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Der Kleine Deutsche
Ein Fortbildungsmittel
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Erlernung der deutschen Umgangssprache


auf allen Gebieten des täglichen Lebens,
mit steter Bezugnahme auf
deutsche Eigenart in Sitten, Gewohnheiten
und Einrichtungen

Verfaßt Von

Professor Dr. R. Kron

15. verbesserte Auflage

Freiburg im Breisgau
J. Bielefelds Verlag
1923.
Copyright 1916
by J. Bielefelds Verlag,
Freiburg im Breisgau

Printed in Germany

Druck von A. Bonz' Erben in Stuttgar


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WOrWOrt.

In den nachfolgenden Abschnitten ist das dop


pelte Ziel angestrebt, dem Leser in schlichtem, na
turfarbenem, deutschem Sprachgewande eine sach
gemäße, zuverlässige Darstellung der heutigen Kul
turverhältnisse Deutschlands zu vermitteln – deut
sches Leben und Wesen in deutschem Sprach
kleide.
Der Sachinhalt des Bändchens kann und soll
das schier unermeßliche Gebiet des deutschen Kul
turlebens nicht bis in alle Einzelheiten erschöpfen.
Als leitender Grundsatz wurde festgehalten, nur
das zu besprechen, was ein Deutscher von guter
Durchschnittsbildung wissen muß und wohl auch
weiß, also das, was in den Rahmen allgemeiner Bil
dung gehört. Auf gelehrtes Beiwerk und auf Er
örterung fachtechnischer Einzelheiten ist grundsätz
lich verzichtet; die Kenntnis solcher Dinge – bei
spielsweise medizinischer, juristischer, philologischer,
technischer, militärischer Fachausdrücke – ist auch
für den geborenen Deutschen Sache eingehender
Sonderstudien, in die wir uns hier nicht verlieren
können. Dagegen ist sorgfältig darauf Bedacht ge
nommen, daß nichts fehle, was vom Standpunkt
der allgemeinen Bildung wissenswert erscheinen
könnte.
Die sprachliche Darstellung verzichtet auf
eitles stilistisches Gepränge. Die feierlich gewählte
Ausdrucksweise des Fest- und Gelegenheitsredners,
die weihevolle Art des ten und Kan
ÄÄÄ
4 Vorwort.

zelredners, der bombastische Wortschwall des poli


tischen Volksbeglückers, die eigenartige Sprache
des Briefverkehrs und des sogenannten papiernen
Stils – alles das konnte hier nicht in Betracht
kommen, ja es wurde mit Absicht gemieden. Le
diglich auf natürliches, reines, schmuckloses Um
gangsdeutsch, wie es in der guten Gesellschaft ge
sprochen wird, kam es dem Verfasser an. Die Fremd
wörter ließen sich nicht ganz ausmerzen, sind aber
nur da angewandt, wo sich ein treffender, gut deut
scher Ersatz noch nicht gefunden hat. Die verwerf
liche Sucht einzelner, alles und jedes, was der Deut
sche bisher noch mit Fremdwörtern bezeichnet,
durch einen oft geradezu unverständlichen deutschen
Ausdruck wiederzugeben, begegnet bei verständigen
Deutschen günstigenfalls einem mitleidigen Lächeln.
Da nun aber im täglichen Verkehr auch unter
Gebildeten eine ansehnliche Menge von nicht rein
schriftgemäßen Wörtern und Wendungen gebraucht
wird, Ausdrücken, die im Wörterbuch vielfach nicht
zu finden sind, so wird diesem „Alltagsdeutsch“
ein gesondert erschienenes Beiheft * gewidmet; über
die praktische Verwendung dieses Sprachguts ist
an Ort und Stelle das Nötige bemerkt. Daß der
Ausländer die Alltagsausdrücke mit Vorsicht ge
brauchen muß, ist dort gesagt, sei aber hier noch
mals betont. Die in Rede stehenden Sprachformen
sind sämtlich vom Verfasser nach dem Leben auf
genommen.
Die Fußnoten erläutern – den heutigen
Grundsätzen der Reform entsprechend – in deut
scher Umschreibung solche Wörter und Wort
verbindungen, die dem vorgerückten Leser unge
läufig sein könnten. Die richtige Mitte ist hier aller
dings schwer zu treffen: was dem einen Leser wün
schenswert erscheint, wird der andere vielleicht

* R. Kron, Alltagsdeutsch (familiäre und


Slang-Ausdrücke in der zwanglosen Umgangssprache).
Mit erläuternden Beispielen. Freiburg i. B., J. Bielefelds
Verlag.
Vorwort. 5
entbehrlich finden. Über die didaktischen Vorzüge
der Erklärung von Unbekanntem durch bereits
Bekanntes in derselben Sprache herrscht nur eine
Stimme: bei grundsätzlicher Ausschaltung der Mutter
sprache werden alle Beteiligten im Deutschen schnell
heimisch, ihr fast müheloser Fortschritt weckt die
Lust zu tieferem Eindringen und zu selbständiger
praktischer Betätigung im Sprechen; daß dabei das
zweisprachige Wörterbuch so gut wie überflüssig ist,
wird man kaum zu bedauern brauchen.
Die Rechtschreibung beruht auf den neuesten
ministeriellen Bestimmungen vom Jahre 1902, die für
deutsche Schulen und im amtlichen Schriftverkehr
allgemein bindend sind; allerdings halten ältere Deut
sche noch an der „alten Orthographie“ fest.
Die im Text vorkommenden Abkürzungen
sind allgemein üblich; auf Seite 6 werden sie in
alphabetischer Folge erklärt. – Wenn ein Wort in
Anführungszeichen steht, so wird dadurch angedeu
tet, daß der betreffende Ausdruck ein Schlagwort
oder eine stehende Redensart ist.
Von Klammern ist im Text der Kürze halber
öfters Gebrauch gemacht; sie enthalten einen gleich
wertigen oder erläuternden, bisweilen auch einen
ergänzenden Ausdruck für das vorhergehende Wort.
Das in Klammern Stehende kann unbeschadet des
Zusammenhangs beim Lesen und Lernen auch über
gangen werden. -
Die vorliegende Neuauflage hat mancherlei An
derungen erfahren. Alle Preisangaben verstehen sich
in Gold mark.
Wiesbaden, März 1923.
R. Kron.
Abkürzungen im Text.
betr. lies: betreffende(n).
bspw. beispielsweise.
bzw. (oder bezw.) beziehungsweise.
(oder dgl.) dergleichen.
das heißt.
d. i. das ist.
d. s. das sind.
etW. etwas.
fam. familiär.
f. (oder ff.) und folgende.
i. allg. im allgemeinen.
i. J. im Jahre.
Jahrhundert.
mit anderen Worten.

# . Ä
ds., ob., unt.)
mit den Worten.
Seite.
siehe (dieses, oben, unten).
sogenannt(er, -e, -es).
unter anderem (oder anderen).
und ähnliche(s).
und andere(s) mehr.
A W g Um Antwort wird gebeten.
und dergleichen.
und so weiter.
und viele(s) andere.
u. z. (oder zw.) und zwar.
vergl. (oder vgl.) vergleiche.
z. B. zum Beispiel.
z. T. zum Teil.
I.

Warum lernen. Wir Deutsch?

Die Erzeugnisse deutscher Literatur, Wissen


schaft, Kunst und Industrie werden in allen Welt
teilen geschätzt. Das Ausland sendet seine besten
Söhne und Töchter nach Deutschland, damit sie auf
deutschen Bildungsanstalten, wie Universitäten, Gym
nasien, Realanstalten, Mädchen- und Fachschulen
die *Errungenschaften der deutschen Kultur aus ei
gener Anschauung kennen lernen.
Die landschaftlichen "Reize und Sommerfrischen,
wie sie der Rhein, der Harz, der Thüringer Wald,
die Sächsische Schweiz, der Schwarzwald, die Eifel
und das Riesengebirge in *Hülle * und *Fülle bie
ten, sowie die zahlreichen weltbekannten Badeorte
(wie Wiesbaden, Baden-Baden, Homburg, Ems, Kis
singen, Wildbad) locken aus aller Herren Ländern
Vergnügungsreisende, "Sommerfrischler und "Kur
gäste nach Deutschland.
Nun versuchen es zwar viele, ja wohl die meisten
Ausländer*, sich ohne Kenntnis der deutschen Spra
che in den deutschen Landen notdürftig "durchzu
winden. Sie suchen die deutschen Leistungen auf
* Das Wort Ausländer bezeichnet im folgenden immer
den Nichtdeutschen.
* Leistungen, Hervorbringungen. *Fortschritte. *Lok
kungen, Schönheiten. “Menge. "Leute, die sich in einer
Sommerfrische erholen wollen. "Personen, die eine Kur ge
brauchen. "durchzuhelfen.
8 I. Warum lernen wir Deutsch ?

wissenschaftlichem, literarischem, künstlerischem, in


dustriellem und technischem Gebiete aus Überset
zungen kennen zu lernen, um auf diesem Wege neue
Eindrücke und * Anregungen zu gewinnen, ihren
Gesichtskreis zu erweitern und ihren Erfahrungs
schatz zu bereichern. Aber abgesehen davon, daß
die wenigsten neueren Werke in Übersetzungen zu
gänglich sind, bietet auch eine "vorhandene "Über
tragung keinen vollständigen Ersatz für das deutsche
Werk; denn jede Übersetzung ist und bleibt nur ein
mehr oder minder "verzerrtes "Abbild des Originals.
Wie anders aber steht derjenige da, welcher
der deutschen Sprache in Wort und Bild mächtig
ist ! Wird der wissenschaftliche Forscher nicht weit
größeren geistigen Gewinn von der Lektüre des deut
§chen Urtextes haben, als von einer mangelhaften
Übertragung? Wird nicht der Vergnügungsreisende
einen ganz anderen Einblick in Land und Volk tun,
wenn er, anstatt stumme Betrachtungen an der Hand
seines gedruckten * Reiseführers ”anzustellen, mit
den Leuten plaudern, Fragen an sie richten, kurzum,
seine Gedanken austauschen und seine trockene
Baedeker-Weisheit durch das gesprochene Wort
der deutschen Landesbewohner beleben und ver
tiefen kann ?
Um also die geistigen Errungenschaften der
deutschen Denker, Künstler und Erfinder an der
Quelle studieren zu können, um im persönlichen
und schriftlichen Verkehr mit den Deutschen mög
lichst unabhängig von fremder Beihilfe zu sein, um
Genuß und Erholung von einer Reise nach den land
schaftlichen Perlen und Kurorten des deutschen
Landes zu ernten, um sich endlich gegen etwaige
Ausbeutungen oder Übervorteilungen durch ge
wissenlose Leute zu sichern, ist einige Fertigkeit im
raktischen Gebrauch der deutschen Schrift- und
mgangssprache eine "unabweisbare Vorbedingung.

"Gedanken. "existierende Übersetzung. "Zerrbild,


Karikatur. * Reisehandbuchs. ” vorzunehmen, zu veran
stalten. *unerläßliche, absolute.
II. Besuch. Einige Gesprächsformeln. 9

II.

Besuch. Einige Gesprächsformeln.


Wer eine Reise nach Deutschland unternimmt
und einigermaßen Deutsch spricht, bedarf außer
seinem Reisehandbuch keiner weiteren Führung.
Empfehlungsbriefe von Freunden oder Bekannten
an deutsche Familien können indes von Nutzen
sein, zumal wenn sie von *angesehenen Leuten mit
gegeben sind. Derartige Empfehlungsschreiben über
gibt man dem Adressaten am besten persönlich und
zwar bei Gelegenheit des Antrittsbesuchs.
Die übliche Besuchszeit ist zwischen zwölf und
zwei Uhr mittags, seltener nachmittags zwischen
vier und sechs. Der "geeignetste Tag ist der Sonn
tag; an Wochentagen (Werk-, Alltagen) werden
Besuche nur ausnahmsweise *abgestattet.
Bei Besuchen trägt man den schwarzen "Geh
rock (einen zweireihigen Rock mit langen Schößen),
schwarze oder "gemusterte Beinkleider, eine seidene
Halsbinde und helle, jedoch nicht weiße Handschuhe.
Dazu kommt der schwarzseidene Zylinderhut, der
mit in... das Empfangszimmer zu nehmen ist. Wer
einen Überzieher trägt, legt ihn ab, bevor er in das
Zimmer tritt. Auch Schirm oder Stock bleiben im
Vorraum.
Um nun jemand meinen Besuch zu machen,
begebe ich mich nach seiner Wohnung und klingele
(ich schelle, ich drücke auf den Knopf), worauf ein
Dienstmädchen oder ein Diener mir die Haustüre
öffnet. Ich frage den Dienstboten: „Ist Herr (Frau)
N. N. zu sprechen?“, oder ich sage: „Ich möchte
zu Herrn N. N., ich möchte Herrn N. N. meine "Auf
wartung machen. Ist er zu Hause?“ *Unter *Um
"leidlich, notdürftig. *geachteten, einflußreichen. *beste
“gemacht. "Überrock. "gestreifte oder karierte. ?Besuch.
"nach Lage der Verhältnisse, eventuell.
10 II. Besuch. Einige Gesprächsformeln.
ständen werde ich sagen: „Ich möchte Herrn N. N.
auf einige Augenblicke sprechen; bitte, bringen Sie
ihm diese Karte und sagen Sie ihm, ich käme nicht
geschäftlich, sondern in einer rein persönlichen An
gelegenheit; lange würde ich ihn nicht stören (auf
halten).“ Gebe ich keine Karte ab, so wird der
Dienstbote mich fragen: „Darf ich um Ihren werten
Namen bitten ?“ oder: „Wen darf ich melden ?“
worauf ich ihm sage (angebe), wer ich bin, z. B.
[sprich: zum Beispiel] „Dr. Becker, Professor Hart
mann, Herr Gerling.“ Ich werde dann gebeten näher
zutreten; man führt mich ins Wartezimmer, wo der
Dienstbote nach kurzer Zeit wieder erscheint und
mir "Bescheid bringt, ob ich angenommen werden
kann oder nicht.
Ist Herr N. N. nicht zu Hause oder kann er
mich zurzeit nicht empfangen, so erhalte ich ”etwa
folgenden Bescheid: „Herr N. N. ist verreist, ist
nicht zu Hause, nicht zu sprechen, nicht da; er ist
soeben ausgegangen; er ist augenblicklich sehr be
schäftigt und bedauert, Sie jetzt nicht Ä
zu können; es ist gerade Besuch da; Frau N. N. emp
fängt nur Mittwochs von 4 bis 6 Besuch“ u. dergl.
[sprich: und dergleichen].
Wenn Herr N. N. mich empfangen will, so meldet
der Dienstbote: „Herr N. N. läßt bitten“, und ich
werde in den Salon geführt, wo Herr N. N. nach
einer Weile erscheint und sich nötigenfalls entschul
digt, daß er mich habe warten lassen. Mit den Wor
ten „Bitte, nehmen Sie Platz l“ oder „Bitte, setzen
Sie sich l“ ladet er mich zum Sitzen ein, worauf ich
ihm *auseinandersetze, was mich zu meinem Be
suche *veranlaßt hat. Falls ich ein Empfehlungs
schreiben von einem gemeinsamen Bekannten mit
führe, überreiche ich es Herrn N. N. mit dem Be
merken: „Ich habe Ihnen Grüße von Herrn Müller
in X. zu überbringen.“ Herr N. N. wird sich hierauf
nach dem Befinden und Tun und Treiben unseres

"Auskunft, Antwort. "ungefähr, vielleicht. *sage,


mitteile. *bestimmt, bewogen.
II. Besuch. Einige Gesprächsformeln. 11

gemeinsamen Freundes Müller erkundigen; auch


wird er fragen, was mich nach Deutschland führe,
ob ich mich hier wohl fühle, wo ich wohne, ob ich
"gut *untergebracht *sei u. dergl. Er wird sich
*voraussichtlich bereit erklären, mir auf Wunsch
15 mit 15 Rat 13 und 15 Tat zur Seite zu stehen. Mit
seiner Familie wird er mich ebenfalls bekannt ma
chen und mich bitten, bei längerem Aufenthalt
gelegentlich einmal wieder vorzusprechen. Eine
Einladung zum Mittag- oder Abendessen wird in
der Regel bald nach meinem Besuch an mich er
gehen.
Hat mein Besuch "einen "anderen "als "ge
sellschaftlichen ”Zweck, so bringe ich mein An
liegen Herrn N. N. vor, nachdem letzterer nach
meinem ”Begehr gefragt hat m. d. W. [sprich: mit
den Worten] „Womit kann ich (Ihnen) dienen?“
oder: „Was verschafft mir die Ehre [zu ergänzen:
Ihres Besuchs] ?“
Freundesbesuche sind weniger förmlich; der
Anzug ist dabei beliebig. Beim Empfang begrüßen
wir uns mit einem „Guten Morgen“, Guten Tag“,
oder „Guten Abend, Fritz“, erkundigen uns gegen
seitig nach dem Befinden: „Wie geht es dir, alter
Junge? Was macht deine Familie? Alles munter
und gesund?“ usw. [sprich: und so weiter. Die
Antworten können verschieden sein: „Danke, vor
züglich, vortrefflich, ausgezeichnet, sehr gut, so
leidlich, so la la, nicht besonders, nicht vom besten,
herzlich schlecht, miserabel“ usw. Hierauf plaudern
wir in zwangloser Weise eine Zeitlang über dieses
und jenes.
Es kommt auch wohl vor, daß ich einen meinem
Freunde unbekannten Dritten einführe (mitbringe),
den ich dann vorstelle m. d. W.: „Darf ich die Herr
schaften ”miteinander *bekannt *machen ? Mein
Kollege, Herr Dr. Schmidt – mein Freund N. N.“,
"eine gute Wohnung habe. *wahrscheinlich. *hilf
reich. *keinen gesellschaftlichen (Höflichkeits-), sondern
einen anderen Zweck. ?Wunsch. *(einander) vorstellen.
12 II. Besuch. Einige Gesprächsformeln.
worauf mein Freund entgegnet: „Sehr geehrt, Ihre
Bekanntschaft zu machen“, „Sehr angenehm“, oder
auch: „Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen.“
Mein Kollege Dr. Schmidt erwidert: „Ganz auf
meiner Seite“, und bedient sich so einer üblichen
Verkürzung des Ausdrucks: „Die Ehre ist ganz auf
meiner Seite.“
Wenn ich in der Unterhaltung etwas nicht ver
standen habe, so frage ich nach, indem ich eine der
folgenden Wendungen gebrauche: „Wie, bitte?“
„Wie belieben ?“ [zu ergänzen ist das Wort „Sie“],
„Wie beliebt ?“, „Verzeihung, ich habe nicht recht
(nicht ganz) verstanden“. Man hört auch wohl
fragen: „Wie meinten Sie, Herr N. N. ?“, „Wie be
merkten gnädige Frau ?“ Ganz familiäres „Was?“
„Was gefällig?“ (rheinisch), oder „Wie?“ gilt im
Munde eines ”Fernstehenden als unpassend.
Der Ausländer meide es, in der Anrede* die
Worte „mein Herr“ anzuwenden. Man hört die
Wortverbindung „mein Herr“ meist nur im Verkehr
mit Verkäufer(inne)n, Dienstboten und Kellnern.
Das Richtige ist, in der Anrede jene Worte bei Leuten
ohne Titel entweder ganz wegzulassen, oder den
Namen "des "Betreffenden dem Worte „Herr“
beizufügen, z. B. „Nun, wie geht's?“ oder „Nun,
wie geht's, Herr Schultze ?“. Wenn man mehrere
Personen zugleich anredet, so sagt man freilich am
besten: „Nun, wie geht's, meine Herren (meine
Herrschaften) ?“
Anders, wenn der Angeredete einen Titel be
sitzt. In solchem Falle würde der Deutsche es *übel
*vermerken, wenn man ihm seinen Titel – oder,
in Ermangelung eines solchen, seinen Amtscharakter
* Alle Erwachsenen redet man mit „Sie“ an (man
„siezt“ sie); „geduzt“ (d. h. mit „du“ angeredet) werden
nur ??Angehörige, nahe Verwandte, gute Freunde oder Freun
dinnen und Kinder unter 14 Jahren.
1°einer Person, die dem Angeredeten nicht näher be
kannt ist. ”der angeredeten Person. * übelnehmen, krumm
nehmen (familiär), unangenehm empfinden. * Eltern, Ge
schwister.
II. Besuch. Einige Gesprächsformeln. 13
– in der Anrede * vorenthielte und ihn einfach mit
„Herr Becker“ anspräche, anstatt bspw. [sprich:
beispielsweise mit „Herr Doktor, Herr Professor,
Herr * Geheimrat, Herr *Studienrat, Herr Amts
richter, Herr Amtsgerichtsrat (oder kürzer: Gerichts
rat), Herr *Assessor, Herr ” Rechtsanwalt, Herr
Notar, Herr * Referendar, Herr * Superintendent,
Herr Pastor, Herr Pfarrer, Herr Oberprediger, Herr
*"Kandidat, Herr * Kaplan, Herr Direktor, Herr
Inspektor, (es gibt Direktoren und Inspektoren
sehr verschiedener Qualität !), Herr *Baurat,... Herr
Baumeister, Herr * Kommerzienrat, Herr *Ökono
mierat, Herr *Oberamtmann, Herr ”Amtmann,
Herr Unteroffizier, Herr Sergeant, Herr * Feld
webel (bei berittenen Truppen „Wachtmeister“ ge
nannt), Herr Leutnant, Herr Hauptmann, Herr
* Rittmeister, Herr Major, Herr °Oberst, Herr
General (nur der Generalmajor), Herr Admiral
(nur der Konteradmiral), „Exzellenz“ (ohne „Herr“!

Y *nicht gäbe, nicht gewährte. *ein vom Landesherrn


(König usw.) verliehener (d. h. gewährter) Ehrentitel für
höhere Beamte, die lange Jahre treu gedient haben. *aka
demisch gebildeter Gymnasial- oder Realschullehrer, dem
nach einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren der Titel
„Oberstudienrat“ verliehen wird. * Jurist, der die Richter
prüfung bestanden hat. ”Advokat. *jüngerer Jurist, der
zwar die erste theoretische Prüfung, die für das Richteramt
aber noch nicht abgelegt hat. *höchster Geistlicher und
Vorsteher eines protestantischen Kirchensprengels (d. i. einer
Diözese oder Ephorie). ”junger protestantischer Theologe,
der noch nicht ordiniert (d. h. noch nicht selbständiger
Pfarrer) ist. *katholischer Pfarrgehilfe, Hilfsgeistlicher.
* von der Behörde verliehener Ehrentitel für erfahrene Bau
meister oder Architekten. ”vom Landesherrn verliehener
Ehrentitel für solche, die sich um Handel und Industrie
verdient gemacht haben. *verdiente Landwirte erhalten
vom Landesherrn diesen Ehrentitel. *Domänenpächter,
Landwirt, der eine Domäne (d. i. ein Staatsgut) pachtweise
bewirtschaftet. *Pächter eines Landgutes, das einer Kom
mune oder zum Hausvermögen eines Fürsten gehört. "höch
ster Unteroffizier einer Kompanie (einer Eskadron, Batterie).
**Führer einer Eskadron. **Führer eines Regiments.
14 III. Kaufläden.

in der Anrede an höhere Generale, Admirale, Vize


admirale, Staatsminister und verdienstvolle Männer,
denen diese Auszeichnung "verliehen wurde).
Der Titel oder die Amtsbezeichnung des Mannes
wird seiner Frau (Gemahlin) ebenfalls *beigelegt;
z. B. sagt man: „Jawohl, Exzellenz, Nein, Frau
Geheimrat, Frau Professor, Frau Dr., Frau Direktor,
Frau Studienrat“ usw. Verbreiteter ist als Anrede
der Damen freilich die ganz allgemeine Wendung
„Gnädige Frau“, bei unverheirateten Damen: „Gnä
diges Fräulein“.
Beim Abschied von einem Fernstehenden dankt
man für die liebenswürdige Aufnahme und verbeugt
(verneigt) sich mit einem „Habe die Ehre, mich
zu empfehlen“, „Jetzt muß ich mich verabschieden“,
„Leben Sie recht wohl“ u. dergl. -

Von Freunden und Näherstehenden verabschie


det man sich ohne Förmlichkeiten und sagt einfach:
„Auf Wiedersehn“, „Lebewohl“, „Bis später“,
„Also auf heute Abend“, „Bis morgen“, „Bis bald“,
Ä:
Ott !“.
gesund“, in Süddeutschland auch: „Grüß'
In der Regel wird gebeten, Grüße bei den *An
gehörigen zu bestellen. Die üblichen Formeln sind:
„Schönen (Besten) Gruß zu Hause“, „Freundliche
Grüße an Ihren (werten) Herrn Vater, an Ihre werte
Frau Gemahlin, an Ihren Herrn Bruder, an Ihr
Fräulein Schwester“ u. dergl. Die Antwort lautet:
„Danke sehr (Danke schön), ich werde es ausrichten,
(bestellen)“.

III.

Kaufläden.

Wenn mir das Briefpapier, die Federn, Tinte,


Zigaretten, Zigarren oder Streichhölzer, die Hand
Schuhe, Wäsche oder irgend etwas Unentbehrliches
"gewährt, zuerkannt. "gegeben. *Mitgliedern der
Familie. - -
IIi. Kaufläden. 15

* ausgegangen sind, so begebe ich mich in einen Laden


und * versorge *mich *mit *neuem *Vorrat. Ich
*lasse niemals ”anschreiben, sondern zahle stets
bar, was ich kaufe; denn „Borgen macht Sorgen“,
lehrt (sagt, besagt) das Sprichwort. Ebensowenig
versuche ich zu handeln (feilschen), um den gewünsch
ten Artikel billiger zu erhalten; alle besseren (La
den-)Geschäfte (Kaufläden) haben feste Preise und
lassen sich nicht unterbieten (*lassen *sich *keine
*Abzüge *machen).
In den meisten Läden der größeren deutschen
Städte wird das Französische und Englische mehr
oder weniger gut verstanden und gesprochen, so
daß Ausländer hier selten in Verlegenheit geraten
werden. -

Wie in allen größeren europäischen Städten


so gibt es auch in den deutschen größere Kaufhäu
ser oder Warenhäuser, die mit allen erdenklichen
Bedarfs- und Luxusartikeln "vollgepropft sind. Sehr
viele Leute beziehen von diesen Geschäften ihren
Bedarf, in dem Glauben, dort vorteilhafter bedient
zu werden, als in den kleineren Spezialgeschäften,
die infolgedessen oft °ihre "liebe "Not haben, sich
zu halten.
Außerdem gibt es eine Unzahl von größeren
und kleineren Ladengeschäften, die teils ihre eigenen
Erzeugnisse führen, teils von Großhändlern oder
Fabriken ihren Bedarf beziehen. Zu derartigen
Ladengeschäften gehören unter anderen:
1. Der Bäckerladen oder die Bäckerei, wo der
Bäcker Schwarzbrot und Weißbrot bäckt und ver
kauft; – die Konditorei, wo Zuckergebäck, Torten
und anderes Backwerk sowie eine Tasse Kaffee und
Liköre zu haben sind; – die Spezerei- und Kolo
nialwarenhandlung, in der Gewürze und Kolonial
waren, wie Kaffee, Tee, Zucker, Reis, Rauchtabak,
Zigarren, ferner Seife, Lampenöl, marinierte Heringe,
*fehlen. ?decke meinen Bedarf, beschaffe mir das
Fehlende. *kaufe . . . auf Kredit (Borg). *setzen den Preis
nicht herab. "angefüllt. "große Mühe (Schwierigkeit).
16 III. Kaufläden,

Zündhölzer und noch andere Verbrauchsartikel 7ver


abfolgt werden; – der Grünkram (handel) für frische
Gemüse, Kartoffeln, Obst u. dergl.; – das Deli
katessengeschäft, wo feinere geräucherte Fleisch- und
Wurstwaren, Fleischkonserven, Kaviar, eingemachte
Früchte, Gemüse in Blechbüchsen und andere Deli
katessen zu finden sind; – die Wild- und Geflügel
handlung für Rehe, Hasen, Rebhühner, Puter, Gänse,
Enten usw.; – die Metzgerei, auch Fleischerei oder
Schlächterei genannt, die den Hausfrauen und Gast
häusern ihren Bedarf an Ochsenfleisch, Kalbfleisch,
Schweinefleisch und Hammelfleisch liefert; – das
Milch-, Butter-, Käse- und Eiergeschäft, welches uns
mit Milch, Butter, Käse und Eiern * versorgt; –
die Fischhandlung, wo frische(r) Fisch (e), Krebse
und Austern zu haben sind; – die Bierhandlung,
in der Bier liter-, flaschen-, kannen- oder faßweise
abgegeben wird. -

Die Hausfrauen und Köchinnen können ihren


°Wirtschafts- und Küchenbedarf zum Teil auch
auf den sogenannten Wochenmärkten, die übrigens
in größeren Städten täglich abgehalten werden,
9 decken. Auf diesen Märkten entwickelt sich in den
Morgenstunden ein buntes Geschäftstreiben zwi
schen den mehr oder minder eleganten Marktbe
sucherinnen der Stadt und den ländlichen, oft recht
*urwüchsigen, auf ihren Vorteil aber wohlbedachten
Marktfrauen, die ihre Gemüse und Kartoffeln, sowie
Obst, Fisch, Geflügel, Wild, Rindfleisch, Schweine
fleisch und Blumen ”feilhalten.
& 2. Das Modewaren- und Konfektionsgeschäft, wo
Modeartikel vorrätig sind und Mäntel, Anzüge,
u. dergl. angefertigt werden; das Manufaktur-,
Weiß- und Wollwarengeschäft für Kleiderstoffe, Hem
den, Kragen, Manschetten, Halsbinden (Schlipse
oder Krawatten), *Unterzeug usw.; das Hutgeschäft

7 abgegeben, veräußert, verkauft. * versieht. ” Haus


halt(ung)s-. ”einkaufen, sich beschaffen. * vielseitiges.
"originellen, eigenartigen. *käuflich anbieten. *Unter
kleidung (Unterhosen, Unterjacken, Strümpfe usw.).
III. Kaufläden. - 17

für Zylinder-, Filz- und Strohhüte, Mützen; der


Handschuhladen - für alle Sorten Glacéhandschuhe,
seidene und wollene Handschuhe: das Putzgeschäft
für Damenhüte. Schleier, seidene Ränder; das Schuh
und Stiefelgeschäft, wo der Schuhmacher oder Schu
ster fertige Schuhe, Stiefel, Pantoffeln (Hausschuhe)
verkauft und hesohlt, oder solche nach Maß anfer
tigt; die Pelzwarenhandlung. auch Kürschnergeschäft
genannt, wo alle Arten Pelzwerk, Pelzmäntel, Pelz
boas, Pelzmützen, Pelzkragen, Muffs verkauft, den
Sommer hindurch aufhewahrt und gegen ”Motten
fraß geschützt werden: das Goldwarengeschäft, wel
ches reiche Auswahl hietet in echt goldenen oder
silbernen Ringen (mit Edelsteinen und ohne solche),
in Broschen, Armbändern, Ohrringen, Halsketten,
Uhren, Uhrketten, Tafelhestecken usw.: das Fri
seurgeschäft, wo der „Herr Verschönerungsrat“ –
wie man den Rarhier scharzweise wohl nennt –
oder einer seiner Gehilfen die Kunden rasiert, frisiert,
ihnen das Haar und den Bart stutzt (schneidet),
den Kopf wäscht und nehenher allerlei Artikel für
den Wasch- und Ankleidetisch feilhietet, z. B. feinere
Seifen, Kopfwasser. Mundwasser, Kämme, Bürsten,
19 Barthinden. Schwämme, Kölnisches Wasser und
andere wohlriechende Wässer. -

3. Der Zigarrenladen, wo Zigarren, Zigaretten,


Tabake, Zigarrenspitzen und Zigarrentaschen käuf
lich zu haben sind: das Schreibwarengeschäft. für
alles, was man beim Schreihen braucht. Papier, Brief
umschläge (sehr oft nach Kuverts genannt). Lösch
papier, Federn, Federhalter. Füllfedern, Bleistifte,
Buntstifte, Radiergummi, 17 Federkasten, Tinte, Tin- -
tenfässer, Formulare, Postkarten mit Ansichten
usw.; die Sortimentsbuchhandlung, in der Regel kurz
Buchhandlung, für den *Bezug von neuen Büchern,
Zeitschriften, Kupferstichen, Kunsthlättern usw.; das
Antiquariat, welches gebrauchte Bücher und ältere,

*Beschädigung durch Motten (d. s. geflügelte nagende


Insekten). * Binden zum Richten des Schnurrbartes. ”kleine
Behälter für Federn, Halter, Bleistifte uw. *Ankauf.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15- 2
18 III. Kaufläden.

selten gewordene Schriftwerke” vertreibt oder für


seine Besteller ?9 beschafft.
Die Kunsthandlung führt Kunstgegenstände der
verschiedensten Art, besonders solche für Ausstat
tungszwecke; die Musikalienhandlung hält ein großes
Lager in Musikalien, Musikinstrumenten u. dergl.;
das Galanteriewarengeschäft führt Artikel, die als
Zieraten und Putzsachen dienen, z. B. Fächer, Leder
waren, Gegenstände aus Elfenbein, Bronze, Silber,
Altsilber, Neusilber, Nickel, Nippsachen usw.; das
Porzellan- und Glaswarengeschäft liefert Gebrauchs
und Luxusgegenstände in Porzellan, Kristall, Glas,
Majolika, Terrakotta.
Das Eisenwarengeschäft führt Gegenstände aus
Eisen, Stahl und Messing, sowie Werkzeuge für
Handwerker; das Blechwarengeschäft liefert Haus
haltungsgegenstände aus Weißblech, Blechkannen
und -gefäße jeder Art; der Spielwarenladen ist ?ge
spickt mit tausenderlei Spielzeugen für Kinder;
der Drechslerladen hält u. a. [sprich: unter andern]
Pfeifen, Zigarrenspitzen, (Spazier-)Stöcke, Regen
und Sonnenschirme, Schachbretter und -figuren s
feil; das Sattlergeschäft führt Pferdegeschirr, Sättel,
Zaumzeug usw.; die Möbelhandlung hält alle Arten
Möbel, wie Tische, Stühle, Sofas, Büfetts, Schränke,
Betten, ” Bücherbretter zum Verkauf; im Uhr
machergeschäft werden Uhren *nachgesehen, ge
reinigt, reguliert und feilgehalten; in der Waffen
handlung findet man Revolver, Pistolen, Jagdgewehre,
Munition (Schießbedarf), Säbel mit Scheide usw.;
die Handlung in optischen Instrumenten und Appa
raten verkauft Mikroskope, Lupen, Thermometer,
Barometer, *Feldstecher, Brillen u. v. a. [sprich:
und vieles andere].
Die Drogenhandlung oder Drogerie gibt Drogen,
Spezereien und *freigegebene fertige Heilmittel ab;
das Blumengeschäft, meistens mit Bukett- und Kranz
*verkauft. *"liefert, besorgt. "vollgepfropft, angefüllt.
*Bücherborde, -regale. *revidiert. * Ferngläser, Krim
stecher. *nicht ausschließlich den Apotheken reservierte.
IV. Im Laden. 19
binderei verbunden, besorgt frische Blumen, Sträuß
chen fürs Knopfloch, kleine und große Buketts,
Kränze und Blumenarrangements, sowie die Aus
schmückung von Festräumen; das Wechsler- und
Geldgeschäft wechselt Geld, besorgt den Ankauf oder
Verkauf von Börsenwerten, diskontiert (kauft) Wech
sel und übernimmt Wertpapiere oder bares Geld
zur Aufbewahrung („in Depot“); die Fahrradhand
lung verkauft und repariert Fahrräder und liefert
alles?"Zubehör, sowie die wichtigeren Ersatzteile.

IV.

Im Laden.
Obgleich in den meisten größeren Kaufläden
Französisch und Englisch von wenigstens einem
der Verkäufer verstanden und "leidlich gesprochen
wird, tut der Fremde dennoch wohl daran, sich die
geläufigsten Redewendungen, deren man sich beim
Einkaufen bedient, zu merken. ?Es ?kommt für
den Kauflustigen vor allem *darauf ?an, den ge
wünschten Gegenstand verlangen und sich über
den Kostenpunkt (Preis) *vergewissern zu können.
Auch ist es wichtig, daß der Käufer versteht, was der
Ladendiener (Verkäufer) über die Art, die Güte und
den Wert der Ware zu bemerken *pflegt. Die üblichsten
Redewendungen sind in dieser Beziehung etwa folgende.
1. Gegenseitige Begrüßung.
Käufer. Verkäufer.
Guten Morgen. Guten Tag. Gehorsamer Diener (nur im
Guten Abend. (Herren Munde von männlicher Be
nehmen in der Regel den dienung) oder Guten Mor
Hut ab.) gen usw. Womit kann ich
dienen ? Was wäre (ist) Ih
nen gefällig? Sie wünschen?
Was darf es sein?

?"was dazu gehört, z. B. Klingel, Laterne usw.


notdürftig, einigermaßen. *es ist . . . wichtig. *Ge
wißheit verschaffen, genau unterrichten. “gewohnt ist.
20 IV. Im Laden.

