Andreas Müller
E
in faszinierender Gedanke: Jeder Abb. 1
Mensch ist nicht nur einzigartig, er
ist auch vollkommen, so wie er ist. Entwickeln ist dynamisch und schließt den man begrüßen oder bedauern, nur ignorie-
Und er entwickelt sich immer von dort aus Wunsch und den Willen zum Lernen mit ren darf man ihn nicht. Das gilt auch und
weiter, wo er gerade ist. Und, das macht ein. gerade für die Schule. Lehrpersonen, die
die Sache noch attraktiver: Er hat die Mög- „Learning to be able“ sagt man jenseits das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler
lichkeit, diese Entwicklung zu beeinflus- des großen Teiches: Sich in die Lage verset- verbessern wollen, sind damit Menschen,
sen. Wie heißt es so schön: Man soll die zen, den sich wandelnden Herausforderun- die nicht nur im System, sondern auch am
Dinge nehmen, wie sie kommen. Aber man gen der Zukunft gewachsen zu sein. Kurz: System arbeiten – und die das gemeinsam
kann rechtzeitig dafür sorgen, dass sie so selbstwirksam sein, an sich und seine Fä- tun. Das ist der Geist des Unternehmens:
kommen, wie man sie nehmen möchte. Pe- higkeiten glauben. Oder noch kürzer: „Fit zusammen eine Aufgabe bewältigen, zu-
ter Sloterdijk bringt es auf den Punkt: „Ler- for Life“ (Müller 2002). sammen etwas unternehmen (anstatt es zu
nen ist die Vorfreude auf sich selbst.“ unterlassen) ist der Weg, der Menschen zu-
Ausgangspunkt ist mithin ein Lernen, sammenführt. Daraus entwickelt sich ein
das sich als selbstreferenzieller Konstruk- Das Institut Beatenberg „Commitment“, jenes Powerpotenzial, das
tionsprozess versteht. Das heißt: Lernende Das Institut Beatenberg hat sich auf die die Zusammenarbeit im Hinblick auf die in-
sind aktiv Gestaltende. Sie lernen selbst Fahne geschrieben, eine Stätte des Lernens dividuelle und institutionelle Selbsterneue-
und ständig; sie sind Unternehmer ihrer zu sein, ein Ort, der allen Beteiligten opti- rung wertvoll werden lässt. Zusammenar-
selbst. Lernen versteht sich gleichsam als male Voraussetzungen bietet, fit zu werden beit besteht aus zwei Wörtern „zusammen“
ein lustvolles Entdecken eigener Stärken für ihr Leben. Das Institut liegt im gleich- und „Arbeit“. Zusammenarbeit hat daher
zum Nutzen einer erfolgreichen Lebensge- namigen Ort auf einer Sonnenterrasse des nichts mit teamesoterischer Selbstfin-
staltung. Erfolg steht hier als Synonym für Berner Oberlandes mit unvergleichlichem dungsfolklore gemeinsam. Nein, Zu-
Selbstwirksamkeit, für dieses tiefe Gefühl, Blick auf Eiger, Mönch und Jungfrau. Diese sammenarbeit versteht sich als Ausein-
sich und die Dinge „im Griff“ zu haben. guten Aussichten sollen auf das Lernen andersetzungs- und damit als Lernprozess.
Und Erfolg steht für den Aufbau von Kom- übertragen werden. Seit Jahren setzt die Das verlangt nach der persönlichen Be-
petenzen. „Kompetenzen“ sind eine sprach- Schule deshalb auf die Karte Innovation. reitschaft, die eigene Arbeit zur Diskussion
liche Partnerschaft mit „entwickeln“ einge- Diesen permanenten Anpassungsbedarf zu stellen. Die Lehrpersonen – Coaches
gangen – nicht „vermittelt bekommen“. (fit = well; adapted = gut angepasst) kann vielmehr – des Instituts Beatenberg sind
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Grundschule 12/2002 17
Gefühle der Zufriedenheit und des Stolzes
und entwickeln positive Erwartungen für
ihr zukünftiges Leistungsverhalten“.
Ein wichtiges Prinzip heißt demnach:
sich den Erfolg organisieren. Dazu gehört
auch, dass die Schülerinnen und Schüler in
den Lernteams sich wöchentlich ihre „Tops
of the Week“ präsentieren. Sie stellen ei-
nander vor, was sie an wichtigen Erkennt-
nissen gewonnen und wie sie das geschafft
haben.
Da die Straße zum Erfolg sich bekannt-
lich als Dauerbaustelle präsentiert, steht
neben jedem Arbeitsplatz eine „Baustelle“.
