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Deuterocanonical and

Cognate Literature
Yearbook 2008


Deuterocanonical and
Cognate Literature
Edited by

Friedrich V. Reiterer, Pancratius C. Beentjes,


Núria Calduch-Benages, Benjamin G. Wright

Walter de Gruyter · Berlin · New York


Yearbook 2008

Biblical Figures in Deuterocanonical


and Cognate Literature

Edited by
Hermann Lichtenberger
and Ulrike Mittmann-Richert

Walter de Gruyter · Berlin · New York



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to ensure permanence and durability.

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Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet
at http://dnb.d-nb.de.

ISBN 978-3-11-020368-4
ISSN (Print) 1614-3361
ISSN (Internet) 1614-337X

© Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin
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may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechan-
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Printed in Germany
Cover Design: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort

Der vorliegende Sammelband enthält die Beiträge des dritten inter-


nationalen Kongresses der International Society for the Study of Deutero-
canonical and Cognate Literature (ISDCL), der vom 30. Juni bis zum
4. Juli 2007 in Tübingen stattfand. Er stand unter dem Thema „Biblical
Figures in Deuterocanonical and Cognate Literature. The Reception
and Function of Biblical Figures in Deuterocanonical and Other Early
Jewish Literature“. Die Beiträge dokumentieren den Bedeutungswan-
del, den viele biblische Gestalten in hellenistischer Zeit erfuhren, und
die religiöse Funktion, die sie in dieser Epoche eines politischen, kul-
turellen und religiösen Umbruchs als Identifikationsgestalten für das
um seine nationale Einheit ringende Judentum gewannen. Im Vorder-
grund stehen die theologischen Fragen, mit denen sich das Judentum
in hellenistisch-römischer Zeit auseinandersetzte und in denen sich die
historische Problematik eines durch die geschichtliche Entwicklung an
den Rand seiner Existenz gedrängten und in der weltweiten Zerstreu-
ung lebenden Volkes spiegelt. Der Versuch einer zugleich theologisch-
systematischen und historischen Bewertung des genannten traditions-
geschichtlichen Phänomens führt die ältere Forschung zum Thema
übergreifend fort und vertieft die Problematik sozio-kulturell.
Der auf die biblischen Hauptgestalten gerichtete Interpretationsan-
satz ist in besonderem Maße geeignet, den eigentümlichen Charakter
der frühjüdischen Literatur in ihrer Vielfalt zu veranschaulichen. Be-
wusst werden dabei nicht allein die sogenannten Apokryphen bzw. die
deuterokanonischen Schriften in den Blick genommen, sondern auch
die Pseudepigraphen des Alten Testaments, das Qumran-Schrifttum,
Philo, Josephus, die Mischna und frühe Auslegungen der Tora. Da die
biblische Tradition das gesamte nachbiblische Schrifttum geprägt hat,
kann die Rezeption biblischer Gestalten als literarisches Phänomen,
das besonderen historischen und theologischen Bedingungen unter-
liegt, nur in der Gesamtschau antik-jüdischer Texte erfasst werden. Die
frühchristliche Literatur nimmt an dieser Rezeptionsgeschichte teil und
ist daher in einem eigenen Kapitel vertreten.
Unser besonderer Dank gebührt der Deutschen Forschungsgemein-
schaft und dem Universitätsbund Tübingen für die großzügige finanzielle
VI Vorwort

Unterstützung der Tagung und des vorliegenden Sammelbandes und


dem Ephorus des Tübinger Evangelischen Stifts, Prof. Dr. VOLKER HEN-
NING DRECOLL, für die gastliche Aufnahme. MARIETTA HÄMMERLE dan-
ken wir für ihre unermüdliche Hilfe bei der Organisation und Durch-
führung des Kongresses, ferner KATHARINA RUOPP, MELANIE RATZ und
NIKO ZAFT für die organisatorische Mitarbeit. MONIKA MERKLE sei
Dank für die Korrektur der Manuskripte, Prof. Dr. SCOTT CAULLEY für
die Durchsicht der englischsprachigen Beiträge und Dr. NORBERT RABE
für den Satz des vorliegenden Bandes. JULIA RUF und NIKO ZAFT ver-
danken wir die Anfertigung der Register. Dem Vorstand der Inter-
national Society for the Study of Deuterocanonical and Cognate Literature,
Prof. Dr. FRIEDRICH REITERER und Prof. Dr. RENATE EGGER-WENZEL,
danken wir für mancherlei organisatorischen Beistand.

Tübingen/Osnabrück im Juli 2009

HERMANN LICHTENBERGER
ULRIKE MITTMANN
Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

Deuterocanonical Literature /Old Testament Apocrypha

BERND JANOWSKI
Gottes Weisheit in Jerusalem. Sirach 24 und die biblische
Schekina-Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

JEREMY CORLEY
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 . . . . . . . 31

HERBERT NIEHR
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
˙

BARBARA SCHMITZ
Casting Judith. The Construction of Role Patterns in the Book
of Judith . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

RENATE EGGER-WENZEL
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? . . . . 95

HEINZ-DIETER NEEF
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 123

NURIA CALDUCH-BENAGES
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
VIII Inhalt

PANCRATIUS C. BEENTJES
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate
Literature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

STEPHEN D. RYAN
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition . . . 183

Pseudepigrapha

ANNA MARIA SCHWEMER


Vitae Prophetarum und Neues Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199

GÉZA G. XERAVITS
The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets . . . . . . . . . . . 231

ULRIKE MITTMANN-RICHERT
Joseph und Aseneth. Die Weisheit Israels und die Weisheit der
Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

JAN DOCHHORN
Die Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und die Weltherrschaft
Adams in Vit Ad 11 – 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

CHRISTFRIED BÖTTRICH
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch . . . . . . . . . . . . . . 303

BEATE EGO
Abraham’s Faith in the One God – A Motif of the Image of
Abraham in Early Jewish Literature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

MARKUS WITTE
Hiob und seine Frau in jüdischen Schriften aus hellenistisch-
römischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
Inhalt IX

Qumran

ARMIN LANGE
Between Zion and Heaven. The New Jerusalem Text from
Qumran as a Paratext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397

MARKUS ÖHLER
Wasser in der Wüste. Ex 17 und Num 20f in den Texten von
Qumran und bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413

Josephus and Philo

OTTO KAISER
Die eschatologische Prophetie im Danielbuch bei Flavius
Josephus. Ein Beitrag zum Verständnis des Josephus . . . . . . . . 441

GERHARD SWART
Rahab and Esther in Josephus. A Comparative Analysis . . . . . 471

JÓZSEF ZSENGELLÉR
Changes in the Balaam-Interpretation in the Hellenistic Jewish
Literature (LXX, Philon, Pseudo-Philon and Josephus) . . . . . . 487

Rabbinic Literature

STEFAN C. REIF
The Figure of David in Early Jewish Prayer . . . . . . . . . . . . . . . . 509

HERMANN LICHTENBERGER
Elia-Traditionen bei vor- bzw. frührabbinischen Wundertätern 547
X Inhalt

New Testament

ODA WISCHMEYER
Abraham unser Vater. Aspekte der Abrahamsgestalt im Neuen
Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567

EVE-MARIE BECKER
Elija redivivus im Markus-Evangelium? Zur Typologisierung
von Wiederkehr-Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587

Armenian Literature

MICHAEL E. STONE
Biblical Figures in the Armenian Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . 629

List of Contributors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 647


Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651
Deutsches Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659
English Index of Subjects . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667
Deuterocanonical Literature /Old Testament Apocrypha
Gottes Weisheit in Jerusalem
Sirach 24 und die biblische Schekina-Theologie

BERND JANOWSKI

Für Johannes Marböck

Die Frage nach der Gegenwart Gottes in Israel hat das Alte Testament
immer wieder umgetrieben. Die Antworten, die es in der langen Ge-
schichte seiner Entstehung darauf gab, entsprechen seinem dynami-
schen Gottesbild. JHWH offenbarte sich nicht nur in Gewitter- oder
Vulkanerscheinungen (Ex 19,16 – 20), sondern – jene Erscheinungen
transformierend – auch in der geheimnisvollen Stimme, die Elia am
Gottesberg vernahm (1 Kön 19,11ff ). Nach dem alten Tempelweihe-
spruch von 1 Kön 8,12f hatte JHWH sogar erklärt, im Dunkel des Al-
lerheiligsten wohnen zu wollen, und in spätnachexilischer Zeit wurde
schließlich der Himmel sein Thron und die Erde der Schemel seiner
Füße (Jes 66,1f ). Gottesberg, Tempel und Himmel sind nicht die ein-
zigen, aber doch markante Bezugspunkte des ursprünglich familien-
und sippenbezogenen Israel-Gottes. Sie bezeugen eine dramatische
Metamorphose des alttestamentlichen Gottesbildes, die in der antiken
Religionsgeschichte ihresgleichen sucht.
Integraler Bestandteil dieser Metamorphose ist auch die Schekina-
Theologie, d. h. die Vorstellung, dass JHWH im Jerusalemer Tempel
oder in seinem erwählten Volk „Wohnung genommen“ (ñkÅw ÏÄ) 1 habe und
in dieser Weise in Israel gegenwärtig sei. In der spätnachexilischen
Weisheitstheologie enthält die Vorstellung von der „Einwohnung

1 Siehe dazu die Hinweise unten Anm. 13. Der Terminus Schekina taucht erst nach 70
n. Chr. bei den Rabbinen auf und „besagt die Fortdauer der Bundes-Treue Gottes
bzw. der Erwählung Israels in der tempellosen Exilszeit. Die Schekhina-Traditionen
stützen sich auf viele biblische Aussagen, wonach Gott sich stets zu Israel hin bewegt
und im Bundeszelt, im Tempel und im Kreis der sündigen, bangenden und hoffen-
den Israeliten Wohnung nimmt“ (THOMA, Schekhina 352). Zur rabbinischen Scheki-
na-Theologie siehe die klassische Darstellung von GOLDBERG, Untersuchungen, fer-
ner KUHN, Gottes Selbsterniedrigung; SCHÄFER, Vorstellung; SCHÄFER, Gott 84f.110f.
117ff; ERNST, Schekı̂na, und SIEVERS, Begriff.
2 BERND JANOWSKI

Gottes“ Aspekte, die auf eine Hypostasierung oder Personalisierung


hindrängen und in rabbinischer Zeit schließlich die Konturen einer
„Biblical Figure“ – so die Themaformulierung dieses Symposions –
annehmen. Ein prominentes Beispiel dafür ist das Selbstlob der Weis-
heit in Sir 24, das im Folgenden im Zentrum steht. Um die Rezeption
der alttestamentlichen Schekina-Theologie in Sir 24 nachzuzeichnen,
gebe ich zunächst einen Überblick über die traditionsgeschichtlichen
Aspekte (1.) und frage dann nach ihrer Funktion in Sir 24 (2.). Am
Ende steht ein biblisch-theologischer Ausblick (3.).

1. Zur Religions- und Traditionsgeschichte


der Schekina-Theologie

Der Ausdruck „Einwohnung Gottes“ umschreibt einen Sachverhalt,


der nicht auf die alttestamentlich-jüdische Gottesvorstellung beschränkt
ist, hier aber eine besondere Ausprägung erfahren hat.2 Mit dem Ter-
minus Schekina ist
„die ,Einwohnung’ Gottes im Volk Israel und in seinen Institutionen ge-
meint, d. h. die praesentia Dei specialis in Heiligtum und Gemeinschaft
und die heilvolle Begleitung Israels durch die Geschichtszeit hindurch bis
zur endzeitlichen Fülle von seiten des sich herabneigenden Gottes Israels“.3

Es geht dabei, wie das Beispiel Ägypten zeigen kann, wesentlich um den
„Ort der Gottheit“ 4 in der Spannung von himmlischer ,Herkunft’ und
irdischer ,Ankunft’.

1. 1 Ägypten

Mit der Vorstellung von der Einwohnung der Gottheit wurde schon in
Ägypten die Beziehung der Götter/Göttinnen zur Welt der Menschen
thematisiert, zunächst im Opferritual und im königlichen Totenkult
des Neuen Reichs (18. – 20. Dynastie) und dann besonders im Rahmen
der späten Bildtheologie der griechisch-römischen Zeit.5 Die ägypti-
sche Idee der „Einwohnung“ 6 lässt sich am besten durch den Begriff

2 Siehe dazu den Überblick bei NIEWÖHNER, Schechina.


3 THOMA, Schekhina 352.
4 Dazu aus ägyptologischer Sicht HORNUNG, Der Eine 242ff, und ASSMANN, Ägypten 25ff.
5 Siehe dazu MORENZ, Religion 157ff; ASSMANN, Ägypten, und ASSMANN, Einwohnung.
6 Der Terminus „Einwohnung“ wurde offenbar von H. JUNKER in die Ägyptologie ein-
geführt, siehe dazu ESCHWEILER, Bildzauber 287ff. Für Mesopotamien siehe DIETRICH,
Kultbild 35ff, und BERLEJUNG, Theologie 281ff.
Gottes Weisheit in Jerusalem 3

der descensio, d. h. der „Herabkunft“ der Gottheit auf ihr Kultbild, fas-
sen: Die Gottheit steigt als „Ba“ (Verkörperung der vitalen Lebens-
energie) vom Himmel, ihrer ältesten Heimat, herab, um in Gestalt ihrer
Bilder am Kult teilzunehmen. Dabei wird die Unterschiedenheit von
Gott und Bild gewahrt: Die Götter/Göttinnen sind als „Ba“ im Him-
mel und ihre Bilder sind auf der Erde, aber im Kult ereignet sich täg-
lich ihre „Einwohnung“ oder „Einkörperung“. Schematisch dargestellt:

Himmel „Ba“ (Verkörperung der vitalen Lebensenergie)


der Gottheit

Vorgang der „Herabkunft“ (descensio, ägyptisch


Tempel/Kult h j „herabsteigen“ und anderes) in Gestalt eines
Vogels (Horusfalke, Sperber und anderes)

Kultbild (shm „Verfügungs- oder Machtbild“) der


Erde ˘
Gottheit, Wandrelief ( hmw und anderes)
¯

Die in den Tempeln vollzogenen Riten sorgen demnach dafür,


„daß die himmlischen Götter auf die Erde hinuntersteigen und ihre Bilder
beseelen, so daß, im Falle eines unablässig vollzogenen Kults, die Götter in
Ägypten eine Art ständigen Wohnsitz nehmen und Ägypten auf diese Wei-
se zum ,Tempel der ganzen Welt’ (templum totius mundi) machen“.7

So heißt es in einem Morgenlied aus Edfu von Horus:


Er kommt vom Himmel Tag für Tag,
um sein Bild zu sehen auf seinem Großen Thron.
Er steigt herab (h j) auf sein Bild (shm)
und gesellt sich zu seinen Kultbildern˘ ( hmw). 8
¯
Und ein entsprechender Text in Dendera sagt von Hathor:
Sie fliegt vom Himmel herab ( pj) . . .,
um einzutreten in die Achet ihres Ka auf Erden,
sie fliegt herab auf ihren Leib,
sie vereinigt sich mit ihrer Gestalt. 9

7 ASSMANN, Einwohnung 124. Zu dieser spätägyptischen „Theologie der Einwohnung“


siehe umfassend KURTH, Treffpunkt.
8 Zitiert nach ASSMANN, Ägypten 52. Zur ägyptischen Terminologie der „Herabkunft“
siehe ESCHWEILER, Bildzauber 288.
9 Zitiert nach ASSMANN, Ägypten 52.
4 BERND JANOWSKI

Die „Herabkunft“ der Gottheit gilt aber nicht nur dem Kultbild, son-
dern auch den Wandreliefs:
Sie vereinigt sich mit ihren Gestalten,
die eingemeißelt sind in ihrem Heiligtum.
Sie läßt sich nieder auf ihre Gestalt,
die auf der Wand eingemeißelt ist.10

Besonders eindrücklich ist wieder ein spätägyptischer Text aus Den-


dera, der die Vereinigung des Gottes Osiris mit seinen Darstellungen in
den Osiris-Kammern beschreibt:
Osiris . . . kommt als Geist ( h),
um sich mit seiner Gestalt in˘ seinem Heiligtum zu vereinigen.
Er kommt vom Himmel geflogen als Sperber
mit glänzendem Gefieder, und die Ba’s der Götter mit ihm.
Er schwebt als Falke herab auf sein Gemach in Dendera . . .
Er erblickt sein Heiligtum . . .
in Frieden zieht er ein in sein herrliches Gemach
mit den Ba’s der Götter, die um ihn sind.
Er sieht seine geheime Gestalt an ihren Platz gemalt,
seine Figur auf die Mauer graviert;
da tritt er ein in seine geheime Gestalt,
läßt sich nieder auf seinem Bild (shm) . . .,
˘
und die Ba’s der Götter nehmen Platz an seiner Seite.11

Typisch für die ägyptische Idee der „Einwohnung“ sind nach diesen
Texten drei Aspekte: zum einen das Moment der „Herabkunft“ (de-
scensio), die Gott und Bild in eine vertikale Beziehung zueinander setzt,
sodann eine Art ,Zwei-Naturen-Lehre’, die zwischen dem Ba der Gott-
heit und ihrem Bild unterscheidet, und schließlich die Terminologie
der „Vereinigung“, die den „Ba“ der Gottheit und ihr Kultbild in eine
innere Beziehung zueinander bringt. Kennzeichnend für diese Art der
Gottesgegenwart ist das Moment des Prozess- bzw. Ereignishaften, das
der lokalen Dimension der göttlichen Zuwendung den Aspekt des Sta-
tischen nimmt.
„Die Götter »wohnen« nicht auf Erden, was ein Zustand wäre, sondern sie
»wohnen ein«, und zwar ihren Bildern: Das ist ein Vorgang, der sich zwar
regelmäßig und immer wieder ereignet, dessen Realisierung aber von der
Mitwirkung der Menschen, dem Kult abhängig ist.“ 12

10 Zitiert nach ASSMANN, Ägypten 52.


11 Zitiert nach ASSMANN, Einwohnung 126; vgl. ASSMANN, Ägypten 52.
12 ASSMANN, Ägypten 53. Zum Thema „Einwohnung der Gottheit“ in mesopotami-
schen Texten siehe DIETRICH, Kultbild 35ff (mit Beispiel aus neuassyrischen Konse-
krierungsritualen), und BERLEJUNG, Theologie 281 – 283.
Gottes Weisheit in Jerusalem 5

1. 2 Altes Testament

Im Unterschied zu Ägypten und Mesopotamien hat sich die Vorstel-


lung von der „Einwohnung Gottes“ im Alten Testament nicht im Um-
kreis der (Kult-)Bild-, sondern der Tempeltheologie entwickelt.13 Am
Anfang steht dabei – den ägyptischen Texten und ihrer Terminologie
der „Herabkunft“ vergleichbar – die vertikale Sinndimension: JHWH
„wohnt“ (ñkÅw ÏÄ) als Königsgott im Tempel/auf dem Zion (1 Kön 8,12f;
Jes 8,18),14 der durch seine vertikale, an der Gottesthronmotivik ori-
entierten Achse als kosmischer Ort („Weltberg“) qualifiziert ist:
12 Damals sprach Salomo:
„JHWH hat erklärt, im Wolkendunkel zu wohnen.
13 Ich habe dir wahrhaftig ein herrschaftliches Haus gebaut,
eine Stätte für dein Wohnen (fT b Ï
wÇ l ñu´k mÄ) für alle Zeiten.“ (1 Kön 8,12f )

Als Stätte der kultisch repräsentierten Gottesgegenwart ist der Tempel


– so die Grundkonzeption der Jerusalemer Tempeltheologie – der Ort,
an dem himmlischer und irdischer Bereich ineinander übergehen und
die Kultordnung mit ihrer komplexen Symbolik in Relation zum Welt-
ganzen steht. Hier, auf dem kosmisch dimensionierten Gottesberg Zi-
on, hatte JHWH als Weltkönig Wohnung genommen, und hier wird er
bei der erhofften Heilswende wieder gegenwärtig sein. Der Text, der
dies in geradezu klassischer Weise zum Ausdruck bringt, ist der Rah-
men der „Denkschrift Jesajas“ (Jes *6,1 – 8,18), der in Jes 8,16 – 18 unter
Rückgriff auf Jes 6,1– 5 die Vorstellung von der Einwohnung JHWHs
auf dem Zion tradiert: 15
Jes 6,1 – 5
1 Im Todesjahr des Königs Ussia
sah ich den Herrn,
ÏÈÊ)
sitzend (bw i auf einem hohen und aufragenden Thron,
wobei seine Gewandsäume den Tempelraum ausfüllten.
2 Seraphen standen über ihm:
Je sechs Flügel hatte einer:
mit zweien bedeckte er sein Gesicht
und mit zweien bedeckte er seine Füße
und mit zweien flog er (ständig).

13 Zur alttestamentlichen Schekina-Theologie siehe GESE, Johannesprolog 173ff; GESE,


Weisheit 226ff; JANOWSKI, Mitte; JANOWSKI, Gott 265ff; JANOWSKI, Shekhina; GÖRG,
ñkÅ w
ÏÄ 1344ff; HULST ñkÅ w
ÏÄ; SCHOLTISSEK, Sprache 88ff; SCHREINER, Wohnen; SEDLMEIER,
Mitte.
14 Vgl. sachlich Joël 4,17.21; Ps 135,21, ferner Jes 33,5; 57,15.
15 Siehe dazu BARTHEL, Prophetenwort 228ff, besonders 239ff.
6 BERND JANOWSKI

3 Und einer rief dem anderen zu


und sprach:
„Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaoth,
die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit!“
4 Da bebten die Zapfen der Schwellen vor der Stimme des Rufers,
und das Tempelhaus füllte sich mit Rauch.
5 Da sagte ich:
„Weh mir,
denn ich bin vernichtet/verloren!
Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich
und inmitten eines Volkes unreiner Lippen wohne ich;
denn den König JHWH Zebaoth haben meine Augen gesehen!“

Jes 8,16 – 18
16 Einwickeln will ich die Bezeugung,
versiegeln die Weisung unter denen, die ich belehrt habe,
17 und warten auf JHWH, der sein Gesicht verbirgt
vor dem Haus Jakobs,
und auf ihn hoffen.
18 Siehe, ich und die Kinder, die mir JHWH gegeben hat,
wir sind Zeichen und Vorbedeutungen in Israel
von JHWH Zebaoth, der auf dem Berg Zion wohnt (ñkÈÊ
Ï
WhÅ).

Wie sehr Jes 6,1– 5 der religiösen „Symbolik des Zentrums“ 16 ver-
pflichtet ist, ergibt sich aufgrund des vertikalen Gefälles, das im Motiv
des „hohen und aufragenden Throns“ (V. 1a) sowie im Motiv der (Tür-)
Zapfen/Schwellen (V. 4a) zum Ausdruck kommt, die vor der Stimme
der Seraphen erbeben. Da dieses „Beben“ der (unten befindlichen)
Tempelschwellen eine Reaktion auf die Präsenz des (in der Höhe) thro-
nenden Königsgottes sowie auf das Trishagion („Heilig, heilig, heilig
. . .“) der Seraphen ist, ergibt sich für das Weltbild der Jerusalemer
Tempeltheologie der (mittleren/späten) Königszeit eine dominante ver-
tikale Achse, die um eine horizontale, auf die „ganze Erde“ (V. 3b) be-
zogene Dimension ergänzt wird: In der räumlichen Achse der Vertika-
len überragt der Gottesthron den Tempel so hoch wie ein Berg („Got-
tesbergvorstellung), während die davon abhängige horizontale Achse
den Herrschaftsbereich dieses Königsgottes darstellt, nämlich die gan-
ze Erde, in der sich seine verzehrende Heiligkeit Ehrfurcht gebietend
äußert und auswirkt (V. 3b). Der von Jesaja im Jerusalemer Tempel
visionär geschauten Gegenwart JHWHs auf einem „hohen und aufra-

16 Siehe dazu METZGER, Wohnstatt; HARTENSTEIN, Unzugänglichkeit 30ff.41ff.109ff, und


JANOWSKI, Wohnung.
Gottes Weisheit in Jerusalem 7

genden Thron“ (V. 1a) entspricht damit die „Ausstrahlung“ der wirk-
mächtigen Präsenz des Königsgottes in die „ganze Erde“ (V. 3b), d. h.
bis an die Peripherie des von der Herrlichkeit des Königsgottes erfüll-
ten und belebten Weltganzen. Schematisch lassen sich diese Relationen
folgendermaßen darstellen:

Gottesthron
HÖHE

Bewohnte Erde Bewohnte Erde


versus versus
Wüste/Meer Wüste/Meer

ZENTRUM
PERIPHERIE PERIPHERIE
Tempel/Stadt
(Randgebirge /Meer) (Randgebirge /Meer)

TIEFE
Tempelschwellen

Diese kosmisch dimensionierte Schekina-Vorstellung der Jerusalemer


Theologie, zu der auch die „Mitte“-Aussage von Ps 46,5f zu zählen ist,
hat bei den klassischen Propheten ein kritisches Echo gefunden und
ihre Gerichtstheologie mitinspiriert (vgl. Am 5,17; Mi 3,11). Erst die
deuteronomische Zentralisationsformel spricht wieder von dem „Ort,
den JHWH erwählt, um dort seinen Namen wohnen zu lassen (ñkÅw ÏÄ
ÊÇ)“: 17
Pi el)/zu deponieren (Õiw
dann sollt ihr alles, wozu ich euch verpflichte, zu der Stätte bringen, die
der Herr, euer Gott, erwählt, indem er dort seinen Namen wohnen lässt
Ï Pi el): eure Brandopfertiere und Schlachtopfertiere, eure Zehnten und
(ñkw

17 Vgl. Dtn 12,5.21; 14,23f; 16,2.6.11 und öfter; siehe dazu REUTER, Kultzentralisation
121ff.130ff.134ff; LOHFINK, Kultzentralisation; ferner KELLER, Untersuchungen, und
RICHTER, History.
8 BERND JANOWSKI

Handerhebungsopfer, und alle eure auserlesenen Gaben, die ihr dem


Herrn gelobt habt. (Dtn 12,11)

Die vertikale Dimension der vorexilischen Schekina-Theologie wird in


der Exilszeit aufgrund der Zerstörung des Tempels (vgl. Ps 74,1f ) und
der Neugestaltung der Zionstheologie transformiert,18 d. h. von der
Vertikalen gleichsam in die Horizontale überführt: Die Schekina-Theo-
logie erhält jetzt eine nationale, auf die Restitution Israels als „Volk
Gottes“ bezogene, geradezu ,ekklesiologische’ Dimension, denn statt
im Tempel oder auf dem Zion will JHWH nun „inmitten der Israeliten“
wohnen.19 Signifikant dafür ist etwa Ez 43,7 – 9 innerhalb der großen
Heiligtumsvision Ez 40 – 48:

7 Und er sagte zu mir:


A „Menschensohn, (siehe) den Ort meines Thrones und den Ort mei-
ner Fußsohlen, wo ich für immer inmitten der Israeliten wohnen will.
B Das Haus Israel aber soll meinen heiligen Namen nicht mehr
verunreinigen,
weder sie noch ihre Könige, durch ihre Buhlerei und die
(Toten-)Opfer ihrer Könige ‹bei ihrem Tod› –
C 8 dadurch, dass sie ihre Schwelle neben meine Schwelle und
ihren Türpfosten neben meinen Türpfosten setzten,
so dass (nur) eine Wand zwischen mir und ihnen lag
und sie (immer wieder) meinen heiligen Namen
durch ihre Greuel,
die sie begingen, verunreinigten,
so dass ich sie in meinem Zorn vernichtete.
B 9 Nun mögen sie ihre Buhlerei und die (Toten-)Opfer ihrer Könige
von mir entfernen,
A so will ich für immer in ihrer Mitte wohnen.“ (Ez 43,7 – 9) 20

Dieser explizite Israel-Bezug ist das Novum der exilischen Schekina-


Theologie. Wieder einen Schritt weiter führt demgegenüber die Sche-
kina-Theologie der persischen Zeit, die JHWHs Rückkehr zum Zion mit
seinem Wohnen „in der Mitte Jerusalems“ verbindet. Dafür kommen
neben dem dritten Nachtgesicht Sach 2,5 – 9 vor allem das Heilswort
Sach 2,14f und das Prophetenwort Sach 8,3 in Frage: 21

18 Siehe dazu JANOWSKI, Mitte 119ff.


19 Vgl. Ez 43,7.9; Ex 25,8; 29,45f P g (siehe dazu unten), ferner Lev 16,16; Num 5,3; 35,34
(jeweils P s) und 1 Kön 6,11 –13 (spätdeuteronomisch).
20 Zur Interpretation dieses Textes siehe JANOWSKI, Mitte 122ff.
21 Vgl. Joël 4,17.21; Ps 135,21 und öfter.
Gottes Weisheit in Jerusalem 9

8 Und er sprach zu ihm:


„Lauf, sprich zu diesem Bediensteten also:
Als offene Siedlungen daliegen soll Jerusalem wegen der Menge von
Mensch und Tier in seiner Mitte.
9 Ich aber werde ihm werden, Spruch JHWHs,
zu einer Feuermauer ringsherum,
und zur Herrlichkeit werde ich werden in seiner Mitte.“ (Sach 2,8f )

14 Juble und freue dich, Tochter Zion!


Denn siehe, ich komme
und wohne (ñkÅÏwÄ ) in deiner Mitte, spricht JHWH.
15 Und es werden sich versammeln viele Völker zu JHWH an jenem Tag,
und sie werden mein Volk sein:
Ich werde wohnen (ñkÅÏ
wÄ ) in deiner Mitte,
und du wirst erkennen, dass JHWH Zebaoth mich zu dir gesandt hat.
(Sach 2,14f ) 22

So sprach JHWH:
„Ich kehre zurück zum Zion
und wohne (ñkÅ Ï
wÄ ) inmitten Jerusalems.
Dann wird Jerusalem ,Stadt der Wahrheit’ genannt
und der Berg JHWH Zebaoths ,Berg der Heiligkeit’.“ (Sach 8,3)

Das ist eine neue ,Theologie der Stadt’, die eine Kombination der tem-
pelorientierten Schekina-Theologie der vorexilischen Zeit mit der is-
raelorientierten Schekina-Theologie der Exilszeit darstellt. Im ,neuen
Jerusalem’ wird JHWHs Herrlichkeit nicht mehr exklusiv an den
Zion/Tempel gebunden, sondern seinen Bewohnern unmittelbar und
immer sichtbar sein (vgl. Sach 2,8f ).
In der hellenistischen Zeit vollzieht sich abermals eine Transfor-
mation, wenn die spätnachexilische Weisheitstheologie – Schöpfungs-
konzeptionen der (spät-)persischen Zeit aufnehmend (Ijob 28,20 – 28;
Spr 8,22 – 31) – die Frage nach dem „Ort“ der Weisheit in der Welt stellt
und über die mediatrix Dei-Vorstellung von Ijob 28 und Spr 8 hinaus-
gehend offenbarungstheologisch beantwortet: Nach dem Willen des
Schöpfers soll die Weisheit als göttliche Schekina in Jakob Wohnung
nehmen und in Israel ihren Erbbesitz erhalten (Sir 24,7f.9 – 12).23 Auch
diese Verbindung wird umgeprägt – z. B. im äthiopischen Henoch
(äthHen 42,1f ),24 wo die Einwohnung der himmlischen Weisheit noch
nicht in diesem Äon Wirklichkeit wird, sondern wo sie zu den Engeln

22 Siehe dazu LUX, Jhwh Zebaot 385f.


23 Siehe dazu unten.
24 Siehe dazu unten Anm. 48.
10 BERND JANOWSKI

zurückkehrt und von dort in der messianischen Zeit auf die Gerechten
ausgegossen wird (vgl. äthHen 62,13f ).
Es geht bei allen diesen Bestimmungen einer mehrere Jahrhunderte
umfassenden, hier nur in kurzen Strichen skizzierten Traditionsbil-
dung immer um die Inhabitatio Dei in ihrer räumlichen (Tempel/Zion),
personalen (Israel/Volk Gottes) und zeitlichen (Zukunft/Erfüllung der
Zeit) Dimension. Inhabitatio („Einwohnung“) bedeutet, dass Gott in die
Welt des Menschen eintritt, und dass er, indem er das tut, „die Para-
meter der menschlichen Existenz, einschließlich der Räumlichkeit,
nicht scheut“.25 Mit dem Sirach-Buch aus dem ersten Viertel des 2.
Jahrhunderts v. Chr. erreicht diese Traditionsbildung eine Prägnanz,
die für die weitere Entwicklung von grundlegender Bedeutung ist,26
auch wenn sie in Judentum und Christentum eine unterschiedliche
Gestalt angenommen hat.27 Der im Folgenden zu besprechende Text Sir
24,1–12 ist dabei sowohl sprachlich als auch theologisch einer der zen-
tralen Brückentexte zwischen Frühjudentum und Urchristentum.

