erstes Hilfspaket für die Wirt- zialhilfe zu beantragen. Man könnte es gedruckt, der Standbauer schon engagiert.
schaft auf den Weg. Um mögliche Coro- auch so ausdrücken: Auf einen Schlag hat Der Ausfall war für die gesamte Buchbran-
na-Schäden auszugleichen, sollten betrof- die Regierung ein bedingungsloses Grund- che ein schmerzlicher Dämpfer, aber noch
fene Firmen leichter Kurzarbeitergeld be- einkommen eingeführt, zeitlich befristet keine Katastrophe. Die Krise verschärfte
kommen und in großem Stil Kredithilfen zumindest. sich dramatisch, als am Montag voriger
beantragen können. Von einem starken Noch ein zweiter Gedanke leitete die Woche die Einschränkungen für Geschäfte
Paket war die Rede, doch nur wenige Tage Regierung: Um die Bürger und die Finanz- bekannt gegeben wurden. Und kurz da-
später war klar, dass die eilig zusammen- märkte zu beruhigen, musste das Pro- nach die Aufforderung der Kanzlerin, mög-
getragenen Programmpunkte bestenfalls gramm die nötige Wucht entfalten. »Wäh- lichst zu Hause zu bleiben.
ein Anfang waren. rend der Eurokrise haben wir erlebt, wie Den Hunderten Buchhändlern der Ge-
Schmidt lud eine Runde prominenter es ist, wenn man sich als Regierung per- nossenschaft seien seit jenem schwarzen
Ökonomen ins Ministerium ein, um über manent hinter der Welle befindet«, sagt Mittwoch vor zehn Tagen 95 Prozent des
die zugespitzte Krisenlage zu beraten, da- Schmidt. Das jetzt verabschiedete Paket Umsatzes weggebrochen. Im eBuch-Zen-
29.760 Euro pro Jahr – das geben wir Deutschen laut Berechnungen des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung 2016 im Schnitt für unsere
Lebenshaltungskosten aus. In der Großstadt kann das schnell auch mal
mehr sein. Dabei ist es erst mal gar nicht so entscheidend wie viel Sie
ausgeben, sondern was Sie zurücklegen. Wie viel bleibt dafür noch übrig?
Was machen Sie damit am besten? Und wie sorgen Sie für morgen vor?
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Coronakrise
E
Sicht fahren müssen. s ist ein Großversuch, wie es noch gonnen. Alles hört jetzt auf die Wissen-
Benjamin Bidder, Felix Bohr, Anna Clauß, keinen gegeben hat: Ganz Deutsch- schaft, auf Virologen und Seuchenforscher.
Jürgen Dahlkamp, Ullrich Fichtner, land wehrt sich gegen ein Virus. Ihre Maxime: die Kurve der Ansteckungen
Jan Friedmann, Annette Großbongardt, Beteiligt sind 80 Millionen Pro- flach halten. Nur wenn nicht allzu viele
Martin Knobbe, Marcel Rosenbach, banden, einige Zehntausend haben sich Menschen gleichzeitig krank werden, rei-
Michael Sauga, Cornelia Schmergal, angesteckt, die Zahl der Toten stieg auf chen die verfügbaren Intensivbetten für
Thomas Schulz, Gerald Traufetter,
mehr als 200. die schweren Fälle aus.
Steffen Winter
Mit dem Herunterfahren des öffent- Aber wie viele Infektionen werden ver-
lichen Lebens hat die nächste Runde be- hindert, wenn man die Schulen zusperrt?
schiedener Größe, orientiert an den Daten an. Das bedeutet, dass bereits eine Suche,
der letzten Volkszählung in Großbritan- die sich aufs engere Umfeld beschränkt,
nien. Auch die Bewohner entsprechen in viel bewirken könnte.
ihrer Altersstruktur in etwa dem Zensus. In Südkorea klappern Helfer systema-
So eine Modellwelt erlaubt es, die Aus- tisch die Kontakte der Erkrankten ab, ge-
breitung einer Epidemie zu studieren. Vor stützt auch auf Daten der Handyortung.
allem aber lassen sich diverse Mittel des Zugleich testet das Land so hartnäckig auf
Was hilft es, die Grenzen zu schließen? Nie- Eindämmens durchspielen: Genügt es, nur Viren wie kein zweites. So gelang es ohne
mand kann das sagen. Vollends ungewiss die besonders anfälligen Menschen älter Shutdown, die Zahl der Todesopfer nied-
ist der Zusatznutzen harter Ausgangssper- als 70 Jahre zu isolieren? Und was bringt rig zu halten – jedenfalls vorläufig.
ren mit Hausarrest, wie sie etwa Italien es, zusätzlich die Schulen zu schließen? Der amerikanische Epidemiologe Tre-
oder Spanien in der Not erlassen haben. Das Ergebnis war ernüchternd. Halb- vor Bedford glaubt, dass sich die Pandemie
Da es an Wissen über den Gegenspieler herzigkeit nützt offenbar wenig, Erfolg ver- nach dem Vorbild von Südkorea auch an-
fehlt, bleibt der Politik in der Eile nur das spricht nur das komplette Arsenal der Ge- derswo unter Kontrolle bringen ließe.
Experimentieren. In den nächsten Wochen genwehr – einschließlich eines Abstands- Zusätzlich rät er, so viele Menschen wie
gilt es, die Folgen zu beobachten und, gebots für die ganze Gesellschaft. Andern- möglich auf Antikörper gegen Sars-CoV-2
wenn nötig, nachzusteuern. Aber eher frü- falls würde das Virus sich immer noch so im Blut zu testen. Diese Methode schlägt
her als später wird die Frage laut werden, stark vermehren, dass ein Großteil der zwar erst mehrere Tage nach der Infektion
wie lange so ein Ausnahmezustand andau- Schwerkranken kaum versorgt werden an, zum frühen Aufspüren des Virus ist sie
ern kann. Und vor allem: Wie geht es dann könnte. In Großbritannien wären dann also nicht geeignet. Aber mit ihrer Hilfe
weiter? über 250 000 Tote zu befürchten, in den können Menschen gefunden werden, die
Immerhin, in China wird das strenge USA mehr als eine Million. eine Ansteckung bereits überstanden ha-
Seuchenregime inzwischen vorsichtig ge- Mit Deutschland haben die Forscher ben, ohne es zu bemerken. Sie dürfen
lockert – in der Hoffnung, dass die Zahl sich nicht beschäftigt. Aber auch hierzu- dann als immun gelten.
der Infektionen nicht gleich wieder steigt. lande, wo es vergleichsweise viele Inten- Das hat zwei Vorteile: Die Forscher fän-
Optimisten glauben, es könne tatsäch- sivbetten gibt, wären nach dieser Kalkula- den heraus, wie weit das Virus bisher un-
lich im ersten Anlauf schon gelingen, die tion die Kapazitäten wohl rasch erschöpft. erkannt herumgekommen ist; der Grad
Ausbreitung von Covid-19 beinahe zu Ein radikaler Shutdown ist allerdings der Durchseuchung ist eine der wichtigs-
stoppen; bei einer niedrigen Zahl von Infi- nicht unbegrenzt durchzuhalten. Ferguson ten offenen Fragen. Und man bekäme eine
zierten lasse sich das Virus womöglich auf rät deshalb, die Abwehr zwischendurch wachsende Schar von Menschen mit Su-
Dauer unter Kontrolle halten. kurzzeitig zu lockern, bis die Ansteckungs- perkräften gegen das Virus. Sie werden
19
Coronakrise
nicht mehr krank, und sie stecken nieman- niert das Projekt. Noch ist es nicht end- ist der Unterschied verblüffend. Wie kann
den an – ideal für den freiwilligen Einsatz gültig bewilligt, aber Krause hofft, dass ab das sein?
in Kliniken oder bei Menschen, die mit April das Blut von mehr als 100 000 Pro- Hendrik Streeck, Direktor des Instituts
einem erhöhten Risiko leben müssen. banden untersucht werden kann. Auch der für Virologie an der Uni Bonn, äußerte
Bedford leugnet nicht, dass sein Plan Berliner Virologe Christian Drosten ist mit schon früh den Verdacht, dass die tatsäch-
viel Arbeit erfordert, während der Erfolg von der Partie. liche Rate in Italien viel niedriger ausfällt.
keineswegs gewiss ist. »Das ist das ›Apol- Der Test soll in regelmäßigen Abstän- »Ich vermute, dass es dort eine immense
lo‹-Programm unserer Tage«, schreibt er. den wiederholt werden, um das Fortschrei- Dunkelziffer an unentdeckten Infektionen
Eines bleibt, bei allen Kontroversen, ten der Pandemie zu überwachen. Die For- gibt«, sagt er. »Es werden ja nur Patienten
unter Fachleuten so gut wie unbestritten: scher wollen so herausfinden, wie weit sich getestet, die mit schwerem Verlauf in die
Es gilt jetzt, das Virus möglichst deutlich Sars-CoV-2 schon ausgebreitet hat und wie Klinik kommen. Von denen sterben dann
abzubremsen, die Zahl neuer Ansteckun- viele infizierte Menschen es tatsächlich auch überproportional viele.« Wenn das
gen gegen null zu bringen, allein schon um tötet. Das erleichtert die Entscheidung, stimmt, hätte Italien den Gipfel des Elends
Zeit zu gewinnen. Umso fraglicher ist je- wann man wieder Schulen öffnen und in absehbarer Zeit überschritten.
doch, wie es danach weitergehen soll. Großveranstaltungen erlauben kann. Läuft Ist es nun angemessen, bei so unsicherer
Es gibt, stark vereinfacht, zwei Szena- alles nach Plan, können erste Ergebnisse Datenlage das öffentliche Leben vollstän-
rien. Nummer eins: Man lässt die Abwehr Ende April vorliegen. dig herunterzufahren? Der Epidemiologe
etwas schleifen, solange die Intensivbetten Die derzeit verfügbaren Tests schlagen John Ioannidis von der Stanford Univer-
einigermaßen hinreichen. Viele Menschen allerdings manchmal auch bei harmlosen sity sieht in den rigorosen Maßnahmen
»eine blinde Gegenwehr, wie sie eher für
die Medizin des Mittelalters typisch ist«.
angenommener Zeitraum für Mit Geduld zum Sieg Freilich wüsste auch er für den Anfang
Seuchenschutzmaßnahmen Mögliche Szenarien keine Alternative. Seiner Ansicht nach
zum Verlauf der Pandemie muss aber dringend geklärt werden, wie
extrem Verlauf bei
schematische Darstellung
gefährlich Covid-19 überhaupt ist. Am
hoch Verzicht auf besten ginge das, indem man eine reprä-
Maßnahmen sentative Zufallsauswahl der Bevölkerung
über längere Zeit beobachtet. Denkbar
bei Anwendung sei sogar immer noch, dass das Virus am
strenger Ende nicht viel verheerender auftritt als
Maßnahmen eine schlimme Grippe. Aber erst wenn es
Isolation von Infizierten, Einer Prognose des darüber Gewissheit gebe, lasse sich die
Zahl der häusliche Quarantäne, Londoner Imperial Gegenwehr angemessen dosieren – bis
Infizierten strenge Kontakt- und College zufolge kann dann endlich ein Impfstoff bereitsteht.