2. Der Käufer sagt, was er wünscht.


Käufer. Verkäufer.
Könnte ich Ihre bunten Post Sehr gerne. Wollen Sie sich
karten (Ansichtspostkarten, gütigst nach drüben be
Postkarten mit Ansichten) mühen ? Dort finden Sie
einmal ansehen ? eine große Auswahl An
(Ich) bitte um einige An sichtskarten. Sin 5 Bunt
sichtspostkarten. druck und in einer Farbe,
sowie auch Künstlerkarten.
Führen Sie (Haben Sie) pho Zu dienen. Wir haben eine
tographische Ansichten von sehr reichhaltige Auswahl
Berlin und Umgehung ? neuester 9 Aufnahmen.
Ein Paar Glacéhandschuhe, Sehr gern. Sehr wohl. Darf
bitte. es was Resseres sein ? In
Gehen Sie mir ein Paar welcher Preislage ungefähr?
Glacéhandschuhe.
Ich mºchte ein Paar (helle, Welche Nummer ? Erlauben
dunkle) Glacéhandschuhe Sie gütigst Thre rechte
haben. Hand. Sie haben 73/.
Darf ich bitten, mir einige Mit Vergnügen. Lederkoffer
solide Lederkoffer zu zei sind unsere Spezialität: die
gen ? besseren sind Handarbeit.
Was kostet der große Reise 80 M. (Mark) mit 5 % (Pro
koffer im Schaufenster da ? zent) bei Barzahlung, also
76 M. netto.
Wie ich im Anzeigenteil der Gewiß. Sie kommen sehr ge
Zeitung gelesen habe. ver legen. Wir haben jetzt
kaufen Sie beste 7Oberhem ehen wieder neuen Vorrat
den zu 4.50 M. Könnte in den verschiedensten Fas
ich mir diese einmal an sons. Qualitäten und Preis
sehen ? lagen (Preisen).

3. Das Vorgelegte gefällt dem Känfer nicht; er möchte


andere Sachen sehen.
Käufer. Verkäufer.
Diese Farbe gefällt mir nicht Mit (dem größten) Vergnügen.
sonderlich. Wollen Sie mir, Bitte. verzeihen Sie einen
bitte, andere zeigen ? Augenblick; ich lege Ihnen
sofort andere 8Genres vor.

"in mehreren Farben. koloriert. "Photographien (Licht


bi'dºr). 7Taghemden, Faltenhemden, Manschettenhemden.
"Arten, Sorten.
IV. Im Laden. 21
Ich möchte eine noch hellere Freilich. Wir führen Glacé
Farbe haben; führen Sie handschuhe in allen Farben
diese auch ? und Größen. Hier haben
Sie hellere.
Diese scheinen mir etwas zu Bitte sehr. ?Gestatten Sie
eng (zu knapp), etwas zu nur, daß ich den Hand
weit; darf ich einen an schuh erst etwas "aufweite.
probieren (anpassen)? So . . . Er sitzt tadellos,
nicht wahr?
Ja, aber die Knöpfe sind Ja, das ist das ewige Leiden!
schlecht angenäht; da Die Fabriken nähen die
springt schon gleich einer ab. Knöpfe stets so schlecht an.
Haben Sie denn keine Hand Ich werde (will) einmal nach
schuhe mit Druckknöpfen sehen. Bedaure unendlich !
oder mit Mechanik ? Die Diese Farbe ist mit Druck
halten besser und sind auch knöpfen oder Mechanik
bequemer zu schließen. augenblicklich nicht mehr
vorrätig (am Lager). Doch
können wir sie 1hnen in
einigen Stunden beschaffen.
Sehr liebenswürdig, aber das Tut mir sehr leid!
fe! dauert mir zu lange. Ich Jedoch kann ich Ihnen die
s brauche die Handschuhe Knöpfe schnell nachnähen
t. sofort. lassen.

4. Der Käufer erkundigt sich nach dem Preis.


et Käufer. Verkäufer.
Was kostet dieses Paar ? 5 Mark. Es sind zweiknöp
Fz. Wieviel macht ein solches fige, wie Sie sehen. Mit
re Paar ? nur einem Knopf sind sie
Wie teuer (hoch) kommt jenes ? 50 Pfennige billiger.
Wie berechnen Sie dieses 4 M. Auch ein vorzüglicher
ch Paar ? Handschuh!
Und wenn ich 6 Paar davon Nun, bei 6 Paar lasse ich sie
nehme, wie stellt sich dann Ihnen zu 22 M. statt 24.
der Preis ? Da geben Sie In der Regel geben wir
ſige doch Rabatt? "überhaupt "keinen "Ra
eins Bei Abnahme eines größeren batt, doch will ich diesmal
ſhºs Postens tritt doch eine eine Ausnahme machen.
Preisermäßigung ein ?
-

ſic "erlauben. 19 weiter mache. *gewähren wir gar keine


ſpäé Ermäßigung, machen wir gar keinen Abzug.
22 IV. Im Laden.

5. Der Preis erscheint dem Käufer zu hoch; dieser


versucht zu handeln, zahlt aber schließlich doch den
Verlangten * Betrag.
Käufer. Verkäufer.
Das kommt mir etwas hoch Sie finden das teuer ?
VOT. Sie müssen bedenken, es ist
die allerfeinste Qualität.
Das ist aber wirklich teuer! Sie werden diese Ware nir
Soviel kann ich nicht an gends billiger bekommen.
legen.
22 M. für 6 Paar Hand Tut mir sehr leid! Wir haben
schuhe, das ist” unheimlich feste Preise, und ich habe
viel! Sagen wir 20 M., und Ihnen schon 2 M. abgelas
ich nehme * den * Posten. sen. Weiter kann und darf
ich nicht gehen.
Nun denn, wenn Sie sagen, Danke verbindlichst. Sie wer
es geht nicht, so will ich den an der Ware Ihre
die 22 M. zahlen. Freude haben.

6. Der Verkäufer sucht den Käufer zu anderweitigen


Käufen zu Veranlassen.

Verkäufer, Käufer.
Sonst noch etwas gefällig? Für heute (für diesmal) nicht,
daß ich wüßte.
Womit kann ich ferner die Danke, ich bin mit alledem
nen ? Vielleicht mit Kra noch reichlich versehen.
gen, Halsbinden, ”Unter
zeug?
Darf ich Ihnen unsere neue Vielen Dank! Ich bin nicht
sten Radfahranzüge zeigen ? Radfahrer und habe daher
wenig Verständnis für der
artige Neuheiten.
Soll ich Ihnen die Hand Sehr freundlich ! Wollen Sie
schuhe zuschicken ? sie mir in meine Wohnung
senden ?
Sehr gerne. Und welche Herrn X., Deutsches Haus,
Adresse, wenn ich bitten Zimmer 24.
darf ?

12 Preis. *ungeheuer, enorm. *die Partie, hier: die


6 Paar. ”anderen, sonstigen. ”Unterhosen, Unterjacken,
Strümpfe.
V. Bier- und Weinhäuser usw. 23

7. Der Käufer (be)zahlt.


Käufer. Verkäufer.
Geben Sie Kredit ? Bedaure, wir verkaufen nur
Kann ich den Posten an- gegen Kasse (gegen bar).
schreiben lassen ? Wir pflegen keinen Kredit zu
gewähren.
Wo kann ich zahlen ? Wollen Sie sich gütigst zur
Kasse bemühen ?
Ich muß Sie bitten, mir die- Recht gern. Ihre Rechnung
sen Hundertmarkschein zu beträgt 22 M. . . . Bitte
wechseln. Ich habe es (d. h. schön: 22 und 3 sind 25,
das Geld) gerade nicht und 5 macht 30, und 20
kleiner. sind 50, und 50 macht 100.
Nicht wahr ? 78 M. zurück.
Besten Dank!
Guten Tag. Empfehle mich sehr.
Guten Abend. Halte mich bestens empfohlen.

V.
Bier- und Weinhäuser. Wiener Cafés.
Restaurants. Zeitvertreib.
Bier auf Wein,
Das laß sein /
Wein auf Bier,
Das rat ich Dir /
Wie der Franzose sein Café, der Engländer den
Klub, so hat mancher Deutsche sein Stammlokal.
Hier verbringt er nach des Tages Last und Arbeit
mit anderen * Stammgästen am ”Stammtisch einige
Stunden in *zwangloser Unterhaltung oder bei einem
Spielchen; er trinkt dazu seinen Schoppen, u. z.
[sprich: und zwar vormittags seinen Frühschoppen,
egen Abend den Dämmerschoppen, im späteren
erlauf einen oder bisweilen auch mehrere Abend
schoppen.
Lokal, das er regelmäßig besucht, Stammkneipe (fam).
"regelmäßigen Gästen. *reservierten Tisch. *ungezwungener
freier.
24 V. Bier- und Weinhäuser usw.

Das Stammlokal, familiär auch Stammkneipe


genannt, ist in den meisten Fällen ein Bierhaus (ein
Bierlokal, eine Bierwirtschaft, eine Bierkneipe). Viele
ältere Herren, besonders solche in Weingegenden,
wie Rheinländer, Badener, Pfälzer, Elsaß-Lothringer,
trinken jedoch vorwiegend Wein und sind daher
Stammgäste in diesem oder jenem Weinlokal (in
dieser oder jener Weinstube, Weinschänke, Wein
wirtschaft, Weinkneipe).
Die meisten Bierschänken "verschenken (ver
zapfen) Faßbier, u. z. in Bayern und in den großen
Berliner Bierpalästen (Tucherhaus, Pschorr, Weihen
stephan, Siechen usw.) unmittelbar vom Faß, im
übrigen Deutschland aus Bierpumpen, die durch
Röhrenleitung mit dem im Keller liegenden Fasse
verbunden sind. Manche Biertrinker trinken helles
oder dunkles einheimisches (am Orte gebrautes) Bier,
andere ziehen „echtes“ vor. Das „Echte“, nämlich
echtes bayrisches Bier (Münchener, Erlanger, Nürn
berger, Würzburger, Kulmbacher usw.) oder echtes
Pilsener, ist durchweg etwa 20 Prozent teurer, als
das Einheimische (Hiesige). -

Die einen haben ihr Stammseidel (ihr Stamm


glas, ihren Stammkrug, ihren Stammschoppen). Ein
solcher Schoppen faßt meist y2 Liter oder 0,4 Liter
und ist bisweilen mit einer eingravierten Widmung
(Dedikation) versehen oder mit einem Studenten
verbindungs-Wappen oder Monogramm (einem kunst
voll verschlungenen Namenszug) geziert. Andere
trinken ihr Bier aus einem gewöhnlichen Wirt
schaftsglas oder -krug. Die Halblitergläser und
-krüge sind meistens mit einem Deckel versehen,
die kleineren Gläser zu 0,3 Liter (die Drei-Zehntel)
haben fast nie einen Deckel. In Bayern wird mit
Vorliebe aus sogenannten Maßkrügen, die ein ganzes
Liter fassen, getrunken.
Um ein Glas Bier zu verlangen, sagt der Gast:
„Kellner, ein Münchener (das heißt: ein Glas Mün
chener Bier), ein Helles, ein Dunkles, ein Pilsener,
*schenken . . . aus, verabfolgen.
V. Bier- und Weinhäuser usw. 25

ein Hiesiges (d. h. einheimisches Bier) l“ worauf der


Kellner das Verlangte bringt, oft mit dem Wunsche
„Zum Wohlsein l“ oder „Wohl bekomm's!“
Bevor der Deutsche den vollen Schoppen an
trinkt, bevor er die sog. "„Blume“ trinkt, stößt er
mit seinen Tischnachbarn an, vorausgesetzt, daß
auch sie volle Gläser (Humpen) haben. Während
dieses Anstoßens wünscht man sich gegenseitig ein
„Pros (i)t Blume l“, „Prosit *Anstich“ oder „zum
Wohl“ und tut hierauf einen kräftigen (tüchtigen)
Zug aus dem gefüllten, einladenden Glase.
Die „fremden“ wie die meisten einheimischen
Biere sind untergärig, d. h. die "Gärung erfolgt bei
einer Temperatur von 5 bis 8 Grad Celsius langsam
am Boden des Gärgefäßes. Jedoch werden auch
obergärige Biere heute noch "gebraut; bei diesen
vollzieht sich der Gärungsprozeß unter höherer Tem
eratur (10–20° C.) rascher, u. z. an der Ober
läche des "Gebräus. Unter den obergärigen Bieren
(Biersorten) nimmt das Berliner Weißbier (die Ber
liner Weiße, die „kühle Blonde“) den ersten Rang
ein. Dieses stark schäumende, kohlensäurereiche
Getränk hat einen äußerst erfrischenden, prickeln
den Geschmack und wird vielfach mit einem „Schuß“
(Zusatz von) Himbeersaft oder einem Kümmel aus
großen weiten Glasbehältern getrunken. Auch das
in Jena und anderen Universitätsstädten so beliebte
Lichtenhainer – so genannt, weil es u. a. in Lichten
hain bei Jena gebraut wird – ist obergäriges Bier;
es wird aus Holzkannen (Lichtenhainer Kännchen)
getrunken, damit die trübe, wenig einladende Farbe
nicht gesehen werde. Die Gose, ein anderes, in Leip
zig und Halle verbreitetes Weißbier, wird in lang
halsigen, bauchigen Flaschen aufgetragen (serviert);
es soll zuerst in Goslar gebraut worden sein, daher
der Name Gose. Auch das Kölner Weißbier, das
sog. „Kölsch Wieß“, ist berühmt. Der Ausländer

"erster Schluck. "Fermentation, Zerlegung des Zuckers


in Kohlensäure und Alkohol. *hergestellt, fabriziert. "Bier
quantums.
26 V. Bier- und Weinhäuser usw.

wird ”den genannten obergärigen Weißbiersorten


kaum Geschmack”abgewinnen; sogar der Deutsche
zieht untergäriges Bier meistens vor.
Der Wein, den man in den Weinstuben trinkt,
wird z. T. [sprich: zum Teil] direkt vom Faß ge
zapft, auf Verlangen aber auch in Flaschen vorge
setzt, letzteres besonders bei besseren Marken (Sor
ten). Rheinwein und Moselwein sind in Westdeutsch
land beliebter als Rotwein; merkwürdigerweise trinkt
der Rheinländer vorwiegend Mosel (Moselwein), die
Fremden dagegen meistens Rhein (Rheinwein).
Schaumwein oder echt französischer Champa ner,
die als deutscher bzw. [beziehungsweise] französischer
Sekt bekannt sind, werden bei festlichen Gelegen
heiten und bisweilen zu (in) * vorgerückter Abend
stunde getrunken.
Besonders in der Rheingegend versammelt man
an milden Frühlings- und Sommertagen (Mai bis
September) gern einige gute Freunde um eine Bowle,
deren Zusammenstellung eine kleine Kunst ist; ein
leichtes, reines Weinchen (Weißwein), eine frische
Würze (Waldmeister, Erdbeeren, Pfirsiche, Ananas),
etwas Zucker – alles im Eise stehend – das sind
die Bestandteile einer guten und *bekömmlichen
Bowle. Wie am Biertisch, so ”erweist man sich auch
bei der Flasche, wie beim Glase Wein oder Bowle
durch Anstoßen und Zutrinken (durch Vor- und
Nach-, bezw. Mitkommen) eine gegenseitige Auf
merksamkeit.
Mit den meisten Wein- und Bierhäusern ist
ein Restaurant verbunden, wo der Gast nach Be
darf „etwas essen“ oder „etwas genießen“ kann.
Wer etwas essen möchte, klingelt oder winkt einen
Kellner herbei und sagt zu ihm: „Was gibt's zu
essen?“ oder „Bitte (um) die Speisekarte.“ Der
Kellner hört sich am liebsten mit „Herr Oberkellner“
oder gekürzt „Herr Ober“ anreden, doch begnügt
der Gast sich in der Regel damit, ihn „Ober“ oder

”an den . . . finden. ”später. ”gut bekommenden,


keine üblen Folgen nach sich ziehenden. *zeigt, bekundet.
V. Bier- und Weinhäuser usw. 27
auch „Kellner“ zu nennen, denn der Titel „Ober
kellner“ kommt strenggenommen nur dem ersten
Kellner in großen Gasthäusern zu. Kellnerinnen,
deren es besonders im Reichslande und in süddeut
schen Restaurants gibt, werden mit „Fräulein“, von
Stammgästen einfach mit dem Vornamen angeredet.
Wenn der Gast die Speisekarte bekommt, wählt
und bestellt er das eine oder andere warme oder
kalte Gericht m. d. W.: „Bringen Sie mir ein Beef
steak mit Kartoffeln, *ein * Wiener *Schnitzel, ein
Rumpsteak mit grünem Salat, ein Rebhuhn, Gänse
braten, Hasenbraten, Rehbraten, Rührei mit Schin
ken, vier Spiegeleier (Setzeier, Ochsenaugen), ”einen
halben (einen ganzen) *kalten ”Aufschnitt, eine
Portion gekochten Schinken, einen Bismarckhering
(ohne Gräten), ein Butterbrot (Schnittchen) mit
Schinken (Wurst, Käse), einen Schweizerkäse, einen
Holländer [ergänze: Käse], einen Harzer (Harz
käse), usw.
Es gibt auch eine große Menge sogenannter
Hotel-Restaurants, d. s. [sprich: das sind] Bier- und
Weinschenken, die zu einem Gasthof (Hotel) gehören.
Bei größeren Häusern stehen diese meist unter be
sonderer Leitung (Verwaltung) und haben einen be
sonderen Eingang (Separateingang).
Nicht selten ist mit größeren Gasthöfen (Hotels)
auch ein ”Café verbunden. Die eigentlichen Cafés
aber – die sog. Wiener Cafés, wie das Café Bauer
in Berlin, Leipzig, Köln am Rhein, Frankfurt am
Main, das Berliner Café in Wiesbaden, das
Café Luitpold in München, der Alsterpavillon in
Hamburg – sind für ” Hotelbetrieb nicht ein
gerichtet. Nach Art der großen Wiener und Pariser
Lokale haben diese Cafés gewaltige Spiegelscheiben,
die im Sommer oft ausgehoben werden; auch
zeichnen sie sich aus durch hübsche innere Aus

*eine gebratene Kalbsschnitte. ”eine . . . Portion


kalten Braten in dünnen Scheiben (oder Schnitten). “In
Süddeutschland und Österreich: Kaffeehaus. ”Aufnahme
von Logiergästen.
28 V. Bier- und Weinhäuser usw.

stattung, Marmortische, Sofas, Wand- und Decken


malerei. Die meisten „Wiener“ Cafés sind bis tief
(spät) in die Nacht hinein, manche bis früh mor
gens geöffnet. Außer Kaffee (schwarz oder „Melange“,
d. h. ohne oder mit Sahne) gibt es dort auch echte
Biere (besonders Münchener und Pilsener), englisches
Bier, Schokolade, Tee, Eis, Gebäck und feine Liköre
(Cognac fine champagne, Benediktiner, Chartreuse,
Cherry-Brandy usw.). Der Deutsche besucht solche
Cafés indes nur gelegentlich, in der Regel zu recht
vorgerückter Stunde; zu seinem Stammlokal macht
er sie in den seltensten Fällen. Da die meisten Cafés
aber eine große Zahl deutscher und mehrere fremd
ländische (besonders französische und englische) Zei
tungen und illustrierte Blätter *halten, so bieten sie
denjenigen, die bei einer Tasse Kaffee Zeitungen
lesen möchten, in den Nachmittagsstunden einen
angenehmen Aufenthalt.
Es ist selbstverständlich, daß man die Gast
häuser nicht "lediglich zum Zwecke des Kneipens
(Trinkens) besucht, denn dies kann man ebenso be
quem, ja bequemer und billiger, in seiner Wohnung
aben, indem man hier eine Flasche Wein oder
Flaschenbier trinkt oder ”einem Siphon oder Bier
faß-Automaten nach Belieben "zuspricht. “ Viele
Herren sind eben auf den Gasthausbesuch angewie
sen, weil sie ihre Mahlzeiten außer dem Hause ein
nehmen müssen, so z. B. die Junggesellen oder un
verheirateten Herren. Diese finden sich daher jeden
Mittag zur Table d'hôte (zum gemeinsamen Mittag
essen) in ihrem Stammlokale (Restaurant oder Gast
hof) ein; manche speisen auch abends dort. Andere,
u. z. die große Mehrzahl der Gäste, suchen im Wirts
hause im Kreise guter Freunde und Bekannten eine
gewisse Zerstreuung und Erholung von "ihren" Be
rufsgeschäften. Beim Glase Bier oder Wein plaudern
sie über diese oder jene Tagesfragen, über Orts
neuigkeiten usw.; sie machen (spielen) auch wohl
. *regelmäßig erhalten. "ausschließlich, nur. "sich aus
einem . . . einschenkt. *ihrer regelmäßigen Beschäftigung.
W. Bier- und Weinhäuser usw. 29

eine Partie Billard, * Skat, * Schafkopf, "Doppel


kopf, oder sie knobeln (würfeln) mit dem Knobel
becher und drei Würfeln eine Runde Bier aus, u. dergl.
Seltener wird Schach und Domino gespielt.
Dagegen bietet der Kegelabend eine treffliche
und willkommene Erholung für fast jeden Deutschen,
zumal für solche, die eine sitzende Lebensweise füh
ren; denn man hat in seinem Kegelklub auf der
Kegelbahn Gelegenheit, seine Muskelkraft und Ge
schicklichkeit gleichzeitig zu betätigen: gehört doch
eine gewisse Kraft Ä Übun Ä die dicken
(großen, schweren) (Holz-) Kugeln so zu werfen und
zu drehen, daß möglichst „alle Neune“ auf einen
Wurf fallen. Diese neun Kegel (Holz) sind *einige
zwanzig Meter weit entfernt am anderen Ende der
Kegelbahn in einem Quadrat aufgestellt; der König
steht in der Mitte.
In der Regel spielen zwei Parteien (Seiten)
gegeneinander, u. z. nach bestimmten Kegelvor
schriften. Der Kegeljunge (Kegelbub) ruft, wieviel
Holz (Kegel) gefallen sind, er setzt die gefallenen
Kegel wieder auf und befördert die Kugeln zu den
Spielern (Schiebern) zurück. Einer von der Kegel
gesellschaft „schreibt an“, d. h. er notiert, was von
den einzelnen Schiebern geworfen (getroffen) wor
den ist. Jede Partei hat ihren Kommandeur, dessen
*Anordnungen sich alle Mitspieler *fügen müssen.
Die Klubmitglieder zahlen meistens einen klei
nen Monatsbeitrag; außerdem hat jeder von der
verlierenden Partei etwa zehn Pfennige in die Kegel
kasse zu zahlen; auch für Verspätungen, *Fehlen
Und 27 Pudel in ?8 die ?8 Vollen werden meist Straf
gelder entrichtet. Diese Beträge dienen dazu, das
Bahngeld an den Wirt für den Abend ”aufzubringen.
Etwaige Überschüsse fließen in die Kegelkasse und
werden zum Ankauf von Preisen für ein gelegent
liches Preiskegeln verwandt. Bisweilen wird auch
"ein deutsches Kartenspiel. *ungefähr, etwa. *(An-)
Weisungen, Befehlen, Bestimmungen. *unterordnen, unter
werfen. **Abwesenheit. *7 Fehlwürfe. *alle neun Kegel.
*zusammenzubringen, zu beschaffen.
Z0 - W. Bier- und Weinhäuser usw.

ein gemeinschaftliches Abendessen – ein „Kegel


essen“ – auf der Bahn veranstaltet und aus der
Kegelkasse "bestritten.
Während aller geselligen Zusammenkünfte im
Stammlokal wird ein Glas nach dem anderen ge
trunken. Die meisten Herren rauchen dabei, u. z.
Zigarren, seltener Zigaretten, auf der Kegelbahn
wohl auch kurze oder lange Pfeife. Das Pfeife(n)
rauchen ist in allen "anständigen Wirtslokalen *ver
pönt; zu Hause jedoch rauchen vereinzelte Herren
die lange Pfeife, in der Öffentlichkeit aber nie. Ich
bin ein starker (ein schwacher) Raucher. Meine
Zigarrentasche (von echtem Seehundleder) fülle ich
täglich mit Zigarren; wenn ich eine Zigarre bis zum
letzten Drittel geraucht habe, stecke ich sie in meine
Zigarrenspitze – eine schöne Meerschaumspitze mit
einem Bernsteinmundstück – und rauche sie zu Ende.
Leichte Zigarren ziehe ich vor; nur nach dem Essen
rauche ich eine schwere Import- oder „echte“ (Ha
vanna-) Zigarre. Mein Freund Fritz ist Nichtraucher
(scherzhaft: „leidenschaftlicher Nichtraucher“).
Wer zuviel trinkt und raucht, hat am nächsten
Morgen oft die Folgen zu tragen; diese äußern sich
bei manchem in Gestalt eines Katzenjammers (eines
Katers, Brummschädels, Brummers), der zu jeder
ernsten Arbeit (Tätigkeit) unfähig macht.
Vor dem Weggehen (Fortgehen, Nachhause
gehen) bezahlt jeder Gast seine Zeche, d. h. für das,
was er gegessen und getrunken hat. Er ruft zu
diesem Zwecke den Kellner mit den Worten: „Kell
ner, zahlen !“ oder durch ein Klingelzeichen herbei,
worauf der letztere den fälligen Betrag feststellt und
10% *Zuschlag für Bedienung berechnet. Mehr hat
der Gast *überhaupt nicht zu zahlen. Jeder an
ständig denkende Kellner hält das Trinkgeldnehmen
für *entwürdigend, da ihm seit 1921 außer freier
*Beköstigung ein 37Mindestverdienst („Grundlohn“)
von monatlich bis zu 20000 Papier-M. vom Wirt
"bezahlt.*feineren. *verboten, untersagt. **Erhöhung.
ºalles in allem. *würdelos, entehrend. *Kost, Nahrung.
"Mindestgehalt.
VI. Mahlzeiten. Gesellschaften. 31
*verbürgt wird. Nimmt der Kellner aus dem 10%igen
Bedienungszuschlag mehr, als den ihm gemäß *Tarif
4°zustehenden „Grundlohn“ ein, so hat der Wirt den
Mehrbetrag unter die verschiedenen Kellner des "Be
„riebs prozentualiter je nach deren „Grundlohn“ zu
verteilen.
VI.
Mahlzeiten. Gesellschaften.
Wir essen um zu leben, nicht umgekehrt. Das,
womit wir uns ernähren (wovon wir uns nähren),
nennen wir unsere Nahrung; das, was wir essen,
ist unsere Speise; was wir trinken, ist unser Getränk.
Bevor die Speisen auf den Tisch kommen, wer
den sie in der Küche von der Köchin, in Gast
höfen meist vom Koch (der auch Küchenchef ge
nannt wird) zubereitet. In einfacheren deutschen
Haushaltungen besorgt die Hausfrau (auch: die Frau
des Hauses) die Küche selbst; ein oder mehrere
Küchenmädchen gehen ihr dabei zur Hand. Auch
die Töchter des Hauses lernen kochen (lernen die
Küche), u. z. entweder bei ihrer Mutter, oder in
einem größeren Hotel-Restaurant, wo sie etwa ein
Jahr als Kochlehrling (burschikos: Kochstudent) zu
bringen. Der Küchenbedarf wird z. T. auf dem Markte
eingekauft, z. T. von Lieferanten ins Haus gebracht.
In den guten einfacheren Bürgerfamilien wer
den täglich vier Mahlzeiten (ein)genommen, nämlich
der Morgenkaffee (etwa um 8 Uhr), das Mittag
essen (gegen 1 Uhr), der Nachmittagskaffee (um
4 Uhr) und das Abendessen (meist um 7 Uhr). In
den Kreisen der „oberen Zehntausend“ (d. s. die
Reichsten) findet die Hauptmahlzeit - (das Diner)
vielfach erst um 5 Uhr statt; dafür wird aber um
die Mittagszeit ein Gabelfrühstück mit einem Glase
Wein oder Bier eingenommen.
- Das erste Frühstück, bisweilen auch Frühkaffee
oder Morgenkaffee genannt, ist i. allg. [sprich: im
*garantiert. *Lohntabelle. 40gebührenden. "Etablisse
ments.
* helfen, sind . . . behilflich.
32 VI. Mahlzeiten. Gesellschaften.

allgemeinen) recht einfach. Zu einer oder zwei Tas


sen Kaffee, Kakao oder Tee wird eine Kleinigkeit
gegessen, meistens eine Semmel (ein Brötchen, ein
Rundstück, in Berlin: eine Schrippe) mit Butter
oder Honig. In Westdeutschland ißt man zum
Kaffee wohl auch einige Schnitten grobgemahlenes
Roggenbrot, Schwarzbrot oder *Pumpernickel ge
nannt. (Der westfälische Pumpernickel ist berühmt.)
In manchen Familien gibt es zum Morgenkaffee
allerdings auch gekochte (gesottene) „Eier, kalten
Braten, Schinken, Wurst und Käse. Ärmere Leute
essen statt Butter die billigere Margarine (Kunst
butter), *die *ich "für "mein (oder: für meinen)
*Teil *gründlich "verabscheue.
Da das erste Frühstück bis zum Mittagessen
kaum vorhält, so wird von vielen um zehn Uhr
ein "belegtes oder nur "bestrichenes Brot (ein But
terbrot) gegessen. Die Schüler und Schülerinnen
nehmen fast alle ein solches zweites Frühstück mit
zur Schule und verzehren (vertilgen, verspeisen) es
in einer der Pausen (Spielpausen).
Die Hauptmahlzeit ist das Mittagessen, das in
Norddeutschland auch den Namen Mittagbrot führt.
In den Bürgerhäusern ist dieses Mahl nicht allzu
üppig (lukullisch); es umfaßt in der Regel nur eine
nahrhafte Suppe (Fleischbrühe, Erbsen-, Linsen-,
Bohnen-, Kartoffel-, Reis-, Grießsuppe) und einen
kräftigen (ordentlichen) Fleischgang (Rindfleisch,
Schweinefleisch, Hammelfleisch, Kalbfleisch, gekocht
oder gebraten), wozu Kartoffeln (gekochte oder ge
bratene) und Gemüse (Erbsen, Bohnen, Linsen,
Sauerkraut, Kohl, Blumenkohl, Spinat, Gurken,
bisweilen auch Spargel, grüner Salat) aufgetragen
werden. Sonntags gibt es als Nachtisch (Dessert)
wohl noch eine süße Speise (Schüssel), Pudding,
Obstkuchen (Kirschen-, Apfel-, Pflaumen- oder
Zwetsch(g)enkuchen), oder Konditorgebäck (Wind
"ein besonders nahrhaftes, etwas süßlich schmeckendes
Schwarzbrot .”die mir persönlich ganz und gar zuwider ist.
*hinreicht. *mit Fleisch, Käse u. dergl. belegtes. *mit
Butter bestrichenes.
VI. Mahlzeiten. Gesellschaften. 33
beutel, Törtchen usw.). Zwei Fleischgerichte (Fleisch
gänge) gehören aber in einfachen Haushaltungen
ebenso zu den Seltenheiten wie Wein und Bier.
Vor dem Essen deckt das Mädchen (Hausmäd
chen) den Tisch im Eßzimmer. Es setzt die Teller
auf und legt Löffel, Messer und Gabeln daneben;
auch der Gewürzständer (die Plattmenage) mit Essig,
Öl, Pfeffer und Salz darf nicht fehlen. Das Tisch
tuch und die Servietten (Mundtücher) müssen immer
hübsch sauber sein.
Wenn das Essen fertig ist, werden die Familien
angehörigen zu Tisch gerufen, und jeder setzt sich
auf seinen gewohnten Platz. Vor Beginn der Mahl
zeit spricht in vielen Familien eines der Kinder,
unter Umständen auch der Vater oder die Mutter,
ein kurzes "Tischgebet; ebenso nach Beendigung
des Mahles.
Es versteht sich, daß bei Festessen, z. B. bei
einem Hochzeitsmahl oder Jubiläumsfestschmaus,
eine Reihe von Gängen aufgetischt werden, u. z. zu
nächst eine schwere Suppe (Krebssuppe, Mockturtle-,
Ochsenschwanzsuppe), sodann Pastetchen, oder Fri
kassee von Geflügel und Zunge, Fisch mit Tunke
(Buttersauce) und Kartoffeln (es ist meistens Rhein
lachs oder Rheinsalm, Aal blau, Karpfen, Schleie,
Hecht, Steinbutt, Seezunge, seltener auch Bach
forellen). Hieran schließt sich ein Bratengang (Filet
oder Lendenbraten, Roastbeef) mit Bratkartoffeln
oder Croquettes (Kartoffelbällchen), oder Schinken
in Burgunder mit Sauerkraut und Kastanien-* Brei.
Sodann folgt ein Wildbraten mit Kompott und Salat,
bspw. [beispielsweise] Rehrücken, Hirschbraten, Ha
senbraten, Wildschwein, Renntierbraten, Rebhühner,
Krammetsvögel, oft auch noch Geflügel, wie Kapaun,
Puter (Truthahn), Gänsebraten, Entenbraten, ge
füllte Tauben, Hähnchen. Den Schluß des Mahles
bilden Eis (Vanilleeis, Fruchteis, Ananashombe) mit
kleinen Waffeln, oder Pudding (Plumpudding, Scho
kolade(n)pudding usw.), Butter und Käse (Schweizer,
*Tischsegen, Dankgebet bei Tisch. "Pürée.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15 3
34 WI. Mahlzeiten. Gesellschaften.

Holländer, Harzkäse, Gervais, Neufchâteller, Brie)


mit Pumpernickel, Obst (Äpfel, Birnen, Weintrauben,
Pflaumen, Mandeln, Apfelsinen, Pfirsiche, Aprikosen
u. dergl.). Zu all diesen kulinarischen Genüssen
wird natürlich Wein getrunken, zum Abschluß wohl
gar eine Flasche Sekt (deutscher Schaumwein).
Trinksprüche (Toaste) würzen in der Regel das
Festmahl; bei allen größeren Essen öffentlichen
Charakters gilt der erste Trinkspruch der Republik
(dem Vaterlande). Sonst endet der Toast mit einem
dreifachen „Hoch“ (oder, besonders in Offiziers
kreisen, mit einem dreifachen „Hurra“) auf den Ge
feierten. Natürlich ist auch eine Musikkapelle zur
Stelle, um die Tafelmusik zu machen.
Die Mittagstafel (Table d'hôte) in den besseren
Hotels ist zwar auch recht vielseitig, beschränkt sich
indes außer Suppe meist auf drei Fleischgänge, Käse
und Nachtisch (Obst). In allen besseren Gasthöfen
ist Weinzwang, d. h. derjenige, welcher an der Table
d'hôte teilnimmt, muß mindestens eine halbe Flasche
Wein trinken, oder doch bestellen und zahlen; an
dernfalls erhöht sich der Preis des Gedecks für den
Gast um das sog. Stopfengeld (10–20% vom Preise
des „trockenen“ Gedecks). Die Stammgäste – es
sind durchweg unverheiratete Beamte oder Geschäfts
leute, sogenannte Junggesellen – haben "Preiser
mäßigung an der Table d'hôte.
Es gehört zum guten Ton, die Tischgenossen
mit der Formel „(Gesegnete) Mahlzeit“ zu begrüßen,
wenn man sich an die Tafel setzt und auch, wenn
man diese nach beendetem Essen verläßt.
Der Nachmittagskaffee ist ebenso einfach wie
der Morgenkaffee; meist gibt es außer Kaffee nur
Butterbrot (in Norddeutschland eine Butterstulle),
Zwieback, oder ein Stück Kaffeekuchen.
In Damenkreisen finden überdies von Zeit zu
Zeit größere Kaffeegesellschaften statt, wobei Torte
und feine Backwaren zum Kaffee gereicht werden.
Derartige ”Zusammenkünfte von jungen oder älteren
"Vorzugspreise, weniger zu zahlen. "Gesellschaften
VI. Mahlzeiten. Gesellschaften. Z5

Damen werden Kaffeevisiten, Damenkaffees oder


Kaffeekränzchen genannt; jedoch führen sie auch
den wenig schmeichelhaften Namen „Kaffeeklatsch“,
da böse Zungen behaupten, es werde in diesen Da
mengesellschaften viel Klatsch erzählt (viel ge
klatscht, d. h. über abwesende Bekannte mit Recht
oder Unrecht "losgezogen).
Zum Abendessen (in Norddeutschland auch
Abendbrot) gibt es sehr häufig kalte Küche: Butter
brot mit kaltem Aufschnitt (Schinken, Wurst, Bra
ten vom Mittag), bisweilen auch warme Speisen, wie
Beefsteak, Rumpsteak, und dergl.
Anders steht es um die größeren Abendgesell
schaften, zu denen von Familien, die „ein Haus
machen“ (d. h. die Gesellschaften mitmachen und
geben), an Freunde und Bekannte Einladungen ”er
gehen. Bisweilen lautet die Einladung auf ein „ein
faches Abendessen“, jedoch sind diese „Abfütte
rungen“, wie sie burschikos heißen, meistens nichts
weniger als „einfach“, sondern stellenweise ebenso
kompliziert wie ein Jubiläums- oder Hochzeits
schmaus. -

Die feststehende schriftliche Einladung zu eine


derartigen Abendgesellschaft lautet bspw.:
Professor Dr. Müller und Frau (Müller) beehren sich,
Herrn Direktor Dr. Schulze und Frau Gemahlin zum Abend
essen auf (für) Mittwoch, den 15. Januar, 7 Uhr, freund
lichst einzuladen. ”U. A. w. g.
Falls Herr und Frau Schulze die Einladung an
nehmen, senden sie umgehend etwa folgende Antwort:
Direktor Dr. Schulze und Frau (Schulze) nehmen die
liebenswürdige Einladung auf nächsten Mittwoch mit ver
bindlichstem Danke an. - ,

Sollten Herr und Frau Schulze der Einladung


nicht nachkommen können (oder wollen), so werden
sie etwa folgendermaßen schriftlich antworten:
Direktor Dr. Schulze und Frau (Schulze) danken ver
bindlichst für die liebenswürdige Einladung auf künftigen

"kritisiert, üble Nachrede geführt. *geschickt werden.


