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Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30.

Oktober 2010

Dokumentation

Kommunalkongress II
SPD-Landesverband Niedersachsen
Hannover, 30. Oktober 2010

1
www.spd-niedersachsen.de
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Vorwort

Kommunalpolitiker gehen einem schweren Ge- müssen noch verfeinert werden, und natürlich lassen
schäft nach, besonders in Niedersachsen. Nach der sich nicht alle Entwürfe auf alle Kommunen übertra-
Arbeit zum Broterwerb stehen Rats- oder Kreistags- gen. Gemeinsam konnten wir aber herausarbeiten:
sitzungen an, die Fraktion tagt oder Ausschüsse Demokratie und Sicherheit kosten, aber es gibt Mittel
beraten. Aber leider ist es zur Regel geworden, dass und Wege auch aus schwierigen Haushaltslagen her-
sich die gewählten Bürgervertreter in den kommu- aus, Angebote an die Bürger zu machen und sie an der
nalen Parlamenten vor allem mit den defizitären Gestaltung ihres Lebensumfeldes zu beteiligen.
Haushalten ihrer Städte, Gemeinden und Land- Beim Kommunalkongress war deutlich zu
kreise herumschlagen müssen, Mangelverwaltung spüren, dass die SPD bereit für die Kommunalwahl
steht auf der Tagesordnung. Über großen finanziel- ist. Diese dritte und vielleicht wichtigste Botschaft
le Entscheidungsspielraum verfügen die wenigsten ist vor allem aus den engagierten und qualifizier-
kommunalen Gebietskörperschaften. ten Beiträgen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
Das muss sich ändern! Diese Botschaft ist hervorgegangen. Wir wollen gewinnen und wir
vom zweiten Kommunalkongress des SPD-Landes- werden gewinnen!
verbandes Niedersachsen ausgegangen. Mehr als In der vorliegenden Dokumentation sind eini-
700 Teilnehmer an der Veranstaltung stehen auch ge Ergebnisse aus den Diskussionsforen zusammen-
dafür, dass Kommunalpolitik kein Spartenthema gefasst. Außerdem haben wir die Reden von Gabriele
ist. Egal ob Fragen der Umwelt- oder Familienpolitik, Lösekrug-Möller, Stephan Weil und Olaf Lies aufbe-
ob Haushalt oder Beteiligung der Bürgerinnen und reitet. Wir sind überzeugt, dass sich in unserer Doku-
Bürger – Politik wird von den Menschen zuerst Vor- mentation einige Anregungen für ein erfolgreiches
ort wahrgenommen, hier finden die Entscheidungen Kommunalwahlkampfjahr finden lassen.
statt, die die Menschen betreffen und bewegen.
Deshalb ist auch die zweite Botschaft, die vom Mit freundlichen Grüßen
Kommunalkongress ausgegangen ist, durchweg posi-
tiv: Die SPD hat die entscheiden Themen für die Kom-
munalwahl. Wir haben die richtigen Rezepte für ein gu-
tes Zusammenleben der Menschen in Niedersachsens Michael Rüter
2 Städten, Gemeinden und Landkreisen. Mache Rezepte Landesgeschäftsführer
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Inhaltsübersicht

Thesenpapiere Reden

Forum A Rede der stellvertretenden


10 Thesen zu einer nachhaltigen SPD-Landesvorsitzenden
Energie-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik 4 Gabriele Lösekrug Möller MdB 19

Forum B Rede des Oberbürgermeisters der


»Mehr Demokratie wagen« 6 Landeshauptstadt Hannover
Stephan Weil 22
Forum C
15 Thesen zu einer nachhaltigen kommunalen Rede des SPD-Landesvorsitzenden
Finanz- und Wirtschaftspolitik 9 Olaf Lies MdL 25

Forum D
»Soziale Stadtentwicklung, Familie,
Bildung und Kultur für alle« 12

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Forum A

10 Thesen zu einer nachhaltigen Energie-,


Wirtschafts- und Verkehrspolitik

1. Die Bundesregierung hat am 28. September echter Wachstumsmarkt. Die Wertschöpfung


ein neues Energiekonzept beschlossen. Der von vor Ort kann für Arbeitsplätze eingesetzt wer-
Gesellschaft, Politik und Industrie erarbeite- den und garantiert sichere Steuereinnahmen.
te »Atomkonsens« aus dem Jahr 2000, der den 4. Der Beschluss des Energiekonzepts behindert
abgestuften Ausstieg aus der Atomenergie be- den Wettbewerb auf dem Energiesektor. Die oli-
inhaltet, wurde ohne Not zugunsten der Atom- garchische Marktmacht der vier großen Energie-
lobby aufgekündigt. Die SPD in Niedersachsen konzerne E.ON, Vattenfall, EnbW und RWE wird
protestiert auf das Schärfste gegen diese epo- auch für die Zukunft manifestiert. Die kommu-
chale Fehlentscheidung. nalen Stadtwerke werden auch weiterhin be-
2. Die SPD in Niedersachsen bekennt sich auch nachteiligt und werden ihre Investitionen in »Er-
weiterhin zum Atomausstieg und steht für den neuerbare« bremsen. Die großen Vier hingegen
schnellstmöglichen Ausbau der Erneuerbaren fahren Milliardengewinne ein, durch die abge-
Forum A – Matthias Miersch MdB, Ulrich Mädge (Ober- Energien. Unser Ziel ist es, bis 2050 100% der schriebenen AKW und bringen sich in die »pole
bürgermeister aus Lüneburg); Detlef Tanke MdL und Energieversorgung durch Erneuerbare zu leis- position« für die Vormachtstellung auf dem
Monika Griefahn, Niedersächsische Umweltministerin a.D. ten. Die SPD wird dies durch gezielte Anreize und Markt der »Erneuerbaren«.
Programme auf allen betroffenen Ebenen der 5. Die SPD sieht im Ausbau der erneuerbaren Ener-
Gesellschaft, klein und mittelständischen Unter- gien herausragende Chancen für den Ausbau der
nehmen sowie der Industrie gezielt fördern und lokalen und regionalen Wirtschaft. Vorausset-
unterstützen. zung für die nachhaltige Erzielung von Einnah-
3. Die niedersächsischen Kommunen sind wich- men aus der Gewerbesteuer sind wettbewerbs-
tige »Motoren« für den Ausbau der Erneuerba- fähige Unternehmen vor Ort. Sie sind der Garant
ren Energien. Die SPD ist überzeugt davon, dass für leistungsfähige Kommunen und wirken so
Kommunen hiervon profitieren. Die aktuelle Stu- auch einer Strukturverarmung entgegen. Diese
die des Instituts für Wirtschaftsforschung (IÖW) Art der Wirtschaftsentwicklung wird daher als
beweist die kommunale Wertschöpfung durch kommunale Pflichtaufgabe begriffen.
Erneuerbare Energien insbesondere im Bereich 6. Die Europäische Union entwickelt Wirtschafts-
der Gewerbe- sowie aus Rückflüssen der Einkom- märkte zunehmend regional. Der interkommu-
4 menssteuer. Die Erneuerbaren Energien sind ein nalen Zusammenarbeit und den wachsenden
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Metropolregionen kommt eine immer stärkere baren) müssen nach Auffassung der SPD stärker
Bedeutung zu. Kommunale Wirtschaftsförde- politisch unterstützt werden. Leitmärkte müs-
rung wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie sen entwickelt und manifestiert werden, wie z. B.
in regionales und landesweites Handeln ein- Elektromobilität oder Speichertechnologie.
gebunden ist und die Förderinstrumente und 9. Im Flächenland Niedersachsen ist die Mobilität
–programme der EU entsprechend qualifiziert eine zentrale Voraussetzung. Die Verkehrsinf-
abgerufen werden können. Die SPD wird sich für rastruktur muss daher auch auf kommunaler
ein leistungsstarkes und im europäischen Wett- Ebene nachhaltig sichergestellt werden, im öf-
bewerb gut aufgestelltes Niedersachsen einset- fentlichen Sektor, im Individualverkehr sowie im
zen. Transportbereich. Aufgrund der sich entwickeln-
7. Die SPD steht für die Schaffung von »Vorreiter- den Antriebstechnologien und Güteraufkom-
märkten« im Bereich der ökologischen Indust- men wird die SPD ein integriertes Verkehrskon-
riepolitik. Jede Art von Industrie ist mit dem Ver- zept in enger Kooperation mit den maßgeblichen
brauch von natürlichen Ressourcen, Energie und Akteuren entwicklen und entsprechende Förder-
sonstigen Materialen verbunden. Das Energie- programme erarbeiten.
einsparpotential in der Industrie liegt bei rund 10. Die Sicherung der natürlichen Lebensgrundla-
80 Prozent. Die Frage der Verbrauchs-Effizienz ist gen ist Staatsziel nach Artikel 20a Grundgesetz.
direkt mit Kosten verbunden. Eine ökonomische Dies ist für die SPD der unumstößliche Grund-
Ökologisierung auf diesem Sektor schafft neue satz für nachhaltiges Handeln in allen Politikfel-
Märkte und schafft eindeutige Wettbewerbsvor- dern. Die Fehler der Vergangenheit dürfen nicht
teile. Niedersachsen kann hier eine Vorreiterrolle wiederholt werden. Deshalb sagen wir:
einnehmen und neue Maßstäbe setzen. Keine Zugeständnisse an die Atomlobby,
8. Forschung und Innovation sind die Vorausset- kein weiterer Atommüll nach Niedersachsen.
zung für die Zukunftsfähigkeit Niedersachsens Die Endlagersuche muss in ganz Deutschland
im internationalen Wettbewerb. Niedersachsen ergebnisoffen erfolgen.
ist bereits maßgeblich beteiligt am Export von Der Ausbau der erneuerbaren Energiequel-
Umweltgütern und –dienstleistungen. Nieder- len ist der Schlüssel für ein lebenswertes und
5 sachsens Potenziale (z. B. im Bereich der Erneuer- wirtschaftlich zukunftsfähiges Niedersachsen.
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Forum B