2. Zur Rezeption der alttestamentlichen Schekina-Theologie


in Sir 24

2. 1 Kompositorische Aspekte

Die Versuche, die 51 Kapitel des Sirach-Buchs zu gliedern, haben bis-


lang noch nicht zu einem konsensfähigen Ergebnis geführt. Nach J.
MARBÖCK 28 etwa weisen mehrere Indizien auf eine Struktur mit drei
Teilen (1,1– 23,27/28; 24,1 – 42,14; 42,15 – 51,30) und einem Rahmen
(1,1– 2,18 und 51,1– 30) hin. Das Selbstlob der Weisheit in Sir 24 bildet
diesem Vorschlag zufolge den Abschluss des ersten, mit dem program-
matischen Weisheitsgedicht 1,1 – 10 einsetzenden Teils und zugleich,
wie 24,32 – 34 zeigen, den Übergang zum zweiten Teil. „So steht“, wie
G. SAUER formuliert, „wie ein tragendes Gerüst die Aussage über die
Weisheit am Anfang, in der Mitte und am Ende des Buches“.29 Auch

25 WYSCHOGROD, Inkarnation 22; vgl. WYSCHOGROD, Gott 24ff.188f.191.


26 Siehe dazu zuletzt FRANKEMÖLLE, Frühjudentum 169ff.
27 Siehe dazu unten.
28 Siehe dazu MARBÖCK, Weisheit im Wandel 41ff; vgl. MARBÖCK, Gottes Weisheit 77,
und MARBÖCK, Jesus Sirach 409ff.
29 SAUER, Jesus Sirach 35, vgl. 179. Zu einem neuen Gliederungsversuch anhand der
über das Buch verteilten Weisheitsgedichte siehe demnächst REITERER, F., Die Weis-
heit als Strukturprinzip des Buches Ben Sira/Jesus Sirach.
Gottes Weisheit in Jerusalem 11

nach O. KAISER, der einen anderen Aufbau zugrunde legt,30 markiert


Sir 24 die Mitte des Buchs, das seines Erachtens aber in zwei Hauptteile
(Lehren Ben Siras: 1,1– 43,33; Lob der Väter: 44,1 – 50,24) samt Prolog
und Schluss (50,25 – 51,30) gegliedert ist.
Die erste größere Einheit von Sir 24 umfasst als Ich-Rede der Weisheit
die V. 1– 22, auf die in V. 23 – 34 das Schlusswort des Weisen, d. h. des
Siraziden, folgt. Die Ich-Rede der Weisheit setzt nach einer Ankündi-
gung ihres Selbstlobs (V. 1f ) mit der Beschreibung ihres Ausgangs aus
dem Mund des Höchsten ein (V. 3 – 8), schildert danach ihre intensive
Suche nach einem Ruheort (V. 9 – 12) und lädt nach einer Darstellung
ihres Wachstums (V. 13 –18) die Menschen dazu ein, von ihren Früch-
ten zu genießen (V. 19 – 22):

I. Selbstlob der Weisheit


1– 2 Ankündigung
3–8 Weg durch die Schöpfung und Einwohnung in Jakob/Israel
9 – 12 Einsetzung auf Zion und Verwurzelung im Volk Israel
13 – 18 Bilder vom Wachstum und von den Früchten der Weisheit
19 – 22 Einladung an die Menschen zur Annahme der Weisheit

II. Schlusswort des Weisen


23 – 29 Identifikation von Weisheit und Tora 31
30 – 34 Autobiographische Notiz

Der Text, der im Folgenden im Zentrum steht (V. 1 – 12), schildert nach
einer Ankündigung ihres Selbstlobs (V. 1f ) den Weg der Weisheit – die
von Anfang an in einem personalen Verhältnis zu Gott steht (V. 3f ) 32 –
durch den Kosmos und die Menschenwelt (V. 5 – 7) bis zu ihrer Ein-
wohnung in Jakob/Israel (V. 8), wo sie im heiligen Zelt auf dem Zion
Dienst tut und endgültig Wurzeln im Volk Israel schlägt (V. 9 – 12):

30 Siehe dazu KAISER, Weisheit 130f.


31 Siehe dazu GRUND, Himmel 348ff.
32 Zur „Personifizierung“ der Weisheit siehe etwa GESE, Weisheit 223f, und VON LIPS,
Traditionen 153ff, zur Abgrenzung vom Begriff „Hypostasierung“ siehe FRANKE-
MÖLLE, Frühjudentum 151.173ff.
12 BERND JANOWSKI

I. Ankündigung
1 Die Weisheit lobt sich selbst,
und inmitten ihres Volkes rühmt sie sich.
2 In der Versammlung des Höchsten öffnet sie ihren Mund,
und vor seiner Macht rühmt sie sich:

II. Weg der Weisheit durch die Schöpfung


3 „Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor
„aus dem Mund
und wie ein Nebel bedeckte ich die Erde. des Höchsten . . .“
4 Ich nahm Wohnung in den Höhen,
und mein Thron stand auf einer Wolkensäule.
5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein,
und in der Tiefe der Abgründe wandelte ich umher.
6 Über die Wogen des Meeres und über die ganze Erde, Ziel:
und über jedes Volk und jede Nation herrschte ich. Einwohnung
in Israel
7 Bei allen diesen (scilicet Völkern) suchte ich Ruhe
und in wessen Erbteil ich weilen könnte.
8 Da befahl mir der Schöpfer des Alls,
und der, der mich erschaffen, stellte mein Zelt hin, 
„in Jakob/
und sprach: ,In Jakob nimm Wohnung in Israel . . .“
und in Israel nimm Erbbesitz!’

III. Wirken der Weisheit in der Geschichte


9 Von Ewigkeit her, am Anfang, erschuf er mich,
„von Ewigkeit
und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. her . . .“
10 Im heiligen Zelt tat ich vor ihm Dienst,
und so wurde ich auf Zion fest eingesetzt.
11 In der Stadt, die er gleicherweise liebt, Ziel:
ließ er mich ruhen, Verwurzelung
in Israel
und in Jerusalem ist mein Machtbereich.
12 Und ich schlug Wurzeln in einem Volk, 
„in einem
dem Herrlichkeit verliehen ward, Volk . . .“
im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz.“

Während V. 3 – 8 durch Verben der Bewegung – „hervorgehen“/„um-


kreisen, umschreiten“/„umherwandeln“/„Ruhe suchen“ – charakte-
risiert ist, so V. 9 –12 durch Verben der Ruhe und des Feststehens: „(stän-
dig) Dienst tun“/„fest eingesetzt werden“/„ruhen lassen“/„Wurzeln
schlagen“.33 An der Grenze zwischen diesen beiden Seinsweisen der
Weisheit – ihrem Weg durch die Schöpfung auf der Suche nach einem

33 Vgl. MARBÖCK, Gottes Weisheit 78.


Gottes Weisheit in Jerusalem 13

Ruheplatz (V. 3 –7) und ihrem Wirken in der Geschichte an einem kon-
kreten Ort (V. 9 –12) – wird mit V. 8 der entscheidende Hinweis darauf
gegeben, dass die Bewegung der Weisheit zur Ruhe kommt (vgl. V. 7),
indem der Schöpfer ihr „Zelt“ (skhnh ≅ lhÃÊ a /ñKÄ w
ÏÂ mÇ) 34 an einen be-
stimmten Ort hinstellt und deklariert: „In Jakob nimm Wohnung und
in Israel nimm Erbbesitz!“ Diese Anordnung, die nicht nur die Klimax
von V. 3 – 8, sondern auch die Spitzenaussage des gesamten Kapitels
darstellt, lässt sich als Sapientialisierung der alttestamentlichen Sche-
kina-Theologie verstehen.

2. 2 Traditionsgeschichtliche Aspekte

Theologiegeschichtlich gehört Sir 24 in den Zusammenhang einer Tra-


ditionsströmung des alten Israel,35 die man als „Theologisierung der
Weisheit“ 36 bezeichnen kann und die in Spr 8,22 – 31 einen ihrer frühen
Referenztexte (4. Jahrhundert v. Chr.) hat. Im Unterschied zur alten
Weisheit und ihrem im Tun-Ergehen-Zusammenhang 37 prägnant zum
Ausdruck kommenden praktischen Lebenswissen geht die jüngere,
theologisierte Weisheit davon aus, dass die Weisheit der Schöpfung
eingestiftet ist und als Gabe des Schöpfers um Annahme durch die
Menschen wirbt. Diese Verbindung bzw. Identifizierung von Weisheit
und Offenbarung/Tora ist das Charakteristikum der Selbstvorstel-
lungsrede der Weisheit in Spr 8, die in V. 22 – 31 38 in Aussagen über
ihre kosmische Bedeutung gipfelt:

34 Siehe dazu MARBÖCK, Gottes Weisheit 80.


35 Zum Ausdruck „Traditionsströmung“ siehe STECK, Strömungen.
36 Siehe dazu den Überblick bei KEEL /SCHROER, Schöpfung 226ff; ZIMMERMANN, Theo-
logisierung 117ff; ZENGER, Eigenart 331f; WITTE, Schriften 437; FRANKEMÖLLE, Früh-
judentum 150f.179ff.
37 Siehe dazu JANOWSKI, Tat; JANOWSKI, Vergeltung; RÖSEL, Tun-Ergehen-Zusammen-
hang; SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Vergeltung; FREULING, Grube, und GRUND, Tun-
Ergehens-Zusammenhang.
38 Siehe dazu GESE, Weisheit 224ff; MEINHOLD, Sprüche 143ff; BAUMANN, Weisheitsge-
stalt 111ff, und andere.
14 BERND JANOWSKI

Thema: Vorgeschöpflichkeit der Weisheit

22 JHWH schuf mich als Anfang seines Weges, chiastische Struktur:


als erstes seiner Werke, damals, Formulierungen mit
23 von uralters her wurde ich gewebt, tiwÏÇ arÈ und temporalem
von Anfang, von den Vorzeiten der Erde an. ñmÇ „von her/weg“

I. Erschaffung der Weisheit

24 Als es noch keine Fluten gab,


wurde ich geboren,
als es noch keine Quellplätze schwer
von Wasser gab, Vorzeitigkeit
25 bevor die Berge eingesenkt wurden, der Weisheit:
vor den Hügeln wurde ich geboren, -ñiaÈ B /ÕrÃjà BÂ
26 als er Erdreich und Fluren noch nicht Formulierungen
gemacht hatte
und die frühesten Staubschichten
des Erdkreises.

II: Schöpfungshandeln JHWHs

27 Als er den Himmel festsetzte, war ich dort,


als er den Kreis auf der Oberfläche
der Flut einritzte,
28 als er die Wolken oben stärkte, Gleichzeitigkeit
als die Quellen der Flut stark wurden, der Weisheit:
29 als er dem Meer seine Grenze setzte, Infinitivus constructus
so dass die Wasser seinen Befehl nicht + BÂ-Formulierungen
überschreiten können,
als er die Grundfesten der Erde anordnete,

Schluß: Spielende Weisheit vor Gott

30 da war ich neben ihm als Pflege-/Schoßkind,39 chiastische Strukur


und ich war Entzücken Tag für Tag, (V. 30ab.31):
spielend vor ihm zu jeder Zeit, „Entzücken“der
31 spielend auf dem Kreis seiner Erde, Weisheit vor Gott
und mein Entzücken war bei den Menschen. und bei den Menschen

39 Vgl. GESE, Weisheit 225: „da war ich bei ihm auf dem Schoß“, zu ñu´maÄ siehe noch
MEINHOLD, Sprüche 134 Anm. 31; 147; BAUMANN, Weisheitsgestalt 131ff; KEEL /
SCHROER, Schöpfung 220f („Expertin“), und andere. Mit einer „Infantilisierung der
Frau“ (KEEL /SCHROER, Schöpfung 221 Anm. 13) hat die Übersetzung „Pflege-
kind/Schoßkind“ meines Erachtens nichts zu tun.
Gottes Weisheit in Jerusalem 15

Die präexistente Weisheit (V. 22f ), deren Vorzeitigkeit vor aller Schöpfung
in V. 24 – 26 mithilfe von „als noch nicht“/„(be-)vor“-Wendungen und
deren Gleichzeitigkeit mit der geschaffenen Welt durch „als“-Formulierun-
gen ausgedrückt wird, erscheint nach V. 30f als mediatrix Dei, d. h. als
eine personale Gestalt, in der sich Gott an die Welt vermittelt und –
gemäß der chiastischen Struktur von V. 30ab – 31 40 – diese ihr Entzü-
cken an der Schöpfungsweisheit hat:
„In der Schöpfungsordnung vermittelt sich Gott an die Welt, und in der
Erkenntnis der Weisheit kommt diese Vermittlung zum Ziel. [. . .] Die So-
phia erscheint als mediatrix Dei. Jede Erkenntnis der Sophia auf seiten des
Menschen führt zur Teilnahme an Gott. In ihr erschließt sich Gott dem
erkennenden und denkenden Menschen. In der Welt ist der Mensch nicht
absolut von Gott getrennt, sondern in der Erkenntnis der Schöpfungsord-
nung nimmt er teil am Werk der Schöpfung und ist der Welt nicht nur
dumpf und bewußtlos unterworfen.“ 41

Wenn wir von hier aus zum Sirach-Text zurückkehren, so lässt sich
beobachten, dass Sir 24,3 – 12 an bestimmte Aspekte von Spr 8,22 – 31
(und Ijob 28,20 – 28) anknüpft,42 im Übrigen aber darüber hinausgeht.
Die größte Differenz besteht in der Verbindung von Schöpfung und Ge-
schichte in Sir 24,3 –12 (V. 3 – 8/V. 9 – 12) gegenüber der Vermittlung der
Weisheit an die Menschen ohne Zuspitzung auf Israel in Spr 8,30f.43 Diese
interpretatio israelitica der Schöpfungsweisheit geht deutlich aus Sir
24,3 – 8 hervor, wo sich der Weg der Weisheit von der Totalität der
Schöpfung (V. 5 – 6a) über alle Menschen (V. 6b.7) auf Jakob/Israel (V. 8)
zuspitzt: 44

40 Vgl. MEINHOLD, Sprüche 147.


41 GESE, Weisheit 226.
42 Und zwar besonders im Blick auf die Vorgeschöpflichkeit der Weisheit (Spr 8,22f.24 –
26/Sir 24,3f.9) und auf ihre Anwesenheit bei der Schöpfung (Spr 8,27 – 29/Sir 24,5f ),
siehe dazu auch SKEHAN, Structures; MARBÖCK, Weisheit im Wandel 55f.61; MAR-
BÖCK, Gottes Weisheit 79, und andere. Nach RICKENBACHER, Weisheitsperikopen 121,
fehlen von Sir 24,8 an alle Parallelen zu Spr 8. Zum Vergleich zwischen Ijob 28 und
Spr 8,22ff siehe GESE, Weisheit 223ff, und die Beiträge bei VAN WOLDE, Job 28.
43 Vgl. MARBÖCK, Weisheit im Wandel 56.
44 Zur Theologie der „Gegenwart Gottes“ in Sir 24 siehe MARBÖCK, Weisheit im Wandel
46; MARBÖCK, Gottes Weisheit 78; GILBERT, éloge 348; TERRIEN, Play 139f, und GESE,
Johannesprolog 182f.
16 BERND JANOWSKI

3 eÆgvÁ aÆpoÁ stoÂmatow yëciÂstoy eÆjh


Ä lûon
kaiÁ vëw oëmiÂxlh katekaÂlyca gh Än
4 eÆgvÁ eÆn yëchloiÄw kateskhÂnvsa
kaiÁ oë ûroÂnow moy eÆn styÂlvì nefeÂlhw

5 gyÄron oyÆranoyÄ eÆkyÂklvsa moÂnh


kaiÁ eÆn baÂûei aÆbyÂssvn periepaÂthsa
6 eÆn kyÂmasin ûalaÂsshw kaiÁ eÆn paÂshì th Äì gh
Äì
kaiÁ eÆn pantiÁ lavÄì kaiÁ eÍûnei eÆkthsaÂmhn

7 metaÁ toyÂtvn paÂntvn aÆnaÂpaysin eÆzhÂthsa


kaiÁ eÆn klhronomiÂaì tiÂnow ayÆlisûhÂsomai
8 toÂte eÆneteiÂlato moi oë ktiÂsthw aëpaÂntvn
kaiÁ oë ktiÂsaw me kateÂpaysen thÁn skhnhÂn moy
kaiÁ eiÄÆ pen eÆn Iakvb kataskhÂnvson
kaiÁ eÆn Israhl kataklhronomhÂûhti

3 „Ich ging aus dem Mund des Höchsten hervor Ursprung:


und wie ein Nebel bedeckte ich die Erde. Mund des
4 Ich nahm Wohnung in den Höhen, Höchsten
und mein Thron stand auf einer Wolkensäule.

5 Den Kreis des Himmels umschritt ich allein, 


und in der Tiefe der Abgründe wandelte ich umher. Weg:
6 Über die Wogen des Meeres und über ganzer Kosmos/
die ganze Erde, alle Völker
und über jedes Volk und jede Nation herrschte ich. 
vergebliche
7 Bei allen diesen (scilicet Völkern) suchte ich Ruhe Suche nach
und in wessen Erbteil ich weilen könnte. einem Ruheort
8 Da befahl mir der Schöpfer des Alls, 
und der, der mich erschaffen, Ziel:
stellte mein Zelt hin, Einwohnung in
und sprach: ,In Jakob nimm Wohnung Jakob/Israel
und in Israel nimm Erbbesitz!’“  inclusio V. 12

Der Weg der Weisheit aus der unmittelbaren Nähe Gottes (V. 3f ) zu
einem konkreten irdischen Ort (V. 8) 45 bildet das geheimnisvolle Zu-
sammenspiel von Transzendenz (Hervorgehen aus dem Mund Gottes)
und Immanenz (Einwohnung in Jakob/Israel) und damit die Konde-
szendenz der göttlichen Weisheit ab. Dieser Weg beginnt – der Struktur

45 Zu V. 3 – 8 als Stanze, die durch den Aspekt der Bewegung (V. 3: „aus dem Mund des
Höchsten . . .“;  V. 8: „in Jakob/Israel . . .“) zusammengehalten wird, siehe auch
GILBERT, éloge 330f.
Gottes Weisheit in Jerusalem 17

von Gen 1,1– 2,4a (V. 3 – 5!) und Ps 104 (V. 1 – 4!) entsprechend 46 –
,oben’, d. h. „in den Höhen“ // „auf einer Wolkensäule“ (V. 4),47 wo die
Weisheit zuerst „Wohnung nimmt“ (kataskhnoyÄn ≅ ñkÅ w ÏÄ, vgl. V. 8b), um
von dort aus in vertikaler Richtung (Komposita mit kata-) den Weg über
den Horizont („Kreis des Himmels“) nach ,unten’ bis zum Abyssos
(„Tiefe der Abgründe“) und weiter in horizontaler Richtung bis zu allen
Völkern der Erde zu nehmen (V. 5 – 6a/V. 6b). Und er kommt schließ-
lich, weil die „Ruhe“ (aÆnaÂpaysiw ≅ hxÄ UnmÂ) bei keinem dieser Völker
gefunden wird (V. 7),48 an einem Ort zum Ziel, der aufgrund des Zu-
satzes „in Jakob // in Israel“ das Spezifikum dieser Traditionsbildung
ausmacht, insofern er gegenüber Spr 8,30f (vgl. „bei den Menschen“
V. 31b) die Korrelation von Weltschöpfung und Israel-Geschichte 49 ins Zen-
trum rückt. „Damit ist bei Ben Sira und im Weisheitsdenken Israels
überhaupt zum ersten Mal der Schritt auf eine Lokalisierung und Ein-
grenzung der eben noch universal waltenden Weisheit hin getan.“ 50
Die präexistente Weisheit (V. 9) ist jetzt im „heiligen Zelt“ auf dem
Zion wirksam, wo sie dem Höchsten dient und so zu ihrer „Ruhe“
kommt (V. 10f). Abschließend werden die Themen von V. 7f (Israel als
Volk Gottes, Erbbesitz) durch die inclusio von V. 12 wieder aufgegrif-
fen:

46 Zum Vergleich zwischen Ps 104 und Sir 24 siehe HOSSFELD, Schöpfungsfrömmigkeit 132.
47 Unter Hinweis auf Sir 24,9 („vor aller Zeit“); Ex 25,8 – 10 und 26,30 fragt MARBÖCK,
Gottes Weisheit 79 mit Anm. 21, meines Erachtens zu Recht, ob „vielleicht sogar
angedeutet [ist], daß sie [scilicet die Weisheit] im himmlischen Modell des Heiligtums
gewohnt hat, das in Zelt und Tempel in Israel Wirklichkeit wird“, siehe dazu im
Folgenden.
48 Vgl. äthHen 42,1 – 3, wo die Weisheit allerdings wieder an ihren himmlischen Ort
zurückkehrt, weil sie keinen Ort in der Welt findet (vgl. äthHen 84,3: die Weisheit als
Thronbeisitzerin Gottes):
„1 Die Weisheit fand keinen Platz, wo sie wohnen konnte, da hatte sie eine Woh-
nung in den Himmeln. 2 Die Weisheit ging aus, um unter den Menschenkindern
zu wohnen, und sie fand keine Wohnung; die Weisheit kehrte an ihren Ort zurück
und nahm ihren Sitz unter den Engeln. 3 Und die Ungerechtigkeit kam hervor
aus ihren Kammern: die sie nicht suchte, fand sie, und wohnte unter ihnen, wie
der Regen in der Wüste und wie der Tau auf dem durstigen Land“ (Übersetzung
UHLIG, Henochbuch 584; siehe dazu auch GESE, Weisheit 231, und LÖNING /ZEN-
GER, Anfang 107ff ).

Zur Figur der „entschwundenen“ Weisheit siehe noch 4 Esra 5,9f und syrBar 48,36.
Die Aussage vom Erscheinen der Weisheit (?) auf Erden und ihrem Aufenthalt unter
den Menschen in Bar 3,38 dürfte ein frühchristlicher Zusatz sein, siehe dazu SCHI-
MANOWSKI, Weisheit 63f, und STECK, Baruch 53f.
49 Vgl. oben. Zur „Weisheit in der Geschichte Israels nach dem Siraziden“ siehe den
Exkurs bei MARBÖCK, Weisheit im Wandel 68ff.
50 MARBÖCK, Weisheit im Wandel 62. GILBERT, éloge 331, nennt den Weg der Weisheit
V. 3 – 8 treffend „un mouvement de descente et de concentration“.
18 BERND JANOWSKI

9 proÁ toyÄ aiÆv Ä now aÆp’ aÆrxh Ä w eÍktiseÂn me


kaiÁ eÏvw aiÆv Ä now oyÆ mhÁ eÆkliÂpv
10 eÆn skhnh Äì aëgiÂaì eÆnvÂpion ayÆtoyÄ eÆleitoyÂrghsa
kaiÁ oyÏtvw eÆn Sivn eÆsthriÂxûhn
11 eÆn poÂlei hÆgaphmeÂnhì oëmoiÂvw me kateÂpaysen
kaiÁ eÆn Ieroysalhm hë eÆjoysiÂa moy
12 kaiÁ eÆrriÂzvsa eÆn lav Äì dedojasmeÂnvì
eÆn meriÂdi kyriÂoy klhronomiÂaw ayÆtoyÄ

9 „Von Ewigkeit her, am Anfang, erschuf er mich, Präexistenz und


und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht. Ewigkeit
 Sir 1,1.4
10 Im heiligen Zelt tat ich vor ihm Dienst,
und so wurde ich auf Zion fest eingesetzt. Kult im Tempel
11 In der Stadt, die er gleicherweise liebt, und Ruhen in der
ließ er mich ruhen, Stadt Jerusalem
und in Jerusalem ist mein Machtbereich.

12 Und ich schlug Wurzeln in einem Volk, Verwurzelung


dem Herrlichkeit verliehen ward, in Israel
im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz.“  inclusio V. 7f

Als Hintergrund für diese neue Form der Schekina-Theologie kommt


nicht nur die alttestamentliche menûhāh- und nah alāh-Tradition von Dtn
˙
12,9f; 25,19 und Ps 132,7f.14,51 sondern auch die˙ priesterliche Scheki-
na-Tradition in Frage, für die – ebenso wie für Sir 24,1 – 22 – der Zu-
sammenhang von Schöpfung und Tempel konstitutiv ist.52 Damit stellt
die Weisheitstheologie von Sir 24 „eine überaus kühne, umfassende
Verbindung alttestamentlicher Traditionen“ 53 dar, die G. T. SHEPPARD
als „hermeneutical construct“ bezeichnet hat.54
Dieser Sachverhalt soll noch etwas vertieft werden. Wie ich an an-
derer Stelle gezeigt habe, hat sich die priesterliche Grundschrift (P g) in
ihrer Verwendung von ñkÅ Ï wÄ + Subjekt JHWH/„Herrlichkeit JHWHs“/
„Wolke“ auf wenige, jedoch theologisch zentrale Texte beschränkt

51 Siehe dazu GESE, Johannesprolog 182f; GESE, Weisheit 228; MARBÖCK, Weisheit im
Wandel 68ff; MARBÖCK, Gottes Weisheit 80, und SCHOLTISSEK, Sprache 102. Zur deu-
teronomisch/deuteronomistischen „Ruhe“-Konzeption siehe BRAULIK, Konzeption.
52 In diese Richtung gehen offensichtlich auch die Andeutungen bei MARBÖCK, Weis-
heit im Wandel 64; MARBÖCK, Gottes Weisheit 79f, vgl. GESE, Weisheit 228.
53 MARBÖCK, Gottes Weisheit, 85.
54 Siehe dazu SHEPPARD, Wisdom 12ff.159f.
Gottes Weisheit in Jerusalem 19

(Ex 24,16; 25,8; 29,45f; 40,35).55 Wichtig für deren Verständnis ist die
Beachtung ihres jeweiligen Ortes im Gesamtaufriss der priesterlichen
Sinai-Geschichte (Ex *19,1– 40,35P g).56 Während die ñkÅ Ï
wÄ -Aussagen Ex
24,16 und Ex 40,35 jeweils in den Rahmenstücken Ex 19,1 + 24,15b –
18aa (Gegenwart der JHWH-Herrlichkeit auf dem Sinai) und Ex 40,17
+ 40,34f (Gegenwart der JHWH-Herrlichkeit auf dem Begegnungszelt)
begegnen, gehören Ex 25,8 und Ex 29,45f zum Mittelstück (Ex *25,1 –
39,43: Heiligtumsbau) der priesterschriftlichen Sinai-Geschichte. Hier
wiederum bildet die JHWH-Rede Ex 29,43 – 46 den sachlichen Höhe-
punkt:
43a Dort werde ich den Israeliten begegnen
b und mich als heilig erweisen in meiner Herrlichkeit:
44a Ich werde das Begegnungszelt und den Altar heiligen
b und Aaron und seine Söhne werde ich heiligen, dass sie mir
als Priester dienen.
45a Und ich werde inmitten der Israeliten wohnen
b und ich werde ihnen Gott sein (BF).
46ab Und sie werden erkennen (EF), dass ich JHWH, ihr Gott, bin (SF),
der sie aus dem Land Ägypten herausgeführt hat (HF),
ag um in ihrer Mitte zu wohnen.
b Ich bin JHWH, ihr Gott (SF).

Diese JHWH-Rede stellt „eine pointierte Zusammenfassung der Ge-


danken von P über den Sinn des gesamten Heiligtums samt seiner
Priesterschaft“ 57 dar. Denn dieses Zeltheiligtum, dessen himmlisches
„Modell, Urbild“ (tinÇ b TÅ) Mose auf dem Sinai gezeigt wird (Ex 24,15b –
18aa) und dessen Bauanweisungen Ex 26* detailliert entfaltet, ist nach
P g der irdische Ort, an dem JHWH inmitten seines Volkes „wohnen“
(Ex 25,8) oder – wie Ex 29,43 – 46 formuliert – an dem er den Israeliten
„begegnen“, ihnen „sich offenbaren“ (V. 43) will. Dabei führt in Ex
29,43 – 46 die thematische Linie vom dyÅu´n „begegnen, sich offenbaren“
(V. 43) über das wÏ DÈqÇ „heiligen“ (V. 44) zu den ñkÅ w
ÏÄ-Aussagen in V. 45a
und V. 46ag, denen mit ihren formelhaften Wendungen (eingliedrige
Bundesformel: BF, Erkenntnisformel: EF, Selbstvorstellungsformel: SF,
Herausführungsformel: HF) eine rahmende Funktion zukommt. Mit
diesem Stilmittel hat die Priesterschrift erreicht, dass nicht das Wohnen

55 Siehe dazu JANOWSKI, Tempel; ferner OWCZAREK, Vorstellung, und DOHMEN, Exodus
273f.399ff.
56 Siehe dazu und zum thematischen Zusammenhang von Ex 29,45f mit Gen 17,7f und
Ex 6,6f ausführlicher JANOWSKI, Sühne 195ff.303ff.328ff.356f.
57 KOCH, Priesterschrift 31.
20 BERND JANOWSKI

JHWH in Israel als solches, „sondern – und damit führt P g das Woh-
nen Jahwes auf seinen tiefsten Bedeutungsgehalt zurück[. . .] – die Vor-
stellung von Jahwe als dem Gott Israels die eigentliche Sinnspitze von
Ex 29,45.46 bildet“.58
Schlägt man nun von dieser Sinnmitte der priesterlichen Sinai-
Geschichte einen Bogen zu der die Sinai-Theophanie abschließenden
Darstellung in Ex 40,17.34f,59 so wird deutlich, dass mit dieser ,Besitz-
ergreifung’ des Heiligtums durch die JHWH-Herrlichkeit das auf dem
Sinai begonnene Geschehen der Gott-Mensch-Begegnung (Ex 24,15b –
18aa) zu seinem (vorläufigen) Abschluss kommt: Indem die „Herrlich-
keit JHWHs“ ihren Erscheinungsort
Ç vom Sinai zum fertiggestellten
„Begegnungszelt“ (dyÈ u m lhÃÊa) verlagert, repräsentiert dieses von nun
an – gleichsam als der ,Sinai auf der Wanderung’ (B. JACOB) – den Ort
der Offenbarungsgegenwart JHWHs in Israel.
Ebenso wichtig für Sir 24,1 – 22 wie die ñkÅ w
ÏÄ-Aussagen von Ex 29,45f
ist die schöpfungstheologische Dimension der priesterlichen Sinai-Ge-
schichte. Diese Dimension zeigt sich vor allem an der strukturellen
Entsprechung zwischen der priesterlichen Schöpfungsgeschichte (Gen
1,1 – 2,4a) und der priesterlichen Sinai-Geschichte (Ex *16,1 – 40,35), die
jeweils von einem Sieben-Tage-Schema geprägt sind (Gen 1,3 – 31: 6
Tage/Gen 2,2f: 7. Tag bzw. Ex 24,*15b – 18aa: 6 Tage  7. Tag).60 Dieser
Sachverhalt weist darauf hin, dass Ex *25,1 – 39,43 als der komposito-
risch zentrale Abschnitt der priesterlichen Sinai-Geschichte – der die
Anweisungen zum Bau des Heiligtums (Ex 25,8a.9*; *26,1– 27,8) und
die Ankündigung vom „Wohnen“ JHWHs inmitten der Israeliten (Ex
29,*43 – 46,61 vgl. 25,8b) zum Thema hat – die Konkretisierung des En-
des der priesterlichen Schöpfungsgeschichte sein will. Damit kommt
die in der Schöpfung grundgelegte Hinwendung Gottes zur Welt zur
Entfaltung – und zwar als Hinwendung JHWHs zu Israel oder mit den
Worten der Priesterschrift: als „Wohnen“ (ñkÅ w ÏÄ) JHWHs inmitten der
Israeliten.
Das ist nun auch der für Sir 24,1 – 22 entscheidende Gesichtspunkt:
Wie nach der Priesterschrift erst vom Sinai her erkennbar wird, was
mit Gottes Schöpfungshandeln „am Anfang“ intendiert war – nämlich
Gemeinschaft mit dem Menschen/mit Israel zu haben –, so besteht auch

58 WEIMAR, Untersuchungen 135; vgl. WEIMAR, Meerwundererzählung 227f, und GÖRG,


dyÅ iÄ 706.
59 Siehe dazu JANOWSKI, Tempel 224ff.
60 Siehe dazu ausführlicher JANOWSKI, Tempel 232ff.237ff.
61 Siehe dazu oben.
Gottes Weisheit in Jerusalem 21

nach Sir 24,1– 22 der tiefste Sinn des Wegs der göttlichen Weisheit in
der Zuwendung zur Schöpfung (V. 5f ), die in ihrer „Einwohnung“ in
Jakob/Israel (V. 8) ihr Ziel erreicht. Mit diesem Konzept, das Schöp-
fung und Geschichte integriert und damit der im Hellenismus längst in
Gang befindlichen, folgenreichen Diastase von Schöpfung und Offen-
barung, von „geistiger Weltdurchdringung und transzendenter Offenba-
rung“ 62 entgegentritt,63 erreicht die alttestamentlich-frühjüdische Weis-
heitstheologie eine gedankliche Tiefe, die ihresgleichen sucht. Es ist
darum alles andere als verwunderlich, dass gerade dieses Weisheits-
konzept im Urchristentum aufgegriffen wird, um das Geheimnis der
Inkarnation auszusagen.