*Abkürzung für: Um Antwort wird gebeten.
Z6 WI. Mahlzeiten. Gesellschaften.

Mittwoch abend, bedauern indes aufrichtig (lebhaft), ihr


wegen einer bereits *früher eingegangenen *Verpflichtung
auf denselben Abend nicht 13 Folge leisten zu können.
Eine Schluß- und Grußformel ist bei diesem
Schriftwechsel nicht üblich.
Wer eine Einladung zu einer größeren Abend
gesellschaft annimmt, erscheint am besten in Frack
und weißer Binde (Halsbinde), wozu natürlich weiße
Glacéhandschuhe gehören. Oft ist jedoch auf der
Einladungskarte Überrock (oder Gehrock, zweireihig
und mit langen Schößen) "eigens erbeten; hierzu
trägt man dann schwarzes oder dunkelfarbiges Bein
kleid, farbige Halsbinde und helle, aber nicht ganz
weiße Glacéhandschuhe. In Zweifelsfällen erkundigt
man sich am besten vorher "unter "der " Hand
über den Anzug. In der Regel findet man sich mit
militärischer Pünktlichkeit ein, keinesfalls aber später
als eine Viertelstunde nach dem angesetzten Zeit
punkte.
Wenn alle "maßgebenden Geladenen zur Stelle
sind und jeder Herr aus einer Platzordnung ersehen
oder vom Hausherrn erfahren hat, welche Dame er
zu Tisch zu führen bestimmt ist, begibt sich die
Gesellschaft – der Hausherr mit der vornehmsten
oder würdigsten Dame an der Spitze – ins Speise
zimmer. Hier sind die Plätze durch Tischkarten
mit geschriebenen Namen bezeichnet. Jeder Herr
bietet seiner (Tisch-)Dame den rechten Arm; auch
bei Tisch sitzt die Dame rechts von ihrem (Tisch-)
Herrn. So angenehm es ist, eine gewandte, gesprä
chige Tischnachbarin zu haben, so langweilig ist es
anderseits, wenn die Dame nur mit „ja“ oder „nein“
zu antworten weiß. Trinksprüche sind bei solchen
Veranstaltungen meist nicht üblich.
Nach beendetem Mahle hebt die Hausfrau die
Tafel auf: alles verläßt den Speisesaal, und jeder
Herr führt seine Nachbarin in den Salon zurück,

*vorher angenommenen Einladung oder getroffenen


Verabredung. *nachkommen, entsprechen. "ausdrücklich,
besonders. "diskret, vertraulich. *wichtigeren.
VII. Bei Tisch. 37
reicht oder küßt ihr die Hand und wünscht ihr,
wie nacheinander allen übrigen Tischgenossen, „Ge
segnete Mahlzeit“. Im Salon werden alsbald Kaffee,
Likore und Bier oder Bowle (Erdbeerbowle, Pfirsich-,
Ananasbowle) gereicht. Im Herrenzimmer werden
außerdem Zigarren (Havannas) und Zigaretten ange
boten. Bisweilen wird auch ”flott getanzt bis spät
in die Nacht hinein. Eine Tasse Kaffee bildet ”viel
fach den Schluß, und alle verabschieden sich um
dieselbe Zeit.
Beim Weggehen drücken die geladenen Herren
in der Regel einem der Dienstboten ein Trinkgeld
von einer bis drei Mark *unauffällig in die Hand.
Im Laufe der folgenden Woche macht man bis
weilen den Gastgebern einen „Quittungs-“ oder „Ver
dauungsbesuch“ und erkundigt sich j dieser Ge
legenheit, ob *der „*schöne *Abend“ *gut *be
kommen *sei. Trifft man niemanden an, so gibt
man zwei Besuchskarten ab.

VII.

Bei Tisch.

Gastgeber, Wirt (Wirtin). Gast.

1. Der Wirt (die Wirtin) 1. Der Gast trifft seine


fragt den Gast, was er 1 Wahl.
haben möchte.
Was ziehen Sie vor, Tee, Kaf- Tee, wenn ich bitten darf. Eine
fee oder Schokolade? Tasse Schokolade, bitte.
Nehmen Sie Zucker und Sah-Ja, bitte. Nur ein Stück
ne (Rahm) zum Tee ? Zucker, keine Milch (Sahne).
Es gibt rohen (gekochten) Bitte (um) eine Scheibe Roast
Schinken und kaltes Roast- beef, aber nur eine! Ich
beef; was darf ich Ihnen habe keinen besonderen Ap
geben (reichen)? petit.

*fleißig, eifrig. *"oft, häufig, manchmal. *diskret.


* man sich am andern Morgen auch frisch gefühlt habe.
* wählt, sagt, was er haben möchte.
38 VII. Bei Tisch.

Wirt (Wirtin). Gast.

Essen Sie das Roastbeef gerne Das kommt mir nicht darauf
durchgebraten oder englisch an. Das ist mir gleich
(halb gebraten)? (einerlei).
Englisch, bitte.
Gut durchgebraten, wenn ich
bitten darf.
Was für Wein möchten Sie Weiß (weißen, Weißwein), bit
trinken, roten oder weißen ? te. Mosel (Rhein), wenn
ich wählen darf. Ein Glas
Rotwein würde ich vor
ziehen.

2. Die Wirtin bittet, ?tüchtig ?zuzulangen und bietet


andere Gerichte an.

a. Der Gast nimmt an:

Essen Sie noch ein Scheib- Ich bin so frei, gnädige Frau
chen Gänseleberpastete, Herr (Frau Professor), bitte noch
Doktor ? Sie wird Ihnen ein ganz kleines Stück. Ich
sicher nicht schaden. *schwärme nämlich für die
echte Straßburger Gänse
leberpastete.
Darf ich Ihnen noch etwas Sehr liebenswürdig, aber bitte
Braten anbieten (auflegen), nur ein ganz klein wenig.
Herr Braun ?
Noch eine Tasse Tee, Fräulein Eigentlich nicht mehr, doch
Liebe? - diesmal ausnahmsweise.
Womit kann ich jetzt aufwar Das wäre ein 4 Fall. Bitte,
ten ? Wollen Sie nicht den geben Sie mir eine Kleinig
Heringssalat probieren (kos keit davon, der Wissen
ten)? schaft halber (d. h. um
zu sehen, wie er schmeckt).
Bitte, langen (greifen) Sie zu, Seien Sie versichert, gnädige
Herr Koch. Tun Sie, als Frau, ich bin nicht blöde.
ob Sie zu Hause wären! Wenn man seit Jahren
Genötigt wird bei uns nicht. unter fremden Leuten lebt,
verlernt man die Blödigkeit
(Schüchternheit).

*kräftig zuzugreifen, zu nehmen. *habe ein Faible


(Schwäche). *eine Idee, ein Gedanke.
VII. Bei Tisch. 39
Wirt (Wirtin). Gast.
b. Der Gast dankt (lehnt ab) :
Wie! Sie wollen schon auf Das gerade nicht, gnädige
hören? Sie haben ja fast Frau; im Gegenteil, ich
nichts gegessen (genossen)! habe mich wacker ge
Leben Sie denn von Luft halten; ich habe für vier
und Liebe? Mann gegessen.
Schönen Dank.
Nehmen Sie doch noch etwas Gewiß, es hat mir ausge
Hasenbraten; hier habe ich zeichnet gemundet (ge
ein schönes Rückenstück. schmeckt), aber ich bin
Oder schmeckt es Ihnen vollkommen gesättigt und
nicht bei uns ? könnte beim besten Willen
nicht mehr essen.
Kosten (schmecken) Sie doch Ich habe Ihrer vorzüglichen
wenigstens das Dessert ! Küche alle Ehre angetan
und muß nun wirklich
danken.
Na, Sie sind wirklich ein
Ich gestehe, ich habe heute
schwacher Esser ! Sie kön keinen rechten Appetit; ich
nen doch unmöglich satt habe zu stark gefrühstückt.
sein ! Im allgemeinen bin ich so
gar ein starker Esser.
Aber etwas Ananasbombe, Bedaure sehr, die hat der
nicht wahr? Sie sieht so Arzt mir verboten. Eis und
schön aus! eiskalte Sachen bekommen
9mir "nicht, drum muß ich
sie leider stets vorbeigehen
lassen.

3. Redewendungen unter Tischnachbarn,


a. Der Sprechende 7vermisst etwas:
Darf ich Sie um etwas Brot Sehr gern! Mit Vergnügen!
bitten (bemühen)?
Würden Sie die Liebenswür Oh, Verzeihung! Ich hatte
digkeit haben, den Salat ganz °übersehen, die Schüs
weitergehen zu lassen ? sel weiterzugeben, da ich
selbst keinen Salat esse.

"tüchtig gegessen. °schaden meiner Gesundheit, sind


mir nicht zuträglich (bekömmlich). ?entbehrt, sucht. *ver
gessen, versäumt.
40 VIII. Wohnung. Fremdenheim. Gasthof.

b. Der Sprechende sucht seinen Nachbarn gefällig zu sein:

Suchen Sie etwas, gnädiges Ja, ich vermisse Milch und


Fräulein ? Zucker.
Was kann ich Ihnen reichen? Würden Sie so freundlich
Womit kann ich dienen ? sein, mir die Wasserflasche
herüberzureichen.
Vielleicht etwas Salz gefällig? Äußerst liebenswürdig. Ich
bitte darum.
Nehmen Sie Senf (Mostrich)? Danke verbindlichst, ich neh
me nie Senf.
Darf ich Ihnen etwas Sauce Sehr verbunden ! Sie sind
(Tunke) reichen ? sehr freundlich !

Das Gewünschte wird m. d. W. Bitte schön,


oder Darf ich bitten? überreicht und m. d. W. Besten
Dank, oder Vielen Dank, oder Danke bestens (sehr,
verbindlichst) entgegengenommen.

VIII.

Wohnung. Fremdenheim. Gasthof.


Ich wohne in meinem Elternhause, einem statt
lichen Gebäude aus ! Quaderstein. Unser Haus steht
in der Rheinstraße Nr. 47. Die Fassade (Vorder
seite) ist mit architektonischen Verzierungen reich ge
schmückt; jedes Stockwerk hat einen großen Balkon.
Das mit Schiefer gedeckte Dach ist spitz, nicht flach.
Oben auf dem Dache sind mehrere Schornsteine, die
den Rauch ableiten; auf dem * Dachfirst erhebt sich
eine Wetterfahne, die die Windrichtung anzeigt. Zum
Schutz gegen den Blitz haben wir zwei Blitzableiter
auf den beiden Enden des Dachfirstes anbringen
lassen; diese Metallstangen (sie sind von dem Ame
rikaner Benjamin Franklin vor mehr als 100 Jahren
erfunden worden) leiten den einschlagenden Blitz
strahl am Hause herab in den Erdboden, wo der
Blitz keinen Schaden mehr für uns ”anrichten kann.
Eine Dachrinne läuft rings um das Dach herum,
*massivem behauenem Stein, Haustein. *höchsten
Kante des Daches. *verursachen.
VIII. Wohnung. Fremdenheim. Gasthof. 41

und Dachröhren führen das Regen- und Schnee


wasser an den Mauern entlang zur Erde.
Wie die meisten Häuser, so hat auch das unsrige
mehrere, und zwar zwei Stockwerke (Etagen) über
dem Erdgeschoß (Parterre); es sind dies der erste
und der zweite Stock. (In manchen Teilen Deutsch
lands wird das Erdgeschoß auch als erster Stock be
zeichnet.) Über der obersten Etage, unmittelbar
unter dem Dache, befindet sich ein großer Boden
raum (ein Speicher) mit mehreren Ä (Man
sarden), auch *Mägdekammern genannt, weil die
Dienstboten dort zu schlafen pflegen.
Unter dem Erdgeschoß aj wir einen sehr ge
räumigen und luftigen Keller, der in mehrere ge
trennte Abteilungen zerfällt, u. z. ist da der Kohlen
keller (zur Aufbewahrung von Brennmaterial, Holz,
Kohlen), ferner der Kartoffel- und Gemüsekeller (für
Kartoffeln usw.), endlich der Weinkeller (hier ist
unser Weinvorrat hinter Schloß und Riegel; die
gÄ Flaschen sind gemäß Vaters Angaben nach
orten und Jahrgängen im Weinschrank niedergelegt).
In einem gesonderten Teile des Kellergewölbes -

findet sich die Waschküche mit einem Herd und einem


oßen kupfernen Kessel; alle drei Wochen wird
ort unsere schmutzige Wäsche von den Wäscherin
nen (Waschfrauen) gewaschen.
Treppen mit mehreren Stufen (Tritten) führen
vom Erdgeschoß hinab in den Keller und hinauf
zu den verschiedenen Etagen. Damit niemand falle,
sind an den Seiten starke Geländer angebracht.
Unsere Haustür ist stets "verschlossen; wer in
das Haus will, muß klingeln (eine elektrische Klingel
befindet sich am rechten Türpfosten), worauf das
Hausmädchen "aufmacht. Nur Vater, Mutter und
ich haben einen ? Drücker und Hausschlüssel und
können hinein, ohne zu klingeln (schellen).
Wenn man durch die Haustür eintritt, gelangt
man in einen * Flur (Gang). Links und rechts von
*Mädchenkammern. *zugeschlossen, d. h. mit dem
Schlüssel geschlossen. *aufschließt, öffnet. "Korridorschlüssel.
8Vorraum, auf niederdeutschem Gebiet auch „Diele“ genannt.
42 VIII. Wohnung. Fremdenheim. Gasthof,
diesem Hausflur führen Türen zu den verschiedenen
Wohnräumen. Unsere Wohnung besteht aus unge
fähr einem Dutzend Zimmern (Räumen); es sind
u. a. das Empfangszimmer (die gute Stube, der
Salon), das Eßzimmer, das Wohnzimmer, Vaters
Arbeitszimmer (Studierzimmer), Mutters Zimmer. Im
ersten Stock befinden sich mehrere Schlafzimmer,
ein Badezimmer, ein Gastzimmer (Fremdenzimmer).
Die Kinderschlafzimmer, das Kinderspielzimmer und
ein paar leerstehende Räume sind im 2. Stock,
Küche und Speisekammer im Erdgeschoß. In jedem
Stockwerk befindet sich ein Abort (eine Retirade,
ein Klosett, ein W. C.), im Erdgeschoß (nach dem
Garten hin) auch eine Veranda, wo wir im Sommer
an warmen Tagen sitzen und oft auch speisen. Alle
Zimmer sind tapeziert, alle haben elektrisches Licht
und eine elektrische Klingel.
Die Räume unseres Hauses haben große Fenster
(im Winter sogar Doppelfenster) mit weißen Vor
hängen (Gardinen) und hölzernen Rolläden. An den
Schlafzimmerfenstern sind außerdem Rollvorhänge
(Rouleaux) angebracht.
Das Mobiliar ist recht elegant. Unser Emp
fangszimmer z. B. enthält ein Mahagonisofa sowie
eine Garnitur dazu passender Polsterstühle und
(Lehn-)Sessel (Fauteuils), die mit Seidendamast be
zogen sind. Der Tisch und die verschiedenen klei
nen Tischchen sind auch aus Mahagoni. Ein großer,
echt türkischer Teppich bedeckt den Parkettboden.
An den Wänden hängt eine Anzahl Ölgemälde (in
breiten Goldrahmen) von alten, berühmten Meistern
(Malern, Künstlern). Auch ein prächtiger, sehr
teuerer ° Flügel (ein echter 19 Blüthner) steht in un
serem Salon. Das !! Kaminsims ist mit allerhand
Photographien und Nippsachen besetzt. Ein fünf
armiger Kronleuchter mit elektrischen Lampen (Bir
nen) hängt von der Decke des Salons herab. Die
Möbel unseres Eßzimmers sind aus Eichenholz. Das

"großes Tafelklavier. 1"berühmter Pianofabrikant in


Leipzig. "Marmorplatte über dem Kamin.
VIII. Wohnung. Fremdenheim. Gasthof. 43

Klavier (Pianino), auf dem wir *üben und Klavier


unterricht haben, steht im ”Speisezimmer.
Mein Schlafzimmer ist einfach; es enthält ein
hölzernes Bett, einen Tisch, einen Kleiderschrank,
einen Waschtisch mit Marmorplatte, Waschschüssel,
Wasserflasche, -glas und Seifennapf, einen Spiegel
und zwei Rohrstühle. Mein Bett ist vorzüglich; ich
schlafe auf einer Sprungfedermatratze (arme Leute
müssen *auf einem Strohsack *vorliebnehmen).
Über dieser liegt eine Roßhaarmatratze, dann folgen
die Leintücher (Bettücher), zwei Kopfkissen, eine
wollene Decke und eine ”Steppdecke. Auf meinen
Füßen ruht nachts außerdem ein größeres Feder
kissen. Vor dem Bett liegt ein kleiner Teppich. „Wie
man sich bettet, so schläft man“ (Sprichwort).
Im Winter sind unsere sämtlichen Wohnräume
geheizt. Früher heizten wir Öfen (eiserne Öfen,
Dauerbrenner, Kachelöfen); im vergangenen Jahre
aber haben wir Zentralheizung (Niederdruck-Dampf
heizung, Warmwasserheizung) einrichten lassen, so
daß jetzt alle Zimmer vom Kellergeschoß aus ge
heizt werden, indem die in einem großen Heizungs
kessel erzeugte Wärme durch Röhren und ”Heiz
körper in die verschiedenen Räume geleitet wird.
Unser Haus hat überdies einen großen Garten
mit herrlichen Blumenbeeten, Obstbäumen, einem
Springbrunnen, in dem Goldfische schwimmen usw.
Die Wege und Baumgänge (Alleen) haben eine
Decke von 17 Silberkies.
Die Wohnungen der Menschen sind sehr ver
schieden. Viele Adlige bewohnen ihr Schloß (oft
ihr Ahnenschloß), die Reichen haben ihr eigenes
Haus oder ihre Villa, die Armen ”hausen in ärm
lichen Hütten. Nur vermögende Leute können sich's
”gestatten, ein ganzes Haus für sich allein zu be
wohnen; die weniger wohlhabenden wohnen zur (in)

"spielen lernen. "Eßzimmer, bei größeren Verhält


nissen Speisesaal. *mit . . . zufrieden sein. *wattierte
Bettdecke. 1*Radiatoren. 17 kleinen weißen Kieselsteinen.
1°leben. *erlauben, leisten.
44 VIII. Wohnung. Fremdenheim. Gasthof.
Miete in einem fremden Hause. Die Miete wird
meist quartalsweise (jedes Vierteljahr) vom Mieter
an den Eigentümer (Vermieter) bezahlt. Bevor der
Mieter auszieht, muß er "die "Wohnung "recht
zeitig (in der Regel ein Vierteljahr zuvor) ”auf
kündigen, oder aber noch ein Quartal (3 Monate)
Miete zahlen.
Häufig vermieten die Mieter ein oder zwei möb
lierte Zimmer an sog. Aftermieter oder Untermieter,
die in der Regel unverheiratet (Junggesellen) sind;
indes mieten auch unverheiratete Damen vielfach
möblierte Zimmer. Der Mietpreis für möblierte Zim
mer wird monatlich * vereinbart und bezahlt, auch
ein bestimmter Betrag für Bedienung (für Reinigen
der Zimmer, Bettmachen u. a.) wird in den Monats
reis eingerechnet. Studenten und andere junge
Ä. begnügen sich oft mit einem Zimmer, das sie
burschikos ihre „Bude“ nennen.
Viele ältere Junggesellen und ledige (unverhei
ratete) Damen haben indes ihre eigenen Möbel und
lassen sich die Zimmer von einer Aufwartefrau in
Ordnung halten; diese Einrichtung ist nicht nur an
Ä sondern auf die Dauer auch billiger als
as Wohnen in Räumen, die vom Vermieter aus
möbliert sind.
Diejenigen, welche auf einige Zeit nach Deutsch
land gehen, um sich dort die Kenntnis der deutschen
Sprache, Sitten und Gebräuche anzueignen, mieten
sich am ”zweckmäßigsten in einer Familie oder in
einem Fremdenheim (in einer „Pension“) ein. Hier
bietet sich reichliche Gelegenheit, Deutsch zu hören
und zu sprechen, sowohl bei Tisch als *tagsüber.
Wer kein derartiges gutes Haus kennt, wird zahl
reiche *Angebote erhalten, wenn er ein entsprechen
des Gesuch in eine Tageszeitung ”einrücken läßt.
Ein solches Gesuch kann ungefähr folgendermaßen

*"bei Zeiten dem Hausvermieter melden, daß er die


Wohnung räumen (verlassen) will. * verabredet, festgesetzt.
*besten. *im Verlauf (während) des Tages. *Anerbieten,
Offerten. *aufnehmen, abdrucken.
IX. Familie, 45

lauten: „Junger Ausländer sucht Familienheim mit


guter Gelegenheit zum Deutschsprechen. Angebote
unter A. B. 1. an die Geschäftsstelle ?°d. ?° Bl.“
Der Suchende findet eine Menge guter Häuser dieser
Art zum Pensionspreise von 6 bis 8 Mark täglich.
Die Rechnung wird wochenweise ”berichtigt; auch
ist eine Woche vor dem etwaigen *Weggange zu
kündigen. Das Dienstpersonal erwartet ein Trink
geld von etwa 1 bis 2 Mark wöchentlich.
Vergnügungsreisende und Geschäftsleute, die sich
meistens nicht lange an demselben Orte aufhalten,
gehen am besten in einen Gasthof (ein Hotel). Die
Zimmerpreise schwanken hier je nach der Lage und
dem Stockwerk. Man findet schon Zimmer zu
2,50 M. täglich; für Morgenkaffee und Gebäck kommt
mindestens 1 M. hinzu. Der Oberkellner, Pförtner
(Portier), Hausknecht sowie das Zimmermädchen er
warten bei der Abreise des Fremden das übliche
Trinkgeld. In den Kleinstädten werden die Reisen
den im Hotelwagen vom Bahnhof abgeholt und bei
der Abreise wieder zum Zuge gefahren.

IX.
Familie.
Alle Menschen sind Brüder und bilden eine
große Familie, die über die ganze weite Welt zer
streut ist. Diese Familie zählt gegenwärtig ungefähr
1700 Millionen menschliche Wesen. Mehr als die
Hälfte dieser Riesenzahl lebt in Asien, beinahe 4
(ein Viertel) davon in Europa, über /s (ein Achtel)
in Afrika, ungefähr /11 (ein Elftel) in Amerika, wäh
rend Australien mit seinen sechs Millionen etwa
/250 (ein Zweihundertundfünfzigstel) der Gesamt
bevölkerung des Erdballs (Erdenrunds) umfaßt.
Europa ist am dichtesten bevölkert, und innerhalb
Europas hat Belgien die größte Bevölkerungsdichte.
**Lies: dieses Blattes. *7 bezahlt. *Abzuge, Ausziehen.
1
jetzt.
46 IX. Familie.

Das ganze Menschengeschlecht setzt sich aus


mehreren Rassen zusammen. *Abgesehen ?von ? der
verschiedenen Sprache unterscheiden die Rassen
sich hauptsächlich durch die Hautfarbe, welche
hell, ledergelb, kupferfarben, braun oder schwarz
ist. Auch Art und Farbe des Kopfhaares sind be
zeichnend für den Rassetypus: weiches, "straffes,
*schlichtes, krauses, gelocktes, filziges, üppiges, dün
nes Haar, dessen Farbe blond, rot (fuchsig), kasta
nienbraun, schwarz bis pechschwarz (rabenschwarz)
sein kann, ist in vielen Fällen ein "Kennzeichen für
die eine oder andere Rassenangehörigkeit.
. Die Menschen leben beisammen in Flecken,
Dörfern und Städten. Mehrere benachbarte Städte
und Ortschaften von gleicher Eigenart und gemein
samen Interessen werden vereinigt zu Kreisen, diese
zu Regierungsbezirken, Provinzen und Staaten (Natio
nen). Die eine Nation ist eine Monarchie, die andere
bildet einen Freistaat (eine Republik). England
und Spanien bspw. sind Monarchien. An der
Spitze jeder Monarchie steht ein Monarch; es kann
dies ein Kaiser, eine Kaiserin, ein König oder
eine Königin, ein Großherzog, ein Herzog, ein Fürst
sein. Deutschland, Frankreich, die Schweiz und die
Vereinigten Staaten von Nordamerika hingegen
sind Republiken, die von einem auf bestimmte
Zeit gewählten Präsidenten regiert werden. Die
Einheit der menschlichen Gesellschaft jedoch ist die
Familie. -

Unsere Familie ist ziemlich stark (zahlreich);


es sind unser im ganzen neun, nämlich Vater (Papa),
Mutter (Mama), vier Söhne (Knaben, Jungen, Buben)
und drei Töchter (Mädchen). Zu meiner Freude
leben meine beiden Eltern noch. Mein Vater ist
der Mann (Ehemann, Gatte, Gemahl) meiner lieben
Mutter, und letztere ist die Frau (Ehefrau, Gattin,
Gemahlin) meines Vaters. Sie haben einander vor
einigen (etwa) dreißig Jahren geheiratet. Vor un
gefähr sieben Jahren haben wir ihre silberne (25
"ohne Rücksicht auf die "hartes. *glattes. *Merkmal.
IX. Familie. 47

jährige) Hochzeit gefeiert, und ich hoffe, sie werden


auch ihre goldene Hochzeit (nach 50-jähriger Ehe)
und die diamantene (nach 60 Ehejahren) erleben.
Mein Vorname (Taufname) ist Ulrich, aber ich
werde zu Hause gewöhnlich Uli genannt. Mein
Familienname (Zuname) ist Weber. Ich bin das
älteste von uns Kindern, aber der kleinste von uns
Brüdern. Mein jüngster Bruder, Martin, ist einen
Ä Kopf größer als ich. Mein zweiter Bruder,
ritz, ist in einer Großhandlung in der Lehre, der
dritte, Ernst, geht noch zur (in die) Schule, ebenso
meine beiden jüngsten Schwestern Henny (Henriette,
Jettchen) und Susi (Susanne).
Meine älteste Schwester Lieschen (Elise, Elisa
beth), die zwei Jahre nach mir kam (folgte), macht
sich im Haushalt nützlich, wird uns aber bald ver
lassen. Vor einem Vierteljahre verlobte sie sich mit
einem netten, angesehenen jungen Herrn, der seit
dem ihr Bräutigam ist; er heißt Karl Becker. Im
nächsten Monat werden sie heiraten, und dann wird
meine Lieblingsschwester Lieschen Frau Becker
heißen. Das Brautpaar hat sich selbstverständlich
sehr lieb und kann die Zeit der Verheiratung kaum
abwarten. Die beiden passen vorzüglich zueinander.
Der Bräutigam kommt fast jeden Abend zu uns, um
mit meinen Eltern und mit seiner Braut die "Vor
kehrungen für die Hochzeit zu beraten.
Außer uns Familienangehörigen rechnen (zäh
len) mehrere Dienstboten zu unserem Haushalt, u. z.:
das Küchenmädchen Trina (Katharina, Käthchen),
das Haus- oder Zimmermädchen Minna (Wilhelmine),
der Kutscher Johann, der Gärtner Friedrich. Bis
vor einigen Jahren hatten wir auch ein Kindermäd
chen Anna, das mein jüngstes Schwesterchen Suschen
zu "warten hatte und es bei schönem Wetter im
Kinderwagen spazieren fuhr.
Außerdem halten wir ein Paar feurige(r) Pferde
(Füchse, Rappen, Schimmel), einen echt englischen
Mops mit kurzer dicker °Schnauze, einen Jagd
"Vorbereitungen. "pflegen, besorgen. "Maul,
48 IX. Famllle.

hund, eine Katze, einen Kanarienvogel (ein ? Hähn


chen, das entzückend ”schlägt) und einen Papagei,
der verschiedene Worte plappern (sprechen) kann
und allerhand Töne nachahmt.
Unser "Familienstammbaum reicht bis in die
Zeit des Dreißigjährigen Krieges zurück. In unserem
Ä hängen die Bilder mehrerer meiner
Ahnen; diese alten Leutchen sehen in ihrer altfrän
kischen (altmodischen) Tracht (Kleidung) sehr son
derbar (drollig, putzig) aus, aber sie sollen sich, wie
ich mir erzählen ließ, alle in ihrer Weise *hervor
getan haben. Mein Urgroßvater bspw. war ein be
rühmter General und kämpfte unter Blücher gegen
Ä I. mit. Meine Großeltern (zwei Großväter
und zwei Großmütter) sind seit mehr als zehn Jahren
tot. Ein Großoheim von mir lebt noch; er ist über
neunzig Jahre alt, aber noch so *kerngesund, daß
er möglicherweise so alt wird wie Methusalem.
Außerdem habe ich eine stattliche Reihe (An
zahl) von nahen und entfernten Verwandten, näm
lich zwei Oheime (Ohme, *Onkel), vier *Tanten
und etwa ein Dutzend Vettern und Basen (Cousins
und Cousinen). Eine meiner Tanten – es ist Tante
Emma – hat ihren Mann verloren und ist daher
Witwe. Ihre Kinder sind meine Vettern und Basen
und gleichzeitig die Neffen und Nichten meiner
Eltern. Kinder, die beide Eltern verloren haben,
sind Waisen; sie haben bis zu ihrer Großjährigkeit
(bis zum 21. Lebensjahre) einen * Vormund. Ein
Onkel von mir, Ohm Heinrich, war seit Jahren
1° Witwer, hat sich aber vor kurzem wieder verheiratet.
Seine zweite Frau ist sehr gut gegen ihre "Stief
kinder und behandelt diese nicht wie eine ”Stief
mutter, sondern als wäre sie ihre rechte (erste, wirk

"männlichen Vogel. 1"singt. Ahnenreihe, Genealogie.


*ausgezeichnet. "vollkommen gesund. * Kinder pflegen
auch der Familie befreundete Herren und Damen mit „On
kel“ oder „Tante“ anzureden. *Vertreter ihrer Interessen.
**Mann, dessen Frau gestorben ist. 17hier: Kinder von der
ersten Frau ihres Mannes. *zweite Mutter.
IX. Familie. 49

liche, leibliche) Mutter. Viele Stiefmütter sind leider


oft hart gegen ihre Stiefkinder. Meine Tante Grete
ist unverheiratet (ledig) geblieben; sie ist daher
eine sogenannte alte Jungfer. Onkel August ist
ebenfalls noch ledig und zieht (es) vor, Junggeselle
zu bleiben. Sowohl Tante Grete als Onkel August
ist ”ungemein freundlich und gutherzig; sie unter
scheiden sich dadurch vorteilhaft von anderen ledig
gebliebenen Leuten, die vielfach launenhaft und
mürrisch sind.
Fs. Wenn meine Schwester Lieschen sich verhei
ratet, bekomme ich einen Schwager, nämlich Herrn
Karl Becker, ihren Gatten. Meine Eltern nennen
dann Herrn Becker ihren Schwiegersohn, und dieser
erhält in meinem Vater seinen Schwiegervater, in
meiner Mutter seine Schwiegermutter, in beiden seine
Schwiegereltern. Meine Schwester Lieschen wird
mit ihrer Verheiratung die Schwiegertochter von
Herrn Beckers Eltern.
* Ich freue mich sehr auf die Hochzeit meiner
Schwester. Am künftigen (nächsten) Sonntag soll
das ”angehende Ehepaar zum erstenmal in der Kirche
aufgeboten (verkündigt) werden; ein zweites und
drittes Aufgebot findet an den beiden folgenden
Sonntagen statt. Im Laufe der ”sich ”daranschlies
senden Woche, wahrscheinlich am Samstag (Sonn
abend), wird die Hochzeit sein. Wir üben schon
jetzt eine Reihe von * Vorträgen und Liedern für
die Festlichkeit ein und machen auch eine reich
haltige, launige Hochzeitszeitung (einen Hochzeits
kladderadatsch), worin die Vorzüge und Schwächen
des jungen Paares in gutmütigem Scherze in Vers
und Prosa (in gebundener und ungebundener Rede)
besungen werden. Die bürgerliche Trauung *be
sorgt der Standesbeamte, in kleineren Orten der
Bürgermeister tags zuvor auf dem *Standesamte,
und abends findet eine kleine Vorfeier, der sog.
Polterabend, statt. Die kirchliche Trauung *voll
1°überaus, sehr. ?9zukünftige. *folgenden. *Reden.
2°übernimmt, nimmt . . . vor. *Bürgermeisteramt. *besorgt.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15. 4
50 IX. Familie.

zieht unser Pfarrer am Hochzeitstage in unserer


Pfarrkirche. An die kirchliche Trauung schließt
sich das Hochzeitsmahl (der Hochzeitsschmaus) mit
den üblichen Trinksprüchen, Liedern, komischen
Vorträgen und Scherzen. Gegen Abend reist das
neuvermählte Paar ganz im stillen ab und verbringt
die ersten Wochen – die Flitterwochen – auf der
Hochzeitsreise, die meistens nach Italien oder Skan
dinavien geht. Bei seiner Rückkehr *bezieht das
Paar sein neues Heim, das inzwischen von den Eltern
der jungen Frau wohnlich hergerichtet und mit
Möbeln sowie allen andern Bequemlichkeiten ”aus
gestattet worden ist.
Zum (Am) Hochzeitstage trägt die junge Frau
ein weißes Kleid mit langer Schleppe und einen
Myrtenkranz auf dem Haar; auch die Brautjung
fern (Brautführerinnen) sind in Festkleidung. Der
Bräutigam und die Brautführer sowie die Mehrzahl -
der geladenen Herren erscheinen in schwarzem Frack
anzug und weißer Halsbinde. Die Neuvermählten
tragen ihren glatten Ehering am vierten Finger der
rechten Hand (der Verlobungsring wird am vierten
Finger der linken Hand getragen; er ist meist eben
falls glatt oder schlicht, d. h. ohne Edelsteine und
Zieraten).
Das Hochzeitsfest ist – wie schon der Name
besagt – ein Freudenfest für alle Beteiligten; drum
geht es bei dieser Gelegenheit hoch her, es wird
„herrlich und in Freuden“ gelebt. Aber auch bei
anderen Gelegenheiten werden Familienfeste ge
feiert. Wird bspw. ein Kind geboren, so findet nach
einigen Wochen die Taufe (Tauffeier) in engem
Familienkreise statt. Der *Pfarrer tauft den neuen
Erdenbürger (den Säugling, den Täufling) entweder
im Elternhause oder in der Kirche. Mehrere Ver
wandte und Freunde stehen Pate und schenken
ihrem Patchen (Patenkinde) ein wertvolles ”An
denken, z. B. einen silbernen Becher, oder auch
*zieht . . . ein in. * versehen. *Geistlicher, Pastor,
Prediger, Seelsorger. *Angebinde, Präsent.
IX. Familie. 51

wohl zu jedem Geburtstage einen silbernen Löffel,


bis das Dutzend voll ist. Jedes Kind hat mehrere
Paten und Patinnen.
An dem Tage, wo das Kind ein Jahr alt wird,
hat es seinen ersten Geburtstag; nach vollendetem
zweiten Lebensjahre hat es seinen zweiten Geburts
tag usw. Der Geburtstag ist ein alljährlich wieder
kehrender Gedenktag oder Erinnerungstag an den
Tag der Geburt "des "Betreffenden. Da nämlich
die Geburt eines Menschen in ein bestimmtes Jahr der
Vergangenheit fällt, und da niemand zum zweiten
Male geboren wird, so wäre es sprachlich unrichtig,
wollte man den Tag der Geburt (d. i. Jahr und Tag,
an dem jemand das Licht der Welt erblickt hat)
als den Geburtstag des Betreffenden bezeichnen.
Wann ist dein Geburtstag? Am 26. November
(ohne Jahresangabe!). Aber: Wann bist du geboren?
Am 26. November 1884 (mit Angabe des Jahres,
Tag der Geburt!).
In protestantischen Kreisen feiert man seinen
Geburtstag in mehr oder minder festlicher Weise,
nimmt von Angehörigen und Freunden die üblichen
Glückwünsche und kleinen Geschenke oder Aufmerk
samkeiten dankend "entgegen und *begeht den
Tag in der Regel im Kreise von lieben Freunden
und Angehörigen durch ein kleines oder größeres
Festmahl (Frühstück, Mittag- oder Abendessen).
Die Glückwünsche werden mit den Worten: „Besten
(Herzlichen) Glückwunsch zum Geburtstag“ dar
gebracht und vom Gefeierten mit einem freund
lichen „Danke schön (verbindlichst, bestens)“ an
genommen. Die meisten Katholiken feiern ihren
Geburtstag nicht, wohl aber begehen sie ihren Na
menstag (den Todestag ihres Schutz- und Namens
heiligen).
Wenn ein Kind etwa vierzehn Jahre alt ist
und 2 Jahre den sog. Konfirmandenunterricht beim
Pfarrer seiner Gemeinde genossen hat, wird es in
der Kirche vom Geistlichen konfirmiert und nimmt

"der in Frage kommenden Person. *an. *feiert.


52 IX. Familie.

dann zum erstenmal am heiligen Abendmahle teil.