Abstandsregeln u. a. die Pandemie jedoch Die Wissenschaft verausgabt sich jetzt
nach Aufhebung von an vielen Fronten gleichzeitig. Sie betreibt
Seuche klingt Beschränkungen gerade erst Grundlagenforschung am
Kapazitätsgrenze des bei Aufspüren zurückkehren. Virus, soll aber möglichst übermorgen
Gesundheitssystems der restlichen schon einen anwendungsreifen Impfstoff
Infizierten liefern. Das ist, keine Frage, eine enorme
ab. Aufgabe. Holden Thorp, der Chefredak-
niedrig teur des Fachmagazins »Science«, hält es
keineswegs für ausgemacht, dass sie in
2021 absehbarer Zeit zu bewältigen ist. Er ver-
März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. Febr. März gleicht die Herausforderung mit der Repa-
ratur eines Flugzeugs während des Flugs.
»Oder vielmehr mit der Reparatur eines
werden krank, aber nach überstandener In- Coronaviren an, gegen die 90 Prozent Flugzeugs, das bereits fliegt, während noch
fektion sind auch immer mehr immun. Sze- der Erwachsenen Antikörper in sich sein Bauplan gezeichnet wird.«
nario zwei: Man hindert das Virus mit allen tragen. Auf ein genaueres Testverfahren Das große Experiment gegen die Pan-
Mitteln an der Verbreitung. Kaum jemand hoffen die Forscher in zwei bis drei demie dürfte jedenfalls nur dann glimpf-
wird mehr krank, aber mit der Immunität Monaten. Dann ließe sich verlässlicher lich ausgehen, wenn bei Bedarf jederzeit
geht es ebenfalls nicht voran. Bei erster ermitteln, ob jemand noch durch Sars- der Kurs korrigiert werden kann. Aus Sicht
Gelegenheit fände das Virus wieder reiche CoV-2 gefährdet ist und andere anstecken der Wissenschaft sollte es also möglichst
Beute, man dürfte mit dem Verfolgungseifer kann – oder nicht. »Den Immunen könn- kontrolliert und übersichtlich ablaufen,
nicht nachlassen. Das ist ein Dilemma, aus te man eine Art Impfpass ausstellen, der sonst wird niemand klug daraus.
dem es vorläufig keinen Ausweg gibt. Um es ihnen zum Beispiel erlaubt, von Ein- Der Bonner Virologe Streeck war von
die Lage abzuschätzen, müsste man wissen, schränkungen ihrer Tätigkeit ausgenom- dem Durcheinander der Verordnungen
wie viele Menschen unbemerkt bereits men zu werden«, sagt der Epidemiologe zuletzt nicht begeistert. Er hätte es auch
immun sind. Fachleute glauben: ein Mehr- Krause. vorgezogen abzuwarten, wie weit man
faches der registrierten Fälle. Solche Bluttests könnten auch das Rät- ohne Shutdown gekommen wäre. »Wenn
Gewissheit kann nur ein Massentest auf sel der vielen Todesopfer in Italien klären. jeden Tag neue Maßnahmen beschlossen
Antikörper im Blut bringen – in Deutsch- Von den bestätigten Coronafällen sterben werden«, sagt der Forscher, »dann sehen
land ist ein solcher in Vorbereitung. Gérard dort rund zehn Prozent, in Deutschland wir nie, was nützlich ist und was nicht.«
Krause, Leiter der Abteilung für Epidemio- bislang weniger als ein Prozent. Selbst Manfred Dworschak, Veronika
logie am Helmholtz-Zentrum für Infekti- wenn man die Überlastung der Kranken- Hackenbroch, René Pfister
onsforschung in Braunschweig, koordi- häuser in Norditalien in Rechnung stellt,
Dell.de/XPS
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(zum Nulltarif aus dem dt. Fest- und Mobilfunknetz). tolles Design - alles in Einem mit Windows 10.
Deutschland
Polizei im Offline-Modus
Sicherheit Ermittler sind nur mangelhaft für Telearbeit ausgerüstet.
G Die deutsche Polizei ist auf die ein Drittel der LKA-Beamten diese Gerä- selt wird alle 14 Tage. »Die Polizei muss
Coronakrise schlecht vorbereitet. Eine te nutzen, in Baden-Württemberg gibt es unbedingt handlungsfähig bleiben«, sagt
Umfrage des SPIEGEL ergab, dass 228 LKA-Notebooks für 800 Polizisten. Nordrhein-Westfalens Landesvorsitzen-
kaum ein Landeskriminalamt Vorsorge »Die jahrelangen Versäumnisse bei der der der Deutschen Polizeigewerkschaft,
getroffen hat, seine Beamten in großer IT-Infrastruktur werden uns in der Krise Erich Rettinghaus. »Homeoffice kann für
Zahl von zu Hause aus arbeiten zu lassen. zum Verhängnis«, sagt Jan Reinecke vom viele von uns, die auf der Straße arbeiten,
Sogenannte Telearbeitsplätze sind dort Bund Deutscher Kriminalbeamter. Auch keine Lösung sein.«
noch immer selten. In Bremen haben im Bundesinnenministerium brach zeit- Womöglich bleibt die Lage auch nicht
18 LKA-Mitarbeiter diese Möglichkeit, in weise das Telefonnetz zusammen, Daten- so ruhig wie bisher. In einer vertraulichen
Niedersachsen sind es 45 und in Baden- server waren überlastet. Analyse heißt es: Je länger die Pandemie
Württemberg 42. In den Behörden arbei- In Köln etwa arbeiten die Beamten in dauere, desto größer werde die »psy-
ten jedoch Hunderte Ermittler. Selbst Schichten: Die eine Hälfte schiebt Dienst, chische Belastung« der Bevölkerung. Die-
Laptops sind in den meisten Behörden die andere bleibt zu Hause in Bereit- ser Stress könne sich in Gewalt entladen –
Mangelware. In Niedersachsen kann nur schaft – und hoffentlich gesund. Gewech- auch gegen Einsatzkräfte. AUL, JDL, JPZ, SMS
che jedoch teilweise verwirkt, Aber es gab auch andere Töne. Was jetzt zähle, sei der ge-
sollten die Hohenzollern einst sellschaftliche Zusammenhalt, sagte Alexander Gauland im
dem Nationalsozialismus Deutschen Bundestag. Das klang fast putzig aus dem Munde
»erheblich Vorschub« geleistet eines Mannes, dessen Partei bislang alles dafür getan hat, den
haben, was Prinz von Preu- Zusammenhalt zu sprengen. Aber vielleicht war es auch ein
ßen bestreitet. Sein Anwalt erster Anflug von Einsicht. Man wird ja noch träumen dürfen.
hat auf eine Anfrage zu
den Vorwürfen Edelmans An dieser Stelle schreiben Markus Feldenkirchen und Alexander
Prinz von Preußen nicht reagiert. KLW Neubacher im Wechsel.
23
So gesehen Chappattes Welt
Merkel daheim
Die ferngesteuerte Regierung
G So, wo muss ich da jetzt, ah ja (klick),
nein, was hab ich denn jetzt gemacht …
Joachim? Joachim?! Wo ist denn der
Zettel, den mir der Seibert … der mit
der Anleitung für die Videokonferenz …
ah, da … also … öffnen (klick), neue
Konferenz starten (klick), Teilnehmer
hinzufügen … (klick, klick, klick).
Moment, den nicht … Was macht
denn der Söder da? Du, Markus, war
ein Versehen, hab mich verklickt …
Nein, warte bitte, bis wir das gemein-
sam … Ach, hast du schon. Aha. Aha.
Find ich ehrlich gesagt nicht so … Aha.
Na gut. Ja, später … See you … (es
klingelt). Joachim?! Die Tü-hür! Was?
Ach so. Aber nicht alles verbrauchen,
wir haben nur noch drei Rollen, und
der Seibert kommt erst wieder am
Dienstag … Ja, ich mach auf … Ah,
guten Tag, stellen Sie es ab. Ich möchte Migration hatte der türkische Präsident Recep Tayyip
mich bedanken, dass Sie den Laden Türkische Provokateure Erdoğan verkündet, die Grenzen in die
am … Ach so, gar nicht für mich. Für EU stünden offen. Tausende Migranten
Krause. Ja, kann ich annehmen. Für G Der Bundesnachrichtendienst (BND) versuchten, nach Griechenland zu gelan-
Kasupke auch noch? Aber der ist doch hat Hinweise, dass die Türkei die Aus- gen. Einige warfen Steine auf Grenzbeam-
zu Hause, ich höre schreitungen an der griechischen Grenze te und versuchten, Zäune zu überwinden.
»Du, Markus, den den ganzen
Tag herumstamp-
vor vier Wochen absichtlich angefacht
haben könnte. Demnach hätten türkische
Die griechische Polizei setzte Tränengas
ein. Wegen der Corona-Epidemie hat
war ein fen … Die müssten Behörden Flüchtlinge in Busse gezwun- Erdoğan die Grenze inzwischen wieder
Versehen, eigentlich alle da gen und sie ins Grenzgebiet gefahren. geschlossen. In der griechischen Regie-
hab mich sein, hab denen Unter die Menschenmenge sollen sich rung bestand früh der Verdacht, dass tür-
doch ausdrücklich auch staatliche Kräfte gemischt haben, kische Kräfte den Konflikt befeuert hat-
verklickt …« gesagt … Na gut, die die Krawalle an den Zäunen befeuert ten. Sicherheitsbeamte, die an der Gren-
ja, machen Sie’s hätten, so die Erkenntnisse des Auslands- ze im Einsatz waren, berichteten dem
gut … So, jetzt aber … Also … Joachim? geheimdienstes. Von deutschen Behörden SPIEGEL, dass sich unter den Flüchtlin-
Hast du hier was verstellt? Ich versuche mit den Vorgängen konfrontiert, bestrit- gen Türken befunden hätten. Manche der
zu arbeiten, da kannst du nicht deine ten Vertreter des türkischen Sicherheits- Männer hätten selbst Steine geworfen
Baumarktbestellung … (ein Videoanruf apparats eine Beteiligung. Der BND äu- oder den Migranten geholfen, Grenzzäu-
bimmelt). Oh Gott, jetzt auch noch der ßerte sich auf Anfrage nicht. Ende Februar ne durchzuschneiden. FIS, GEC, MBA, WOW
Trump … Wie ging das gleich … Kamera
deaktivieren … (klick, klick) … (mit ver-
stellter Stimme) You have reached the
bureau of Angela Merkel. Please leave Infrastruktur halten sich an den digitalen Waffenstill-
a message after the beep … Piiiep! … stand: In Frankreich und Tschechien
(klick) … hehe … So, jetzt aber … (klick,
Warnung vor Hackern gab es bereits Attacken auf Kliniken, auch
klick). Hallo? Pizzeria Primavera? Gut. G In den Sicherheitsbehörden herrscht die Weltgesundheitsorganisation WHO
Hier Merkel. Sie kennen mich. Wir hät- Sorge vor Cyberattacken auf Kranken- geriet ins Visier von Hackern. In Deutsch-
ten gerne eine Tonno und eine Margheri- häuser und andere wichtige Einrichtun- land soll es zumindest einen Versuch ge-
ta mit extra Käse … Was? 50 Minuten? gen wie Energieversorger. Die Auswirkun- geben haben, eine Gesundheitseinrich-
Also, das sage ich Ihnen: Lange kann das gen solcher Angriffe wären derzeit »noch tung mit der Androhung eines Angriffs zu
so nicht weitergehen. Stefan Kuzmany gravierender« als sonst, warnen Krimina- erpressen. Das Bundesamt für Sicherheit
listen von Bund und Ländern in einem in der Informationstechnik drängt system-
vertraulichen Bericht. In der Vergangen- relevante Unternehmen, ihre IT-Schutz-
heit haben Hacker bereits mehrfach die maßnahmen zu verschärfen. Für Her-
IT von Kliniken lahmgelegt, um Lösegeld steller von Medizinprodukten, Pharma-
zu erpressen. Laut dem Behördenpapier firmen und Forschungseinrichtungen
hätten einzelne Cyberkriminelle zwar bestehe »ein erhöhtes Bedrohungsrisiko«.
