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WALTHER VON DER VOGELWEIDE

"Saget mir ieman: waz ist Minne?"

Hier finden sich alle Texte der Lieder der CD im Original und in der Übersetzung. Die
Übertragungen ins Neuhochdeutsche stammen von Hans Hegner

01 Ôwê war sint verswunden alliu miniu jâr


02 Saget mir ieman: waz ist Minne?
03 Wol mich der stunde
04 Herzeliebes Frouwelîn
05 Uns hât der winter geschât über al
06 Ihr müsst nur schauen
07 Gêrhart Atze
08 Halmorakel
09 Als die sunne schienet
10 Unter der Linde
11 Diu werlt was gelf, rôt unde blâ
12 Traumglück
13 Herre Bâbest
14 Ich saz ûf einem steine
15 Hêr Volcnant
16 Vil wol gelopter got
17 Diu menscheit muoz verderben
18 Palästina-Lied
19 Ouwe

01 Ôwê war sint verswunden alliu miniu jâr

Ôwê, war sint verswunden O weh, wohin sind sie entschwunden,


alliu mîniu jâr! alle meine Jahre!
ist mîn leben mir getroumet, Hab ich mein Leben nur geträumt
oder ist ez wâr? oder ist es wahr –
daz ich ie wânde, daz iht waere, von dem ich glaubte, dass es wäre,
was daz iht? war das überhaupt?
dar nâch hân ich geslâfen Hab ich am Ende nur geschlafen
und enweiz es niht. und weiß es nicht?

Nû bin ich erwachet Nun also bin ich aufgewacht,


und ist mir unbekant, und mir ist unbekannt,
daz mir hie vor was kündic was mir früher war vertraut
als mîn ander hant. wie meine linke Hand.
liute unde lant, dar in ich Land und Leute, wo ich
von kinde bin erzogen, von Kind an bin erzogen –
die sint mir frömde worden, alles ist mir fremd geworden,
reht als ob ez sî gelogen. gerade wie gelogen.
Die mîne gespilen wâren, Die meine Gespielen waren,
die sint traege und alt. sind nun träge, alt.
bereitet ist daz velt, Beackert ist die grüne Flur
verhouwen ist der walt. und abgeholzt der Wald.
wan daz daz wazzer fliuzet, Ja, wenn das Wasser nicht mehr flösse,
als ez wîlent flôz, wie es damals floss,
für wâr, ich wânde, fürwahr, ich denke mir,
mîn ungelücke wurde grôz. mein Unglück wäre groß.

Mich grüezet maneger trâge, Manch einer grüßt mich gerade so –


der mich bekande ê wol. der kannte mich mal gut!
diu welt ist allenthalben Die Welt hält überall
ungenâden vol. Undank für mich bereit.
als ich gedenke an manegen Da denke ich an manchen
wünneclîchen tac, wunderschönen Tag. –
die mir sint enpfallen Die Tage sind gefallen,
als in daz mer ein slac. so wie ins Meer ein Schlag.

iemer mêre ouwê. Immerfort o weh!