Ein Festmahl im Familien- und Verwandtenkreise
*besiegelt diesen ersten Lebensabschnitt des heran
wachsenden Knaben oder Mädchens. In der katho
lischen Kirche wird die Konfirmation als erste hl.
(heilige) Kommunion bezeichnet. Bei den Katho
liken versteht man unter „Konfirmation“ die Er
teilung des Sakramentes der Firmung (Firmelung),
die der Bischof durch Handauflegung, Salbung- und
Gebet vornimmt.
Einen nicht eben erfreulichen *Anlaß zum
Zusammentreffen mit zahlreichen Verwandten und
Freunden bietet ein Sterbefall (Todesfall) in der
Familie. Sobald jemand gestorben ist, wird allen
Angehörigen und Bekannten von dem traurigen
Ereignis Mitteilung gemacht, Näherstehenden münd
lich oder brieflich, Freunden und Fernerstehenden
durch eine gedruckte Todesanzeige, die durch die
Post versandt und auch in der Zeitung veröffent
licht wird. Tag und Stunde der Beerdigung (des
Begräbnisses), der Beisetzung oder Einäscherung
(bei Feuerbestattung) sind am Fuße der Anzeige
angegeben, und die meisten Freunde * versäumen
nicht, dem Verstorbenen persönlich das letzte ”Ge
leit zum Friedhof zu geben, nachdem sie vorher
schriftlich oder mündlich den ” Hinterbliebenen
ihre Teilnahme (ihr Beileid.) zum Ausdruck gebracht
und möglicherweise auch einen Kranz oder einen
Palmenwedel auf (für) den Sarg geschickt haben.
Wenn der „*Würgengel“ ein Opfer in einer
Familie °gefordert hat, so wird der Leichnam des
(bezw. der) Verblichenen auf eine Bahre und nach
her in den Sarg gelegt, um nach drei Tagen "be
stattet zu werden. Am Tage der Beerdigung folgen
die hinterbliebenen Angehörigen, die Freunde und
die Geistlichkeit dem Leichenwagen zum Friedhof
(Kirchhof, süddeutsch: Gottesacker). In römisch

*beschließt. *Grund. *verfehlen, ermangeln, ver


gessen. *Begleitung. "leidtragenden Angehörigen. *Tod,
Sensenmann. *verlangt. "begraben.
IX. Familie. 53

katholischen Gegenden nehmen die Leute, welche


an einem Leichenzuge vorbeikommen, vor der Maje
stät des Todes ehrfurchtsvoll den Hut ab. Der Sarg
wird in der Familiengruft beigesetzt oder in ein vom
Totengräber gegrabenes Grab gesenkt. Von der
Pfarrkirche, welcher der Verstorbene angehörte,
ertönt während der feierlichen Handlung das Grab
geläute. Der Geistliche hält zunächst im Trauer
hause (am Sarge) eine Trauerfeier und nachher an
der Gruft eine Grabrede.
Die Angehörigen und nahen Verwandten *legen
auf ein Jahr Trauer * an, und zwar gehen sie im
ersten halben Jahre in tiefer Trauer, d. h. ganz in
Schwarz, darauf in Halbtrauer, d. i. [das ist] in Grau.
(Die Trauerfarbe der Chinesen ist bekanntlich weiß.)
Dem Heimgegangenen(Verstorbenen) wird über
dies zu dauerndem Andenken ein Grabmal (Denk
mal) aus Marmor oder einem andern Gestein oder
Material gesetzt. In diesen Gedenkstein wird eine
Grabschrift *eingemeißelt, die mit den Worten „Hier
ruht“ beginnt, sodann Namen, Geburts- und Sterbe
tag des *Verewigten und bisweilen noch einen Bibel
spruch enthält. Schling-(Kletter-)pflanzen (Efeu)
und Blumen werden häufig um den Grabstein ge
pflanzt, auch wohl eine * Trauerweide oder Trauer
esche, die das Grab überschattet.
Manche Leute ziehen vor, sich nach ihrem Tode
*einäschern zu lassen und bestimmen solches dann
eigens (ausdrücklich) in ihrem Testament (letzten
Willen). Verbrennungsöfen (Krematorien) finden sich
in allen gesitteten Ländern; in Deutschland eist das
Krematorium zu Gotha das älteste; es wurde i. J.
[im Jahre 1878 erbaut. Auch zahlreiche andere
deutsche Städte haben ihr Krematorium. Die Ver
brennung (Einäscherung) eines Erwachsenen dauert
eine gute Stunde; die weiße Asche wiegt etwa zwei
Kilogramm und wird in einer Urne aufbewahrt.

*tragen, kleiden sich . . . in. *eingraviert. *Ver


storbenen. *botanische Namen: sálix babylónica bezw.
fráxinus péndula. *verbrennen.
54 X. Körperpflege, Kleidung und Putz.
Die Urne (der Aschenkrug) wird entweder in der
Familiengruft oder im Kolumbarium (in der Urnen
halle) der Verbrennungsanstalt beigesetzt.
Sºz. Die meisten Erwachsenen machen, sofern sie
in geordneten Verhältnissen leben und einiges Ver
mögen haben, vor ihrem Tode ihr Testament, in dem
sie bestimmen, welches ihre Erben sein sollen und
was jeder einzelne erben soll. In der Regel sind nur
Angehörige in dem Testament bedacht; doch wer
den auch häufig Vermächtnisse (Legate) für gemein
nützige und wohltätige Zwecke gemacht.

X.

Körperpflege, Kleidung und Putz.


Unsere schwarzen Brüder in der heißen Zone
gehen fast ganz nackt. Da sie jedoch das Bedürf
nis haben sich zu schmücken, so tätowieren sie sich,
indem sie die Haut ihres Körpers oder einzelner
Körperteile mit einem spitzigen Gegenstande ritzen,
sodaß allerhand Figuren *entstehen, deren "Narben
dauernd sichtbar sind. Auch bemalen die Wilden
sich mit bunten Farben, die ihnen ein schöneres
Aussehen und gleichzeitig Schutz gegen Insekten
stiche gewähren. Die Bewohner gesitteter Länder
hingegen tragen Kleidung; in kalten Gegenden sind
warme Kleider unentbehrlich. -

Bevor ich abends schlafen gehe (zu Bett gehe),


ziehe ich mich (ziehe ich meine Kleider) aus und
lege (ziehe) ein Nachthemd an, worin ich nachtsüber
(während der Nacht) schlafe. Wenn ich am anderen
Morgen aufwache, reibe ich mir unwillkürlich die
Augen, sehe dann auf die Uhr und stehe, falls es
nicht noch zu früh ist, auf, um mich anzuziehen
(um Toilette zu machen).
Zunächst ziehe ich mir die Unterhose (auch
Unterhosen genannt) an, darauf die Strümpfe (kurze
oder lange), sodann die Hose (die Beinkleider) und
*verletzen. *sich bilden. *Spuren (einer Wunde).
X. Körperpflege, Kleidung und Putz. 55

die Pantoffeln (Hausschuhe). Hierauf lege ich mein


Nachthemd ab, trete an den Waschtisch und wasche
mich gründlich; lauwarmes Wasser nehme ich *grund
sätzlich nicht, da es bekanntlich nicht so erfrischend
und gesund ist wie kaltes. Beim Waschen bediene
ich mich eines Schwammes. Ich wasche mich stets
mit geruchloser Seife; die parfümierten Seifen kann
ich wegen ihres "aufdringlichen Geruchs nicht "aus
stehen. Zum Abtrocknen benütze (nehme) ich ein
rauhes und ein gewöhnliches Handtuch. Viele Leute
haben in der Nähe ihres Schlafzimmers ein Bade
zimmer, wo sie jeden Morgen ein Bad oder mindestens
ein kaltes Brausebad (eine kalte Douche) nehmen.
Manche haben auch die löbliche Gewohnheit, schon
frühmorgens Zimmerturnen zu treiben.
Wenn ich mit Waschen fertig bin, reinige ich
mir die Zähne mit einer Zahnbürste und mit Zahn
pulver (Zahnpasta); hierauf gurgele ich und spüle
mir den Mund "aus. (Um meine gesunden Zähne
gegen Fäulnis zu schützen, reinige ich sie nach jeder
Mahlzeit.) Ich kämme mich sodann mit dem Kamm
und bürste mir das Haar mit der Haarbürste. Von
Zeit zu Zeit wasche ich mir auch die Kopfhaut mit
Haarwasser; aber nie °verwende ich Haaröl oder
Haarsalbe, denn ich "verabscheue jeden künstlichen
„Wohlgeruch“. Da ich einen ziemlich starken Bart
habe, so rasiere ich mich jeden Morgen. Mein Rasier
messer ist ausgezeichnet (vorzüglich). Zum Barbier
oder Friseur (scherzhaft oft „Verschönerungsrat“
genannt) gehe ich nur, um mir das Haar schneiden
zu lassen; rasieren lasse ich mich in Barbierstuben
höchst ungern, weil sie den Herd für manche Haut
und Haarkrankheiten bilden und ich dort wiederholt
geschnitten worden bin; überdies ist es mir unan
genehm, wenn die Barbiergehilfen mir mit ihren süß
lich riechenden Fingern im Gesicht "herumfahren.
Nachdem ich mich rasiert habe, ziehe ich meine
!! Unterjacke und mein Oberhemd (Falten-, Taghemd)
*vorsätzlich, absichtlich. "penetranten. "leiden, ertragen.
"reinige. . . mit Wasser. *benutze, gebrauche. "hasse. ”ein
hertasten. wollenes Kleidungsstück unter dem Hemd.
56 X. Körperpflege, Kleidung und Putz.
an, knöpfe einen Kragen (einen Klappkragen, auch
Umlegkragen genannt, oder einen Stehkragen) ans
Hemd, binde mir einen Schlips (eine Krawatte, eine
Halsbinde) um, ziehe ein Paar Manschetten (Stulpen)
und zum Schluß Weste und Rock, sowie ein Paar
Stiefel an. Vor dem Ausgehen bürste ich meinen
Hut (Seidenhut, Zylinder, steifen Filzhut, weichen
Hut oder Schlapphut, Strohhut).
Im Winter trage ich dickere und wärmere Klei
dung als im Sommer. Bei kaltem Wetter ziehe ich
meinen Überzieher an und, wenn es friert, meinen
Pelzmantel oder Pelzkragen, eine Pelzkappe und
pelzgefütterte Handschuhe.
ein Kleiderschrank ist voll von Kleidungs
stücken. Unter anderen enthält er einen leichten
Sommeranzug, einen hellen Sommerüberzieher, einen
dicken Wintermantel, einen warmen Pelz (rock),
einen wasserdichten Regenmantel, einen Loden
mantel, einen Touristenanzug, einen zweireihigen,
langen Gehrock, mehrere Schwenker („Cutaways“)
und kürzere Schoßröcke, Joppen ohne Schöße, helle
und dunkle Hosen und Westen, eine schwarze Joppe
(einen „Smoking“) für kleinere Gesellschaften und
Theaterbesuch, sowie einen schwarzen Frackanzug
für festliche Gelegenheiten.
.. Die verschiedenen Teile eines Rockes sind die
Ärmel, der Kragen, die Schöße und das Futter.
Mein Frack ist *mit Seide *gefüttert. In jedem
Anzug sind mehrere Taschen, in die man alle mög
lichen Kleinigkeiten steckt, z. B. das Taschentuch
(Sacktuch), das Portemonnaie (den Geldbeutel, die
Börse), das Taschenmesser, ein Kämmchen und ein
Paar Bürstchen, das Schlüsselbund, die Uhr, einen
Bleistift, ein Notizbuch u. dgl. Röcke und Westen
sind zum Auf- und Zuknöpfen ”eingerichtet. Wenn
ein Knopf fehlt (abgesprungen ist), so muß er wie
der angenäht (befestigt) werden. Die Beinkleider
und Kniehosen werden in der Regel von Hosenträ
gern gehalten.

*auf . . . gearbeitet. *gemacht.


X. Körperpflege, Kleidung und Putz. 57
Mit meinem Schneider bin ich sehr zufrieden.
Er arbeitet nur nach Maß und hat stets den neu
sten Schnitt. Er bürgt für *tadellosen * Sitz und
nimmt schlecht sitzende Sachen ohne weiteres zu
rück. Erst gestern habe ich mir einen neuen Som
meranzug bei ihm bestellt (bei ihm anmessen lassen).
Die nach Maß gearbeiteten Anzüge sind zwar teurer,
aber sie tragen sich dafür auch besser als fertige
Sachen; letztere kaufe ich grundsätzlich nicht. Ar
beiter und andere kleine Leute sind gewöhnlich
Kunden von Kleiderhändlern, die fertige Kleidungs
stücke zu Spottpreisen *losschlagen.
Meine abgelegten (abgetragenen) Kleider ver
schenke ich an arme Leute, oder ich überlasse sie
für billiges Geld einem Trödler (Althändler), der
sie "aufputzt und an Arbeiter oder Dienstboten
mit Nutzen wieder verkauft.
Der Schneider, bei dem ich arbeiten lasse, hat
ein großes Lager in Tuchen (Anzugstoffen). Alle
erdenklichen Farben und Muster (Dessins) – hell
dunkel, schwarz, grau, braun, blau, olivgrün, ”ge
streift, gewürfelt (kariert) – sind in den verschie
densten Preislagen in Wolle, Halbwolle, Baumwolle
und Sammet bei ihm zu haben.
Die Damen haben in der Regel einen reicheren
Kleidervorrat (eine reichhaltigere Garderobe) als
wir Herren. Für jede Jahreszeit lassen sie sich zum
mindesten ein neues Kleid machen; manche Damen
tun es nicht unter einem halben Dutzend (Kleidern).
Während ein Herrenanzug bekanntlich aus Hose,
Rock und Weste besteht, unterscheidet man an
einem Kleide (Damenkleide) den Rock und die Taille
(das Leibchen). Der Rock ist meistens einfach, wäh
rend die Taille nicht selten mit allerhand teuerem
Besatz, mit Spitzen, Stickerei, Perlen u. dgl. be
setzt ist. Im Sommer wird statt der Taille oft auch
eine leichte, helle, waschbare Bluse (Waschbluse)
getragen. Auf Bällen und bei feierlichen Gelegen

*vorzügliche Paßform. *verkaufen. *reinigt und aus


bessert. ” mit Streifen.
58 X. Körperpflege, Kleidung und Putz.
heiten erscheinen die Herren in Frack und weißer
Binde (Krawatte), die Damen in kostbaren Roben
(meist aus Seide) mit langer Schleppe, und mit Blu
men im Haar. Die Armel der Damenkleider sind lang
oder halblang, anliegend oder *bauschig, je nach
der herrschenden Tracht (Mode).
Im Hause tragen manche Frauen und Mädchen
bisweilen eine kleine Schürze mit Spitzenbesatz
oder Stickerei. Auf der Straße gehen die Damen
in eleganten Hüten, die mit Federn, künstlichen
Blumen und Seidenbändern von der Putzmacherin
aufgeputzt (aufgemacht) sind; auch fehlt selten
der Schleier, der die zarte Haut gegen die rauhe
Luft schützen soll. Die älteren Bäuerinnen freilich
tragen weder Hut noch Schleier, sondern höchstens
ein Kopftuch. Keine Dame läßt sich außer dem
Hause ohne Handschuhe (Glacé-, seidene, oder Pelz
handschuhe) blicken. Wenn Damen zur Winters
zeit ausgehen, so ziehen sie ein Jakett, einen (Pelz-)
Mantel, oder einen bis zum Boden reichenden Regen
mantel an; bei Frostwetter sieht man sie regelmäßig
in Pelz (Kragen, Boa) und Muff.
Es versteht sich von selbst, daß die Vertreter
der guten Gesellschaft stets tadellos saubere Wäsche
tragen. Hemd, Kragen und Manschetten (Stulpen)
müssen blendend weiß sein. Schmutzige Wäsche
wird von der Waschfrau (Wäscherin) gewaschen,
gebläut und getrocknet, von der Plätterin gestärkt
und gebügelt (geplättet). Wollene Sachen bleiben
natürlich ungestärkt. Die Wäsche leidet beim Wa
schen in den großen Waschanstalten oft sehr.
Um besser zu sehen, tragen viele Leute eine
Brille, jüngere meist einen Klemmer (Kneifer, Zwik
ker). *Stutzer ("Gigerl) und solche, die auf nur
einem Auge schlecht sehen, trifft man vielfach mit
einem Einglas (Monokel). Damen bedienen sich
wohl auch einer Handbrille (Lorgnette), mit langem
Stiel zum Halten und Einklappen der Gläser. Reiche
Leute tragen eine goldene Brille, andere begnügen
*weit. *Modenarren, Gecken.
X. Körperpflege, Kleidung und Putz. 59

sich mit einer solchen aus ”Schildpatt, Stahl,


Aluminium, Nickel, oder gar mit einer altmodi
schen Hornbrille. Es gibt Augengläser für Kurz
sichtige wie für Weitsichtige. Ich bin kurzsichtig
(weitsichtig).
Fast jeder trägt heutzutage eine Taschenuhr
(eine goldene oder eine silberne Uhr) mit Kette,
an der oft noch allerlei kleine Gegenstände (z. B.
ein Medaillon, Geldstück, Zigarrenabschneider, Ti
gerauge) bammeln (hängen). Die meisten Herren
und Damen tragen außerdem einen oder mehrere
goldene Ringe mit Edelsteinen. Die beliebtesten
und teuersten Steine sind der Diamant, der Rubin,
der Onyx, der Jaspis, der Saphir, der Smaragd. Siegel
ringe (als * Petschaft verwendbar) sieht man nur
noch vereinzelt. Eheringe (Trauringe) sind in Deutsch
land glatt (schlicht) und werden am ”Goldfinger
der rechten Hand getragen. Verlobungsringe, die in
der Regel ebenfalls glatt sind und dann nachher
als Eheringe dienen, steckt man an den Goldfinger
der linken Hand. In Deutschland tragen auch Herren
solche Ringe. Broschen, Armbänder, Colliers (Hals
kettchen) mit echten Brillanten, Perlen oder Korallen,
Ohrringe usw. sind Schmuckgegenstände für Damen.
Wenn ich ausgehe, einen Spaziergang oder
eine *Besorgung machen will, so nehme ich einen
Stock (Spazierstock) mit, wenn es regnet oder wenn
Regen droht, *greife *ich *zum Regenschirm.
Damen pflegen zum Schutz gegen die Sonne kleine
Sonnenschirme zu tragen; auch Herren sieht man
bisweilen mit Sonnenschirmen. Auf Bällen, bei
Festlichkeiten, in Konzerten und im Theater sowie
bei großer Hitze benutzen die Damen auch Fächer,
mit denen sie sich (Kühlung zu)fächeln.
Das Sprichwort sagt zwar „Kleider machen
Leute“, aber die Ä ist und bleibt für jeden
Menschen ein *gut ”gespickter Geldbeutel.

*9Panzer der Schildkröte. "Briefstempel. *vierten


Finger. *geschäftlichen Gang. Kommission. *nehme ich
meinen. *gefüllter, wohl versehener.
60 XI. Der menschliche Körper.

XI.

Der menschliche Körper.


Jeder normal gewachsene Mensch hat einen
Kopf, einen Rumpf und Gliedmaßen.
Der Kopf besteht aus dem Schädel und dem
Gesicht. Der Schädel ist mit blondem, rotem, schwarz
braunem, grauem oder weißem Haar bedeckt und
enthält das Gehirn, den Sitz des Verstandes. Das
Gesicht (dichterisch: das Antlitz, das Angesicht) be
steht aus der Stirn, den Augen, der Nase, den Ohren,
den Schläfen, den Backen (Wangen), dem Munde -

mit den Lippen und dem Kinn. Die Gesichtsfarbe


(der Teint) kann sein: frisch, rot, gesund, blaß, dun
kel, gebräunt, gelblich, * quittengelb, rotbraun, mu
lattenfarbig, kaffeebraun, schwarz. Die beiden Seiten
des Gesichts sind selten genau symmetrisch (gleich).
Im Gesichte mancher Leute sieht man ein Grübchen
in jeder Backe und bisweilen auch im Kinn.
Das Auge ist das * Sehorgan; es liegt in der
Augenhöhle, wo es sich nach allen Seiten bewegen
kann. Der wichtigste Teil des äußeren Auges ist
der Augapfel mit verschiedenen Häuten und der
Pupille. Die Augenlider mit den Wimpern (die am
Rande der Augendeckel hervorwachsen) und die
Augenbrauen (haarige Bogen über den Augen) dienen
dem Sehorgan zum Schutz gegen Staub. Manche
Menschen haben schlechte (schwache) Augen und
müssen eine Brille tragen (siehe S. 58); andere
sind blind auf einem Auge, sie sind einäugig; andere
wieder sind "vollständig blind von Geburt (von
Jugend auf) und heißen blindgeboren, oder aber
sie sind infolge einer Krankheit oder eines Unfalles
*erblindet.
Die Nase ist das Geruchsorgan (Riechorgan);
sie besteht aus zwei Nasenflügeln links und rechts
vom Nasenbein.

*hellgelb. *Sitz des Gesichtssinnes. *ganz. “blind


geworden.
XI. Der menschliche Körper. 61
Der Mund ist die Öffnung zwischen Unter- und
Oberlippe. Mit dem Munde sprechen wir; durch den
Mund nehmen wir unsere Nahrung (Speise und
Trank) zu uns. Im Munde befinden sich zweiund
dreißig Zähne (sechzehn in jedem Kiefer, Schneide
[Vorder-], Eck- [Augen- und Backenzähne), mit denen“
wir die Speisen vor dem "Hinunterschlucken "zer
kauen. Die Zunge und der Gaumen, welche sich eben
falls im Munde befinden, sind die Geschmacksorgane,
mittels deren wir den Geschmack dessen (von dem),
was wir in den Mund nehmen, feststellen. Die Zunge
ist auch das wichtigste Organ beim Sprechen. Viele
Leute haben zwar, wie die Tiere, eine Zunge, aber
sie können nicht fließend sprechen: sie stottern
(stammeln); andere wiederum sind mit kleineren
Sprachfehlern behaftet; sie lispeln (stoßen an mit
der Zunge), sprechen durch die Nase, oder sie können
gewisse Buchstaben (das l, r) nicht sprechen.
Das Ohr ist unser Gehörorgan. Viele Menschen
können nicht hören: sie sind taub. Solche, die von
Jugend (Kind) auf taub sind, können auch nicht
sprechen und werden taubstumm genannt. Der
untere, fleischige "Zipfel des äußeren Ohres, jener
Teil, an dem man die Ohrringe befestigt und unfolg
same (unartige) Kinder bisweilen zieht (oder zupft),
heißt das Ohrläppchen.
Das Gesicht des Mannes ist in der Regel mit
Bart bewachsen. Manche Männer tragen einen
* Vollbart, andere nur einen "Schnurrbart (Knebel
bart); ein kurzer Backenbart (Kotelettbart) wird
von den Deutschen wenig getragen; auch die Spitz
bärte (Kinnbärte, Bocksbärte) sieht man nur selten;
eine kleine Fliege (an der Unterlippe) wird vielfach
mit dem Schnurrbart getragen. Wer keinen Bart
trägt, muß sich von Zeit zu Zeit rasieren oder rasie
ren lassen.
Das Bindeglied zwischen Kopf und Rumpf ist
der Hals. Der vordere Teil des Halses ist die Kehle,
* Beförderung in den Magen. "zerkleinern, klein beißen,
zermalmen. ? Stückchen. * Bart, der Backen, Lippen und
Kinn bedeckt. "Bart auf der Oberlippe.
62 XI. Der menschliche Körper.
an welcher der „Adamsapfel“ etwas hervorsteht.
Der hintere Teil des Halses wird Nacken genannt.
Im Halse befinden sich zwei Kanäle: die Speise
röhre (welche dem Magen die Nahrung zuführt)
und die Luftröhre (sie vermittelt den Zutritt der
Luft in die Lungen). Das obere Ende der Luftröhre
ist der Kehlkopf („Adamsapfel“); letzterer enthält
die Stimmbänder, durch deren Schwingungen die
Stimme erzeugt wird. Zu beiden Seiten des Halses
dehnen sich die Schultern mit dem 19Schlüsselbein
und den "Schulterblättern aus.
Der Rumpf umfaßt die Brust (den Brustkorb,
Brustkasten), den Rücken mit der Wirbelsäule (dem
Rückgrat) und den Bauch. In der Brust befinden
sich die Atmungsorgane: das Herz und die Lunge
(die beiden Lungenflügel). Der Bauch enthält den
Magen (der die Nahrung aufnimmt und *verdaut),
die Leber, Nieren, Milz und Eingeweide (Gedärme).
Die Gliedmaßen – die beiden Arme und Beine
– sind mit dem Rumpf durch Gelenke, Sehnen
und Muskeln verbunden.
An jedem Arm unterscheiden wir den Ober
arm, den Ellbogen, den Unterarm, das Handgelenk
und die Hand. Jede Hand hat fünf Finger; es sind
dies der Daumen, der Zeigefinger, der Mittelfinger,
der Goldfinger (oder Ringfinger) und der kleine Finger.
Die Fingerspitzen sind mit Nägeln bedeckt und die
nen zum ”Tasten und Fühlen. Wenn die Hand zu
sammengezogen ist, nennt man sie Faust. (Man ballt
die Faust, wenn man sehr zornig ist und drein
schlagen möchte.) -

Die Teile eines jeden unserer Beine sind: der


Oberschenkel (das „dicke Bein“), das Knie, der Un
terschenkel (das Schienbein und die Wade), das Fuß
gelenk und der Fuß. An jedem Fuß unterscheidet man
die Fußspitze, die Fußsohle, die Ferse, die Fußknöchel,
den Spann und die fünf Zehen mit Nagel an jeder
Zehenspitze.
”einem S-förmigen Knochen. zweiflachen dreieckigen
Knochen am oberen Teile des Rückens. ?in Nährstoffe ver
wandelt. * Berühren.
XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten. 63
Der menschliche Körper besteht nicht aus
schließlich (lediglich) aus Fleisch und Blut: ein
Knochengerüst, das Skelett, mit dem Rückgrat (der
Wirbelsäule) als Mittelpunkt, geht vom Kopf bis
hinab zu den Zehen, um die Weichteile zu stützen
(halten) und *leicht *verletzliche Organe zu schüt
zen. Die Knochen sind mit Fleisch (Muskeln) und
mit einer Haut bedeckt, auf der weiche Härchen
wachsen.
Eindrücke auf irgend eines unserer Organe
*nehmen wir mit einem unserer fünf Sinne "wahr;
es sind dies der Gesichtssinn, Gehörsinn, Geruchssinn,
Geschmackssinn und Gefühlssinn. Wer sich "über
"die "Maßen "töricht "benimmt, von dem pflegt
man zu sagen, er habe seine fünf Sinne nicht bei
sammen, oder auch, er sei ”von ”Sinnen, d. h.
verrückt.

XII.

* Körperliche Gebrechen und Krankheiten.


„Es geht nichts über die Gesundheit“, sagt
ein deutsches Sprichwort. Ja, wer gesund ist an
Leib und Seele, der kann (mag) sich glücklich schät
zen ! Leider sind nicht alle Menschen in dieser *be
neidenswerten Lage. Die einen sind innerlich kern
gesund, leiden aber an irgend einem körperlichen
Gebrechen (Siechtum); andere haben zwar äußer
lich keine Fehler, werden indes vielfach von schmerz
haften und langwierigen Krankheiten *heimgesucht.
Blinde, Taubstumme, Stotterer (Stammler), Lah
me, Hinkende, auf Krücken oder auf (an) Stöcken
Gehende, Bucklige, Einarmige, Einäugige, Schie
lende, sie alle sind zu *bemitleiden wegen ihrer kör
*empfindliche. "empfinden. "mehr als ungeschickt.
” anstellt, zeigt. *„seiner Sinne nicht mächtig sein“ be
deutet: sie nicht beherrschen, z. B. betäubt, übermäßig
erregt sein.
"Äußere Fehler, Mängel oder Defekte. *glücklichen.
* befallen, belästigt. *bedauern.
64 XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten.
perlichen Gebrechen. Sie empfinden ihr Unglück
doppelt schmerzlich, wenn herzlose Leute sie deshalb
"geringschätzen oder gar verhöhnen (verlachen).
Ich selbst bin gottlob gesund wie ein Fisch im
Wasser; in unserer Familie aber sieht es seit einiger
Zeit recht betrübend aus: den Arzt werden wir °schein
bar gar nicht wieder los, da bald der eine, bald der
oder die andere an dieser oder jener Krankheit dar
nieder liegt. Zum Glück sind es bisher nur leichte
Krankheiten gewesen, "lebensgefährlich war keine.
° Immerhin aber machen sich meine Eltern stets
große Sorge, wenn eins von uns Kindern krank ist.
Mein jüngstes Schwesterchen hat schon seit Monaten
den ° Keuchhusten. Zudem ist sie so heiser, daß sie
kaum sprechen kann. Meine zweitjüngste Schwester
wird von Kopfweh (Kopfschmerz) und Zahnschmerz
sehr geplagt; sie sieht auch recht blaß aus und hat
wahrscheinlich die ” Bleichsucht. Dieser Tage be
kam sie obendrein noch einen Ohnmachtsanfall (sie
fiel in Ohnmacht). Ich weiß nicht recht, was mit
dem sechzehnjährigen Mädchen eigentlich los ist.
Die Arzneien, die der Arzt ihr verschreibt, "erwei
sen !! sich 1! als 1! unwirksam.
Mein Bruder Fritz ist in den letzten sechs Wo
chen ebenfalls recht *übel *dran gewesen. Erst
vor zwei Jahren hatte er die Masern, und jetzt liegt
er (krank) am Scharlach. Selbstverständlich ist
er von uns anderen Kindern abgeschlossen (isoliert),
damit wir nicht auch ”angesteckt werden; denn
das Scharlachfieber ist sehr ansteckend. Gott sei
Dank hat er das Schlimmste jetzt *überstanden;
er ist auf der Besserung, aber die völlige Genesung
wird (dürfte) noch mehrere Wochen *beanspruchen.
*mißachten, schlecht (oder von oben herab) behandeln.
"wie es scheint, allem Anscheine nach. "tödlich. "dennoch,
trotzdem. "Stickhusten oder Krampfhusten (epidemischer
heftiger Husten der Kinder). "Chlorosis (eine Mädchen
krankheit, die sich u. a. durch blasse Gesichtsfarbe und fort
gesetzte Müdigkeit äußert). !! wirken nicht, führen zu keiner
Besserung. *kränklich. *infiziert. *überwunden, hinter
sich. ”erfordern, bedürfen.
XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten. 65
Mein guter Vater leidet sehr (viel) an "Gicht
und Rheuma (Rheumatismus). Sobald feuchte Wit
terung eintritt, packt ihn sein altes Leiden. Meist
liegt er dann tagsüber auf dem Schlafsofa (Divan);
jedoch "steckt der Arzt "ihn bisweilen auch "ins
"Bett. Nach ein paar Wochen *verzieht sich bei
ihm die Gicht, kehrt aber in der Regel schnell wieder.
Ich glaube kaum, daß er sein schmerzhaftes Leiden,
das er von seinem Vater geerbt hat, jemals ganz los wird.
Meine treue alte Großmutter leidet stark an
Asthma (Atembeschwerden, Atemnot); auch hört und
sieht sie jetzt schlecht. Das Leben ist allmählich
eine Qual für sie geworden, drum ”sehnt ”sie ”sich
nach ?9einem ?9besseren ?9 Jenseits.
Mein Onkel Eduard starb vor zwei Jahren an
einem Schlaganfall. Er war schon längere Zeit ge
lähmt, und der dritte * Anfall ”setzte seinem taten
reichen Leben *ein *Ziel.
Mein Vetter Hans ist wirklich ein *armer*Tropf.
Er erkältet sich beim schönsten Wetter und be
kommt dann sofort den Husten und den Schnupfen.
Im Winter hat er regelmäßig * Frostbeulen. Wenn
wir bisweilen zusammen ausradeln (eine Radfahrt
machen), so hat er gleich Seitenstiche, oft sogar Na
senbluten, und dann müssen wir natürlich absitzen
und halten, bis er wieder weiter kann. Neulich hatte
er den ”Ziegenpeter, eine dicke (eine geschwollene)
Backe und rasendes Zahnweh. Da die Schmerzen
ihm Tag und Nacht keine Ruhe ließen, ging er schließ
lich zum Zahnarzt, der ihm den kranken (ange
faulten, hohlen) Zahn (aus)zog (herausholte). Wenn
es nur nicht ein Weisheitszahn gewesen ist!
*schmerzhafter Anschwellung der Füße, Hände, Knie.
17 schickt . . . ihn zu Bett; verordnet ihm Bettruhe. 1°entfernt.
*°hat sie Sehnsucht (d. i. den dringenden Wunsch). ?"dem
Himmel, in der höheren Literatursprache: dem Paradiese,
den Gefilden der Seligen. * Attacke. *machte . . . ein Ende.
*zu bedauern. *durch Kälte verursachte Schwellungen
der Haut. * Parotitis, Anschwellung der Ohrspeicheldrüse
(Speichel absondernde Drüse im Gesicht, zwischen Ohr und
Mund).
Kron Der Kleine Deutsche, 15. 5
66 XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten.
Ich für meine Person bin selbst dran schuld,
wenn mir mein Magen oft Beschwerden macht; ich
esse nämlich gerne und viel Pudding, sodaß ich mir
schon mehrmals den Magen überladen und an den
bösen Folgen gelitten habe.
Ein Freund und Schulkamerad von mir hatte
neulich böses Unglück (großes Pech): er pflückte
auf (in) einem Kirschbaume Kirschen, da plötzlich
brach der Ast, auf dem er saß, und mein Freund
Willi purzelte (fiel, stürzte) Hals über Kopf herun
ter. Das Unglück wollte, daß er den rechten Arm
brach und sich die rechte Schulter und einen * Fuß
*verrenkte (verstauchte). Sofort führte ich ihn zu
unserem Hausarzt, Herrn Sanitätsrat Dr. Koch, der
ihm die ” Knochensplitter entfernte und einen Gips
verband anlegte; auch renkte der Doktor ihm die
Schulter und den Fuß wieder ein, und jetzt muß
der Armste zu Hause Ä Er kann übrigens von
Glück sagen (reden), daß der Arm nicht abgenom
men (amputiert) zu werden brauchte. In (Nach)
vierzehn Tagen will der Arzt den Verband entfernen
(abnehmen), und dann muß Willi den Arm noch
eine Zeitlang in der Binde (Schlinge) tragen. Damit
ihm die Zeit nicht zu lang werde, besuche ich ihn
jeden Nachmittag und *leiste *ihm ein Stündchen
28 Gesellschaft.
Es gibt noch eine Menge Krankheiten, die ich
selber zum Glück nur vom Hörensagen kenne. So
soll es bspw. kein Spaß (Vergnügen) sein, wenn man
Krämpfe oder die Fallsucht bekommt (fallsüchtig
ist), oder an Ohrenschmerzen, nervösem Kopfweh
(Migräne), ”Katzenjammer, Magenschmerzen oder
an einem Hexenschuß (an Kreuzschmerzen) leidet.
Wer die "Zuckerkrankheit hat (zuckerkrank ist),
herzleidend, nierenleidend oder leberkrank (leberlei
dend) ist, der muß sehr vorsichtig leben, um sein
Ende (seinen Tod) nicht "zu "beschleunigen. Nicht

*Fußknochen austrat. ”abgebrochenen Knochenteile.


Äverbringe. ... mit ihm. *Brummschädel, Kater(vergl. S.30).
”Diabetes. *voreilig herbeizuführen.
XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten. 67
eben angenehm scheint es mir auch zu sein, wenn
man genötigt ist einzunehmen (Arznei, Medizin,
Pulver zu nehmen) oder Pillen zu schlucken.
Als die "tückischsten Krankheiten gelten die
Epidemien (Seuchen), die ansteckend sind und oft
*Tausende von zusammenlebenden Leuten in ganz
kurzer Zeit "hinwegraffen. Besonders schrecklich
wütet die Cholera unter den von ihr Befallenen;
auch die Influenza (Grippe) fordert viele Opfer. Die
schwarzen Pocken sind ebenfalls sehr gefährlich,
jedoch wütet (grassiert) diese Seuche weniger stark,
seitdem in allen gesitteten Ländern *der *Impf
zwang *besteht. Das Impfen geschieht mittels
Lymphe. Ich bin zweimal geimpft, jedesmal mit
Erfolg. Viele Leute glauben nicht ans Impfen und
sind Gegner davon. Auch die Diphtheritis (Diph
therie), der Scharlach und der Typhus sind sehr an
steckend (leicht übertragbar) und häufig lebens
gefährlich. Gegen Diphtherie hat man neuerdings
das sog. Heilserum erfolgreich angewandt. Krebs
soll ebenfalls ansteckend sein; jedenfalls ist er eine
sehr schmerzhafte und tödliche Krankheit.
FU. Die "„Geißel der Menschheit“ aber ist und
bleibt die Schwindsucht (Tuberkulose). Gegen diese
schleichende Krankheit ist kein Kraut gewachsen
(d. h. es gibt kein Heilmittel dagegen). Bei sehr
vorsichtiger Lebenshaltung kann der Schwindsüch
tige (Tuberkulöse) sein Dasein auf einige Zeit ver
längern, indessen der Tuberkelbazillus zerstört lang
sam, aber sicher das Lungengewebe, und dann geht
es mit dem Patienten (Kranken) schnell bergab (zu
Ende), zumal wenn infolge von Erkältung eine Lungen
entzündung hinzukommt.
Herzlich zu bedauern ist eine Klasse von Leu
ten, die körperlich ganz gesund, ihrer Sinne aber
nicht Herr sind: es sind die Geisteskranken, Geistes
gestörten, Irrsinnigen. Manche Irrsinnige sind gut
artig und harmlos, andere aber bekommen vielfach

*gefährlichsten. *Tausenden . . . den Tod bringen.