Mehr Demokratie wagen

Zwei Vorbemerkungen im Verfahren und ggf. Mitwirkung am Ergebnis


1. Demokratie ist mehr als eine Methode. Sie ist gesteigert werden kann.
Projekt der Selbstbestimmung einer menschli- 2. Kommunalpolitische Arbeit und parteipoliti-
chen Gesellschaft und sie ist doppeltes Verspre- sches Engagement auf lokaler Ebene sind bür-
chen von Gleichheit und Partizipation – auch in gerschaftliches Engagement, freiwillig und
der Kommunalpolitik, insbesondere für Sozial- ehrenamtlich. Damit sind die Mandatsträger/
demokraten/innen. innen und Funktionär/innen einerseits selbst
2. Politikverdrossenheit und Demokratiedistan- bürgerschaftlich Engagierte und zugleich Ge-
ziertheit haben ihre Ursachen überwiegend stalter/innen lokaler Rahmenbedingungen für
durch Politik der Landes- und Bundesebene. Da- Ehrenamtsarbeit in Verbänden, Vereinen und
raus resultierende Frustration strahlt auch auf Projekten.
die kommunale Ebene aus. 3. Gelingende Kommunalpolitik integriert die viel-
Forum B – Stefan Schostok MdL (Fraktionsvorsitzender der Nach dem vorliegenden Ergebnis (FES 2008) fältigen Sichtweisen und Bedürfnisse der Bür-
SPD im Niedersächsischen Landtag), Gabriele Lösekrug- scheint der Kern des Demokratischen, nämlich gerschaft, bezieht sie in ihren Entscheidungspro-
Möller MdB, Andrea Schröder-Ehlers MdL und der Regions- der Glaube an die Demokratie selbst, vom Virus zess ein und erzeugt über Mehrheitsbeschlüsse
präsident Hauke Jagau. des Verdrusses befallen zu sein. (Serge Emba- tragfähige Lösungen. Diese Prozesse binden Res-
cher: Demokratie! Nein danke. S.7) sourcen wie Zeit, Geld und fachliche Begleitung.
Prekäre Haushaltssituationen führen oft dazu,
Kommunen und ihre Selbstverwaltung durch Kürzungen diese Qualität zu gefährden.
1. Kommunale Selbstverwaltung gründet auf der
Mitwirkung der Bürgerschaft an den für die Ge- Bürgerschaftliches Engagement
meinschaft relevanten Entscheidungen. Konti- 1. Vielfältiges bürgerschaftliches Engagement prägt
nuität und Verbindlichkeit dieser Entscheidun- unsere Gesellschaft, fördert und stärkt sozialen
gen werden durch die Kommunalverfassung Zusammenhalt und trägt wesentlich zu hoher Le-
und weitere Rechtssetzung wie Planungsrechte bensqualität auch auf lokaler Ebene bei.
bestimmt. Gleichwohl trifft zu, dass die Akzep- 2. Waren in der Vergangenheit die Verknüpfungen
tanz kommunalpolitischer Entscheidungen zwischen ehrenamtlicher Kommunalpolitik und
6 durch bessere Information, höhere Transparenz der Arbeit in Vereinen und Verbänden häufig
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durch handelnde Personen gewährleistet, trifft stand und vor allem die Bildungselite die Mitglie-
dies heutzutage immer weiniger zu. Dies gilt derstrukturen zunehmend dominieren.«
insbesondere für bürgerschaftliche Engagierte (WZB, WZBrief Zivil-Engagement, August 2010, S.5)
in Organisationen und Projekten, die nicht in
klassische Vereins- und Verbandsstrukturen ein- Kommunalpolitik – Mitmischen erwünscht
gebunden sind. 1. Kommunen, die Wert auf hohe Akzeptanz ihrer
3. Bürgerschaftliches Engagement ist weder in al- Entscheidungen legen, binden in ihre Planungs-
len Milieus, in allen gesellschaftlichen Gruppen, und Entscheidungsprozesse die Akteure der Zi-
noch über alle Lebensalter gleich verteilt. vilgesellschaft ein.
Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung
Aktuelle Studie des Wissenschaftszentrums Berlin stärken die Qualität der politischen Entschei-
(WZB): dungen. Sie erhöhen die Qualität der Politik,
»Die Gesamtzahl von Mitgliedschaften in gesell- schaffen Akzeptanz und Transparenz, stiften
schaftlichen Organisationen lag 1991 bei 6,39 Mil- Identität, vervielfältigen Kräfte, fördern und stär-
lionen. Für 2009 zählten die Wissenschaftler 6,43 ken sozialen Zusammenhalt (vgl. Bundes-SGK,
Millionen Mitgliedschaften. Die innere Verschiebung Diskussionspapier »Demografischer Wandel
bewirkt noch eine weitere Veränderung. Während und bürgerschaftliches Engagement, Beschluss
der Akademikeranteil unter den gesellschaftlich En- des Vorstandes der Bundes-SGK vom 12. Septem-
gagierten deutlich gestiegen ist, bringen sich Arbeiter ber 2008, S. 4/5).
immer weniger ein. Auch junge Erwachsene zeigen 2. Darüber hinaus achtet gute Kommunalpolitik
etwas weniger Interesse. Der Mittelstand »und vor darauf, dass auch Interessen von Einwohnern
allem die Bildungselite« würden zunehmend in den wahrgenommen werden, die nicht durch bür-
Organisationen dominieren.« gerschaftliches Engagement eingebracht wer-
(Tagesspiegel, 20.08.2010) den. Ziel sollte darüber hinaus sein, jenen Teilen
»Zusammenfassend ist zu den Veränderungen bei der Bevölkerung zu helfen, ihre Interessen eigen-
den Mitgliederstrukturen festzuhalten: Frauen, Ju- ständig zu artikulieren.
gendliche und Arbeiter sind bei den Mitgliedern 3. Bürger/innen, die bei Planungen und Entschei-
7 weiterhin unterrepräsentiert, während der Mittel- dungen mitwirken, haben ein Recht auf seriöse
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Einbindung; dies schließt umfassende Informa- 4. Einmischen und Mitmischen ist in der Kommu-
tion und ggf. professionelle Begleitung ein. nalpolitik ausdrücklich erwünscht. Das verlangt
Bei der Realisierung von Projekten muss Veränderungen in der Arbeit von Partei und
eine mehrmalige und/oder über einen länge- Fraktion. Das verlangt Offenheit und Aufge-
ren Zeitraum andauernde Bürgerbeteiligung schlossenheit der Parteiorganisation gegenüber
sichergestellt werden – auch für die Sicherheit »Externen«. Das verlangt die Bereitschaft der
der eigenen bzw. verwaltungsseitigen Planung: Parteiorganisation, die eigenen Arbeitsformen
»Planungssicherheit entsteht, wenn man den und –abläufe neu auszurichten und den unter-
´Demos´, das Volk, die Bürger also, überzeugt; schiedlichen biografischen Lebensabschnitten
wenn man auf Kritik eingeht, die Planungen (und den damit verbundenen Interessen, Zeit-
prüft und gegebenenfalls verändert.« budgets etc.) anzupassen.
(Prantl, Heribert, Demo, Demos, Demokratie, 5. Die Niedersächsische Kommunalverfassung
SZ v. 02.10.2010, S. 4) muss darauf überprüft und ggf. verändert wer-
den, um strukturierte und verbindliche Mitwir-
kungs- und Entscheidungsrechte zu gestalten.

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Forum C

15 Thesen zu einer nachhaltigen kommunalen


Finanz- und Wirtschaftspolitik

1. Die finanziellen Folgen der globalen Finanz- Land ohne ausreichenden finanziellen Ausgleich
und Wirtschaftskrise sowie der strukturellen darf es nicht geben. Viele soziale Aufgaben – an-
Unterfinanzierung der Städte, Gemeinden und gefangen vom Ausbau der Kinderbetreuung bis
Landkreise werden 2010 vor Ort immer stärker hin zur Zahlung der Unterkunftskosten für Hartz-
spürbar. Die Mehrzahl der Kommunen ist von IV-Empfänger – sind gesamtgesellschaftliche
Handlungsunfähigkeit bedroht. Sie verliert eige- Verpflichtungen, die eine stärkere Beteiligung
ne politische Gestaltungsspielräume. Darunter von Bund und Ländern zwingend erfordern.
leiden die örtliche Demokratie und die Bereit- 5. 60% aller öffentlichen Investitionen in Deutsch-
schaft der Menschen, sich in ihrem Gemeinwe- land werden von den Kommunen getätigt. Ein
sen zu engagieren. weiterer Rückgang der kommunalen Investiti-
2. Die SPD in Niedersachsen bekennt sich zu ei- onsquote kann daher nicht ohne Auswirkungen
ner aufgabengerechten Finanzausstattung der auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland
Forum C – Bernhard Reuter (Landrat Landkreis Osterode), Städte, Gemeinden und Landkreise. Angehäufte bleiben. Zum dauerhaften Erhalt der örtlichen
Torsten Albig (Oberbürgermeister Kiel), Johanne Modder Kassenkredite in Höhe von 4,5 Milliarden bei den Infrastruktur sind stetige Investitionen in die
MdL und Dirk-Ulrich Mende (Oberbürgermeister aus Celle). kommunalen Gebietskörperschaften in Nieder- Substanz unabdingbar – und veranlassen im
sachsen dokumentieren, dass sie zurzeit nicht Falle ihres Unterbleibens mittelfristig nur Mehr-
gewährleistet ist. kosten. Wir fordern deshalb nach den guten Er-
3. Die niedersächsischen Kommunen haben in fahrungen mit dem Konjunkturpaket II die Auf-
den vergangenen Jahren ihren Beitrag zur Kon- lage eines kommunalen Investitionsprogramms
solidierung der Haushalte geleistet und leisten (Konjunkturpaket III), das ohne großen bürokra-
ihn weiterhin. Dreiviertel von ihnen können ihre tischen Aufwand die Verstärkung kommunaler
Haushalte dennoch nicht mehr ausgleichen. Die Investitionen insbesondere im Bildungsbereich
SPD lehnt es ab, das kommunale Gemeinwesen ermöglicht.
durch das Streichen der freiwilligen Leistungen 6. Auf unseren entschiedenen Widerstand stößt die
weiter zu schwächen – zumal dadurch nur in den schwarz-gelbe Klientelpolitik. Steuergeschen-
seltensten Fällen ein nachhaltiger Beitrag zur ke für Erben großer Vermögen und Hoteliers zu
Haushaltskonsolidierung erreicht werden kann. Lasten unserer Städte und Gemeinden lehnen
9 4. Eine weitere Aufgabenzuweisung von Bund und wir ab. Zur Stärkung der gesamtstaatlichen Fi-
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nanzkraft sind die Anhebung des Spitzensteu- 9. Der Einsatz finanzieller Ressourcen für kommu-
ersatzes, die Einführung der Vermögenssteuer nale Wirtschaftsförderung steht dennoch vor
sowie einer Finanztransaktionssteuer wichtige dem Hintergrund insgesamt klammer Gemein-
Beiträge. Örtliche Überlegungen zur Erhebung dekassen unter einem besonderen Ergebnis- und
kommunaler Aufwandssteuern (»Bettensteu- Rechtfertigungsdruck. Da mit ihr in aller Regel
er«) betrachten wir als nachvollziehbare Form steigende Gewerbesteuereinnahmen verbun-
kommunalrechtlicher Notwehr gegen die Steu- den sind, ist sie jedoch als zwingende Voraus-
erpolitik der Bundestagsmehrheit. setzung und nicht als wünschenswerte Folge
7. Von entscheidender Bedeutung ist die Verbreite- geordneter Kommunalfinanzen zu begreifen.
rung und Verstetigung der kommunalen Einnah- 10. Die Entwicklung der Kommunalverwaltung von
men.Wir bekennen uns deshalb uneingeschränkt einer reagierenden Bürokratiestelle hin zu einem
zum Erhalt und zum Ausbau der Gewerbesteuer Initiator und Moderator örtlicher wirtschaftli-
im Sinne einer Gemeindewirtschaftssteuer. Den cher Entwicklungsprozesse in den vergangenen
Kreis der Steuerpflichtigen wollen wir durch die Jahren wird von uns anerkannt und weiterhin
Einbeziehung der Freiberufler verbreitern. Trotz gefördert. Wir begrüßen es, dass mittlerweile die
der langjährigen Diskussion liegt bis heute kein große Mehrzahl der niedersächsischen Kommu-
Entwurf eines Steuermodells vor, das alternativ nen über eigene Ämter für Wirtschaftsförderung
zur Gewerbesteuer als Band zwischen der ört- verfügen oder entsprechende privatrechtliche
lichen Wirtschaft und den Kommunen dienen Fördergesellschaften gegründet haben. Dieser
könnte. Eine steuerliche Lastenverschiebung von Weg muss weiterhin beschritten werden.
den Unternehmen hin zu den Bürgerinnen und 11. Im Mittelpunkt einer nachhaltigen kommuna-
Bürgern lehnen wir ab. len Wirtschaftspolitik hat nach unserem Ver-
8. Voraussetzung für die nachhaltige Erzielung ständnis die kontinuierliche Bestandspflege der
von Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind ortsansässigen – und hier insbesondere der klei-
wettbewerbsfähige Unternehmen vor Ort. In nen und mittleren – Unternehmen zu stehen.
unseren Augen ist die lokale und regionale Wirt- Sie muss ergänzt werden durch intensive Bemü-
schaftsförderung daher als kommunale Pflicht- hungen zur Existenzgründung und Unterneh-
10 aufgabe zu begreifen. mensansiedlung.
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12. Im Rahmen der Regionalisierung und Europäi- lich. Ihre Tätigkeit darf nicht durch weitere Belas-
sierung der Wirtschaftsmärkte kommt dabei der tungen erschwert werden. Die Landesbank ist als
interkommunalen Zusammenarbeit und den Partner der Sparkassen vor Ort zu erhalten, muss
Metropolregionen eine wachsende Bedeutung sich aber auf diese Funktion konzentrieren.
zu. Kommunale Wirtschaftsförderung wird nur 15. Kommunale und regionale Wirtschaftsförde-
dann erfolgreich sein, wenn sie in regionales und rung hat die Aufgabe, die Grundpfeiler für einen
landesweites Handeln eingebunden ist. attraktiven Lebens- und Wirtschaftsstandort zu
13. Zur Stärkung der kommunalen Wirtschaftskraft verbinden. Ökonomische Kompetenz, örtliche
fordern wir eine landesweite Innovationsoffensi- Infrastruktur und Lebensqualität sowie die Qua-
ve, die lokale und regionale Netzwerke zwischen lifikation der Menschen sind einzelne Teile eines
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Ganzen. Die früher als weiche Faktoren bezeich-
Hochschulen fördert. Hier ist die Landesregie- neten Bereiche Kultur, Freizeit, Bildungsangebo-
rung als Impulsgeber in der politischen Verant- te und Wohnen haben sich beim »Kampf um die
wortung. Köpfe« längst als harte Standortfaktoren her-
14. Von besonderer Bedeutung ist die ausreichende ausgestellt. Ein ganzheitlicher Ansatz von Wirt-
Kreditversorgung der Unternehmen in Nieder- schaftsförderung muss dies verinnerlichen.
sachsen. Dazu sind starke Sparkassen erforder-