Diese Baustelle bildet die symbolträchtige
„Hardware“ für das Referenzieren. Das
Prinzip hinter dem Referenzieren ist es, in-
dividuelle Leistungen mit einem Referenz-
wert in Beziehung zu bringen. Diesen Refe-
renzwert und damit die inhaltliche Basis
bilden so genannte Kompetenzraster. Sie
werden an der Baustelle befestigt (siehe
Abb. 2).
Die Kompetenzraster definieren die In-
halte und die Qualitätsmerkmale der ver-
schiedenen Fachgebiete in Form präziser
Can-do-Statements. In der Vertikalen der
Raster sind jene Kriterien aufgeführt, die
das Fachgebiet inhaltlich bestimmen. In Abb. 3
der Horizontalen werden zu jedem dieser
Kriterien vier bis sechs Niveaustufen defi- besprechen die Schülerinnen und Schüler Die Aktivitätsschwerpunkte werden hin zu
niert. ihre Arbeiten mit ihrem Coach und schla- Lernenden verlagert. Sie übernehmen die
Die Kompetenzraster verstehen sich als gen vor, wo diese Arbeit in den jeweiligen Hauptverantwortung für ihre Leistungen
integrale Arbeits-, Selbstführungs- und Kompetenzrastern einzuordnen sei. Farbi- und deren Qualität, gefordert und gefördert
Evaluationsinstrumente. Die Arbeiten der ge Klebepunkte machen deutlich, welchen von ihren „Coaches“. Die Baustellen als
Lernenden finden ihren Niederschlag – Kriterien und Qualitätsmerkmalen eine transparente Informationsplattform unter-
oder eben ihre Referenz – in den Rubriken Leistung entspricht. Durch die farbigen stützen die Kooperationsmöglichkeiten un-
des Kompetenzrasters. Zu diesem Zweck Punkte entsteht mit der Zeit ein individuel- ter den Lernenden. Es entwickelt sich eine
les Kompetenzprofil im jeweiligen Fachbe- Learning Community, ein förderliches und
reich (siehe Abb. 3). partnerschaftliches Umfeld, wo Beteiligung
Die entstehenden Profile spiegeln die und Sinnstiftung das Lernen zur Baustelle
Qualität und Quantität der Leistungen in des Erfolges machen. ●
den betreffenden Gebieten. Sie zeigen di-
rekt und unmittelbar, was eine Schülerin
oder ein Schüler an Leistungen erbracht
hat (Performanz). Damit wird eine Referen-
zierung zweiten Grades möglich: der Ver-
gleich des eigenen Stärken-Schwächen-Pro-
fils mit den Anforderungsprofilen weiter-
führender Ausbildungen und/oder persön-
lichen Ansprüchen. Die sich aus diesem
Vergleich ergebenden und auf einen Blick
sichtbaren Differenzen zeigen den Hand-
lungsbedarf. Entsprechend lassen sich Ak-
zente setzen und Programme gestalten, die
der individuellen Situation und den Bedürf-
nissen Rechnung tragen. Das Lernen wird
damit zu einer wirklich persönlichen Ange- Literatur ————————————————————————
legenheit. Laskowski, Annemarie: Was den Menschen antreibt. Ent-
stehung und Beeinflussung des Selbstkonzeptes. Frank-
Referenzieren versteht sich als lösungs- furt/Main 2000
und entwicklungsorientierte Form der Müller, Andreas: Nachhaltiges Lernen. Oder: Was Schule
Leistungsbeurteilung. Jeder farbige Punkt mit Abnehmen zu tun hat. Beatenberg 1999
auf den Kompetenzrastern trägt eine Num- Müller, Andreas: Lernen steckt an. Bern 2001
Müller, Andreas: Wenn nicht ich, ...? Und weitere unbe-
mer. Diese findet sich wieder auf den Ar- queme Fragen zum Lernen in Schule und Beruf. Bern
beiten, die in ein Lernportfolio abgelegt 2002
worden sind. Damit sind alle Punkte jeder- Rose, Colin: Master it faster. How to learn faster, make
zeit identifizierbar. Und das Portfolio sei- good decisions and think creatively. Aylesbury 1999
Sloterdijk, Peter: Lernen ist Vorfreude auf sich selbst.
nerseits wird seiner Funktion als direkte Peter Sloterdijk im Gespräch mit Reinhard Kahl über den
Leistungsvorlage gerecht (vgl. Müller Abschied vom Ernstfall und die Entprofessionalisierung
Abb. 2 2002). der Schule. unveröffentlichtes Manuskript 2002