*jeder geimpft (vakziniert) werden muß. *schlimmste Plage.
68 XII. Körperliche Gebrechen und Krankheiten.
Anfälle von ”Tobsucht und werden dann ihrer Um
gebung gefährlich. Drum werden diese armen Men
schen ins Irrenhaus (Irrenanstalt, Asyl für Geistes
kranke) gebracht, wo sie eine angemessene Pflege
erhalten und – wenn möglich – von ihrem trau
rigen Leiden geheilt werden.
Wer von einer ernsten körperlichen Krankheit
befallen wird, zieht den Arzt zu Rate (läßt den Dok
tor kommen oder holen). Unser Hausarzt ist ein
sehr tüchtiger Mann und hat infolgedessen eine
große Praxis. Er ist keiner von denen, die bei jeder
Kleinigkeit etwas (eine Arznei) verschreiben. Zu
erst läßt er sich regelmäßig die Zunge des Leidenden
(Patienten) zeigen und fühlt ihm den Puls. Ist die
Zunge ”belegt, so verschreibt er ein Rezept, das in
der Apotheke gemacht wird. Natürlich schickt er
den Kranken bei Fieber sofort ins Bett, läßt ihn
tüchtig schwitzen, schreibt ihm eine ganz bestimmte
Diät (Ernährungsweise) vor, und am nächsten Tage
sieht er nach, wie es dem Patienten geht. In den
meisten Fällen *bringt er seine Kranken schnell
*wieder *auf *die *Beine; nur bei meiner Schwe
ster ist es ihm bisher nicht geglückt. Seine Sprech
stunden sind von 8 bis 10 vormittags und von 3 bis
4 nachmittags; während der übrigen Zeit macht er
Krankenbesuche.
Es gibt überdies Leute, die sich als Heilkundige
ausgeben (aufspielen), ohne von der Medizin (Heil
wissenschaft) etwas Rechtes zu verstehen; manche
Kranke °fallen aus Sparsamkeitsrücksichten ”auf
diese Kurpfuscher oder Quacksalber °herein (hinein),
müssen aber in der Regel schließlich doch einen staat
lich geprüften Arzt zu Rate ziehen.
Arme Leute und solche, die einer besonderen
Pflege bedürfen, werden in ein Krankenhaus (Spital,
Spittel, Hospital, militärisch: Lazarett) gebracht, wo
Ärzte (Spezialisten), Krankenpfleger und Kranken
pflegerinnen sich ihrer mit aller Sorgfalt annehmen.
*Raserei, blinder Wut. "7blaß. *heilt, kuriert. *lassen
sich . . . von . . . behandeln.
Erkundigung nach dem Körperbefinden. 69

- Erkundigung nach dem Körper befinden.

1. Zwischen zwei Personen.

Fragen. Antworten.
a. Gute Auskunft.

Guten Tag, Herr Schmitz, Danke für gütige Nachfrage,


wie geht's Ihnen? sehr gut.
Nun, wie steht's ? Vorzüglich.
Wie steht's (mit dem) Befin Ausgezeichnet! Und bei Ih
den ? nen ?
Nun, "ist "dir (Ihnen) 40der Danke, ganz vortrefflich ! Dir
"gestrige 4"Abend 40gut (Ihnen) hoffentlich auch.
49bekommen ?
Was macht der Hexenschuß Danke, beides hat sich wesent
und Rheumatismus ? lich gebessert.
Geht's dir heute besser? Ja, Gott sei Dank!

b. Weniger gute Auskunft.


Was fehlt Ihnen denn ? Sie Ich bin nicht ganz 4 auf
sehen so merkwürdig drein 4 dem 4! Damm (fam.); ich
(aus)! fühle mich nicht recht
wohl; ich hab's im Magen;
mein Magen ist nicht in
Ordnung.
Was ist denn los mit Ihnen ? Ich weiß es selber nicht; ich
Sie sind doch nicht krank? bin 4?auf 4?dem 4? Undamm
(fam.); ich glaube, ich werde
ernstlich krank.
Was macht heute Ihr Zipper Es ist immer noch beim al
lein (Ihre Hand- und Fuß ten; ich habe zeitweilig
gicht)? gräßliche Schmerzen.
Fühlen Sie sich heute besser Na, es geht so la la (fam.:
als gestern ? so lila); es könnte freilich
besser sein.
Du siehst aber famos (fam.) Alles nur äußerlich, mein
(vorzüglich) aus! Lieber! Ich wünsche dir
meine Schmerzen nicht.

"iii ist du dich nach dem gestrigen Abend ganz wohl?


* wohl, auf der Höhe. *nicht wohl.
70 Erkundigung nach dem Körperbefinden.

2. Über einen abwesenden Dritten.

Fragen. Antworten.

a. Gute Auskunft.
Wie geht's Ihrem Herrn Vater Danke vielmals, er (sie) ist
(Ihrer Frau Mutter, Ihrem jetzt wieder ganz munter
Fräulein Schwester) ? (wohlauf) und läßt grüßen.
Ist Ihr Herr Bruder immer Nein, seit einigen Tagen geht's
noch krank? Liegt er noch wieder mit ihm; aber er ist
(zu Bette)? noch sehr *matt.
Wie geht's dem Patienten ? Danke, er ist auf (dem Wege)
der Besserung.
Darf ich mich nach dem Be Danke bestens, es geht ihr
finden Ihrer werten Gattin ausgezeichnet; sie hat sich
(Frau Gemahlin) erkundi von ihrer Krankheit schnell
gen ? erholt (sie ist rasch ge
nesen).
Was machen die Kinder (die Sie sind gottlob alle recht ge
lieben Kleinen)? sund.
Wie geht's zu Hause? Danke! Alles wohlauf und
munter.
Wie steht's daheim ? Schönen Dank für gütige
Nachfrage; die Meinigen
44erfreuen 44sich 44 der 44 be
sten Gesundheit (formell).

b. Weniger gute Auskunft.

Ist Ihr Herr Papa (Vater) Nein, seit einigen Wochen


noch recht 4 rüstig? klagt er über Gliederreißen.
Hat dein Bruder Karl wirk Ja, der arme Junge hat über
lich einen Arm gebrochen ? all Pech (Malheur, Un
glück).
Dein Onkel Robert sieht ganz Schwer zu sagen (was ihm
jämmerlich aus! Was fehlt fehlt). Ich glaube, er hat
ihm eigentlich? die Schwindsucht.
Ist euer Patient außer Ge Nein, immer noch nicht. Ein
fahr? 4° Rückfall könnte bedenk
lich für ihn werden.

*schwach. *sind bei bester. *mobil, wohlauf. **neuer


Anfall.
XIII. Unterrichtswesen. 71

3. Ausdrücke der "Teilnahmc und gute *Ratschläge.


Es tut mir wirklich leid, Sie so wiederzusehen! Ach, könnte
ich Ihnen doch helfen!
Sie sollten sich sofort an einen tüchtigen Arzt wenden,
Lassen Sie sich doch gründlich untersuchen, damit Sie
erfahren, was Ihnen eigentlich fehlt.
Legen Sie sich sofort zu Bett! Sie scheinen ernstlich krank
zu werden.
Sie müssen sich aber auch mehr schonen (besser in acht
nehmen)!
Hoffentlich fühlen Sie sich besser, wenn ich morgen wieder
*vorspreche! Hoffentlich ist es nichts Gefährliches!
Nur Mut! Lassen Sie "nur den Mut nicht sinken! Nur
den Mut nicht verlieren, es wird sich schon wieder
machen (bessern)!
Gute Besserung!

XIII.
Unterrichtswesen.
Lerne was, so kannst du was/
Das deutsche Unterrichtswesen steht in der
ganzen gesitteten Welt in hohem Ansehen wegen
seiner vorzüglichen Einrichtungen und Erfolge. Na
türlich besteht in Deutschland allgemeiner Schul
zwang, u. z. vom sechsten bis zum vollendeten vier
zehnten Lebensjahre des Kindes. Daher sind auch
die ärmsten Leute in der Lage, ihren Kindern eine
gute Schulbildung kostenlos *angedeihen zu lassen.
Diejenigen, die aus dem einen oder anderen Grunde
*versäumen, ihre Kinder regelmäßig zur Schule zu
schicken, haben sich dieserhalb vor der *Behörde
zu verantworten und eine Strafe zu "gewärtigen,
wenn sie keine "triftigen Entschuldigungsgründe
für die Unterrichtsversäumnis ihres Kindes (bzw.
ihrer Kinder) vorbringen können. Die Zahl der
*7 Mitleid. *Winke. *(vor)komme. "auf alle Fälle, ja.
* hat . . . einen guten Ruf. *geben. *vernachlässigen,
unterlassen. *Obrigkeit, Vertreter des Gesetzes. "erwarten.
"dringenden, ernstlichen.
72 XIII. Unterrichtswesen: Volksschulen.

Analphabeten (d.i. derer, die weder lesen noch schreiben


können) ist infolge der strengen Durchführung der
bestehenden Schulgesetze denn auch nirgends ge
ringer als in Deutschland (auf tausend Einwohner
kommt nämlich nur ein Analphabet).
Viele Eltern schicken ihre Kleinen schon früh
in eine Kleinkinderschule (einen Kindergarten, Kin
derhort), wo die Kinder unter steter Aufsicht sind
und sich schon im zarten Alter (3 bis 5 Jahre alt) an
eine gewisse Ordnung gewöhnen lernen. Regelrechter
Unterricht findet in diesen Anstalten selbstredend
noch nicht statt.

Volksschulen.

Die Volks- oder Elementarschulen sind die ?Grund


pfeiler der deutschen Bildung und Gesittung. Jedes
Kind muß vom sechsten bis zum vollendeten vier
zehnten Lebensjahre eine Volksschule regelmäßig
besuchen, es sei denn, daß es anderweitig (an höhe
ren Lehranstalten oder durch einen Hauslehrer oder
eine Hauslehrerin oder Erzieherin) eine entsprechende
Ausbildung empfängt. Schulgeld wird nicht erhoben;
der Staat und die Gemeinde tragen die Kosten des
Unterrichts. Zur Deckung der Kosten, die für die
Erbauung des Schulhauses, für Besoldung der "Lehr
kräfte und für "Beschaffung der Lehrmittel aufge
wandt werden, dient ein Teil der "Erträge "der
19Steuern. -

Es gibt Elementarschulen für Knaben und


solche für Mädchen. Nur in kleinen Ortschaften
auf dem Lande werden die Knaben und Mädchen
gemeinsam unterrichtet. Jede Konfession (Glau
bensgemeinschaft) hat ihre eigenen Volksschulen;
gemischt konfessionelle (konfessionslose oder Simul
tan-)Schulen gehören zu den Seltenheiten. Die
Schüler(innen) werden je nach ihrem Alter und ihren
Kenntnissen zu Klassen vereinigt. Die unterste

"Stützen, Grundlagen. "Lehrpersonen. "Anschaffung,


Besorgung. ”Steuereinnahmen.
XIII. Unterrichtswesen: Volksschulen. 73

(niedrigste) Klasse heißt erste Klasse; dann folgen


die zweite, dritte, vierte, fünfte und sechste Klasse.
Der Unterricht dauert in der Regel von acht bis
zwölf und von zwei bis vier Uhr; er wird in den Kna
benschulen von Lehrern, bei den Mädchen meist
von Lehrerinnen erteilt. Die Hauptfächer (Lehr
gegenstände) sind: Deutsch (Lesen, Schreiben), Reli
gion, Rechnen, Geschichte, Erdkunde (Geographie),
Naturlehre, *Volkswirtschaftslehre, Singen, Zeich
nen, Turnen, Handfertigkeits- und Handarbeits
unterricht (letzterer nur bei den Mädchen).
In den größeren preußischen Volksschulen wir
ken mehrere Lehrer unter Leitung eines Rektors oder
eines Hauptlehrers. Eine Schuldeputation, die (auf
den Dörfern: Ein Schulvorstand, der) sich aus ange
sehenen Bürgern zusammensetzt, berät die rein ge
schäftlichen Angelegenheiten: Wahl und Anstellung
der Lehrkräfte, ”Gehaltsfestsetzung, Unterhaltung
und Ergänzung der Lehrmittelsammlung; kurz, alles,
was den finanziellen Teil der Verwaltung angeht,
bedarf der ”Zustimmung der Schuldeputation und
der *Bestätigung seitens der staatlichen Behörde.
Die Oberaufsicht führen staatlich angestellte Kreis
oder Orts-Schulinspektoren, diese müssen von Zeit
zu Zeit Revisionen (Inspizierungen) vornehmen und
der Regierung (Schulabteilung) ihrer Provinz "Be
richt "erstatten. Die Schulabteilungen der Re
gierung unterstehen direkt (unmittelbar) dem Kul
tusministerium in Berlin. Eine gewissenhafte Pflicht
erfüllung jeder einzelnen Lehrperson ist auf diese
Weise "gewährleistet.
Einige Volksschulen gehen über das Ziel ihrer
Schwesteranstalten hinaus, indem sie u. a. eine
lebende fremde Sprache, meistens Französisch, und
einiges aus der Physik lehren. Sie haben in der Regel
sieben Klassen und heißen "gehobene Volksschulen,
Mittelschulen u. dergl.
1 Nationalökonomie, Lehre vom Erwerbsleben der Völker.
* Bestimmung der Besoldung. *Genehmigung, Billigung.
*Anerkennung, Sanktionierung. *berichten. "gesichert.
17höhere, fortgeschrittene.
74 XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten.
Außerdem gibt es in den Städten noch ”sog.
Fortbildungsschulen für Lehrlinge (über vierzehn
Jahre), die in den Abendstunden ihre Volksschul
kenntnisse vertiefen und bezüglich des Rechnens
und Zeichnens fürs praktische Leben erweitern.
Die Lehrer an den Volksschulen und an den
”Mittelschulen werden auf staatlichen Seminarien
(Lehrerbildungsanstalten) drei Jahre lang für ihren
Beruf vorgebildet. Besonders strebsame Volksschul
lehrer lassen sich's mit ihrer Seminarbildung nicht
genügen; sie arbeiten privatim weiter, um vor ei
ner besonderen Regierungskommission das Mittel
schulexamen und oft auch noch die Rektorprüfung”ab
zulegen. Hierdurch öffnen sie sich u. a. den Weg zur
Anstellung im Dienste des höheren Mädchenschul
WESEIS.

Höhere Lehranstalten.
(Süddeutsch: *Mittelschulen.)
Die humanistischen Anstalten *zerfallen *in
Gymnasien (mit neun Jahrgängen) und Progymnasien
(sechs Jahreskurse). Die Klassen heißen von unten
ab: Sexta, Quinta, Ä Untertertia, Obertertia,
Untersekunda, Obersekunda, Unterprima und Ober
prima (die letzten drei fehlen dem Progymnasium).
Die Lehrfächer sind auf beiden Anstalten: Lateinisch,
Griechisch, Geschichte, Erdkunde, Deutsch, Fran
zösisch, Mathematik, Naturwissenschaften, Zeichnen,
Turnen und Singen. Der ”Schwerpunkt liegt von
Sexta an auf dem Lateinischen, von Untertertia an
außerdem auf dem Griechischen. In Quarta beginnt
das Französische. Englisch wird auf dem Progym
nasium überhaupt nicht gelehrt, auf den *Voll
gymnasien wahlfrei in den drei Oberklassen.
"Lies: sogenannte. "Man beachte, daß„Mittelschule“
in Norddeutschland eine Anstalt bezeichnet, die zwischen
Volksschule und höherer Schule steht, in Süddeutschland
und Österreich aber das, was man in Norddeutschland
„Höhere Schule“ (Gymnasium, Realgymnasium usw.) nennt.
*°zu bestehen. *gliedern sich in, bestehen aus. *Haupt
gewicht, besondere Nachdruck. *9-jährigen Gymnasien.
XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten. 75
Die lateinlosen Realanstalten sind: die neun
jährige Oberrealschule und die sechsjährige Realschule.
Lateinisch und Griechisch werden auf diesen höheren
Schulen nicht *getrieben, dagegen wird dem Fran
zösischen, Englischen und Deutschen, der Mathe
matik, den Naturwissenschaften und dem Zeichnen
eine ”eindringlichere Behandlung zuteil. Die üb
rigen Fächer *decken *sich "mit denen der huma
nistischen Anstalten. Der französische Unterricht
beginnt bereits in der untersten Klasse (Sexta),
das Englische meist zu Beginn des vierten Jahres
kursus (in Untertertia), selten in Sexta.
Ein Mittelding zwischen den humanistischen
und den realen Anstalten sind die Realgymnasien
(von 9-jähriger Kursusdauer) und die Realprogym
nasien (6-jährig). *Das ”Kennzeichnende dieser
beiden Anstalten besteht darin, daß sie, wie die
Gymnasien, das Lateinische (von Sexta ab) und, wie
die lateinlosen Realanstalten, das Französische (von
Ä
athematik
ab) und Englische (von Untertertia ab), die
und Naturwissenschaften *mit *Nach
druck *vertreten. Griechisch wird dort jedoch nicht
gelehrt.
*Neuerdings sind in zahlreichen Städten Re
formschulen (Reformgymnasien und Reformrealgym
nasien) eingerichtet worden. Am verbreitetsten sind
diejenigen, die den „"Frankfurter "Lehrplan“ zu
grunde gelegt haben. Nach diesem Lehrplane be
steht zunächst ein gemeinsamer 3-jähriger Unter
bau, indem in den Klassen Sexta, Quinta und Quarta
nur eine Fremdsprache (Französisch) getrieben wird.
Mit Beginn des vierten Jahres (Untertertia) findet
eine Trennung statt, indem die lateinlosen Anstalten
Englisch, die Realgymnasien und Gymnasien Latei
nisch anfangen. Nachdem das Lateinische 2 Jahre
betrieben ist, trennen sich auch die Gymnasien und
*gelehrt. *gründlichere, eingehendere, intensivere.
*°stimmen überein mit, entsprechen. ”die Eigenart. *gründ
lich betreiben (lehren). *in letzter Zeit. "Frankfurter
System, so genannt, weil einige höhere Schulen in Frank
furt a. M. zuerst darnach unterrichteten.
76 XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten.
Realgymnasien, erstere das Griechische, letztere das
Englische beginnend. Der Vorteil dieses Systems
besteht darin, daß das Gymnasium und Realgym
nasium 5 Jahreskurse hindurch völlig gleichmäßig
arbeiten; erst mit dem 6. Jahre findet die Trennung
statt, und bis dahin haben die Schüler Zeit, sich zu
entscheiden, ob sie nunmehr die gymnasiale oder die
realgymnasiale Richtung ”einschlagen wollen.
Der erfolgreiche Besuch genannter Anstalten
gewährt den Abiturienten (d. h. abgehenden Zög
lingen) mancherlei Berechtigungen oder Vorrechte,
die anderen jungen Leuten ”versagt *bleiben. So
berechtigt das Abiturientenzeugnis (oder Reifezeugnis)
jeder gymnasialen wie realistischen Vollanstalt ”ohne
*weiteres zu allen Studien auf den Universitäten
und anderen Hochschulen. Nur das Studium der
Theologie, das eine gründliche Vorbildung im Latei
nischen und Griechischen voraussetzt, ist den Gym
nasial-Abiturienten *vorbehalten. Ein Real-Abi
turient, der Theologie studieren will, muß daher zu
vor eine Ergänzungsprüfung *ablegen, u. zw. der
ehemalige Realgymnasiast im Griechischen, der ehe
malige Oberrealschüler im Griechischen und Lateini
schen. Realabiturienten, die Medizin, Jura oder klassi
sche Philologie als Studium wählen, haben im Laufe
ihrer Studienzeit sich einer Nachprüfung in den klassi
schen Sprachen zu unterwerfen. Die Reifezeugnisse der
6-jährigen Anstalten und diejenigen für Obersekunda
gewähren ihren Besitzern die Möglichkeit zu den
"mittleren Beamtenlaufbahnen. Reifezeugnisse wer
den erst auf Grund einer strengen schriftlichen
und mündlichen Prüfung (der sog. Abiturienten- oder
Reifeprüfung) erteilt; diese wird unter Vorsitz eines
*7 Provinzialschulrats von den 8°Fachlehrern der
Anstalt abgehalten. Besonders tüchtige Prüflinge
können vom ”„Mündlichen“ (ergänze: Examen)
befreit werden.
* wählen. *vorenthalten bleiben, nicht gewährt wer
den.*unmittelbar, ohne neue Prüfung. *reserviert.*machen,
bestehen. *subalternen. ”vergleiche S. 77. *Lehrern für
die betr. Prüfungsgegenstände. *mündlichen Prüfung.
XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten. 77
Das Schuljahr läuft in Norddeutschland von
Ostern bis Ostern, in Süddeutschland von Herbst bis
Herbst. Die Ferien betragen rund ein Vierteljahr:
zu Ostern 2 bis 3 Wochen, zu Pfingsten 4–8 Tage,
im Hochsommer 4–6 Wochen und zu Weihnachten
etwa 14 Tage (je nach den Ländern und Provinzen
"ergeben sich geringe *Schwankungen).
Sämtliche preußischen Gymnasial- wie Real
anstalten stehen unter Leitung je eines (Ober)Studien
direktors und Aufsicht von Provinzialschulkollegien.
Jedes Mitglied eines Provinzialschulkollegiums (Jeder
Provinzialschulrat) hat eine Anzahl Anstalten seiner
Provinz unter seiner besonderen *Obhut und revidiert
sie meist alle 2 Jahre. Bei den Reifeprüfungen ist ein
Provinzialschulrat in der Regel persönlich zugegen.
Die meisten Lehrkräfte der in Rede stehenden
Anstalten sind akademisch gebildet und führen die
Amtsbezeichnung Studienrat bezw. *Studienassessor.
Die zum Lehrerkollegium gehörenden Herren ha
ben auf Grund mehrjähriger Studien an der Uni
versität vor einer staatlichen Prüfungskommission
ihre Staatsprüfung abgelegt. Außer genannten
Lehrkräften hat jede höhere Lehranstalt technische
Lehrer, nämlich einen oder mehrere Zeichenlehrer
und Gesanglehrer.
Die staatlichen und städtischen Gymnasial- und
Realanstalten sind Externate; die Schüler wohnen
bei ihren Eltern oder sie sind irgendwo „in Pen
sion“ (in Kost und Wohnung).
Das Schulgeld beträgt je nach der Anstalt etwa
1000 bis 3000 Mark jährlich.
Auch die Landwirtschaftsschulen rechnen zu den
höheren Lehranstalten, da sie nach dem Lehrplane
der sechsstufigen Realschule eingerichtet sind und
überdies das theoretische Studium der Landwirt
schaft pflegen. Ihre Zöglinge erhalten nach be
standener Reifeprüfung die gleiche Berechtigung
wie die Realschul-Abiturienten.

*°zeigen. * Abweichungen, Unterschiede. 4?Aufsicht.


*wissenschaftlicher Hilfslehrer,
78 XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten.
Außer den genannten staatlichen oder städ
tischen höheren Lehranstalten gibt es eine große
Zahl von Privatschulen. Es sind fast *ausschließ
lich Pensionate (Alumnate, Internate). Einige der
besten haben die Berechtigung, Reifezeugnisse *aus
zustellen; sie stehen daher den städtischen Realschu
len im Range und in den Leistungen gleich.
Ferner bestehen zahlreiche Handelsschulen für
*Handelsbeflissene, sowie eine Reihe von technischen
oder Fachschulen (Ingenieurschulen, Maschinenbau
schulen, Technika, "Gewerbeschulen, *Baugewerk
schulen usw.), an denen junge Leute sich für die
verschiedenen Zweige des Maschinenbaus, der Tech
nik und des ”Hochbaus ausbilden lassen, um später
als Zivilingenieure, Privattechniker und Architekten
°°ihren "9Lebensunterhalt zu verdienen.
Junge Mädchen der besseren Stände erhalten
in Preußen eine gute wissenschaftliche Ausbildung
an einer der zahlreichen städtischen Lehranstalten,
die seit dem Jahre 1912 die Bezeichnung Lyzeum
führen und bis dahin „höhere Mädchenschulen“,
im Volksmunde kurz „Töchterschulen“ hießen. Als
Kind von etwa 6 Jahren tritt die „höhere Tochter“
in die „Unterstufe“ oder „Vorklassen“ (X bis VIII)
ein, empfängt in der X. Klasse die erste "Unter
weisung in der Religion, im Deutschen (Lesen, An
schauung), Rechnen, Singen und Turnen. In Klasse
IX kommen (oder gesellen sich) Schreiben und
Nadelarbeit, in VIII Heimatkunde hinzu. Die „Mittel
stufe“ umfaßt die drei Klassen VII, VI und V. In
Klasse VII °setzt der wissenschaftliche Unterricht
mit einer Fremdsprache (Französisch) und mit Erd
kunde, sowie das Zeichnen ”ein. In VI beginnt der
planmäßige Geschichtsunterricht. Auf der „Ober
stufe“ (IV., III., II. und I. Klasse) treten als neue

* ohne Ausnahme. *zu erteilen, zu gewähren. *künf


tige Kaufleute. *7 Schulen für subalterne Stellungen in der
Technik und Industrie. *Mittelschulen zur Ausbildung von
Architekten (subalternen Baumeistern). *Hausbaus u. dergl.
"ihr tägliches Brot. "Unterricht. *beginnt, fängt an.
XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten. 79
Lehrfächer dann noch das Englische und die Mathe
matik (Arithmetik, Algebra, Planimetrie) hinzu
u. zw. in Klasse IV. Alle Fächer sind *verbindlich.
Das Abgangszeugnis über den erfolgreichen Besucl
der I. Lyzeal-Klasse berechtigt zum Übertritt in
das Oberlyzeum.
Das Oberlyzeum ist eine Art Doppelanstalt: als
2-klassige „Frauenschule“ bereitet es die Mädchen
für ihren Beruf als Hausfrau und Mutter vor; als
„Lehrerinnenseminar“ bildet es sie in 4 Jahreskursen
zu Lehrerinnen an jeder Art Mädchenschulen aus.
Viele Oberlyzeen haben entweder keine Frauenschule
oder keine Seminarklassen.
Mädchen, die sich für akademische Studien
eignen, besuchen Studienanstalten, die nach Art der
Oberrealschulen, Realgymnasien und Gymnasien,
und in denselben Lehrfächern wie diese, ihren Abi
turientinnen die Zulassung zum Studium (als Arztin,
Oberlehrerin, Juristin usw.) auf der Universität
ermöglichen. Die 5 Oberrealschulkurse (V bis I)
zweigen nach Erledigung der III. Klasse des Lyzeums,
die 6 Realgymnasial- bzw. Gymnasialkurse (VI–I)
nach erledigtem Pensum der IV. Lyzealklasse ab.
Die Lyzeen, Oberlyzeen und Studienanstalten
unterstehen dem Provinzialschulkollegium ihrer Pro
vinz in gleicher Weise, wie die höheren Lehranstalten
für die männliche Jugend.
Der Unterricht an den Mädchenanstalten wird
von Lehrern und Lehrerinnen *erteilt; diese sind
entweder akademisch (d. h. auf der Universität) ge
bildete Studienräte (innen), oder sie haben auf einem
Lehrer(innen)seminar eine seminaristische Ausbildung
empfangen. Am Seminar und in der Studienanstalt
*wirken ausschließlich akademisch gebildete "Lehr
kräfte. Auch die Leitung dieser Anstalten liegt "vor
wiegend in den Händen einer akademisch gebildeten
Persönlichkeit (eines Oberstudien-Direktors oder einer
-Direktorin).
*obligatorisch. *gegeben. *lehren, amtieren. **Lehr
personen. ”in der Regel, meistens.
80 XIII. Unterrichtswesen: Höhere Lehranstalten.
Außer den städtischen höheren Mädchenbil
dungsanstalten gibt es ”selbstredend eine sehr große
Zahl von Privatlyzeen, Instituten, Pensionaten u.
dergl., die in ihren Zielen und Leistungen sich oft
nur wenig entsprechen.

Hochschulen.
Die deutschen Hochschulen sind Staatsanstal
ten; sie vermitteln die höchstmögliche theoretisch
praktische "Fachbildung, fordern aber von ihren
deutschen Besuchern vor der Aufnahme (Immatri
kulation) das Reifezeugnis eines humanistischen
Gymnasiums, eines Realgymnasiums oder einer
Oberrealschule. Ausländer und solche Deutsche, die
kein Reifezeugnis einer Vollanstalt besitzen, können
als Hörer (Hospitanten) zwar zu den Vorlesungen
(Kollegien), aber nicht zu den Staatsprüfungen zu
gelassen werden. Jeder Student erhält bei der Im
matrikulation eine Erkennungskarte, die ihm als
"Ausweis dient und ihn u. a. gegen sofortige polizei
liche "Verhaftung schützt.
Die Lehrkräfte zerfallen in ordentliche Pro
fessoren, außerordentliche Professoren, Privatdozen
ten und Lektoren der neueren Sprachen. Professo
ren und Studierende haben das Recht der Lehrfrei
heit bezw. Lernfreiheit, d. h. die Professoren lehren
(„lesen“), was sie für gut befinden, die Studieren
den gehen in die Vorlesungen („ins Kolleg“), oder
sie „schwänzen“ (versäumen) diese je nach Lust und
Neigung. Ein „Kollegzwang“ besteht für die Stu
dierenden nicht, jedoch müssen sie in der Staats
prüfung das von den prüfenden Dozenten geforderte
Wissen in den einzelnen Fächern *nachweisen.
Alle wichtigeren Vorlesungen sind sog. Privat
kollegs, d. h. nur solche Studierende haben Zutritt,
die das Honorar (meist 20 M. pro Semester für das
*natürlich, wie sich von selbst versteht. **Vorbildung
für den gewählten Beruf. "Legitimation. "Arretierung,
Festnahme. ”zeigen, darlegen.
XIII. Unterrichtswesen: Hochschulen. 81

wöchentlich vierstündige Kolleg) *entrichtet haben.


Wer nichts bezahlt hat und sich dennoch in den
Hörsaal (ins Auditorium) begibt, um die Vorlesung
„nachzuschreiben“, von dem sagt man, er „schinde“
das betr. [lies: betreffende] Kolleg.
Außer den Privatvorlesungen werden auch Pub
lica (öffentliche und kostenlose Vorlesungen) gehal
ten; zu einem solchen „Publicum“ hat jeder Stu
dierende freien Zutritt.
Endlich werden in den Seminarien (Übungs
abteilungen) Privatissima abgehalten; letztere sind
ebenfalls unentgeltlich, aber nur solche Studierende
erlangen Einlaß, die in einer kurzen Prüfung den
Nachweis liefern, daß sie den Übungen zu folgen und
sich aktiv daran zu beteiligen imstande sind. Neben
diesen Seminarübungen gibt es für einzelne Studien
zweige (Medizin, Naturwissenschaft) noch andere
praktische Übungen.
Die Hochschulen gliedern sich in verschiedene
Gattungen. Als die vornehmste gilt die Universität
(die Alma mater). Deutschland besitzt 23 Uni
versitäten mit mindestens je 4 Fakultäten (theo
logische, juristische, medizinische und philosophi
sche Fakultät); es sind die Universitäten Berlin,
Bonn, Breslau, Cöln, Erlangen, Frankfurt a. M. [lies:
am Main], Freiburg i. Br. [lies: im Breisgau), Gießen,
Göttingen, Greifswald, Halle, Hamburg, Heidelberg,
Jena, Kiel, Königsberg, Leipzig, Marburg, München,
Münster i. W. [lies: in Westfalen], Rostock, Tübingen
und Würzburg. Außerdem besteht eine unvollstän
dige Universität mit nur zwei Fakultäten (einer ka
tholisch-theologischen und einer philosophischen),
nämlich das sog. Lyzeum Hosianum in Braunsberg
(in Ostpreußen).
An der SÄ jeder Universität steht ein Rek
tor (amtlich Rector magnificus genannt); er wird
alljährlich aus der Zahl der ordentlichen Professoren
neu gewählt. Unter Vorsitz des Rektors berät oder
beschließt ein akademischer Senat (aus etwa 6 Pro
*gezahlt.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15.
82 XIII. Unterrichtswesen: Hochschulen.

fessoren zusammengesetzt) über allgemeine Univer


sitätsangelegenheiten. Dieser Senat übt unter Leitung
des Universitätsrichters gleichzeitig die akademische
*Gerichtsbarkeit (der alle Studierenden unterstehen)
8US.
Jede der 4 Fakultäten hat einen Dekan an ihrer
Spitze; derselbe "amtiert ebenfalls auf ein Jahr
und °°nimmt die Doktor-Promotionen innerhalb
seiner Fakultät 9°vor.
Mit der medizinischen Fakultät sind Anstalten
verbunden, an denen die jungen Mediziner sich
auch praktisch auf ihren späteren Beruf als Arzt
vorbilden können. Es sind dies eine Anatomie und
mehrere Kliniken. In der Anatomie macht der
Studierende sich durch Sektionen von Leichen mit
den Teilen des menschlichen Körpers genau bekannt.
Die Kliniken bieten ihm reichliche Gelegenheit, an
den dort Heilung suchenden Kranken die Art und
Behandlung der Leiden kennen zu lernen. Ältere
Studierende der Heilkunde sowie solche, die ihre
Staatsprüfung bereits bestanden haben, verbringen
zu ihrer Weiterbildung häufig noch eine Anzahl
Semester (Halbjahre) als Assistenten eines Spezia
listen an einer der Universitätskliniken. Ebenso °ver
fahren viele strebsame Naturwissenschaftler.
Das akademische Studienjahr zerfällt in zwei
Semester oder Halbjahre; es sind dies das Sommer
semester (von Ende April bis Anfang August) und
das Wintersemester (von Mitte Oktober bis Anfang
März). Dazwischen liegen die „großen Ferien“ (Au
gust bis Oktober) und die Osterferien (März und
April). Zu Weihnachten *findet eine nur kurze
Unterbrechung von etwa 14 Tagen ”statt.
Die Studierenden preußischer Universitäten müs
sen mindestens 6 Semester (die Mediziner 8 Semester)
„belegt“, d. h. zahlbare Vorlesungen gehört haben.
Hierauf können sie sich zur Staatsprüfung melden.
Die Mehrzahl der Examenskandidaten „hat“ vor
*Justiz, Ä °versieht sein Amt, ist als sol
cher tätig. *hält... ab, übernimmt. "handeln. *ist, erfolgt.
XIII. Unterrichtswesens Hochsehulen. 83

Eintritt in die Prüfung indes wesentlich mehr als


die 9°vorschriftsmäßige Zahl Semester. Die Kan
didaten der Theologie werden vom Konsistorium
ihrer Provinz geprüft. Auch die Juristen können
ihre beiden Prüfungen nicht an der Universität ab
legen; ihre erste Prüfung, den „Referendar“, machen
sie am Oberlandesgericht ihrer Provinz; die zweite,
den „Assessor“, vor dem „Kammergericht“ in Berlin.
Bei den Medizinern geht dem „Approbationsexamen“
(Staatsexamen) eine kleinere Vorprüfung, das sog.
Physicum (amtlich: Tentamen physicum) an der
Universität voraus; letzteres kann schon am Ende
des 4. Semesters abgelegt werden. Die Philosophen
und Philologen machen ihr Staatsexamen vor einer
„wissenschaftlichen Prüfungskommission“, die sich
vorwiegend aus Universitätslehrern zusammensetzt.
Zur Doktorprüfung werden nur solche Kandi
daten zugelassen, die wenigstens 6 Semester auf
einer deutschen Universität studiert und eine selb
ständige Dissertation (längere fachwissenschaftliche
Abhandlung) geschrieben haben. Die Bedingungen
79bezüglich der mündlichen Dr.-Prüfung (des Ri
gorosum) und der an die Fakultät "abzuführenden
7Gebühren schwanken bei den verschiedenen Uni
versitäten. Neuerdings haben auch Damen sich der
juristischen, medizinischen und philosophischen Dr.
Prüfung mit Erfolg unterzogen.
Außer den Universitäten gibt es noch andere
staatliche Hochschulen. Am wichtigsten sind da
runter die technischen Hochschulen (zu Aachen, Ber
lin-Charlottenburg, Braunschweig, Darmstadt, Dres
den, Hannover. Karlsruhe, München, Stuttgart). Alle
Zweige des 7*Hochbau-, 7°Tiefbau- und Maschinen
bauwesens sowie der Technik werden hier gelehrt und
geübt. Seit 1900 besitzen die technischen Hochschu
len das Recht, den Dr. ing. (den Titel eines „Doktor

*vorgeschriebene, verlangte. 79betreffs. "zahlbaren


Geldbeträge. * Kunst, Gebäude (d. h. Bauten, die sich
über die Erde erheben) zu errichten. ?"Kunst, unterirdische
Anlagen (Wasser-, Gas-, elektrische Leitungen) herzustellen.
84 XIII. Unterrichtswesen: Hochschulen.