öffentlich behauptet, ihre Angriffe auf Auch die Netze des Robert Koch-Instituts
medizinische Einrichtungen während der sollen besser gegen Angriffe abgesichert
Epidemie auszusetzen. Doch nicht alle werden. JDL, WOW
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Coronakrise
M
anche werden freier in diesen sich aus Gesprächen mit vielen Beteiligten Sonntag, 22. März
Zeiten der begrenzten Frei- ergibt. In einer Telefonschalte von Altmaier,
heit. Zum Beispiel Bundes- Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und
wirtschaftsminister Peter Alt- Samstag, 21. März Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus
maier (CDU). Am Mittwoch fährt er mit 20.30 Uhr. Altmaier eröffnet eine Telefon- wird heftig diskutiert. Brinkhaus kritisiert
seinem Audi A8 durch das Regierungsvier- konferenz mit den Wirtschaftspolitikern Scholz, und damit auch Altmaier, für den
tel, aber nicht wie sonst auf dem Rücksitz, der Großen Koalition und der Opposition. Stabilisierungsfonds, über den sich der
sondern am Steuer. »Das mache ich aus »Ist die AfD auch da?«, dröhnt er in die Staat an taumelnden Unternehmen betei-
Gründen des Infektionsschutzes«, sagt er Leitung. ligen kann. Ein schwerer Eingriff in die
und hat sichtlich Freude am Fahren, hat lan- Das Hilfspaket ist weitgehend fertig, der Marktwirtschaft, zu schwer, finden Teile
ge darauf verzichten müssen. Ein Minister Entwurf wurde an die Parlamentarier ver- der Union. Der Kompromiss: Ein intermi-
soll die schwere Dienstlimousine aus Sicher- schickt. Finanz- und Wirtschaftsministe- nisterielles Gremium müsse darüber wa-
heitsgründen normalerweise nicht lenken. rium haben seit Tagen intensiv daran ge- chen, dass der Staat nicht auf breiter Front
Doch nun geht es um einen anderen arbeitet, zuletzt noch »in einer praktisch bei den Unternehmen einsteigen kann.
Sicherheitsbegriff, eine andere Bedrohung. endlosen Abfolge von Telefonkonferen- 20 Uhr, Bundeskanzlerin Angela Mer-
Ein Chauffeur könnte ansteckend sein zen«, wie Altmaier sagt. Milliardenhilfen kel berät mit den wichtigsten Ministern
oder angesteckt werden. Das wirkt offen- für Unternehmen, für Künstler, auch für und allen Fraktionsvorsitzenden im Bun-
bar derzeit bedrohlicher als Terror. Eltern, die wegen fehlender Kinderbetreu- destag die geplanten Gesetze. Sie ist seit
Neue Zeiten, auch und gerade für die ung zu Hause bleiben müssen. All das sum- heute in Quarantäne zu Hause, weil sie
Politik. Das Coronavirus zwingt zu gro- miert sich auf unvorstellbare 1,8 Billionen Kontakt zu einem infizierten Arzt hatte.
ßem Denken, großem Handeln und vor al- Euro. Die Schuldenbremse ist passé. Zu- Das Lagezentrum des Kanzleramts schal-
lem zu Tempo. Es verbreitet sich rasend dem wird der seuchenrechtliche Notfall tet die Runde zusammen – ganz altmo-
schnell, also muss auch die Politik schnell gesetzlich geregelt, mit tief greifenden Ein- disch über Telefon.
sein, um die Gesundheit der Bürger zu schnitten für das Leben aller Bürger. Merkel sagt Danke, dass alle so kurz-
schützen und den Absturz der Wirtschaft fristig bereit gewesen seien, dann stellen
aufzuhalten. Scholz und Gesundheitsminister Jens
Aber Demokratie ist in normalen Zeiten
eher langsam. Viele Interessen sind zu bün-
Das geht zu weit, Spahn (CDU) ihre Gesetzentwürfe vor.
Anschließend kommen die Vorsitzenden
deln, gegeneinander abzuwägen und in
einem langen Verfahren auf Mehrheits-
findet die Opposition, der Fraktionen zu Wort.
Alexander Gauland und Alice Weidel
fähigkeit zu trimmen. Und es ist geradezu
ein Daseinszweck der Oppositionsfraktio-
zu viel Macht sind für die AfD in der Leitung, bedanken
sich bei Merkel und haben keine Fragen.
nen, Sand ins Getriebe zu werfen, Beden- für die Exekutive. FDP-Chef Christian Lindner trägt, auch
ken anzumelden, Durchregieren zu ver- im Namen von Grünen und Linken, große
hindern, damit die Minderheiten, die sie Bedenken gegen Spahns Infektionsschutz-
vertreten, nicht unter die Räder kommen. Altmaier hatte sich dafür eingesetzt, die gesetz vor. Allein die Bundesregierung kann
Langsamkeit schützt die Demokratie. AfD einzubeziehen. Nun meldet sich nie- nach dem neuen Gesetz eine »seuchen-
In normalen Zeiten. Jetzt muss die De- mand in der Telefonkonferenz. »Wir fan- rechtliche Notlage« ausrufen. Das gehe zu
mokratie beweisen, dass sie auch schnell gen dennoch an«, sagt der Minister. Es ist weit, finden diese drei Fraktionen der Op-
sein kann, und genau das ist in dieser Wo- nicht viel Zeit. Bis Mittwoch sollen die Ge- position, zu viel Macht für die Exekutive.
che passiert. Bundesregierung und Bun- setze verabschiedet sein. Das sei Sache des Parlaments: ausrufen
destag haben in einem Eilverfahren Geset- In Duisburg liest Bärbel Bas, Gesund- und beenden.
ze für den Kampf gegen Corona und die heitspolitikerin und stellvertretende Frak- Falls sich die Regierung hier nicht be-
wirtschaftlichen Folgen beschlossen. tionsvorsitzende der SPD, die Entwürfe. wege, könne er nicht die neuen Pairing-
Es waren Tage, in denen kaum etwas so Ihre Gedanken, erzählt sie später, begin- regeln zusichern, warnt Lindner. Diese Ab-
ablief wie üblich. Während sich die Politi- nen um diese Fragen zu kreisen: »Wir sprache sieht vor, dass für jeden Abgeord-
ker selbst vor dem Coronavirus schützen müssen innerhalb von ein paar Tagen ein neten der Koalition, der wegen Quarantä-
mussten, peitschten sie ein gigantisches Ge- riesiges Paket schnüren. In einer Ge- ne fehlt, auch ein Abgeordneter der Op-
setzespaket durch das Parlament. Vor al- schwindigkeit, in der man nicht mehr viel position der Abstimmung fernbleibt.
lem der Antagonismus von Regierungs- Rücksprache halten kann. Man hat Angst, Einigt euch mit Spahn, sagt Merkel.
mehrheit und Opposition, der Wesenskern Fehler zu machen. Die werden wahr-
der Demokratie, war infrage gestellt. scheinlich auch passieren. Der Vorteil Montag, 23. März
Wie haben Beteiligte das erlebt? Was ist: Als Gesetzgeber kann man das immer Katrin Göring-Eckardt, die Fraktions-
haben sie empfunden, gedacht, gemacht? wieder korrigieren. Aber der Druck chefin der Grünen im Bundestag, sitzt in
Das Protokoll historischer Tage, wie es ist enorm.« ihrem Haus in Brandenburg, Sonne flutet
den Raum. Ihr iPad hat sie auf eine Staffe- mer mal wieder, die wichtigste Rede seines Mitgehangen, mitgefangen – darum geht
lei gesteckt, tägliche Videokonferenz mit Lebens. Am Mittwoch soll er sie halten, es jetzt: Trägt die Opposition mehr mit,
ihrem Team, zugeschaltet aus Erfurt, aus als Ersatzmann sozusagen, als Vizekanzler. verteilt sich die Verantwortung breit. Die
Berlin. Zwei Wochen lang war sie hier in Denn die Bundeskanzlerin kann nicht ins Regierung steht nicht allein am Pranger,
Brandenburg in häuslicher Quarantäne, Parlament kommen, soll auch nicht zuge- sollte sie sich verkalkulieren. Zudem
ein Infiziertenfall in der Fraktion, nun ist schaltet werden. Scholz hat das mit ihr be- braucht die Große Koalition ab und an die
es vorbei. Sie darf wieder raus. sprochen, er wird reden. anderen Parteien, weil ihr sonst die Mehr-
In diesen zwei Wochen hat sie sich eine Die dunkelste Zeit der Bundesrepublik, heit fehlt. Ferschl drückt es so aus: »Wir
neue Routine geschaffen zwischen den Te- und er muss die Hauptrede halten. Die sind etwas weniger Stachel im Fleisch der
lefonaten, zwischen den Videokonferen- Dimension sei ihm bewusst, so erzählt er Regierung. Die Leute hätten kein Verständ-
zen. Sie geht joggen, wenn sie den Bild- es später, nun sucht er die Worte dafür. nis, wenn wir uns jetzt im Klein-Klein ver-
schirm nicht mehr erträgt, manchmal geht Leere Hallen in seinem monumentalen hackstückten.«
sie auch, aber nur ganz kurz, »ins Wasser«. Finanzministerium, leere Gänge. Das Trotzdem dürfe eine Partei ihre Kern-
Die Temperatur kenne sie nicht, sagt sie. macht die Situation noch pathetischer, die überzeugungen nicht aufgeben, sagt sie.