02 Saget mir ieman: waz ist minne

Saget mir ieman: waz ist minne? Kann mir jemand sagen: Was ist Minne?
weiz ich des ein teil, sô wist ichs gerne Weiß ich davon schon einiges, so wüsste ich
mê. doch gerne mehr.
Der sich baz denn ich versinne, Wer sich besser drauf versteht,
der berihte mich, durch waz si tuot sô soll mir erklären, warum sie tut so weh.
wê. Minne ist Minne, tut sie gut. –
Minne ist minne, tuot si wol. Tut sie weh, heißt sie zu Unrecht Minne,
tuot si wê, so enheizet si niht rehte doch weiß ich nicht, wie sie dann heißen soll.
minne,
sus enweiz ich, wie si danne heizen sol. Wenn ich es recht erraten kann,
was Minne ist, dann ruft nur alle: "Ja!"
Obe ich rehte râten künne, Minne ist zweier Herzen Glück,
waz diu minne sî, sô sprechet denne: erfüllt es sie zu gleichen Teilen, ist die Minne da.
"jâ!" Wird Minne aber nicht geteilt,
Minne ist zweier herzen wünne: vermag ein Herz allein sie nicht zu tragen. –
teilent sie gelîche, sost diu minne dâ. Ach, wolltest du mir helfen, Herrin mein!
Sol abe ungeteilet sîn,
sô enkans ein herze alleine niht Dame, ich trag an meinem Teil zu schwer –
enthalten. willst du mir helfen, dann hilf schnell!
ôwê, woldest dû mir helfen, frouwe Bin ich dir jedoch egal,
mîn! so sprich es aus! – Ich gebe auf die ganze Müh
und bin wieder ein freier Mann.
Frouwe, ich trage ein teil ze swaere, Doch eines sollst du wissen, meine Dame:
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît! dass niemand schönre Lieder auf dich singen
Sî abe ich dir gar unmaere, kann.
daz sprich endelîche! – sô lâz ich den
strît Kann meine Dame Süßes sauer machen?
unde wirde ein ledic man. Denkt sie, ich schenk ihr Freude, und sie gibt mir
dû solt aber einez rehte wizzen, frouwe: dafür Leid?
daz dich lützel ieman baz geloben kan. Soll ich sie erheben,
damit sie mich umso kleiner macht? –
Kan mîn frouwe süeze siuren? Dann hätt' ich wohl den rechten Überblick
waenet si, daz ich ir liep gebe umbe verloren.
leit? Doch weh, was red ich ohne Aug und Ohren!
Sol ich si dar umbe tiuren, Wen Minne blendet, wie kann der noch sehn?
daz siz wider kêre an mîne
unwerdekeit? Ich will also fortan singen,
Sô kund ich unrehte spehen. dass sie alle sagen: "Besser sang er nie!"
wê, waz sprich ich ôrenlôser ougen Von dir bekomm ich keinen Dank –
âne! das hab ich dir erst vorgeworfen, doch nun höre
den diu minne blendet, wie mac der dies:
gesehen? Weißt du, warum alle dir nur wünschen,
dass sie glücklich sei, von der so schön gesungen
Ich wil alsô singen iemer, wird? –
daz si danne sprechent: "er gesanc nie Sieh, Dame, diesen allgemeinen Wunsch
baz!" bekommst du auch von mir!
Des gedankest dû mir niemer,
daz verwîze ich dir alrest, sô denne daz:
Weistu, wes sie wünschent dir,
daz si saelic sî, von der man uns sô
schoene singet?
sich, frouwe, den gemeinen wunsch
hâst ouch von mir!

03 Wol mich der stunde


Wol mich der stunde, daz ich sie Glücklich die Stunde, als sie in mein Leben
erkande, gekommen,
diu mir den lîp und den muot hât die mich an Körper und Seele bezwungen,
betwungen, die all mein Denken und Fühlen genommen
sît deich die sinne sô gar an sie wande, und mich hat mit ihrem Wesen durchdrungen,
der si mich hât mit ir güete verdrungen, dass ich allein ohne sie nicht bestehen kann.
daz ich gescheiden von ir niht enkan. Das hat ihre Schönheit und ihr inneres Wesen
daz hât ir schoene und ir güete gemacht
gemachet und ihr roter Mund, der so lieblich lacht.
und ir rôter munt, der sô lieplîchen
lachet. Ich habe Herz, Mut und Sinne gewendet
hin an die Reine, die Liebe, die Gute.
Ich hân den muot und die sinne Dass es uns beiden im Glück werd' vollendet,
gewendet was ich auch wage zu hoffen von ihrem
an die vil reinen, die lieben, die guoten. beständigen Mute.
Daz müez uns beiden wol werden Was ich an Freuden nur auf dieser Welt je
volendet, gewann,
swes ich getar an ir hulde gemuoten. das hat ihre Schönheit und ihr inneres Wesen
Swaz ich zer werlde fröiden ie gewan, gemacht
daz hât ir schoene und ir güete und ihr roter Mund, der so lieblich lacht.
gemachet
und ir rôter munt, der sô lieplîchen
lachet.

04 Herzeliebez frouwelîn

Herzeliebez frouwelîn, Meine liebste kleine Dame,


got gebe dir hiute und iemer guot! Gott sei bei dir jetzt und immer!
Kund ich baz gedenken dîn, Fänd' ich bessere Worte für dich,
des hete ich willeclîchen muot. von Herzen wollt' ich sie dir schenken. –
Waz mac ich dir sagen mê, Was aber kann ich dir noch sagen,
wan daz dir nieman holder ist? dâ von als dass dich niemand lieber hat. – Dadurch
ist mir vil wê. erleid ich manchen Schmerz:

Sie verwîzent mir daz ich Die Leute halten es mir vor,
ze nidere wende mînen sanc. du wärst meinem Gesang ein zu geringes Ziel.
Daz si niht versinnent sich, Dass sie einfach nicht begreifen,
waz liebe sî, des haben undanc! was Liebe ist, dafür haben sie kein gutes Wort
Sie getraf diu liebe nie – verdient!
die nâch dem guote und nâch der Liebe hat sie nie ergriffen –
schoene minnent; wê wie minnent die? die um des Reichtums und der Schönheit willen
lieben, o weh, wie lieben die!
Bî der schoene ist dicke haz,
zer schoene niemen sî ze gâch. Zur Schönheit gesellt sich oft ein böses Herz,
Liebe tuot dem herzen baz: der Schönheit laufe niemand hinterher.
der liebe gêt diu schoene nâch. Liebe tut dem Herzen besser:
Liebe machet schoene wîp – Der Liebe geht die Schönheit nach.
des mac diu schoene niht getuon, si Liebe macht die Frauen schön –
machet niemer lieben lîp. das kann die Schönheit niemals tun, sie macht
das Herz nicht gut.
Ich vertrage als ich vertruoc
und als ich iemer wil vertragen. Ich ertrage ihren Vorwurf
Dû bist schoene und hâst genuoc – in Zukunft wie bisher.
waz mugen si mir dâ von sagen? Du bist schön und hast genug –
Swaz si sagen, ich bin dir holt was können sie mir davon sagen?
und nim dîn glesîn vingerlîn für einer Was sie auch sagen, ich hab dich lieb
küneginne golt. und nehm deinen gläsernen Fingerring, als wär's
das Gold einer Königin.
Hâst dû triuwe und staetekeit,
sô bin ich des ân angest gar, Wenn du treu und beständig bist,
daz mir iemer herzeleit dann brauch ich keine Angst zu haben,
mit dînem willen widervar. dass mir jemals Herzeleid
Hâst aber dû der zweier niht, von dir absichtlich widerfährt.
sô müezest dû mîn niemer werden – Bist du aber beides nicht,
ôwê danne, ob daz geschiht! so kannst du nicht die Meine werden – o weh,
wenn das geschieht!

05 Uns hât der winter geschât über al

Uns hât der winter geschât über al: Uns hat der Winter viel Schaden gebracht:
heide unde walt sint beide nû val, hat Heide und Wald ihrer Farbe beraubt,
dâ manic stimme vil suoze inne hal. wo mancherlei Stimme so lieblich erklang. –
Saehe ich die megde an der strâze den Säh' ich die Mädchen am Wege den Ball
bal werfen, dann käme zurück auch der Vögel
werfen, sô kaeme uns der vogele schal. Gesang.

Möhte ich verslâfen des winters zît! Könnt' ich den Winter nur verschlafen!
wache ich die wîle, sô hân ich sîn nît, Solange ich wach bin, hasse ich ihn,
daz sîn gewalt ist sô breit und sô wît. denn seine Macht ist so groß und so weit. –
Weiz got, er lât ouch dem meien den Doch weiß Gott, eines Tages hat der Mai
strît: gesiegt:
sô lise ich bluomen, dâ rîfe nû lît. dann pflück ich Blumen, wo der Schnee jetzt
liegt.

06 Ihr müsst nur schauen


Muget ir schouwen, waz dem meien Könnt ihr sehen, was dem Mai
wunders ist beschert? für Wunder sind beschert?
Seht an pfaffen, seht an leien, Seht Gelehrte und die Laien,
wie daz allez vert! wie sie in Bewegung sind!
Grôz ist sîn gewalt – Groß ist seine Macht –
ine weiz, obe er zouber künne: ich weiß nicht, ob er zaubern kann:
swar er vert in sîner wünne, Wohin er fährt mit seinen Freuden,
dân ist niemen alt. da ist niemand alt.

Rôter munt, wie dû dich swachest – Roter Mund, es steht dir nicht gut an –
lâ dîn lachen sîn! hör auf, mich auszulachen!
Scham dich, daz dû mich an lachest Und schäm dich, dass du mich verspottest,
nâch dem schaden mîn. wenn ich den Schaden habe.
Ist daz wol getân? – Ist das recht getan? –
ôwê sô verlorner stunde, Schade um verlorne Stunden,
sol von minneclîchem munde wenn ein lieblich schöner Mund
solch unminne ergân! Lieblosigkeit zeigt!