Ingenieurs“) auf Grund einer Fachprüfung oder ehren


halber („honoris causa“) zu verleihen.
Andere Hochschulen sind die Bergakademien,
Forstakademien und Kunstakademien, die Musik
schulen und tierärztlichen Hochschulen. Auch die Han
delshochschulen zu Berlin, Cöln, Leipzig, Mannheim,
München und Nürnberg zählen zu den Hochschulen,
nicht dagegen die neuen Volkshochschulen für Ele
mentargebildete. Fs

Die große Mehrheit der Studentenschaft gehört


einer studentischen „Korporation“ an, sei diese nun
ein * Korps, eine ”Landsmannschaft, eine 7° Bur
schenschaft, ein akademischer Turnverein, Gesang
verein oder wissenschaftlicher Verein. In allen Kor
porationen herrscht ?"straffe 77Zucht und unzer
trennliche Kameradschaft. Auf *Verfechtung der
ersönlichen und der Korporationsehre wird ganz
Ä streng gehalten und beides von den mei
sten Korporationen aufs äußerste verteidigt, wenn's
not tut mit der blanken Waffe in der Hand. Nur
wenige Verbindungen verzichten auf diesen Grundsatz
der „Honorigkeit“, indem sie keine „Satisfaktion“
geben, wofür sie freilich auch fast allgemein "über
7°die 7°Schulter (Achsel) 7°angesehen werden.
Ehrenhändel jeder Art werden 80..auf "der "Men
sur“ mit Schläger (Rapier, Speer), Säbel oder Pistole
ausgefochten. Eine °°° Forderung vonseiten der be
leidigten Partei geht dem Zweikampf voraus; die
beleidigende Seite nimmt die Forderung an („gibt
Satisfaktion“), oder sie lehnt sie ab („gibt keine
Satisfaktion“).

"Das „Korps“ ist ohne politische Tendenz und Ter


gänzt sich vorwiegend aus Söhnen der Aristokratie, gilt
daher als die „nobelste“ Korporation. *Studentenverbin
dung, die sich vom Korps nicht wesentlich unterscheidet,
früher aber nur aus Angehörigen derselben Landschaft (Pro
vinz) bestand und politisch hervortrat. **Korporation, die
ursprünglich politische Reformen erstrebte, seit 1871 aber
vorwiegend studentische Ziele verfolgt. 77strenge Disziplin.
"Wahrung, Verteidigung. "verachtet. "im Zweikampf.
"" Herausforderung, Provokation. -
XIII. Unterrichtswesen: Hochschulen. 85

Wenn der junge Student sich als krasser Fuchs


(im 1. Semester) und als Brandfuchs oder Brander
(im 2. Semester) in den beiden „Fuchssemestern“
(im 1. und 2. Halbjahre) nach ”unerbittlicher
Gymnasialstrenge in der goldenen akademischen
Freiheit ”getummelt, wenn er fechten („pauken“)
und trinken („kneipen“) gelernt hat, wenn er mit
den herrschenden Bräuchen (dem sog. Komment)
des Korporationslebens und mit seiner Stellung
nahme zu dem „Philister“ (d. i. der nichtstudierten
Bürgerschaft) vertraut ist, wird er „geburscht“
(„rezipiert“), d. h. zum Burschen „geschlagen“. Nunbe
ginnt das ernstere Arbeiten („Ochsen“ oder „Büffeln“
nennt es der Studiosus). Ist er Verbindungs-Student,
so hat er die in jeder Woche mindestens einmal statt
findende „offizielle Kneipe“ mitzumachen; es ist
dies ein fröhliches Zechgelage, wobei sämtliche ak
tiven Mitglieder der Verbindung unter Leitung eines
„Präsiden“ nach dem „Kneipkomment“ Bier trinken
und Studentenlieder absingen. An bestimmten Ta
gen hat der „Aktive“ den „Paukboden“ (oder Fecht
boden, das Übungsfechten) sowie den offiziellen
Frühschoppen zu besuchen und sich an allen kor
orativen *Veranstaltungen zu beteiligen. Bei feier
ichen Anlässen sowie beim Beginn und Schluß
des Semesters veranstalten mehrere Korporatio
nen gemeinsam einen großen „Kommers“ (eine
Festkneipe), wozu meist auch Damen und gela
dene „*Philister“ als Zuschauer erscheinen.
Das °unverfälschte Studentenleben ”entfaltet
sich weniger an den großen, als vielmehr an kleineren
Hochschulen, insbesondere an den Universitäten
Jena, Heidelberg, Göttingen, Marburg, Tübingen.
Hier spielt der Student eine "nicht "unbedeutende
Rolle; ohne ihn wären diese Städte öde und leer;
das zeigt sich deutlich zur Zeit der großen Ferien.
Korporationen tragen in der Regel „Couleur“
(oder Farben), u. z. eine bunte (weiße, blaue, rote,
– /

"äußerster, größter. *frei bewegt. *Unternehmungen.


*Nichtstudenten. *echte, wahre. *zeigt. "wichtige.
86 XIII. Unterrichtswesen Bioehsehulen.

grüne, gelbe) Mütze oder einen ”Stürmer sowie


ein meist dreifarbenes Band schräg über der Weste,
einen „Bierzipfel“ (ein breites Uhrband) und einen
°„Weinzipfel“ in den Farben der Korporation.
Jede Verbindung führt ein Wappen und einen be
stimmten Namen, so gibt es bspw. eine Borussia,
eine Bavaria, eine Saxonia, eine Germania, eine
Teutonia usw. Der Anfangsbuchstabe des Namens
tritt in dem der betr. Verbindung eigenen Mono
gramm (Zirkel genannt) deutlich hervor; mit ihm
sind die Anfangsbuchstaben der allgemeinen Stu
dentenformel vivat, crescat, floreat in kunstvoller
Weise verschlungen. Ein Ausrufungszeichen darf
hinter dem Zirkel nicht fehlen. Bei festlichen Ge
legenheiten erscheinen die "Chargierten „in Wichs“
(in Festkostüm). Viele Korporationen haben ihr
eigenes Haus mit Gesellschafts- und Wohnräumen.
Studenten, die einer Korporation angehören,
die keine Farben trägt, werden „Finken“ genannt;
solche, die überhaupt keiner Verbindung angehören,
heißen „Wilde“. Die Wildenschaft ist an vielen
Universitäten organisiert und in Gruppen für künst
lerische, wissenschaftliche oder sportliche Bestrebungen
gegliedert.
Die Visitenkarten und Briefaufschriften der
Studenten führen hinter oder unter dem Namen in
lateinischer Schrift das Studienfach des Betreffen
den an, z. B.: Wilhelm Kaiser, stud. med., d. h. stu
diosus medicinae (Studierender der Medizin). An
dere derartige Abkürzungen sind: stud. theol. (stu
diosus theologiae), stud. jur. (studiosus juris), stud.
phil. (studiosus philosophiae), stud. math. (studio
sus mathematicae), stud. rer. nat. (studiosus rerum
naturalium), stud. arch. (studiosus architecturae),
stud. techn. oder stud. rer. techn. (studiosus rerum
technicarum). Altere Semester nennen sich cand.
(candidatus) statt studiosus. Von den „Philistern“
der kleineren Universitätsstädte werden alle Stu

*Mütze mit steifem, nach vorn überhängendem Deckel.


*schmales Uhrband. "Mitglieder des Präsidiums.
XIII. Unterrichtswesen: Hochschulen. 87
dierenden, auch solche, die auf den Dr.-Titel keinen
Anspruch haben, mit „Herr Doktor“ angeredet.
Die Studierenden wohnen in Deutschland nicht
in den Räumen ihrer Hochschule; dies wäre ein
Ding der Unmöglichkeit, da die Zahl der immatri
kulierten „Musensöhne“ zu groß ist: hat doch die
Universität Berlin über 14 000 Immatrikulierte,
München fast 9 000, Leipzig über 6 000. Jeder civis
academicus hat in der Stadt seine Privatwohnung
(seine „Bude“), in der Regel 1 oder 2 Zimmer. Das
Reinigen der Wohnung besorgt der „Besen“ (das
Dienstmädchen des Vermieters); die Stiefel und
Kleider werden in kleineren Universitätsstädten
vielfach von einem „"Stiefelfuchs“ gereinigt.
T. Das deutsche Studentenleben bietet für jeden,
auch für den Ausländer, eine solche Fülle des *An
heimelnden und *Urwüchsigen, daß er oft, wenn
er nach der Exmatrikulation (nach dem Austritt) und
im „Philisterium“ (im Berufsleben) an seine Stu
dentenzeit zurückdenkt, die letzte Strophe des Liedes
„Einst lebt' ich so harmlos in Freiheit und Glück“
mit einer stillen Sehnsucht *vor *sich *hin singt:
Und endet der ” Bursche, und muß er nach Haus,
Umarmen ihn Freunde noch einmal beim Schmaus.
Von manchem vergessen, der nahe ihm stand,
Verläßt er der Freiheit geheiligtes Land;
Er wird ein Philister und steht so allein –
O selig, o selig, ein Fuchs noch zu sein!

XIV.

Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste.


Die Bevölkerung des Deutschen Reiches ge
hört bis auf einen sehr kleinen Bruchteil der christ
lichen Religion an, deren Anhänger im 16. Jahr
hundert durch Luthers Reformation (seit 1517) in
zwei große Lager – Protestanten (Evangelische) und
Katholiken – gespalten (geteilt) wurden. Etwa zwei
"Stiefelputzer. *Ansprechenden, Schönen. ”Eigen
artigen, Originellen. *für sich, leise. *Vergl. S. 85.
* Bekenner.
88 XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste.
Drittel der Reichsangehörigen sind protestantisch
(evangelisch), ein Drittel ist katholisch. Die Israe
liten (Juden) machen 1/5 % [lies: 1/5 Prozent oder
1/5 vom Hundert] aus, d. h. unter 1000 Deutschen
zählt man *durchschnittlich 12 Juden. In Preußen
stellt sich das ”Zahlenverhältnis fast genau so wie
fürs Deutsche Reich. Sachsen hingegen ist sozu
sagen rein protestantisch (es enthält nur 3 % Ka
tholiken). In Württemberg und Hessen sind beinahe
drei Viertel der Bewohner protestantisch. *Über
wiegend katholische Länder sind: Bayern (mit 71%)
und Baden (mit 62 %). Den höchsten Prozentsatz
an Juden weisen Berlin mit 5 % und Hessen mit
2 % der Einwohnerschaft auf. Außer diesen drei
staatlich anerkannten Konfessionen gibt es noch eine
verhältnismäßig sehr geringe Zahl christlicher An
dersgläubiger (Sektierer), u. a. die Wiedertäufer, die
"Herrnhuter "Brüdergemeinde, die "Mennoniten und
die Heilsarmee, deren Anhänger sich in Deutschland
schnell vermehrt haben. Es besteht keine deutsche
Staatskirche mehr seit der republikanischen Ver
fassung vom 11. August 1919, wonach „Religion
Privatsache“ ist.
Jeder "rechtgläubige Christ geht Sonntags regel
mäßig zur Kirche, sei es in den Morgengottesdienst,
sei es in den Nachmittags- oder Abendgottesdienst.
Er hört dort die Predigt des Geistlichen und nimmt
"andächtig teil an den Gebeten und am Gemeinde
gesang, der von Orgelspiel und bisweilen vom Kir
chenchor begleitet wird. Der Geistliche erscheint vor
dem Altar und auf der Kanzel in seinem Ornat, bei
den Protestanten in langem schwarzen Talar und
weißem ”Beffchen, bei den Katholiken im weißen
Meßgewand mit der Stola. Vor Beginn des Gottes
dienstes läuten die Kirchenglocken, beim Schluß
* im Durchschnitt, im allgemeinen. *Proportion, Prozent
satz. *fast. *vorwiegend. *protestantische Sekte für Heiden
mission (Sitz in Herrnhut Ä Bautzen in Sachsen). ?protes
tantische Sekte, vom Pfarrer Menno gegründet; sie verwirft
den Eid, den Krieg usw. "orthodoxe. "mit Andacht, ernst
lich. ”zweiteiliges Lätzchen, Überschlägelchen.
XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste. 89
findet in der Regel am Ausgang (am Portal) eine
Kollekte (Almosensammlung) für die Armen der
Gemeinde oder für den einen oder anderen guten
Zweck statt. Vielfach wird auch während des Ge
sangs der "Klingelbeutel herumgereicht.
In der evangelischen Kirche, d. h. in der „unier
ten“ (vereinigten) deutschen Gesamtkirche der Luthe
raner und Reformierten (Anhänger der Lehre Calvins)
ist der Oberkirchenrat die höchste Behörde. Ein ge
meinsames Oberhaupt hat die evangelische Kirche
seit dem Sturze Kaiser Wilhelms II. nicht mehr.
Sie zerfällt in eine Anzahl Landeskirchen, deren jede
im allgemeinen auf das Gebiet der betr. Landes
provinz beschränkt ist. Dieses Gebiet umfaßt seiner
seits verschiedene Kirchenkreise (Sprengel, Diözesen),
die sich wiederum aus mehreren Gemeinden (Pfarren,
Pfarreien) zusammensetzen. Jede Pfarrei hat min
destens einen Pfarrer (Pastor) und nach Bedarf
einen oder mehrere Hitfsprediger. Der Pfarrer ist der
eigentliche Seelenhirt seiner Gemeinde. Außer der
Abhaltung des Gottesdienstes liegen ihm andere Amts
Ä ob, z. B. Taufen, Konfirmationen (nach ein
is zweijährigem Konfirmandenunterricht),Trauungen,
Krankenbesuche, Beerdigungen. In der Leitung der
Gemeindeangelegenheiten hat der Pfarrer einen Kir
chenvorstand („Gemeindekirchenrat“, Presbyterium)
zur Seite; diese Körperschaft besteht aus 4–12 Kir
chenältesten („Presbytern“, d. h. Laien oder Nicht
geistlichen aus der Gemeinde), die mitzuentscheiden
haben über die Anstellung neuer Geistlichen sowie
über ”Geldaufwendungen aus dem Gemeindesäckel.
Innerhalb der Landeskirche der Provinz führt
der oberste Geistliche den Titel Landesbischof; er
wird von der Landessynode auf Lebenszeit gewählt
und ist dem Landeskirchenamt *nebengeordnet. Letz
teres regelt die kirchlichen Angelegenheiten, nimmt die
Prüfung und Weihe („Ordination“) der Kandidaten
der Theologie vor, und ihm sind auch die Dekane („Su
*Sammelteller, Behälter für Almosen; häufig ein Beutel
mit Klingel, der während des Gottesdienstes in der Kirche
zirkuliert (herumgeht). *Ausgaben. *"gleichberechtigt.
90 XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste.
erintendenten“) der verschiedenen Sprengel (Kirchen
reise) der Provinz untergeordnet.
Von Zeit zu Zeit werden Synoden (Kirchentage)
– Kreis-, Provinzial- und Landes- oder General
synoden – einberufen und erwählte *Abgeordnete
zur Teilnahme an den dort stattfindenden kirchlichen
*Beratungen entsandt.
Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche
aller Länder ist der Papst (der „heilige Vater“) in
Rom. Er wurde am Tage der französischen Kriegs
erklärung an Deutschland (am 19. Juli 1870) für
„unfehlbar“ in Glaubenssachen erklärt. Dem Ä
und seinem Kardinalskollegium (70 Kardinälen,
Ratgebern des Papstes) unterstehen in Deutschland
4 Erzbistümer (Köln, Bamberg, München, Freiburg
i. B.) und 18 Bistümer mit je einem Erzbischof bezw.
Bischof an der Spitze; der Breslauer Oberhirt ist
Fürstbischof. Die Grenzen der Sprengel (Bistümer,
Diözesen) decken sich nicht überall mit den politi
schen Grenzen; vielmehr behält die römische Kirche
die alte, erstmals ”festgelegte Einteilung bei, sodaß
bspw. der Sprengel „des Fürstbischofs von Breslau
auch einen Teil von Österreich umfaßt. Die Bistümer
zerfallen in einzelne Pfarreien (Pfarren, Gemeinden).
Geistliche (Oberpfarrer, Pfarrer, Kapläne, Vikare)
nehmen die kirchlichen Amtshandlungen (Gottes
dienst, Messen, Beichte) vor. Die Laien wirken nur
bei der "Vermögensverwaltung mit; die Diözesanver
waltung ”entzieht sich ihrem Einfluß. Die katho
lischen Geistlichen sind zum Cölibat (zur Ehelosig
keit) verpflichtet, d. h. sie dürfen nicht heiraten.
Sie werden vom Bischof ernannt und bedürfen seit
1919 nicht mehr der ”Bestätigung durch den Staat.
Die Erzbischöfe und Bischöfe mußten bis 1918 dem
”Staatsoberhaupte "den "Eid der Treue leisten.
Von den katholischen Ordensgesellschaften
(Mönchsorden) wurden vor der Revolution von 1918
*Abgesandte, Deputierte. *Verhandlungen, Bespre
chungen. *bestimmte, vorgenommene. **Verwendung des
Vermögens (Geldes). ”steht nicht unter. *Anerkennung.
*Souverän, Landesfürsten. *"das feierliche Versprechen.
XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste. 91
in Deutschland nur solche geduldet, die sich der
Krankenpflege oder Erziehung widmeten.
Die jüdische (israelitische, mosaische) Glau
bensgenossenschaft hat kein gemeinsames Oberhaupt;
die 8 Millionen jüdischer Gläubigen sind über die
fünf Erdteile zerstreut, am zahlreichsten (mit über
7 Millionen), jedoch in Europa vertreten, besonders
in Polen, Österreich, Ungarn und Rumänien. In
Deutschland beträgt ihre Zahl etwas über eine halbe
Million. Die Juden halten ihre regelmäßigen An
dachtsübungen und religiösen Feste in ihren Syna
gogen ab, u. z. ohne den Hut dabei abzunehmen.
Der Samstag (norddeutsch: Sonnabend) ist der Sab
bath oder Ruhetag. Ein Kantor oder Lehrer, der
in kleineren Gemeinden zugleich Schächter (d. h.
Schlächter nach jüdischem Ritus) ist, leitet die
Feier. In größeren Judengemeinden steht ein Rab
biner an der Spitze; der Titel Oberrabbiner, ein "Über
bleibsel aus der napoleonischen Herrschaft, begegnet
nur noch in wenigen Städten. In Baden und Würt
temberg besteht als israelitische *Kirchenbehörde
ein Konsistorium (Oberrat); im übrigen Deutsch
land ist jede Gemeinde selbständig, da eine höhere
Instanz fehlt.

Der höchste protestantische Feiertag ist der


"Karfreitag als Erinnerungstag an das Leiden und
Sterben des Heilandes Jesus Christus. Bei den
Katholiken gilt der Fronleichnamstag (10 Tage nach
Pfingsten) als der wichtigste kirchliche Festtag des
Jahres; in allen Pfarreien werden an diesem Tage
pomphafte Prozessionen (Umzüge) der Pfarrkinder
unter Vorantritt der Geistlichen mit der Hostie
(einem Stückchen ungesäuerten Brotes, das sich
nach ihrem Glauben in den Leib Christi verwandelt)
abgehalten. Außerdem feiert die katholische Kirche
den 29. Juni (Peter und Paul), den 1. November
(Allerheiligen), den 6. Januar (das Fest der Heiligen
drei Könige), den 15. August (Mariä Himmelfahrt)
"Überrest, Rest. *Kultusinstanz. *Freitag vor Ostern.
92 XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste.
und verschiedene andere Marientage. Den Prote
stanten und Katholiken gemeinsam sind die drei
hohen christlichen Feste Weihnachten, Ostern und
Pfingsten, die in Deutschland je zwei Tage lang
kirchlich gefeiert werden. Hohe israelitische Feste sind
das Passah oder Osterfest (vergl. S. 94) und das
achttägige *Laubhüttenfest (im Oktober).
Das Weihnachtsfest (am 25. und 26. Dezember)
ist in Deutschland das höchste Freudenfest, beson
ders für die Kinder. Man pflegt sich gegenseitig
und die Jugend zu diesem Feste mit Weihnachts
geschenken (Süßigkeiten und nützlichen Dingen) zu
*bescheren. Der Weihnachtsbaum (Tannenbaum)
fehlt nur selten in einem deutschen Familienkreise;
selbst die Mehrzahl der alleinstehenden Junggesellen
macht sich ein Bäumchen. Die Weihnachtsbäume
werden mit zahlreichen Wachslichtern (neuerdings
auch mit elektrischen Glühlämpchen) und buntem
Aufputz (Flittergold,... Glaskugeln, Schneewolle), Mar
zipan, Wallnüssen, Apfeln usw. behängt. Zu der
Weihnachtsfeier stellen sich, wenn irgend möglich,
die in der Ferne lebenden Angehörigen der Familie
ein, um in *trautem Kreise ein paar sorgenfreie
Tage zu verbringen und sich mit den Fröhlichen zu
freuen. Die ” Bescherung findet vielfach schon am
„Heiligen Abend“ (am 24. Dezember abends) –
am „Weihnachtsheiligenabend“, wie der Berliner
sagt – statt, damit die Kinder ruhig schlafen können,
nachdem sie wochenlang vorher in *fieberhafter
*Spannung darüber waren, was ihnen der „Weih
nachtsmann“ (das „Christkindchen“) bringen werde.
Acht Tage nach dem Christfest wird das Neu
jahrsfest gefeiert. Am Neujahrstage ruht die Arbeit;
man geht zur Kirche und nimmt sich vor, im neuen
Jahre „einen neuen Menschen anzuziehen“, d. h.
besser zu leben als im verflossenen Jahre. Am Neu
jahrstage wünscht man allen Freunden und Bekann
ten „Viel Glück zum neuen Jahre“, ein herzliches
*Fest zur Erinnerung an den Aufenthalt der alten
Israeliten in der Wüste. *beschenken, erfreuen. **lieben.
"Beschenkung. *höchster Aufregung oder Neugier(de).
XIV. Religionsgemeinschaften. Kirchliche Feste. 93
„Prosit Neujahr“, oder ein „Glückseliges neues Jahr“.
Abwesenden sendet man einfache Glückwunschkar
ten mit dem Aufdruck „Herzlichen Glückwunsch
zum Jahreswechsel“, „Viel Glück zum neuen Jahre“,
oder „Beste Wünsche zum neuen Jahre“ u. dergl. Den
letzten Abend des scheidenden Jahres, den sog. Sil
vester(abend), verbringt (feiert) der Deutsche im Kreise
seiner Lieben mit einem Silvesteressen, bei dem der
Karpfen und die heiße Punschbowle nicht fehlen dürfen.
Mit dem Glockenschlage zwölf wird von allen Kirch
türmen das neue Jahr „eingeläutet“ und ein schäu
mendes Glas Sekt auf (ein) gutes Gelingen geleert.
Das Osterfest (Fest der Auferstehung Christi)
wird am Ostersonntag und Ostermontag kirchlich
gefeiert. Die Kleinen und die niederen Volksklassen
vergnügen sich an diesen Tagen mit dem Essen von
gefärbten Eiern (Ostereiern) und mit Eierpicken;
letztere Volksbelustigung besteht darin, daß zwei
Personen das spitzere Ende eines Eies gegeneinander
schlagen („kippen“, „picken“), und daß das zer
brochene Ei dem Besitzer des ganz (heil) gebliebenen
Eies als Lohn zufällt. In wohlhabenden Kreisen be
schenken sich die Erwachsenen mit größeren künst
lichen Ostereiern oder Häschen aus Pappe, Marzipan,
Schokolade oder Zucker. Diese „Osterhasen“ sind
mit Konfekt gefüllt, enthalten vielfach auch einen
Schmuckgegenstand von Wert. Für die Kleinen ver
stecken die Eltern im Garten oder in der Wohnung
wirkliche, gefärbte Eier, Schokoladehäschen und der
gleichen; am Ostermorgen findet dann ein eifriges
„Eiersuchen“ statt, an dem Alt und Jung ihre Freude
haben.
Am Pfingstsonntag und -montag (7 Wochen
nach Ostern) findet ebenfalls Festgottesdienst statt.
Zehn Tage vor Pfingsten fällt das Fest Christi Him
melfahrt, der Himmelfahrtstag wird in der christ
lichen Kirche nicht minder festlich begangen wie
die übrigen Feiertage.
In der katholischen Kirche wird jeden Freitag
gefastet, d. h. es wird kein Fleisch (wohl aber Fisch,
Mehlspeisen, Obst und Gemüse) gegessen. Die 46-tägige
94 XIV. Relionsgemeinschaften. Kirchliche Feste.
ununterbrochene Fastenzeit beginnt am Aschermitt
woch und schließt mit Beginn des Ostersonntags
ab. – Die Israeliten haben zwei Hauptfasttage,
nämlich den „Tag der Zerstörung des Tempels“
(im Juli) und das ”„Versöhnungsfest“ (im Volks
munde: den „langen Tag“, im September oder Ok
tober); an beiden darf einen Tag lang nichts gegessen
oder getrunken werden; dagegen wird „in Sack und
Asche getrauert“. Am Osterfeste (Passah) essen
die Juden neben jeder anderen Nahrung statt ge
wöhnlichen Brotes die sog. "Mazze (d. i. ungesäuerter
gerösteter Mehlfladen, der christlichen Hostie ent
sprechend). Der Genuß von Schweinefleisch ist den
Juden nach dem alttestamentlichen Gesetz überhaupt
*untersagt, weil das Schwein bei den Völkern des
Orients *von *jeher als unrein gilt.

XV.

Bürgerliche Gesellschaft und Berufsarten.


Gesellschaft.
Den höchsten gesellschaftlichen Rang hatten in
Deutschland bis zum Umsturz vom November 1918
(s. S. 193) die regierenden Fürstlichkeiten, die seit
dem abgesetzt und ohne Sonderrechte sind. Vorher
führte der Kaiser und König das Prädikat „Seine
Majestät“ (in der Anrede: „Eure Majestät“), eine
Kaiserin oder Königin in entsprechender Weise: „Ihre
(bzw. Eure) Majestät“; ein Königssohn und ein
Großherzog: „Seine (bzw. Eure) Königliche Hoheit“;
ein regierender Herzog: „Seine (bzw. Eure) Hoheit“;
ein regierender Fürst: „Seine (bzw. Eure) Durch
laucht“. Bei den Damen der Genannten war „Seine“
durch „Ihre“ zu ersetzen. Das Wörtchen „Eure“
wird bisweilen „Ew.“ (aus älterem ewer) geschrieben.
”Tag der Einigung oder Herstellung des Friedens,
"dünner Kuchen. *verboten. *seit den ältesten Zeiten,
seit alters, von alters her,
* depossediert.
XV. Bürgerliche Gesellschaft. 95

Unmittelbar hinter diesem „hohen Adel“ (den


regierenden Fürstlichkeiten) folgt der „niedere Adel“.
Die Vertreter des niederen Adels, die Adeligen, führen
vor ihrem Namen das Wörtchen von, das in der
Schrift oft in v. gekürzt wird.
Man unterscheidet den Erb- oder Geschlechts
adel (durch Erblichkeit in dem betr. Familienge
schlecht sich fortpflanzend) und den persönlichen
Adel (Verdienstadel, der "hervorragenden Männern
wegen besonderer Verdienste vom Landesfürsten
verliehen wurde, ohne unbedingt erblich zu sein). Im
Deutschen Reich wird der Adel seit der großen Re
volution (1918) nicht mehr verliehen.
Die Rangstufen des niederen Adels sind (von
oben abwärts): der nicht regierende Titular-Herzog
(Anrede: Eure Durchlaucht), der Fürst (Eure Durch
laucht), der Graf (Euer Hochgeboren), der Freiherr,
Ritter oder Baron (Euer Hochwohlgeboren) und der
nicht titulierte einfache Adlige v. X. (Euer Hoch
wohlgeboren).
Die entsprechenden Titel der verheirateten Da
men sind: Herzogin, Fürstin, Gräfin, Freifrau (Baro
min), die der unverheirateten: Komtesse, Freiin (Baro
messe). Alle von Geburt Adeligen haben ein Wappen
und eine längere Ahnenreihe auf beides sind sie
oft nicht wenig stolz.
Im bürgerlichen Leben unterscheidet man zwi
schen den höheren Ständen, dem Mittelstande und
den niederen Ständen oder unteren ”Volksschichten.
Die Grenze ist oft schwer zu ziehen. Zu den höheren
Ständen zählen außer dem Adel diejenigen, die sich
durch ihre geistige und gesellschaftliche Bildung,
ihre Lebenshaltung und *Vermögensverhältnisse vor
der großen Masse der Bevölkerung auszeichnen. Der
Mittelstand faßt alle die in sich, die es durch Fleiß
und Sparsamkeit in ihrem Beruf "zu einem mehr
oder minder reichlichen "Auskommen "gebracht

*ausgezeichneten, bedeutenden. * Kreisen des Volkes.


*hier: Reichtum. "es bringen zu = erreichen, erringen. "Ver
mögen, Wohlstand.
96 XV. Berufsarten,

haben, ohne dabei auf hohe geistige und gesellschaft


liche Bildung Anspruch machen zu können. Zu den
niederen Volksschichten rechnet man die große Masse
der Ungebildeten und "Unbemittelten, die im Dienste
anderer Leute ihr mehr oder weniger °kümmerliches
Dasein ”fristen und nicht selten „!"aus!"der "Hand
10in 10den 10Mund 10leben“.

Berufsarten.

„Eines schickt sich nicht für alle!“ sagt das


Sprichwort. Nicht jeder ist berufen, eine Krone zu
tragen; auch wird nicht jeder als oder zum Millionär
eboren. Nur wenige Leute sind in der Lage, von
ihren Renten (ihren Zinsen, ihrem Gelde) zu leben
und ganz ihren *Neigungen *nachzugehen. Die
überwiegende Mehrheit der Menschen hat sich ihr
tägliches Brot in ihrem Lebensberuf sauer (mühsam)
zu verdienen. Die einen sind vorwiegend geistig
und mit der Feder tätig, andere betreiben ein Ge
werbe, wieder andere sind einfache Arbeiter (Tage
löhner). Eine "nicht "unbeträchtliche Anzahl Men
schen lebt von milden Gaben (vom Betteln), sei es
nun, daß sie völlig arbeits- und *erwerbsunfähig
oder nur ”arbeitsscheu sind.
Vor der "Staatsumwälzung von 1918 galt als
vornehmster Beruf in Deutschland der des aktiven
Offiziers. Nachdem aber die ruhmreiche deutsche
Heeres- und Flottenmacht von den neuen (sozialisti
schen) Machthabern "zertrümmert und die allgemeine
*Wehrpflicht nach mehr als hundertjährigem Be
stehen beseitigt worden ist, bietet der Offiziersberuf
für die Söhne der besseren Stände keine ”Aussichten
und ?9keinen ?9Reiz mehr.
Die juristische Laufbahn (als Referendar, Assessor,
"Armen. °ärmliches. °führen, haben. 19das verdiente
Geld sofort wieder ausgeben müssen. "Passionen. *zu fol
gen. *beträchtliche, große. *unfähig, etwas zu verdienen.
"faul, träge. *Revolution. "zerschlagen, aufgelöst. *Mili
tärdienstpflicht. *Zukunft. ?"nichts Verlockendes, kein In
teresse,
XV. Berufsarten. 97

Amtsrichter, Landrichter, Staatsanwalt, Rechtsan


walt usw.) ist überfüllt mit *Anwärtern, weil fast alle
höheren und höchsten Stellen in der *Verwaltung mit
Juristen besetzt werden.
Auch die Geistlichen (Pastoren, Hilfsprediger,
Pfarrer, Kapläne, Vikare) spielen eine gewisse Rolle
im gesellschaftlichen Leben, namentlich auf dem
(*platten) Lande; sie sind „Respektspersonen“ neben
dem Amtsrichter und dem (praktischen) Arzt und
gehören zu den höheren Beamten.
Ebenfalls hierher zählt eine lange Reihe ande
rer höherer Staats- oder Gemeinde- (Kommunal-)
Beamten, z. B. die Professoren an der Universität,
die (Ober)Studiendirektoren und (Ober)Studienräte
an höheren Lehranstalten, die Schulräte, Landräte,
Gerichtsräte, Justizräte, Notare, Oberbürgermeister,
Bauräte, Bauinspektoren, Baumeister, Steuerräte,
Rechnungsräte, Ä Postdirektoren,
Postinspektoren und Oberpostsekretäre, Forstbeamte
(Oberforstmeister, Forstmeister, Oberförster) usw.
Neben den höheren gibt es zahlreiche mittlere
Staats- oder kÄÄÄ (Subalternbeamte);
diese finden in den weniger schwierigen Zweigen
der Verwaltung Verwendung, u. a. als Bureau
arbeiter (Schreiber, Aufseher, Assistenten, Kassierer)
bei der Post, Bahn, Steuer, Polizei und anderwärts.
In einigen Dienstzweigen sind auch Damen tätig,
z. B. als Telephonistinnen, Fahrkartenverkäuferin
Il8 Il USW.

Ein Beamter, der 25 oder gar 50 Jahre sein


Amt treu * versehen hat, kann mit gerechtem Stolze
die Glückwünsche seiner Vorgesetzten, Freunde und
Bekannten zum 25- (bezw. 50-)jährigen Dienstjubiläum
”entgegennehmen.
Diejenigen Personen, die weder staatliche noch
städtische Beamte sind, immerhin aber den einen
oder anderen ”verantwortungsvollen Posten be
kleiden, sind Angestellte, u. z. angestellt im Privat

"Aspiranten. *Admininistration. *flachen. *verwaltet,


ausgeübt. *annehmen. *"wichtigen.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15, 7
98 XV. Berufsarten.

dienst, in (bei) größeren gewerblichen Unterneh


mungen und Betrieben. Sie hängen von der Gunst
und Laune ihrer „Chefs“ ab und können nach er
folgter "Kündigung *entlassen werden. Fabrik
direktoren, Betriebsdirektoren, Chemiker, Werkmei
ster, Bureauvorsteher, Kassierer, Kommis (Kontor
schreiber), Geschäftsreisende („Repräsentanten)“,
Zeitungsschreiber (Redakteure, Journalisten), Lehrer
an Privatschulen u. a. m. bekleiden solche Posten.
Die Gewerbetreibenden zerfallen in Fabrikanten
und Kaufleute.
Viele Fabrikanten sind Fabrikbesitzer, d. h.
das ”Anwesen, auf dem sie die Fabrikation betreiben,
ist ihr Eigentum; andere fabrizieren in gemieteten
Räumlichkeiten. Die Fabrikation geht in Fabriken
vor sich; die Kraftarbeit wird von Maschinen be
sorgt, die durch Dampf, Elektrizität, Gas, Wind
oder Wasser getrieben und von Arbeitern bedient
werden. Man unterscheidet zahllose Fabrikations
zweige; es kommen vornehmlich folgende Betriebe
in "Betracht: Spinnereien, Webereien und Fär
bereien für Seide, Wolle und Baumwolle, Tuch
fabriken, Hutfabriken, Schuh- und Stiefelfabriken,
Zigarrenfabriken, Papierfabriken, Möbelfabriken, Me
tallwarenfabriken, Porzellanfabriken, Maschinenfa
briken, Eisenwerke, Schiffbauwerften (oder Schiffs
werften), Luftschiffbauwerften, Flugzeugwerke (oder
Aeroplanfabriken), Fahrradwerke, Elektrizitätswerke,
Gasanstalten, Zuckerfabriken, Seifenfabriken, Fla
schenfabriken, Glashütten, chemische Fabriken, Ani
linfabriken (Farbenfabriken), Waggonfabriken, ”Zie
geleien usw. usw.
- Die Fabrikarbeiter erhalten # Woche (Sonn
abends oder Samstags) ihre ”Löhnung.
Bº „Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ „Wie
die Arbeit, so der Lohn.“

"Aufkündigung, Lösung des Vertragsverhältnisses.


*verabschiedet, beseitigt, weggeschickt. "Grundstück.
"Frage, Erwägung. "Fabriken für Ziegelsteine, Dachziegel
usw. *Ablöhnung, Lohn.
XV. Berufsarten. 99

Wenn die Arbeiter einer bestimmten Klasse


mit ihrem Tagelohn nicht zufrieden sind, so legen
sie auf *Verabredung die Arbeit gleichzeitig nieder;
sie treten in den Ausstand (sie streiken, sie werden
ausständig). Der Zweck einer solchen Lohnbewegung
oder Arbeitseinstellung (eines solchen Streiks –
auch in englischer Weise Strike geschrieben) ist der,
höheren Lohn oder eine kürzere Arbeitszeit zu er
zielen. In den meisten Fällen sehen sich die Arbeiter
nach kurzer Zeit genötigt, die Arbeit wieder aufzu
nehmen, vielfach zu den alten *Bedingungen.
Von Zeit zu Zeit finden in großen Städten Welt
ausstellungen oder auch kleinere Ausstellungen (Ge
werbe- oder Industrieausstellungen) statt; diese
sind für die "Entwicklung der Industrie und des
Handels von hoher Bedeutung.
Der Kaufmann *vertreibt die Fabrikate (Er
zeugnisse) des Produzenten, "führt Rohmaterialien
für Fabrikanten, oder Kolonialprodukte und Be
darfsartikel jeder Art. Auch der Verlagsbuchhänd
ler (Verleger), der Bankier und der Agent gehören
zum Kaufmannsstande. Der Großkaufmann (Grossist)
liefert nicht unmittelbar an die Verbraucher (Kon
sumenten), sondern nur an Detaillisten, die letzteren
verkaufen dann die Waren (Artikel) in ihrem Laden
geschäft (Warenhaus) in größeren oder kleineren
Mengen an ihre Kundschaft (ihre Kunden) (vgl.
Seite 15–19).
Die Handwerker verfertigen die verschieden
artigsten Gegenstände in ihrer Werkstatt und be
dienen sich zu diesem Zwecke bestimmter Werk
zeuge. Einige Artikel werden *unter *Umständen
wohl auch mit Maschinen zugerichtet oder ganz
hergestellt. Viele Handwerker haben gleichzeitig
einen Laden, wo sie die von ihnen gefertigten Erzeug
nisse an ihre Kunden verkaufen. Andere Handwerker
haben keine eigene Werkstätte, sondern arbeiten in
größeren Betrieben anderer Gewerbetreibender.
* gemeinsamen Beschluß. * Löhnen. * Fortschritte.
*verkauft. *7hält vorrätig (feil), verkauft. *bisweilen.
100 XV. Berufsarten.