»Ich trage kein Thermometer am Fuß.« meisten Beamten sind im Homeoffice. In Ein schmaler Grat. Obwohl sie Gewerk-
Sie und ihr Lebensgefährte versuchen, den vergangenen Tagen haben sie ver- schaftsfunktionärin ist, ist sie bereit, die
zweimal am Tag gemeinsam zu essen, sucht, den Hilfsbedarf zu ermessen, haben verlängerten Arbeitszeiten in der Pflege
»ohne Geräte«. Sie sagt, das klappe noch Instrumente geprüft und erörtert, Zahlen mitzutragen, für den Moment jedenfalls.
nicht so gut. Die Frage, die sie umtreibt, geliefert. Die landeten bei Scholz auf dem Andererseits läuft jetzt vieles so, wie sie
ist die nach dem richtigen Maß, nach der Schreibtisch, und der hat sie dann im en- es sich immer gewünscht hat. Zum Bei-
Verhältnismäßigkeit. Vielleicht auch die geren Kreis addiert. Wie hoch soll der spiel: Der Staat übernimmt mehr Verant-
nach Macht und Mittel. Sie sei da »viel- Nachtragshaushalt sein? Die Summe wuchs wortung.
leicht noch sehr Ossi«, sagt sie vorsichtig. und wuchs. Scholz wollte eine »punktge-
Aber sie empfinde die Einschränkungen naue« Landung hinbekommen, auf keinen Dienstag, 24. März
der Persönlichkeits- und Freiheitsrechte Fall zu wenig, aber auch nicht zu viel. Die Fraktionsspitzen von Union und SPD
als krass. »Wie kommen wir da wieder Dann hatte er eine große Zahl, und dann telefonieren am Vormittag. Es gibt noch
raus?«, fragt sie sich, sagt aber auch: »An- hat er noch einige Milliarden draufgepackt. Streit über die Entlastung der Mieter. Sie
scheinend ist es richtig.« Sicher ist sicher. sollen ihre Zahlungen vorläufig einstellen
Sie liest dann wieder über Südkorea, Nun ist die Zeit der Worte. »Schicksal« können, wenn sie durch die Coronakrise
wie sie Corona dort in den Griff bekom- geht ihm durch den Kopf, auch »Mensch- keine oder deutlich geringere Einkommen
men haben. Es geht um Politik, klar, aber heit«. Dass es die Welt so unvermutet ge- haben. Dagegen sträuben sich Teile der
eben auch um Ethik. Und wie sich beides Union. Mützenich vermutet »eine starke
manchmal in die Quere kommt. Lobbytätigkeit«.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich
wirbt und wirbt. Er will möglichst viele
Currywurst und Für Lobbyisten ist das Schnellverfahren
ein Albtraum. Keine schönen Empfänge
Abgeordnete nach Berlin locken. Die
Angst sei groß, erzählt er. Stecke ich mich
Pommes gibt es für die Politiker, keine Mittagessen im Res-
taurant Borchardt. Nur SMS und Telefon.
an? Wie soll ich Abstand halten, wenn so
viele Menschen im Bundestag zusammen-
nur noch einmal Mützenich beharrt auf der Entlastung
für Mieter. Sie bleibt im Gesetz.
kommen? Mützenichs Ziel: Selbst wenn pro Woche. Es ist ein sonniger Morgen, ein Spazier-
die Koalition allein die Kanzlermehrheit gang mit der SPD-Abgeordneten Bärbel
nicht erreicht, will er zumindest ein Signal Bas am Paul-Löbe-Haus. Herrliches Licht,
senden, dass die SPD-Fraktion in großer packt hat, dass es alle betrifft, dass einem wie schön die Welt gerade ist. Das macht
Zahl erscheint. Dass sie ihre Pflicht erfüllt. die Verwundbarkeit des Einzelnen und alles noch unwirklicher. Bas schaut sich
Wolfgang Kubicki ist am frühen Nach- der Gesellschaften so bewusst wird. Er um und sagt: »Hier läuft keiner mehr
mittag regelrecht aufgekratzt. Er freut sich spricht mit seinen Leuten, speist seine rum. Es fehlt nur noch, dass Grasbündel
über die Segnungen der Technik. Kubicki, Ideen ein für den Text. Es gilt, der Situa- durch die Gegend wehen wie in einem
stellvertretender Vorsitzender der FDP tion gerecht zu werden, ohne dick aufzu- Western.«
und Vizepräsident des Bundestags, sitzt tragen. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Wie Sie kommt gerade aus dem Bundes-
in seinem Büro, er hat sich per Videoanruf bei den Zahlen. gesundheitsministerium. Da liefen die letz-
gemeldet und schwärmt, dass heute Mor- Am Abend gibt es die »Einigt euch mit ten Verhandlungen. Noch sind nicht alle
gen schon das FDP-Präsidium per Video- Spahn«-Schalte, die von Merkel angeregt Berufe im Gesundheitswesen mit dem
konferenz getagt habe. »Ich frage mich, worden ist. In der Leitung: Spahn, Linken- Hilfspaket geschützt. Bas und ihre Kolle-
warum wir nicht schon früher auf die Idee fraktionschef Dietmar Bartsch, Lindner, gen arbeiten an Ideen für das nächste Pa-
gekommen sind«, sagt er. Göring-Eckardt. Man diskutiert. Wer soll ket. Neue Zahlen für Scholz.
Ob er es problematisch finde, dass in den seuchenrechtlichen Notfall erklären Sie erzählt, was ihr durch den Kopf geht,
dieser Woche derart weitreichende Vorha- dürfen, die Regierung, der Bundestag? Der Krisengedanken: »Es knabbert an den Ner-
ben im Eilverfahren durchs Parlament ge- Bundestag, Spahn lässt sich überzeugen. ven. In meiner Stadt haben alle Gastrono-
peitscht werden sollen? »Das ist jetzt die Opposition wirkt, auch in Krisenzeiten. men zu, da hängen Existenzen dran. Na-
Stunde der Exekutive«, sagt Kubicki, der Susanne Ferschl von der Linken sieht türlich versuchen wir, einen großen Teil
Vollblutparlamentarier. Dann schiebt er das ebenso und hat eine Erklärung dafür: aufzufangen. Ob uns das umfänglich mit
hinterher: »Die Regierung ist ja nur hand- »Ich habe das Gefühl, als Opposition hat allen gelingt, das ist die Sorge. Was passiert
lungsfähig, weil der Bundestag bereit ist, man gerade etwas mehr Einfluss als sonst«, mit den Menschen, mit der Wirtschaft, mit
schnell Beschlüsse zu fassen.« Klingt nach sagt sie. Die Bereitschaft der Regierung, dem Land? Wie lange dauert das?«
Exekutive mit Stützrädern. Kritik anzunehmen, sei höher. Wird man das Schlimmste verhindern
Bundesfinanzminister Scholz denkt Das vermeintliche Entgegenkommen können? »Das ist eine andere Situation als
über eine Rede nach, zwischendurch, im- der Regierung ist kein Freundschaftsdienst. die Bankenkrise, wo man wusste, wie man
handeln kann. Jetzt ist alles offen, wir wis- des Parlaments, den Epidemiefall auszu- sie lange kennt. »Konzentriert, sehr sor-
sen nicht, wie das aufgeht. Da ist nichts, rufen und aufzuheben. tiert.«
was man steuern kann, wo wir als Politiker Die Grünen haben weitere Maßnahmen Kurz vor 14 Uhr, die Cafeteria im
doch immer so gerne steuern.« gefordert, die, wie die Fraktionschefin sagt, Jakob-Kaiser-Haus, Casino genannt. Lee-
Um elf Uhr geht Bas zur Arbeitsgrup- bisher »leider nicht erreicht« wurden. re, als wäre die Mittagspause an diesem
pensitzung, wo sie die anderen Gesund- Dazu gehören Boni für Beschäftigte im Ge- Tag entfallen. Currywurst und Pommes,
heitspolitiker der SPD informiert. Abstand, sundheitswesen und eine Erhöhung der ein gefragter Standardposten auf dem
manche tragen Handschuhe, Bas nicht. Sie Regelsätze für sozial schwache Familien. Menü, gibt es nur noch einmal pro Wo-
will sich nicht ins Gesicht fassen, auf keinen Noch mehr neue Zahlen für Scholz. che. Am Eingang der Kantine hängen
Fall. Das soll ja helfen. Aber es ist ein Re- Kurz bevor sie in Richtung Aufzug ver- zwei Desinfektionsmittelspender. Sie sind
flex. Es dauert, ihn zu kontrollieren. schwindet, im Abstand von zwei Metern leer.
Um kurz vor zwölf fährt Katrin Göring- zu den Umstehenden, sagt sie: »Es ist eine Hinten, an der Fensterfront, packt eine
Eckardt von den Grünen mit dem Aufzug Zeit, in der wir damit rechnen müssen, Frau in Kittelschürze benutztes Geschirr
in den dritten Stock des Reichstags, auf Fehler zu machen.« aufs Band, schiebt Speisereste von Tellern
die Fraktionsebene. Dort warten einige 13 Uhr, die sogenannte Brinkhaus-Run- in den Abfall, stapelt Tablette. Es sind
Journalisten und vier Kameras. Göring- de der Union tagt, als Telefonschalte. nicht viele. »Wenn dit so weiterjeht, müs-
Eckardt sieht ausgeschlafen aus, erholt Ralph Brinkhaus ist Vorsitzender der sen wer alle in Kurzarbeit«, sagt sie. Das
fast. Unionsfraktion. Nur das Führungsperso- sei dann eben so.
Sie zählt auf, welche Punkte ihr und ih- nal diskutiert, die Fraktionssitzung wurde SPD-Fraktionschef Mützenich sitzt vor
rer Partei besonders wichtig sind, wo sie abgesagt. Merkel meldet sich aus der Qua- einem Teller Lasagne, sein Sprecher zwei
sich durchgesetzt haben: der Rettungs- rantäne, beschreibt die Lage und erläutert Meter weiter.
fonds für Soloselbstständige und Kultur- das Hilfspaket. Sie hofft, dass man sich in- Kurz darauf steht Mützenich im Reichs-
schaffende, die Entschädigungen für El- ternational wieder mehr abstimme. tag, hinter ihm die rote SPD-Wand, vor
tern, die wegen fehlender Kinderbetreu- Teilnehmer erleben Merkel wie immer, ihm Kameras, er sagt: »Es werden jetzt so
ung zu Hause bleiben müssen, das Recht »wie früher«, sagt eine Politikerin, die große Summen bewegt, da müssen wir
29
tion und Kontrolle« zu garantieren. »Es
muss klar sein, dass die Grundregeln der
parlamentarischen Demokratie auch in die-
ser Krise nicht außer Kraft gesetzt werden.«
Scholz sagt einen Abendtermin ab. Die
Rede, er muss noch feilen. Solidarität, die-
ses Wort darf nicht fehlen, ein Wort der
SPD, das wieder Gewicht hat.
Die Fraktion der FDP tagt fünf Stunden
lang. Danach ist Christian Lindner zu ei-
nem Videochat bereit.
»Als FDP sehe ich unsere Aufgabe darin,
die Regierung jeden Tag zu fragen, was sie
unternimmt, um diesen Zustand zu been-
den.« Gerade für die Liberalen ist die Co-
ronakrise ein Balanceakt. Die Skepsis ge-
genüber dem Staat gehört zur DNA der Par-
tei. »Wir sind für eine größtmögliche Eigen-
verantwortung der Bürgerinnen und Bürger,
aber eine solche Krise übersteigt das, was
individuell verantwortet werden kann. Des-
halb gelten jetzt andere Abwägungen als in
normalen Zeiten«, sagt Lindner.
Und wenn schon, denn schon. »Wenn
der Staat in Wirtschaft und Gesellschaft
eingreifen muss, dann sollte er das mit aller
Macht tun«, sagt Lindner und erinnert an
die Euro-Schuldenkrise 2010. »Damals ha-
ben wir uns bis an die Hutkrempe ver-
schuldet, weil es notwendig war.«
SPD-Politikerin Bas hat am Abend eine
Telefonschalte. Die Technik spielt nicht
immer mit. Die Abgeordneten sind in
Deutschland verstreut, manche sind kaum
zu verstehen, weil sie am Bahnsteig stehen.