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Forum D

»Soziale Stadtentwicklung, Familie, Bildung


und Kultur für alle«

Teilhabe bedeutet, dass jedes Mitglied der Gesell- Teilhabe in der Bildung
schaft sich so verwirklichen kann, wie es seinen in- Teilhabe an Bildung ist die eine Perspektive, die an-
dividuellen Fähigkeiten und Lebensentwürfen ent- dere ist, dass Bildung selbst individuelle Teilhabe-
spricht. Dies gilt für alle Lebensbereiche, bei Bildung chancen erhöht. Die Bedeutung von Bildung für die
und Ausbildung, Familie, Erwerbsarbeit ebenso wie Teilhabechancen ist heute größer denn je. Je stärker
bei Kultur und sozialem Engagement. Arbeit an Wissen gekoppelt ist und Wissen wieder-
Für die Debatte im Forum »Soziale Stadtent- um schnellem Wandel unterworfen ist, desto grö-
wicklung, Familie, Bildung und Kultur für alle« be- ßer ist auch die Notwendigkeit, Bildung und Fähig-
deutet dies vor allen die Debatte folgender Fragen: keiten zum Lernen zu vermitteln.
— Was bedeutet Teilhabe in der Bildungspolitik? Wichtige Maßstäbe zur Bewertung der sozia-
— Wie kann Teilhabe am Arbeitsleben und am Le- len Inklusivität oder Exklusivität einer Gesellschaft
ben in der Gesellschaft erreicht und soziale Aus- sind die Chancenausgleichsfunktion des Bildungs-
Forum D – Franz Einhaus (Landrat Landkreis Peine), grenzung vermieden werden? systems, das Maß der Teilhabe an der Erwerbsarbeit
Dagmar Schlapeit-Beck (Sozial- und Kulturdezernentin der — Wie können Kinder und Jugendliche durch kultu- von Männern und Frauen, die Vermeidung von Ar-
Stadt Göttingen), Daniela Berens MdL, Ulrich Markurth relle und soziale Angebote gestärkt werden? mut, insbesondere von Kinderarmut, sowie die Ein-
(Sozialdezernent der Stadt Braunschweig und Frauke — Wie können Entscheidungsspielräume für Bür- kommensgleichheit.
Heiligenstadt MdL. ger geschaffen und in der Gestaltung der Städte, Um teilhabefördernde Maßnahmen ergrei-
Gemeinden oder des Landkreises einfließen? fen und durchsetzen zu können, muss man wissen,
welche Barrieren Teilhabe aktuell verhindern. Die
Handlungsperspektiven der Politik beginnen mit
der Analyse und dem Wissen darüber, was den Teil-
habewünschen im Weg steht. Für die Bildungspoli-
tik bedeutet das daher: zur Verbesserung von Teil-
habe in der Bildung müssen Bildungsbarrieren und
Diskriminierungen im Bildungssystem abgebaut
werden.

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Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Konkret bedeutet das: Unterstützungssysteme/-zentren für Familien)


— Abbau der Abhängigkeit des Bildungserfolges — Möglichst langes wohnortnahes gemeinsames
vom Einkommensstatus bzw. sozialem Status Lernen aller Kinder und Jugendlichen
— Abbau der Diskriminierungen im Bildungsbe- — Entwicklungsprozess zur inklusiven Schule; (die
reich für Migrantinnen und Migranten und Men- Rolle der Förderschule muss geklärt werden)
schen mit Behinderungen.
— Abbau der hohen Selektivität des Bildungssys- Teilhabe durch Kultur- und Sozialpolitik
tems und Ermöglichen möglichst langen ge- Die Bekämpfung der Kinderarmut ist vorrangiges
meinsamen Lernens kommunalpolitisches Ziel. In den Großstädten lebt
heute bis zu jedes 4. Kind unter Armutsbedingun-
Folgende Maßnahmen sind daher wichtig: gen, ihre Eltern erhalten staatliche Transferleistun-
— Kostenloser Zugang zu allen Bildungseinrichtun- gen. Die Ursachen der Kinderarmut zu beheben,
gen, dazu gehören auch Einrichtungen der früh- wie die Überwindung der Arbeitslosigkeit, die Ein-
kindlichen Bildung (dazu gehört auch Lernmit- führung von Mindestlöhnen, die Verbesserung der
telfreiheit und kostenlose Schülerbeförderung) sozialen Absicherung von Alleinerziehenden, die
— Quantitativer und qualitativer Ausbau von Kin- Vermeidung von benachteiligenden Wohnquar-
dertageseinrichtungen und deren Weiterent- tieren, die Überwindung des sozial selektiven drei-
wicklung zu Familienzentren gliedrigen Schulsystems oder die Integration von
— Vorhalten öffentlicher Bildungseinrichtungen Familien mit Migrationshintergrund kann nicht
anstatt des Ausbaus privater Einrichtungen alleine kommunalpolitisch gelöst werden, sondern
— Einrichten von vollständig ausgestatteten ver- ist eine gemeinsame Aufgabe aller staatlicher und
pflichtenden Ganztagsschulen für alle Schulfor- gesellschaftlicher Instanzen.
men Die Stärkung der Entwicklungschancen aller
— Rahmenbedingungen für die individuel- Kinder und Jugendlichen heißt, auch die Kinder aus
le Förderung jedes Kindes und Jugendlichen benachteiligten Familien optimal zu fördern. Denn
schaffen (kleinere Klassen, mehr Zeit zum Ler- Kinder sind unsere Zukunft!
nen, Verbesserung der Sozialarbeit an allen
13 Schulen durch Fachkräfte, Beratungs- und
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Bildung von Anfang an bedeutet: — Einführung eines flächendeckenden Ganztags-


— ein bedarfsgerechtes Krippenangebot für Kinder schulangebotes in allen Schulformen von der
unter 3 Jahren. Der ab 2012 geplante Rechtsan- Grundschule an. Gerade durch die gemeinsame
spruch ist bisher eine Mogelpackung, da der Bund Mahlzeit, gemeinsame Sport und Kulturangebo-
nur Mittel für 33 % der Kinder unter 3 Jahren zur te am Nachmittag und betreute Hausaufgaben
Verfügung stellen will und etwa eine Betreuung erhalten alle Kinder eine optimale Förderung ih-
der Kinder unter einem Jahr nicht einplant. Die rer Potenziale.
Kommunen sind angesichts der Haushaltslage — Kein Kind darf die Schule ohne Schulabschluss
jedoch nicht in der Lage, die vollen Kosten einer verlassen! Für dieses Ziel ist das Land Nieder-
bedarfsgerechten Kinderbetreuung von Anfang sachsen verantwortlich. Schwächere Kinder oder
an alleine zu tragen. Göttingen besitzt bereits Schulverweigerer sind durch geeignete Förder-
heute eine Krippenversorgung von 43% und be- angebote wieder an die Regelschule heranzufüh-
Sozialpolitiker Uwe Schwarz MdL. nötigt für den Rechtsanspruch voraussichtlich ren. Die niedersächsischen Kommunen haben
eine Versorgung von 66%. hier durch eigene Modelle, wie z.B. die Produkti-
— Bedarfsgerechte Kinderbetreuungsangebote min- onsschule in Göttingen als Ast der Hauptschule,
destens als 3/4-Tag mit Mittagessen und in der einen Weg gefunden, wie junge Schulabstinenz-
Regel als Ganztagsangebot. Dazu flexible Betreu- ler ab bereits 12 Jahren wieder erfolgreich an den
ungsangebote auch mit verlängerten Öffnungs- Schulbesuch und zu einem Abschluss herange-
zeiten, ggf. auch am Wochenende führt werden können.
— Ausreichende Sprachförderung für Vorschul- — Kostenloser Zugang zu Museen und kostenlose
und Grundschulkinder Nutzung der Stadtbibliothek für Kinder und Ju-
— Kostenloses und gemeinsames Mittagessen an gendliche sowie niederschwellige und dezentra-
der Ganztagsschule als pädagogisches Pflichtan- le Angebote der Leseförderung
gebot unter Begleitung der Lehrkräfte. Fakultati- — Keine Schließung von Stadtteilbibliotheken im
ve Angebote werden nach bisheriger Erfahrung Rahmen der Haushaltssicherung, es darf keine
wiederum von den benachteiligten Kindern sel- Barriere zwischen Kind und Buch geben, das Le-
tener wahrgenommen. sen ist die Grundlage jeglicher Bildung
14 — Kostenlose Mitgliedschaft in einem Sportverein
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– wird jetzt über das Teilhabepaket im SGB II und — Offene und gemeinsame Ferienbetreuungsan-
für Familien mit Kinderzuschlag gewährt gebote
— Kostenlose Musikalische Frühförderung — Intergenerative Gemeinschaftseinrichtungen in
— Rücknahme der Landeskürzung im Rahmen des den Stadtteilen, wie z.B. Nachbarschaftszentren
Nds. Erwachsenenbildungsgesetzes für nach- — Kultureinrichtungen erhalten den Auftrag, Be-
holende Haupt- und Realschulabschlusskurse sucher/innen mit Migrationshintergrund durch
an den Volkshochschulen, denn nur mit Schul- Weiterentwicklung ihrer Angebote anzuspre-
abschluss erhalten Jugendliche auch auf dem 2. chen (z.B. mehrsprachige Produktionen, Angebo-
Bildungsweg einen Ausbildungsplatz te in den Stadtteilen).
— Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an
Planungsprozessen, Spiel- und Bolzplätze, Frei- Teilhabe bei politischen Entscheidungen durch
raumplanung, Programme der »Sozialen Stadt« Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements
— Förderung der Profilbildung im örtlichen Kinder- Schon jetzt sind die Möglichkeiten, den Bürger in
tagesstättenangebot (z. B. Kitas mit Musik- oder Entscheidungsprozesse einzubinden, vielfältig. Das
Kunstschwerpunkt in Kooperation mit Kultur- Interesse an politischen Entscheidungen befindet
einrichtungen, bilinguale Kindertagesstätten, sich in einer kritischen Phase (vor allen Dingen,
Sport-, Wald-, Wissenschaftsschwerpunkte) wenn keine unmittelbare Betroffenheit gesehen
— Weiterentwicklung von Kitas in Familienzentren, wird). Die Anreize, sich an kommunalpolitischen
mit niederschwelligen Angeboten für die Eltern Aktivitäten zu beteiligen, sind gegenwärtig gering
über Sprachförderung, Kulturdolmetscher, Ge- (unpopuläre Entscheidungszwänge in finanzieller
sundheitsförderung, Hauswirtschaft, gemeinsa- Notlage). Die gestiegene Komplexität, Ansprüche
me Freizeiten etc. der kommunalen Aufgaben stoßen an die Grenzen
— Vernetzte Beratungs- und Serviceangebote für des Ehrenamtes.
Alleinerziehende mit Hilfen aus einer Hand, Al- In der Öffentlichkeit fehlt es häufig am Ver-
leinerziehende realisieren ihre Sozialleistungs- ständnis der Abgrenzung der Kompetenzen zwi-
ansprüche aus Zeitgründen oft nicht in vollem schen Legislative und Exekutive (Bund – Land) und
Umfang weiterer kommunaler Ebenen (kreisfreie Stadt/
15 Landkreis – Gemeinde – Stadtrat / Ortsrat).
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Vor diesem Hintergrund bedeutet die Verbesserung — Elemente der sog. Neuen Steuerungselemente
von Perspektiven der bürgerschaftlichen Teilhabe: könnten in Teilen auf die Zusammenarbeit mit
— Generell hängt der Anreiz bzw. der Spielraum, Verbänden / Vereinen und Institutionen / Netz-
Bürger einbinden zu können, von den gesetzli- werke übertragen werden (Zielvereinbarung,
chen und finanziellen Gestaltungsmöglichkei- Controlling, Evaluation)
ten der kommunalen Selbstverwaltung ab. Sie — Die Meinungsbildung in den Fraktionen sollte
sind insofern auszubauen. stärker mit der parteipolitischen Arbeit synchro-
— Eine Erhöhung der Transparenz der kommuna- nisiert werden.
len Aufgaben ist notwendig, z.B. durch verein- — Die Vereinbarkeit von Beruf und Eltern mit Kindern
fachte Darstellungen der kommunalen Haus- mit und politischem Engagement und Ehrenamt
halte (Bürgerhaushalt). Die Informationspolitik muss erhöht werden. Die Anerkennungskultur des
der Verwaltungen hat sich auf geändertes Kon- politischen Engagements ist gezielt zu fördern.
Das Programm des diesjährigen Kommunalkongresses. sumverhalten bzw. auf differenzierte Informati- — Bürgerbeteiligung und die Verantwortung des
onsverarbeitung der Bürger/innen einzustellen kommunalpolitischen Ehrenamtes müssen aus-
(Zielgruppenerweiterung). Die modernen IT- balanciert sein: Keine unangemessene Rückdele-
Möglichkeiten könnten stärker einbezogen wer- gation von Verantwortung durch die gewählten
den (Foren, Kommunale Newsletter, etc.) Vertreter.
— Bei fachlichen Entwicklungsplänen könnte die
Bürgerbeteiligung noch stärker verankert, alter- Gute Erwerbsarbeit ist neben Bildung der wichtigs-
native Zugangsformen sollten überprüft wer- te Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe. Sie muss
den. menschenwürdig sein und ein selbstbestimmtes
— Niederschwellige Angebote schaffen (Zukunfts- Leben ermöglichen. Arbeitsstätten sind aber auch
werkstatt, Workshops, »Open-Space«-Veranstal- Erfahrungsorte sozialer Nähe, Solidarität und eige-
tungen) ner Fähigkeiten.
— Die Bedeutung der kommunalen Selbstverwal- Langzeitarbeitslosigkeit ist daher Ausschluss
tung muss stärker im Schulunterricht vermittelt aus und von derartigen Lebensräumen, die wesent-
und erlebbar gemacht werden. lich zur Emanzipation des Einzelnen und dem Fort-
16 schritt einer Gesellschaft beitragen.
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