3. Zusammenfassung und Ausblick

Das Selbstlob der Weisheit Sir 24,1– 22, so können wir unsere Überle-
gungen zusammenfassen, stellt eine überaus kühne Synthese und zu-
gleich Zuspitzung der vorexilischen und exilisch-nachexilischen Sche-
kina-Theologie(en) dar. Während die Schekina-Theologie der vorexili-
schen Zeit einen tempel- bzw. zionstheologischen Hintergrund hatte
(Jes 8,18; Ps 46,5f; Dtn 12,5.11; 14,23f; 16,2.6.11 und öfter; prophetische
Kritik in Am 5,17; Mi 3,11 und öfter), geschah in der Schekina-Theologie
der Exilszeit insofern ein Umbruch, als sie jetzt eine nationale, auf die
Restitution Israels als Volk Gottes bezogene, gleichsam ,ekklesiologi-
sche’ Komponente erhielt (Ps 74,1f; Ez 43,7.9; Ex 25,8; 29,45f; 1 Kön
6,11–13, vgl. Ex 33,5 und öfter). In persischer Zeit trat dann mit dem Bau
des Zweiten Tempels der Heiligtumsbezug wieder in Erscheinung,
ohne dass der Israel-Bezug zurückgenommen wurde (Sach 2,9.14f; 8,3;
Joël 4,17.21; Ps 135,21 und öfter). Ein für die urchristliche Profilierung
des Themas (vgl. Lk 17,20f; Joh 1,14; Off 21,3 und öfter) entscheidender
Schritt wurde schließlich in hellenistischer Zeit mit dem Theologumenon
der Einwohnung der Weisheit in Jakob/Israel bzw. auf dem Zion ge-
tan (Sir 24,7f.9 –12, Vorläufer in Ijob 28,20 – 28 und Spr 8,22 – 31), für
das die Integration von Weltschöpfung und Heilsgeschichte, d. h. Gottes
„Zuwendung zur Schöpfung – insbesondere zu Israel“,64 charakteristisch
ist.

62 GESE, Weisheit 230.


63 Vgl. MARBÖCK, Gottes Weisheit 86, und ausführlich KAISER, Anknüpfung.
64 MARBÖCK, Gottes Weisheit 85 (Kursive im Original).
22 BERND JANOWSKI

Auf der anderen Seite bildet Sir 24,1 – 22 eine traditionsgeschicht-


liche Brücke zu den johanneischen Immanenzaussagen 65 und hier be-
sonders zur Inkarnationschristologie des Johannes-Prologs:
KaiÁ oë loÂgow saÁrj eÆgeÂneto
kaiÁ eÆskhÂnvsen eÆn hëmiÄn
kaiÁ eÆûeasaÂmeûa thÁn doÂjan ayÆtoyÄ
doÂjan vëw monogenoyÄw paraÁ patroÂw
plhÂrhw xaÂritow kaiÁ aÆlhûeiÂaw
Und das Wort wurde Fleisch
und wohnte unter uns,66
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des Einziggeborenen vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit. (Joh 1,14)
Wie im Alten Testament die Vorstellung von der Einwohnung JHWHs
auf dem Zion unter den Israeliten oder in Jerusalem mit dem Leitverb
ñkÅ w
ÏÄ ausgedrückt wird, so wird auch im Johannes-Prolog 67 jene Bewe-
gung des Logos von seinem Sein bei Gott/in der Schöpfung (1,1 – 3)
hin zu seiner spezifischen Anwesenheit unter den Menschen als
„wohnen/Wohnung nehmen“ ( skhnoyÄn ≅ ñkÅ w ÏÄ) 68 bezeichnet. Und wie
im Alten Testament wird das, was die Gegenwart Çdes göttlichen Logos
kennzeichnet, als dessen „Herrlichkeit“ (doÂja ≅ du bKÄ) bestimmt. Diese
„sehen“ die Wir und erkennen darin die Gegenwart des lebendigen
Gottes, der sich in seinem Sohn inkarniert hat.69 Jesus, so schreibt der
jüdische Religionsphilosoph M. WYSCHOGROD,
„diese Knechtsgestalt, dieser verachtete, gekreuzigte Jude, war nicht ein-
fach Mensch, sondern in ihm konnte die Gegenwart Gottes entdeckt wer-
den. Die Kirche hielt an diesem Glauben fest, weil sie an diesem Juden
festhielt, an seinem Fleisch und nicht nur an seinem Geist, an seinem jü-
dischen Fleisch am Kreuz, an einem Fleisch, in dem Gott gegenwärtig war,
inkarniert, die Welt des Menschen durchdringend, Mensch werdend“.70

65 Vgl. SCHOLTISSEK, Sprache 102f.


66 HOFIUS, Struktur 22 mit Anm. 132, übersetzt ingressiv: „nahm Wohnung“; SCHWINDT,
Gesichte 409, plädiert demgegenüber für ein Ineinander von ingressivem („nahm
Wohnung“) und komplexivem („wohnte“) Bedeutungsaspekt.
67 Zu den hier interessierenden Aussagen des Johannes-Prologs siehe GESE, Johannes-
prolog 152ff; GESE, Weisheit 243ff; THEOBALD, Anfang 102ff; THEOBALD, Gott 79ff;
MARBÖCK, Gottes Weisheit 86f; SCHIMANOWSKI, Weisheit 53ff; HOFIUS, Struktur 1ff;
MÜLLER, Menschwerdung 40ff; LÖNING /ZENGER, Anfang 90ff; SCHOLTISSEK, Sprache
189ff; THYEN, Johannesevangelium 88ff; PAROSCHI, Incarnation 111f; SCHWINDT, Ge-
sichte 397ff, und andere.
68 Siehe dazu MICHAELIS, skhnoÂv; BÜHNER, skhnoÂv; HOFIUS, Struktur 22 mit Anm. 132;
THYEN, Johannesevangelium 93f, und andere.
69 Vgl. HOFIUS, Struktur 22f.
70 WYSCHOGROD, Inkarnation 26.
Gottes Weisheit in Jerusalem 23

Ob man die Menschwerdung des Logos im Sinne einer „Ersetzung“


des Tempels durch Christus oder als „Vollendung“ des alttestamentli-
chen Offenbarungsgeschehens versteht (für beide Deutungen gibt es
prominente Vertreter) – festzuhalten bleibt, dass die Gegenwart Gottes
im fleischgewordenen Logos ihre ursprüngliche Bindung an den Tem-
pel/Kult, die das Kennzeichen der alttestamentlichen Schekina-Theo-
logie ist, transzendiert und in Jesus Christus menschliche Gestalt an-
genommen hat.71 Darin liegt das Neue der johanneischen Inkarnati-
onschristologie, die aber – bei aller Differenz – ohne den Rekurs auf die
alttestamentliche Schekina- und die frühjüdische Weisheits-Theologie
nicht zu verstehen ist.72
Dieser Bezug von Joh 1,14 zum Alten Testament (und zum Früh-
judentum) kann allerdings, wie vor allem H. SEEBASS hervorgehoben
hat, nur als ein dialektischer bezeichnet werden:
„Dies Wort [scilicet Joh 1,14], so scheint mir, ist überhaupt nur verständlich,
wenn man es in seinem dialektischen Bezug zum Alten Testament sieht.
Als wollte es all das in einer Formel, besser noch in einem Lehrsatz zusam-
menfassen, [. . .] daß der Gott der Bibel nur in Bezug zu seinen Menschen
erkennbar sein will. Ineins damit aber unterscheidet es sich von allen nur
denkbaren Sätzen des Alten Testaments, weil dies von keinem seiner Gro-
ßen sagen könnte: das Wort ward Fleisch. Das Wort geht also einerseits
über das alttestamentlich Denkbare in schockierender Weise hinaus, weil es
Gott in einem ungeheuer eindeutigen Bezug zu einem ganz bestimmten
Menschen sieht, in dem das Wort Fleisch ward. Andererseits haftet es ge-
rade mit seiner Grundvorstellung ganz im Gottesverstehen des Alten Testa-
ments“.73

Die eigentliche Aussageabsicht von Joh 1,14 dürfte darin zu sehen sein,
dass sich der Logos, der im Anfang bei Gott war (Joh 1,1f), erniedrigt

71 Darin liegt die differentia specifica zwischen Joh 1,14 und der alttestamentlich-frühjü-
dischen Schekina-Theologie, vgl. SCHOLTISSEK, Sprache 91: „Nach alttestamentlichem
Zeugnis wohnt Gott in der Höhe bzw. im Himmel und auf dem Zion bzw. inmitten
seines Volkes (vgl. Jes 33,5; Ps 2,4; 9,12; Tob 5,17; die Bundesformel), aber nicht im
Menschen“, vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum 199, und SCHWINDT, Gesichte 409.
Von der Immanenz Gottes im Menschen spricht zum ersten Mal TestXII: TestDan 5,1;
TestJos 10,2 und TestBenj 6,4, siehe dazu SCHOLTISSEK, Sprache 98f.191, und zur Sache
im Folgenden.
72 Zu den motivlichen Querverweisen zwischen dem Johannes-Prolog und frühjüdi-
schen Weisheitstexten siehe THEOBALD, Anfang 102ff. Speziell zu der These, dass die
Logostheologie Philos von Alexandrien eine Brücke zur neutestamentlichen Christo-
logie darstellt, siehe zuletzt FRANKEMÖLLE, Frühjudentum 186ff, der im Übrigen
ebenfalls an der diesbezüglichen Differenz zwischen Frühjudentum und Urchristen-
tum festhält, vgl. unten Anm. 74.
73 SEEBASS, Gott 50, vgl. 217f, ferner SEEBASS, Theologie 45; MÜLLER, Menschwerdung
50f, und andere.
24 BERND JANOWSKI

hat und Mensch geworden, d. h. in die volle Kreatürlichkeit des


Menschseins eingetreten ist.74 Nach rabbinischem Verständnis nimmt
Gott zwar einzelne Züge einer irdischen Existenz an, doch ist er nie in
einer endgültigen Weise „Fleisch geworden“ und hat so „unter uns
Wohnung genommen“.75 Das aber ist die Sinnspitze von Joh 1,14. Der
göttliche Schöpfungslogos hat in einem geschichtlich begrenzten Le-
ben, in Jesus dem Christus, seine eschatologische Gestalt gefunden, die
als „Herrlichkeitserscheinung“ offenbar wurde, indem sie „unter uns
Wohnung nahm“.76 Das Sehen dieser Herrlichkeit wird vom Text als
Wahrnehmung der im Sohn vollkommen repräsentierten Offenbarung
des Vaters beschrieben. Für das Judentum ist diese Zuspitzung nicht
akzeptabel, weil das Christentum die „jüdische Tendenz zur Räumlich-
keit“ 77 so zugespitzt hat, dass sie eine „körperliche Form“ 78 annimmt.
Damit wird die alttestamentliche Schekina-Tradition, die schon mit Sir
24,1– 22 eine umfassende Transformation erfahren hatte, noch einmal
transformiert, indem Jesus Christus zum fleischgewordenen Wort Got-
tes wird, das „unter uns wohnte“.

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74 Vgl. FRANKEMÖLLE, Frühjudentum 199: „Die in den ntl Texten behauptete exklusive
Konzentration auf Jesus Christus bleibt der unaufhebbare Dissens zwischen christ-
lichem und jüdischem Glauben, letztere auch in seiner griechischen Interpretation
durch Philon und durch die Weisheitstheologen.“
75 Vgl. THOMA, Inkarnation.
76 Vgl. BÜHNER, skhnoÂv, ferner THEOBALD, Anfang 53ff.118ff.
77 WYSCHOGROD, Inkarnation 22.
78 WYSCHOGROD, Inkarnation 22.
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The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira
46 :13 – 20

JEREMY CORLEY

1. Introduction

One of the major figures celebrated in Ben Sira’s Praise of the Ances-
tors is the prophet Samuel. Although the sage bases the passage on
selected portions of 1 Sam 1 – 12 and 1 Sam 28, he rarely copies the
biblical text exactly but chooses instead to emphasize a few main as-
pects. As LEO PERDUE observes, Sir 46 :13 – 20 presents Samuel as “a
prophet, a nazirite, a priest, a judge who is both a military leader and
an arbiter, and an intercessor“.1
The Cairo Genizah manuscript B contains about two-thirds of the
Hebrew text of Sir 46 :13 – 20.2 Despite serious text-critical problems,
most of the first and third stanzas are preserved, and we shall attempt
to reconstruct the rest of the Hebrew with the help of the major com-
mentaries. In a remarkable way, the Hebrew text of Sir 46 :13 – 20
agrees with an important non-Masoretic reading of 4QSam a in the des-
ignation of Samuel as a nazirite (1 Sam 1: 22; Sir 46 :13). However, by
omitting much of the opening verse, the Greek version eliminates the
references to Samuel as a nazirite and as a priest.

2. Poetic Features of Sirach 46 :13 – 20

From a poetic viewpoint, the poem on Samuel (46 :13 – 20) belongs with
the brief portrayal of the judges (46 :11 –12), which follows the descrip-
tion of Joshua and Caleb (46 :1 – 10). This placing of Samuel with the

1 PERDUE, Ben Sira 145.


2 Hebrew text in BEN-HAYYIM (ed.), Book 58; BEENTJES, Book 83; Greek text in ZIEGLER,
Sapientia 344 – 345; Syriac text in CALDUCH-BENAGES et al., Wisdom 250 – 253. My
restorations of the Hebrew text generally follow SMEND, Weisheit (hebräisch) 52 – 53;
SEGAL, Sēper 321; or SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 517 – 518.
32 JEREMY CORLEY

judges is fitting, since Samuel was the last and most famous of the
judges (1 Sam 7:15). As a whole, the minipoem on the judges and the
poem on Samuel combine to make a 16-line passage (46 :11– 20), marked
off with a double inclusio.3 Then after the portrait of Samuel there is a
one-line mention of the prophet Nathan, followed by 16 bicola devoted
to David (47: 2 –11) and a further 16 bicola dedicated to Solomon
(47:12 – 22). Thus, the length of 16 bicola in the poem on the judges and
Samuel (46 :11– 20) is significant, since it matches the length of the
poem on David (47: 2 –11) and the passage on Solomon (47:12 – 22).4
Ben Sira’s poem on Samuel neatly follows the human lifecycle,
since it begins with his birth (“his mother’s womb“, 46 :13b) and ends
with the aftermath of “his death“ (46 : 20a). The poem is unified by the
inclusio of the Hebrew term “prophecy“ (“in prophecy“ in 46 :13c and
46 : 20c).5 Further inclusios are provided by the terms “kingship“
(46 :13e) and “king“ (46 : 20b), as well as the verb “anointed“ (46 :13f )
and the adjectival noun “anointed one“ (46 :19b). In addition, if my
reconstruction is correct, there is another inclusio with “people“ in
46 :13a (“his people“ in the Genizah Hebrew) and in 46 : 20d (“of the
people“ in the Greek).
The poem may be divided into three stanzas, of which the first and
third are marked off by poetic features.6 The first stanza (46 :13 – 15),
dealing with Samuel’s birth and achievements, has internal rhyme in
its opening bicolon (“his people“ in 46 :13a; “his mother“ in 46 :13b).
While the second stanza (46 :16 –18), concerning Samuel’s intercession
at Mizpah, has fewer sound patterns, the third stanza (46 :19 – 20), on
Samuel’s death, has internal rhyme and end-rhyme in its opening bi-
colon (“his resting“ and “his bed“ in 46 :19a; “his anointed“ in 46 :19b).

3 First inclusio = verb awn, “lift up“ (“was not lifted up“ in 46 :11b; “and he lifted up“
in 46 : 20c); second inclusio = preposition irxa, “after“ (“from after“ in 46 :11c; “after“
in 46 : 20a).
4 CORLEY, Structure 61.
5 BEENTJES, Prophets 214. There is conspicuous alliteration with the letter nun: rizn
(46 :13c); haubn (prefaced by a preposition in 46 :13c, 20c); Õidign (46 :13f ); wrdn (46 :15a,
20a); ydun (as reconstructed in 46 :15b); ñman (46 :15b); ymwn (46 :17b); Õibicn (in a con-
struct form in 46 :18a); uxun (46 :19a); Õlyn (46 :19c).
6 The division into three stanzas follows MARBÖCK, Samuel 208.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 33

3. Samuel’s Birth and Achievements (46 :13 – 15)


uma ñjbm lauwmh uhwuy buhau umy dbkn
ñhkmu jpuw laumw haubnb iii rizn
Õy ly Õidign xwmiu tklmm ñikh la rbdb
bqyi ilha dqpiu hdy huc iii trutb
ñman ydun uirbdbu hzx wrdn utnumab
13a Honored by his people and beloved of his Maker,7
b The one dedicated from his mother’s womb,
c Nazirite of YHWH in prophecy,
d Was Samuel, judge and officiating priest.
e By the [word] 8 of God he established the kingship,
f And he anointed rulers over the people.
14a By the [instruction of YHWH he comman]ded the congregation,
b And he visited the tents 9 of Jacob.
15a For [his faithfulness he was s]ought out as a seer,
b And in his words he was known to be trustworthy.10

While the Genizah manuscript calls Samuel “friend of his people and
acceptable to his Maker“ (46 :13a), most commentators reconstruct a
presumed original text form, because the Hebrew reading in 46 :13a is
not exactly reflected in the diverse versions.11 If my reconstruction of
46 :13a is correct (“honored by his people and beloved of his Maker“;
cf. 1 Sam 2 : 26), the portrayal of Samuel echoes the picture of Moses in
Sir 45 :1, where he is called “beloved of God and human beings“.12

7 The reconstruction of 46 :13a (combining elements of H and G and S) follows SMEND,


Weisheit (erklärt) 445. In this article, Sir 46 :13a refers to the first colon in Sir 46 :13,
while 46 :13f refers to the sixth colon in 46 :13 (not 46 :13 – 14). In my textual com-
ments, H B = Hebrew manuscript B; G = Greek; S = Syriac; L = Latin. In the English
translation, italics indicate an emended text based on the versions, while square
brackets [thus] indicate lacunae in the Hebrew, and double square brackets [[thus]]
indicate a conjectured lost text in 46 :16d. All biblical translations (including Ben Sira)
are mine unless otherwise noted.
8 Restoration of lacunae in 46 :13e, 14a, 15a follows SEGAL, Sēper 321, apart from re-
storing “instruction of YHWH“ rather than “command of YHWH“ in 46 :14a.
9 This correction follows LÉVI, L’Ecclésiastique 84; SMEND, Weisheit (erklärt) 445;
SEGAL, Sēper 322; SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 518.
10 This correction of 46 :15b follows SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 518. The Syriac text
omits 46 :15.
11 S reads: “. . . and their praises for all the people. And beloved by his Creator“, and
the manusripts of G have: “. . . of their glorified ones. Beloved by his Lord“. G may be
emended to read: “Glorified by human beings, beloved by his Lord“ (ZIEGLER, Sa-
pientia 343). Other reconstructions of H include: “Beloved of his people and accept-
able to his Maker“ (SEGAL, Sēper 321); “Honored among people, dear to his Maker“
(SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 516).
12 On the sage’s portrait of Moses see WITTE, Mose.
34 JEREMY CORLEY

Whereas the Hebrew text has two bicola in 46 :13a – d, the Greek
text has a much shorter form: “Beloved by his Lord, Samuel, prophet
of the Lord“ – before referring to the establishment of the monarchy as
in the Hebrew of 46 :13ef. However, at the end of the description of the
judges, the Greek manuscripts add the phrase “of their glorified
ones“.13 The absence of much of 46 :13a – d from the Greek text may be
due to a combination of three reasons: haplography, confusion about
the opening of a new poetic unit, and ideological factors. In first place,
haplography probably occurred between lauwmh (46 :13b) and laumw
(46 :13d).14 The second reason for the Greek confusion here seems to be
the translator’s misunderstanding of Ben Sira’s poetic format when
extra phrases intervene before the naming of a new character in the
Praise of the Ancestors.15 In third place, perhaps ideological factors
were at work, whereby some aspects of the description of Samuel (e. g.,
as a nazirite and a priest) were deliberately amended in the grandson’s
translation or by later copyists.16
Sir 46 :13b calls Samuel “the one dedicated from his mother’s
womb“. There is a clever Hebrew wordplay between lauwmh (“the one
dedicated“: 46 :13b) and the name laumw (“Samuel“: 46 :13d).17 The ac-
tual form lauwmh is an unusual pu al participle. The suggested mean-
ing “the one dedicated“ 18 is deduced by analogy with the qal passive
participle in 1 Sam 1: 28, where Samuel is described as “dedicated“
(luaw) to YHWH. In effect, the qal passive participle is equivalent there
to the passive of the hiph il verb “hand over (in response to a re-
quest)“; hence the translation “dedicated“. The hiph il verb appears in
the first part of 1 Sam 1: 28: “And I too have handed him over (uhtlawh)
to YHWH; all the days that he lives, he is dedicated (luaw) to YHWH“.

13 See ZIEGLER, Sapientia 343, for the correction: “Glorified by human beings“, a phrase
that more fittingly introduces the portrait of Samuel; cf. SKEHAN /DI LELLA, Wisdom
517.
14 SEGAL, Sēper 321; MARBÖCK, Samuel 206.
15 SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 517. Similarly, the opening of the Greek depiction of the
high priest Simeon lacks the Hebrew phrase: “Greatest of his brothers and splendor
of his people“ (50 :1a). Instead, a corresponding phrase is applied to Joseph in the
Greek of 49 :15: “Beloved of his brothers, support of the people“. A comparable
confusion marks the beginning of the portrayal of Moses in some Greek manuscripts
of 44 : 23 – 45 :1.
16 PETRAGLIO, Libro 209 – 210.
17 SMEND, Weisheit (erklärt) xlii. Elsewhere in the Praise of the Ancestors Ben Sira plays
on the names of characters: 46 :1 speaks of the great “deliverance“ (hyuwt) in the days
of Joshua (ywuhi), while 48 :17 declares that Hezekiah (uhiqzxi) “fortified“ (qzx) his
city.
18 So SEGAL, Sēper 321.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 35

The logic of 1 Sam 1: 27– 28 seems to be that since God has kindly
granted Hannah’s request, she will now respond generously by hand-
ing her son back to him for service at the sanctuary. However, it is also
possible that the pu al participle in 46 :13b means “asked for“, and
hence “obtained by request“. The reference in Sir 46 :13b in that case is
to Hannah’s intense prayer for a son in 1 Sam 1:11, where 4QSam a
preserves a longer text.19 It is also noteworthy that the participle in Sir
46 :13b echoes the sound of the name Saul (luaw = “asked for“, cf.
1 Sam 12 :13), even though Ben Sira does not actually name the disfa-
vored king here (or in 46 :19 – 20).
When 46 :13b presents Samuel as “the one dedicated from his
mother’s womb“, there is a general resemblance to the prophetic call of
Jeremiah: “And he from the womb was formed as a prophet“ (Sir 49 : 7;
cf. Jer 1: 5). More specifically, the phrase “from his mother’s womb“
suggests a contrast with Samson’s declaration in Judg 16 :17: “A razor
has not come upon my head, because I have been God’s nazirite from
my mother’s womb“ (cf. Judg 13 : 5, 7). While Ben Sira celebrates Sam-
uel as a proper nazirite (46 :13c), there is an implied contrast with
Samson who broke all three stipulations of the nazirite vow, as listed in
Num 6 :1–12.20 Unlike Samuel, Samson was evidently not a faithful
nazirite, and so he is not named as praiseworthy in Sir 46 :11 – 12. Since
the juxtaposition of the stories of Samson and Samuel in the Hebrew
Former Prophets may have been intended to highlight the difference
between the two figures, Ben Sira’s phraseology in 46 :13cd (“nazirite“
and “judge“) may hint at his recognition of this contrast.
In calling Samuel a nazirite, Sir 46 :13c agrees with the explicit
statement made by Hannah in 1 Sam 1: 22 according to the 1 st-century
a
B.C.E. manuscript 4QSam : “[And] I will [gi]ve him as a nazirite for
ever all the days of [his life]“.21 Though this plus is unattested in the

19 The qal verb also refers to Hannah’s praying in 1 Sam 1:17, 20, 27, but whereas 1 Sam
2 : 20 MT has the qal verb, the hiph il form (so 4QSam a ) is to be preferred in that
instance. While the name Saul means “asked for (from God)“, the biblical narrative
plays on the fact that Saul is the king “asked for“ by the people (1 Sam 8).
20 Prohibition of alcohol and grapes (Num 6 : 3 – 4; cf. Judg 14 :10, 17); prohibition of
cutting hair (Num 6 : 5; cf. Judg 16 :19); prohibition of approaching a corpse (Num
6 : 6 –7; cf. Judg 15 : 8, 15). See CRENSHAW, Samson 129 – 130; BLENKINSOPP, Structure.
21 ULRICH, Qumran Text 40; MCCARTER, Samuel 56; FIDLER, Wife’s Vow 382; CHEPEY,
Nazirites 20 – 22 and 40 – 42.
36 JEREMY CORLEY

Masoretic Text (MT),22 the view that Samuel was a nazirite also appears
in the Mishnah and Talmud (m. Naz. 9.5; j. Naz. 9.5; b. Naz. 66a).23
Although the MT of 1 Sam does not specifically call Samuel a nazirite,
such a lifestyle is probably implied in Hannah’s promise before his
birth: “No razor shall touch his head“ (1 Sam 1:11 MT; cf. Num 6 : 5).
Following biblical precedent, Sir 46 :13cd notes that Samuel was
both prophet and judge. The Hebrew word “in prophecy“ (haubnb)
may have implications beyond the evident fact that Samuel was a
“prophet“ (1 Sam 3 : 20). The context within the Praise of the Ancestors
suggests a canonical emphasis in this expression, especially since Sir
46 – 49 alludes to all eight Hebrew books of the Former and Latter
Prophets in their Hebrew canonical order.24 Thus, the book that bears
Samuel’s name is included in the Former Prophets of the Hebrew Bi-
ble. Since the Book of Joshua also belongs to the Former Prophets, it is
fitting that the figure of Joshua is also described with the same Hebrew
word “in prophecy“ (46 :1). In 46 :13d Samuel is called by his biblical
designation of “judge“, doubtless recalling 1 Sam 7:15: “And Samuel
judged Israel all the days of his life.“
After being called “judge“ in 46 :13d, Samuel is then termed a
“priest“ or “priestly officiant“ (ñhkm); the ambiguity in the understand-
ing of the Hebrew term is indicated by my translation “officiating
priest“. Possibly the pi el participle means “priestly officiant“, convey-

22 Mention of a nazirite is a late addition to the Hebrew text of 1 Sam 1 according to


PISANO, Additions 21– 22. However, I regard the combined pre-Christian witness of
the Qumran manuscript and Ben Sira (supported implicitly by the LXX and explicitly
by the Talmud) as having priority over the MT, which seems here as elsewhere in
1 Sam to have shortened the original text. In his retelling of the story of Samuel
(Antiquitates 5.10.3 § 347), Josephus implies that he is a nazirite through references
to his hair and his drink: “And the woman [. . .] delivered him to Eli, dedicating him
to God to become a prophet; so his locks were left to grow and his drink was water“
(THACKERAY /MARCUS, Josephus 155); cf. ULRICH, Qumran Text 165 – 166. In addition,
4QSam a may have had the term “nazirite“ in 1 Sam 1:11, where the Greek text has
the Septuagintal hapax dotoÂw (“given one“); so ULRICH, Qumran Text 39 – 40.
23 See MCCARTER, Samuel 61: “In spite of the loss of the specification of his Nazirite
status in MT, postbiblical Jewish tradition remembered Samuel as a Nazirite, as re-
flected in the Hebrew fragments to Sir 46 :13 [. . .] and in the Talmudic tractate Nazir
9.5.“ Furthermore, the paralleling of “prophet“ and “nazirite“ in Amos 2 :11 may
include a reference to Samuel, who was both prophet and nazirite, according to
WALTERS, Hannah 412.
24 GOSHEN-GOTTSTEIN, Ben Sira’s Praise 250 – 251. The term “prophecy“ has already
appeared in the prologue to the Praise of the Ancestors (44 : 3): “Seers of everything
in their prophecy.“
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 37

ing the implication “not really a priest despite fulfilling a priestly


role“,25 and with the intention of making a difference from the qal
participle (ñhuk), used for instance to describe the high priest Simeon
(50 :1). However, the pi el participle may well actually mean “priest“
(as understood by the Syriac here).26 Indeed, the pi el verb is used
mostly of the Aaronic priesthood (as in Exod 28 : 35; 29 :1; Deut 10 : 6)
without any derogatory implications, and Sir 45 :15 employs the pi el
infinitive (ñhkl) to describe Aaron’s role in God’s service: “to minister
and to officiate as priest to him“.27
It is surprising, however, that the MT of 1 Sam never uses the root
ñhk (“be priest“) for Samuel’s activity. Admittedly, 1 Chr 6 : 32(27) af-
firms that Samuel was a Levite (though Ben Sira does not say so). The
question could be asked whether Samuel’s activity fits the role of a
Levite, or whether it bespeaks a priestly function. When the boy Sam-
uel is depicted as ministering to YHWH as a young assistant of the
priest Eli at Shiloh (1 Sam 2 :11), he could be seen as fulfilling the
function of a Levite. Later the adult Samuel is reported as offering
sacrifices (1 Sam 7: 9 –10; 9 :12 – 13; 16 : 5; cf. Sir 46 :16), which would
typically be regarded as a priestly function.28 Although Deut 33 :10
may suggest the role of Levites in offering sacrifice, the Book of Deu-
teronomy elsewhere refers specifically to the priests among the tribe of
Levi (Deut 17: 9, 18; 21: 5; 24 : 8; 31: 9).29

25 “Ben Sira [. . .] does not say of Samuel that he was a priest, but that he did perform
priestly functions“; so SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 518. Cf. SMEND, Weisheit (erklärt)
445; PETERS, Buch 398; SEGAL, Sēper 322; BEENTJES, Prophets 213; MARBÖCK, Samuel
209.
26 MACK, Wisdom 34; LEE, Studies 221; SAUER, Jesus Sirach 318; PERDUE, Ben Sira 145.
27 In addition, the litany in the Genizah manuscript of Sir 51:12ix employs the verb for
the activity of the Zadokite priests.
28 Admittedly, there is discussion among the rabbis whether or not sacrificing makes
someone a priest; see GINZBERG, Legends 228. On the sage’s view of the priesthood
see STADELMANN, Ben Sira 56 – 138; OLYAN, Ben Sira’s Relationship; WRIGHT, Ben Sira.
29 Although the associated verb “to minister“ (trwl) appears in 1 Sam 2 :11, 18; 3 :1, the
refusal of the MT of 1 Sam to call Samuel a “priest“ may be to separate him inten-
tionally from the doomed house of Eli (1 Sam 2 : 27– 36; 14 : 3; 1 Kgs 2 : 27), as well as
from the rising house of Zadok. In place of a descendant of Eli, the prophecy in 1 Sam
2 refers to the coming of a “faithful priest“ (1 Sam 2 : 35), presumably a reference to
Zadok. It may be because Samuel is not a Zadokite that his status as a priest is not
affirmed in the MT of 1 Sam, even though he performs some functions generally
regarded as priestly (such as sacrificing).
38 JEREMY CORLEY

It is very possible that in 46 :13d (as in 46 :16a) Ben Sira was in-
fluenced by Ps 99 : 6, which places Samuel in parallel to the priestly
figures of Moses and Aaron: “Moses and Aaron were among his
priests, and Samuel was among those who called on his name; they
were calling on YHWH, and he himself would answer them.“ While
Sir 46 :13d seems to recall parts of Ps 99 : 6, Pseudo-Philo specifically
quotes the verse in its reworking of the Song of Hannah (Liber Anti-
quitatum Biblicarum 51: 6): “Asaph prophesied in the wilderness about
your son, saying, ’Moses and Aaron were among his priests, and Samuel
was there among them.’ Behold the word has been fulfilled, and the
prophecy has come to pass“.30 Indeed, within the whole context of the
Praise of the Ancestors, it is fitting that Samuel is presented as a priest
(or priestly officiant), since in this way he more closely foreshadows
Simeon the Just, who will be praised in Sir 50 :1 – 24.31 In fact, the whole
poem celebrates several other priestly characters, such as three high
priests (Aaron, Phinehas, and Jeshua) and three other prophets with a
priestly ancestry (Moses, Jeremiah, and Ezekiel).
BURTON MACK emphasizes that Ben Sira portrays Samuel in a com-
posite fashion as judge and priest and prophet: “As judge, he is said to
have ’commanded the congregation’ (46 :14); as priest, to have offered
sacrifice (46 :16); and as prophet, to have ’established the kingdom‘,
’anointed princes’, and ’declared unto the king his way’ (46 :13, 20)“.32
In addition, the Hebrew text presents Samuel as a nazirite. Because of
the confusing variations among the diverse traditions, the following
table presents those four aspects of Samuel (as nazirite, prophet, judge,
and priest) from the three main textual traditions of Sir 46 :13, in com-
parison with the three principal textual traditions of 1 Sam.