Manchmal können sie sich nicht einwäh-
len, weil die Netze und Kommunikations-
dienste überlastet sind. Zur vollen Stunde
Mit Schutzhandschuhen im Bundestag, SPD-Fraktionschef Mützenich, ist es schwerer, weil dann ganz Deutsch-
Grünenpolitikerin Göring-Eckardt: »Wenn sich Jens Spahn jetzt land konferiert.
sagt, er kommt in vier Wochen mit neuen Forderungen wieder, zum Außerdem sieht man sich nicht, kann
Beispiel nach Handyortung, dann kann er sich das abschminken.« keine Mimik, kein Kopfnicken wahrneh-
men. Bas fehlt das.
(Wolfgang Kubicki, FDP)
Auch das Tempo fordert seinen Preis.
Die Abgeordneten müssen in kürzester
Zeit die dicken Gesetzesanträge durch-
auch körperlich anwesend sein.« Er trom- In der Sitzung wird überlegt, wer mit arbeiten, Änderungsanträge prüfen. Dabei
melt immer noch. dem Hilfspaket noch nicht berücksichtigt passieren Übertragungsfehler. Plötzlich ist
Am Nachmittag tagt die Fraktion. Ein ist. Was ist mit dem Müttergenesungswerk, ein Satz im Infektionsschutzgesetz ver-
Teil der Genossen ist wie immer im Frak- fragt jemand. Ob das auch unter den Ret- schwunden: »Eine Heilbehandlung darf
tionssaal, der aber so bestuhlt ist, dass man tungsschirm falle? Bas sagt, dass Schutz nicht angeordnet werden.« Das würde be-
Abstand halten kann. Der Rest sitzt in für die Müttergenesungswerke im Moment deuten, dass die Behörden in Krisenzeiten
einem anderen Raum und ist per Video nicht drin sei. Auch für die Physiothera- Zwangsbehandlungen anordnen dürften.
zugeschaltet. Abstand, Abstand. Bärbel peuten nicht, denen die Patienten ebenso Wildes Telefonieren, bis der Satz wieder
Bas versucht, sich nicht ins Gesicht zu wegbleiben. Später könnten auch das neue im Gesetz steht.
fassen. Zahlen für Scholz werden.
Plötzlich kommt eine vermummte Frau Wolfgang Schäuble hat eigentlich schon Mittwoch, 25. März
in den Fraktionssaal: dicke Jacke, Mütze, alles gesehen. Er ist seit fast 50 Jahren Ab- Der Wirtschaftsminister hat endlich wie-
Fahrradhelm, Schutzhandschuhe, Mund- geordneter des Deutschen Bundestags, es der besser schlafen können nach vielen
schutz. Wer ist das? ist nicht leicht, ihn zu beeindrucken. Diese vergrübelten Nächten. »Heute Morgen
Mützenich denkt: »Ist das jetzt ver- Krise aber, sagt er, sei außergewöhnlich: halb sieben fiel mir das Aufstehen richtig
steckte Kamera hier?« Die Frau nimmt »Die Bedrohung ist enorm groß, keiner schwer«, sagt Altmaier. »Ich war in einem
Helm und Mütze ab, und Mützenich er- weiß, wo das hinführt.« beruhigten Schlaf, wo doch erst mal die
kennt eine Abgeordnete der SPD. Alle la- Seine Aufgabe als Parlamentspräsident größten und wichtigsten Dinge abge-
chen, die Anspannung fällt ab. Die Abge- sieht Schäuble jetzt darin, »eine vernünftige stimmt waren.«
ordnete ist Kinderärztin, sie will sich auf Balance zwischen Handlungsfähigkeit der Bundestag, neun Uhr. 128 der 152 SPD-
keinen Fall anstecken. Regierung und parlamentarischer Legitima- Abgeordneten sind gekommen. »Mehr als
u n f t k a nn
Die Z uk n, ab er
o rh e r se he
keine r v e n .
n si e w ag
jed er k an
Wir finden, die Welt braucht mehr Zuversicht.
Deshalb unterstützen wir alle, die den Mut haben,
ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen.
Ideenhaber und Anpacker, die Familien oder
Start-ups gründen, Pläneschmieder, Mitbestimmer,
Hausbauer und Unternehmer.
Gemeinsam schauen wir nach vorn und sagen:
Morgen kann kommen. Wir machen den Weg frei.
Coronakrise
Das erwartet«, sagt Mützenich. Scholz tritt Scholz bleibt auch bei diesem Hinter-
dhl.de/mobil-frankieren versand
Päckchen
ab bfhx
Coronakrise
»Natürlich braucht es
irgendwann eine Exitstrategie –
der Zeitpunkt ist entscheidend«
SPIEGEL-Gespräch Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, 53,
über sein Leben in der Epidemie, das Versagen
der EU-Kommission und Eifersüchteleien unter den Bundesländern
SPIEGEL: Herr Söder, was hat sich durch aber das kann ja nicht ewig so gehen. Söder: Ja, natürlich. Allerdings gibt es
das Coronavirus in Ihrer Familie verän- Wann kann wieder ein Ansatz von Nor- noch große Defizite bei Schutzmasken und
dert? malität einkehren? Atemgeräten. Da hoffen wir täglich darauf,
Söder: Alle passen sorgsam auf. Die größte Söder: Das kann leider keiner vorher- dass die Lieferungen des Bundes eintref-
Umstellung ist natürlich, dass keine Schule sehen. Es gibt aktuell noch keine Therapie fen. Es sind ja Millionen von Masken ver-
stattfindet. und keinen Impfstoff. Daher bleibt einzig sprochen worden. Die Meldung des
SPIEGEL: Haben Sie einen Garten? der Weg, das öffentliche Leben runter- SPIEGEL, dass mehrere Millionen Masken
Söder: Ja. Aber in Bayern dürfen die Men- zufahren und gleichzeitig das Gesundheits- in Kenia gestohlen wurden, verunsichert
schen ohnehin raus an die frische Luft. system maximal hochzufahren. Unsere natürlich viele. In der Zwischenzeit haben
Sport und Spazierengehen sind ausdrück- Philosophie war von Anfang an, konse- wir in Bayern sogar mit der Eigenproduk-
lich erlaubt. quent zu handeln, um schneller aus der tion von Schutzmasken begonnen.
SPIEGEL: Wie beschäftigen sich Ihre Kin- Krise zu kommen. Halbherzige Maßnah- SPIEGEL: Wie lange kann man Schulen
der tagsüber? men verschleppen die Situation nur. Wir und Kitas geschlossen halten?
Söder: Es sind ja keine Ferien, daher müs- müssen täglich überlegen, wie es weiter- Söder: Natürlich nicht ewig. Aber es war
sen sie viel für die Schule tun. Neben dem geht. Aber wann und in welcher Form wir notwendig, und wir waren davon von An-
aktuellen Stoff ist das eine gute Gelegen- wieder zur Normalität zurückkehren, fang an überzeugt. Deswegen haben wir
heit, lateinische oder englische Vokabeln hängt davon ab, wie sich die Zahlen der Bayern in der Ministerpräsidentenkonfe-
zu wiederholen … Infektionen und Todesfälle entwickeln. renz von vor zwei Wochen mit als Erste
SPIEGEL: … was wahrscheinlich große Be- Aus heutiger Sicht kann es keine vorschnel- die Schulschließungen angemahnt. Als die
geisterung auslöst … le Entwarnung geben. Die Lage bleibt sehr Debatte losging, hatten wir nicht viele Mit-
Söder: Na ja. Das ist wie in vielen Fami- ernst. Im Moment steigen die Zahlen noch streiter. Als Bayern, Baden-Württemberg
lien – fast alle ziehen verständnisvoll mit. steil an. und das Saarland es am nächsten Tag an-
Es ist eine Zeit, in der Eltern und Kinder SPIEGEL: Aber irgendwann werden die gekündigt haben, sind dem fast alle in kur-
sich näherkommen und Familien vielleicht Menschen eine Perspektive wollen, we- zer Zeit gefolgt.
sogar wieder enger zusammenwachsen. nigstens einen ungefähren Zeitpunkt. SPIEGEL: Waren Ihnen die anderen Län-
SPIEGEL: Wann haben Sie realisiert, dass Söder: Natürlich braucht es irgendwann der zu zögerlich?
die Coronakrise richtig schlimm wird? eine Exitstrategie. Die müssen wir sorg- Söder: Jeder muss nach der Rechtslage in
Söder: Wir waren von Anfang an besorgt. sam überlegen. Der richtige Zeitpunkt seinem Land entscheiden. Und jedes Land
Als die ersten Fälle aus China bei uns auf- ist deswegen entscheidend, damit wir ist in einer anderen Situation. Die Grenz-
traten, haben wir auch sofort gehandelt. Da nicht eine neue Welle an Infektionen aus- länder haben andere Sorgen als Länder in
konnten wir alle Infektionsketten verfolgen lösen. Auch die Wirtschaft braucht einen der Mitte Deutschlands. Das konnte man
und die Verbreitung verhindern. Aber nach Pfad, um die Schäden so gering wie spüren – wie beispielsweise das Saarland
der unkontrollierten Ausbreitung in Italien möglich zu halten. Im Moment zählt al- und Baden-Württemberg vorgegangen
hat sich die Lage dramatisch verschlechtert. lein, das Gesundheitssystem bestmöglich sind. Aufgrund der Nähe zu Frankreich,
Spätestens da war klar, dass wir grund- darauf vorzubereiten. Wir sind da in der Schweiz und Österreich ist die Betrof-
legend handeln müssen. Nicht jeder hat das Deutschland besser aufgestellt als viele fenheit einfach höher als in Mecklenburg-
sofort verstanden. Die Absage des Stark- andere Länder. Vorpommern oder in Brandenburg.
bieranstichs am Nockherberg war im ersten SPIEGEL: Wirklich? SPIEGEL: Nordrhein-Westfalen, wo Armin
Moment umstritten, allerdings war allen Laschet regiert, ist auch ein Grenzland.
nach wenigen Tagen klar, dass die Entschei- Söder: Ja. Mittlerweile gelten aber überall
dung richtig war. Durch unsere Nähe zu
Österreich und Italien haben wir vielleicht
»Jeder Tag bedeutet fast die gleichen Maßnahmen. Aus meiner
Sicht war es nicht entscheidend, ob alle
eine größere Sensibilität und Betroffenheit
als andere Bundesländer. Daher haben wir
eine erhöhte zum gleichen Zeitpunkt in Kraft gesetzt
werden. Entscheidend ist, dass die Betrof-
auch manchmal früher handeln müssen. Infektionsgefahr, die fenen vorangehen mussten.
SPIEGEL: Sie haben Ihr Bundesland früher SPIEGEL: Warum haben Sie dann einen so
runtergefahren als andere Regierungschefs, Leben kosten kann.« großen Druck gemacht?
34
Söder: Der Münchner Oberbürgermeister
hat gesagt, im Juni soll entschieden wer-
den.
SPIEGEL: Wir befinden uns in einer extre-
men Krisensituation, aber bei Ihnen hat
man das Gefühl, Sie blühen richtig auf.
Macht es Ihnen Freude, sich in einer sol-
chen Lage beweisen zu können?