Einige wichtige Vertreter des Handwerks sind:


der Schneider (wenn er eine besonders „feine“ Kund
schaft und Auswahl hat, nennt er sich bisweilen
„Marchand-Tailleur“); er liefert uns Anzüge (Klei
der), Röcke, Hosen und Westen. Der Schuster oder
Schuhmacher verfertigt Schuhe und Stiefel aller
Art („Schuster bleib bei deinem °Leisten!“); der
Grobschmied fertigt in seiner Schmiede Gebrauchs
gegenstände aus Eisen, das auf der Esse rotglühend
gemacht und auf dem Amboß mit Hammer und
Zange in die gewünschte Form gebracht wird („Man
muß das Eisen schmieden, solange es warm ist“);
der Kupferschmied verfertigt allerhand Wirtschafts
gegenstände aus Kupfer und Messing; der Klempner
(in Süddeutschland: Spengler) macht Kessel, Pfan
nen und andere Haushaltungsgegenstände aus Blech;
der Hufschmied beschlägt Pferde; der Schlosser
macht Beschläge an Fenster und Türen und setzt
Schlösser an; auch besorgt er neue Schlüssel und
öffnet Schlösser, deren Schlüssel *9abhanden "ge
kommen sind. Der Zimmermann oder Bauschreiner
setzt Balken und Bretter für Dächer und Fußböden
zusammen; der Tischler oder Möbelschreiner macht
Tische, Stühle, Bänke, Fensterläden, Schränke usw.;
der Wagenbauer oder Stellmacher (in Süddeutsch
land: der Wagner) baut Kutschen, Last- und Hand
wagen, Schiebkarren usw. Der Glaser setzt Fenster
scheiben ein und *verputzt sie mit Glaserkitt. Der
Maurer mauert mit Ziegelsteinen, Quadersteinen
und Mörtel; er bedient sich dabei u. a. einer *Kelle,
eines Hammers und einer Setzwage (eines Bleilots).
Der Steinmétz behaut die zum Bauen bestimmten
Quadersteine. Der Anstreicher (in einigen Teilen
Nord- und Süddeutschlands auch Maler genannt)
bestreicht die Gebäude, Räume, Türen, Fenster und
Fußböden mit Farbe; der Tapezier tapeziert (be
klebt oder überzieht die Wände der Räumlichkeiten
mit Tapete, sei es Papier- oder Ledertapete). Der
*Holzmodell für Stiefel, hier übertragen: Schuster.
handwerk."verloren gegangen. *befestigt. *flachen Schaufel,
XV. Berufsarten. 101

Ofensetzer setzt Öfen und bringt sie durch Ofenrohre


mit dem Rauchfang (den Rauchkanälen, dem Schorn
stein, dem Kamin) in Verbindung; der Kaminfeger
oder Schornsteinfeger *fegt Schornsteine, indem er
den Ruß daraus entfernt. Der Buchbinder bindet
Bücher, die vom *Schriftsetzer gesetzt und vom
Drucker (aus)gedruckt werden. Der Besenbinder
bindet Besen; der Bürstenmacher oder Bürstenbinder
verfertigt Bürsten, Haarbesen, Pinsel, *Matten usw.;
der Korbmacher oder Korbflechter macht Körbe,
*Stuhlgeflecht. ”Sorgenstühle, Strohmatten, Kokos
matten u. dergl.
Wie die Männerwelt, so haben auch sehr viele
Frauen und Jungfrauen einen Beruf, der sie reichlich
oder dürftig ernährt. Die einen werfen (legen) sich
auf die Wissenschaften und Künste, die sie, ohne
durch höhere Vorgesetzte *eingeengt zu werden,
ganz nach eigenem Ermessen” pflegen und der
Allgemeinheit gegen "Entgelt zugute kommen lassen.
Andere ºbekleiden eine öffentliche oder private
Dienststellung; wieder andere gehören dem Handels
stande an, oder sie betreiben irgend ein Handwerk.
Die Wissenschaft oder Kunst wird vertreten
durch: die Arztin, – die Zahnärztin, – die Juristin,
– die Schriftstellerin, – die Dichterin, – die Roman
schriftstellerin, – die Komponistin (musikalischer
Werke), – die Künstlerin (Malerin, Bildhauerin,
Modezeichnerin, Illustrationszeichnerin, Klavierleh
rerin, Sängerin, Schauspielerin, Zirkusreiterin) usw.
In einer von höheren Vorgesetzten abhängigen
öffentlichen oder privaten Dienststellung befinden
sich: die Lehrerin an einer höheren oder niederen
Schule, – die Leiterin einer solchen Schule, – die
Telephonistin, – die Fahrkartenverkäuferin, –
die Kassenführerin, – die Verkäuferin, Ladnerin oder
das Ladenfräulein, – die Büffetdame, – die (Ma
schinen-)Schreiberin, – die Stenotypistin, – die
*reinigt. *Typograph. *Fußmatten (zum Abwischen
der Stiefelsohlen). *geflochtene Stuhlsitze. ”bequeme
Lehnstühle. *behindert. ** Gutdünken, Geschmack. °°Zah
lung. *haben . . . inne.
102 XVI. Weibliche Handarbeiten.

Krankenpflegerin, – die Diakonissin („barmherzige


Schwester“) u. v. a.
Dem Handelstande gehören an: die Modewaren
händlerin, – die Blumenhändlerin, – die Fischver
käuferin, – die Obst- und Gemüsehändlerin, –
die *Hökerin u. a. m.
Ein Handwerk oder eine andere gewinnbringende
Beschäftigung ernährt: die Weißnäherin, – die
Kleidermacherin, – die ”Putzmacherin, – die
Stickerin, – die Strickerin, – die Wäscherin oder
Waschfrau, – die Büglerin oder Plätterin, – die
Schriftsetzerin, – die Kinderfrau oder das Kinder
mädchen, – die Masseuse oder Kneterin, – die
Friseuse oder Haarkünstlerin, – die Wahrsagerin
(Kartenschlägerin), – die Gesellschafterin, – die
Hausdame, – die Haushälterin, – die Köchin, –
das ”Zimmermädchen, – das Dienstmädchen, –
die "Putzfrau, – die "Monatsfrau, – die "Morgen
frau, – das Fabrikmädchen oder die Fabrikarbei
terin, – die Taglöhnerin u. v. a.
* Genieße, was dir Gott ?beschieden,
°°Entbehre gern, was du nicht hast:
Ein jeder Stand hat seinen Frieden,
Ein jeder Stand hat seine Last!
Gellert.

XVI.
Weibliche Handarbeiten.
In allen deutschen Mädchenschulen, höheren
wie niederen, gehört der Handarbeitsunterricht zu
den "verbindlichen Lehrgegenständen. Er erstrebt
das doppelte Ziel, die Schülerinnen dahin zu bringen,
daß sie nicht nur alle in einem bürgerlichen Haushalt
* Kleinhändlerin (besonders mit Gemüse, Obst, Fisch).
*Damenhutmacherin. *Mädchen zur Instandhaltung der
Zimmer. ”Scheuer-, Reinmachfrau. **Arbeitsfrau, die mo
natweise gemietet und bezahlt wird. *? Arbeitsfrau, die
nur vormittags auf Arbeit geht. **erfreue dich dessen.
*gegeben. °verzichte . . . auf das.
* obligatorisch.
XVI. Weibliche Handarbeiten, 103
vorkommenden weiblichen Handarbeiten selbständig
auszuführen vermögen, sondern auch imstande sind,
jede andere Art von Nadelarbeit ?sich leicht *anzu
eignen. Für alle Arbeiten mit der Nadel bildet das
Nähen die Grundlage.
Zum Nähen braucht man eine gute Nähnadel.
Nur solche Nadeln sind gut, die sich mit einem ge
wissen *Kraftaufwand zerbrechen lassen; wenn eine
Nadel so *brüchig ist wie Glas, oder wenn sie sich
biegt, dann gilt sie als schlecht und wertlos. Auch
muß das "Nadelöhr gut poliert (geglättet) sein, da
es sonst den Faden beschädigen oder gar durch
reiben würde. Beim Wäschenähen gebraucht man
kurze oder halblange Nadeln; die anderen Arbeiten
werden mit langen Nadeln angefertigt. In meiner
Nadelbüchse habe ich eine große Auswahl bester
Nadeln. Eine Schere und ein Fingerhut aus Stahl,
Aluminium, Silber oder einem andern harten Stoffe
sind unentbehrliche Hilfsgeräte beim Nähen. Die
Nähmaschine ist eine ganz besonders wertvolle Er
findung der Neuzeit; zur "Bewältigung der Arbeit,
die eine Maschine in einer gegebenen Zeit (sagen
wir in einer Stunde) leistet, wären mindestens vier
gewandte Handnäherinnen erforderlich.
Ich habe nähen gelernt und kann alle Stiche,
so z. B. den Vorderstich, den Hinterstich (auch
Steppstich genannt), den Saumstich, den Hohlsaum,
die Überwendlingsnaht, den Kreuzstich (Zierstich)
usw. Ich kann Knopflöcher einfassen, Bänder, Bor
ten, Schnüre und anderen Besatz, sowie Haften,
Knöpfe u. dergl. annähen.
Auch habe ich das "Zuschneiden und Kleider
machen gelernt, sodaß ich, wenn es sein müßte, mir
meine Kleider, Taillen, Blusen, Röcke, Unterröcke
und andere Weißwäsche selbst anfertigen könnte.
Das "Flicken ist eine sehr wichtige Nadelarbeit,
bei der es vor allem auf Sorgfalt und Geduld an

*zu erlernen. * Gewalt. *zerbrechlich. 5 Loch in der


Nadel. "Leistung, Erledigung. "Zerschneiden (des Stoffs)
nach bestimmten Maßen. "Ausbessern, Instandsetzen,
104 XVI. Weibliche Handarbeiten.

kommt. Stopfen (d. h. Ersetzen zerrissener Fäden


eines Gewebes durch neue mit Hilfe einer Stopf
nadel) und Einsetzen eines neuen Stückes Stoff (eines
„Flickens“) auf ein Loch, das sind die beiden Arten
dieses Handarbeitszweiges. Beim Flicken darf man
ich nur nicht überhasten; „Eile mit Weile l“ gelte
der Flickerin als oberster Grundsatz !
Das Stricken gilt von jeher (von altersher) als
eine nützliche Beschäftigung für Frauen- und Mäd
chenhände. Nicht nur Strümpfe, sondern auch
Shawls (Umschlagtücher), Handschuhe, Hausschuhe,
Sofaschoner, "Schlummerrollen u. v. a. werden viel
fach gestrickt. Neben dieser nützlichen Seite hat
das Stricken auch den Vorzug eines Zeitvertreibs
für solche Leute, die infolge schwacher Augen oder
gänzlicher Erblindung weder arbeiten, noch lesen
oder schreiben können; ohne ihren Strickstrumpf
oder eine "anderweitige Strickarbeit wären diese
Bedauernswerten zu gänzlicher Untätigkeit verurteilt.
Jede Strickarbeit setzt sich aus Maschen zu
sammen; diese werden mittels mehrerer Stricknadeln
aus Strickgarn (Wolle, Baumwolle, Seide u. a.) ge
bildet. Um eine Strickarbeit zu beginnen, muß man
zunächst die Maschen „aufschlagen“ (d. h. auf die
Nadeln bringen); dann fügt man so viele Reihen
weiterer Maschen an, als zur Fertigstellung der Arbeit
nötig sind. Beim Strickstrumpf verwendet man in
der Regel drei oder vier Stricknadeln. Um den
Strumpf der Form des Beines oder Fußes anzupassen,
muß man „mindern“ oder „abnehmen“ (d. h. zwei
Maschen in eine einzige zusammenstricken). Jede
übertriebene Bewegung der Arme oder Hände ist
beim Stricken *vom *übel, da sie nur ermüden
würde. Es gibt auch Strickmaschinen, die natürlich
wesentlich schneller arbeiten, als es bei der Hand
strickerei möglich ist.
Das Strümpfestopfen ist eine hervorragend nütz
liche und wichtige Tätigkeit; es geschieht mit einer

"Kopfpolster für Lehnstühle. ”andere, sonstige. nach


teilig, schädlich
XVI. Weibliche Handarbeiten. 105
Stopfnadel. Das Stopfgarn wird meist etwas feiner
genommen, als das Garn, aus dem der Strumpf ge
strickt ist.
Eine der beliebtesten, weil leichten und zugleich
angenehmsten Handarbeiten ist das Häkeln; man
bedient sich dazu einer Häkelnadel (d. i. eine Stahl
nadel mit einem *Häkchen als Spitze und mit einem
”Stiel aus Stahl, Holz, Horn oder Elfenbein). Als
Häkelgarn wird Garn aus Baumwolle, Wolle, oder
Seide benutzt. Es gibt wohl nur wenige deutsche
junge oder ältere Damen, die nicht bei passender
Gelegenheit zu ihrer Häkelarbeit greifen. Besonders
für den Weihnachtstisch *regen sich alle fleißigen
Damenhände auf Wochen oder gar Monate im voraus,
um den Familienangehörigen und befreundeten Per
sonen durch eine hübsche Häkelarbeit eine Weih
nachtsfreude zu bereiten. Spitzen, Spitzenkrägen,
Spitzeneinsätze, Tischdecken, Tischläufer und zahl
reiche andere, z. T. reizende Sachen werden mit der
Häkelnadel gefertigt.
Auch bei den Frivolitäten (oder der Frivoli
tätenarbeit) benutzt man eine feine Häkelnadel;
außerdem braucht man dazu ein ”Knäuel ”Garn
und ein Schiffchen von etwa 6 Zentimeter Länge
und 2–3 cm Breite. Die Frivolitäten werden nur
vereinzelt geübt, weil zu dieser Spitzenarbeit recht
bewegliche Finger gehören.
Die Knüpfarbeit ist ebenso "dankbar und man
nigfaltig wie wenig verbreitet; sie findet Anwendung
beim Fertigen von Knopffransen, Bordüren (Be
Satz) u. dergl. für Zimmerausstattungen. Ein Kissen,
einige große Stecknadeln, und eine größere Häkel
nadel oder feine Stricknadel, sowie farbiges Seiden
oder Baumwollgarn – das sind die zu dieser Arbeit
benötigten Dinge. Die Knüpfarbeit sieht schwie
riger aus, als sie in Wirklichkeit ist.
Schon in den Kinderjahren lernen die meisten

"gebogenes Ende. *Handhabe, Griff. *bewegen,


Art Kugel oder Ball aus aufgewundenem Faden. *wir
kungsvoll.
-
106 XVI. Weibliche Handarbeiten,
deutschen Mädchen sticken. Man !"heftet den Grund
(d. i. der Stoff, auf den man ein Muster sticken will)
entweder auf ein Stück Wachstuch, oder man be
festigt ihn auf einer Sticktrommel. Das Stickmuster
wird meistens mittels einer ”Schablone auf dem zu
bestickenden Stoff in blauen Linien vorgezeichnet;
diesen Linien muß die Stickerin bei ihrer Arbeit ge
wissenhaft folgen. Für gewöhnliche Stickereien nimmt
man dünnes Baumwollgarn oder Seide und eine
Nähnadel. Die Zahl der Stiche ist recht mannig
faltig: der Festonstich, Steppstich, Tüpfelstich,
Knopflochstich, Crewelstich, Saumstich, Kettenstich
u. a. m. Man unterscheidet Plattstickerei und er
habene Stickerei (auf Wollfüllung).
Die Stickerei mit Wolle, Seide, Gold- oder Sil
berschnur auf grober Leinewand, auf Segeltuch (oder
Kanevas), oder auf Stramin (oder Gitterleinewand)
führt die Bezeichnung Tapisserie(arbeit). Meistens
wird der Grundstoff auf einen Rahmen gespannt.
Auch bei dieser Art Handarbeit können die Stiche
sehr verschieden gestaltet werden.
Spitzenarbeit gilt mit Recht als die schwierigste
aller weiblichen Handarbeiten. Es sind zwei Arten
von Spitzen zu unterscheiden: Klöppelspitzen und
Nadelspitzen. Die Klöppelspitzen (auch Kissen
spitzen genannt) werden auf einem größeren Kissen
gemacht; ”Spulen mit Garn (leinenem, baumwol
lenem, Nessel-Garn, Seiden-, Gold- oder Silberfaden),
Klöppel(hölzer), große Stecknadeln und eine Muster
vorlage sind bei dieser kunstvollen Arbeit unentbehr
lich. Die bekanntesten geklöppelten Spitzen sind
die Brabanter, die Valencienner und die italienischen.
Die Nadelspitzen bestehen aus Maschen, die mit
Nadel und Faden hergestellt sind; die Brüsseler,
Alençoner und venezianischen sind die ”namhaf
testen genähten Spitzen.
Nicht gerade schwierig ist die Filetarbeit (auch:
das Filieren, das Netzen) mit Zwirn, wollenem oder

"befestigt. *fertiges Muster. *kleine Holzzylinder.


*"berühmtesten.
XVII. Angewandtes Rechnen, 107
Seidengarn. Der Faden wird so geknüpft, daß zwi
schen den Knoten Maschen entstehen. Die Größe
der Maschen hängt ab von dem *Umfang der Filet
nadel (d.i. des runden, an beiden Enden gespaltenen
*Stabes aus Holz, Elfenbein oder Stahl), um die
der Faden vor dem Anknüpfen geschlungen wird.
Auch eines schweren Kissens und einer Spule bedarf
man bei dieser Arbeit. Fenstervorhänge, Tischdeck
chen u. dergl. werden auf diesem Wege bisweilen
angefertigt. -

Eine Kunst, der von den Damen gewissermaßen


erst dann Beachtung geschenkt wird, wenn sie be
reits alle anderen Geheimnisse auf dem Gebiete der
Handarbeiten ergründet haben, ist das ”Spinnen
– eine übrigens sehr einfache Arbeit. Ein Spinn
rocken (d. i. ein Holzstock, um den Flachs, Hanf,
Wolle oder Baumwolle *gewickelt ist), steckt auf
dem Rahmen des Spinnrades; letzteres wird von
einem Fuß der Spinnerin in Gang gesetzt und dreht
eine ”Spindel, durch die das zwischen den Fingern
gebildete Garn aufgerollt wird.
Wie sich eigentlich von selbst versteht, muß der
Handarbeitstisch, -kasten oder -korb stets in pein
licher Ordnung sein, damit der Inhalt nicht durch
einander ”gerät.
Beim Handarbeiten achtet jede verständige
Dame auf ihre Körperhaltung; ein Grund zum Krumm
sitzen liegt nicht vor. Namentlich ist zu vermeiden,
daß man die Arbeit auf dem Knie feststeckt: die
hierdurch herbeigeführte Haltung ist unschön und
der Gesundheit keineswegs ”zuträglich.
XVII.
"Angewandtes Rechnen.
Im Rechenunterricht gilt es zunächst, die Ziffern
(null, eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht,
neun) und Zahlen lesen und schreiben zu lernen.
*Dicke. ?? Stöckchens. * Herstellen von Garn. *ge
wunden. *eiserne Achse. *kommt, geworfen wird. ”för
derlich, von Nutzen.
* Praktisches.
108 XVII. Angewandtes Rechnen.
Hernach werden die „vier Spezies“ gelehrt; unter
diesen versteht man die Addition, Subtraktion, Multi
plikation und Division. Späterhin lernt der Schüler
auch die Bruchrechnung, die * Regeldetri und das
Rechnen mit Prozenten. Neben dem schriftlichen
Rechnen wird das Kopfrechnen geübt; letzteres er
weist sich besonders nützlich für das tägliche Leben;
mit kleineren Zahlen wird meist im Kopf gerechnet.
Unter Addition (oder Addieren, Zusammen
zählen) versteht man das "Verfahren, nach dem die
Summe mehrerer Zahlen (hier Posten genannt) ge
funden wird. Das Additionszeichen + wird als plus
oder und gelesen; das Gleichheitszeichen = spricht
man ist, oder macht, oder gibt.
Aufgabe: Addiere 471, 54 und 39.
Lösung: Ich schreibe die Posten untereinander, die
Einer unter die Einer, die Zehner unter die Zehner usw.,
ziehe einen *wagerechten Strich und sage:
Posten 471 9 und 4 macht 13 und 1 gibt 14; ich
39 54 setze die 4 hin und halte 1 im Sinn; 1 + 3
99 39 = 4, + 5 = 9, + 7 = 16; 6 hin, 1 im Sinn;
Strich – 1 + 4 = 5.
Summe 564 Die Antwort (Summe) ist 564.
Durch Subtraktion (Subtrahieren oder Abziehen)
findet man die Differenz (den Größenunterschied)
zwischen zwei Zahlen. Das Subtraktionszeichen –
wird als minus, oder weniger, oder von gelesen.
Aufgabe: Subtrahiere 4873 von 8309.
Lösung: Ich schreibe die beiden Zahlen nieder, die
kleinere (den Subtrahend) unter die größere (den Minuend),
ziehe einen wagerechten Strich und spreche wie folgt:
Minuend 8309 3 von 9 (oder 9 minus 3, 9 weniger
Subtrahend 4873 3) bleibt 6; ich schreibe 6 hin; 7 von 0
Strich geht nicht; ich borge 10; 10 – 7 = 3;
Differenz 3436 8 von 2 geht nicht; ich borge wieder 10;
10 + 2 = 12; 12 – 8 =4; 4 von 7
bleibt 3.
Die Differenz (der Rest) ist also 3436.

*Dreisatzrechnung, Verfahren (Methode), wonach aus


drei bekannten Zahlen eine unbekannte vierte berechnet
wird. * Methode, Operation. *horizontalen,
XVII. Angewandtes Rechnen. 109
F. Die Multiplikation (das Multiplizieren oder Ver–
vielfachen) besteht darin, das Produkt zweier Zahlen
festzustellen. Hierzu bedarf es der Kenntnis des
Einmaleins. Die Multiplikation ist weiter nichts
als eine verkürzte Addition; 4 mal 6 heißt z. B.
soviel als 6 + 6 + 6 + 6. Das Zeichen der Multi
plikation ist × oder ein Punkt; es wird als mal
gelesen.
Aufgabet Multipliziere 234 mit 56.
Lösung: Anstatt die Zahl 234 hier 56 mal untereinander
zu schreiben und die 56 Posten zu addieren, schreibe ich
den Multiplikator 56 unter den Multiplikand 234, ziehe einen
Horizontalstrich und multipliziere in folgender Weise:
Multiplikand 234 6 × 4 = 24, 4 hin, 2 im Sinn; 6 × 3
Multiplikator 56 = 18, + 2 = 20, 0 hin, 2 im Sinn;
Strich 6 × 2 = 12, + 2 = 14, die ich hin
1404 schreibe; 5 × 4 ist 20, 0 hin (um eine
1170 Stelle nach links gerückt), 2 im Sinn;
Strich – 5 × 3 = 15, + 2 = 17, 7 hin, 1 im
Produkt 13104 Sinn; 5 × 2 = 10, + 1 = 11, die
ich hinsetze.
Die beiden Teilprodukte werden sodann addiert, und
das Produkt der beiden zu multiplizierenden Zahlen (die man
auch Faktoren nennt) ist 13104
Sind die Faktoren gleich und werden sie 2mal
oder mehrmals miteinander multipliziert, so erhält
man die 2., 3., 4. . . . Potenz der betreffenden Zahl.
Die 2. Potenz nennt man das Quadrat der Zahl, die
2. Potenz ist der Kubus derselben. So ist 10 × 10 die
3. Potenz oder das Quadrat von 10; man schreibt
dafür auch 10* (lies: zehn im Quadrat). Ebenso nennt
man 10 × 10 × 10 = 10° die 3. Potenz von 10 (und
liest: zehn zur Dritten, oder zehn hoch drei).
Mit Hilfe der Division (des Dividierens, Teilens)
findet man, wie oft eine gegebene kleinere Zahl (der
Divisor) in einer größeren (dem Dividend) enthalten
ist. Geht die Division nicht auf, so ergibt sich außer
dem Quotienten noch ein Rest. Das Zeichen der
Division ist ein Doppelpunkt oder ein Bruch
strich; gelesen wird er als dividiert durch oder
geteilt durch.
"horizontale oder schräge Linie.
110 XVII. Angewandtes Rechnen.
Aufgabe: 1387 dividiert durch 15 macht (oder gibt)
wieviel ?
Lösung:
Divid. Divis. Quot. -

1387 : 15 = 92 13 : 15 geht nicht; 138 : 15 geht 9


135 mal; 9 × 15 = 135; von 138 bleibt 3;
-57- jetzt *hole ich die 7 herunter; 37 : 15
30 geht 2 mal; 2 × 15 =30; 37 – 30 = 7.
7 Rest Der Quotient ist also 92, Rest 7.
Ein Bruch bezeichnet einen oder mehrere gleiche
Teile eines Ganzen. Es gibt gewöhnliche Brüche
(wie */4, lies: drei Viertel) und Dezimalbrüche (z. B.
0,75, lies: null Komma fünfundsiebzig, oder null
Komma sieben fünf). Gewöhnliche Brüche haben
einen Bruchstrich, über diesem den Zähler (3), und
unter dem Strich den Nenner (4). Bei Dezimal
brüchen ist der Nenner 10 oder eine Potenz von 10,
wird aber nicht ausgeschrieben, sondern durch die
Zahl der Stellen rechts vom Komma angedeutet.
Gemischte Brüche bestehen aus einer ganzen Zahl und
einem gewöhnlichen oder Dezimalbruch (z. B. 2°/4
oder 2,75). Um einen gewöhnlichen Bruch in einen
Dezimalbruch zu verwandeln, dividiert man den
Zähler durch den Nenner.
Die Regeldetri (Dreisatzrechnung) spielt im bür
gerlichen Leben eine große Rolle. Sie besteht darin,
daß auf Grund von 3 bekannten Zahlengrößen eine
unbekannte vierte "bestimmt wird.
Aufgabe: 12 Eier kosten 96 Pfennige; 18 Eier kosten
Wieviel ?
Erste Lösung. Wenn 12 Eier 96 Pfennig kosten, so
96
kostet 1 Ei I2 F 8 Pfg.; 18 Eier kosten mithin 18 × 8 =
144 Pfg. = 1,44 Mark.
Zweite Lösung. Wenn 12 Eier 96 Pfennig kosten, so
kosten 6 Eier halb so viel, also 48 Pfg.; 18 Eier also 3 mal so
viel wie 6 Eier, folglich 3 × 48 = 144 Pfg. = 1,44 Mark.
Wenn sich unter 100 Schülern 10 kurzsichtige
finden, so sagt man, 10 vom Hundert (v. H.) oder
10 Prozent (geschrieben 10%) sind kurzsichtig. Am
°setze . . . neben die 3. 7ermittelt, berechnet.
XVIII. Geld. Maß. Gewicht. 111

häufigsten ist vom Prozentsatz bei Kapitalanlagen die


Rede; so bringt ein Kapital von 3000 Mark, die zu
4% °verzinst sind, von jedem Hundert jährlich
4 M. ”Zinsen ein, also insgesamt ”pro Jahr 30 × 4
= 120 M. Zinsen. -

XVIII.
Geld. Maß. Gewicht.
Seit dem Jahre 1872 bildet in Deutschland das
Dezimalsystem die Grundlage für alle Wert- und
Maßbestimmungen. Auch die meisten anderen gesit
teten Länder haben das Dezimalsystem eingeführt;
nur England, Nordamerika, Rußland und die Türkei
haben sich bisher ablehnend dagegen verhalten. Die
große französische Revolution zu Ende des 18. Jahr
hunderts hat dieses überaus praktische Wert- und
Maßsystem gezeitigt; seit 1800 ist es in Frankreich
allgemein im Gebrauch.
Geld.
Geld regiert die Welt.
Als deutsche Münzeinheit gilt die Mark (oder
Reichsmark, abgekürzt: M.); sie zerfällt in 100 Pfennig,
(abgekürzt: Pfg.). Es gibt Goldmünzen, Silber-,
Nickel- und Kupfermünzen, die jedoch seit 1918 nur
selten vorkommen. Die Vorderseite der Münzen,
der sog. Avers, zeigte bis zum Umsturz 1918 ent
weder das Kopfbild des Landesherrn, oder sie gibt
den Geldwert an; die Rückseite, der Revers oder die
Kehrseite, trägt das deutsche Reichswappen. Die
Silber- und Goldstücke sind gerändelt (am Rande
gezähnt), oder auch wohl mit einem "Wahlspruch (in
Preußen lautet er: „Gott mit uns“) * versehen.
An Goldmünzen gibt es im Deutschen Reiche
das Zwanzigmarkstück (20 M., nur selten auch „Dop
pelkrone“ genannt) und das Zehnmarkstück (10 M.,
die „Krone“).
"auf Zinsen. "Vergütung für bares Darlehen. 19jedes
"hervorgebracht. *begegnen. *Devise. *ausgestattet.
112 - XVIII. Geld.

Die Silbermünzen sind: das 5 M.-Stück und Stücke


von 3 M. (1 alter Taler), 2 M., 1 M., 0,50 M. (50 Pfg.).
Aus Nickel oder Eisen sind Stücke zu 10 und 5 Pfg.
Kupfermünzen gibt es nur zwei; es sind das
Zweipfennigstück (2 Pfg.) und der Pfennig (1 Pfg.).
Außer dem genannten Metallgeld ist auch Pa
piergeld in Umlauf. Der Staat allein hat das
Recht, Papiergeld "auszugeben; er läßt dieses Recht
durch die Reichsbank in Berlin und einige andere
große Bankinstitute ausüben.
Beim Papiergeld unterscheidet man Kassen
scheine im Werte von 1, 2, 5, 10, 20 und 50 M., sowie
Banknoten von 100 bis 10 000 M.
Ausländisches (fremdes) Geld wird in deutschen
Ladengeschäften und Restaurants nicht in Zahlung
genommen. An den "Fahrkartenschaltern größerer
Bahnhöfe nimmt man indes französische, englische
und amerikanische Goldmünzen zu einem festen
Satze (vor dem Weltkriege: 20 Franken = 16 M.,
1 Pfund Sterling = 20 M., 5 Dollar = 20 M.). Da
der Ausländer hierbei aber heute einen Kursverlust
hat, so empfiehlt es sich, in der Heimat oder in
einem deutschen Bankgeschäft sich deutsches Geld
zu beschaffen. Beim Eintritt in ein solches Wech
selgeschäft sagt man bspw.: „Ich möchte etwas
deutsches Geld haben; wieviel zahlen Sie für 100
Franken ?“ Der Geldwechsler fragt in der Regel:
„Wünschen Sie Gold oder Papier?“ Natürlich wird
man sich auch einen gewissen *Betrag Kleingeld (in
Kassenscheinen) geben lassen.
Statt baren Geldes kann man auch Schecks
(Zahlungsanweisungen) oder Kreditbriefe auf große
und als „gut“ bekannte deutsche Bankfirmen vor
weisen und sich das bare Geld in Deutschland für
einen Teil der auf dem Kreditbrief genannten Summe
auszahlen lassen.
In deutschen Warenhäusern wird Unbekannten
kein Kredit gegeben. Jeder gekaufte Artikel (Gegen
stand) muß bar bezahlt werden.
"in Zirkulation, im Verkehr. "in den Verkehr zu bringen.
7 Billettkassen. *Summe,
XVIII. Geld. 113

Manche Leute sind bisweilen ?in ?Geldver


legenheit und suchen sich dann zu helfen, indem sie
andere „anpumpen“, d. h. sich von ihnen Geld borgen
(leihen), mit dem üblichen Versprechen, den Betrag
dann und dann zurückzuzahlen. „Borgen macht
Sorgen“ (Sprichwort). In vielen Fällen gelingt
ihnen das Zurückzahlen aber nicht, und die „guten
Freunde“, die ihnen "unter 9die "Arme "griffen,
1 haben das Nachsehen und können gar oft den
Betrag „in den Schornstein schreiben“, d. h. als
Verloren betrachten. 1? Heißt ?es doch sehr treffend:
„Geld verleihen heißt Geld verlieren.“ Aber nicht
nur das Geld wird dabei ”eingebüßt, sondern meist
geht gleichzeitig auch die Freundschaft *in *die
14 Brüche.
In der äußersten Not 18 versetzen unbemittelte
oder "leichtlebige Personen, denen niemand mehr
borgen („pumpen“) mag, im Pfandhaus (Leihhaus)
ihre Uhr, Uhrkette, Ringe, Kleidungsstücke, Wäsche
u. dergl., um dafür eine kleine Barsumme zu erzielen;
letztere entspricht vielfach nicht einmal dem dritten
Teile des wirklichen Wertes der versetzten Sachen.
Jene Leute können ihre verpfändeten Gegenstände
im Laufe der nächsten 6 Monate zu dem ihnen ge
zahlten Geldwerte wieder einlösen, haben aber außer
dem 18 bis 24% Leihgebühr (1 % bis 2 Pfenig pro
Mark und Monat) zu entrichten.
In der Hoffnung, schnell reich zu werden, spielen
viele Leute in der Lotterie, sei es in einer der gro
ßen, von dem betreffenden Lande ”genehmigten
Landeslotterien, sei es in einer kleineren Wohlfahrts
lotterie (zur Beschaffung der Geldmittel für einen
guten Zweck, einen Kirchenbau usw.). Der Lotterie
spieler kauft sich ein Los – bisweilen auch mehrere
– und erwartet die Ziehung mit dem ”sehnsüch
tigen Wunsche, möglichst das „große Los“ zu ge

°in Geldnot, ohne Geld. 19aushalfen, liehen. ”sehen


ihr Geld nie wieder. ?sagt man. *verloren, geopfert.
*zu Ende. 15 verpfänden. "leichtsinnige. ”anerkannten,
autorisierten. *brennenden.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15. 8
114 XVIII. Maß.

winnen (den höchsten Gewinn zu bekommen). Am


Ziehungstage werden die Nummern der Lose – diese
sind sämtlich numeriert – in ein großes Glücksrad
gebracht, und Waisenkinder ziehen eine bestimmte
Anzahl Nummern heraus, auf die dann ein Gewinn
fällt. Die nicht gezogenen Nummern sind sog. Nieten.
Es gibt Geldgewinne und Gewinne in Gestalt von
”Wertgegenständen. Der Gesamtbetrag aller Ge
winne ?9beläuft ?"sich in der Regel kaum ?"auf die
Hälfte der Einnahme, die beim Verkauf der Lose
erzielt wurde; die Lotterieverwaltung pflegt somit
das beste Geschäft bei der Sache zu machen.

Maßsystem. -

Der (oder das) Meter (geschrieben: m) gilt als


Längenmaßeinheit. 1 m ist der zehnmillionste Teil
des Erdmeridianquadranten. Der Normalmeterstab,
aus Platin, wird in der Pariser Sternwarte aufbewahrt.
1 m ist gleich 10 dm (Dezimeter) = 100 cm (Zenti
meter) = 1000 mm (Millimeter). 10 m = 1 dkm
(Dekameter), 100 m = 1 hm (Hektometer), 1000 m =
1 km (Kilometer). Altere Leute rechnen noch gerne
nach Fuß und Zoll (1 Fuß = 12 Zoll = 30,48 cm)
und nach Meilen, deren Länge indes in den deutschen
Staaten zwischen 6% und 11./s km schwankt. Größere
amtliche Längenmaße der neuesten Zeit sind die
geographische oder deutsche Meile (= 7,42 km) und
die Seemeile oder der Knoten (= 1,852 km).
Beim Ausmessen von Flächen, insbesondere
von Ländereien und Bauplätzen, dient der Quadrut
meter (qm) und seine Vielfachen: der (oder das) Ar
(1 a = 100 qm), der (oder das) Hektar (1 ha = 100 a
= 10000 qm) und der Quadratkilometer (1 qkm = 100 ha
= 10000 a).
Je nach dem, was auszumessen ist, benutzt
man Raum- oder Körpermaße, Hohl- und Flüssig
keitsmaße. Diese Maße unterscheiden sich nur der

”Sachen, die einen gewissen Geldwert haben, z. B. Ge


ni'de, Kunstgegenstände usw. ?"beziffert sich auf, erreicht.
XVIII. Gewicht. 115

Form und dem Namen nach, *beruhen aber *durch


aus auf dem metrischen System. So gibt es den
(oder das) Kubikmeter (cbm; jede seiner 12 Kanten
ist genau 1 m lang, jede seiner 6 Flächen mißt genau
1 qm) und den (oder das) Kubikdezimeter (cdm =
*/1000 cbm). Als Holzmaß heißt der Kubikmeter
(der) Ster.
Die Hohlmaße dienen zum Messen von trocke
nen Stoffen (Kartoffeln, Obst, Getreide, Kohle und
dergl.) oder von Flüssigkeiten (Wein, Bier, Essig,
Öl, Petroleum); in beiden Fällen gilt der (oder das)
Liter (l) als Grundlage. 1 l = 1 cdm (Kubikdezimeter).
An Vielfachen des Liters gibt es den (oder das) Hekto
liter (1 hl = 100 l).
Der Wein wird flaschenweise (eine Flasche
meistens = % l) oder faßweise *bezogen. Die Wein
fässer führen je nach der Größe *althergebrachte
Namen; so unterscheidet man die (oder das) Ohm
(in Preußen 137% l fassend, anderwärts mehr oder
weniger), das Oxhoft (etwa 1% Ohm = 200 bis 240 l),
das Fuder (6 Ohm = 825 l) und das Stück oder Stück
faß (etwa 7 % Ohm = 1000 bis 1200 l).
Endlich gibt es auch ein Maß, womit die Ar
beitsleistung (Kraftleistung) einer Dampfmaschine
bestimmt wird; es ist dies die sog. Pferdekraft (Pferde
stärke), d. i. die Kraft, die in einer Sekunde ein Ge
wicht von 75 Kilogramm 1 m hoch zu heben vermag.
Man hat Maschinen von 2, 3, 10, 100, 1000 und so
gar von 20 000 Pferdekräften.
Die Maßeinheit der elektromotorischen Kraft
ist das Volt.