30 HARRINGTON, Pseudo-Philo 366.


31 The sage’s emphasis on Samuel’s cultic role is noted by LEE, Studies 15 –17. Like LEE,
I take the Praise of the Ancestors to be Sir 44 :1 – 50 : 24; cf. CORLEY, Structure 44 – 45.
32 MACK, Wisdom 34.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 39

Samuel Nazirite Prophet Judge Priest

Sir 46 :13 H nazirite in prophecy judge priest or


(seer in 46 :15) priestly
officiant
Sir 46 :13 G --- prophet --- ---
(also 46 :15) he judged
(46 :14)
Sir 46 :13 S nazirite in prophecy judge priest
[46 :15 absent]
1 Sam nazirite [1 Sam 3 : 20 [manuscript ---
Qumran (1 Sam 1: 22) fragmentary] lacuna] [manuscript
(4QSam a ) (seer not in lacunae]
1 Sam 9 :19)
1 Sam MT --- prophet he judged ---
[implied in (1 Sam 3 : 20) (1 Sam 7 :16 – [implied in
1 Sam 1:11] seer 17) 1 Sam 7 : 9 – 10;
(1 Sam 9 :19) 9 :12 – 13;
16 : 5]
1 Sam LXX given one prophet he judged ---
(1 Sam 1:11) (1 Sam 3 : 20) (1 Sam 7 :16 – [implied in
(seer not in 17) 1 Sam 7 : 9 – 10;
1 Sam 9 : 19) 9 :12 – 13;
16 : 5]

When Sir 46 :13e asserts: “By the word of God he established the
kingship“, it combines two texts from 1 Sam. Mention of “the word of
God“, fitting for the activity of a prophet, refers to Samuel’s announce-
ment to Saul immediately before he anoints him as Israel’s first king:
“And I will let you hear the word of God“ (1 Sam 9 : 27). The reference
to establishing the kingship echoes Samuel’s message to Saul that if he
had not sinned, “now YHWH would have established your kingship
over Israel for ever“ (1 Sam 13 :13). The term used in 46 :13e for king-
ship, tklmm, seems to be a by-form of the biblical word hklmm. In fact,
the idiom hklmm ñikh (“establish the kingship“) is biblical (1 Sam 13 :13;
2 Sam 7:12; 2 Chr 17: 5), while a variation on this idiom occurs at the
end of the poem on David in Sir 47:11 H (cf. 1 Sam 24 : 21): “And he gave
him the statute of kingship, and established his throne over Jerusalem.“
Comparison of 46 :13 with 47:11 suggests that the divinely authorized
kingship in 46 :13e is David’s rather than Saul’s.
40 JEREMY CORLEY

Sir 46 :13f employs the verb “anoint“ (xwm), which appears three
times in the book: Moses anoints Aaron as priest (45 :15), Samuel
anoints Saul and David as kings (46 :13), and Elijah anoints Elisha
(48 : 8).33 Later in the poem (46 :19), the sage uses the cognate noun
“anointed one“ (xiwm) to refer to the unnamed king (i. e., Saul; cf. 1 Sam
12 : 3). In a Qumran text (Ps 151: 5) David celebrates Samuel’s anointing
of him: “He sent his prophet to anoint me, Samuel to make me great“
(11QPs a 2 8.8).34 Rather than repeating the root of Ólm (“king“) from
the previous colon, Sir 46 :13f employs the term dign (“ruler“) for Isra-
el’s two leaders appointed by Samuel, namely, Saul (1 Sam 9 :16; 10 :1)
and David (1 Sam 13 :14; 25 : 30; 2 Sam 5 : 2; 6 : 21; 7 : 8). In a particular
way Sir 46 :13f echoes the phrasing of God’s command to Samuel con-
cerning Saul: “And you shall anoint him as ruler over my people
Israel“ (1 Sam 9 :16; cf. 10 :1).
Although the exact Hebrew wording of 46 :14a is unclear, the ver-
sions suggest: “By the [instruction of YHWH he comman]ded the con-
gregation.“ The verb “command“ refers to Samuel’s speaking in 1 Sam
13 :13 –14, while his effective instruction appears in 1 Sam 7 : 3 – 6. In
more general terms, Sir 46 :14a reflects the situation described soon
after the account of Samuel’s calling: “And the word of Samuel came to
all Israel“ (1 Sam 4 :1). Sir 46 :14a presents Samuel as a leader of the
people almost like Moses in his commanding role, while the parallel
references to the “word of God“ (46 :13e) and the “instruction of
YHWH“ (46 :14a) highlight Samuel’s obedience to God.
The Genizah Hebrew text of 46 :14b reads: “And the God of Jacob
punished (or: visited; or: kept watch)“,35 but this reading is question-
able, since the qal verb dqp when used intransitively generally refers to
punishment (Job 35 :15; Isa 26 :14).36 By analogy with the Qumran lead-
er called the dqpm (“guardian“), the verb could be understood as a pi el
form, to yield the meaning: “And the God of Jacob kept guard“. If the
verb is viewed as hiph il, the meaning could be: “And the God of Jacob

33 These three instances reflect the major biblical uses for anointing, since Sir 45 :15
applies the rite to Aaron the priest (cf. Lev 8 :12); Sir 46 :13 to kings Saul and David
(cf. 1 Sam 10 :1; 16 :13); and Sir 48 : 8 to “a prophet“ (= Elisha) in the Hebrew text
(though the Greek text has the plural form “prophets“; cf. 1 Kgs 19 :16). Cf. CORLEY,
Seeds 302.
34 SANDERS, Scroll 97.
35 A reading with God as subject of the verb is maintained by MARBÖCK, Samuel 205 –
206.
36 1 Sam 2 : 21 uses the verb transitively to describe YHWH “visiting“ or “taking note
of “ Hannah (MT: dqp; 4QSam a: dqpiu).
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 41

had appointed [him]“,37 but the absence of a direct object (though com-
parable to 1 Kgs 14 : 27//2 Chr 12 :10) is difficult in this understanding.
Where the Genizah manuscript (followed by G and S) has the phrase
“God of Jacob“, many commentators emend it to “tents of Jacob“ and
understand the grammatical subject as Samuel rather than God.38 It is
easy to see how a scribe might have written the divine title bqyi ihla
(“God of Jacob“), which is familiar from earlier biblical texts (e. g.,
2 Sam 23 :1; Isa 2 : 3), instead of the phrase bqyi ilha (“tents of Jacob“:
also in Jer 30 :18; Mal 2 :12), which fits better here.39 If we accept this
emendation of 46 :14b (“And he visited the tents of Jacob“), there is a
reference to Samuel’s activities as a kind of circuit judge in Israel, as
described in 1 Sam 7:16 –17.40
When Sir 46 :15a declares: “For [his faithfulness he was s]ought out
as a seer“, it echoes the language of 1 Sam. After the call of the young
prophet, 1 Sam 3 : 20 says: “And all Israel from Dan to Beersheba knew
that Samuel was trustworthy (ñman) as a prophet for YHWH.“ Later,
1 Sam 9 : 6 reports the testimony to Samuel given by Saul’s servant:
“Everything that he speaks will indeed come about.“ In an echo of
Num 12 : 7, the same term hnuma (“fidelity“) is applied to Moses in Sir
45 : 4: “For his fidelity and his humility, He chose him out of all flesh.“
This is an example of Samuel being portrayed with features of Moses,
just as Jer 15 :1 places them in parallel as intercessors. However, an-
other interpretation of the noun hnuma is possible in Sir 46 :15: “In [his
office of trust he was s]ought out as a seer.“ Employing the noun with
the same interpretation, 1 Chr 9 : 22 declares of the sanctuary gate-
keepers: “David and the seer Samuel established them in their office of
trust (Õtnumab)“ (New Revised Standard Version).
Just as Sir 46 :15a reports that Samuel “was sought out as a seer“,
so the Hebrew Bible employs the verb wrd for consulting a prophet or
religious advisor (1 Kgs 22 : 7; 1 Chr 10 :13; cf. Sir 34 :1). The consulta-
tion of a seer is mentioned in 1 Sam 9 : 9: “Formerly in Israel, this is
what someone said when he went to consult God: ’Come, and let us go

37 “Und der Gott Jakobs setzte ihn ein in sein Amt“; so SAUER, Jesus Sirach 317.
38 LÉVI, L’Ecclésiastique 84; SMEND, Weisheit (erklärt) 445; SEGAL, Sēper 322; SKEHAN /
DI LELLA, Wisdom 518.
39 Similarly, where Ps 83 : 7 MT speaks of “the tents of Edom“, the Masada manuscript
of Ps 83 : 7 reads “the God of Edom“ (from 2 Chr 25 : 20); cf. TALMON, Fragments
87– 88.
40 Note that in Judg 15 :1 the same meaning “visited“ appears: “And Samson visited
(dqpiu) his wife.“ It is also possible that the verb in Sir 46 :14b is pi el: “And he
guarded [= kept watch over] the tents of Jacob.“
42 JEREMY CORLEY

to the visionary (harh).’“ The same form wrdn (“sought out, consult-
ed“) appears in 46 : 20a to describe the post-mortem consultation of
Samuel by Saul at Endor (1 Sam 28). It is interesting that Sir 46 :15a
refers to Samuel as a “seer“ (hzx), even though the MT does not refer to
Samuel as a “seer“ with the word hzx (preferring the synonym haur in
1 Sam 9 :11, 18 –19).41 However, 1 Sam 3 :1 uses a cognate noun when it
says that before Samuel’s calling, “visions (ñuzx) were not widespread.“
Samuel is evidently included among those mentioned in Sir 44 : 3
(“Seers of everything [lk izux] in their prophecy“), while the verb is
used of Isaiah’s ministry: “With a powerful spirit he saw (hzx) the end“
(48 : 24).
The exact text of 46 :15b is uncertain. The Genizah Hebrew manu-
script reads: “And also in his word he was shown to be trustworthy as
a shepherd (hyur)“.42 However, scholars usually correct the final parti-
ciple (by changing one vowel letter) to read “visionary“ (haur), echo-
ing 1 Sam 9 :11, 18 –19 and fitting better as a parallel to “seer“ in
46 :15a.43 However, the problem with such a statement here is that it is
tautological. Such a text twice states that Samuel was a “seer“ or “vi-
sionary“, and also twice uses the root ñma (“trustworthy, faithful“) for
him. Accordingly, it is better to have recourse to the Greek text of
46 :15b: “And he was known by his word(s) to be faithful in vision.“
Hence SKEHAN and DI LELLA reconstruct a Hebrew text, yielding the
meaning: “And in his words he was known to be trustworthy (ñman)“.44
This formulation echoes the statement in 1 Sam 3 :19 – 20: “He did not
allow any of his words to fall to the ground (. . .). And all Israel from
Dan to Beersheba knew that Samuel was trustworthy (ñman) as a proph-
et for YHWH.“ Elsewhere Ben Sira uses the same participle to describe
Abraham: “In testing he was found faithful (ñman)“ (44 : 20), while Sir
48 : 22 G refers to the prophet Isaiah as “trustworthy in his vision“.45

41 A Qumran text (4Q160) has been dubbed “The Vision of Samuel“ because it mentions
Õihulah harm (“the vision of/from God“, 4Q160 1.5).
42 The reading “shepherd“ is understandable on the basis of 1 Chr 17 : 6, which men-
tions “Israel’s judges whom I commanded to shepherd my people.“ Although Sam-
uel was not a shepherd, Ben Sira could have transferred to him the title used of
David (1 Sam 16 :11; 17: 34; cf. 2 Sam 5 : 2; 7 :7), since through his leadership he also
had a kind of a shepherding role for Israel.
43 SEGAL, Sēper 322; PETERS, Buch 397; MARBÖCK, Samuel 206. A comparable inter-
change of alef and ayin appears in Sir 44 :11a, where the Masada manuscript mistak-
enly reads Õa (“if “) for Õy (“with“).
44 SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 518.
45 MACK, Wisdom 207 – 208.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 43

As a whole, the first stanza outlines the major aspects of Samuel’s


role as nazirite and prophet, judge and priest (or priestly officiant). The
positive features noted include the high esteem shown him by God and
humanity (46 :13a), his obedience to God’s word (46 :13e; 46 :14a), and
his trustworthiness (46 :15). His key role in establishing the kingship is
also highlighted (46 :13e).

4. Samuel as Intercessor (46 :16 –18)


bibsm uibiua ul hpkak la la arq auh Õgu
iiil lilk hly blx hlj utlyb
uluq ymwn rida yqpb iii Õimwb Õyriu
Õitwlp inrs lk dbaiu rc ibicn ynkiu
16a And h[e] too [called o]n [G]od,46
b [When there was pressure for] h[im, with] his [enem]ies on every side,
c When he offered up [a suck]li[ng lamb]
d [[as a whole burned offering to YHWH]].47
17a [And YHWH thundered in the heavens;]
b With a majestic crash his voice was heard.
18a And he subdued the garrisons of the foe,
b And he destr[oyed all] the lords of the Philistines.

This stanza recalls the battle of the Israelites against the Philistines at
Mizpah (1 Sam 7: 5 –13), when the people were saved by divine inter-
vention in response to Samuel’s intercession. The biblical text describes
Samuel as a man of prayer and intercession (1 Sam 7 : 5; 12 :19, 33), just
as his mother Hannah was a woman of prayer (1 Sam 1:10 – 12, 26 – 27).
Samuel’s fame as an intercessor alongside Moses appears also in Jer
15 :1: “If Moses and Samuel were to stand before me, my heart would
not be toward this people.“
According to ALON GOSHEN-GOTTSTEIN, whereas the Torah charac-
ters in Sir 44 :17– 45 : 26 are described as receiving gifts from God, the
Prophets section in 46 :1– 49 :13 portrays the human actions of Israel’s
prophets and kings in response to the divine calling.48 In fact, there is a
pattern in 46 :1– 49 :13 whereby the hero in a crisis calls on God and
receives a favorable response. This pattern appears in the poems on

46 Apart from the reconstruction of 46 :16d (and tiny variations in 46 :17a and 46 :18b),
restoration of lacunae in 46 :16 – 18 follows SEGAL, Sēper 321.
47 Restoration of 46 :16d, absent from all ancient forms of the text, follows SMEND,
Weisheit (erklärt) 446.
48 GOSHEN-GOTTSTEIN, Ben Sira’s Praise 251.
44 JEREMY CORLEY

Joshua (46 : 5 – 6), Samuel (46 :16 – 18), David (47 : 5), and Hezekiah
(48 : 20).49 Indeed, the wording of 46 :16a parallels the phraseology of
the other three passages, except that the depiction of Samuel’s interces-
sion omits the divine title “Almighty“. Samuel’s intercession is de-
scribed with the phrase: “And h[e] too [called o]n [G]od“ (46 :16a), just
as the prayers of Joshua and David are each portrayed with the phrase:
“For he called on God Almighty“ (46 : 5; 47 : 5), and the entreaties of
Hezekiah’s contemporaries are also depicted with similar phraseology:
“And they called on God Almighty“ (48 : 20). In this way Ben Sira
draws a parallel between Samuel’s powerful prayer and the interces-
sions offered by Joshua and David and the Jerusalemites 50 of Heze-
kiah’s time, all of which were answered with divine deliverance.
While 46 :16a echoes the content of 1 Sam 7 : 8 (“do not cease to cry
out for us to YHWH our God“), its actual idiom (“call on God“) is
borrowed from the account of Samuel’s intercession at Gilgal (1 Sam
12 :18): “And Samuel called on YHWH, and YHWH gave thunder and
rain on that day.“ The idiom also appears in Ps 99 : 6, speaking of the
intercessory role of Samuel along with the priestly role of Moses and
Aaron: “Moses and Aaron were among his priests, and Samuel was
among those who called on his name; they were calling on YHWH,
and he himself would answer them.“
Although the Genizah manuscript of 46 :16b is incomplete, the
lacuna can be filled by analogy with the description of Joshua’s inter-
cession in 46 : 5ab: “For he called on God Almighty, when there was
pressure for hi[m, with enemies on every side].“ The verbal noun hpka
(“pressure“),51 absent from the MT, is a feminine by-form of úka
(“pressure“, a hapax in Job 33 : 7). In the context, the pressure from
enemies evidently refers to the Philistine threat at Mizpah (1 Sam
7: 7), while the phrase “with enemies on every side“ (46 :16b) echoes
Samuel’s reminder about God’s deliverance in 1 Sam 12 :11: “And he
rescued you from the hand of your enemies on every side.“

49 SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 537.


50 The plural subject refers to Hezekiah and Isaiah who prayed together (2 Chr 32 : 20),
according to LEE, Studies 17. Note that 4 Ezra 7 :106 – 111 places Samuel in the com-
pany of other Israelite intercessors (Abraham, Moses, Joshua, David, Solomon, Elijah,
and Hezekiah).
51 On this noun see MINISSALE, Words 10 –11. The cognate qal verb úka (“exert pres-
sure“) occurs in Prov 16 : 26: “His mouth [= hunger] exerts pressure on him [= to
continue working].“ Although the syntax of Sir 46 : 5b and 46 :16b is unusual with the
preposition k (“as, at the time of “) before the feminine verbal noun, comparable
examples occur in the MT: utymwk (“at the time of his hearing“, Isa 30 :19); utqzxku
(“and at the time of his growing strong“, 2 Chr 12 :1). In Sir 46, however, the personal
suffix is replaced by ul (“for him“), marking him as object of the pressure.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 45

The phrase in 46 :16c, “When he offered up [a suck]li[ng lamb]“,


recalls the prophet’s action at Mizpah: “And Samuel took one suckling
lamb and offered it up as a whole burned offering to YHWH, and
Samuel cried to YHWH on behalf of Israel“ (1 Sam 7 : 9). However, the
noun hlj (“lamb“) is rare in the MT (elsewhere only Isa 40 :11; 65 : 25),
and in sacrificial contexts the term wbk (“lamb“) is preferred. Where I
have translated “when he offered up“ (literally, “at [the time of ] his
offering up“: 46 :16c), the Hebrew text at first sight seems to have “at
his going up“, as in 1 Sam 15 : 2 and the Genizah manuscript of Sir
50 :11. However, the word utlyb is in fact an elided form of the pre-
fixed hiph il infinitive.52
On the authority of RUDOLF SMEND’s conjecture, but without any
manuscript evidence, I take a phrase from 1 Sam 7 : 9 to supply a lost
colon as Sir 46 :16d: “a whole burned offering to YHWH“.53 This avoids
the problem (found in the Hebrew and Greek texts) of having a trico-
lon in 46 :16. As a general rule, tricola in Ben Sira are suspect, since the
sage employs a “consistent bicolon structure“.54 Since the fragmentary
Hebrew and the Greek agree on the basic text of this tricolon, it seems
to preserve authentic material. Hence, it is reasonable to suppose (with
SMEND) that a final colon has been lost, just as the Greek text elsewhere
occasionally omits a colon (such as 44 : 4d H and 25 : 8b H). If the recon-
struction of 46 :16d is correct, Ben Sira has adopted the exact phrasing
of 1 Sam 7: 9, just as Sir 45 : 23f copies the phraseology of Num 25 :13,
and Sir 46 :17a (in my reconstruction) uses the wording of Ps 18 :14(13).
Just as Sir 46 :13d calls Samuel an “officiating priest“ (ñhkm), so the
reference to Samuel’s sacrifice in 46 :16cd seems to illustrate his priestly
role.55 The conjectured mention of “a whole burned offering“ (hly
lilk), may reflect the role of the Levites as expressed in Deut 33 :10:
“They shall place incense before you, and the whole offering (lilk)
upon your altar“, which is appropriate since 1 Chr 6 : 32(27) calls

52 KAUTZSCH /COWLEY (eds.), Grammar 148 (§ 53q). This elision is more common with
a prefixed lamed (e. g., ribyl = “to bring across“ in 2 Sam 19 :19), but it also occurs
with a prefixed bet, since we find the form utlgb (“at his exiling“) in Jer 27 : 20.
53 SMEND, Weisheit (erklärt) 446. An alternative reconstruction, larwi dyb llptiu (“and
he prayed on behalf of Israel“; cf. 1 Sam 7 : 5), is also suggested by SMEND. However,
the latter reconstruction is less likely, since its wording provides no ground for
haplography by homoioarchton or homoioteleuton and no ideological grounds for
omission.
54 So REYMOND, Innovations 1; cf. RICKENBACHER, Weisheitsperikopen 130 – 131.
55 Some rabbinic texts suggest that in this case an exception was made for a non-priest
to offer sacrifice; cf. GINZBERG, Legends 228.
46 JEREMY CORLEY

Samuel a Levite.56 But the total omission of 46 :16d in H and G and S


(here restored) may be either by haplography or for ideological rea-
sons. If SMEND’s reconstruction is correct, the colon could have been
omitted by homoioarchton (“offering up“ in 46 :16c and “offering“ in
46 :16d) or homoioteleuton (“YHWH“ in 46 :16d and 46 :17a). Among
the Hebrew copyists of Ben Sira there may also be a wish to downplay
Samuel’s priestly role (as in the MT of 1 Sam). For different reasons,
Christian copyists of the Greek text may have omitted this colon (just
as the Greek version omits the description of Samuel as priest in
46 :13), perhaps because of some degree of antipathy toward the Jewish
priesthood and sacrifices.57 Perhaps we may regard the loss of 46 :16d
as similar to the omission by the Greek text of 44 : 4d, which I under-
stand as a reference to temple personnel (especially the priesthood) in
its praise of “rulers for their liturgical duties (Õturmwmb Õilwm)“.58
Sir 46 :17 narrates God’s response to Samuel’s prayer: “And YHWH
thundered in the heavens.“ Although the Hebrew text is lacking, the
reconstruction is clear from the ancient versions.59 Here the sage echoes
several biblical texts. Closest to the context is the description of the
divine intervention on behalf of Israel in 1 Sam 7 :10: “And YHWH
thundered with a great voice on that day against the Philistines.“ How-
ever, there is also an echo of God’s action depicted at the end of the
Song of Hannah: “YHWH (. . .) will thunder in the heavens“ (1 Sam
2 :10 MT).60 In addition, my reconstruction of Ben Sira’s phrase exactly
follows the Hebrew of Ps 18 :14(13): “And YHWH thundered in the
heavens.“

56 The sage’s non-mention of Samuel’s Levitical status matches his general omission of
references to the Levites in his work (WRIGHT, Ben Sira 243). However, Sir 45 : 6 notes
that Aaron belongs to “the tribe of Levi“.
57 MINISSALE, Versione 222 – 224. Some changes in G by comparison with H (e. g., 45 : 26;
50 : 23 – 24) may derive from the grandson’s attitude of caution toward the Hasmo-
nean priestly rulers of his day.
58 So SEGAL, Sēper 305; MINISSALE, Versione 130. The most common biblical usage of
turmwm (e. g., Num 4 : 28; 1 Chr 26 : 6, 12) refers to “watches“ or “guard duties“ or
“liturgical offices“ (even priestly duties of service) in the sanctuary, so that the Õilwm
(“rulers“) would then refer to the leaders of these liturgical duties (cf. Num 3 : 32).
Presumably 44 : 4d is omitted by G because of its favorable attitude to the priesthood;
so MINISSALE, Versione 127, 134.
59 Here I follow S (“in the heavens“, matching Ps 18 :14[13]), whereas G (“from heaven“,
echoing 2 Sam 22 :14) is followed by SEGAL, Sēper 321.
60 In comparison with 1 Sam 2 :10 MT, extra words appear in 4QSam a and LXX (includ-
ing the copula: “and he thundered“); cf. MCCARTER, Samuel 71; ULRICH, Qumran
Text 72.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 47

In parallel with the previous colon, Sir 46 :17b declares: “With a


majestic crash his voice was heard.“ While the noun yqp is a hapax in
the Hebrew manuscripts of Ben Sira, the Syriac cognate term suggests
the meaning “crash“, referring here to the crack of thunder.61 The ad-
jective “majestic“ (rida) recalls the words of the awestruck Philistines
in 1 Sam 4 : 8: “Alas for us! Who will deliver us from the hand of these
majestic gods? These are the gods who struck Egypt with every plague
in the desert!“ We may also compare Ps 93 : 4: “Greater than the sounds
of mighty waters (. . .) YHWH is majestic on high.“
Like the phraseology of Sir 46 :17a, the term “his voice“ (denoting
thunder, as in Job 37: 4 – 5) in 46 :17b also echoes Ps 18 :14(13) and
2 Sam 22 :14: “And the Most High uttered his voice.“ In addition, the
wording recalls 1 Sam 7:10: “And YHWH thundered with a great
voice.“ The language also evokes the divine response to Samuel’s
prayer at Gilgal in 1 Sam 12 :18: “And Samuel called on YHWH, and
YHWH gave thunder.“ In a comparable text, the portrayal of Moses
notes: “And he let him hear his voice“ (Sir 45 : 5, echoing Exod 19 :19
and Deut 4 : 36). Later the sage employs similar language to describe
the trumpet blast sounded by the priests in the temple: “And they let a
majestic sound be heard“ (50 :16).62
When Sir 46 :18a narrates the result of the divine intervention
(“And he subdued the garrisons of the foe“), it is referring to 1 Sam
7:13: “And the Philistines were subdued“.63 Similar wording occurs in
Ben Sira’s portrayal of David’s achievements: “And on all sides he
subdued the foe“ (47: 7). Comparable sentiment also appears in the
sage’s prayer for his distressed people: “Subdue the foe and repulse
the enemy“ (36 : 9).64 Instead of “foe“ (rc), however, both the Greek
and the Syriac misunderstood the word in 46 :18 as the Phoenician city
“Tyre“ (ruc), which appears in the later story of David and Solomon
(e. g., 2 Sam 5 :11; 1 Kgs 9 :11). The word Õibicn is sometimes under-

61 The related feminine plural noun tyqp occurs in 2 Kgs 4 : 39 to denote “gourds“, and
the connection may be the crashing sound made by ripe gourds when they burst
open.
62 Whereas Sir 46 :17 says that God’s voice was heard by human beings, the reverse
direction of response appears in the description of the Jerusalemites’ pleading when
threatened by the Assyrian king: “And he heard the voice of their prayer“ (48 : 20).
63 The verbal subject of Sir 46 :18a seems to be God (rather than the prophet); so
SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 521.
64 Like 46 :18 (if God rather than Samuel is the subject of the verb), 36 : 9 speaks of God
doing the subduing, whereas 47 : 7 refers to the activity of David. On 36 : 9 see PAL-
MISANO, Dio 209 – 211.
48 JEREMY CORLEY

stood as “prefects“ 65 (viewed, with G and S, as a parallel to Õinrs,


“lords“, in 46 :18b), but the regular meaning of the term in 1 Sam is
“garrisons“.66 Thus, 1 Sam 10 : 5 MT mentions “the garrisons of the
Philistines“, while 1 Sam 13 : 3 narrates: “And Jonathan struck the gar-
rison of the Philistines that was at Geba.“
Ben Sira concludes the stanza by recounting the effect of God’s
answer to Samuel’s prayer: “And he destroyed all the lords of the
Philistines“ (46 :18b). Here the sage echoes the vocabulary of 1 Sam
7: 7: “And the lords of the Philistines went up against Israel“, as well as
the earlier report: “And they sent and gathered all the lords of the
Philistines“ (1 Sam 5 : 8, 11). The Hebrew noun Õinrs (“lords“), phonet-
ically related to the Greek term tyÂrannoi (“tyrants“), denotes the rulers
of the five major cities of Philistia (1 Sam 6 :16 – 18).
Thus, in the second stanza of the poem on Samuel, Ben Sira has
depicted the prophet as a powerful intercessor. As a result of his prayer,
the threat posed to Israel by the Philistines at Mizpah was overcome
by divine intervention in a storm. In this way, the event narrated in
1 Sam 7 becomes an exemplar of Samuel’s achievement as leader of the
people of Israel.

5. Samuel’s Death (46 :19 – 20)


uxiwmu iii diyh ubkwm ly uxun tyu
ub hny al Õda lku itxql imm Õlynu rpuk
uikrd Ólml dgiu wrdn utum irxa Õgu
Õy ñuy tibwhl haubnb uluq Ñram awiu
19a And at the time of his resting on his bed,
b He called YHWH and his anointed one to witness:
c “Bribe or hidden gift – from wh[om have I tak]en it?“
d And not a single human being responded against him.
20a And even after his death he was sought out,
b And he declared to the king his ways,
c And he lifted his voice from the earth in prophec[y],
d [to put an end to the iniquity of the people].67
Ben Sira opens the final stanza with internal rhyme in 46 :19a, and the
rhyme continues at the end of 46 :19b and 46 :19d.68 The wording in

65 The word is translated “rulers“ by SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 516. The versions
may have read the plural niph al participle (Õibcn = “prefects“) here.
66 The place name Nezib (bicn) in Josh 15 : 43 also means Garrison-Town.
67 The restoration of 46 : 20d (in accordance with G) follows SEGAL, Sēper 321.
68 On the sage’s use of rhyme elsewhere, see CORLEY, Rhyme 64 – 67.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 49

46 :19a is identical to 40 : 5c: “And at the time of his resting on his bed“,
though the earlier text simply refers to sleep. In 46 :19, however, the
notion of “resting on his bed“ is a euphemism for death, as indicated in
1 Sam 12 by the prophet’s making of a farewell speech (even though
his death is not narrated till 1 Sam 25 :1).69 The particular idiom of
resting on one’s bed derives from Isa 57 : 2, where the context deals
with the theological problem of the death of the devout: “The righ-
teous person perishes, and there is no one who takes it to heart; and
men of loyalty are gathered in, while no one understands, though the
righteous person is gathered in from the face of calamity; he enters into
peace. They rest on their beds, each one who walks uprightly“ (Isa
57:1– 2).70
Sir 46 :19 goes on to recall the aged Samuel’s testimony that he was
blameless of any wrongdoing or theft against the Israelites (1 Sam
12 : 3). Samuel’s declaration of innocence in 46 :19 implicitly parallels
Moses’ assertion of guiltlessness in Num 16 :15: “I have not taken a
single donkey from them, nor have I harmed a single one of them“.71
The actual phrase in 46 :19b (“He called YHWH and his anointed one
to witness“) draws on 1 Sam 12 : 5: “YHWH is witness against you, and
his anointed one is witness against you this day“.72 This declaration is
Samuel’s answer to his earlier invitation to the people in 1 Sam 12 : 3:
“Here I am! Respond against me before YHWH and before his anointed
one.“ It is striking that Saul is again not named, even though he is
meant by the term “his anointed one“, just as 46 : 20 refers to Saul as
“the king“ but without naming him.