Söder: Wenn Sie mir das erlauben: Ich fin-
de Ihre Frage etwas gewagt. Das ist doch
die schlimmste Herausforderung, der un-
ser Land ausgesetzt ist. Da schläft man
nicht besonders gut, weil man jeden Tag
schwerwiegende Entscheidungen treffen
muss. Da ringe ich auch mit mir selbst, zu-
mal ich ein sehr freiheitsliebender Mensch
bin. Aber letztlich muss entschieden wer-
den. Das erwarten die Menschen von uns.
In dieser Situation fragen viele nach einem
starken Staat. Das Vertrauen in den Staat
darf jetzt nicht enttäuscht werden. Das ist
wie in der Familie. Normalerweise heißt
es von den Kindern: Ach, komm nicht stän-
dig mit den Daddysprüchen. Aber in der
Krise wird oft nach dem Vater gefragt.
SPIEGEL: Einige Ihrer Amtskollegen als
Ministerpräsidenten haben trotzdem den
Verdacht, es gehe Ihnen manchmal weni-
ger um die Sache als um Ihr Bild des ent-
schlossenen Machers.
Söder: Das finde ich eine unangemessene
Beurteilung. Ich bin bayerischer Minister-
präsident und habe eine Verpflichtung ge-
genüber den Menschen in unserem Land.
Und es geht hier wirklich um Leben und
Tod.
SPIEGEL: Sie betonen bei fast jedem Auf-
tritt die bayerische Führungsrolle. Sie
scheinen schon sehr stolz darauf zu sein,
vorneweg zu marschieren.
Söder: Wir tun nur unseren Job. Übrigens
sind wir immer in enger Abstimmung mit
den Freunden aus dem Saarland, Baden-
Württemberg, Sachsen oder Sachsen-An-
DIETER MAYR / DER SPIEGEL
sagt er.
Doch schon bilden sich aus dem ehema-
ligen »Flügel« neue Gruppen und Verbün-
de, bislang ohne Ordnung oder Struktur.
Ein »Flügelianer« sagt: »Die, die unsere
Auflösung forderten, werden noch sehen,
was sie davon hatten.«
Es klingt wie der Prolog zum nächsten
Drama. Ann-Katrin Müller
»Flügel«-Anführer Höcke, Kalbitz: »Die Arbeit geht weiter«
37
Orbán endgültig als Autokrat entpuppt? Die Antwort lau-
Bernhard Pörksen
tet, dass sich die Zukunftsgewissheit ganzer Gesellschaf-
ten über Nacht aufgelöst hat.
W
as geschieht eigentlich jetzt, im Moment einer schaft besteht, herausfordert.
vor sich hin rasenden Gegenwart? Wie ist das Wessen Geschichte zählt, welche wird bleiben? Die des
Lebensgefühl? Vor einigen Jahren schrieb die Hausbesitzers aus dem Saarland, der anbietet, im Falle
Journalistin Iris Radisch über den Schriftstel- von Einkommensverlusten auf ein paar Monatsmieten zu
ler Walter Kempowski einen bemerkenswerten Essay, der verzichten und der die Briefe mit diesem Angebot unter
geeignet ist, die aktuelle Situation schlagartig zu erhellen. den Türen seiner Mieter hindurchschiebt? Oder der
»Walter Kempowski saß 1948 hungrig und beschmutzt in Bericht über den Diebstahl von Desinfektionsmitteln und
einem Güterwaggon, der ihn, von einem sowjetischen Atemschutzmasken aus einer Kinderkrebsstation in
Militärgericht zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, nach Berlin? Was ist repräsentativ von all dem, was sich an
Bautzen bringen sollte«, so ist dort zu lesen. »Bei einem Schönheit und Schrecken offenbart?
Halt beobachtet er durch eine Ritze im Bretterverschlag Es ist die allgegenwärtige Sichtbarkeit solcher Unter-
ein spazierendes Ehepaar, sie im Blümchenkleid, er in schiede und die Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren, die
Knickerbockern, sorglos im Sonnenschein. Das hat ihm jede vorschnelle Bilanz der aktuellen Krise als Wunsch-
den Schock von der Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren denken entlarvt. Und doch: Wir erleben im Augenblick
versetzt. Wie viel Glück und Unglück, Harmloses und auch, wie atemberaubend beweglich, wie reaktionsschnell
Tragisches, Lebensbedrohendes und Idyllisches stapeln und transformationsbereit Menschen sein können.
sich in jeder Weltsekunde aufeinander!« Wann hat es das je gegeben? Neue Begrüßungsrituale
Diesen Schock von der Gleichzeitigkeit des Unverein- werden blitzschnell gelernt, Arbeitsformen in Schulen,
baren erleben wir heute. Alles ist gleichzeitig sichtbar, Unternehmen und Universitäten in Hochgeschwindigkeit
rivalisiert auf ein und demselben Kommunikationskanal. revidiert und modernisiert, nötige Formen des Verzichts
Die seriöse Information in Form der täglichen Drosten- in der Breite der Gesellschaft akzeptiert. Und im Netz
Dosis. Die irrwitzige Verschwörungstheorie. Die bemühte explodiert die künstlerische Kreativität zu einem Fest live
Positivmeldung. Die Horrorgeschichte von den reichen gestreamter Gratiskonzerte, die die Musik als ein
Russen, die ihren Landsleuten prophylaktisch und ohne Medium der Völkerverständigung erfahrbar machen. Alle
Not die Beatmungsgeräte wegkaufen. Bilder ignoranter lernen im Moment dazu. Journalisten brechen mit den
Sorglosigkeit von einer Corona-Party mit herumalbern- überkommenen Routinen des Negativismus, liefern Tipps
den Schülern. Die Drohkurve der aktuellen Infektions- und Hinweise zur Alltagsorganisation. Sie tarieren
raten. Der 1000. Infizierte hier, der das Verhältnis von Kritik und Ermutigung neu aus und
erste Todesfall dort. hören auf, schrille Provokateure und Bullshitter
Und man hört, kaum ist man für zu feiern, die nur gute Talkshowquoten versprechen.
einen Moment offline und das Fens-
PETER-ANDREAS HASSIEPEN
S
hin zwitschern, als wäre nichts uchmaschinen- und Plattformbetreiber haben
geschehen. Wir sind, weltweit ver- von einem Moment auf den anderen ihre Neutra-
netzt und verbunden, in ein Univer- litätsideologie aufgegeben, die ohnehin immer
sum greller Kontraste hineingestürzt. eine Farce war. Sie wollen nun Menschenleben
Alles könnte jetzt passieren, so retten und verstecken sich nicht mehr hinter einem
scheint es. Regiert nicht längst eine falsch verstandenen Ideal von Meinungsfreiheit. Noch
Pörksen, 51, ist Professor Expertokratie von Virologen? Drif- nie in ihrer noch kurzen Geschichte haben Google,
für Medienwissenschaft ten wir in einen Ausnahmezustand Twitter und Facebook mit dieser Entschiedenheit und
an der Universität Tübingen. ohne klar fixierbaren Endpunkt? Ist dieser Energie gegen Desinformation gekämpft, Fake
Kürzlich ist sein gemein- die Zeit der westlichen Arroganz vor- News gelöscht und Schwachsinn algorithmisch unter-
sam mit dem Kommu- bei, weil asiatische Diktaturen wie drückt. Und in Teilen der Gesellschaft, die gerade
nikationspsychologen China und Demokratien wie Taiwan noch offen waren für die Versuchungen des Populismus,
Friedemann Schulz von und Südkorea vorführen, wie effek- kehrt das Realitäts- und Rationalitätsprinzip des
Thun verfasstes Buch tiv sich mithilfe des Einsatzes moder- Diskurses mit Macht zurück. Auch eine fahrlässige
»Die Kunst des Miteinander- ner Tracking- und Test-Technologien Politik- und Staatsverachtung scheint Vergangenheit –
Redens. Über den Dialog eine Pandemie bekämpfen lässt? Ist wer wollte jetzt noch behaupten, dass das freie
in Gesellschaft und Politik« Europa gescheitert, weil die Grenzen Spiel der Marktkräfte doch alles viel besser regeln
erschienen. längst dicht sind und sich ein Viktor könnte?
39
Coronakrise
A
ls Sascha Stoltenow Anfang gar nichts. Das Gesundheitsamt nahm lich sind. Hunderte private Labors sind im
März eine Fortbildung in Ham- unsere Daten auf, danach hat es sich nicht Land verteilt, dazu kommen Universitäts-
burg moderierte, war das neue mehr gemeldet«, sagt der 39-jährige Fami- kliniken und Krankenhäuser, die unter
Coronavirus Sars-CoV-2 in sei- lienvater. Aufsicht der Bundesländer stehen.
nem Leben angekommen. Nur wusste Stol- Am Ende ergatterte die Familie durch Spahn nannte am Montag die Zahl
tenow davon noch nichts. dauerndes Nachfragen bei einer Testein- 200 000 Tests pro Woche, interne Statis-
Vier Tage später, zurück im heimischen richtung einen Test für die Tochter. Immer- tiken seines Ministeriums kommen auf
Wiesbaden, erfuhr der Kommunikations- hin: Er fiel negativ aus. 300 000. Der Virologe und Regierungs-
berater, dass die Hamburger Akademie In Hamburg erzählen Erzieherinnen, sie berater Christian Drosten von der Berliner
wegen eines Corona-Falls vorübergehend hätten sich vergebens bei ihren Hausärz- Charité sprach am Donnerstag sogar von
geschlossen werden musste. Nach einem ten um Corona-Tests bemüht, nachdem Schätzungen »im Bereich einer halben Mil-
Anruf war ihm klar: »Ich hatte mit der eines der Kinder in ihrer Kita-Notbetreu- lion«. Doch selbst bei dieser Zahl brauchte
infizierten Person direkten Kontakt.« ung positiv getestet worden war. Im Saar- man etwa drei Jahre, um alle Bewohner
Am Tag danach spürte Stoltenow, 50, land holte der Innenminister des Landes Deutschlands einmal zu testen.
ein »leichtes Kratzen« auf der Zunge und die Bundeswehr zu Hilfe, nachdem sich Im internationalen Vergleich stehe die
am Gaumen. Eine Mitarbeiterin der Ärzte- vor Testzentren rund hundert Meter lange Bundesrepublik mit der Ausstattung an
hotline 116 117 schickte ihn zu einem Co- Schlangen gebildet hatten. Manche der Laboren gut da, sagen Experten. Dennoch
rona-Test nach Frankfurt am Main. Die Wartenden wurden nach stundenlangem reiche die Testkapazität bei Weitem nicht
Ärztin dort habe ihn zunächst abgewiesen, Anstehen im Freien nach Hause geschickt. aus, um die hohe Nachfrage zu decken,
erinnert sich Stoltenow. »Sie hielt die Die Kapazität der Einrichtung sei erschöpft. räumt der Laborbetreiberverband ALM
Symptome für zu schwach.« In Oberschwaben verfielen in einem La- ein.