Scheidet, frouwe, mich von sorgen, Nehmt mir, Dame, diese Sorgen,
liebet mir die zît! macht mir den Frühling schön!
Oder ich muoz an fröiden borgen. Sonst such ich anderswo mein Glück
daz ir saelic sît! und sag euch Lebewohl.
Muget ir umbe sehen? – Schaut euch doch mal um:
sich fröit al diu welt gemeine: Alle Welt freut sich gemeinsam –
möhte mir von iu ein kleine könnt' mir nicht von euch ein kleines
fröidelîn geschehen! Freudelein geschehen?

Neuhochdeutsch gesungene Version


vom Musiktheater Dingo
(Nachdichtung: Lothar Jahn):

Ihr müsst nur schauen, was der Maien


Uns nun hat beschert.
Alle, die's fühlen, sind im Freien
Froh und unbeschwert.
Er kommt mit Gewalt!
Könnt ihr nicht seinen Zauber sehen:
Wer in diesem Licht darf gehen,
Der ist niemals alt.

Was mich noch hindert mitzumachen,


Herrin, das seid ihr!
Roter Mund, schäm dich, sollst nicht lachen!
Spielst du nur mit mir?
Sei doch nicht so schlecht.
Ach und weh, die verlor'nen Stunden,
Wo ich niemals Trost gefunden,
Das ist nicht gerecht!
Herrin, befreit mich von den Schmerzen,
Liebt mich mit der Zeit.
Das bringt uns Freude in die Herzen,
Dann verfliegt das Leid.
Kann's denn nicht gescheh'n?
Ja, die Welt freut sich ohnegleichen!
Ihr müsst mir die Hand nur reichen,
Um ins Licht zu geh'n!

07 Gêrhart Atze

Mir hât hêr Gêrhart Atze ein pfert Mir hat Herr Gerhard Atze ein Pferd
erschozzen zÎsenache. erschossen zu Eisenach.
daz klage ich dem, den er bestât: Der Herr, in dessen Dienst er steht,
derst unser beider voget. soll uns die Sache richten.
Ez was wol drîer marke wert. Drei Goldmark war es gut und gerne wert.
nû hoeret frömde sache, Nun hört die sonderbare Mär,
sît daz ez an ein gelten gât, wie er, wo’s ans Bezahlen geht,
wâ mit er mich nû zoget: versucht, mir zu entwischen:
Er seit von grôzer swaere, Erzählt von großem Schmerz und Weh,
wie mîn pferit maere und dass mein wunderbares Pferd
dem rosse sippe waere, verwandt mit jenem Gaule sei,
daz im den vinger abe der schändlich ihm
gebizzen hât ze schanden. den Finger abgebissen hat.
ich swer mit beiden handen, Ich schwöre nun mit beiden Händen,
daz si sich niht erkanden. – dass sie sich nie gesehen haben. –
ist ieman der mir stabe? Ist jemand da, der mir den Eid bezeugt?

Swâ guoter hande wurzen sint


in einem grüenen garten Wo in einem grünen Garten
bekliben, die sol ein wîser man gute Kräuter wachsen,
niht lâzen unbehuot. soll sie ein kluger Mann
Er sol si schirmen als ein kint, nicht lassen ohne Schutz.
mit ougenweide in zarten: Er soll sie hüten wie ein Kind
dâ lît gelust des herzen an und seine Augen daran weiden:
und gît ouch hôhen muot. das schenkt dem Herzen Freude, Lust
Sî boese unkrût dar under, und einen frohen Mut.
daz breche er ûz besunder Doch schlechtes Unkraut reiße er
(lât erz, daz ist ein wunder) einzeln sogleich heraus
und merke, ob sich ein dorn – wenn nicht, es wäre sonderbar –,
mit kündekeit dar breite, auf dass sich keine Dornenhecke
daz er den furder leite über seine Arbeit legt,
von sîner arebeite – sie wäre sonst verloren.
sist anders gar verlorn.

Uns irret einer hande diet: Uns stört so ein gewisser Schlag von Leuten –
der uns die furder taete, wenn jemand die verjagen tät',
sô möhte ein wol gezogener man könnte ein wohlgebildeter Mann
ze hove haben die stat. schon seinen Platz bei Hofe finden.
Die lâzent sîn ze spruche niet – Die Schnauzen schnattern unentwegt,
ir drüzzel derst sô draete, und sänge jener noch so gut,
kunde er, swaz ieman guotes kan, es hilft ihm alles nicht die Spur,
daz hulfe niht ein blat. sie fallen ihm ins Wort:
"Ich und ein ander tôre, "Ich und du und noch ein Tor,
wir doenen in sîn ôre, wir gröhln ihm unser Lied ins Ohr,
daz nie kein münch ze kôre so laut, wie nie ein Mönch im Chor
sô sêre mê geschrei." – gesungen hat zuvor." –
Gefüeges mannes doenen Des wahren Meisters Weisen
daz sol man wol beschoenen, soll man verständig preisen,
des ungefüegen hoenen – dem Schelm die Türe weisen –
hie gêt diu rede enzwei. hier bricht mein Singen ab.