(Erwerbs-)Arbeit ist insbesondere im Bereich sozia- Perspektiven für Langzeitarbeitslose mit besonde-
ler Dienstleistungen vorhanden, ausbau-fähig und ren Vermittlungshemmnissen
notwendig und trägt auch zur Wertschöpfung bei. Ein großer Teil der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
Sie zu entwickeln und zu fördern ist eben auch eine ist auch heute ohne Chancen auf den regulären
kommunale Aufgabe. sogenannten 1. Arbeitsmarkt und voraussichtlich
Eine inklusive Gesellschaft ist nur zu errei- dauerhaft auf Fürsorgeleistungen angewiesen. Die
chen, wenn eine umfassende Teilhabe am Arbeits- bestehenden Arbeitsmarktinstrumente, die aus-
leben für alle möglich ist. schließlich auf eine Integration in den 1. Arbeits-
markt setzen, helfen hier nicht weiter.
Kommunale Dienstleistungen werden auch in Zu- Aber auch für diese Menschen muss es dar-
kunft eine Schlüsselrolle für eine nachhaltige Be- um gehen, ihre individuellen Kenntnisse und Fähig-
kämpfung der Arbeitslosigkeit behalten. Zurzeit keiten für eine selbstbestimmte Teilhabe am gesell-
übernimmt die Kommune daher folgende Funktio- schaftlichen und ökonomischen Leben nutzbar zu
nen: machen. Dies kann nur in Verbindung mit der Er-
— Kommune als Arbeitgeberin schließung neuer Beschäftigungsfelder gelingen.
— Kommune als Investorin Hierbei können kommunale Träger der Grund-
— Kommune als Politikgestalterin sicherung echten Einfluss auf die Gestaltung eines
— Kommune als Vermittlerin zwischen Menschen, lokal organisierten Arbeitsmarktes nehmen und ihr
sozialen Organisationen und Wirtschaft Wissen über die örtlichen Verhältnisse, die Träger-
In Zukunft wird es stärker darum gehen, die Vernet- strukturen und die betroffenen Menschen einbrin-
zung und Verzahnung arbeitsmarktrelevanter Po- gen. Einsatzbereiche könnten sowohl Unterneh-
litikfelder und Dienstleistungen voran zu bringen. men des 1. Arbeitsmarktes sein, aber auch soziale
Dies führt zu Schnittmengen lokaler Sozialpolitik Betriebe oder Integrationsunternehmen.
und regionaler Wirtschafts- und Strukturpolitik. Ein derart kommunal verantworteter »2. oder
3. Arbeitsmarkt« sollte nicht nur so konzipiert sein,
dass er auf Beschäftigung (ob zusätzlich oder nicht)
bzw. Arbeitsfähigkeit ausgerichtet ist: Vor dem Hinter-
17 grund, dass die sog. »Sockelarbeitslosigkeit« ein ganz
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

spezielles Problem für die Kommunen darstellt, geht Integration von Migranten
die Zielsetzung über die alleinige Integration in den 1. Die Integration von Migranten in das allgemeine
Arbeitsmarkt hinaus. Für diesen Personenkreis sollte Leben und in den Arbeitsmarkt ist eine der wich-
in kommunaler Verantwortung (mit Unterstützung tigsten Aufgaben einer Kommune. Es werden inno-
vom Bund) ein »sozialer Arbeitsmarkt« geschaffen vative Angebote von der allgemeinen Sprachförde-
werden, der zunächst einmal Teilhabe ermöglicht, rung beginnend in den Kindertagesstätten bis hin
Isolation aufhebt, Tagesstruktur bietet. Dafür müssen zur verstärkten Förderung in den Schulen sowie im
Orte geschaffen werden für Begegnung, Informati- Übergang von Schule und Beruf unterbreitet. Dar-
on, Beratung, Bildung und Gesundheitsvorsorge. In über hinaus werden insbesondere auch Frauen, die
Braunschweig und Hannover laufen derzeit solche häufig isoliert in den Familien leben, mit beson-
Programme für über 50jährige mit großem Zuspruch deren Angeboten angesprochen. In Braunschweig
und Erfolg. In Braunschweig wird darüber hinaus wurde speziell ein Büro für Migrationsfragen ein-
ebenso wie in Augsburg modellhaft Langzeitarbeits- gerichtet, das u. a. im Rahmen von Förderprogram-
losen der kostenlose Zugang zu speziellen Kursen der men innovative Maßnahmen und Angebote sozial-
Volkshochschulen ermöglicht. Bisher mit sehr positi- raumorientiert initiiert.
ver Resonanz.

Für Jugendliche und junge Erwachsene wäre dage-


gen ein 2. Arbeitsmarkt weniger förderlich. Hier ist
Zielstellung, spätere Teilhabe am Arbeitsleben mit
präventiven Maßnahmen vorzubereiten und den
Übergang zwischen Schule und Beruf besser zu
organisieren und zu begleiten. Dazu gehören Be-
rufsorientierung (in Braunschweig unterstützt aus
Mitteln der Jugendförderung), Berufseinstiegsbe-
gleitung und Ausbildungsmanagement. Hier könn-
ten z. B. die Kommunen ihre Wirtschaftsförderung
18 stärker in die Verantwortung nehmen.
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Rede

Gabriele Lösekrug-Möller MdB

Einen wunderschönen Guten Morgen von dieser Stel- demokraten vollkommen klar ist, dass eine gute Poli-
le. Ich schaue in diesen Saal und sehe lauter frohge- tik und eine erfolgreiche Entwicklung unseres Landes
stimmte, erwartungsvolle Gesichter. Das ist auch gut nicht exklusiv zu haben ist. Für uns gehören alle dazu.
so, denn wenn die SPD einen Kongress veranstaltet Jung und alt, Mann und Frau, Inländer und Ausländer.
- und insbesondere den Kommunalkongress II - ist es Die Stammtischluft, die wir bisher immer nur
berechtigt hohe Erwartungen zu haben, die wir heute an speziellen Orten vermutet haben, ist leider auch
auch erfüllen werden. Also, herzlich Willkommen in in die Wohnzimmer der gesellschaftlichen Mitte ein-
Hannover zum zweiten Kommunalkongress der SPD. gezogen. Wir haben eine Studie der Friedrich-Ebert-
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Besu- Stiftung, die uns dies ganz genau belegt. Das muss für
cher, liebe Gäste, meine Damen und Herren, mit 700 uns doppelt Anlass sein zu sagen, Schluss mit dieser
Teilnehmern ist dieser Kongress ein starker Beleg da- Vorstellung von »wir haben das richtige Leben, wir
für, wie wichtig der SPD eine gute Politik für Städte, haben die richtige Abstammung und wir haben den
Gabriele Lösekrug-Möller MdB eröffnet den Kommunal- Landkreise und Gemeinden ist. Wir veranstalten zum richtige Pass in der Tasche«. Wir sagen – und das kann
kongress. zweiten Mal als SPD in Niedersachsen einen solchen ich als Hamelnerin ganz besonders gut – wir gehen
Kommunalkongress und wir sehen, es ist die ent- nicht auf den Leim von solchen Rattenfängern. Das ist
scheidende Veranstaltung für Kommunalpolitik in nicht die Politik, die wir für richtig halten.
Niedersachsen überhaupt. Es gibt keine vergleichbare Wir sagen, Zusammenhalt geht anders. Das
Veranstaltung Anderer. Wir sind die, die der Kommu- betrifft das Miteinander der Generationen, das be-
nalpolitik den richtigen Ort und einen guten Platz ge- trifft die Geschlechtergerechtigkeit, ja, und das betrifft
ben und ich denke, darauf können wir alle miteinan- auch gute Integrations- und Inklusionspolitik. All diese
der Stolz sein. Politik fällt nicht vom Himmel, wie jetzt im Herbst die
Meine Damen und Herren, liebe Genossinnen Blätter von den Bäumen, ohne jedes Zutun. Nein, es
und Genossen, wir haben zum Thema Integration viel ist harte Arbeit, es ist große Anstrengung, diese poli-
gehört in den letzten Tagen, von Sarrazin, von Seeho- tischen Ziele Wirklichkeit werden zu lassen. Da tut Bil-
fer, von Wulff. Wir haben auch schon eine Menge dazu dung not, da ist Information erforderlich, da ist Über-
gesagt, in Talkshows und öffentlichen Stellungnah- zeugungsarbeit angesagt und das alles ist bei der SPD
men, aber ich finde auch hier ist der Ort, dazu Stellung zu Hause. Wir sagen schon im Hamburger Programm:
19 zu nehmen, weil für Sozialdemokratinnen und Sozial- »Für die Gleichberechtigung und Selbstbestimmung
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