Gewichtssystem.
Waren werden vielfach nach dem Gewicht ver
kauft, so das Brot, das Fleisch, das Salz, das Mehl,
der Zucker usw. Sie werden auf einer Wage gewogen;
in der einen Wagschale ist das Gewicht, in der andern
*fußen, basieren. *ganz. *eingekauft. *seit langen
Jahren bestehende.
116 XVIII. Gewicht,

die zu wägende (wiegende) Ware. Briefe werden


auf (mit) einer Briefwage, Goldwaren auf der Gold
wage gewogen. Beim Wägen schwerer Gegenstände
bedient man sich einer Dezimalwage, deren beide
Hebelarme so eingerichtet sind, daß man darauf
die Last mit dem zehnten Teil ihres wirklichen Ge
wichts bestimmen kann.
Die Gewichtseinheit ist das Gramm (g). 10OO g
bilden 1 Kilogramm (1 kg) oder 2 Pfund (ältere, aber
noch ”geläufige Bezeichnung). Es gibt auch Bruch
teile des Gramms, z. B. das Milligramm (1 mg =
/1000 g). 50 kg machen einen Zentner (ct); 100 kg
sind 1 Doppel-Zentner; 1000 kg werden eine Tonne
(1 t) genannt.

XIX.
Zeit.
v Zeit ist Geld.

Die Zeitrechnung ist je nach den großen Reli


gionsgemeinschaften verschieden. Die griechische
Kirche zählt ihre Jahre seit Erschaffung der Welt,
nach der sog. byzantinischen Ara; sie setzt die Welt
schöpfung auf das Jahr 5509 vor Christi Geburt.
Seit Anfang des 18. Jahrhunderts folgen jedoch die
Russen der christlichen Jahreszählung. Die Juden
zählen ihre Jahre ebenfalls seit Erschaffung der Welt,
setzen dieses Ereignis aber um nur 3761 Jahre vor
den Ausgangspunkt der christlichen Zeitrechnung.
Die Türken, Araber, Perser und übrigen Mohamme
daner zählen ihre Jahre seit Mohammeds Flucht von
Mekka nach „Medina, d. i. seit dem 16. Juli 622 der
christlichen Ära.
Die christlichen Völker der alten und der neuen
Welt aber folgen der christlichen Zeitrechnung, d. h.
sie rechnen (oder zählen) die Jahre seit Christi Ge
burt. Nach dieser Ära leben wir jetzt im 20. Jahr
hundert und zwar in dessen 1. Viertel. Das 19. Jahr
hundert schloß mit dem 31. Dezember 1900 um 12

*oft gebrauchte.
XIX. Zeit. 117

Uhr mitternachts. Mit dem 1. Januar des Jahres


1901 begann das neue, das 20. Jahrhundert. Viele
Leute sind der irrigen Ansicht, das 20. Jahr
hundert habe begonnen, sobald man 1900 schrieb;
sie vergessen dabei zu bedenken, daß jedes Jahr
hundert volle hundert Jahre umfaßt, und daß kein
neues Jahrhundert beginnen kann, bevor die 100
Jahre des laufenden Jahrhunderts (hier das 19.)
abgeschlossen sind.
Das Jahr hat (oder zählt, umfaßt) 12 Monate,
oder 52 Wochen und einen Tag, oder 365 Tage und
beinahe 6 Stunden. Das Mehr (Plus) von jährlich
6 Stunden ergibt in 4 Jahren 24 Stunden oder einen
Tag Überschüß; dieser Tag wird daher alle 4 Jahre
in das Jahr *eingeschaltet, und zwar wird er dem
kürzesten Monat, dem Februar, als 29. Tag angefügt.
Jedes vierte Jahr heißt infolge der Einschaltung des
einen Tages ein Schaltjahr; es zählt somit 366 Tage.
Die Monatsnamen sind: Januar, Februar, März,
April, Mai, Juni, Juli, August, September, Oktober,
November und Dezember.
Eine Woche hat 7 Tage (6 Wochen- oder Werk
tage und einen Ruhetag); ihre Namen sind: Mon
tag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Sams
tag (in Norddeutschland Sonnabend genannt) und
Sonntag. Seit dem 1. Juli 1892 ist in Deutschland
die „Sonntagsruhe“ für das Handelsgewerbe und
für Fabrikbetriebe gesetzlich vorgeschrieben, d. h.
an Sonn- und Festtagen dürfen die Kaufläden nur
zu bestimmten Stunden geöffnet werden; die Fa
briken müssen ihren Betrieb ganz einstellen oder "auf
*ein "Mindestmaß "beschränken; nur Gastwirtschaf
ten und Vergnügungslokale sind geöffnet.
Der Tag hat 24 Stunden, jede Stunde (hat)
60 Minuten, die Minute 60 Sekunden. Jeder Tag
rechnet (oder zählt) von 12 bis 12 Uhr mitternachts
und *umfaßt die Nacht (vor Sonnenaufgang), den
*haben die falsche Ansicht (Meinung), glauben irrtüm
licherweise. *eingefügt, eingeschoben. *bedeutend einschrän
ken (herabmindern, reduzieren). *zerfällt in, besteht aus.
118 XIX. Zeit. Kalender.

Morgen (oder Vormittag), die Mittagszeit, den Wach


mittag und den Abend nach (Sonnenuntergang).
Während der Nacht ist es mehr oder minder dunkel
(oder düster, finster); oft, besonders bei Neumond,
Regenwetter oder Nebel, sind die Nächte stock
finster. Zu bestimmten Zeiten scheint nachts der
Mond. Am Tage (oder: Zur Tageszeit ist es meist
ganz hell, und häufig scheint auch die Sonne. In jedem
Jahre treten mehrere Verfinsterungen der Sonne
und des Mondes (Sonnenfinsternisse, Mondfinster
nisse) ein, teils totale, teils partielle. Eine in Europa
sichtbare totale Sonnenfinsternis "kommt höchst
selten "vor.
Vielfach, besonders in der Unterhaltung, pflegt
man nur den ungefähren Zeitpunkt oder Zeitraum
anzudeuten, in dem "ein "in "Rede "stehendes "Er
eignis sich "abgespielt hat. In solchem Falle muß
man jedoch auf einen allgemein bekannten geschicht
lichen Zeitraum *Bezug °nehmen und bspw. sagen:
Hans Sachs lebte im Zeitalter (oder zur Zeit) der
Reformation, Friedrich Hebbel in der ersten Hälfte
des vorigen (19.) Jahrhunderts.
Um ganz genaue Zeitangaben zu machen, be
stimmt man das Datum (Jahr, Monat und Tag),
das Alter, unter Umständen auch die Stunde (Tages
zeit), in der dieser oder jener Vorgang" sich "abge
spielt hat.
Wenn ich ein bestimmtes Datum, d. h. den
Tag des Monats, wissen möchte, so sehe ich auf dem
(oder im) Kalender nach. Es gibt verschiedene Arten
von Kalendern, nämlich solche in Buchform (wie
Kürschners Jahrbuch), kleine Taschenkalender, Wand
kalender (oder Kontorkalender) und Abreißkalender.
Die letzteren bestehen aus einem Papierblock von
365 oder 366 Blättern, deren jedes mit allerhand
wissenswerten astronomischen Dingen (Zeit des
Sonnenaufgangs, Sonnenuntergangs, Mondaufgangs

"findet . . . statt, ereignet sich. "ein Ereignis, von dem


gerade gesprochen wird. " zugetragen. *zurückgreifen, re
kurrieren. "Ereignis, Vorkommnis. "zugetragen, ereignet.
XIX. Datum, Alter. 119

und -untergangs, der Sonnen- und Mondfinsternisse)


und mit einem "Sinnspruch bedruckt ist. Jeden
Tag wird ein Blatt abgerissen.
Falls ich keinen Kalender zur Hand habe, frage
ich jemanden, der zufällig in der Nähe ist: Den wie
vielten haben wir heute? oder Was für ein (Welches)
Datum ist heute?
Die Antwort kann lauten:
Heute ist der erste, zweite, dritte, . . . einunddreißigste
(März, Mai, u. dergl.).
Auf die Frage: Wann werden Sie zurückkommen?
wird die Antwort lauten:
Am ersten, zweiten, . . . einunddreißigsten (unter Um
ständen mit dem Zusatz: Mai, nächsten Monats, dieses
Monats, u. dergl.).
Wann ist dein Geburtstag? Am 26. November.
Zur Feststellung des Lebensalters einer gegen
wärtigen Person bedient man sich einer der folgen
den Fragen:
Darf ich fragen, wie alt Sie sind?
Wie alt sind Sie?
Welches Alter haben Sie?
In welchem Alter stehen (sind) Sie?
Ihr Alter, bitte?
Die Antworten können sein:
Ich bin 15 Jahre alt. Fünfzehn (Jahre). Eben 15. Bei
nahe 15. Ich bin noch *minderjährig. In 6 Jahren werde
ich großjährig”. Ich werde in einigen Wochen 16. Ich stehe
im Alter (habe ein Alter) von 30 Jahren. Ich bin (oder stehe)
im dreißigsten Jahre.
Will man das Alter einer nicht gegenwärtigen
dritten Person festgestellt wissen, so fragt man bspw.:
Wie alt ist Ihr Herr Vater (Ihre Frau Mutter,
Ihr Fräulein Schwester, Ihr Herr Bruder,
Onkel, Vetter, Neffe usw.)?
Wie alt schätzen Sie ihn (sie)?
Für wie alt halten Sie ihn (sie)?
Wie alt glauben Sie, daß er (sie) sei?
In welchem Alter mag er (sie) stehen?
Sentenz, Kernspruch. *minorenn, nicht 21 Jahre
alt. *majorenn, 21 Jahre (oder darüber).
120 XIX. Alter. Uhr.

Antworten:
Er (sie) ist 30 Jahre alt. Er wird bald 31. Er ist vor
kurzem 31 geworden. Meine älteste Schwester ist 3 Jahre älter
als ich, sie ist 18 vorbei. Mein jüngster Bruder ist erst 2 Jahre
alt. Ich schätze Ihren Großvater auf einige 70. Nach meiner
Schätzung ist Ihre Tante beinahe 60.
Allgemeinere Ausdrucksweisen bei der Bestim
mung des Alters sind:
Er (sie) ist noch jung. Er fängt an zu altern (alt zu
werden). Er ist schon bei Jahren. Er wird schon grau, weiß.
Er ist schon grau; sein Bart ist bereits schneeweiß. Sein Haar
wird auffallend dünn. Er hat schon *eine *Glatze. Er sieht
jünger (älter) aus, als er ist. Er hat sich gut gehalten (gut
konserviert). Ich bin der älteste meiner Brüder. Mein Schwe
sterchen Susi ist die jüngste von uns Geschwistern. Ich bin
16 Jahre älter als mein jüngster Bruder. Meine älteste Schwe
ster ist 5 Jahre jünger als ich.
Um die genaue Zeit und Stunde festzustellen,
bedient man sich der Uhr. Bis zum Ausgang des
Mittelalters gab es nur Sonnenuhren und Sanduhren
(sog. Stundengläser). Die heutigen Taschenuhren,
Wanduhren (Stutzuhren mit Pendel, daher auch
Pendülen genannt) und Turmuhren sind Erfindungen
der Neuzeit.
Taschenuhren werden – wie der Name besagt
– in der Tasche, u. z. meist in einer der Westen
taschen getragen. Ihr Gehäuse ist aus Gold, Silber,
Stahl, Nickel oder Aluminium. Der Deutsche
trägt seine Uhr in der Regel an einer Kette (einer
goldenen, silbernen, Stahl-Kette) oder an einem
Uhrbande. Ich selbst trage eine silberne Zylinder
uhr, mein Vater hingegen hat eine sehr schöne gol
dene Ankeruhr, echtes Glashütter Fabrikat. Glas
hütte bei Dresden ist berühmt wegen seiner vorzüg
lichen Erzeugnisse auf dem Gebiete der Uhrenfabri
kation. Früher brauchte man einen Uhrschlüssel
zum Aufziehen und Stellen der Taschenuhr; seit
mehreren Jahrzehnten aber hat man sog. Remon
toiruhren, die ohne Schlüssel aufgezogen werden;
man dreht einfach das kleine im Uhrring angebrachte
*eine Platte, einen kahlen Kopf, keine Haare mehr
auf dem Kopfe.
XIX. Uhr. 121

Zahnrädchen und "besorgt auf diese Weise das Auf


ziehen und "Stellen. Auf dem Zifferblatt – unter
dem Glase – sind 12 römische oder arabische Ziffern,
ein kurzer Stundenzeiger, ein längerer Minuten
zeiger und ein ganz kleiner Sekundenzeiger. Ziffer
blätter mit 24 Ziffern (zur Bezeichnung der 24 Stun
den des ganzen Tages) haben sich in Deutschland
noch nicht eingebürgert. Im Innern des Gehäuses
17ist 17das 7 Räderwerk und eine *Uhrfeder. Meine
Uhr geht ausgezeichnet; wenn sie zuweilen stehen
geblieben ist, "liegt ”dies regelmäßig ”daran, daß
ich vergessen habe sie aufzuziehen. Sie geht weder
vor noch nach; sie geht auf die Minute.
Wand-, Stutz-, Pendel- und Turmuhren haben
in der Regel ein ”Schlagwerk, das die Stunden, die
halben und oft auch die Viertelstunden schlägt.
Der Gang dieser Uhren wird durch ein Pendel ge
regelt. Wenn die Uhr nachgeht, so muß man das
Pendel verkürzen, damit es schneller *schwingt
und auf diese Weise den Gang des Räderwerks be
schleunigt. Geht die Uhr vor, so verlängert man
das Pendel. Unsere Kirchenuhr geht immer falsch
(unrichtig, verkehrt); man kann sich gar nicht darauf
verlassen; es wäre sehr an der Zeit, daß ein tüchtiger
Uhrmacher sie einmal gründlich nachsähe.
Fürs Schlafzimmer gibt es auch Wecker oder
Weck(er)uhren, die so gestellt werden können, daß
sie zu einer *nach ”Belieben zu wählenden Stunde
längere Zeit laut klingeln.
Falls (oder: Im Falle, daß) ich meine Uhr nicht
bei mir habe und wissen möchte, wieviel Uhr es ist,
frage ich irgend einen in der Nähe wie folgt:
Wieviel Uhr ist es, bitte? Wie spät ist's?
Welche Zeit haben wir? Wie spät haben wir's ?
Haben Sie die richtige Zeit? oder, an einen Un
bekannten gewandt:
Möchten Sie mir *gütigst sagen, wieviel Uhr es ist?
*bewirkt, nimmt . . . vor. *Regulieren. "sind die
Räder. *Spirale. *hat das . . . seinen Grund darin.
"Mechanismus, der die Uhr „schlagen“ läßt. "hin- und
hergeht. *beliebig, nach Wunsch. *gefälligst, bitte.
122 XIX. Uhrzeit.

Die Antwort wird lauten können:


Nach meiner Uhr ist es (gerade) ein, zwei, drei, . . . zwölf
Uhr. Es ist eins, zwei, drei, . . . zwölf. Es ist eine Minute,
zwei, drei, fünf, zehn, zwanzig Minuten vor eins (nach oder
über eins);es ist ein Viertel über eins (in vielen Teilen Deutsch
lands sagt man hierfür: es ist Viertel zwei), halb zwei, ein Vier
tel vor zwei (vielfach: drei Viertel [auf zwei), 20, 10, 5, 3,
2 Minuten vor (bisweilen auch: bis) zwei; es ist ein Viertel
nach; es ist halb, es ist ein Viertel vo“ (oder es ist drei
Viertel); es ist genau Mittag (genau zwölf mittags), Mitter
nacht (genau 12 um Mitternacht).
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Von diesem Entwurf können alle Stundenzeiten


ohne Mühe abgelesen werden. Die Zeiger stehen genau auf
3 Uhr. Die übrigen Zeitangaben am Rande beziehen sich
nur auf den Stand des Stundenzeigers (der Minutenzeiger
ist also unberücksichtigt zu lassen).
XIX. Uhrzeit. 123

Innerhalb der ersten halben Stunde addiert man


die Minuten zur verflossenen ganzen Stunde mit
den Worten: . . . Minuten nach (oder über) . . .;
innerhalb der zweiten halben Stunde stellt man die
Zahl der Minuten fest, die an der folgenden ganzen
Stunde fehlen, und verbindet beide durch die Worte:
. . . Minuten vor (oder bis).
Eisenbahnbeamte und Reisende sagen in der
Regel: Der Zug geht um *eins *dreißig (in bürger
licher Sprache: um halb zwei), um 1.15 (eins fünf
zehn), 1.50 (eins fünfzig) usw. Wenn Zweifel dar
über herrschen (walten, bestehen), ob der Vormit
tag oder der Nachmittag gemeint ist, wird hinzu
gefügt: Mein Zug fährt um 6.17 (6 Uhr 17 Minuten)
vormittags (oder morgens, früh), im Gegensatz zu
6.17 nachmittags (oder abends). Auf (oder: In)
den deutschen Fahrplänen sind die Nachtzeiten
von 6 Uhr abends bis 5.59 morgens durch Unter
streichung der Minutenziffern * gekennzeichnet.
Anstatt dem Fragenden die genaue Minuten
ziffer anzugeben, sagen wir ihm in der Regel nur
die ungefähre Zeit unter Bezugnahme (Hinweis)
auf die nächstliegende ganze, halbe oder Viertel
stunde, z. B.:
Es ist beinahe 7, (so)gleich 7, in einigen Minuten 7, noch
nicht ganz 7, soeben 7. Es schlägt eben 7; es hat gerade 7 ge
schlagen; im Augenblick hat's 7 geschlagen. Es ist Viertel,
halb, drei Viertel. Es schlägt so(eben) Viertel, halb, drei
Viertel; es schlägt so(eben) voll (d. h. die volle Stunde).
Es wird in ein paar Minuten Viertel, halb, drei Viertel,
voll schlagen.
Wann werden Sie zu mir kommen ?
Um 8, Punkt 8, gegen 8, kurz vor 8, kurz nach 8, einige
Minuten nach 8.
Wie lange haben Sie gestern Abend gearbeitet?
Bis (um) 8. Von 8 bis 12.
Es ist männiglich (oder allgemein) bekannt,
daß die Ortszeiten verschieden sind, d. h. wenn es
in Cöln genau 12 Uhr mittags ist, so ist die Berliner
*auoh: ein Uhr dreißig. *hervorgehoben, markiert.
-

124 XIX. Ortszeit. Normalzeit.

Ortszeit schon um ein gut(es) Stück weiter vorge


rückt. Dies kommt daher, daß nur diejenigen Orte
zur selben Zeit 12 Uhr mittags haben, die unter
demselben Meridian (Mittagskreise) liegen. Jeder
Grad weiter östlich ist 4 Minuten voraus, jeder Grad
westlich 4 Minuten zurück. Da nun Berlin fast 6%
Grad weiter östlich liegt als Cöln, so beträgt der
Unterschied der Ortszeit 4 × 6% = 26 Minuten,
d. h. wenn die Cölner Uhren 12 Uhr Ortszeit zeigen,
haben die Uhren in Berlin bereits 12 Uhr 26 Minuten
Ortszeit.
Da diese Zeitunterschiede für den Reisever
kehr und auch in anderer Hinsicht unbequem waren,
so führte man i. J. 1893 eine einheitliche Normal
zeit für ganz Deutschland ein; es ist dies die sog.
mitteleuropäische Zeit (abgekürzt: M. E. Z.), d. i.
die Ortszeit des Meridians (oder Längengrads), der
sich annähernd über der Mitte von Europa hinzieht,
nämlich des Meridians von Görlitz-Stargard; dieser
Meridian wird in Deutschland als ?” der "nullte be
trachtet. Alle deutschen wie auch die skandinavi
schen, schweizerischen und italienischen Uhren sind
jetzt auf mitteleuropäische Zeit gestellt, sodaß es
in Freiburg im Breisgau, Memel, Hammerfest, Bern
und Rom im nämlichen Augenblick Mittag, ein,
zwei, drei, . . . zwölf Uhr ist. Die Uhren in England
sind nach Greenwicher Zeit (W. E.Z.) gerichtet, ebenso
die französischen (seit 1911), belgischen, spanischen
und portugiesischen. Wenn es in England genau
12 Uhr mittags ist, so stehen die Uhren in Paris,
Brüssel, Madrid und Lissabon gleichfalls auf 12 Uhr,
diejenigen in Deutschland, Schweden, Norwegen,
Dänemark, Italien und der Schweiz auf genau 1
(ein) Uhr, die türkischen, rumänischen, bulgarischen
auf 2 Uhr nachmittags. Im selben Augenblick ist
es in Peking etwa 8 Uhr 30 Min. abends, in ganz
Japan genau 9 Uhr abends, während die Zeit in
Adelaide auch auf 9 Uhr, in Sydney sogar auf
10 Uhr abends vorgeschritten ist. In San Francisco
*der 0 (= Null)-Meridian, der Ausgangspunkt.
XX. Jahreszeiten und Witterung. 125
ist es am gleichen Tage, wo in England die Uhren
auf 12 Uhr mittags stehen, erst 4 Uhr früh, in Chi
cago 6 Uhr morgens und in New-York 7 Uhr vor
mittags. Mit anderen Worten: Um die Stunde, wo
bspw. an einem Montage der Engländer seinen
lunch, der Franzose sein déjeuner, der Deutsche oder
Skandinavier sein Mittagessen einnimmt, denkt man
in Australien schon ans Schlafengehen, während die
Nordamerikaner um dieselbe Zeit den nämlichen
Tag (Montag) eben erst beginnen.
XX.
Jahreszeiten und Witterung.
Das Jahr zerfällt in vier Jahreszeiten, es sind
der Frühling (das Frühjahr), der Sommer, der Herbst
und der Winter. Jede dieser Jahreszeiten dauert
(oder währt) ungefähr drei Monate. Die angenehm
ste Jahreszeit ist in Europa das Frühjahr, welches
vom 21. oder 22. März bis zum 21. oder 22. Juni
dauert. Im „wunderschönen Monat Mai“ (wie das
Lied sich ausdrückt) ist das Wetter am schönsten,
und die Natur erscheint in prächtigem Frühlings
schmuck. Schon im April bekommen die Bäume * Knos
pen und Blätter, die Wiesen und Felder werden
grün, die Blumen und Obstbäume fangen an zu
blühen. Der Landmann pflügt den "Acker und säet
den Samen (besorgt die Aussaat). * Die Schwalbe,
die Nachtigall und andere Vögel kommen aus Italien
und Afrika zurück, bauen ihr Nest und zwitschern
oder singen ihre frohen Lieder, legen Eier, *brüten
(*sie *aus) und *ziehen ihre Jungen "auf. In
zwischen wächst die junge Saat heran, und wenn
die drei „* Eisheiligen“ oder „gestrengen Herren“
"gnädig sind und keine Nachtfröste bringen, so kann
der Landmann mit "Zuversicht auf eine gute Ernte
rechnen. -

* Ansätze zu Blättern und Blüten. *setzen sich da


rauf, bis die jungen Vöglein herauskommen. *füttern, er
nähren. *Mamertus, Pankratius, Servatius (11., 12., 13. Mai).
"mild, human. "Vertrauen.
126 XX. Jahreszeiten und Witterung.
Gegen Ende Juni werden die Tage immer wärmer;
der Sommer ist da! Er dauert vom 21. oder 22. Juni
bis zum 21. oder 22. September. Die Tage sind dann
am längsten und die Nächte sehr kurz. Die Sonne
geht sehr früh (zwischen halb 4 und 4 Uhr) auf und
sehr spät (zwischen 8 und halb 9) unter. Die Hitze
ist im Sommer oft geradezu unerträglich schwül
und drückend, besonders in den „Hundstagen“
(24. Juli bis 26. August). Hie und da bringt ein Ge
witter eine Abkühlung (etwas kühlere Temperatur).
Dicke, schwarze Wolken ziehen sich vor einem Ge
witter am Himmel zusammen; bald blitzt und donnert
es, und kurz darauf "gießt der Regen, oft sogar mit
Hagel untermischt, in Strömen hernieder. Man
hüte sich, während eines Gewitters unter einem
Baume Schutz zu suchen, da der Blitz gern in allein
stehende, hochragende Gegenstände einschlägt und
die in der Nähe Weilenden ernstlich *gefährdet.
Gegen den Blitzschlag gibt es nur einen Schutz:
den Blitzableiter. Benjamin Franklin, ein Amerikaner,
hat diese hochwichtige Schutzvorrichtung um 1750
erfunden (Franklin lebte von 1706–1790 und war
das sechzehnte Kind seines Vaters, eines armen ”Sei
fensieders). – Eine der schönsten Naturerschei
nungen ist der Regenbogen; er erstrahlt nach dem
Regen in den herrlichsten prismatischen Farben
(Regenbogenfarben).
Wenn die Hitze zu stark (zu drückend, zu groß)
ist, so suche ich im Bade, in einem Schwimmbassin
oder in einer 9 Badezelle Kühlung. Ich bin ein großer
Freund vom Baden und schwimme wie ein Fisch.
Ich kann auch "untertauchen und längere Zeit unter
Wasser schwimmen; wiederholt habe ich ein Geld
stückchen vom Grunde des Wassers heraufgeholt.
Ich nehme stets mein eigenes Badezeug (Badeanzug
und ein großes, weiches *Laken) mit.
An heißen Sommertagen geht man auch wohl
in den kühlen Wald oder setzt sich im schattigen
"fällt. *in Gefahr bringt. "Seifenarbeiters. "Raum mit
Badewanne. "unter der Oberfläche bleiben. ?Tuch zum
btrocknen.
XX. Jahreszeiten und Witterung. 127

Garten unter die Kühlung atmenden Bäume. Wir


haben in unserm Garten prächtige, schattenspen
dende Bäume und eine Laube, wo wir bei schönem
Wetter Kaffee trinken. Dann und wann spanne ich
in unserm Garten meine Hängematte auf, lege mich
hinein und lese ein schönes Buch.
Die Sommerhitze hat indes auch ihr Gutes:
sie bringt die Früchte des Feldes, das Obst und die
Weintrauben zur Reife. Der Landmann (Landwirt)
besorgt zu dieser Zeit die Heu- und Getreideernte
(Roggen, Weizen, Hafer, Gerste). Welch ein Ver
gnügen für alt und jung, Kirschen, Erdbeeren, Him
beeren, Stachelbeeren, Ä Pfirsiche und
saftige Aprikosen zu pflücken!
Während der heißen Juli- und Augusttage, der
sog. „”Sauregurkenzeit“, gehen viele Städter eine
Zeitlang aufs Land; andere besuchen einen Luft
kurort, einen Badeort oder ein Seebad; andere wieder
um reisen ins Hochgebirge (in die Schweiz, nach Tirol,
Savoyen oder Norwegen). -

Mit dem 21. oder 22. September geht der Som


mer zu Ende und der Herbst 14 hält 14 seinen 14 Ein
Zug. Die Tage nehmen dann schon merklich ab, und
die Nächte werden länger. Die Luftwärme "sinkt
bedeutend, besonders zur Nachtzeit; * Tau, Nebel
und "Reif stellen sich ein. Im Spätherbst kommen
in der Regel noch mehrere schöne Tage; indes wird
der Spaziergänger dann von dünnen Fäden (Spinnen
geweben), die vielen Gegenständen im Freien *an
haften, ein wenig ”belästigt. Diese Zeit ist der „Alt
weibersommer“. Nach und nach wechselt die Farbe
der Blätter vom Grün zum (ins) Gelb und Braunrot;
nach einigen kalten Nächten fallen dann die welken
Blätter ab und bedecken als dürres Laub den Erd
boden. ..
Die Äpfel, Birnen, Pflaumen (Zwetschen) und
Nüsse (Haselnüsse und Wallnüsse) sind jetzt reif
*Hundstage, heißesten Tage des Jahres. *zieht ein,
kommt. *nimmt . . . ab, verringert sich. "kleine Wasser
tropfen auf den Pflanzen. "gefrorener Tau. ”anhangen.
”inkommodiert.
128 XX. Jahreszeiten und Witterung.
und werden gepflückt (abgenommen). Die Wein
trauben sind ebenfalls ausgereift, und im Oktober
ziehen in den Weingegenden (am Rhein, an der Ahr,
an der Mosel und an der Hardt) die Weinbauer (Win
zer) unter allgemeinem Jubel in die Weinberge zur
Weinlese (oder einfach: zur Lese). Der Landwirt
*0macht die Kartoffeln, Rüben und * Runkelrüben
?9aus und fährt sie ein. -

Sobald die Halmernte (Getreideernte) vorüber


ist, geht die Jagd auf Feld- oder Rebhühner (die
Hühnerjagd) und Hasen, Hirsche, Rehe (Hasen-,
Hirsch-, Rehjagd) auf (los). Jagdfreunde (Jäger)
versäumen nicht, für diese Gelegenheit ihre Flinte
(ihr Gewehr, ihre Büchse) und sonstige Jagdaus
rüstung in Ordnung zu bringen und sich von ihrer
Kreisbehörde einen Jagdschein ”ausstellen zu lassen.
Die Singvögel und anderen Zugvögel verlassen
Deutschland im Herbste, um nach wärmeren Gegen
den zu ziehen; nur einige, u. a. der Spatz (Sperling),
die Amsel, die Drossel, der Fink und das Rotkehl
chen, bleiben auch den Winter über in Deutschland.
Wenn der Herbst vorbei ist, kommt der kalte
Winter, die Zeit des Frosts und der Schneestürme.
Die Natur scheint wie erstorben, die Felder und
Wälder sind kahl und öde. Es friert bisweilen so
stark, daß die Bäche, Teiche und oft selbst große
Flüsse fest zugefroren (mit einer Eisrinde bedeckt)
sind. Dann sind die Schlittschuhläufer(innen) in
ihrem Element: alt und jung *holt die Schlittschuhe
?°hervor, schraubt (oder schnallt) sie auf der Eis
bahn an und tummelt sich stundenlang, bis zur
Dunkelheit und oft sogar zur Nachtzeit, auf dem
Eise (läuft Schlittschuh), kühne Bogen und kunst
volle Figuren beschreibend. Nicht selten findet
abends ein Eisfest (mit Lampions und Musik auf
der Bahn) statt. Ich laufe sehr gern Schlittschuh
und habe mir ein neues Paar zu Weihnachten schen

*°nimmt . . . aus der Erde. *große Rübenart (für


Zuckerfabrikation und Viehfütterung). *schreiben, geben.
*macht . . . bereit.
XX. Jahreszeiten und Witterung. 129
ken lassen. Diejenigen, die nicht Schlittschuh laufen
können oder keine Schlittschuhe haben, *schlittern
auf ihren Sohlen auf dem Eise ”einher.
Ein Winter ohne Schnee wäre kein rechter
Winter. In der Regel fällt denn auch eine Menge
Schnee, vom Oktober bis in den April hinein. Wenn
es tüchtig schneit und der Schnee nicht sofort schmilzt,
kann man Schlitten fahren, sei es in einem großen von
Pferden gezogenen Schlitten, sei es in einem Hand
schlitten, der von Menschen gezogen oder geschoben
wird, bergab jedoch von selbst geht, zur großen
Freude der Insassen (derer, die darauf sitzen). Das
Schlittenfahren macht groß und klein viel Vergnügen.
Wenn der Schnee feucht ist und ”„backt“ (klebt),
d. h. wenn er sich ballen läßt, so ”ergötzt sich die
junge Welt (die Jugend) damit, Schneemänner zu
machen, Schneehütten zu bauen und sich zu schnee
ballen, d. h. sich mit Schneebällen zu (be-)werfen.
Welche (oder: Die) Freude, wenn ein Ball „”sitzt“!
Der °verflossene Winter war sehr streng. Denke
dir, unserm Kutscher Johann sind Nase und Ohren
erfroren, und unser Dienstmädchen Johanna hat
Frostbeulen an den Füßen und Händen bekommen !
Man muß im Winter tüchtig heizen und sich, wenn
man ins Freie geht, warm kleiden (wollenes Unter
zeug und „warme“ Kleidung tragen). Auch das
*"Schuhwerk muß in Ordnung sein, damit bei ein
tretendem Tauwetter das Schneewasser nicht durch
dringt.
Die Winterszeit wird vielfach als die traurigste
Zeit des Jahres bezeichnet und nicht ganz mit Un
recht. Gewiß, auch der Winter hat seinen Reiz und
seine Freuden, ja seine Poesie! Eislauf, Schlitten
fahrten, Schneeballwerfen, das sind Dinge, die einen
ergötzlichen *Zeitvertreib bilden; leider bietet sich
nur sehr vereinzelt Gelegenheit zu solchem Sport,
und dann nur für solche Leute, die kerngesund sind.

*glitschen, gleiten, rutschen. *hin und her. *hält,


(sich) ballt. *"erfreut, vergnügt. *getroffen hat. *vorige,
letzte. "Schuhe und Stiefel. *Unterhaltung, Amüsement.
Kron, Der Kleine Deutsche. 15. 9
130 XX. Jahreszeiten und Witterung.
Auch die schneebedeckten Gefilde und die in präeh
tigem *Rauhreif prangenden Waldungen ermangeln
nicht eines gewissen poetischen Reizes. Aber was
wollen diese vorübergehenden Lichtblicke bedeuten
gegenüber den "Härten des Winters, wie sie der
Arme oder Kranke empfindet ? Ja, selbst der Reiche
und Gesunde würde den Winter öde, langweilig und
traurig finden, wenn es nicht Theater, Konzerte,
Abendgesellschaften, Bälle und *spannenden Lese
stoff gäbe.
Die mittlere Temperatur – und zu einem ge
wissen Grade daher auch das Wetter – der vier
Jahreszeiten hängt vom örtlichen Klima ab. Das
Deutsche Reich gehört der gemäßigten Zone an; sein
Klima ist das des mittleren Europas. Im allgemeinen
ist die Temperatur eine ziemlich gleichmäßige. Die
nordwestlichen und nördlichen *Landschaften haben
ein ozeanisches Klima, in den mittleren, südlichen
und östlichen Gebietsteilen herrscht ein mehr kon
tinentales Klima. Nach vieljährigen Beobachtungen
hat Berlin durchschnittlich 129 Regentage und
34 Schneetage im Jahre.
Die Schwankungen in der Temperatur lassen sich
mittels des Thermometers leicht feststellen. Der
(oder: Das) Thermometer ist eine mit Quecksilber
oder gefärbtem Alkohol gefüllte, "luftdicht ver
schlossene Glasröhre. Der Inhalt dieser Röhre zieht
sich bei kalter Witterung zusammen, und die Queck
silbersäule sinkt; mit zunehmender Wärme dehnt
sich das Quecksilber aus und steigt in der Röhre.
(Dasselbe gilt vom Alkohol.) Die Glasröhre ist mei
stens in 100 Grade eingeteilt, und das so eingerich
tete Thermometer ist das hundertteilige von Celsius
(es wird allgemein in Skandinavien und Frankreich
und vorwiegend auch in Deutschland benutzt).
Beim Réaumurschen Thermometer ist dieselbe Glas
röhre in nur 80 Teile geteilt (es wird in Deutschland
gebraucht, aber mehr und mehr durch das Celsius

- *Reif an Zweigen. *Unannehmlichkeiten. *fesselnde,


interessante. * Provinzen, Bezirke. °°hermetisch.
XX. Jahreszeiten und Witterung. 131

sche verdrängt). Die Engländer bedienen sich des


Fahrenheitschen Thermometers, dessen Skala 212
Grade (180 über und 32 unter dem Null- oder Gefrier
punkt) aufweist. Der "Siedepunkt ist bei Réaumur
auf 80, bei Celsius auf 100, bei Fahrenheit auf 1809
[lies: 180 Grad], sodaß sich die Grade der drei Ther
mometer wie 80: 100: 180 oder wie 4: 5: 9 [lies: 4 zu
5 zu 9] verhalten, d. h. 4 Réaumurgrade entsprechen
5 Grad Celsius bezw. 99 Fahrenheit.
Mit Hilfe des Barometers läßt sich das gute oder
schlechte Wetter auf eine ”begrenzte Anzahl Stun
den ”vorherbestimmen. Der (oder: Das) Baro
meter besteht ebenfalls aus einer graduierten, mit
Quecksilber gefüllten Glasröhre, die 76 cm lang ist.
Die Röhre ist am einen Ende offen, damit der Luft
druck auf das Quecksilber einwirken kann. Wenn
die Luft trocken und schwer ist, steigt das Queck
silber, und gutes W