Stoltenow konnte sie überzeugen, den bor bis zu 2000 abgegebene Proben, weil »Am besten wäre es, in ganz Deutsch-
Test trotzdem vorzunehmen, »zum Glück«, wichtige Inhaltstoffe für das Testverfahren land aggressiv zu testen«, sagt Hendrik
wie er sagt. Das Ergebnis sollte am nächsten fehlten. Zur Wiederholung des Tests rief Streeck, Direktor der Virologie an der
Tag vorliegen, doch Stoltenow hörte nichts. das Stuttgarter Gesundheitsministerium Universität Bonn. »Wir sehen in Südkorea,
Nach einem weiteren Tag rief er beim Ge- nur diejenigen auf, die »jetzt noch grippe- dass das die beste Strategie ist.« Dort sei
sundheitsamt an. »Man sagte mir, man ähnliche Symptome und Fieber von min- es mit umfassenden Tests gelungen,
habe keinerlei Akten zu mir.« Stoltenow destens 38 Grad haben«. Infizierte und ihre Kontaktpersonen fast
vermutete, dass der Test noch nicht ausge- Wer sich in diesen Tagen vergebens um lückenlos aufzuspüren und von Gesunden
wertet war, und blieb zu Hause, zur Sicher- einen Corona-Test bemüht, kann mit zu trennen. »Dadurch konnte man die
heit. Dann erfuhr er von zwei weiteren Teil- kaum mehr als dem Mitgefühl des Bun- Infektionsketten sehr schnell minimieren«,
nehmern der Hamburger Konferenz, deren desgesundheitsministers rechnen. Es sei sagt Streeck: »Die Epidemie wurde dort
Test negativ ausgefallen war. »Da habe ich ein »zutiefst nachvollziehbares Empfin- eingedämmt, bevor sie ausgebrochen ist.«
die Quarantäne aufgehoben.« den«, so Jens Spahn, dass man wissen wol- Allerdings stoße eine solche Strategie
Erst acht Tage nach dem Test erhielt er le, ob man infiziert sei. Angesichts »be- in Deutschland an technische und organi-
die Nachricht: Stoltenow war Corona- grenzter Kapazitäten« müsse man aller- satorische Grenzen. In vielen Labors ste-
positiv. Das Gesundheitsamt hatte das dings »miteinander schauen«, wer getestet hen automatisierte Hochleistungsgeräte,
Ergebnis offenbar falsch einsortiert. Sofort werden dürfe und wer nicht. die mehr als 1400, teilweise sogar mehr
ging der 50-Jährige mit seiner ganzen Nicht einmal der Minister weiß ganz als 4000 Proben in 24 Stunden auswerten
Familie in Quarantäne. Das Problem: Be- genau, wie groß diese Kapazitäten wirk- könnten. Doch die Analyse ist ein mehr-
vor er vom Testergebnis erfuhr, war er stufiger Prozess, für den spezielle Substan-
als Lehrbeauftragter bei einer Hochschul- zen, Chemikalien und andere Hilfsmittel
veranstaltung und hatte dort Kontakt mit gebraucht werden.
rund 150 Menschen – die sich theoretisch »Das sind nicht irgendwelche Chemika-
alle bei ihm angesteckt haben könnten. lien, die man mal eben zusammenmischen
BERT BOSTELMANN / BILDFOLIO / DER SPIEGEL
Berichte wie diese gibt es zurzeit in kann«, sagt Streeck, »wir brauchen En-
unzähligen Varianten. Sie handeln von zyme, die in biologischen Prozessen von
Endlosschleifen in Telefonhotlines, verwei- Zellen oder Hefen produziert werden.«
gerten oder verschobenen Probeentnah- Solche komplexen Verfahren »lassen sich
men, vom tagelangen oder auch vergeb- nicht kurzfristig nach Belieben hochfah-
lichen Warten auf Testergebnisse. ren«. Bei den Herstellern, die zum Teil in
Eine Familie aus München erzählt, wie den USA sitzen, gehen gerade Anfragen
sie von den Behörden ignoriert wurde, aus der ganzen Welt ein.
nachdem sie aus dem Skiurlaub in Südtirol Der größte Engpass entstehe im Mo-
zurückgekommen war und die Kinder im ment nicht einmal durch den Mangel an
Alter von vier und sieben Jahren Sympto- Patient Stoltenow Reagenzien, mit denen sich gezielt das Erb-
me entwickelt hatten. »Unter 116 117 ging Kontakt mit 150 Menschen material des Coronavirus nachweisen lässt,
40
FABRIZIO BENSCH / REUTERS
Mobiles Testcenter in Berlin: »Wir hatten keine Beschwerden, aber wir hatten Angst«
sagt Hendrik Borucki vom Laborverbund Wieler diese Woche. Gleichzeitig lockerte Streeck. Eine Studie aus Hongkong lege
Bioscientia. Knapp werde es schon bei den das Institut seine bisherige Empfehlung, nahe, dass sogar 40 Prozent der Infek-
Substanzen, mit denen sich die Virushülle Patienten mit Symptomen nur dann zu tes- tionen in der symptomfreien Phase statt-
zuvor aufspalten und das Erbgut für den ten, wenn sie mit Infizierten Kontakt hat- fänden, so Streeck. Diese symptomfreien
eigentlichen Test isolieren lässt. Andere ten oder in einem Risikogebiet waren. Da Virusträger könnten den Erreger weiter-
Labors klagen, dass selbst Plastikpipetten der Erreger inzwischen praktisch überall verbreiten und ungewollt andere Men-
oder Trägerplatten, die für die Analyse- auftrete, mache die Beschränkung auf Ri- schen gefährden.
geräte kalibriert sind, immer schwerer zu sikogebiete keinen Sinn mehr, sagte eine Auch für viele Betroffene ist die Regel
bekommen seien. Sprecherin des Instituts. schwer nachvollziehbar. »Wir hatten keine
Es bestehe die Gefahr, dass durch den Unter Experten ist die Begrenzung auf Beschwerden, aber wir hatten Angst«, sagt
Reagenzienmangel bald weniger Tests zur Menschen mit Symptomen umstritten. eine 45-Jährige getrennt lebende Mutter
Verfügung stünden als heute, warnt Bo- »Wir kennen Fälle, bei denen der Test posi- aus Hessen. Der Vater ihrer beiden Söhne
rucki – während die Zahl der Infizierten tiv war, obwohl die Probanden keinerlei war mit Freunden zum Skifahren in Ischgl,
wohl noch deutlich steigen wird. Symptome zeigten«, sagt der Virologe nach dem Urlaub verbrachten die Jungs
Um den drohenden Mangel zu ver- das Wochenende beim Vater. Nachdem
walten, haben die Laborbetreiber dazu der Skiort zum Risikogebiet erklärt wor-
aufgerufen, noch rigider zu entscheiden, den war, wurden der Vater und fünf seiner
wer einen Test bekommt und wer nicht.
Etwa Kumpel positiv getestet.
500 000
Nur wer zu einer Risikogruppe gehöre Die Mutter kontaktierte ihren Hausarzt,
oder Symptome aufweise, solle getestet der verwies sie ans Gesundheitsamt. Dort
werden. »Im Moment testen wir noch wurde ihr erklärt: Tests gebe es nur, wenn
viel zu viele gesunde Menschen«, sagt sie oder ihre Kinder Symptome aufwiesen.
Borucki. Weit mehr als 90 Prozent der »Wir wollten Gewissheit, also haben wir
bei Bioscientia ausgewerteten Tests seien Corona-Tests würden der- geschwindelt«, gibt die Frau zu. Gemein-
ohne Corona-Befund. »Damit verschwen- zeit pro Woche in Deutsch- sam mit ihren Kindern fuhr sie zum Test-
den wir große Mengen kostbarer Rea- center vor dem Klinikum Worms und
genzien.« land durchgeführt, schätzt erklärte, sie hätten leichtes Fieber.
Das Robert Koch-Institut ist auf diese Christian Drosten, Virologe Mancher, der über das offizielle Gesund-
Linie eingeschwenkt. »Wir haben nicht ge- heitssystem keinen Test bekommt, weicht
nug Tests, um sie einfach sinnlos einsetzen
an der Berliner Charité und auf den freien Markt aus. In Teilen der
zu können«, mahnte Institutschef Lothar Regierungsberater. Branche herrsche »Goldgräberstimmung«,
sagt ein leitender Laborarzt aus Baden- bis zu tausend Proben am Tag auf das neue
Württemberg.
Ein Hamburger Privatlabor bietet Co-
rona-Tests an, bei denen der Patient sich
Coronavirus untersuchen«, sagt Behr, »sie-
ben Tage die Woche.« Das hat der Firmen-
chef auch den Kassenärztlichen Vereini-
Mit leerem
zu Hause selbst den Rachenabstrich ma-
chen kann. Dazu, so wird auf der Website
des Labors mit Zeichnungen erklärt, führt
gungen mitgeteilt. Er könne drei bis vier
Stunden nach dem Test Ergebnisse liefern.
Doch die KV Niedersachsen lehnte ab,
Magen
man einen Tupfer direkt in den Rachen ihre Oldenburger Zweigstelle schrieb: Sozialpolitik Fast drei Millionen
bis hinter das Zäpfchen. Der Tupfer wird »Eine Zusammenarbeit setzt eine Zulas- Kinder in Deutschland leben in
dann in ein Teströhrchen gesteckt und an sung mit einem Facharzt für Labormedizin
das Labor geschickt oder dort direkt in (Humanmediziner) voraus.« Behr bietet Armut. Durch die Seuche fallen
den Briefkasten geworfen. die Tests jetzt Privatkunden und Apothe- nun auch noch die Gratis-Mahl-
Täglich gingen bei ihnen bis zu 300 sol- ken an. Zudem stellt er Testkits für andere zeiten in Kitas und Schulen weg.
cher Tests ein, sagt Laborchef Jens Heidrich. Labors her.
24 Stunden später liege dann meist das Er- Am Grundproblem, der weltweit explo-
gebnis vor. »Das ist für die Leute eine enor- dierenden Nachfrage nach Test-Reagen- rank Kampmann weiß nicht, was er
me Erleichterung, wenn sie so schnell Klar-
heit haben.« Der Test kostet allerdings 150
Euro und muss privat beglichen werden.
zien, können auch tiermedizinische La-
bors nichts ändern. Ebenso wenig wie
neue Kleintestgeräte, die derzeit lautstark
F tun soll. Seit zwei Jahrzehnten enga-
giert sich der Sozialarbeiter für die
bedürftigen Kinder der Stadt. Mit Ehren-
Heidrich beteuert, die Tests nach WHO- damit beworben werden, dass sie das Virus amtlern des Vereins »Zug um Zug e.V.«
Standard seien zuverlässig: Er habe sogar in einer Probe angeblich noch ein wenig sorgt er etwa dafür, dass sie ein gesundes
mehr positive Ergebnisse unter den Selbst- schneller erkennen könnten als die bishe- Frühstück bekommen. Bis zu 40 Kinder
abstrichen als bei Proben, die von Ärzten rige Gerätegeneration. kommen normalerweise vor der Schule
eingesandt wurden. Die Kassenärztliche Der Virologe Streeck rät daher zu »krea- zum »Kinder-Es-S-Bahnhof« und holen
Vereinigung (KV) Hamburg warnt dage- tiven Lösungen«: Statt zehn Menschen mit sich ein Frühstückspaket. Außerdem schickt
gen vor dem Test, »da es hoch wahrschein- geringem Corona-Risiko einzeln zu testen, der Verein Essen an zwei Schulen.