aller Menschen unabhängig von Herkunft und Ge- von mir zu bestellen. Sigmar Gabriel, unser Parteivor-
schlecht, frei von Armut, Ausbeutung und Angst tre- sitzender, wäre wirklich gerne hier gewesen, denn er
ten wir ein«, auch auf kommunaler Ebene. hat Gewichtiges zu sagen zum Profil der SPD und den
Gerade in einer Zeit, in der viele über Fachkräf- Themen, die im Augenblick die Medien und auch den
tebedarf reden, in der sich viele Sorgen machen über politischen Alltag bestimmen. Er ist aber an anderer
die demographische Entwicklung, muss doch klar Stelle gefordert. Ich habe ihm gesagt, pass auf, ich rich-
sein, dass wir miteinander nur erfolgreich sein kön- te Grüße aus, und du kannst sicher sein, wir schaffen
nen, wenn es uns gelingt alle mitzunehmen - Mig- das heute auch gut ohne dich.
ranten, In- und Ausländer, Männer und Frauen, jung Umso mehr freue ich mich, dass nach meiner
und alt. Ich denke, das heißt für die praktische Politik: kleinen Einleitung Stephan Weil zu uns sprechen wird,
Bildungsmöglichkeiten, Betreuungsangebote, gleiche den ich hiermit auch schon einmal ganz herzlich be-
Entlohnung, gute medizinische Versorgung und qua- grüße als den Oberbürgermeister der Stadt, in der wir
Gabriele Lösekrug-Möller MdB im Gespräch. lifizierte Pflege müssen Wirklichkeit werden. Aber wir heute zu Gast sind. Und wir haben anschließend das
bekommen das nur hin, wenn wir auf jeder politischen Vergnügen, unseren Vorsitzenden der SPD in Nieder-
Ebene, angefangen in Europa, über die Bundesebene, sachsen zu hören, den Landtagsabgeordneten Olaf
im Land Niedersachsen und in unseren Städten und Lies. Auch dir sage ich: Schön, dass du da bist. Herzlich
Gemeinden die richtige, engagierte und kluge Politik Willkommen.
machen. Eine solche Politik ist in der SPD zu Hause Und es geht dann weiter mit der hier zahlreich
und daran wollen wir heute miteinander ein Stück vertretenden kommunalen Prominenz, die ja nicht
weiterarbeiten. nur prominent ist, sondern die an ihrem Mandat nicht
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen gerade leicht zu tragen hat. Einer, der das ganz beson-
und Kollegen, liebe Genossinnen und Genossen, es ders hervorragend macht, ist der Präsident der Region
gibt einen, den hätte ich gerne eingeschlossen in die- Hannover, Hauke Jagau.
se Begrüßung, den ich leider nicht begrüßen kann Er Kommunale Spitzenverbände und Landes-SGK
hat mir aber aufgetragen, umgekehrt euch Grüße zu sind ebenfalls unter uns und ich würde euch gerne
bestellen. Er hat zu mir gesagt, Gabriele, du bist dafür im Block begrüßen: Uli Mägde, den Vorsitzenden des
prädestiniert. Lass den letzten Buchstaben von dei- niedersächsischen Städtetages, Bernhard Reuter, den
20 nem Vornamen weg und dann schaffst du das, Grüße ersten Vorsitzenden des niedersächsischen Landkreis-
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

tages, Berthold Ernst, Beigeordneter beim niedersäch- wisst, wir wollen dann richtig in Foren arbeiten, zu de-
sischen Städte- und Gemeindebund, Franz Einhaus, nen ihr alle eingeladen seid.
Landesvorsitzender der SGK. Schön, dass ihr da seid. Lasst mich abschließend noch eine Solidari-
Ihr werdet euch einmischen, da bin ich mir sicher. tätsadresse los werden: Oftmals ist es so, dass gerade
Und dann haben wir einen, dem drücken wir die samstags viele wichtige Termine gleichzeitig stattfin-
Daumen, der kann heute aber nicht hier sein. Das ist den. Deshalb will ich auf eine Veranstaltung hinwei-
Jörg Pfarr, den werden noch nicht alle von euch ken- sen, bei der viele von uns heute sein werden, einige
nen. Aber ich bin sicher, ab morgen werdet ihr alle noch hingehen und sie verdient insbesondere eine
wissen, wer das ist. Das wird der sein, der mit unserer Gruß- und Solidaritätsadresse. Ich spreche über eine
Unterstützung neuer Landrat im Landkreis Schaum- Veranstaltung, die in Hannover am Nachmittag statt-
burg wird. Er hat unsere Unterstützung und von hier finden wird. Die Sozialverbände, bürgerschaftliches
die besten Wünsche. Engagement, hat eingeladen, um aufmerksam zu ma-
Wer ist noch dabei und verdient es, mehr als chen auf die unhaltbare Abschiebepraxis dieser Lan-
begrüßt zu werden? Das ist der Fraktionsvorsitzende desregierung. Diese Landesregierung parliert als Sozi-
der niedersächsischen SPD-Landtagsfraktion, Stefan alministerin mit denen, die für uns dazugehören und
Schostok. Und Genossinnen und Genossen, Kollegin- Herr Schünemann erledigt dann die Drecksarbeit und
nen und Kollegen, lasst euch nichts vormachen. Unser schiebt sie alle ab. Dagegen müssen wir aufstehen.
Verhältnis zu den Gewerkschaften ist manchmal ei- Das tut das Bündnis heute Nachmittag. Achtet darauf,
nes wie in einer guten Familie: Wir wissen, wir gehö- wie wir mit Roma in unserer Gesellschaft umgehen.
ren zueinander, wir mögen uns - ich will nicht sagen, Wir haben nicht nur eine historische Verantwortung,
wir lieben uns - aber manchmal sind wir auch nicht ei- wir schauen auf Frankreich und sehen, was da pas-
ner Meinung. Das ist gut so, weil uns das voran bringt. siert. Es kann nicht sein, dass wir in diesem Punkt fran-
Ich freu mich ganz besonders Ralf Becker begrüßen zu zösische Verhältnisse in Niedersachen einführen. Und
können, er ist Landesbezirksleiter Nord der IBGCE. deshalb gilt der Veranstaltung heute Nachmittag und
Damit bin ich mit meiner kleinen Einleitung und insbesondere allen, die von Abschiebung betroffen
Begrüßung schon fertig. Ich habe schon angekündigt, sind, obwohl sie zu uns gehören, unsere Solidarität. So
wir werden als nächstes Stephan Weil hören. Wir ha- will ich schließen.
21 ben dann mit Olaf Lies den nächsten Redner und ihr
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Rede

Stephan Weil, Oberbürgermeister


der Landeshauptstadt Hannover

Ich sehe hier viele Kommunalpolitiker aus den un- nicht weniger verlangt als noch vor wenigen Jahren,
terschiedlichsten Städten, Gemeinden, Landkreisen. sondern deutlich mehr, vor allem - was sich immer
Eines wird wirklich völlig klar bei diesem schönen mehr als Schlüsselaufgabe der Gesellschaftspolitik
Bild: das eigentliche Fundament der niedersächsi- herauskristallisiert - beim Thema Bildung. Wenn in
schen SPD, das ist und bleibt die Kommunalpolitik, nächtlichen Sitzungen in Berlin das Recht auf einen
das sind die Kommunalpolitikerinnen und die Kom- Krippenplatz beschlossen wird, dann ist das gesell-
munalpolitiker. Deshalb ist es eine kluge und weise schaftspolitisch absolut richtig. Aber wer setzt es
Entscheidung unseres Landesverbandes, einmal im denn um? Doch nicht die von der Leyens dieser Welt,
Jahr die Kommunen, die Kommunalpolitikerinnen sondern wir in den Städten, Gemeinden und Kreisen.
und Kommunalpolitiker zusammen zu holen. Das ist Und dies ist, das wissen hier alle im Saal, ein ganz,
auch notwendig, denn für mich wird immer klarer: ganz dickes Brett, an dem hier zu bohren ist.
Wir in den Kommunen und wir in der SPD, wir brau- Dasselbe gilt auch für ein zweites Thema, das
Stephan Weil, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt chen uns gegenseitig, wir sind dringend aufeinander sicher heute noch besprochen wird. Jetzt schlägt die
Hannover. angewiesen. niedersächsische Landesregierung einen Schulfrie-
Die SPD braucht die Kommunen, denn bei un- den vor. Ich finde schon diese Wortwahl verräterisch.
serem Leitbild, dem vorsorgenden Sozialstaat, geht Ich kenne nämlich keine Bürgermeisterin, keinen Bür-
es gar nicht ohne starke und handlungsfähige Kom- germeister, die oder der sich als im Schulkrieg befind-
munen. Umgekehrt brauchen wir als »Kommuna- lich fühlt. Ich kenne allerdings viele, die hochgradig
los« eine starke politische Partei, die an unserer Seite unzufrieden mit der niedersächsischen Schulpolitik
steht. Dafür muss immer der allererste Ansprechpart- sind. Und wenn jetzt dieselbe Landesregierung, die
ner die SPD sein. Also: Wir brauchen uns gegenseitig für diese Schulpolitik verantwortlich ist, den Schul-
und deshalb ist diese Veranstaltung goldrichtig. frieden anbietet, dann sage ich – frei nach Bertha von
Das gilt natürlich auch gerade, wenn man Suttner »die Waffen nieder«. Lasst uns doch erst mal
auf die aktuelle Situation blickt. Hier sitzen doch ganz in Ruhe über die Probleme reden. Vor uns liegt
viele aus der werktätigen Klasse der deutschen Po- der Vorschlag einer Oberschule. Wenn ich das recht
litik, also der Kommunalpolitik, und wir werden mit verstanden habe, wird damit nach der Hauptschule,
immer größeren Anforderungen konfrontiert. Von der Realschule, dem Gymnasium, der IGS, der KGS, der
22 uns in den Städten, Gemeinden und Kreisen wird HRS, der Förderschule die achte Schulform im Sek.-I-
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Bereich angeboten. Das mag ja Sinn machen, aber Städte und Gemeinden, die die Leute vor Ort tatsäch-
eines ist klar: Schulformen sind kein Selbstzweck, lich zusammen bringen. Das ist das Entscheidende.
sondern sie müssen dazu dienen, dass Kinder die Und mit der Handlungsfähigkeit ist das so eine
bestmögliche Förderung erfahren. Ich bin auch da- Sache. Da können viele von uns hier ein langes Klage-
für, dass endlich der Streit in der niedersächsischen lied singen. Viele Städte und Gemeinden in Nieder-
Schulpolitik aufhört. Doch das wird nur dann gelin- sachsen stehen buchstäblich vor einem finanzpoli-
gen, wenn alle Schulformen den Schulträgern vor Ort tischen Scherbenhaufen. Über fünf Milliarden Euro,
zur Verfügung stehen, damit diejenige Schulform eine unglaubliche Zahl, haben wir mittlerweile in
eingesetzt werden kann, die für die Situation vor Ort Niedersachsen an Kassenkrediten aufgehäuft. Ein
am besten geeignet ist. Das ist der springende Punkt regelrechtes Finanzdesaster. Darüber muss man sich
des Ganzen. Aber wenn irgendjemand glauben soll- im Klaren sein. Das ist nicht nur etwas, was gegen
te, das Angebot einer Oberschule würde ausreichen, die »Handwerker-Ehre von Stadtkämmerern« geht,
um die Diskriminierungspolitik gegenüber Gesamt- sondern die Handlungsunfähigkeit von Kommunen
schulen fortzusetzen, dann muss ich nur sagen: mit führt zu schweren Kollateralschäden in unserer Ge-
mir nicht, mit uns nicht. sellschaft. Nicht morgen, aber in fünf, in zehn, 15 und
Wir haben viele Anforderungen in den Kommu- in 20 Jahren.
nen. Was haben wir in den letzen Wochen und Mo- Es muss Schluss damit sein damit, dass unsere
naten nicht alles über Integration gehört, die ganzen Einnahmekraft immer weiter ausgehöhlt wird. Wir
»Sarrazinaden« und was danach gekommen ist. Ich können ja einmal, um die Stimmung hier ein wenig
glaube, euch geht es so wie mir, die Kommunalpoli- aufzulockern, ein kleines Vormittagsquiz spielen. Was
tiker und die Kommunalpolitikerinnen haben keine meint ihr, wie viele Gesetze sind in Berlin in den letz-
neuen Erkenntnisse aus dieser Debatte ziehen kön- ten drei Jahren mit finanziell negativen Auswirkungen
nen. Warum? Weil wir täglich mit diesem Riesenthe- auf der steuerlichen Seite für die niedersächsischen
ma zu tun haben. Und weil wir auch wissen, ganz am Kommunen entschieden worden? Eins, zwei, drei, vier?
Ende gelingt Integration nicht durch Regelungen im 20! 20 Gesetze in den letzten drei Jahren, 146 Einzelän-
Bundesgesetzblatt oder durch noch so geschwätzige derungen, sechseinhalb Milliarden Euro weniger Ein-
Talkrunden bei Maybrit Illner und Anne Will. Ganz am nahmen jedes Jahr für die deutschen Kommunen und
23 Ende gelingt Integration nur durch handlungsfähige damit auch für uns. Sechseinhalb Milliarden!
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Jetzt wollen wir das einmal in Relation setzen. Für der nächste Zug sein«. Im Tunnel sind wir und das
das Jahr 2010 ist das schlechteste Finanzjahr für die Licht, das wir sehen, das nennt sich wieder einmal
deutschen Kommunen seit Gründung der Bundes- »Gemeindefinanz-Reformkommission«. Sie tagt hin-
republik prognostiziert worden, 15 Milliarden neues ter verschlossenen Türen in Berlin und beschäftigt
Defizit. Nun läuft es ein bisschen besser, sagen wir, sich in einer Situation, in der wir unter der Wasser-
es werden 12 Milliarden Euro Defizit. Jetzt stellen wir linie nach Luft schnappen, mit der Abschaffung der
diese 12 Milliarden einmal in Relation zu den sechs- Gewerbesteuer, der wichtigsten kommunalen Ein-
einhalb Milliarden Euro, die uns fehlen durch Steu- nahmequelle in Deutschland. 40 Milliarden Euro. Sie
ergesetze aus Berlin. Was heißt das? Dass allein die redet nicht darüber, wie sie uns helfen kann, sondern
Hälfte unsers Schlamassels nicht durch irgendwel- darüber, ob sie unsere wichtigste Steuer wegnimmt.
che Naturkatastrophen angerichtet worden ist, son- Das ist der Fakt. Und deswegen muss völlig klar sein
dern durch politisches Handeln in Berlin. Das ist das in der SPD, aber auch in der niedersächsischen Lan-
Volles Haus in Hannover: 700 Teilnehmerinnen und Problem. despolitik: Wir brauchen keine Sonntagreden für
Teilnehmer waren beim zweiten Kommunalkongress der Deshalb sollten wir es uns auch nicht nehmen Kommunen, wir brauchen praktische Unterstützung.
niedersächsischen SPD. lassen, unsere Landesregierung zu fragen, welchem Deshalb eine glasklare durch nichts eingeschränkte
dieser Gesetze sie im Deutschen Bundesrat wider- Forderung: Hände weg von der Gewerbesteuer!
sprochen hat. Ob es ein einziges Gesetz gibt, gegen Es gibt gute praktische Beispiele, warum der
das sie gestimmt haben. Die Antwort lautet: Nein! engstmögliche Schulterschluss zwischen der Kom-
Deswegen sagen wir auch einer Kommunalaufsicht, munalpolitik und der SPD Sinn macht für beide Sei-
die uns begleitet: Ihr habt eure gesetzliche Aufgabe. ten. Wir brauchen starke handlungsfähige Kommu-
Aber Aufgabe des Landes ist nicht nur die Kommu- nen, wenn wir sozialdemokratische Politik umsetzen
nalaufsicht gegenüber seinen Kommunen. Aufgabe wollen und wir brauchen eine starke SPD, wenn wir
des Landes ist auch die Interessenvertretung seiner vor Ort die Möglichkeiten dazu haben wollen. In
Kommunen in Berlin. Und daran mangelt es ganz er- diesem Sinne freue ich mich, dass auch der zweite
heblich. Kommunalkongress der niedersächsischen SPD in
Ich sage das nicht ohne Grund, denn für uns Hannover stattfindet. Ich freue mich schon auf den
gilt das alte amerikanische Sprichwort: »Wenn du Dritten, selbstverständlich wieder hier in Hannover.
24 Licht am Ende des Tunnels siehst, könnte es auch
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Rede