69 In Job 3 :17 the verb xun (“rest“) also denotes resting in Sheol, while the term “bed“ or
“lying place“ (bkwm) refers to the grave in Ezek 32 : 25 (although in 2 Chr 16 :14 it
means “bier“).
70 At the opening of the Praise of the Ancestors, Ben Sira also recalls Isa 57 :1 in calling
those he wishes to celebrate dsx iwna (“men of loyalty“: 44 :1a), while the wording of
Sir 44 :14a (“In peace their corpse was gathered in“) describes the burial of devout
Israelites with a further echo of Isa 57:1 – 2.
71 The parallel is explicit in Pseudo-Philo (Liber Antiquitatum Biblicarum 57 : 2): “I say to
you as my lord Moses the servant of God said to your fathers in the wilderness when
the company of Korah rose up against him, ’You know that I have not taken anything
from you, nor have I harmed anyone of you.’“; so HARRINGTON, Pseudo-Philo 371.
72 In Sir 46 :19b H the hiph il verb diyh with a direct object has the sense “call as
witness“, as in Deuteronomy (Deut 4 : 26; 30 :19; 31: 28); in this way, Samuel’s speech
subtly echoes the work of Moses. However, Sir 46 :19b G and S take the verb in the
sense “testify“ and supply the preposition “before“ (perhaps under the influence of
1 Sam 12 : 3).
50 JEREMY CORLEY

While the reference to Samuel’s farewell speech at Gilgal is clear,


Sir 46 :19c has a problem of interpretation, which goes back to the
diverse texts of 1 Sam 12 : 3.73 In 46 :19c the word Õlyn can be under-
stood in two ways: “Bribe or hidden-gift/sandals (Õlynu) – from whom
have I taken?“ The more obvious understanding is as a niph al parti-
ciple meaning “something hidden“ (hence my translation, “hidden
gift“); compare the Syriac word meaning “offering“ or “[hidden]
gift“.74 However, if the word is a plural noun spelled defectively (with-
out the yod), it would mean “sandals“, and indeed the grandson’s
Greek follows LXX 1 Sam 12 : 3 in seeing a reference to “sandals“.75
Whatever the exact meaning, Sir 46 :19c seems to be an “inverted quo-
tation“, whereby Ben Sira has reversed the two halves of the saying in
1 Sam 12 : 3, also (in my interpretation) changing the hiph il verb into a
niph al participle.76 In Sir 46 :19c there is an implicit contrast with the
disobedient but unnamed Saul (1 Sam 15 : 22 – 23; 1 Chr 10 :13 – 14).
Whereas Samuel “did not take“ anyone’s sheep (1 Sam 12 : 3; Sir 46 :19),
Saul allowed the sheep of the Amalekites, which the people “took“, to
be spared from the ban (1 Sam 15 : 21).
Sir 46 :19d narrates the people’s silent answer to Samuel’s question-
ing: “And not a single human being responded against him.“ Here the
sage paraphrases 1 Sam 12 : 4: “You have not taken anything from a
man’s hand“, while the verb “respond“ is borrowed from the begin-
ning of 1 Sam 12 : 3. At this point a summarizing gloss, absent from the
Greek and Syriac versions, occurs in the Genizah manuscript: “And
also until the time of his end he was found prudent in the eyes of
YHWH and in the eyes of everyone living“ (Sir 46 :19ef H).77

73 1 Sam 12 : 3 MT: From whose hand have I taken a bribe,


and I will hide [= blind] my eyes with it (= ub iniy Õilyau).
1 Sam 12 : 3 LXX: From whose hand have I taken a bribe
and a sandal; respond against me (= ib uny Õilynu).
74 So SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 516; SEGAL, Sēper 322.
75 So BEENTJES, Canon 175 –176; MARBÖCK, Samuel 210 – 211; SAUER, Jesus Sirach 317. If
the mention of sandals belongs here, it refers to a gesture that served to circumvent
legal obstacles (Ruth 4 : 7), sometimes used at court to cause injustice to the poor
(Amos 2 : 6; 8 : 6); cf. MCCARTER, Samuel 213 – 214.
76 BEENTJES, Canon 175 –176. Whereas 1 Sam 12 : 3 MT reads: “From whose hand have I
taken // a bribe and I will hide (. . .)“, Sir 46 :19c H has: “Bribe or hidden-gift // from
whom have I taken?“
77 On 46 :19ef in manuscript B as a gloss, see SMEND, Weisheit (erklärt) 447; SEGAL, Sēper
323; SKEHAN /DI LELLA, Wisdom 518. This gloss borrows phrases from 46 :19a,
46 :15b, and 44 : 23g.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 51

The stanza concludes with a reference to Saul’s consultation of the


witch of Endor (1 Sam 28 : 8 – 19), against the biblical prohibition (Lev
19 : 31; Deut 18 :10 –11; cf. 1 Chr 10 :13 – 14). While the verb wrd (“seek
out“ or “consult“: Sir 46 : 20a) is elsewhere applied to seeking a prophet
(Sir 46 :15; 1 Sam 9 : 9; 1 Kgs 22 : 7), here it forms an echo of 1 Sam 28 : 7:
“Search out for me a woman who is a mistress of necromancy, so that I
may go to her and consult her.“ Here Ben Sira again does not name
Saul but merely speaks of “the king“ (46 : 20b S) or perhaps “a king“
(46 : 20b G). This refusal to name Israel’s first king (whose reign is
narrated in 1 Sam 9 – 31) is presumably because of his faithlessness
(1 Sam 15 : 22 – 23; 1 Chr 10 :13 – 14; cf. Sir 49 : 4).78
Sir 46 : 20b alludes to Samuel’s post-mortem rebuke of Saul (1 Sam
28 :16 –19) in the phrase: “And he declared to the king his ways.“ The
wording is chosen deliberately. The verb and indirect object recall the
hasty communication of bad news by messengers in Jer 51: 31: “to de-
clare to the king of Babylon that his city is captured from end to end.“
The sage boldly paints the end of Israel’s first king with the colors of
the downfall of Israel’s arch-enemy, the king of Babylon. In addition,
the verb and direct object form an ironic allusion to the beginning of
the story of Saul: “Behold now, there is a man of God in this city. (. . .)
Perhaps he will declare to us our way on which we have walked“
(1 Sam 9 : 6).79 The happy introduction of Saul within the biblical nar-
rative in 1 Sam 9 : 6 contrasts with the sad mention of the king’s ap-
proaching end in Sir 46 : 20.
When Sir 46 : 20c depicts the dead Samuel as speaking from the
earth in “prophecy“, his message announces David’s future success
and Saul’s forthcoming death in battle against the Philistines (1 Sam
28 :18 –19). Here Ben Sira combines elements from 1 Sam 28 and Isa 29.
The wording echoes the statement of the necromancer at Endor: “I see
gods coming up from the earth“ (1 Sam 28 :13), as well as Isaiah’s
announcement: “And your voice shall be from the earth like a necro-
mancer“ (Isa 29 : 4). In these passages the noun “earth“ may well be a
term for the “netherworld“, as elsewhere in the Hebrew Bible.80

78 This lack of naming of Saul matches Ben Sira’s view that the righteous deserve an
eternal remembrance whereas the wicked deserve to be forgotten (cf. 10 :17; 40 :15 –
16; 41: 6 –10; 44 : 8 –15; 47: 23); cf. MACK, Wisdom 78. The sage may have been in-
fluenced here by the editorial policy of the Chronicler, who mentions only Saul’s
genealogy and his death (1 Chr 9 : 35 – 10 :14).
79 SMEND, Weisheit (erklärt) 447; STADELMANN, Ben Sira 196.
80 See Isa 26 :19; Jonah 2 : 7(6); Ps 22 : 30(29); Job 10 : 21 – 22; Qoh 3 : 21. The noun “earth“
occurs in parallel with “netherworld“ in the sage’s thanksgiving hymn, where (as in
52 JEREMY CORLEY

For Sir 46 : 20d I have followed SEGAL in supplying the colon from
the Greek: “to put an end to the iniquity of the people“.81 We may
amplify Sir 46 : 20cd so as to bring out the sense: “And he lifted his
voice from the earth in prophecy (announcing the death of Saul), to put
an end to the iniquity of the people (in their demand for a king)“. In
my view, the people’s iniquity is its demand for a king (1 Sam 8 : 6 – 8;
12 :17– 20), but this iniquity is brought to an end by the death of Saul
(foreseen by the witch of Endor), to make way for the God-given king
David.82 It seems that ultimately Ben Sira regards the death of Saul
(whose name means “asked for“) as the just outcome for the people’s
sinful request for a king. By way of contrast, Pseudo-Philo understands
Saul’s death as contributing to atonement for his personal sins: “Be-
hold I am going to die with my sons; perhaps my destruction will be an
atonement for my wickedness“ (Liber Antiquitatum Biblicarum 64 : 9).83
Although the verb “atone“ is absent from Sir 46 :13 – 20, it is possible
that there is some kind of priestly aspect in Samuel’s intervention,
whereby his mediation somehow ensures that Saul’s death atones for
the people’s sin.84
Samuel is not the only prophet about whom some activity after
death is narrated.85 Sir 48 :13 refers to the resuscitation of a corpse
(2 Kgs 13 : 21) thrown into Elisha’s grave: “from his place, his flesh
prophesied (= G; “was created“ H).“ The reference continues in Sir
48 :14: “In his life he performed wonders, and in his death portentous
deeds.“ In addition, both Enoch and Elijah were taken up to heaven
([44 :16]; 48 : 9; 49 :14). Thus, although Ben Sira has no clear belief in the
afterlife, he refers to a few biblical examples showing how death is
transcended by God’s power in some special cases.86

Ps 56 :14[13]; 116 : 8) the thought is that the severe distress is like an experience of
death in advance: “And I raised my voice from the earth, and from the gates of the
netherworld I cried out“ (Sir 51: 9).
81 SEGAL, Sēper 321. The mention of the “people“ forms a second inclusio between
46 :13 and 46 : 20 (along with the term “prophecy“).
82 RYSSEL, Sprüche 459. The sin encumbering the people is Saul’s failure to put all the
Amalekites under the ban (1 Sam 15 : 9 – 10; 28 :18 – 19), according to LEE, Studies 16.
Both sins are included by MARBÖCK, Samuel 211.
83 HARRINGTON, Pseudo-Philo 377. Some rabbinic texts also regard Saul’s death as aton-
ing for his own sins. For the view that 46 : 20d originally spoke of the sin of Saul
rather than of the people (since the word “people“ is absent from S, which merely has
“to put an end to sins“), see SMEND, Weisheit (erklärt) 448; SKEHAN /DI LELLA, Wis-
dom 518.
84 LEE, Studies 16.
85 Sir 46 : 20 may be regarded as a miraculous deed, akin to other prophetic wonders
(Sir 45 : 2 – 3; 46 : 4; 48 : 3 – 5; 48 :12 –14; 48 : 23); so MACK, Wisdom 212.
86 HILDESHEIM, Prophet 261 – 262.
The Portrait of Samuel in Hebrew Ben Sira 46 :13 – 20 53

As a whole, the third stanza affirms that Samuel was blameless as a


judge (as stated before his demise) and that his prophetic ministry
transcended even death. His lifelong faithfulness was evident in his
continual obedience to God. There is an implied contrast with the un-
mentioned Saul, who failed to follow God’s ways faithfully, and whose
death put an end to the people’s sin in asking for a king.

6. Conclusion

Although the source for Ben Sira’s poem on Samuel is the Hebrew
Bible, he uses the biblical tradition selectively. From 1 Sam he high-
lights several key incidents: the prophet’s birth at Ramah, calling at
Shiloh, intercession during the battle of Mizpah, farewell speech at
Gilgal, and post-mortem appearance at Endor (1 Sam 1, 3, 7, 12, and
28). While he also reports Samuel’s anointing of Saul and David (1 Sam
10 and 16), he does not name Saul, whose infidelity means that he does
not deserve to be remembered (1 Chr 10 :13 – 14); nor does he name
David here, since the following poem (47 :1 –11) will portray him in
some detail.87 Besides drawing on Ps 99 : 6, the sage uses language from
other Psalms (e. g., Ps 18 :14[13]).
Echoing earlier biblical tradition, Ben Sira presents Samuel as a
prophet and a judge, as well as the anointer of kings. Developing the
widespread Jewish tradition that likened Moses and Samuel as inter-
cessors (e. g., Ps 99 : 6; Jer 15 :1), Ben Sira notes several aspects about
him similar to Moses (e. g., his enjoying divine and human favor, his
fidelity to God, and his blamelessness in leading the people). He also
makes reference to Samuel in his status as a nazirite (matching 4QSam a ),
which is implied but not stated in the MT of 1 Sam. Most significantly,
however, Ben Sira employs the participle of the same pi el verb ñhk
(“serve as priest“) that is used of Aaron in 45 :15, and thereby makes
Samuel more similar to the high priest Simeon II, celebrated at the end
of the Praise of the Ancestors.88

87 On Sir 47:1–11 see MARBÖCK, Davids Erbe; XERAVITS, Figure.


88 My thanks are due to the Minsteracres Passionist community for hospitality, to PAT-
RICK WELSH for help with proofreading, and to CHRISTOPHER BEGG, RENATE EGGER-
WENZEL, and VINCENT SKEMP for supplying copies of articles.
54 JEREMY CORLEY

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Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch
˙
HERBERT NIEHR

Einführung

Ein forschungsgeschichtlicher Zugang zur Frage nach der Ahiqar-


Gestalt im Tobit-Buch muss mit dem Jahr 1880 einsetzen. In diesem˙
Jahr veröffentlichte der deutsche Syrologe G. HOFFMANN seine „Aus-
züge aus syrischen Akten persischer Märtyrer übersetzt und durch
Untersuchungen zur historischen Topographie erläutert“, in denen er
auch auf die in den syrischen Texten nie vergessene Gestalt des Ahiqar
gestoßen war. HOFFMANN hatte dabei die Identität dieses Ahiqar˙ mit
dem im Tobit-Buch genannten Achiacharos erkannt.1 Da dieser ˙ im
Tobit-Buch als Verwandter des Tobit sowie als vorbildlicher Jude dar-
gestellt wird, war somit die Bahn für die Einbeziehung Ahiqars in die
Bibelwissenschaft geebnet. ˙
Als dann in den Jahren 1906/07 die älteste aramäische Version der
Ahiqar-Erzählung auf der Nil-Insel Elephantine gefunden worden
˙ 2 führte die Besonderheit des Fundortes mit seinen inschriftlichen
war,
Quellen aus judäo-aramäischen Händen dazu, dass man den Papyrus
mit einer jüdischen Leserschaft in Verbindung brachte und ihn in die
Nähe der alttestamentlichen Apokryphen rückte. So gehörte dem Alt-
historiker E. MEYER zufolge der Ahiqar-Papyrus zu den Resten der von
den Juden in Elephantine gelesenen˙ Bücher. Dementsprechend zählt er
ihn auch in den weiten Kreis der alttestamentlichen Apokryphen, in
den er nur durch Zufall nicht aufgenommen worden sei.3
Allerdings konnte sich diese Sicht nicht durchsetzen. Denn bereits
ein Jahr vor MEYERs Publikation hatte E. SACHAU den Ahiqar-Papyrus
˙
aus Elephantine veröffentlicht und keine Zweifel daran gelassen, dass
es sich hierbei um ein paganes und keineswegs um ein jüdisches

1 HOFFMANN, Auszüge 182f.


2 Vgl. zur Forschungsgeschichte NIEHR, Ahiqar 1 –7.
3 Vgl. MEYER, Papyrusfund 106f. ˙
58 HERBERT NIEHR

Literaturwerk handelte.4 Dies wurde dann auch der Ausgangspunkt


der weiteren Erforschung sowohl des Ahiqar-Papyrus wie auch der
Rezeption der Ahiqar-Gestalt in das Buch˙ Tobit.
˙

1. Der aramäische Ahiqar


˙
1. 1 Der Ahiqar-Papyrus
˙
Der Text des aramäischen Ahiqar befindet sich auf einer Papyrusrolle,
˙
von der noch 11 fragmentarische Blätter, die 14 Kolumnen aufweisen,
erhalten sind. Die Breite der Blätter variiert zwischen 13 und 40 cm,
ihre Höhe beträgt zwischen 28 und 32 cm. Ursprünglich dürfte es sich
um ca. 21 Kolumnen gehandelt haben. Diese waren auf einer Papyrus-
rolle von ca. 7,50 m Länge und 30 cm Höhe angebracht.5
Nach paläographischen Kriterien wurde der Ahiqar-Text aus Ele-
phantine gegen Ende der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts˙ v. Chr. ge-
schrieben, wobei sich über den in Ägypten anzunehmenden Ort dieser
Neubeschriftung des Papyrus keinerlei Aussagen treffen lassen.6
Die nicht mehr erhaltene Vorlage der Ahiqar-Erzählung kann aus
sprachlichen Gründen in das 6. Jahrhundert v. ˙ Chr. datiert werden. Sie
stammt aus Nordsyrien, wo sie in das 7. Jahrhundert v. Chr. angesetzt
werden muss.7
Der Ahiqar-Papyrus wird mit den 10 Blättern A– H, K und L in der
˙
Papyrussammlung des ägyptischen Museums in den Staatlichen Mu-
seen zu Berlin unter dem Siglum P. Berlin P 13 446 aufbewahrt. Das
Blatt J (= Papyrus No. 3465 = J 43502) liegt im ägyptischen Museum in
Kairo.8

4 Vgl. SACHAU, Papyrus XXIII: „Etwas spezifisch Hebräisches habe ich im Achı̄kar-
˙
Buche nicht zu entdecken vermocht. Es ist nicht jüdischen, sondern heidnischen,
aramäischen Ursprungs.“
5 Die neueste kritische Edition liegt vor bei PORTEN /YARDENI, Textbook 24 – 53, die
neueste deutsche Übersetzung bietet NIEHR, Ahiqar 38 – 52.
6 Zum Ahiqar-Papyrus vgl. YARDENI, Trade, und˙ NIEHR, Ahiqar 5f.
7 ˙ , Ahiqar 10 –12.21f.
Vgl. NIEHR ˙
8 Vgl. NIEHR, Ah˙ iqar 4 –7.
˙
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 59
˙

1. 2 Die Ahiqar-Erzählung
˙
Die Erzählung vom Schicksal des weisen Ahiqar spielt in der Zeit der
Assyrerkönige Sanherib (704 – 681 v. Chr.) und ˙ Asarhaddon (680 – 669
v. Chr.). In der Ahiqar-Erzählung wird Ahiqar als „weiser und erfah-
˙ „Ratgeber von ganz Assyrien“
rener Schreiber“, als ˙ und als „Bewahrer
des Siegels des Sanherib“ (Ah 1,2 – 3.12; vgl. auch Ah 2,19) charakte-
˙
risiert. Diese Titel haben Entsprechungen ˙
der Verwaltungshierarchie
des assyrischen Königshofs, auch wenn sie hier nicht auf einen einzi-
gen Amtsträger zentriert sind.9
Der Inhalt der Ahiqar-Erzählung lässt sich wie folgt wiedergeben.
˙
Ahiqar ist ein verdienter Kanzler und Siegelbewahrer am Hofe der
˙
Assyrerkönige Sanherib und Asarhaddon. Da er aufgrund des Alters
dieses Amt nicht weiter versehen kann, schlägt er Nadin, den Sohn
seiner Schwester, als seinen Nachfolger vor. Dieser sucht jedoch Ahi-
qar aus dem Wege zu schaffen. Er setzt das Gerücht von einer Ver- ˙
schwörung in die Welt, demzufolge Ahiqar nach dem Leben des Herr-
˙
schers getrachtet habe. Der Offizier Nabusumiskun, der im Auftrag
des Königs den weisen Ahiqar umbringen soll, war aber seinerseits vor
einiger Zeit von Ahiqar aus˙ Todesgefahr errettet worden. Aus diesem
˙
Grund beschließt er, Ahiqars Leben zu verschonen und an seiner statt
˙
einen Sklaven hinzurichten (Ah 1– 5). Hier bricht die aramäische Ahi-
˙
qar-Erzählung ab. Es fehlt mindestens eine Kolumne, so dass man über˙
die Bestrafung Nadins leider nichts mehr erfährt.
Was das literarische Genus dieser Erzählung angeht, so muss man
von einer weisheitlichen Lehrerzählung ausgehen.10
Auf die Ahiqar-Erzählung folgt eine Sammlung von Weisheits-
sprüchen (Ah 6˙ –14), die sprachgeschichtlich einen älteren Dialekt des
Aramäischen˙ repräsentiert. Die nächsten sprachlichen Parallelen zum
Dialekt der Ahiqar-Sprüche bieten die Barrakib-Inschriften aus Zincirli
(KAI 215 – 221)˙ und die Neirab-Stelen aus der Nähe von Aleppo (KAI
225 – 226). Allerdings sind die aramäischen Weisheitstexte im Tobit-
Buch nicht rezipiert worden, vielmehr gibt es Bezüge zur syrischen
Version der Weisheit des Ahiqar.11
˙

9 Vgl. NIEHR, Ahiqar 8 mit Anm. 51 und 52.


10 Grundlegend M ˙ ÜLLER, Lehrerzählung, und zur Diskussion im Hinblick auf die Ahi-
qar-Erzählung vgl. NIEHR, Ahiqar 11f. ˙
11 ˙
Vgl. dazu KÜCHLER, Weisheitstraditionen 375f; GREENFIELD, Ahiqar 332; GREENFIELD,
Proverbs 198 – 200. ˙
60 HERBERT NIEHR

2. Das Buch Tobit

2. 1 Die Handschriften

Das Tobit-Buch ist in unterschiedlichen Handschriften belegt. Die ältesten


Handschriften sind mit vier aramäischen Manuskripten (4Q196 – 199)
und einem hebräischen Manuskript (4Q200) aus Qumran gegeben.12
Aufgrund einer längeren Diskussion ist heute von einem aramäischen
Ursprung des Tobit-Buches auszugehen.13 Als Übersetzungen, die den
heutigen Bibeltext ausmachen, sind zwei Hauptrezensionen anzuset-
zen: zum einen der Sinaiticus (G II), der zusammen mit weiteren Mi-
nuskeln den älteren Textbestand der griechischen Übersetzung reprä-
sentiert; demgegenüber haben der Vaticanus, der Alexandrinus und
der Venetus zusammen mit weiteren Minuskeln, die die textgeschicht-
lich jüngeren Manuskripte repräsentieren (G I), einen sekundären
Rang.14
Die Auffindung der aramäischen und hebräischen Fragmente des
Tobit-Buches in Qumran lassen die Frage nach Entstehungsort und
-zeit des Tobit-Buches in einem neuen Licht erscheinen. Da nunmehr
von einem semitischen, näherhin aramäischen Original auszugehen ist,
dürfte im Hinblick auf den Entstehungsort deutlich sein, dass die
ägyptische Diaspora, vor allen Dingen im Griechisch schreibenden Un-
terägypten, eher nicht in Frage kommt. Insofern rücken zwei andere
mögliche Entstehungsorte in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit.
Zum einen wird eine Entstehung in Palästina diskutiert,15 zum andern
denkt man an eine Entstehung des Tobit-Buches in der östlichen Dia-
spora.16 Eine Entscheidung zwischen beiden Orten ist derzeit argu-
mentativ nicht sicher zu fällen, wobei die östliche Diaspora jedoch
plausibler erscheinen mag.
Was die Entstehungszeit des Tobit-Buches angeht, so denkt man an
das ausgehende 3. bzw. an das beginnende 2. Jahrhundert v. Chr., d. h.

12 Die Texte sind zusammen mit Einführung und Kommentar zugänglich bei BEYER,
Texte 172 – 186; FITZMYER, Tobit (Qumran); HALLERMAYER, Text.
13 Vgl. EGO, Buch Tobit 880f; EGO, Tobit (Buch) 574; FITZMYER, Tobit (Commentary)
18 – 28; TOLONI, Tobi 144 –146; HALLERMAYER, Text 3f.175 –179.
14 Vgl. HANHART, Text 1– 48; WAGNER, Tobit-Synopse XIII – XVI; FITZMYER, Tobit (Com-
mentary) 3 – 17, sowie die Textausgaben bei HANHART, Tobit, und WAGNER, Tobit-
Synopse 1 –173.
15 So FITZMYER, Tobit (Commentary) 52 – 54.
16 So EGO, Buch Tobit 898f; EGO, Tobit (Buch) 573.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 61
˙

an die Zeit zwischen 200 und 175 v. Chr. Hiermit käme man bis zum
Beginn der Makkabäer-Zeit in Palästina.17

2. 2 Die Tobit-Erzählung

Das Tobit-Buch führt uns die Gestalt eines vorbildlichen Juden im Exil
vor Augen. Der zum Stamm Naphtali gehörende Tobit lebt aufgrund
des Exils in Ninive. Unter König Salmanassar V. (726 – 722 v. Chr.) hatte
er ein hohes Amt am Königshof inne. Trotz dieser Position verhält sich
Tobit als ein vorbildlicher Jude: Er isst nicht von den Speisen der As-
syrer (Tob 1,10 –12), er hilft den Armen und bestattet die verstorbenen
Juden (Tob 1,16 –19; 2,2 – 8). Hatte er deswegen schon Nachteile in
Kauf nehmen müssen (Tob 1,19 – 22), so erblindet er auch noch (Tob
2,9 –10). Parallel zum Schicksal Tobits wird das unglückliche Schicksal
seiner zukünftigen Schwiegertochter Sara, der ein Dämon sieben Män-
ner getötet hatte, erzählt (Tob 3,7– 15). Sowohl Tobit als auch Sara er-
fahren eine Befreiung aus ihren Schicksalen (Tob 4 – 11). Im Hinblick
auf die Heirat von Tobias und Sara ist das Prinzip der Endogamie
wichtig (Tob 6,16).18 Alles in allem verkörpert Tobit das Ideal der Ge-
rechtigkeit, Treue und Barmherzigkeit.19 Nachdem Tobias seinen im
hohen Alter verstorbenen Vater Tobit bestattet hat, verzieht Tobias von
Ninive nach Ekbatana und hört vor seinem Tode noch vom Untergang
Ninives (Tob 14,12 –15).

3. Der aramäische Ahiqar und das Tobit-Buch


˙
Im Folgenden ist zu fragen, wie die Rezeption der Ahiqar-Gestalt in
˙
das Tobit-Buch verlaufen sein könnte.20 Dabei ist die Ausgangsbasis die
Existenz des aramäischen Ahiqar-Papyrus in Elephantine, der aramäi-
˙
schen, hebräischen und griechischen Handschriften des Tobit-Buches
in Palästina oder Syrien sowie die Frage nach der Erzähltradition des
aramäischen Ahiqar in Syrien.
˙

17 So EGO, Buch Tobit 899f; EGO, Tobit (Buch) 573f; FITZMYER, Tobit (Commentary) 50 –52;
TOLONI, Tobi 146.
18 Vgl. EGO, Heimat 278 – 280, mit Hinweis auf Tob 3,15; 4,12f (G I); 6,11 – 13; 7,10 – 12.
19 Vgl. ENGEL, Auf zuverlässigen Wegen; EGO, Buch Tobit 890 – 893; EGO, Heimat 271f.
275 – 280.
20 Vgl. zum Forschungsüberblick DENIS u. a., Introduction 1014 – 1016.
62 HERBERT NIEHR

3. 1 Die traditionelle Sicht


Es hat in der Forschung mehrere Versuche gegeben, eine Genealogie
der Ahiqar-Texte zu etablieren. Insbesondere sind die Arbeiten von
˙
J. M. LINDENBERGER , F. M. FALES oder R. CONTINI und C. GROTTANELLI
zu nennen.21 Diese Versuche lassen im Hinblick auf das Tobit-Buch zu
Recht erkennen, dass sie keine direkte Rezeption der Elephantine-
Tradition für das Tobit-Buch suggerieren.
Da das Tobit-Buch aus Palästina bzw. der östlichen Diaspora des
ausgehenden 3. bzw. des beginnenden 2. Jahrhunderts v. Chr. stammt,
ist ein direkter Konnex zu den damals längst im Schutt verborgenen
Elephantine-Papyri kaum nachzuweisen.
Es ist also grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die aramäische
Ahiqar-Erzählung aus Syrien stammt und nur eine Abschrift davon
˙ Ägypten gelangt ist. Was den Zusammenhang zwischen den Ver-
nach
sionen in Syrien und Ägypten sowie dem Tobit-Buch angeht, so ist
schon lange eine wichtige Übereinstimmung gesehen worden: Ahiqar
war ein hoher Beamter am Hofe des Sanherib und des Asarhaddon, ˙
eine Aussage, die nur das Tobit-Buch und der Uruk-Text richtig haben.
In allen anderen Versionen wird Ahiqar nur unter Sanherib angesetzt.
Was das Verhältnis der aramäischen ˙ Ahiqar-Erzählung zum Tobit-
Buch angeht, nehmen J. LINDENBERGER und ˙ R. CONTINI eine aramäi-
sche, in Syrien zu lokalisierende Rezension an.22

3. 2 Weiterführende Überlegungen

Es wird häufig übersehen, dass den Aramäern Syriens eine entschei-


dende Funktion in der Vermittlung von Wissen und Literatur von
Osten in Mesopotamien bis hin nach Westen in die Levante und sogar
bis hin nach Kleinasien zukam. Wie ist dieses zu verstehen?
Das assyrische Streben nach der Weltherrschaft äußert sich in zwei
Aspekten: Expansion und Deportation. Die sukzessive Eroberung der
aramäischen Königreiche Syriens durch die Assyrer führte deshalb zu
einer konsequenten Aramaisierung des Assyrerreichs. Im Laufe dieses
Prozesses kam es auch zum Aufstieg von Aramäern in höchste Posi-
tionen am assyrischen Königshof. Davon legt die aramäische Ahiqar-
Erzählung ein wichtiges Zeugnis ab.23 ˙

21 Vgl. LINDENBERGER, Proverbs 7 fig. 1; FALES, Riflessioni 53; CONTINI /GROTTANELLI,


Introduzione 40f.
22 Vgl. LINDENBERGER, Proverbs 7 fig. 1; CONTINI /GROTTANELLI, Introduzione 38 – 42.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 63
˙

An den aramäischen Königshöfen Syriens gab es eine literate Ober-


schicht. Die aramäischen Königshöfe gingen im Laufe der assyrischen
Annexion während des 9. und 8. Jahrhunderts v. Chr. unter. Dieser
Prozess war mit der Niederschlagung eines von Hamath aus gesteu-
erten Aufstands gegen die assyrische Oberherrschaft im Jahre 720
v. Chr. abgeschlossen. Dennoch blieb die aramäische literate Ober-
schicht bestehen, da diese mit ihrer Kenntnis auch für die assyrischen
Lokalgouverneure weiterhin tätig war, wobei vor allem den Schreibern
eine wichtige Rolle zukam.24 Des Weiteren wurden Mitglieder der ara-
mäischen Oberschicht Syriens am assyrischen Königshof erzogen bzw.
auf eine Karriere in der assyrischen Administration vorbereitet. Im Zu-
sammenhang mit dem aramäischen Ahiqar, insbesondere mit der Stel-
lung Ahiqars am assyrischen Königshof, ˙ hat S. PARPOLA die Rolle der
Aramäer ˙ wie folgt betont:

„Un’immensa quantità di letteratura aramaica basata su precedenti tradi-


zioni mesopotamiche deve essere stata prodotta in Assiria già alla fine del
VII secolo, ed è assai probabile che quel processo creativo sia continuato
nei secoli successivi cosı̀ come sotto il dominio degli Achemenidi.“ 25

Des Weiteren hält A. R. GEORGE fest: „[. . .] there was certainly a vital
Mesopotamian Aramaic literature, now largely lost.“ 26
Auf diesem Hintergrund ist es dann auch nicht verwunderlich,
dass in den letzten Jahrzehnten immer wieder auf die wichtige Ver-
mittlungsrolle der Aramäer und auch der Phönizier für mesopotami-
sches Wissen nach Westen hin verwiesen wurde. Über die Levante
nach Westen hinaus kam den Aramäern wohl auch eine entscheidende
Rolle bei der Vermittlung der assyrisch-babylonischen Dichtung an
griechische Schriftsteller zu. Im Hinblick auf diesen Prozess haben vor
allem W. BURKERT und A. R. GEORGE einschlägige Einsichten vorge-
bracht.27
Im Rahmen einer Untersuchung zu den Hafenorten Südanatoliens
und Nordsyriens im Zeitraum von 1200 v. Chr. bis 700 v. Chr. hat A.-M.
WITTKE deren entscheidende Rolle für die Kontakte zwischen Orient
und Okzident aufgezeigt. Bis zur assyrischen Vorherrschaft führten
Luwier und Aramäer ihre von Ura bis Tall Sukas reichenden Häfen

23 Vgl. dazu die Literatur bei NIEHR, Ahiqar 8 Anm. 53.


24 Vgl. MAZZONI /MERLO, Siria 454 – 456.˙
25 PARPOLA, Retroterra 112.
26 GEORGE, Gilgamesh 59.
27 Vgl. BURKERT, Revolution 25 – 33.88 – 127; BURKERT, Griechen 52 – 54; GEORGE, Gilga-
mesh 54 –70.
64 HERBERT NIEHR

unter eigener Kontrolle.28 Diesem Befund korrespondiert der Fund von


einem aramäisch-griechischen Ostrakon in Ischia sowie weiterer ara-
mäischer Ostraka an der ionischen Küste Kalabriens, die als Indizien
griechisch-aramäischer Handelsbeziehungen zu gelten haben.29 Ebenso
zeigen die aramäisch beschrifteten bronzenen Pferdescheuklappen, die
im Apollo-Heiligtum von Eretria und im Heraion von Samos gefunden
wurden, griechisch-aramäische Kulturbeziehungen an.30
Was die aramäischen Kontakte nach Palästina angeht, so hat bereits
vor mehreren Jahren K. KOCH die Popularität und die Kenntnis der
mesopotamischen Astralreligion in Syrien-Palästina auf eine aramäi-
sche Vermittlung zurückgeführt.31 Auch der Kult des Gottes Ba alša-
mem gelangte durch aramäische Deportierte nach Samaria, von wo er
bis nach Juda und Elephantine tradiert wurde.32
Ebenso war der vorletzte babylonische König, Nabonid (555 – 539
v. Chr.), in Palästina aufgrund des Daniel-Buches, wo er als Nebukad-
nezzar auftritt (Dan 3,31– 4,34), und des in Qumran gefundenen Ge-
betes des Nabonid (4QOrNab = 4Q242) bekannt.33 Des Weiteren kann
in diesem gesamten Kontext auch die Vermittlung mesopotamischen
Wissens bis hinein in die Qumran-Texte angesetzt werden. Dies gilt
sowohl für die Bekanntschaft mit dem Buch der Giganten,34 für die
Bekanntschaft mit der Serie MUL.APIN in 4Q318 und die akkadischen
physiognomischen Omina, wie sie in 4Q561 vorliegen.35
Auch ist schon lange deutlich, dass sich Aramäer in Südbabylonien
angesiedelt hatten 36 und deshalb die aramäische Sprache und Literatur
bis hin nach Südbabylonien reichten, wo sich eine interessante Sym-
biose von aramäischer und babylonischer Kultur ergab. Vereinzelte
Zeugnisse hiervon sind uns erhalten geblieben.37 Gerade in diesem
letzten Kontext ist auch die Verbindung zwischen der aramäischen