08 Halmorakel

In einem zwîvellîchen wân In zweifelnden Gedanken


was ich gesezzen und gedâhte, saß ich da und überlegte:
ich wolte von ir dienste gân, Ich wollte schon aus ihrem Dienste scheiden,
wan daz ein trôst mich wider brâhte. aber ein Trost hielt mich zurück.
Trôst mag ez rehte niht geheizen, ôwê Trost mag er eigentlich nicht wirklich heißen,
des! ach –
ez ist vil kûme ein kleinez troestelîn, kaum mehr als nur ein winzig kleines Tröstelein,
sô kleine, swenne ichz iu gesage, ir so klein, dass, wenn ich es euch sage, ihr
spottet mîn. darüber lacht. –
doch fröut sich lützel ieman, er enwizze Doch freut sich niemand gänzlich ohne Grund.
wes.
Mich hat ein Strohhalm froh gemacht,
Mich hât ein halm gemachet frô: er sagt, dass ich Erhörung finde.
er giht, ich sül genâde vinden. Ich maß den Halm auf solche Art,
Ich maz daz selbe kleine strô, wie ich's bei Kindern hab gesehen.
als ich hie vor gesach von kinden. Nun hört und passt gut auf, ob sie's denn tut:
Nû hoeret unde merket, ob siz denne "Sie tut, sie tut es nicht, sie tut, sie tut es nicht,
tuo: sie tut!" –
"si tuot, si entuot, si tuot, si entuot, si Wie oft ich es auf diese Weise maß, so war das
tuot!" – Ende immer gut.
swie dicke ich alsô maz, so was daz Das tröstet mich – doch Glaube gehört auch
ende ie guot. dazu.
daz troestet mich: dâ hoeret ouch
geloube zuo.
09 Als diu sunne schienent
(aus dem Leich: Got, dîner Trinitâte)

als diu sunne schînet Wie die Sonne scheint


durch ganz gewürhtez glas, durch unversehrtes Glas,
alsô gebar diu reine Krist, so gebar die Reine Christ,
diu magt und muoter was. die Jungfrau und Mutter war.

10 Unter der Linde

Under der linden Unter der Linde


an der heide, an der Heide,
dâ unser zweier bette was, wo unser beider Bett war,
dâ muget ir vinden da könnt ihr finden,
schône beide schön anzusehen,
gebrochen bluomen unde gras. gepflückte Blumen und Gras.
Vor dem walde in einem tal, Vor dem Wald in einem Tal,
tandaradei, tandaradei,
schône sanc diu nahtegal. schön sang die Nachtigal.

Ich kam gegangen Ich kam gegangen


zuo der ouwe, zu jener Wiese,
dô was mîn friedel komen ê. mein Liebster war schon vor mir da.
Dâ wart ich enpfangen Dort wurde ich empfangen –
– hêre frouwe! – , Heilige Jungfrau! –,
daz ich bin saelic iemer mê. dass ich für immer glücklich bin.
Kust er mich? – wol tûsentstunt! Küsste er mich? – Wohl tausendmal!
tandaradei, Tandaradei,
seht, wie rôt mir ist der munt! seht, wie rot mein Mund ist!

Dô het er gemachet Da hat er gemacht


alsô rîche ganz liebevoll
von bluomen eine bettestat. ein Bett aus lauter Blumen.
Des wirt noch gelachet Darüber wird noch lachen
inneclîche, tief im Herzen,
kumt iemen an daz selbe pfat. wer daran vorübergeht.
Bî den rôsen er wol mac, An den Rosen kann er noch,
tandaradei, tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac. sehen, wo mein Kopf lag.
Daz er bî mir laege, Dass er bei mir schlief,
wessez iemen wüsste es jemand –
– nu enwelle got! – sô schamt ich mich. verhüt' es Gott! – so schämte ich mich.
Wes er mit mir pflaege, Was wir miteinander taten,
niemer niemen soll niemals jemand
bevinde daz, wan er und ich – wissen, außer er und ich
und ein kleinez vogellîn, und ein kleiner Vogel,
tandaradei, tandaradei –
daz mac wol getriuwe sîn. aber der verrät ja nichts.

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