Olaf Lies
Vorsitzender der SPD Niedersachsen

Herzlich willkommen hier in Hannover, herzlich Es sind auch diesmal Vorschläge, keine Papiere, die
willkommen zum zweiten Kommunalkongress der abgenickt werden wollen. Wir wollen sie gemein-
SPD in Niedersachsen. Stephan Weil hat gesagt, in sam erarbeiten und dann einbringen in den außer-
der schönsten Stadt der Welt. Ich glaube, hier sitzen ordentlichen Landesparteitag, der im Mai nächsten
ganz viele Genossinnen und Genossen, die davon Jahres stattfinden und die heiße Phase des Kommu-
überzeugt sind, ebenfalls in der schönsten Gemein- nalwahlkampfes 2011 einleiten wird.
de, in der schönsten Stadt und im schönsten Land- Heute geht es los, heute startet die SPD in
kreis dieses wunderbaren Landes Niedersachsen zu Niedersachsen mit Blick auf den 11. September 2011,
wohnen. Das ist Motivation für viele von euch, kom- in die Kommunalwahl! Und am 28. Mai kommen-
munalpolitisch tätig zu sein. Wir sind hier ganz vie- den Jahres geht es in die heiße Phase. Am Abend
le, die im Herzen überzeugt davon sind, dass es sich des 11. Septembers schließlich werden wir auswer-
lohnt für unsere Kommunen zu arbeiten, zu strei- ten und sehen, dass wir es geschafft haben, nicht
SPD-Landesvorsitzender Olaf Lies: » Heute startet die SPD ten, zu kämpfen und das Beste für die Menschen in nur an vielen Stellen in Niedersachsen die Mandate
in Niedersachsen in den Kommunalwahlkampf.« unseren Kommunen zu erreichen, liebe Genossin- zu bewahren, sondern an vielen Stellen in Nieder-
nen und Genossen. sachsen die Menschen überzeugt und ihr Vertrauen
Am 21. November 2009 fand hier in Hannover gewonnen zu haben. Das ist unser erklärtes Ziel.
mit über 600 Teilnehmern der erste Kommunal- Beim letzten Kommunalkongress waren wir
kongress statt. In den Foren haben wir Thesen, die über 600 Personen, jetzt sind wir über 700. Stephan
erarbeitet worden waren, diskutiert und Verände- hat uns herzlich eingeladen, auch im nächsten Jahr
rungen vorgenommen. Diese Papiere sind dann ein- wieder hier zu sein. Entscheidend dabei ist, dass es
geflossen in den Leitantrag des Landesparteitages der sozialdemokratischen Partei in Niedersachsen
in Stade. gelingt, die Genossinnen und Genossen, die Kom-
Und auch diesmal sitzen wir hier mit vielen munalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker mit-
Ehrenamtlichen, Hauptamtlichen, engagierten zunehmen, zu beteiligen, mit ihnen gemeinsam
Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern an einem erfolgreichen Niedersachsen zu arbeiten.
und wir werden wieder an Papieren arbeiten, die die Wir wollen gemeinsam arbeiten! Wir wollen disku-
wesentliche Grundlage für das politische Wirken tieren! Und wir wollen auch unterschiedliche Positi-
25 und Handeln auf kommunaler Ebene sein werden. onen ausstreiten und uns auf einen gemeinsamen
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

Weg verständigen, aber wir haben ein Ziel: gute Po- noch einen Schritt weiter. Wie erklären wir denn
litik für die Menschen. dem Handwerker, dass er Gewerbesteuer bezahlt,
Liebe Genossinnen und Genossen, wir sind es aber Ärzte, Rechtsanwälte oder andere Freiberufler
auch, die nicht fernab an irgendeiner Stelle Politik nicht mit einbezogen werden? Wir brauchen eine
gestalten, sondern die wissen, was es bedeutet für Erweiterung der Gewerbesteuer unter Berücksich-
die Menschen vor Ort: Für die Kleinsten, wenn wir tigung derer, die noch nicht beteiligt sind. Das muss
uns darum bemühen, Krippenplätze einzurichten, die Aufgabe einer Reform werden.
Betreuungsmöglichkeiten für Familien zu schaffen Aber was wir erleben, gerade im Bereich der
und für die, die darauf angewiesen sind. Für die so- Landespolitik, ist etwas ganz Anderes. Da beschäf-
zialen Leistungen, die wir für die Kinder vorhalten tigt sich diese Landesregierung sehr intensiv mit
mit Büchereien, Schwimmbädern und Sporthallen, der Frage der Kommunalverfassung. Und die, die zu
aber auch für die Älteren in der Gesellschaft. All das Beginn vielleicht noch geglaubt haben, die machen
haben wir im Blick. sich jetzt bestimmt Gedanken, wie es den Kom-
Aber die kommunale Wirklichkeit ist, dass wir munen besser gehen kann, fragen sich jetzt: Was
eine schwarz-gelbe Klientelkoalition in Berlin ha- machen die da überhaupt? Macht es Sinn, Geset-
ben, eine schwarz-gelbe Klientelkoalition auch hier zesbücher zusammen zu fassen? Was soll das än-
in Hannover, die nicht widersprechen, dass moder- dern? Bei genauer Betrachtung stellen wir nun fest:
ne Raubritter durch die Kommunalfinanzen ziehen Sie betreiben erheblichen Demokratieabbau hier in
und uns an allen Stellen, an denen wir dringend Niedersachsen.
Handlungsfähigkeit beweisen müssen, dieser fi- Auch darum geht es heute bei diesem Kom-
nanziellen Mittel berauben. Deswegen ist es schon munalkongress in Niedersachsen. Wir müssen deut-
komisch, wenn in Sonntagsreden die Kanzlerin mit lich machen, die SPD sagt Nein zur Abschaffung der
ihrem Außenminister durchs Land zieht und von Stichwahl, die SPD sagt Nein zur Vergrößerung der
der kommunalen Selbstverwaltung und Selbstbe- Wahlbereiche und die Sozialdemokraten in Nieder-
stimmung spricht und ab Montag dann den kom- sachsen sagen nein dazu, dass die Einschränkung
munalen Finanzhahn zugedreht. der wirtschaftlichen Betätigungen in kommunalen
Es gibt für uns gar keine Alternative: die Ge- Einrichtungen weitergetrieben wird. Das sind die
26 werbesteuer muss erhalten bleiben und es geht Kernaussagen, die auch von diesem Kommunaltag
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