28 Vgl. WITTKE, Hafenorte.


29 Vgl. BURKERT, Revolution 170 Anm. 6, und GARBINI, Introduzione 113.
30 Vgl. dazu BRAUN-HOLZINGER /REHM, Import 30.33.168 – 183 mit Abb. Taf. 4 und 5.
31 Vgl. KOCH, Aschera 118 – 120.
32 Vgl. NIEHR, Ba alšamem 185 – 213.
33 Vgl. zum Detailvergleich KOCH, Daniel 408 – 415.
34 Vgl. GEORGE, Gilgamesh 60 –70.
35 Vgl. dazu GELLER, Documents; ALBANI, Astronomie 83 – 87; LEICHT, Astrologumena
19 – 24.27.
36 Dazu zuletzt LIPIŃSKI, Aramaeans 409 – 489.
37 Vgl. OELSNER, Materialien 245 – 250.473 – 476; OELSNER, Beischriften auf Tontafeln;
OELSNER, Beischriften auf Ziegeln; GELLER, Incantation.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 65
˙

Ahiqar-Erzählung aus Syrien und einem in jungbabylonischer Sprache


˙
abgefassten Keilschrifttext aus Uruk literatursoziologisch anzusetzen.
Der Uruk-Text (W 20030/7) ist auf das Jahr 165 v. Chr. datiert.38 Es
handelt sich dabei um eine nur teilweise erhaltene Liste der Weisen
und Gelehrten vor und nach der Flut. Für die Zeit eines jeden Königs
wird vor der Flut eine als apkallu („Weiser“) bzw. nach der Flut als
ummânu („Gelehrter“) bezeichnete Persönlichkeit genannt. Zu Asar-
haddon wird der Ummânu Abaenlildari gestellt, wobei dieser Name in
einem anschließenden Relativsatz mit Ahuqar gleichgesetzt wird. Man
hat bei dieser Erwähnung des Ahuqar den ˘ Eindruck einer sekundären
˘
Eintragung in eine ältere Gelehrtenliste, da nur an dieser Stelle der
systematische Aufbau der Liste durch den Relativsatz „[den die] Ah-
lamäer Ahuqar nennen“ gestört ist. ˘
Trotz ˘gegenteiliger Behauptung ist deutlich, dass der Uruk-Text
keinen historischen Beleg für die Gestalt des Ahiqar am Hofe der as-
˙
syrischen Könige bietet. Dies mindert aber keineswegs das Interesse an
dieser Tontafel. Der Text ist vielmehr zu werten als ein Element der
Rezeptionsgeschichte des Ahiqar im 2. Jahrhundert v. Chr. In dieser
˙
Rezeptionsgeschichte ist hervorzuheben, dass der Uruk-Text nicht in
Abhängigkeit von der Ahiqar-Tradition in Elephantine steht, sondern
vielmehr einen Zeugen für ˙ eine syrisch-mesopotamische Tradition des
Ahiqar-Stoffes in aramäischer Sprache darstellt.
˙ Bezeichnenderweise stimmt der Uruk-Text in einem wichtigen Zug
mit dem Tobit-Buch und mit dem Elephantine-Papyrus überein. Nur in
diesen drei Traditionen wird die Sukzession der Assyrerkönige San-
herib und Asarhaddon historisch korrekt wiedergegeben, während alle
anderen Traditionen Sanherib und Asarhaddon miteinander vertau-
schen.39

4. Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch


˙
Die Rezeption des aramäischen Ahiqar beginnt nicht erst mit der ex-
˙
pliziten Nennung seiner Gestalt, sondern bereits mit der Überschrift
des Tobit-Buches. So korrespondiert der Ahiqar-Überschrift „[Dies]
˙
sind die Worte des Ahiqar“ die Tobit-Überschrift mit „Buch der Worte
des Tobit“. ˙

38 Der Text bei VAN DIJK, Inschriftenfunde 45; vgl. dazu zuletzt NIEHR, Ahiqar 9f.28.
39 Vgl. dazu STRUGNELL, Problems 204*. ˙
66 HERBERT NIEHR

Ebenso besteht eine große Gemeinsamkeit zwischen dem aramäi-


schen Ahiqar und dem Tobit-Buch darin, dass beide Texte in das Genus
˙
der weisheitlichen Lehrerzählung gehören.40
Diese beiden eher äußeren Befunde sprechen nicht dafür, dass die
Gestalt des Ahiqar erst anlässlich einer sekundären Bearbeitung des
Tobit-Buches in˙ dieses aufgenommen worden sei.41
Im Folgenden sollen die einzelnen Ahiqar-Belege im Tobit-Buch
˙
nacheinander analysiert werden. Dies legt sich deshalb nahe, weil sich
anhand der einzelnen Ahiqar-Texte eine aufsteigende Linie erkennen
lässt, in der der Verfasser˙ des Tobit-Buches seine Vertrautheit mit der
aramäischen Ahiqar-Erzählung bekundet. Gleichzeitig demonstriert er
˙
seine kreative Umsetzung des Ahiqar-Stoffes im Kontext des Tobit-
Buches. ˙
Ahiqar tritt je nach Handschrift unter verschiedenen Namensfor-
men im ˙ Tobit-Buch auf. Der Sinaiticus (G II) weist die Namensformen
Achicharos (Tob 1,21f), Achiacharos (Tob 2,10; 14,15), Achikar (Tob
11,19) und Achikaros (Tob 14,10) auf. Demgegenüber haben der Vati-
canus, der Alexandrinus und der Venetus, welche die textgeschichtlich
jüngeren Versionen darstellen (G I), konstant den Namen Achiacharos.

4. 1 Ahiqar als Verwandter des Tobit und hoher Beamter (Tob 1,21f )
˙
Noch bevor das Tobit-Buch Rang und Stellung des Ahiqar in der Ad-
ministration des neuassyrischen Reiches nennt, wird der ˙ Leser mit der
Beziehung zwischen Tobit und Ahiqar vertraut gemacht: Ahiqar ist der
Sohn seines Bruders Hanael (Tob˙ 1,21) und insofern Tobits˙ Neffe (Tob
1,22).
Hiermit wird ein Gegenszenario zur aramäischen Ahiqar-Erzäh-
lung, wie sie in der alten Welt wohlbekannt war, eröffnet. ˙ War doch
Ahiqar, der selber kinderlos war und der seinem Neffen Nadin seine
˙
eigene Stelle als Amtsnachfolger verschafft hatte, von diesem schmäh-
lich des Hochverrats bezichtigt worden und nur knapp mit dem Leben
davongekommen. Wie anders nun die Grundkonstellation des Tobit-

40 Grundlegend dazu MÜLLER, Lehrerzählung; zur Diskussion der Gattung des Tobit-
Buches vgl. EGO, Buch Tobit 884; EGO, Tobit (Buch) 573; ENGEL, Buch Tobit 285f, und
WEIGL, Macht 217.
41 So etwa die Position bei RUPPERT, Funktion 233 – 237; DESELAERS, Buch Tobit 424 – 540;
RABENAU, Studien 12f. Dagegen zu Recht KÜCHLER, Weisheitstraditionen 367; SCHMITT,
Achikar-Notiz 19f; ENGEL, Buch Tobit 285; FITZMYER, Tobit (Commentary) 44f; WEIGL,
Macht 221f Anm. 24.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 67
˙

Buches. Auch hier ist der Onkel, d. h. Tobit, aufgrund seiner Taten in
der Verbannung, aber diesmal ist es der Neffe, Ahiqar, der sich für
˙
seinen Onkel einsetzt, so dass er wieder an seinen Wohnsitz in Ninive
zurückkehren darf. Somit erweist sich im Tobit-Buch der Neffe, der
jetzt Ahiqar ist, als Retter. Nimmt Ahiqar damit die ursprüngliche Rol-
le des ˙Nadin ein, so hat Tobit seinerseits
˙ die Rolle des Onkels über-
nommen, denn er ist Einkäufer am Hofe des Sanherib in Ninive und er
steht in Ansehen beim König, welches sich in der hohen Position des
Tobit spiegelt. Somit ist Tobit in gewisser Weise auch der Vorgänger
des Ahiqar am Königshof.42
Dem˙ Tobit-Buch zufolge hatte Ahiqar eine hohe Stellung am assy-
rischen Königshof unter Asarhaddon˙ inne. Als Titel des Ahiqar begeg-
nen „Obermundschenk“ und „Siegelbewahrer“. Zudem ˙hatte er die
Verwaltung und das Rechnungswesen des Reiches unter sich (Tob
1,21– 22).
Mit der Verwandtschaft zwischen Tobit und Ahiqar ist ein zweites
wichtiges Moment gegeben: Ahiqar, der Sohn des˙ Hanael (Tob 1,21),
ist Jude, der wie Tobit dem Stamme ˙ Naphtali entstammt (vgl. Tob 1,1).
Also ist die prominente Gestalt des weisen Ahiqar in das Judentum
hereingeholt worden. ˙
Dieser Text ist in aramäischer Fassung auch in Qumran belegt
(4Q196 frg. 2).43 Einen detaillierten Vergleich zwischen der aramäischen
Qumran-Fassung und dem LXX-Text des Tobit-Buches hat A. SCHMITT
vor einigen Jahren vorgelegt.44
In diesem Text werden die Titel des Ahiqar mit „Mundschenk“ (rb
˙
šqh), „Herr der Siegelringe“ (rb zqn), Finanzminister (hmrkl) und Wirt-
schaftsminister (šyzpn) benannt. Ahiqar amtiert unter dem König Asar-
herib, dessen Namen man unschwer ˙ als eine Kontraktion aus Asar-
haddon und Sanherib aufschlüsseln kann.45 Des Weiteren erfahren wir,
dass König Asarhaddon (diesmal richtig!) ihn zum zweiten (Mann) bei
sich bestellte, d. h. er machte ihn zum Reichswesir bzw. zum Vize-
regenten. Hierin liegt eine deutliche Parallele zu den Gestalten Josef,
Mordechai und Daniel aus dem Alten Testament vor.46

42 Vgl. dazu WEIGL, Macht 225.


43 Der Text bei BEYER, Texte 174f, und FITZMYER, Tobit (Qumran) 8 – 11.
44 SCHMITT, Achikar-Notiz 32 – 38; vgl. auch FITZMYER, Tobit (Commentary) 120 – 125;
TOLONI, Tobi 149f; HALLERMAYER, Text 34 – 47.
45 Vgl. SCHMITT, Achikar-Notiz 23 Anm. 26; STRUGNELL, Problems 205*; MILLARD, Judith
201.
46 Vgl. dazu SCHMITT, Achikar-Notiz 23 – 31; TOLONI, Tobi 148 – 151.
68 HERBERT NIEHR

Ein drittes wichtiges Moment in der Ahiqar-Rezeption an dieser


˙
Stelle ist mit einer signifikanten Nichtrezeption gegeben. So fällt die
für die aramäische Ahiqar-Erzählung und ihre weite Rezeption kon-
˙
stitutive Charakterisierung des Ahiqar als eines Weisen im Tobit-Buch
völlig aus. Nur die hohe Stellung ˙am assyrischen Königshof ist geblie-
ben. Eine gewisse Kompensation dafür mag man in der Darstellung
des Ahiqar als Fürbitter erblicken.47 Aber auch dieser Zug geht auf die
˙
aramäische Ahiqar-Erzählung zurück, da man bereits das Eintreten
˙
Ahiqars zugunsten seines Neffen Nadin als Fürbitte beim König ver-
˙
stehen kann (Ah 1,10 – 2,19). Noch deutlicher wird dieser Zug jedoch
mit dem Eintreten ˙ Ahiqars zugunsten Nabusumiskuns vor König San-
herib (Ah 4,49 – 51). ˙
˙

4. 2 Ahiqar als Saddiq (Tob 2,10)


˙ ˙
Gleich das nächste Kapitel des Tobit-Buches handelt von der Erblin-
dung des Tobit. Dem gerechten Tobit, der einen Toten seines Volkes
bestattet, widerfährt, da er ja außerhalb seines Hauses in seiner Unrein-
heit schläft, das Unglück, durch Vogelkot zu erblinden. Da er nun nicht
mehr für seine Familie sorgen kann, übernimmt dies der oben vorge-
stellte Neffe Ahiqar.
˙
Auch hier muss man den Blick wieder auf die aramäische Ahiqar-
Erzählung lenken, da sie den Verständnishintergrund für die Szene ˙ in
Tob 2,10 liefert. Im aramäischen Ahiqar ist an zwei Stellen von Versor-
gen und Versorgtwerden die Rede.˙ Nachdem der Offizier Nabusumis-
kun von Ahiqar gerettet worden war, versorgte ihn Ahiqar mit allem
˙
Lebensnotwendigen. ˙
Als später Ahiqar selbst in Not geraten war und
˙
ihn Nabusumiskun gerettet hatte, war er auch auf die Unterstützung
des Nabusumiskun angewiesen, da Ahiqar von all seinen Ressourcen
am Hof abgeschnitten war (Ah 3 – 4). ˙
Das Versorgungsmotiv wird ˙ in Tob 2,10 zugleich mit der Ahiqar-
Gestalt übernommen. Der Grund dafür liegt in folgendem Umstand. ˙
War Ahiqar im Rahmen seiner Ersterwähnung im Tobit-Buch aufgrund
seiner ˙Verwandtschaft zu Tobit als Jude ausgewiesen worden, so gibt
er sich durch die von ihm praktizierten Taten der Barmherzigkeit nun
auch dem Lebenswandel nach als vorbildlicher Jude zu erkennen.48

47 Vgl. WEIGL, Macht 227– 231.


48 Vgl. WEIGL, Macht 231– 236.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 69
˙

Nach der G II-Tradition ist die Fürsorge des Ahiqar für seinen
Onkel Tobit auf zwei Jahre beschränkt. Nach diesem˙ Zeitraum geht
Ahiqar in die Elymais. Ohne die Angabe des Zeitraums findet sich der
˙
Weggang des Ahiqar in die Elymais auch in den G I-Manuskripten.
Die Erwähnung˙ des Wegzuges des Ahiqar in die Elymais entzieht
sich bislang einer überzeugenden Erklärung. ˙ 49 Hier seien nur die letz-
ten beiden Positionen vorgestellt. I. KOTTSIEPER sieht im Wegzug das
Motiv des im Ruhestand befindlichen Ahiqar, der laut dem aramäi-
schen Ahiqar drei Tagereisen entfernt von˙ Ninive wohnte.50 M. WEIGL
denkt an˙ das Reisemotiv aus der syrischen Ahiqar-Tradition, da ihr-
zufolge Ahiqar von Mesopotamien nach Ägypten ˙ gezogen war, um
˙
dort einen Auftrag zu erfüllen.51
Es ist allerdings nicht ausgemacht, dass sich die Erwähnung der
Reise des Ahiqar nur unter Zuhilfenahme der Vorlage der Ahiqar-
˙
Tradition erklären lässt. Vielleicht haben wir einfach mit einem˙ dra-
maturgischen Mittel zu rechnen, da von Tob 2,10 bis zum Empfang
Saras im Hause ihres Schwiegervaters (Tob 11,18) Ahiqar nicht mehr
auftritt. Seinen Abgang begründet man elegant mit einer ˙ Reise, die ihn
weit weg von Ninive in ein anderes Reich führt und über deren Zweck
sich der Autor ausschweigt.

4. 3 Ahiqar beim Empfang Saras (Tob 11,18)


˙
Wie gerade erwähnt, spielt Ahiqar im unmittelbar weiteren Hand-
˙
lungsablauf des Tobit-Buches keine Rolle mehr, vielmehr verlaufen die
Reisen des Tobias mit Raphael und die Heilung des Tobit vollständig
unter Absehung von der Ahiqar-Gestalt.
Die nächste Erwähnung˙ des Ahiqar geschieht anlässlich der Heirat
˙
des Tobias mit Sara. Diese hatte schon in Ekbatana stattgefunden (Tob
8,19f), es wird aber nach der Rückkehr des Tobias in sein Elternhaus in
Ninive der Empfang des Paares gefeiert. Hierbei ist es nicht weiter
überraschend, dass sich Ahiqar, der Neffe des Tobit und somit der
Cousin des Tobias, der sich ˙Verdienste um die Familie erworben hatte,
auch unter den Gästen befindet. Der Text verdient eine genauere Be-
trachtung. G II formuliert: „Und es erschienen (auch) Ahiqar und Na-
˙ enthält zwei
dab dazu, seine Neffen, voller Freude bei Tobit.“ Der Text

49 Vgl. die Positionen bei LINDENBERGER, Ahiqar 489 mit Anm. 62 und 63.
50 Vgl. KOTTSIEPER, Geschichte 322.
51 Vgl. WEIGL, Neffe 224 Anm. 27.
70 HERBERT NIEHR

neue Informationen, die über den bisherigen Wissensstand zu Ahiqar


im Tobit-Buch hinausführen. ˙
Zum Ersten wird in Tob 11,18 erstmals der aus dem aramäischen
Ahiqar bekannte Neffe Nadin, jetzt unter dem leicht veränderten Na-
men˙ Nadab, eingeführt. Warum ist dieses der Fall? Mit Tob 11,18 liegt
ein Umschwung in der Ahiqar-Rezeption des Tobit-Buches vor. Es geht
jetzt nicht mehr wie in Tob˙ 1,20ff. und 2,10 um die Beziehung zwischen
Ahiqar und Tobit, sondern es wird hier die Gestalt des Ahiqar rezi-
˙
piert, wie sie aus der aramäischen Ahiqar-Erzählung zusammen ˙ mit
˙
dem Neffen Nadin bekannt ist. Damit wird die Grundkonstellation der
Ahiqar-Erzählung wachgerufen, aus der sich die gesamte weitere
˙
Handlung ergeben hatte. Zum Zweiten erfahren wir, dass Ahiqar und
Nadab als „seine Neffen“ eingeführt werden. Aufgrund der ˙ vorange-
henden Verse 16 –17 kann sich „seine“ nur auf Tobit als Bezugswort
erstrecken, zumal in 1,22 (G II) Ahiqar bereits als sein Neffe bezeichnet
wurde. Nunmehr fällt Nadab auch ˙ unter diese Relation, wobei die
verwandtschaftliche Beziehung zwischen Ahiqar und Nadab nicht
deutlich wird. Demgegenüber weist G I eine ˙ Korrektur auf: „Und es
erschien Ahiqar und Nasbas, sein Neffe.“ Hier hat G I den aramäischen
Ahiqar treuer˙ rezipiert.52
˙ Alles in allem stellt Tob 11,18 eine Schaltstelle dar, die zur aramäi-
schen Ahiqar-Erzählung hinleiten soll. Weshalb dies der Fall ist, zeigt
˙ Erwähnung des Ahiqar im Tobit-Buch.
die nächste
˙

4. 4 Das Geschick des Ahiqar (Tob 14,10)


˙
Der sterbende Tobit hält seinem Sohn und dessen Kindern eine Ab-
schiedsrede, in der er unter anderem eine Summe seines Lebens zieht.
Tobit stellt seinem Sohn Ahiqar und sein Schicksal vor Augen:
˙
„Sieh, Kind, was Nadab Achikar, der ihn aufgezogen hat, angetan hat.[. . .]
Wurde er nicht lebendig unter die Erde gebracht? Und Gott vergalt ihm
seine Schande in sein Angesicht hinein, und Achikar ging heraus ins Licht,
und Nadab ging hinein in die ewige Finsternis[. . .], weil er Achikar zu
töten suchte. Indem er Barmherzigkeit tat, ging er heraus aus der Schlinge
des Todes[. . .], die Nadab ihm gestellt hatte, und Nadab fiel in die Schlinge
des Todes, und sie richtete ihn zugrunde“. 53

52 Vgl. auch FITZMYER, Tobit (Commentary) 283: „The reading in G I is probably more
correct, since it rightly calls Nadin oë eÆjadelfoÁw ayÆtoyÄ, i.e. Ahiqar’s nephew.“
53 Die Übersetzung stammt von EGO, Buch Tobit 1003. ˙
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 71
˙

Mit dieser Zusammenfassung geht das Tobit-Buch ein Stück über den
aramäischen Ahiqar-Papyrus von Elephantine hinaus. Der aramäische
Papyrus bricht ˙nach der Errettung des Ahiqar ab; es fehlt mindestens
eine Kolumne mit der Erzählung der Strafe ˙ an Nadin. Dafür kennen
die späteren syrischen Versionen genau die Motive von Tob 14,10: Der
verfolgte Ahiqar wird in einer Grube unter seinem Haus versteckt.54
˙
Dies entspricht im Tobit-Buch der Wendung „Wurde er nicht lebendig
unter die Erde gebracht?“. Sodann wird in den syrischen Versionen die
tödlich ausgehende Strafe an Nadin berichtet,55 die im Tobit-Buch mit-
tels der „Schlinge des Todes“ überliefert ist. Auch hier haben wir wie-
der einen Hinweis auf eine innersyrische Erzähltradition vom Schick-
sal des Ahiqar, die uns aufgrund des fragmentarischen Charakters des
˙
Elephantine-Papyrus nicht überliefert ist.
Wichtig ist des Weiteren in diesem Kontext der Tun-Ergehen-
Zusammenhang, als dessen Beispiel das Geschick des Ahiqar präsen-
tiert wird.56 ˙

4. 5 Ahiqar als König von Medien (Tob 14,15)


˙
Diese nur in den G II-Handschriften bezeugte Tradition von Tob 14,15
besagt, dass Ahiqar König von Medien gewesen sei. Diese Notiz ist
˙
singulär im Tobit-Buch, und es lässt sich auch bislang kein Hinweis auf
sie aus der aramäischen, syrischen oder einer anderen Ahiqar-Traditi-
on anführen. Eine Erklärung hierfür lässt sich nicht auf der˙ inhaltlichen
Ebene beibringen, sondern auf andere Weise. Zuletzt hat deshalb J.
FITZMYER in seinem Tobit-Kommentar dazu festgehalten: „It seems to
be an attempt to write the Greek name KyajaÂrhw.“ 57 Somit haben wir
es mit einem Versehen bzw. mit einem Schreibfehler zu tun und nicht
mit einer „allzu phantastisch[en] und schon deshalb sekundär[en]“ 58
Textstelle.

54 Vgl. CONYBEARE /HARRIS /LEWIS, Story 114; KÜCHLER, Weisheitstraditionen 377.


55 Vgl. CONYBEARE /HARRIS /LEWIS, Story 122 – 127.
56 Vgl. EGO, Buch Tobit 893f; TOLONI, Tobi 151– 153.
57 FITZMYER, Tobit (Commentary) 337. Vgl. zur Stelle auch SCHMITT, Achikar-Notiz 20
Anm. 10; MILLARD, Judith 198; DENIS u. a., Introduction 1015.
58 So RUPPERT, Funktion 232 Anm. 1.
72 HERBERT NIEHR

5. Auswertung

Der Verfasser des Tobit-Buches kannte die aramäische Ahiqar-Erzäh-


lung. Dieser Befund setzt allerdings nicht voraus, dass der ˙ Verfasser
des Tobit-Buches den Elephantine-Papyrus zu seiner Verfügung hatte.
Vielmehr ist eher von einer innersyrischen Erzähltradition vom weisen
Ahiqar in aramäischer Sprache auszugehen. Warum wurde nun diese
Ah˙ iqar-Tradition im Tobit-Buch rezipiert? Hierzu gibt es unterschied-
˙ Antwortversuche.
liche
So wird in der Forschung gefragt, ob das Schicksal des Tobit nach
dem Schicksal des Ahiqar gestaltet werden sollte, ob Tobit durch die
Verwandtschaft mit Ah ˙ iqar in seiner Bedeutung aufgewertet werden
˙
sollte oder ob in der jüdischen Welt moralische Lehren aus dem Schick-
sal des Ahiqar gezogen werden sollten? 59
˙ ist zu sehen, dass das Tobit-Buch diverse Motive und li-
Generell
terarische Vorbilder aus dem Alten Testament aufnimmt.60 Hierdurch
relativiert sich die Rezeption des Ahiqar dann auch wieder und wi-
˙
dersetzt sich somit einer einseitigen Überschätzung.
Beide Texte, die aramäische Ahiqar-Erzählung wie auch das Tobit-
Buch, gehören zur Gattung der ˙weisheitlichen Lehrerzählung. Dies
mag zusätzlich erklären, warum der Protagonist der aramäischen weis-
heitlichen Erzählliteratur Syriens par excellence auch im Tobit-Buch
auftritt.
Die Ahiqar-Notizen begegnen zu Beginn und zum Schluss des
˙
Tobit-Buches. Durch sein Lebensschicksal ist Ahiqar den zentralen
Werten des Tobit-Buches, Wahrheit, Gerechtigkeit und˙ Barmherzigkeit,
eng verbunden. Das Tobit-Buch macht Ahiqar und sein Schicksal zum
Korrelat und gleichzeitig zum Kontrast des ˙ Tobit und seines Schick-
sals.61 Gleichzeitig wird Tobias als Anti-Nadin etabliert. Hatte Nadin
seinen Onkel übel verleumdet, so stellt Tobit das Ideal des sich um den
alten Vater sorgenden Sohnes, der ihm über den Tod hinaus die Treue
hält (Tob 14,11–13), dar.62 Damit ergibt sich eine Rekontextualisierung
des aramäischen Ahiqar in der jüdischen Erzählliteratur, die – neben
der Besonderheit des ˙ Fundortes – bis heute das Interesse auch am ara-
mäischen Ahiqar in einem enormen Ausmaß befördert.
˙
59 Vgl. TOLONI, Tobi 142.
60 Vgl. ENGEL, Buch Tobit 284; EGO, Buch Tobit 887 – 889.
61 Vgl. GREENFIELD, Ahiqar 333; ENGEL, Buch Tobit 284; SCHMITZ, Achikar 26; WEIGL,
Neffe 221f. ˙
62 Vgl. zu diesem Zug ENGEL, Buch Tobit 284, und TOLONI, Tobi 151 – 153.
Die Gestalt des Ahiqar im Tobit-Buch 73
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2003) (AOAT 323), Münster 2004, 37 – 62.
YARDENI, A., Maritime Trade and Royal Accountancy in an Erased Customs
Account from 475 B.C.E. on the Ahiqar Scroll from Elephantine: BASOR 293
(1994) 67 – 78. ˙
Casting Judith
The Construction of Role Patterns in the Book of Judith

BARBARA SCHMITZ

“Who can despise these people, who have women like this among
them?” (Jdt 10 :19). This is the question the soldiers in the Assyrian
army pose when they meet Judith. They are so overwhelmed by her
appearance that the whole camp is gripped with excitement (Jdt 10 :18).
“And they marveled at her beauty and because of her marveled at the
Israelites” (Jdt 10 :19). They are so fascinated by her beauty that they are
not only astonished (eÆûayÂmazon), but experience Judith’s appearance as
an epiphany (paroysiÂa). Obviously deeply impressed by this “parusia”,
they project the whole people of Israel from her: “Who can despise
these people, who have women like this among them?” (Jdt 10 :19).
The portrayal of Judith’s arrival in the camp of the Assyrians (Jdt
10 :11– 23) is an important scene in the narrative of Judith. The typical
ways of representation and strategies of narration are concentrated
showing the style of the narrative. An important motif is Judith’s
beauty. Her exceeding beauty is stated by the narrator and confirmed
by the characters of the narrative through whose eyes the events are
perceived and communicated to the reader. However, the motif of
beauty is more than an aesthetic judgment as might originate from
Vogue. The way in which Judith is presented, how she is seen and
evaluated and which meanings are connected with these representa-
tions are keys to understanding the narrative.
For this reason the representation of the character Judith in the
narrative will be the focus of this essay. Frequently the intertextual
relations between the character Judith and her biblical models (Miriam,
Jael, Deborah, David, Mose, Judas Maccabaeus etc.) have been demon-
strated.1 However, references between the character Judith and (gen-
der) roles of women in biblical tradition have been neglected thus far.
This analysis will therefore be concerned more with general roles (wife,

1 Cf. e. g. VAN HENTEN, Judith; ZENGER, Buch Judit.


78 BARBARA SCHMITZ

mother, widow etc.) than with the arrangement of roles concerning


specific characters. In the narrative of Judith, her presentation uses
several known or traditional female gender role patterns.2 The analysis
of these patterns is guided by three questions:
1. In which order are the role patterns in the narrative evoked? I will
follow the text flow to observe from the dynamics of the narrative
in which order what is portrayed, when, and then how.
2. How are these invoked role patterns displayed in the narrative and
how is the perspective of the reader directed? The methodological
basis for this question is the concept of focalization.3
3. Are these role patterns confirmed, modified, contrasted or negated and
how are the role patterns dealt with in the course of the narrative?
A complete assessment of all patterns used in connection with the
character Judith will not be attempted, but a presentation of some im-
portant concepts that prove to be significant for the background of the
biblical scriptures for the portrayal of Judith. Others, for example Ju-
dith’s appearance as a prophet in her speech before Holofernes (Jdt
11), her action as strategist (Jdt 14) or her role as a wreath-crowned and
dancing woman (Jdt 15 – 16) are not taken into account. The analysis
shall serve the accurate characterization of Judith, in order to find out
how role patterns are processed.

1. General Comments About the Book of Judith

Before starting the analysis of the book of Judith, the exegetical tradi-
tion this treatment is based on will first be stated. The object of this
exploration is the Greek text according to the edition of HANHART,4 i. e.
the narrative of Judith in the tradition of the Septuagint. It is presumed
that the present narrative is not a translation of a lost Hebrew original,

2 This question is distinctly different from the actantial model of GREIMAS; see GREI-
MAS, Semantik.
3 The question of focalization follows the theory of MIEKE BAL, who differentiates
between the focalizer and the focalized. Focalizer can be the narrator (narrator-focal-
izer) or individual characters (character-focalizer). If it is a character-bound focaliza-
tion, the focalized object is filtered twice by the narrator and focalizing character. The
focalizing instances can also change within a narrative. For the query of focalization,
three questions are relevant: What is focalized? How and with which attitude is the
object focalized? Who focalizes? BAL, Narratology 142 –161; BAL, Story Telling 75 –108.
4 HANHART (ed.), Iudith.
Casting Judith 79

as long has been suggested, but was developed originally in Greek.5


This makes unnecessary the question of which Hebrew or Aramaic
phrases stand behind the Greek. The thought-world of the Judith-
narrative is Greek. The biblical text that is cited and referred to is
thereby not the Hebrew text but the Septuagint. This can plausibly be
shown at the double citation of Exod 15 : 3 in Jdt 9 : 7– 8 and 16 : 2,
which is cited in the significantly different version of the Septuagint
and not in the formulation of the Hebrew text.6
Beyond that, the book of Judith is a narrative of consistent origin
and intentional literary design and composition. Hence, not only the
analysis of the Leitworte is central and expressive but also the search for
roles and role patterns is justified. This is because the whole narrative
and the character Judith are constructed literary products. The narra-
tive has been created with detailed knowledge of biblical and other
Greek literature and presupposes this knowledge on the side of the
audience as well.7 It is therefore justified to ask about the construction
of role patterns in the book of Judith.
The narrative itself may have developed around 100 B.C.E. in an
environment familiar with the Greek-Hellenistic world of life, lan-
guage and thought. Whether this was Alexandria, Palestine or another
area of the Hellenistic Oikumene, cannot be determined.
The book of Judith is a fictional narrative and cannot – as a literary
account – be traced back to a certain event or a specific person. The
world of the text assembles historically separated events, persons and
episodes into a collage and combines them in an intentionally incorrect
way, e. g., the Assyrian (actually Babylonian) king Nebuchadnezzar (in
LXX: Nabuchodonosor) resides in the city of Nineveh, which had long
been destroyed by the time of the historical king. He is pictured ac-
cording to the image of a Hellenistic sovereign and has Holofernes as a
general at his side whose servant, Bagoas, bears a Persian name as well.
This collage has the function to reveal the fictional character of the
narrative at first glance and to show that the narrated events and char-
acters are invented. In this assortment, significant turning points and
experiences of the calamity of Israel’s history and the corresponding

5 Cf. ENGEL, HERR; JOOSTEN, Language.


6 9 : 7– 8: oÏti syÁ eiË kyÂriow syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow oÍnoma soi
16 : 2: oÏti ûeoÁw syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow
Exod LXX 15 : 3: ky Ç Â riow syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow oÍnoma ayÆtv Äì
Exod MT 15 : 3: umÌw Ðx
Ï huÄhi hm
Ä Ä lÂmÇ w
ÏiaÇ huÄhiÂ
7 Cf. the references to Herodot’s histories: SCHMITZ, Achikar.
80 BARBARA SCHMITZ

treatments in biblical tradition are focused on. This is with the aim of
posing general theological questions to which the story of Judith has
narrative answers. The search for role patterns that are actualized and
modified in the narrative stands in this horizon of questioning.