lich ist, dass der Abstrich vom Patienten könne man ihre Proben »poolen«, also Wegen der Coronakrise fallen diese Mahl-
nicht sachgemäß vorgenommen wird«. mischen und in einem Durchgang analy- zeiten nun aus. Da seien die Hygiene-
sieren. Wenn der Test negativ ausfalle, Bestimmungen, die Abstandsgebote und na-
habe man neun Tests gespart. Sei das Er- türlich der fehlende Schulalltag, klagt Kamp-
»Wir können nicht gebnis positiv, könne man immer noch Ein-
zeltests vornehmen.
mann. »Ich habe keine Möglichkeit, an die
Kids ranzukommen.« Das Angebot sei ab-
die gesamte Das Verfahren, sagt Streeck, sei in der sichtlich so niedrigschwellig wie möglich,
Transfusionsmedizin bei der Untersu- die Kinder und Jugendlichen müssen sich
Bevölkerung testen.« chung von Blutspenden auf HIV oder He- nicht ausweisen, um Essen zu bekommen.
patitis erprobt. Wenn man es klug mache, Deshalb hat Kampmann keine Kontaktda-
lasse sich so die Zahl der getesteten Perso- ten, um sich weiter zu kümmern. Nun sorgt
Die Probe müsse so weit hinten im Ra- nen bei gleichem Materialverbrauch deut- er sich, dass seine »Kids« hungern oder nicht
chen genommen werden, dass bei den lich erhöhen. gesund genug ernährt werden. Eigentlich
meisten Menschen ein heftiger Würgereiz Andere Experten schlagen vor, die ver- sei er ein optimistischer Mensch, sagt Kamp-
entstehe, sagen Experten. Das werde al- fügbaren Tests auf wichtige Berufsgruppen mann, »aber die Lage ist sehr ernst«. In Es-
lerdings nicht nur bei Selbstentnahmen oft zu konzentrieren. »Wir können langfristig sen wachsen mehr als 30 Prozent der Kinder
falsch gemacht, sondern mitunter auch nicht die gesamte Bevölkerung in Deutsch- in Familien auf, die Hartz IV bekommen.
von Hausärzten: »Die wischen da nur ein land regelmäßig testen«, sagt Michael Deutschlandweit leben rund 2,7 Millio-
bisschen hinten rum«, sagt der Laborarzt Hoelscher, Direktor der Abteilung für In- nen Kinder und Jugendliche in Armut, hat
aus Baden-Württemberg. Die Folge seien fektions- und Tropenmedizin am LMU das Deutsche Kinderhilfswerk berechnet.
vermutlich viele falsch-negative Ergebnis- Klinikum München. Sie alle sind besonders betroffen, wenn das
se bei Corona-Tests. Da die Testkapazitäten nun Grenzen er- Essen in den Kitas und Schulen momentan
Problematisch ist auch, dass zwischen reichten, müsse man »intelligent testen«, wegfällt. Hinzu kommt: Vor der Corona-
den Heimabstrichen und dem Eintreffen sagt Hoelscher: »Polizisten, Feuerwehr- krise wurden rund eine halbe Million Min-
im Labor viel Zeit verstreichen kann. Am leute, erst recht Menschen in gesundheits- derjährige von den Lebensmitteltafeln mit-
sichersten seien die Tests, wenn die Pro- medizinischen Berufen sind regelmäßig in versorgt. Doch die Tafeln mussten vielerorts
ben auch während des Transports durch- Kontakt mit Risikopatienten. Da müssen schließen oder ihr Angebot einschränken.
gehend gekühlt würden, sagen Laborärzte. wir so weit wie möglich sicher sein, dass Auch anderen Vereinen und Stiftungen, die
Der Testhersteller Roche, der viele deut- diese Menschen nicht infiziert sind.« sich um zusätzliche Essensangebote oder
sche Labors beliefert, beziffert die Halt- Die übrige Bevölkerung solle erst bei die Finanzierung von Schulessen kümmern,
barkeit der Proben bei Temperaturen von starken Symptomen getestet werden, die sind die Hände gebunden.
2 bis zu 25 Grad auf maximal 48 Stunden. eine Einweisung ins Krankenhaus naheleg- Die Bundesregierung hat noch keine Lö-
Selbst Laborbetreiber, die normaler- ten, fordert Hoelscher. »Die, die nur milde sung für das Problem gefunden. Und das,
weise keine Proben von Menschen unter- Symptome haben, sollen bitte zu Hause obwohl Kitas und Schulen seit zwei Wo-
suchen, drängen jetzt in den Testmarkt. bleiben und sich nicht testen lassen.« chen geschlossen sind.
Der Veterinärmediziner Klaus-Peter Behr, Matthias Bartsch, Jan Friedmann, Klar ist: Die massiven Einschränkungen
60, blickt von seinem Büro in Emstek bei Matthias Gebauer, Annette Großbongardt, durch die Coronakrise waren so nicht vor-
Cloppenburg auf Gemüsefelder und eine Hubert Gude, Julia Jüttner, hersehbar, und die Regierung hat mit nie
Baumschule. Miriam Olbrisch da gewesenen Maßnahmen reagiert. Erst
Behr betreibt ein Labor mit 180 Mit- Mail: matthias.bartsch@spiegel.de am Montag wurde beschlossen, dass be-
arbeitern. »Wir könnten aus dem Stand dürftigen Familien geholfen werden soll.
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generelle Anhebung von Hartz IV »in
Höhe von 20 Prozent für Alleinerziehende
und ihre Kinder und um 15 Prozent für El-
ternpaare und ihre Kinder«, sagt Pascal
Kober, der sozialpolitische Sprecher der
Fraktion. Dies soll auf die Zeit, in der Schu-
len geschlossen bleiben, befristet werden.
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert
gar eine Erhöhung um 100 Euro pro Mo-
nat. Bei Hartz IV seien aktuell 2,92 Euro
pro Tag für das Essen von unter Sechsjäh-
rigen eingeplant, bei älteren sind es 4,09
Euro. »Das reicht nicht, wenn die Kinder
den ganzen Tag zu Hause sind«, sagt der
Geschäftsführer des Hilfswerks, Holger
Hofmann. »Und schon gar nicht, wenn
gerade vielerorts gehamstert wird und die
LEMRICH
preiswerteren Produkte nicht da sind.«
Die Essensfrage würde eine oftmals
Schüler in Kantine in Bayern: »Keine Möglichkeit, an die Kids ranzukommen« schon belastende Situation verschlimmern:
»Die Wohnungen sind klein, man darf
kaum mehr raus. Dann noch Geldproble-
So wird bei Hartz IV-Anträgen die Vermö- Heil (SPD), das für die Hartz IV-Sätze zu- me wegen etwas Essenziellem wie Essen,
gensprüfung für ein halbes Jahr ausgesetzt. ständig ist, sieht Probleme, aber keinen das kann schnell zu Lagerkoller oder
Auch der Kinderzuschlag von bis zu 185 weiteren Handlungsbedarf: »Die Bundes- Schlimmerem wie häuslicher Gewalt füh-
Euro im Monat soll zugänglicher werden. regierung tut schon jetzt alles in ihrer ren«, fürchtet Hofmann.
Klar ist aber auch: Den Kinderzuschlag Macht Stehende, um die Folgen der Coro- Der Paritätische Wohlfahrtsverband
gibt es in der Regel nur für Eltern, die ar- na-Pandemie abzumildern und zu bewäl- schlug bereits vergangene Woche Alarm –
beiten oder aufstocken. Arbeitslose profi- tigen«, sagt eine Sprecherin. Gleichzeitig vor der Verabschiedung des Maßnahmen-
tieren so gut wie gar nicht von den Regie- verspricht sie: »Wer Hilfe braucht, be- pakets. Auch er forderte »einen Zuschlag
rungsmaßnahmen, obwohl auch ihre Kin- kommt Hilfe.« Das sei und bleibe das von 100 Euro monatlich pro Person« so-
der nun den ganzen Tag zu Hause sind Kernversprechen des Sozialstaats. wie eine »einmalige Sofortzahlung von
und dort essen. Sozialverbände, Hilfsor- Die Regelsätze will das Ministerium 200 Euro für krisenbedingte Mehrbedar-
ganisationen und Oppositionspolitiker for- allerdings nicht erhöhen. Sie seien »grund- fe«. Geschäftsführer Ulrich Schneider
dern, dass auch für sie etwas getan werde. sätzlich auskömmlich«, da bei ihrer Ermitt- weist auf ein weiteres Problem hin: Die
»Gerade die Schwächsten in unserer Ge- lung »die Aufwendungen für ein häus- Hilfsaktionen seien häufig auf Ehrenamt-
sellschaft dürfen jetzt nicht durchs Netz fal- liches Mittagessen in voller Höhe einge- liche angewiesen. »Senioren sind eine
len«, sagt Grünenchefin Annalena Baer- flossen« seien. »Wenn jetzt also mittags wichtige Stütze und fallen jetzt aus, da sie
bock. Man brauche einen »befristeten Zu- nicht mehr in Kita oder Schule, sondern besonders gefährdet sind«, sagt er.
schlag« für Kinder aus Familien, die Leis- daheim gegessen wird, war das als Stan- Diese Erfahrung macht auch »brotZeit
tungen des Bildungs- und Teilhabepakets dardfall immer berücksichtigt.« e.V.«. Der 2009 von der Schauspielerin
bekommen. So könne man den Ausfall der Ausgerechnet die FDP sieht das, ähnlich Uschi Glas gegründete Verein versorgt
kostenlosen Mahlzeiten abfedern. Um min- wie die Grünen, anders. Sie fordert eine nach eigenen Angaben in normalen Zeiten
destens 60 Euro pro Monat, also etwa 3 rund 11 000 Kinder in Brennpunktschulen
Euro pro Schultag, solle der Satz erhöht wer- mit Frühstück. Seit drei Wochen nicht
den, damit die Leute mehr Lebensmittel kau- Eingeschränkte Möglichkeiten mehr. »Bereits eine Woche vor den Schul-
fen können. So hatten es die Grünen in den schließungen haben wir aus Verantwor-
Beratungen mit der Regierung vorgeschla- Hartz-IV-Regelsätze tung gegenüber unseren helfenden Senio-
gen. Doch die lehnte ab und erhöhte ledig- Monatliche Grundsicherung ab 2020 ren die Arbeit vorübergehend einstellen
lich den Kinderzuschlag. Das aber »erreicht müssen«, sagt Geschäftsführer Hans-Jür-
Kinder, 0 bis 5 Jahre
die Kinder, die es am dringendsten bräuch- gen Engler. Rund 1400 Seniorinnen und
ten, gerade nicht«, kritisiert Baerbock. 250 € Senioren bereiten sonst das Schulfrüh-
Auf die Frage, warum die Idee abgelehnt Kinder, 6 bis 13 Jahre stück in Form eines Buffets. Sie müssen
wurde, antwortet das Familienministerium jetzt zu Hause bleiben. Es ist unklar, ob
von Franziska Giffey (SPD) nicht. Eine 308 € sie arbeiten können, wenn die Schulen wie-
Sprecherin verweist lediglich auf jene Maß- Jugendliche, 14 bis 17 Jahre der öffnen.
nahmen, die beschlossen wurden, »um ge- 328 € Auch die Zeit nach Corona macht Eng-
rade auch Arbeitnehmerinnen und Arbeit-