ausgehen müssen. Genau das sind die Forderun- habt doch immer Probleme mit der Stichwahl, da
gen des Vereins »Mehr Demokratie«, den herzlich fallen doch eure Kandidaten oftmals durch oder es
willkommen heiße, und der hier in Niedersachsen gewinnen andere, obwohl der CDU-Kandidat, die
gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschafts- CDU-Kandidatin im ersten Wahlgang sogar noch
bund, gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen und vorne gelegen hatte. – Das ist übrigens 26mal bei
gemeinsam mit den Sozialdemokraten ein deutli- der Kommunalwahl 2006 passiert.
ches Zeichen für mehr Demokratie in Niedersach- CDU und FDP haben sich schließlich verstän-
sen setzt. digt, nicht zuletzt, weil man in einem ganz aktuel-
Das zeigt, dass da Menschen sind, die nicht len Beispiel gesehen hat, welche Auswirkungen der
politisch in einer Partei gebunden oder engagiert zweite Wahlgang bei Bürgermeister- und Landrats-
sind, aber erkennen, dass es falsch ist, hier einen wahlen haben kann. Ich möchte diese Stelle nutzen,
Eingriff in die Demokratie vorzunehmen. Und man nachträglich noch einmal Dieter Krone zu gratulie-
Aufmerksame Zuhörer: (v.l.n.r.) MdEP Bernd Lange, Ulrich muss jetzt auch mal fragen, warum passiert denn ren, dem neuen Oberbürgermeister in Lingen. Dort
Watermann MdL, Vorsitzender des SPD-Stadtverbandes das eigentlich, dass die die Stichwahl abschaffen? musste nämlich nach dem Weggang des Oberbür-
Hannover Walter Meinhold, Andrea Schröder-Ehlers MdL, Ja, es gibt Gründe und die kann man relativ einfach germeisters neu gewählt werden. Im ersten Wahl-
Celles Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende, Birgit Honé, benennen. Die CDU hat sich mal angesehen, wie gang gab es eine Wahlbeteiligung von 46 %, auf den
und der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende im wirken sich eigentlich Stichwahlen bei uns aus? Oberbürgermeisterkandidaten der CDU sind 39 %
Landtag Detlef Tanke. Und da haben sie den Blick auf die zurückliegenden entfallen, auf Dieter Krone – unterstützt von Sozial-
Stichwahlen bei Kommunalwahlen geworfen. Und demokraten und Grünen – 27 %. Und nach meinem
die FDP hat sich auch ihre Gedanken gemacht und Gefühl und der Tatsache, dass noch vier weitere
überlegt, das ist ja nicht ganz einfach für so eine Kandidaten in Lingen antraten, gab es nach einer
Klientelpartei. Viele ihrer Mitglieder zeigen sich solchen Wahl keine eindeutige Legitimation für ei-
nicht so gern in der Öffentlichkeit und übernehmen nen Oberbürgermeister einer Stadt. Deswegen ist
auch nicht gerne ehrenamtliche Funktionen. Und es gut, dass es in Lingen eine Stichwahl gab und es
da haben sie sich gedacht, wenn wir einen geeig- ist falsch zu glauben, da geht keiner hin. Die Stich-
neten Kandidaten haben, dann wäre es natürlich wahl in Lingen hatte eine Wahlbeteiligung von 44
gut, wenn der überall für uns antritt und Stimmen %, also fast die gleiche Höhe wie beim ersten Wahl-
27 zieht. Deswegen hat die FDP zur CDU gesagt, ihr gang. Nur sie hatte einen Unterschied und das ist
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

der entscheidende Grund: Beim zweiten Wahlgang nehmen, sie stärker dafür zu gewinnen, dass sie
hat Dieter Krone mit 56 % die Wahl gewonnen, weil Demokratie als ein Gut auch wieder wahrnehmen
die Menschen nur noch zwischen zwei Kandida- und nutzen. Das können wir erreichen, indem wir
ten zu entscheiden hatten. Deswegen ist richtig, wieder intensiver diskutieren und überlegen, wie
die Stichwahl beizubehalten und deswegen ist es wir zukünftig Menschen mitnehmen, wie wir sie in
ebenso nachvollziehbar, dass die CDU gesagt hat: Bürgerentscheiden oder Bürgerbeteiligungen dazu
nee, jetzt ist aber endgültig Schluss, wir einigen uns bringen, sich am einem Prozess der Gestaltung auch
mit der FDP, die Stichwahl wird abgeschafft. in einer Kommune einzubringen.
Das ist übelste Politik zu Lasten der Demo- Aber ich glaube, wir müssen nach den Nega-
kratie in den Kommunen und das hat nichts da- tiverfahrungen im Sinne von Volksentscheiden in
mit zu tun, dass sich Menschen in Zukunft stärker Hamburg aber auch im Sinne von Stuttgart davon
beteiligen können und auch von ihrem Wahlrecht wegkommen, dass sich Volksentscheide immer nur
Gebrauch machen. Deshalb eine Kernaussage an gegen etwas richten. Ziel muss es sein, die Menschen
dieser Stelle von der Landespartei: Wenn dieses Ge- für die Gestaltung eines Prozesses zu beteiligen
setz - und danach sieht es aus - so beschlossen wird, und es muss Aufgabe von Sozialdemokraten sein,
dann wird eine der ersten Amtshandlungen nach Instrumente zu finden und so zu gestalten, dass wir
dem Regierungswechsel 2013 darin bestehen, ge- die Menschen nicht nur alle fünf Jahre motivieren
nau das wieder rückgängig zu. zu wählen, sondern dass wir sie bewegen mitzuge-
Aber damit alleine ist es nicht getan. Wer ein- stalten, mitzumachen und dann, wenn es notwen-
mal mit großer Erschütterung die Entwicklung der dig ist, sie auch an der Entscheidungsfindung zu be-
Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen der letzten teiligen. Ich habe die große Hoffnung, dass es uns
Jahre angesehen hat, der wird feststellen, 1974 wa- dann auch gelingt, die Wahlbeteiligung wieder zu
ren es 90 %. 1981 waren es noch dann noch fast 80 steigern. Ich möchte nicht, dass Kommunalpolitiker
%, 1991 – 70 %, 2001 noch fast 60 % und 2006 noch irgendwann dadurch legitimiert sind, dass sie sich
gerade 52,7 %. Unsere Aufgabe wird es deshalb auch nur noch selber gewählt haben. Ich möchte, dass
sein, gemeinsam vor Ort in den Kommunen, aber die Bürgerinnen und Bürger entscheiden und auch
auch in der politischen Verantwortung im Land, die hinterher sagen, was ihnen nicht gepasst hat. Gera-
28 Menschen stärker zu beteiligen, sie stärker mitzu- de in der Kommunalpolitik wissen sie genau, wen
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