2. Judith is Presented (Chapter 8)

The character Judith enters the narrative very late. The audience has to
be patient for seven chapters before Judith appears for the first time;
almost halfway through the book. With her entry, the whole narrative
is set anew by grammatically and syntactically replicating the first
verse of the book (Jdt 1:1). Jdt 8 :1 is an incomplete sentence and is not
finished until Jdt 8 : 9 (like Jdt 1:1 in 1: 5). The verses in between stand
as if in parenthesis within the started, but only later resumed, sentence.
The inserted sequence provides important information for compre-
hending what follows. While it is information about the political situa-
tion in the first chapter, chapter eight introduces the character Judith.
Through this correspondence, the character Judith is structurally par-
alleled with the political part already in the introduction that initially
only deals with her personal and family history.
For the question of the portrayal of the character Judith, her intro-
duction is of special interest. When looking for role patterns behind the
character it is significant to note in what order information is provided,
because each piece of information is connected to a certain female role.8
First Judith’s family background is described in the form of a geneal-
ogy (Jdt 8 :1) and then her deceased husband Manasseh is introduced
(Jdt 8 : 2). With this form of introduction, the perspective is guided in a
certain way. The character Judith is not first of all presented as ’Judith‘,
but before her introduction she is defined in relation to two male char-
acters: the first role attributed to Judith in the narrative is that of the
“daughter”. The mentioning of her father Merari is followed by a long
genealogy – the longest for a woman in the Bible – that traces her
family back to her ancestor Israel / Jacob. In the next verse (Jdt 8 : 2),
Judith’s second role is specified. Judith is “wife” of Manasseh. With
this role, she is again defined through a man. This short description is
followed by the next. Judith is a “widow” (Jdt 8 : 2 – 3), because Manas-
seh has already died. The circumstances of Manasseh’s death are de-

8 The introduction of Judith (8 :1– 8) can be divided into three parts (8 :1.2 – 3.4 – 8).
Casting Judith 81

scribed remarkably elaborately although they are not important for the
further plot (Jdt 8 : 2 – 3). It seems that first potential questions about
her husband have to be clarified before the narrative can continue with
Judith, because only then does the narrative move on with the descrip-
tion of Judith’s situation.
In the first three verses, the narrator presents Judith in the triple
role structure as daughter, wife and widow. Judith’s introduction in
the narrative thereby begins with exclusively stereotypical role pat-
terns in which she is defined through a man and not introduced indi-
vidually. Interestingly these role patterns are immediately replaced.
Judith’s status as daughter makes way for that as wife, which again is
replaced by her status as a widow. This widowhood, however, is em-
phasized by stressing the duration of her being a widow; for three
years and four months. Thereby the line of development is opened.
How does Judith deal with her status as a widow? Instead of elaborat-
ing on urgent legal or economic aspects connected with the status of a
widow, the narrator describes her personal and religious life and con-
duct. Judith lives in a tent on the roof of her house and “put sackcloth
on her loins, and the garments of her widowhood were upon her” (Jdt
8 : 5). With this description, the reader’s view is directed to her body. In
describing her clothes and her place of living, it is insinuated that
Judith would take on her role as a widow in mourning and assimilate
to this new life. This description of a widow completely devoted to her
religious orientation is continued in the next verse: “And she was wont
to fast all the days of her widowhood, save on the day before the
Sabbath and the Sabbath and the day before the new moon and the day
of the new moon and the feasts and days of joy of the house of Israel”
(Jdt 8 : 6).
Until this point the introduction of Judith completely meets the role
expectations called forth by the mentioned three roles – daughter, wife
and widow. Now the image of Judith is changed unexpectedly with
two more descriptions: First Judith’s beauty is characterized: “She was
beautiful in appearance, and was very lovely to behold” (Jdt 8 : 7).
Thereby the focalized object remains not just Judith’s body as de-
scribed by her clothes, but the orientation towards her body is inten-
sified. From the description of Judith’s appearance and the manner of
her clothing the description moves to the form of her body. The de-
scription of her as beautiful stands in stark contrast to her unattractive
attire which especially emphasizes her beauty. It obviously does not
have to be produced or intensified by clothes or cosmetics.
82 BARBARA SCHMITZ

Only at the end of the introduction does the narrator speak of the
practical circumstances of Judith’s life. Until now, the audience does
not know what she lives on. On the contrary, the emphasis on her
status as a widow and on her pious conduct conveys that Judith is a
poor widow in need of protection. Most biblical references talk about
widows in this role (cf. Exod 22 : 21; Deut 24 :17; 26 :12 etc.). Only now
do the readers learn that Judith is a wealthy woman. In her possession
are property, livestock, male and female servants as well as gold and
silver (Jdt 8 : 7). It is startling at first that this information is given only
here and not in connection with the description of Manasseh’s death,
but it serves to build a certain role expectation, which is then disap-
pointed and modified by new information. Instead of a pious widow in
need of protection, Judith emerges as a privileged woman who has
become wealthy and independent by the death of her husband.9 With
this background, the motif of widowhood looks very different. Judith’s
status as a widow is “a kind of legal liberation for a woman, making
her a legal entity of herself ”.10 “Like the divorcée, the widow is auton-
omous, falling under no man’s jurisdiction. So we expect her to have
power to conduct her personal affairs freely within the limits of the
law”.11 Judith’s widowhood is therefore not referring to social distress,
but to the decision to remain autonomous. Her way of life does not
result from the role of a stereotypical “widow”, but is a personally
chosen life style possible on the basis of her material life circumstances.
Independence and wealth are the presuppositions for Judith’s secluded
life allowing her to pray and to fast without having to work for her
livelihood. “Judith, then, is allowed to remain her ’own person‘, inde-
pendent of husband and children, and her wealth enables this unusual
situation to be sustained”.12
The last description of Judith in the introduction is her “fear of
God” (Jdt 8 : 8). “Fear of God” signifies a comprehensive attitude in life

9 Biblical woman who command property on their own are an exception (cf. Naomi
[Ruth 4 : 3.4], Abigail [1 Sam 25], the woman of Schunem [2 Kgs 8 :1– 6] and the
widow of Zarepta [1 Kgs 17 :17; 2 Kgs 4 : 2]). Cf. in the Greek sphere Tomyris, queen
of the Massagetes (Herodot I 205f; 212,3; 214,1.4); Kratesipolis, the female ruler of
Sikyon (Diodorus S 19, 67,1f ) as well as the literary character Melite (Achilles Tatius
V 11,5f ).
10 ILAN, Women 147. ILAN cites mQidd. 1.1: “A woman acquires her freedom (lit. ac-
quires herself ) in two ways . . . by a bill of divorce and by the death of her husband”.
11 WEGNER, Chattel 138f. Cf. to widows in Hellenistic times also ELDER, Transformation
10 – 31.
12 SAWYER, Dressing up 27.
Casting Judith 83

encompassing the relation to God as well as the relationships among


fellow men and women and her personal way of life. It is understood
as the beginning and source of wisdom (Prov 1: 29; 2 : 5; 9 :10 etc.)
allowing for orientation and righteous behavior in a confusing and
complex reality. This description does not only conclude Judith’s intro-
duction, but serves as a summary of what has been previously stated.
In this way the pious life of Judith (Jdt 8 : 5 – 6) and her fear of God (Jdt
8 : 8) frame the description of her beauty and her wealth (Jdt 8 : 7) and
thereby place beauty and wealth in the context of her life in devotion to
God.
With this ends the introduction of Judith, who has been presented
first with the roles of daughter ( Jdt 8 :1), wife (Jdt 8 : 2), and widow (Jdt
8 : 3) and subsequently with the characteristics pious (Jdt 8 : 5 – 6),
beautiful (Jdt 8 : 7), wealthy (Jdt 8 : 7), and with fear of God (Jdt 8 : 8).
This order shows the procedure of the narrator. He builds up a certain,
usually traditional role expectation, in which women are defined
through the men superior to them. However, the role expectation is
then broken in order to fill it with new and absolute opposite content –
Judith as a wealthy, autonomous woman with a personally chosen life
style. This strategy is confirmed by another observation.
The first thing that the audience learns of Judith is not that she is a
“daughter” but that she “hears” (Jdt 8 :1): “Now in those days Judith
heard . . .”.13 It is not mentioned what she hears. Instead of designating
the things heard, the sentence ends abruptly and is followed by her
long introduction by the narrator. Only verse 9 takes up the beginning
of Jdt 8 :1 with the verb “to hear”.14 The interrupted action is continued
in Jdt 8 : 9: Judith hears what happened in Bethulia, sends her maid to
call the elders of the city to her and gives them a lengthy and theolog-
ically profound speech in which she accuses the elders of a complete
misjudgment of the situation. This is an ingenious narrative composi-
tion. The first thing the readers would hear (fabula) 15 would be an

13 Most translations add a general object even though this is not in the Greek text: The
New Revised Standard Version translates: “Now in those days Judith heard about these
things: she was the daughter of Merari” (the words in Italics are added). The New
Jerusalem Bible translates even more free: “Judith was informed at the time of what
had happened. She was the daughter of Merari”.
14 Jdt 8 :1 kaiÁ hÍkoysen eÆn eÆkeiÂnaiw taiÄw hëmeÂraiw Ioydiû ûygaÂthr Merari yiëoyÄ Vj [. . .] Jdt
8 : 9 kaiÁ hÍkoysen taÁ rëhÂmata toyÄ laoyÄ taÁ ponhraÁ [. . .].
15 Following the definition of MIEKE BAL the ’fabula‘ is the (logical) sequence of events,
whereas the ’story‘ is the way in which these events are presented, BAL, Narratology
6.
84 BARBARA SCHMITZ

action by Judith presenting her immediately as an independently


thinking and autonomously acting woman. If the readers were first
made acquainted with this Judith, a different picture of her would
emerge automatically. Judith hears, becomes active and orders the el-
ders of the city to her with the intention of explaining to them in detail
(Jdt 8 :11– 27) how far wrong they have gone, politically and theolog-
ically. Thereby the first impression of the character Judith would be
that of a highly educated and sophisticated thinker who not only re-
flects her concerns theologically but also boldly advocates them. How-
ever, this first impression of the fabula is interrupted by her introduc-
tion which is inserted in the narrated flow of events (story). Instead of
introducing a self-confident Judith, the narrator introduces the reader
to a Judith described with traditional role patterns. These modest role
attributes are carefully modified by catching up to the real character
Judith step by step. The course of events is continued only after this
introduction. By this strategy, it appears that the envisaged readers
have to be acquainted slowly with the “real” Judith. Potential preju-
dices arising from Judith’s first appearance on the level of the fabula
(Jdt 8 :1a.9), where she is acting directly, have to be alleviated. The aim
of this construction is to defuse the character in view of the reader.
Instead of the independently acting person, it is Judith’s status as
daughter, wife and widow that is remembered. Already by the first
few verses, the sophisticated narrative of Judith shows how it deals
with roles and role stereotypes, with role expectations and their alter-
ations.

3. Judith Prays (Chapter 9)

After Judith has been introduced as a theologically reflective speaker in


chapter 8, she is presented as a praying woman in the ninth chapter. Of
many aspects, two observations relating to role assignments to the
character Judith should be mentioned. Firstly, the description of the
role and position Judith prays in and secondly, the continuation of the
motif “widow” by Judith herself in her prayer (Jdt 9 : 4.9).
After the elders have left Judith, she remains alone on the roof of
her house. A threefold preparation to pray is then portrayed: “Then
Judith fell upon her face and put ashes on her head and laid bare the
sackcloth which she had put on” (Jdt 9 :1). The combination of these
three preparations for prayer seems unusual at first. Again, it starts
Casting Judith 85

with the role patterns the readers are familiar with. Whoever wants to
pray falls down before God as a sign of reverence and adoration. The
second preparation is familiar to the readers, too. Putting ashes on
one’s head is a sign of grief and lament (cf. 2 Sam 13 :19; Job 2 :12; Lam
2 :10) as well as repentance (Isa 58 : 5; Lam 3 :16; Dan 9 : 3). This com-
mon gesture, however, is surprising in this place. Why should Judith
pray here as a penitent or in mourning? In addition, the third prepa-
ration is completely strange. When Judith opens the sackcloth she has
put on her skin, the reader wonders if she is probably naked.16 Most
translations picture Judith showing her sackcloth, but then the scene is
defrauded of its decisive aspect. In the whole of the Ancient Near East,
nudity is a sign of low status including in the Old Testament where it is
qualified negatively (2 Sam 6 :14; Exod 20 : 26). If she is naked, Judith
humbles herself in voluntary nakedness and moves herself into a sit-
uation of no status. And in Jdt 9 :1, the scene of the narrative of Tamar
is taken up to describe Judith’s posture when praying. Tamar tore her
clothes after being raped and put ashes on her head (2 Sam 13 :19). This
scene is taken up in Jdt 9 :1. Therefore, the character Judith behaves like
a raped woman who turns to God in prayer after the violence done to
her. This fits the content of the prayer that follows. Here Judith com-
pares herself to Dinah who was raped as well. In this way, Judith prays
herself into a raped woman through ritual anticipation. This has to be
confusing to the reader – why does she do so? Judith has announced a
plan to save Israel to the elders without disclosing it (Jdt 8 : 32 – 34).
Therefore, neither the elders nor the reader know what Judith plans.
Only afterwards will they be able to understand the significance of the
scene of prayer depicted in 9 :1. In the camp of the Assyrians Judith is
in danger of rape. In light of this risk, she asks God for strength and
power. She specifically asks God in prayer for the strength of Dinah’s
brother Simeon who, with the help of his brothers, killed the rapist of
his sister as well as the fellow countrymen of this man (Gen 34).
With the outer form of her prayer, Judith takes on two roles in
chapter nine: As a praying woman and as a raped woman. As in chap-
ter eight, we find her a movement from things familiar to the readers
and corresponding to their expectations towards the surprising, maybe
even the scandalous. The praying character Judith conforms to the role
expected of a pious widow living withdrawn, but by praying to God

16 The verb gymnoÂv “to be naked” is found in the Septuagint again only in reference to
the naked and exposed Noah (Gen 9 : 21).
86 BARBARA SCHMITZ

naked as a raped woman asking for the strength of the brother aveng-
ing his sister, she breaks this role fundamentally.
The second observation regards the motif of the widow resumed in
Judith’s prayer. In her prayer she emphasizes her status as a widow
twice: “O God, my God, now hear this widow too” and “Give to me, a
widow, the strong hand to do what I plan” (Jdt 9 : 4.9). In the biblical
tradition, God is portrayed as the helper of widows and orphans again
and again (Exod 22 : 21 – 23; Deut 10 :18; Jer 30 : 5 [LXX]; Ps 67 : 6; 145 : 9
[LXX] etc.). Judith’s self-designation in the prayer works to remind
God of his special relationship to the widows in order that he might
help her. Thereby Judith takes on the position of a poor widow in need
of protection, without any rights or power, even though this is every-
thing she is not. She is wealthy, autonomous and independent (Jdt
8 : 4 – 8). As Judith in chapter nine takes on the role as a raped woman –
which she is not – here she speaks before God as a poor widow –
which she is not either.
While in chapter eight there are role ascriptions to the character
Judith by the narrator, the roles in chapter nine are chosen by the
character Judith herself. This shows how the Judith narrative uses dif-
ferent role patterns arising out of different perspectives. So the role
assignment “widow” has a different aim in chapter eight than it has as
self-designation in chapter nine. These different perspectives appear
within the narrative as well, as the reaction of Uzziah to Judith’s
speech shows. In his answer, Uzziah emphasizes that Judith has a true
heart, wisdom and understanding, and that she is a pious woman and
may therefore pray to God for rain (Jdt 8 : 28 – 31). Hence, he sees in
Judith the woman the narrator presented in his introduction (Jdt 8 :1–
8): the pious, withdrawn, God-fearing widow. With this he does not
only underestimate Judith, he also misunderstands her.17 This misjudg-
ment of Uzziah becomes even more obvious when Judith’s radical self-
dramatization as a raped woman follows immediately after his belit-
tling estimation.

17 In Uzziah’s speech, the decisive keywords of Judith’s introduction in 8 :1 – 8 are


picked up.
Casting Judith 87

4. Judith Changes (Chapter 10)

After Judith has finished her prayer with the self-designation as a


raped woman, she goes down into her house: “She removed the sack-
cloth she had been wearing, took off her widow’s garments“ (Jdt 10 : 3).
Taking off the sackcloth and her widow’s garments, is more than a
change of clothes. Judith takes off her self-chosen life-style to carry out
a change of roles. She “bathed her body with water, and anointed
herself with precious ointment. She combed her hair, put on a tiara,
and dressed herself in the festive attire that she used to wear while her
husband Manasseh was living. She put sandals on her feet, put on her
necklaces, bracelets, rings, earrings and all her jewellery” (Jdt 10 : 3 –
4).18 The perspective is again directed entirely to Judith’s body; here the
change of roles takes place. While Jdt 8 : 7 states that Judith is a beau-
tiful woman, here it is described that Judith makes herself beautiful.
“She made herself beautiful” (Jdt 10 : 4). Beauty is staged. The way in
which Judith dresses up and adorns herself with jewelry reminds of
another biblical text. In Isa 3 :18 – 20 the jewelry and the appearance of
the women of the Jerusalem upper class is described: “In that day the
Lord will take away the finery of the anklets, the headbands, and the
crescents; the pendants, the bracelets, and the scarves; the headdresses,
the armlets, the sashes, the perfume boxes, and the amulets“.19 The
jewelry mentioned in Isa 3 :18 – 20 is repeated in Jdt 10 : 4 word-for-
word.20 The scene makes clear that Judith behaves like a woman of the
wealthy upper class. She is indeed a woman of this upper class and has
everything that belongs to a life of the high society. Even though she is
part of this class she does not live accordingly, which emphasizes the
image of Judith built up until now. Her life style is chosen by herself.
She could live differently if she wanted, but she refuses to do so. She

18 Jdt 10 : 3 – 4: kaiÁ perieiÂlato toÁn saÂkkon oÊn eÆndedyÂkei kaiÁ eÆjedyÂsato taÁ iëmaÂtia th Äw
xhreyÂsevw ayÆth Ä w kaiÁ perieklyÂsato toÁ sv Ä ma yÏdati kaiÁ eÆxriÂsato myÂrvì paxeiÄ kaiÁ deÂ-
tajen taÁw triÂxaw th Ä w kefalh Ä w ayÆthÄ w kaiÁ eÆpeÂûeto miÂtran eÆp’ ayÆth Ä w kaiÁ eÆnedyÂsato taÁ
iëmaÂtia th
Ä w eyÆfrosyÂnhw ayÆth Ä w eÆn oiÎw eÆstoliÂzeto eÆn taiÄw hëmeÂraiw th Ä w zvhÄ w toyÄ aÆndroÁw
ayÆthÄ w Manassh kaiÁ eÍlaben sandaÂlia eiÆw toyÁw poÂdaw ayÆth Ä w kaiÁ perieÂûeto toyÁw xlidv Ä-
naw kaiÁ taÁ ceÂlia kaiÁ toyÁw daktyliÂoyw kaiÁ taÁ eÆnvÂtia kaiÁ paÂnta toÁn koÂsmon ayÆth Ä w kaiÁ
eÆkallvpiÂsato sfoÂdra eiÆw aÆpaÂthsin oÆfûalmv Ä n aÆndrv Ä n oÏsoi aÃn Íidvsin ayÆthÂn.
19 Isa 3 :18 – 20: eÆn th Äì hëmeÂraì eÆkeiÂnhì kaiÁ aÆfeleiÄ kyÂriow thÁn doÂjan toyÄ iëmatismoyÄ ayÆtv Ä n kaiÁ
toyÁw koÂsmoyw ayÆtv Ä n kaiÁ taÁ eÆmploÂkia kaiÁ toyÁw kosyÂmboyw kaiÁ toyÁw mhniÂskoyw kaiÁ toÁ
kaÂûema kaiÁ toÁn koÂsmon toyÄ prosvÂpoy ayÆtv Ä n kaiÁ thÁn syÂnûesin toyÄ koÂsmoy th Ä w doÂjhw
kaiÁ toyÁw klidv Ä naw kaiÁ taÁ ceÂlia kaiÁ toÁ eÆmploÂkion kaiÁ taÁ perideÂjia kaiÁ toyÁw dakty-
liÂoyw kaiÁ taÁ eÆnvÂtia.
20 Cf. RAKEL, Judit 278 – 282.
88 BARBARA SCHMITZ

knows all the better the role she now takes on and she knows how to
appear in it. The aim of her change of role is clearly stated: “to beguile
the eye of any man who saw her” (Jdt 10 : 4; another translation: “to
entice the eyes of all the men who might see her”).
The Greek semantic field aÆpaÂtav signifies “cheat, trick, outwit, be-
guile, deceit”.21 Judith herself has said earlier in her prayer to God that
she aims to deceive and seduce (Jdt 9 :10.13), yet referring not to her
body, but to her words. Only after she has accomplished her goal she
reiterates the connection between her body and the deceit (Jdt 13 :16;
16 :10) – again in prayer. In the whole narrative the semantic field of
aÆpaÂtav oscillates between “seducing” and “deceiving” and thereby
corresponds to Judith’s change of roles in Jdt 10 : 3 – 4. Judith disguises
herself as a seductress in order to seduce and deceive with this role.
This means that Judith is beautiful, but not identical to the role of the
“beautiful, seducing and dangerous woman”. She reckons with a cer-
tain way in which men will see her. She anticipates the reaction of the
men and develops a strategy to face the reason for their gaze. As Judith
chose the role of the raped woman, she now chooses that of the beau-
tiful and seductive dangerous woman.

5. Men See Judith (Chapter 10 – 11)

In her new role, Judith leaves her house and already has striking suc-
cess in her hometown Bethulia (Jdt 10 : 6 – 10). The elders, with whom
Judith has spoken as a withdrawn widow are astonished at her change,
“When they saw Judith, her face so changed and her clothes so differ-
ent, they were lost in admiration of her beauty” (Jdt 10 : 7). Through
the eyes of these men, the readers see Judith anew and can discover her
in her new role. Thereby it becomes clear that in the moment Judith
leaves her house, the perspective of her changes. As before the focal-
ized object is Judith’s body, but now the audience perceives Judith
through the eyes of the men surrounding her. This change of focaliza-
tion is important for the perception of Judith’s roles. While the readers
first become witnesses of Judith’s personally chosen change of roles,
they now see Judith and her body through the eyes of strange men.

21 In the narrative of Judith aÆpaÂth is found in Jdt 9 : 3.10.13; 16 : 8, aÆpaÂthsiw in 10 : 4 and


aÆpataÂv in 9 : 3; 12 :16; 13 :16.
Casting Judith 89

With the men of Bethulia the readers watch as Judith and her ser-
vant maid go to the camp of the Assyrians: “while the men of the town
watched her all the way down the mountain and across the valley,
until they lost sight of her” (Jdt 10 :10). The way to Holofernes is nar-
rated in three stages. On the way, Judith and her maid are seized by
soldiers and taken to the camp until they reach Holofernes’ tent (Jdt
10 :11– 23). At each stage it is described how men see Judith and are
amazed at her beauty (Jdt 10 : 7.14.19.23; cf. 11: 8.20).
By leaving her hometown and entering the camp of the Assyrians
the context for the role as a beautiful woman that Judith has taken on
changes fundamentally. While in Bethulia Judith is a well-respected
woman of the upper class, she becomes an endangered woman the
moment she enters the camp. There she is facing the real danger of
rape. Endangered and as a stranger, she is without any rights or pro-
tection. She faces this risk with her role as a beautiful woman who
wants to be desired by men and thereby hopes to get access to Holo-
fernes. This is exactly the strategy of her aÆpaÂthsiw in both its connota-
tions. She tries to seduce and deceive the men.
Here, the differences between lying and deception should be ex-
plained:
“Lying is the intentional prevarication of facts through the manipulation of
language. Deception is the intentional production of (a) misleading mes-
sage(s) – through linguistic or other means – or the intentional concealment
of required information. [. . .] To deceive is to signify something to which
no real state of things corresponds”.22

With this strategy, Judith speaks to Holofernes. She does not lie, but
phrases her concerns in a way that Holofernes has to understand them
as misleading messages. She masks the truth of her words with inten-
tional double meanings.
In this respect, Judith’s behavior can be interpreted as trickery.
“[T]rickery is used by a person in a position of social disadvantage in
order to influence the course of events. [. . .] each of the stories is not
without a comical side to it”.23 Trickster-narratives thereby belong to
underdog-situations:
“[W]hen individuals lack authority – whether it be political, economic,
religious, or domestic authority – they resort to strategies which allow
them to achieve their goals and gain compliance with their wishes. I under-

22 FUCHS, Way of Women 68f.


23 STEINBERG, Tricksters 7.
90 BARBARA SCHMITZ

stand trickery to be a kind of power available to persons in a subordinate


position vis-à-vis another individual”.24
In trickery-narratives, creative potential arises out of these underdog-
situations so that alternative models of behaviour can be developed:
“As norm-breakers, boundary-crossers, paradoxical beings, tricksters em-
body other ways of doing things. [. . .] Tricksters make available for
thought the way things are not but might be; their stories can function as
critiques of the status quo as well as models for other possible arrange-
ments. Whether and how such stories activate those functions depends
upon the interpretive community in which they are told.“ 25
Israel as an interpretive community knows the role Judith is playing
here. In the camp of the Assyrians she is the ’strange woman‘. In bib-
lical scriptures, men are warned repeatedly of the ’strange woman‘.
The beautiful female stranger is dangerous because she beguiles the
men with her words and her beautiful appearance, makes them bewil-
dered and seduces them (cp. Prov 5 :1 –14; Sir 26 : 9 – 18). The Judith
narrative plays with this pronounced androcentric assessment. Judith
is fascinating as a beautiful, strange woman not only for the soldiers
(Jdt 10 :19), but she also seduces Holofernes to make him confused first
psychologically and then physically. The renewed adornment with
jewelry and festive dresses is not emphasized without any reason be-
fore the feast of Holofernes where Judith’s saving murder of the ene-
mies’ warlord happens (Jdt 12 :15).

6. Judith’s Life Afterwards (Chapter 16)


Returning after her mission (Jdt 13 :11), Judith comes home in all her
festive adornment, jewelry, and cosmetic aid in the role of the beautiful
woman. The severed head of Holofernes serves as a proof for her suc-
cess. With this return not only does the masquerade of the beautiful,
dangerous woman end, but also the mentions of Judith’s beauty gen-
erally.26 She is now depicted as theologian and praying woman, as a
strategist and a general, and as a dancing and wreath-crowned woman
(Jdt 14 –15). She leads the festive procession to Jerusalem, interpreting
in a long review what happened and donating the captured goods
from Holofernes’ tent to the temple (15).

24 STEINBERG, Tricksters 6.
25 ASHLEY, Deception 113.
26 Exceptions can only be found in her prayer in chapter 16, which do not count insofar
as in this prayer the events are reviewed and interpreted in retrospection.
Casting Judith 91

The last five verses of the book of Judith (Jdt 16 : 21– 25) narrate
how Judith returns to the original lifestyle she has chosen, thereby
returning to herself. It is significant that her wealth is mentioned first
of all (Jdt 16 : 21). It is the material basis for her life in autonomy.
Accordingly, it is told secondly that she turns down any proposal of
marriage. This is how she can maintain her freedom (Jdt 16 : 23).

7. Conclusion
The construction of roles of the character Judith is complex. Based on
the circumstances of her life, Judith is wealthy, beautiful, has a large
estate (Jdt 8 : 7), and belongs to the leading class in Bethulia. Thereby
she fulfills the outer criteria of the female against which Jesus Sirach
warns so emphatically, “Do not be taken in by a woman’s beauty,
never lose your head over a woman. Bad temper, insolence and shame
hold sway where the wife supports the husband” (Sir 25 : 21– 22).
While in her hometown she actually belongs to the high society, she
renounces voluntarily a life of wealth, luxury and paraded beauty.
Thus, the difference between Judith and the type of woman warned of
in Jesus Sirach is marked. Judith instead chooses a simple lifestyle but
maintains enough influence to be able to call the leading men of town
into her house, to dispute with them about their behavior, and criticize
them in a fundamental way, theologically and politically.
In view of her plan, Judith humbles herself even before God like a
raped woman. However, her role in the camp of the Assyrians is quite
the opposite. Here Judith is a woman and stranger without protection
who has no rights and depends on the will of the men surrounding
her. There she is in an underdog-situation, in which she shows herself
as a beautiful woman. The woman belonging to the upper class in
Israel becomes the endangered woman at the edge in the camp of the
Assyrians. To face this risk, she masks herself as a beautiful woman,
thereby becoming a dangerous woman. This change of roles is the
reason why Judith, while in the camp of the Assyrians, fits the model
of the ’strange woman‘ known in biblical literature. Judith can carry
out this change of roles only because she is a beautiful woman. How-
ever, her beauty is understood as a sign and expression of her fear of
God. Thereby Judith proves to be the dangerous-endangered savior of
Israel not based on her beauty, but based on her fear of God. She is
indeed what she claims to be before Holofernes: ûeosebhÂw – god-fearing
(Jdt 11:16)!
92 BARBARA SCHMITZ

Looking at the order of the role constructions, a frame at the begin-


ning and the end of the story dealing with well-known role patterns
can be recognized. As Judith’s traditional role stereotypes (daughter,
wife, widow) are included in the introduction, they are also mentioned
at the end (widow), but the connotations have changed entirely. It is
completely clear to the readers that instead of the widow in need of
protection they are faced with a woman who uses the space she has
been given by the circumstances (wealthy and without a husband) for
an autonomous and self-determined life.
Within this framework, a whole array of female roles is connected
to Judith. They can be divided into two groups. Firstly, there are roles
which Judith takes on herself. Judith becomes the praying woman fall-
ing down before God (Jdt 9 :1) and acting like a raped woman (Jdt
9 : 3). She prays before God like a poor widow in need of protection (Jdt
9 : 3.9) and finally transforms herself into a beautiful woman of the
upper class (Jdt 10 : 3 – 4). All of these roles are chosen by the character
Judith herself. The second group of role patterns arises out of the
changed context when Judith goes to the camp of the Assyrians. Now
she cannot decide freely, instead others decide her fate. Her only bonus
is her beauty. The change of focalization correlates to this different
context. Judith is now seen through the eyes of men. The transition
from the first to the second group takes place in 10 : 7– 10. At the border
between Bethulia and the surrounding area besieged by the Assyrians
the readers are confronted for the first time with this changed perspec-
tive of perception, now seeing the women through the eyes of the men
in Bethulia. In the camp of the Assyrians, Judith is turned into the
dangerous woman by the changed context, now fulfilling the andro-
centric stereotype of the ’strange woman‘. All of these chosen roles
take place with reference to Judith’s body, which is central as a fo-
calized object. Like signatures, the role patterns are inscribed into
Judith’s body. This seems to be the reason why the character Judith
emphasizes the integrity of her body, “Glory to the Lord who has
protected me in the course I took! My face seduced him, only to his
own undoing; he committed no sin with me to shame me or disgrace
me“ (Jdt 13 :16).
The function of the different roles and the narrative dynamics cre-
ated by their order are products of the narrator. His strategy of narra-
tion appears to aim at taking the readers – familiar with and affirming
traditional role patterns – on a journey with a fictional story where he
wants to attain their agreement. This journey ends with Judith’s life
Casting Judith 93

beyond these traditional roles which she has used to her advantage. A
woman who is wealthy and beautiful is not necessarily a dangerous
and strange woman. Such a woman, however, can accomplish a great
mission using the possibilities she has. It is the wealthy, beautiful and
educated Judith who saves all of Israel. Indeed the book of Judith
contributes to overcoming restrictive role ascriptions to women in Hel-
lenistic time.
The question of the soldiers “Who can despise these people, who
have women like this among them?” (Jdt 10 :19) is not answered ex-
plicitly in the narrative, but passed to the readers. Their answer might
be as clear as the last sentence of the narrative: “No one ever again
spread terror among the Israelites during the lifetime of Judith, or for a
long time after her death” (Jdt 16 : 25).