sie gewählt haben und wen sie ansprechen können. stalten, um der Lebenswirklichkeit der Menschen
Da ist das Herz der Politik, da ist das Herz der Demo- ein Umfeld zu geben, das lebens- und liebenswert
kratie und da müssen wir anfangen, die Menschen ist. Und deswegen muss auch damit Schluss sein,
wieder für mehr Demokratie zu gewinnen. mit dem Griff in die kommunalen Kassen. Es muss
Aber wenn man in einer Kommune gestalten sichergestellt werden, dass kommunale Finanzge-
können will, muss man auch die Finanzausstattung staltung auf Bundesebene und auf Landesebene
besitzen, die ermöglicht zu gestalten. Viele von euch, abgesichert wird. Auch das wird eine der Kernauf-
wahrscheinlich der riesengroße Teil, sitzt selber in gaben sein, die wir in das Landtagswahlprogramm,
kommunalen Parlamenten. Man hat in den letzten aber auch in das Bundestagwahlprogramm 2013
Jahren – bis auf wenige löbliche Ausnahmen, denen einarbeiten müssen, liebe Genossinnen und Genos-
es besser geht – Dinge entscheiden müssen, die ei- sen.
nem schwer gefallen sind. Wie oft haben wir in den Aber nun könnte man ja annehmen, diese
Vorsitzender des Unterbezirks Region Hannover, Dr. Mat- kommunalen Parlamenten um die letzen 20- oder Landesregierung hat sich auch mit diesen Fragen
thias Miersch (l.). 30-Tausend oder auch nur um zwei- oder dreitau- beschäftigt. Dem ist aber nicht so. Sie beschäftigt
send freiwillige Leistung gestritten. Wie oft müssen sich mit anderen Dingen. Sie beschäftigt sich damit,
wir heute erleben, dass man Politik für tausend Ho- wie sie die Sicherheit dieses Landes weiter gefähr-
telbesitzer macht, aber dafür die Kommunen in rie- den und Niedersachsen zum Atomklo Deutsch-
siger Höhe auch in Niedersachsen zusätzlich belas- lands machen kann. Das ist das, womit sich diese
tet. Wie oft haben wir erlebt, dass wir für Senioren niedersächsische Landesregierung beschäftigt,
oder für die Jugend kein Geld mehr haben, weil es wenn sie der Frage der Laufzeitverlängerung von
an anderer Stelle ausgegeben wird. Und man kann Kernenergie nicht widerspricht, wenn sie nicht
das auch an Beispielen in Niedersachsen sehen. sagt, dass eine Entscheidung im Bundesrat getrof-
Diese Landesregierung greift jährlich mit 150 Mil- fen werden muss. Eine Landesregierung in Verant-
lionen Euro in den kommunalen Finanzausgleich. wortung für die Menschen in Niedersachsen, auch
Wer das einmal runter bricht auf unsere Städte und in Verantwortung für Arbeit in Niedersachsen, darf
Gemeinden, der wird feststellen, dass wir genau einer Laufzeitverlängerung von Kernenergie nicht
von dieser Größenordnung reden, nämlich von dem zustimmen. Das muss die klare Botschaft und die
29 letzten Rest, den wir noch haben, um wirklich zu ge- klare Forderung sein.
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Und wenn man mal überlegt, welcher gesellschaft- haben, dann ist das, dass eine Reduzierung der Zahl
liche Konsens dahinter steht, dann stellen wir doch der Anbieter nicht zu einer Vergünstigung, sondern
fest, dass bei der Entscheidung, die damals getroffen zu einer Verteuerung führt. Deswegen: Schluss mit
wurde, keiner der Energieversorger gesagt hat, naja dem Ausstieg aus dem Ausstieg. Der Atomkonsens
jetzt geht es bergab, jetzt werden wir die Energie- muss erhalten bleiben. Das muss die Forderung im
versorgung Deutschland nicht mehr sicherstellen Sinne der Kommunen, aber auch im Sinne der er-
können. Nein, auch sie waren Teil dieses Konsenses. neuerbaren Energien sein, liebe Genossinnen und
Auch sie haben mitgewirkt an einem Weg, der nicht Genossen.
abrupt war, aber einen Ausstieg aus dieser Energie Das hat ja gerade für Niedersachsen eine be-
möglich machte. Doch was jetzt passiert, was CDU sondere Bedeutung. 300.000 neue Jobs sind hier
und FDP da entscheiden, das geht wieder zu Lasten geschaffen worden im Bereich der erneuerbaren
von Kommunen. Es geht zu Lasten der Stadtwerke Energien. 300.000 weitere neuen Jobs können ge-
SPD-Fraktionsvorsitzender Stefan Schostok spendet für oder Gemeindewerke, die wir inzwischen wieder schaffen werden. Eines der neuen Felder der erneu-
das Castor-Camp. haben, die investieren wollen auch in erneuerbare erbaren Energien, gerade für uns an der Küste, ist das
Energien und dafür die Zuverlässigkeit benötigen. Thema »Offshore«. Vier große Betreiber der Ener-
Aber bei dieser Politik der Bundesregierung geht es gieversorgung sind auch Betreiber der Offshore-
um etwas ganz Anderes. Hier geht es um die gro- Windparks. Ich bin überzeugt, dass sie sich bei einer
ßen Vier, die auf dem Energiemarkt Geld verdie- Laufzeitverlängerung überlegen werden, wie eilig
nen wollen. Die haben sich durchgesetzt mit ihrer und notbedürftig eigentlich Investitionen in die er-
Forderung, und zwar gegen die Bedürfnisse und neuerbaren Energien und Investitionen in Zukunft
Forderungen der vielen Kommunen hier in Nieder- sind. Das verhindert für die Zukunft Arbeitsplätze
sachsen, der vielen Kommunen hier in Deutschland. gerade hier in Niedersachsen im Bereich der Her-
Das ist das, was gemacht wird: Klientelpolitik für die stellung von Windenergieanlagen, aber auch im Be-
großen Stromkonzerne und sie wird uns und den reich der maritimen Wirtschaft, wo wir inzwischen
Menschen verkauft mit der Begründung, »wir ma- in viele Städten die Hafenstrukturen ausbauen und
chen das für euch, damit wir eure Stromversorgung darauf setzen, dass wir dort die Windenergieanla-
sicherstellen und sie günstig für euch bleibt.« Aber gen aufs Meer hinausbringen, installieren und die
30 wenn wir eines in den letzten Jahrzehnten gelernt Wartung von dort sicher stellen. Das schafft heute
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Arbeitsplätze, aber das schafft auch zukunftsfähi- chen. Ich bin sicher, viele von euch sehen schon mit
ge Arbeitsplätze für morgen. Auch das verhindert sorgenvollem Blick, was auf sie zukommt. Ich spre-
die Landesregierung, wenn sie diesem Ausstieg che von der Frage der Bundeswehrreform, ein gesell-
zustimmt und auch daran muss man sie messen. schaftlicher Prozess, der notwendig und sicherlich
Hinzu kommt, wenn die Menschen hier in Nieder- auch richtig ist. Dieser gesellschaftliche Prozess, der
sachsen keine Arbeit haben, können sie auch keine alle Menschen in Deutschland betrifft, darf nicht zu
Steuern zahlen. Das sind Tatsachen, die wir gerade Lasten weniger Kommunen gehen. Auch da bedarf
diesem Ministerpräsidenten immer wieder vorhal- es der notwendigen Solidarität und Lösungsansät-
ten müssen. zen, denen zu helfen, die von dem Stellenabbau,
Was macht er denn eigentlich als Verant- der auf sie zukommt, betroffen sind. Stellenabbau
wortlicher für dieses Land? In dieser Frage nehme sowohl im Bereich der Bundeswehr als auch im
ich ihn nicht wahr. Erst waren sie für geringe Lauf- Bereich der Zivilbeschäftigten. Dafür brauchen wir
Landesvorsitzender Olaf Lies im Gespräch mit dem zeiten, dann war davon nichts mehr zu hören. Dann Lösungen, um auch den Kommunen zu helfen, da-
Osteroder Landrat Bernhard Reuter tritt der Ministerpräsident in Sachen Endlagerung mit sie nicht in ein tiefes Loch fallen, auch finanziell
für eine ergebnisoffene Suche ein. Eines muss klar gesehen.
sein, auch bei einem Ausstieg aus der Kernenergie Deswegen muss sich Niedersachsen dafür ein-
brauchen wir ein Endlager. Und nach der Erfahrung setzen, dass dieses Bundesland nicht am stärksten von
in der Asse wissen wir auch, was es bedeutet, auf der Bundeswehrreform betroffen ist. Das muss eine
Dauer sicher endzulagern und nicht für 20 oder 50 der Kernforderungen sein. Niedersachsen darf nicht
Jahre. Wir reden hier von Tausenden von Jahren und hinten runter fallen durch eine Schwäche, die es po-
dann zu sagen, wir erforschen Gorleben weiter und litisch möglicherweise gibt, weil der Einfluss im Bund
gucken mal, was da rauskommt, ist nicht nur im Sin- fehlt. Und die zweite Forderung muss sein, dass man
ne der Menschen dort unverantwortlich. Es muss zusammen mit den betroffenen Städten, Gemeinden
gerade von Niedersachsen die Forderung ausgehen, und Landkreisen nach Konversionslösungen sucht.
wir brauchen eine ergebnisoffene Endlagersuche in Und dann brauchen wir auch die Möglichkeit, dass
ganz Deutschland und nicht nur Niedersachsen. das Land entsprechende Mittel zur Verfügung stellt,
Und ich will, weil es um Arbeit, Zukunft und denn eine solche Veränderung funktioniert nicht von
31 Strukturwandel geht, einen anderen Punkt anspre- selber und deswegen ist es dringend erforderlich, eine
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Landesentwicklungsgesellschaft einzurichten, die Es werden Tür und Tor geöffnet, dass Arbeit immer
rechtzeitig und zeitnah mit den Kommunen Kontakt weniger wert ist, dass Leute für ihre Arbeit immer
aufnimmt und gemeinsam mit den Kommunen nach weniger Geld bekommen und dass wir als Kom-
Lösungen sucht. Auch das ist gerade für die betroffe- munen immer stärker in die Verantwortung ge-
nen Kommunen eine der Kernforderungen, die heute nommen werden, immer noch Geld oben drauf zu
von hier an die Regierung ausgehen muss. legen, damit die Menschen überhaupt in der Lage
Und weil wir bei dem Thema Arbeit sind, sind, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Deswe-
müssen wir auch die Frage stellen, wie sieht denn gen ist das Thema Arbeit so wichtig und deswegen
die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort aus? müssen wir beim Thema Arbeit mit den Kernfragen
Was verdienen die Menschen eigentlich in Deutsch- des gesetzlichen Mindestlohns, der Begrenzung der
land, wenn sie arbeiten gehen? Das Thema Arbeit Leiharbeit, der Aufhebung der sachgrundlosen Be-
ist auch ein Kernthema in der Frage kommunaler fristung ernst machen. Es gibt einen Beschluss des
Finanzen, liebe Genossinnen und Genossen. Es ist Bundesparteitages, aber damit ist es nicht getan.
ein Kernthema auch in der Verantwortung hier im Es muss auch ein Signal der Landespolitik geben
Land. 40 % der Stellen, die nach der Wirtschaftskri- und es muss deutlich sein, dass Sozialdemokraten
se in Niedersachsen ausgeschrieben wurden, sind in der Verantwortung ab 2013 das ändern werden.
Stellen in der Leiharbeitsbranche. Ein großer Teil der Das muss das Signal sein, das wir den Menschen in
Stellen die geschaffen wurden, sind immer tiefer in Deutschland senden.
den Niedriglohn hinab gesunken. Diese Regierung, egal ob im Bund oder im
Von der klugen Politik, mit der Frank-Walter Land, weiß gar nicht, was bei den Menschen wirk-
Steinmeier und Olaf Scholz in der großen Koalition lich los ist. In Deutschland werden elf Milliarden
dafür gesorgt haben, dass auch über das Instrument Euro für Aufstocker ausgegeben, dass heißt, es sind
der Kurzarbeit das Schlimmste in den Betrieben ver- elf Milliarden Euro, die Unternehmen gespart ha-
hindert wurde, ist nichts übrig geblieben. Wir waren ben, weil sie sie als Löhne nicht ausbezahlt haben
es, die in der Wirtschaftskrise die Arbeitsplätze an und die die Steuerzahler und die Gesellschaft auf-
vielen Stellen gesichert und erhalten. All das wird bringen müssen. Das ist eine Fehlentwicklung, die
durch eine schwarz-gelbe Bundesregierung über man sofort stoppen und sofort wieder zurückdre-
32 den Haufen geworfen. hen muss. So kann keine Gesellschaft existieren.
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Das wirkt sich nicht nur heute aus, das wirkt sich lautet: Wir wollen, dass die Eltern in Niedersachsen
auch morgen aus, denn die Menschen aus dem die Chance haben, das Schulangebot für ihre Kinder
Niedriglohnbereich werden keine Rente bekom- frei zu wählen. Das ist die entscheidende Forderung
men, mit der sie sich einen aktiven, mobilen Lebens- in der Bildungspolitik in Niedersachsen und deswe-
abend ausgestalten können. Das ist heute schon gen brauchen wir auch die Entscheidungsfreiheit
so. In meinem Beispiel des Landkreises Friesland der Kommunen, die Schulen einzurichten, die die
mit 100.000 Einwohnern wird in jedem Haushalts- Eltern wollen. Deswegen ein klares und deutliches
jahr steigend Jahr für Jahr 300.000 Euro mehr für Signal von hier: Weg mit der Fünfzügigkeit für Ge-
Grundsicherung im Alter ausgegeben, jedes Jahr, samtschulen, wir wollen Gesamtschulen einrichten
und es wird bei dem Plus von 300.000 nicht blei- können, wenn es die Eltern für ihre Kinder wollen.
ben. Dies wird mit der demographischen Entwick- Die Menschen werden entscheiden, 2011 bei
lung sogar noch zunehmen. Wir haben zusätzlich der Kommunalwahl, aber natürlich auch ein Jahr
Lars Klingbeil MdB spendet für das Volksbegehren für jedes Jahr 400.000 Euro, Tendenz steigend, für die später bei der Landtagswahl und dann wenige Mo-
Gute Schulen in Niedersachsen. Hilfe zur Pflege aufzubringen. Zwischen 2003 und nate später bei der Bundestagswahl. Wir wollen sie
2009 sind die Sozialausgaben in den Kommunen motivieren, wir wollen sie auch motivieren mitzu-
um zehn Milliarden Euro gestiegen. Da fragen wir gestalten. Sie anzusprechen, sie einzubinden in den
uns doch ernsthaft, wie wollen wir dieser gesell- Prozess der Gestaltung eines Wahlprogramms, sie
schaftlichen Aufgabe noch Herr werden, wenn die motivieren, zu kandidieren für die sozialdemokrati-
Finanzen dafür nicht stimmen, wenn wir nicht alle sche Idee, Verantwortung in der Kommune zu über-
in der Gesellschaft beteiligen, damit das finanziert nehmen.
werden kann. Das ist die Kernfrage und das, was uns Diese Kommunalwahl 2011 ist richtungswei-
in den Kommunen davon abhält, überhaupt noch send, nicht nur für die Entscheidungen, die vor Ort
Gestaltungsspielraum für Aufgaben zu haben, die getroffen werden. Sie wird auch richtungsweisend
so dringend notwendig und sozial erforderlich wä- für die Landtagswahl sein. Das sind die Signale, die
ren. von Sozialdemokraten in Niedersachsen ausgehen.
Auf das Thema Bildung und Schule will ich Wir sind hier mit 700 Leuten hier, weil wir gestal-
nicht im Einzelnen eingehen. Ich glaube das ist auch ten wollen. Wir sind vor Ort und sprechen die Men-
33 Abend- oder Tagefüllend. Unsere Kernforderung schen an, weil wir sie überzeugen wollen von der
Dokumentation Kommunalkongress II | SPD-Landesverband Niedersachsen | Hannover, 30. Oktober 2010

sozialdemokratischen Idee und der sozialdemokra- wo ihr Gestaltungsvorschläge seht. Ich möchte
tischen Politik vor Ort. Wir sind dabei, das Vertrau- euch bitten, dass wir einheitlich in Niedersachsen
en, das wir auch verloren haben, wieder zurück zu einen Auftritt schaffen, der überall den Wiederer-
gewinnen, wieder zurück zu erarbeiten. Die erfolg- kennungswert, die Mobilisierungsfähigkeit und die
reiche Kommunalwahl 2011 ist die Voraussetzung Kampagnenfähigkeit dieser Partei deutlich macht,
und Basis, um sicherzustellen, dass wir ab 2013 auch damit die Menschen in Niedersachsen merken,
eine sozialdemokratische Landesregierung hier in dass wir es ernst meinen mit dem Ziel, hier die Re-
Niedersachsen haben, damit wir wirklich Hand in gierungsverantwortung zu übernehmen.
Hand mit den Kommunen Politik für die Menschen Ich wünsche euch eine erfolgreiche Arbeit in
in Niedersachsen machen können. den Foren. Wir wollen hier mit euch gemeinsam an
Zum Schluss eine Bitte an euch alle: Lasst den Dingen arbeiten, weil wir das Thema und die In-
uns als einen Impuls der Niedersachsen-SPD, egal halte mit euch gemeinsam gestalten wollen. Dafür
auf welcher Ebene, auch daran arbeiten, dass wir wünsche ich euch viel Freude, viel Erfolg und einen
uns gemeinsam darstellen. Ihr habt alle den Flyer guten Verlauf dieses Kommunalkongresses hier in
»Kommunalwahlkampf gestalten« bekommen, Hannover. Herzlichen Dank.

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