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Mirjam, Debora und Judit –
eine Prophetinnentradition?
RENATE EGGER-WENZEL

1. Vorbemerkungen

Die drei biblischen Frauengestalten wurden ausgewählt, da ihr Auf-


treten an prophetische Verhaltensmuster denken lässt. Mirjam ist von
der Reihenfolge der biblischen Bücher her gesehen die erste Frau, für
die die Bezeichnung haÄibÇn (profhÄtiw) 1 Prophetin gewählt wurde; Ex
15,20 (// 4Q365 fr. 6b Z. 5b 2 ). Damit wird eine Profession angegeben.
Ihr folgt mit demselben terminus technicus versehen Debora in Ri 4,4.
– Um die Aufzählung zu vervollständigen, müssen hier auch Hulda
(2 Kön 22,14 // 2 Chr 34,22), Noadja (Neh 6,14) und die Frau des
Propheten Jesaja (Jes 8,3) aufgezählt werden.3 Allerdings gelten bei
diesen Prophetinnen die folgenden – versuchsweise angelegten – Aus-
wahlkriterien gar nicht oder nur teilweise:
– Vorstellung der Prophetin unter Rückbezug auf ein männliches
Familienmitglied;
– Prophetinnenlegende, d. h. Lebensbeschreibung ohne eigentliche
prophetische Botschaft;
– Rettungstat durch Frauen, die auch vor Gewalt nicht zurück-
schrecken (Debora / Jaël und Judit) sowie

1 Vgl. zu profhÄtiw im Neuen Testament Lk 2,36: Hanna; Offb 2,20: falsche Prophetin Isebel.
2 Die zusätzliche Bezeichnung der Zeilen (= Z.) mit Kleinbuchstaben geschieht, um Sätze
abzugrenzen.
3 So betätigt sich Hulda in 2 Kön 22,16 – 20 // 2 Chr 34,23 – 28 als Unheilsprophetin,
indem sie Jerusalem das Gericht, dem bußfertigen König Joschija aber die Vergebung
Gottes ankündigt. Weiters ist mit Neh 6,14 Noadja als falsche Prophetin (profhÂthw
s,m!; vgl. Ez 13,17ff ) zu nennen, die nicht in einem positiven Kontext einer Rettungs-
tat steht und Gott einen Lobpreis singen will, sondern Nehemia in Angst und Schre-
cken zu versetzen sucht. Die Frau des Propheten Jesaja wird in Jes 8,3 zum Zwecke
einer zeichenhaften Kindszeugung erwähnt, wobei der Name des zu gebärenden
Kindes auf das anstehende Gerichtshandeln Gottes verweist. In Joël 3,1 wird durch
das Verb abn / profhteyÂv lediglich erwähnt, dass nach der Geistausgießung Söhne
und Töchter die Gabe der Prophetie erhalten werden.
96 RENATE EGGER-WENZEL
Ç
– Lobpreis Gottes (z. B. 4Q365 hëtëa ludg; Jdt 16,13 kyÂrie meÂgaw eiË ) für
das Rettungshandeln aus vorheriger Bedrohung des Volkes Israel
durch Feinde.
Damit bleibt zu klären, warum Judit in diesen prophetischen Kreis
aufgenommen wurde, denn sie wird ja nicht als profhÄtiw bezeichnet.
Ihr Leben wird ab Kapitel 8 beschrieben. Sie erwähnt im Gespräch mit
Holofernes innerhalb einer doppeldeutigen Rede, dass sie proÂgnvsiw,
also „vorausschauende Erkenntnis“, besitzt (Jdt 11,19), die ihr Einblick
darüber verleiht, wann die Bewohner Betulias sündigen und damit
Holofernes Tür und Tor öffnen. Judits gewaltsame Rettungstat ist mit
der von Debora / Jaël vergleichbar, und alle drei Frauen – Mirjam, De-
bora und Judit – haben nach der offenbar gewordenen Beseitigung des
Feindes einen Lobpreis auf Gott gesungen (Ex 15,20f; Ri 5; Jdt 16,1 –17).
Jede dieser drei Frauen wird als eine große Autoritätsfigur für das
Volk Israel (Num 12,15; Ri 4,4; 5,7; Jdt 16,21.25) beschrieben, die jeweils
Leitungsfunktion innehatte (Mi 6,4; Ri 4 – 5; Jdt 8,11 – 36). Näheres
dazu im Folgenden.

2. Mirjam in Ex 15,20 – 21//4Q365 f6b; f6a col. ii und 6c Add.

In der hebräischen Bibel finden sich mehrere Belege für Mirjam. So in


Ex 2,7f, allerdings ohne Namensnennung, doch spielt Mirjam, zusam-
men mit anderen Frauen (den Hebammen Schifra und Pua: Ex 1,15 – 22;
Jochebed, der Mutter des Mose: Ex 2,1– 10; vgl. Ex 6,10 – 20; Num 26,58f;
der Tochter des Pharaos: Ex 2,5 – 10; Zippora, der Ehefrau des Mose: Ex
2,15 – 22; 4,19 – 26), eine bedeutende Rolle im Szenario der wunderba-
ren Errettung des Mose und der Befreiung der sogenannten Mose-
Schar aus dem geplanten ägyptischen Genozid. In Num 12 wird die
Auflehnung Mirjams und Aarons wegen der kuschitischen Ehefrau des
Mose beschrieben, in Num 20,1 der Tod Mirjams in Kadesch, und in
der Genealogie von Num 26,59 4 werden Aaron, Mose und Mirjam als
Kinder einer levitischen Familie unter Nennung der Mutter Jochebed
angeführt; vgl. die Abstammung Mirjams in rein männlicher Linie in
1 Chr 5,29 (V. 27– 41). Dtn 24,8f erwähnt Mirjam als warnendes Bei-
spiel für Aussatz.5

4 Num 26,59: Die Frau Amrams hieß Jochebed; sie war die Tochter Levis, die dem Levi noch in
Ägypten geboren wurde. Sie gebar dem Amram Aaron und Mose sowie deren Schwester
Mirjam (kursiv gestellte Bibeltexte sind der Einheitsübersetzung entnommen).
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 97

Für die Darstellung Mirjams im prophetischen Kontext soll insbe-


sondere der kurze Hymnus samt Vorstellung der Prophetin von Ex
15,20 – 21 mit den entsprechend ausgewählten Passagen in den Qum-
ran-Texten (4Q365 f6b [Z. 5b – 6c]; f6a col. ii und 6c Add. [1a – 7a]) 6
verglichen werden.

2. 1 Mirjams Autorität

Insbesondere Mi 6,4 streicht in einer Aufzählung die Leitungsfunktion


der drei Geschwister Mose, Aaron und Mirjam als wichtigste Prot-
agonisten und Führungspersönlichkeiten der Auszugs- und Wander-
zeit heraus: „Ich sandte (xlw Ï / eÆjaposteÂllv) vor dir her Mose, Aaron
und Mirjam“. Durch die Verwendung des griechischen Verbums ist ein
Hinweis auf Jdt 11,19 gegeben, wo davon berichtet wird, dass Judit mit
ihrem „Vorherwissen“ zu Holofernes gesandt (aÆposteÂllv) ist. Sowohl
xlwÏ als auch aÆposteÂllv sind termini technici für Gottes Beauftragung.7
Mirjams im Volk geachtete Position zeigt sich auch darin, dass sich
die Israeliten weigern weiterzuziehen, als sie nach der Kritik an Mose
wegen der kuschitischen Ehefrau vom Aussatz befallen wird und aus
der Lagergemeinschaft befristet ausgeschlossen ist (Num 12,15).

2. 2 Die Textbasis

Nach dem vermutlich als jünger zu datierenden „Lied des Mose“ in Ex


15,1–19 folgt ein in der Literatur als sehr alt beschriebener Text von
zwei Versen, der als „Lied der Mirjam“ 8 die Rettung am Schilfmeer vor

5 Dieses Material über Mirjam ist im Vergleich mit dem über Mose und Aaron relativ
gering, im Verhältnis aber zu anderen biblischen Prophetinnen wiederum umfang-
reich. Bisher hat in der Forschungsgeschichte Mirjam, von einigen Ausnahmen abge-
sehen, wenig Aufmerksamkeit erfahren; vgl. BURNS, Lord; BRENNER (Hg.), Compan-
ion; RAPP, Mirjam.
6 Vgl. PARRY / TOV (Hg.), Reader III, 277 – 279.
7 Vgl. RAPP, Mirjam 327– 361, zu dieser Thematik.
8 Vgl. NOTH, Exodus 96f: „Seine Kürze spricht für einen sehr frühen Ursprung; und
man kann mit der Möglichkeit rechnen, daß wir in ihm die älteste uns im Alten
Testament erhaltene Formulierung der Aussage vom Gotteswunder am Meer vor uns
haben, zumal ohnehin anzunehmen ist, daß das Thema von der ,Herausführung aus
Ägypten‘ ebenso wie die anderen Pentateuchthemen zuerst im gottesdienstlichen
Lobpreis ausgesprochen und im Rahmen gottesdienstlicher Gelegenheiten immer
wiederholt worden ist“; siehe auch die weitere Diskussion bei JANZEN, Song; VAN
DIJK-HEMMES, Views.
98 RENATE EGGER-WENZEL

den Ägyptern (zusammengefasst in Ex 15,19 9 ) theologisch deutet. Das


Qumran-Fragment 4Q365 f6b geht mit dem Exodustext bis 15,21a
parallel,10 wobei in Z. 6c nur mehr ein Wort (ñyÅTÅuÅ) als Einführung der
direkten Rede überliefert ist.

Ex 15,20 – 21 4Q365 f6b (5b – 6c) 11


Ç
ñr
ÊhÎaÅ tuxaÎ haÄibÇNÂhÅ ÕiÄrÂmÇ x QT Å Ç uÅ 20a ñurha] [tuxa haibnh Õirm ]xëqtu 5b/6a
HdÄiÄB úT ÊhÅ-taà hdib úuth ta
ÇÇ Ç Ç Ç
ÕiPÇtÁBÂ hÄirÃxÎaÅ Õiw
ÏÇNÄhÅ-lkÄ ÄñacÃTÈuÅ 20b Õiput]b hirëxëaë Õëiëwnëh l[uk ]hnict[u 6b
t´lÊ
xmÂbÇU . tuluxmbu
ÕiÄrÂmÇ ÕhÃlÄ ñyÅTÅuÅ 21a . [ñytu 6c
huÄhilÅ Uriw ÏÇ 21b
12 ha Ä GÄ haÊgÄ-iKÇ 21c
Ç
s ÕIÄbÅ hmÄrÄ ubkÂr Êu sUs 21d

4Q356 f6a col. ii und 6c Add. (1a –7a)


Ç
huÄhi rbÅDÂ-taà tÄizÇBÄ yUDm
Å Å 2 Sam 12,9 [ . . ]yë tizb 1a
tirÇB rpÈhÄl hlÄaÄ tizÇBÄ-rw ÏÃaÎ Ez 16,59
tizÇBÄ iw
ÏÅdÄ qÄ Ez 22,8
hwÊÄyÄ tUagÈ iKÇ Jes 12,5 [ . . ]yëlë [ ]tëuëag ik 2a
Ç Ç
hTÄaÅ ludgÄ-iKÇ Ps 86,10 . .
[ ]aë aiwuëmë hëtëa ludg 3a
Ç
hTÄaÅ ludGÄ Jer 10,6
Ç
[ . . anuw t]uqt hdba 4Q418 f198 [ . . xk]wnu hnuw tuqt hëdëba 4a
Ç
ÕiÇrÄcÂmÇ ÑrÃaÃB ybÄÊ WÄ hÅ-lKÄ xKÅÏ w nÇu Gen 41,30 [ . . xk]wnu 4b
Ç Ç
ÕirÇiDÇaÅ ÕiÇmÅBÂ trÃpÃuyKÅ UllÎcÄ Ex 15,10c [ . . ]hënëuëw Õirida Õimb udba 5a
Ç
UhnÂmÃmÂr
ÊaÎuÅ ibÇaÄ ihÈ´ laË Ex 15,2c ]Õmurml hnmmuru 6a
[ . . ] ° ttn tudë[p 6b
Ç
hw
ÊÄyÄ tUagÈ iKÇ Jes 12,5 [ . . ][[ ]] . tuag hw[uy] 7a

9 V. 19 wird von JANZEN, Song 188, als „present introduction“ gesehen. Der Prosatext
schließt sich nahtlos an Ex 14,29 an (vgl. FISCHER, Gotteskünderinnen 65). Ç
10 Auffällig ist häufige Plene-Schreibung in 4Q365: Z. 6a ñurha; Z. 6b . . . l[uk ]hnict[uÅ
tuluxmbu Õiput]b.
11 Die Texte folgen PARRY / TOV (Hg.), Reader III, Ç 276ff, wobei die mit aë versehenen
Konsonanten als „possible letter“ und die mit a markierten Buchstaben als „probable
letter“ bezeichnet werden (xviii).
12 Die figura etymologica verstärkt die Aussage.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 99

2. 3 Mirjams Profession als Prophetin und Schwester Aarons

In Ex 15,20a//4Q365 f6b Z. 5b wird Mirjam namentlich genannt sowie


als „die Prophetin“ (haÄibÇNÂhÅ) und Schwester Aarons eingeführt. Damit
ist als Erstes Mirjams Profession angesprochen, die auch in Num 12,2
verdeutlicht wird (Hat etwa der Herr nur mit Mose gesprochen? Hat er
nicht auch mit uns [= Aaron und Mirjam] gesprochen?).
Danach wird Mirjam unter männlichem Rückbezug zu ihrer Fa-
milie weiter vorgestellt. Sie ist die Schwester Aarons, ihres Bruders.13
Warum Mose hier nicht mit genannt wird wie in Num 26,59; 1 Chr 5,29
und Mi 6,4,14 lässt sich eventuell daher erklären, dass ja Mirjam und
Aaron in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu Mose stehen und
insbesondere in Num 12,2 wie bei der anschließenden Auseinander-
setzung um die kuschitische Ehefrau als Partei auftreten.

2. 4 Die Vorsängerin Mirjam

Wie die Einleitung zum Lobpreis im Prosatext erzählt, nimmt Mirjam


das Tamburin oder eine Pauke in ihre Hand und gibt damit den Rhyth-
mus an. Alle anderen Frauen ihrer Gruppe nehmen Mirjam zum Vor-
bild und tun es ihr gleich. Sie ziehen hinter ihr her mit denselben
Musikinstrumenten und tanzen 15 dazu (20b // Z. 6b). Mirjam stimmt
für / mit den versammelten Menschen, Männern und Frauen (ÕhÃlÄ; En-
klitikon der 3. Person Plural maskulin), die Antwort auf Gottes Ret-
tungshandeln an. In 4Q365 f6b ist von Z. 6c allerdings nur noch das
Verb erhalten ([ñytu). Mirjam betätigt sich als leitende Sängerin (l hny
IV 16 ) für das Volk und animiert zum gesungenen Lobpreis Gottes,
steht damit also der (kultischen) Feier des Sieges über die Feinde vor.17

13 Vgl. als Schwester des Mose in Ex 2 ohne Namen.


14 Vgl. die Reihenfolge der Namensnennung Aaron, Mose, Mirjam in Num 26,59 und
1 Chr 5,29 sowie Mose, Aaron, Mirjam in Mi 6,4.
15 Der Tanz könnte einen Hinweis auf die ekstatische Seite der Prophetie beinhalten
(vgl. 1 Sam 10,5.10; 1 Kön 18,26). Dagegen spricht sich allerdings BURNS, Lord 46f, aus.
16 Vgl. GESENIUS / BUHL, Handwörterbuch 604. – Weitere Belege für das Verb in Kom-
bination mit der Präposition: Num 21,17 (Israels Danklied an JHWH für einen Brun-
nen in Moab); 1 Sam 29,5 (Erinnerung an die Lobpreisung Davids aufgrund seines
Sieges über die Philister; vgl. 1 Sam 18,6f ); Ps 147,7 (Aufforderung, ein Danklied für
JHWH anzustimmen); Jes 27, 2 (ebenso); Ez 14,4.7 (Gott antwortet auf Befragung von
Götzendienern durch den Propheten).
17 Oft wurde diese Begebenheit eingereiht in die Tradition des sogenannten „heiligen
Krieges“ (Ri 5: Debora und Barak; Ri 11,34: Jiftachs Tochter, die den Sieg ihres Vaters
100 RENATE EGGER-WENZEL

Mirjam ist hier die Erste, die einen Gesang anstimmt. Sie feiert
Gottes Sieg über Sklaverei und Tod. Ihr Lied interpretiert die Erfah-
rungen des Auszugs für das Volk als Gottes Geschenk neuen Lebens
und offenbart Gottes Macht, die für das Volk eingesetzt wird (Ex 15,2 –
10). Einziges menschliches Zutun bei diesem Sieg über die Ägypter ist
der Gehorsam der Israeliten, welche die Flucht wagen. Insofern zieht
Mirjam keinem menschlichen Sieger über irgendwelche Feinde entge-
gen, sondern schreitet den Israeliten im Lobpreis Gottes voran, was ja
durch ihre Mit-Leitungsfunktion (Mi 6,4) und Aufgabe als Prophetin 18
begründet ist.

2. 5 Das Lied der Mirjam nach Ex 15,21b – d


In Ex 15,21b befiehlt Mirjam als Autoritätsperson: „Singt (für) JHWH!“
Die Konstruktion 19 huhi + l + riw Ï findet sich 15(17)-mal im Alten Tes-
tament, vornehmlich in den Psalmen (8[9]-mal), und ist damit eine
geprägte Formel für die Aufforderung an die Gemeinde zum Lobpreis
Gottes im kultischen Bereich.20 Auch weitere Belege stehen in kulti-
schem Kontext. So ist das Vorkommen in 1 Chr 16,23 Teil eines durch
David initiierten Lobliedes (V. 7 –36), welches Asaf und weiteren zum
Dienst vor der Lade des Herrn bestellten Ç Leviten zu singen aufgetra-
gen wird (ÕitÇrÂw
Ïm
Ä Â ÕIÇuÇlÂhÅ-ñmÇ huÄhi ñuraÎ inÈpÂlÇ, 1 Chr 16,4; vgl. 1 Chr 25,7;
2 Chr 20,21 als Aufgabe der Asafiten bzw. Sänger vor dem Herrn zur
Unterstützung des Kampfes / huÄhilÅ ÕirÇrÎw ÊmÂ). – In den Qumran-Frag-
Ï
menten ist diese Formulierung nicht belegt.

feiert; 1 Sam 18,6f: Frauen gehen David, der die Philister besiegt hat, musizierend,
singend und tanzend entgegen; nach Jdt 15,12 – 16,2 führt Judit die Feierlichkeiten
nach der Niederlage der Assyrer an: Frauen tanzen, Männer singen Lobgesänge).
Doch beruht der Sieg im „heiligen Krieg“ auf einer Gabe Gottes, nicht auf mensch-
licher Stärke (siehe Ri 7,1– 7; Ps 20,8). – Nicht nur Frauen tanzen bei kultischen
Anlässen, sondern auch Männer. Bei der Heimführung der Lade nach Jerusalem
tanzt z. B. David im leinenen Efod vor der Lade her (2 Sam 6,14 –16), was ihm die
Verachtung seiner Frau Michal einbringt.
18 Doch urteilt BURNS, Lord 47: Mirjams „prophetess is an anachronism“ mit der Be-
gründung „that these later writers did not have access to a complete account of
Miriam’s role in the community. [. . .] Since prophetesses appear to have been com-
mon in Israelite circles, the prophetic designation would have been readily available“
(48).
19 Vgl. Ex 15,1.21; (Ri 5,3); 1 Chr 16,23; 25,7; 2 Chr 20,21; Ps 7,1; 13,6; (27,6); 96,1f; 98,1;
101,1; 104,33; 149,1; Jes 42,10 (Freudenlied über die Rückkehr der in Babel Exilierten);
Jer 20,13 (5. Konfession des Jeremia).
20 So hinterfragt BUTTING, Prophetinnen 43, warum Mirjams Bezeichnung als Prophetin
oft auf Unverständnis stößt und ihr Lobpreis in Spiel und Tanz nicht als „propheti-
scher Dienst verstanden werden kann“; vgl. oben BURNS, Lord 47f.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 101

Ex 15,21c.d begründen, warum die Israeliten JHWH ein Lied sin-


gen sollen: haÄGÄ ha
ÊgÄ-iKÇ. Die figura etymologica verstärkt zusätzlich die
Aussage: „denn hoch / höchst erhaben hat er sich erwiesen“. Diese Er-
habenheit Gottes wird in 21d durch dessen Handlungsweise anschau-
lich erläutert: „Pferd und seinen Wagen hat er ins Meer geworfen“.
Natürlich ist nicht nur ein einzelnes Pferd mit einem Streitwagen ge-
meint, sondern die gesamte feindliche Streitmacht des Pharao,21 die zu
guter Letzt doch noch versucht hat, das Entkommen der Israeliten zu
vereiteln. Der übermächtige Feind mit all dem gefährlich schnellen
Kriegsgerät ist umgekommen. Das ist Gottes Rettungstat an den Isra-
eliten. Dafür soll ihm ein Loblied gesungen werden. Soweit der bibli-
sche Text.

2. 6 Das Lied der Mirjam nach 4Q365 f6a col. ii und 6c Add.

Welche Varianten bietet nun das leider unvollständig erhaltene Qum-


ran-Fragment 4Q365 f6a col. ii und 6c Add.? Hier werden sieben Zeilen
(Z. 1–7) zu neun Sätzen dem Mirjam-Lied zugewiesen, da die an-
schließenden Z. 8 –15 zu Ex 15,22 – 26 parallel gehen. Also stehen im
Exodusbuch 3 Sätze den 9 Sätzen in 4Q365 gegenüber. Damit wurde in
Qumran eine Erweiterung des ÇMirjam-Liedes 22 vorgenommen.
Z. 1a bietet nur [ . . ]yë tizb („Du hast verachtet“). Hier ergeben
sich zu drei identischen Belegen Bezüge. In 2 Sam 12,9 wird das Verb
mit demselben Konsonantenbestand innerhalb einer Lehrerzählung
dem Propheten Natan in den Mund gelegt, der David im Kontext der
Batseba-Geschichte fragt, warum dieser das Wort JHWHs verachtet
hätte (huÄhi rbÅDÂ-taà tÄizÇBÄ yUDm
Å Å ). In Ez 16,59 findet sich der Beleg in der
Anklage Gottes gegen Jerusalem, im Bild der treulosen Ehefrau dar-
gestellt: „Du hast den Eid verachtet und den Bund gebrochen“ (-rw ÏÃaÎ
tirÇB rpÈhÄl hlÄaÄ tizÇBÄ). Mit dieser Begründung kündigt Gott vorläufig, bis
das Gericht ergangen ist, seinen Bund mit seinem auserwählten Volk
auf. Ez 22,8 steht inmitten einer Anklage gegen Jerusalem, zwischen
der beschriebenen Missachtung sozialer Randgruppen und dem Ver-
stoß gegen kultische Regeln: „Meine Heiligen hast du verachtet“ (iw ÏÅdÄ qÄ
tizÇBÄ). – Somit könnte man bei 4Q365 rückschließen, dass mit Z. 1a ein
Vergehen gegen Gottes Gebot thematisiert wurde, dem unausweichlich
das Gericht folgt.

21 Vgl. Ex 14,9.23; 15,1.19.21; Dtn 11,4; 20,1; Ps 20,8; 76,7; Jes 30,16; 31,1; 43,16f.
22 Vgl. SEGAL, Bible 15.
102 RENATE EGGER-WENZEL

Z. 2a fährt nach einer Lücke im Text mit einer Begründung fort:


„denn Herrliches . . .“ / [ . . ]yëlë[ ]tëuëag ik. Dieselben Worte bietet Jes 12,5
(hwÊy
Ä Ä tUagÈ iKÇ) innerhalb – wie sinnig – eines Dankliedes für Gottes Ret-
tung (Jes 12,1– 6), das den ersten Teil des „Proto-Jesaja“ abschließt. Es
ist anzumerken, dass Jes 12,2e.f (haÄUw ÏilÇ ilÇ-ihÇiÂuÅ huÄhi HiÄ trÄmÂzÇu iZÇyÄ-iKÇ) fast
wörtlich eine Passage aus dem Mose-Lied mit der Rettung am Schilf-
meer in Ex 15,2a.b (hyÄUw ÏilÇ ilÇ-ihÇiÂuÅ HiÄÇ trÄmÂzÇu iZÇyÄ) aufnimmt.
Z. 3a lautet [ . . ]aë aiwuëmë hëtëa ludg („Groß bist du, Retter . . .“). Im
hebräischen Text findet man zwei Parallelstellen. Ps 86, ein David zu-
geschriebenes Gebet um Rettung vor Ç einer Übermacht an Feinden
(V. 14.17), formuliert in V. 10 hTÄaÅ ludgÄ-iKÇ / oÏti meÂgaw eiË sy („denn groß
bist du“). Die Größe betonend verlässt sich der Beter auf die Wunder-
tätigkeit des die ganze Schöpfung beherrschenden Gottes. Inmitten ei-
nes Abschnittes (Jer 10,1– 16) über Götzenpolemik und die über den
Götzen stehende UnvergleichlichkeitÇ Gottes ist Ç in V. 6 diese Wendung
ebenso nachzuweisen: hrÄUbgÂBÇ fmÂw ÏÇ ludgÄu hTÄaÅ ludGÄ.
Zu berücksichtigen ist hier, wie Ç schon Ps 86,10 zeigt, auch der Sep-
tuagintatext, der die Phrase hTÄaÅ ludGÄ mit meÂgaw eiË wiedergibt. So finden
sich neben Ps 86 drei weitere Belege aus der deuterokanonischen Li-
teratur, die beachtenswert erscheinen und mit einem Vorkommen den
Weg zum Judit-Buch (16,13) weisen. Nach dem Tod des Holofernes
und der Flucht der geschockten Assyrer stimmt Judit zwei Lieder (Jdt
16,1–12.13 –17) für ihren Gott an. Der erste Teil beginnt in Jdt 15,14 mit
einer in Prosa formulierten Aufforderung Judits – parallel zu Mirjam –,
mit Musikinstrumenten, mit Pauken (tyÂmpanon) 23 und Zimbeln (kyÂmba-
lon) 24 diesen Lobpreis zu begleiten. Zudem thematisiert er die Rettung
vor den Feinden. Jdt 16,2 (oÏti ûeoÁw syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow . . .) zitiert
darüber hinaus die griechische Fassung des Mose-Liedes von Ex 15,3
(kyÂriow syntriÂbvn poleÂmoyw). Dieser Gott setzt also kriegerischen Aus-
einandersetzungen ein Ende (vgl. auch Jdt 9,7 mit der Anspielung auf
Rosse und Reiter Ïippvì kaiÁ aÆnabaÂthì 25 . . . oÏti syÁ eiË kyÂriow syntriÂbvn po-
leÂmoyw). Daraufhin wird präzisiert, wer dieser Gott ist: JHWH ist sein
Name, was wiederum eine Parallele zwischen Ex 15,3b und Jdt 9,8
erkennen lässt:

23 Vgl. Ex 15,20; Ri 11,34; 1 Sam 18,6; 2 Sam 6,5; 1 Chr 13,8; Ps 149,3; 150,4.
24 Vgl. 1 Sam 18,6; 2 Sam 6,5; 1 Chr 13,8; 15,16.19.28; 16,5.42; 25,1.6; 2 Chr 5,12f; 29,25;
Esra 3,10; Jdt 16,1; 1 Makk 4,54; 13,51; Ps 150,5 in überwiegend kultischen Kontexten.
25 Vgl. Ex 14,23; 15,1.19.21; Dtn 20,1; Jdt 2,5; 9,7; Hag 2,22; Jer 28,21.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 103

Ex 15,3 26 Jdt 9,7.8


hmÄxÄlÂmÇ Ï
wiaÇ huÄhiÂ
kyÂriow syntriÂbvn poleÂmoyw oÏti syÁ eiË kyÂriow syntriÂbvn poleÂmoyw
oÏti ûeoÁw syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow
Ç (Jdt 16,2) 27
umw
ÏÂ huÄhiÂ
kyÂriow oÍnoma ayÆtv
Äì kyÂriow oÍnoma soi

Jdt 16,13 setzt ein, indem Judit ein neues Lied (yÏmnon kainoÂn; vgl. Jes
42,10; PsSal 3,1) singen will, welches mit den Worten kyÂrie meÂgaw eiË
beginnt.

4Q365 f6a col. ii und 6c Add. Z. 3a Jdt 16,13


Ç
[ . . ]aë aiwuëmë hëtëa ludg kyÂrie meÂgaw eiË

Keiner kann diesen Schöpfergott übertreffen. Er ist wunderbar in sei-


ner Stärke (eÍndojow ûaymastoÁw eÆn iÆsxyÂi aÆnypeÂrblhtow). Wiederum fällt die
Wortwahl in Verbindung zu Ex 15,11 (dedojasmeÂnow eÆn aëgiÂoiw ûaymastoÁw eÆn
Ä n teÂrata) auf. Damit ist ein Höhepunkt der theologischen
doÂjaiw poiv
Aussage in Judits Lobgesang erreicht.28

Ex 15,11 29 tiÂw oÏmoioÂw soi


dedojasmeÂnow eÆn aëgiÂoiw ûaymastoÁw eÆn doÂjaiw
poiv Ä n teÂrata
Wer wie du,
gerühmt unter den Heiligen, wunderbar unter den Ehrenträgern,
vollbringend Wunder?

Jdt 16,13 eÍndojow ûaymastoÁw eÆn iÆsxyÂi aÆnypeÂrblhtow


ruhmreich, wunderbar an Stärke, unübertroffen

Die beiden anderen Belege von meÂgaw eiË sind in den griechischen Zu-
sätzen zum Buch Daniel zu finden. Zunächst bezeichnet der König der

26 = Ode 1,3 kyÂriow syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow oÍnoma ayÆtv Äì.


27 Vgl. RAKEL, Judit 106 – 110.
28 Vgl. SCHMITZ, Geschichte 387ff, die der Bedeutung dieser Aussage im Buch Judit
nachspürt.
29 = Ode 1,11 tiÂw oÏmoioÂw soi eÆn ûeoiÄw kyÂrie tiÂw oÏmoioÂw soi dedojasmeÂnow eÆn aëgiÂoiw ûay-
mastoÁw eÆn doÂjaiw poivÄ n teÂrata. – Die Frage tiÂw oÏmoioÂw soi findet sich weiters in Ps
35,10; 71,19 und 89,9, wobei in Ex 15,11 (Ode 1,11) durch eÆn ûeoiÄw kyÂrie zumindest
monolatrischer Kontext mitschwingt (vgl. dazu Judits Klarstellung in Jdt 8,18: eÆj
Ä n oiÊ proskynoyÄsi ûeoiÄw xeiropoihÂtoiw. 20: hëmeiÄw deÁ eÏteron ûeoÁn oyÆk eÍgnvmen plhÁn
hëmv
ayÆtoyÄ; und zusammengefasst in 16,13: kyÂrie meÂgaw eiË kaiÁ eÍndojow ûaymastoÁw eÆn iÆsxyÂi
aÆnypeÂrblhtow).
104 RENATE EGGER-WENZEL

Babylonier den heimischen Gott Bel in 14,18 mit diesen Worten. Aber
er sitzt einem Betrug der Priesterschaft des Bel auf, die über Nacht mit
ihren Familien die Speiseopfer verzehrt. Vordergründig sieht es so aus,
als ob die Gottheit Bel des Nachts Nahrung zu sich nimmt. Nachdem
Daniel wiederholt die Götzen der Babylonier bloßgestellt hat und sich
der Volkszorn nun gegen ihn und den König richtet, soll Daniel in der
Löwengrube umkommen. Der Gott Daniels erweist sich aber als Retter,
sodass dieser überlebt. Das veranlasst den babylonischen König zu
dem Bekenntnis: meÂgaw eiË kyÂrie oë ûeoÁw toyÄ Danihl kaiÁ oyÆk eÍstin plhÁn soyÄ
aÍllow. Die Macht und Einzigkeit von Daniels Gott ist für den König
nach dem siebentägigen Aufenthalt in Çder Löwengrube offensichtlich.
In 4Q365 ist allerdings nachÇ hëtëa ludg ein weiteres Wort als Anrede,
nämlich aiwum, vermutlich yiwÅ Ïu
Ç m / „Retter“, erhalten. Danach bricht der
Text ab. Als Retter werden unterschiedliche Subjekte angesprochen,
einerseits von Gott berufene Menschen, die aus Notsituationen heraus-
führen 30 und Gott selbst. In vorliegendem Kontext dürfte Gott gemeint
sein. – So klagt Samuel in 1 Sam 10,19 darüber, dass das Volk Gott als
Retter aus allen Nöten verworfen hat, weil es einen König einsetzen
will. In Ps 7,11; 17,7 wird Gott als Retter thematisiert, der geradlinigen
Menschen gegen Feinde hilft (vgl. Ps 18,42). Mit Jes 43,11 bezeichnet
sichÇ Gott selbst sogar als einzigen Retter (idÅyÄlÂBÅmÇ ñiaÈu huÄhi ikÇÊa
Çn Ä ikÇÊa

yiw
Å Ïu
Ç m) für sein Volk (vgl. Jes 45,15; Sach 8,7). Damit ist yiw Å Ïu
Ç m eine
durchaus übliche Bezeichnung Gottes im Kontext von Bedrängnis durch
Feinde.
Die Wendung 31 hnuw tuqt hëdëba („Die Hoffnung des Feindes ist ver-
loren gegangen“) in Z. 4a thematisiert nun den Feind Ägypten, der die
Israeliten nicht ziehen lassen wollte und sie schließlich mit schwerem
Kriegsgerät verfolgt hat. Jedoch wurde den Feinden durch das Ret-
tungshandeln Gottes ein Strich durch die Rechnung gemacht. Ihre
Hoffnung, die billigen Arbeitskräfte zurückzuholen (Ex 14,5), hat sich

Ç
30 Zu yiw
Å Ïu
Ç m: menschliche Helfer / Mitmenschen sind in Not nicht zugegen, so in Dtn
22,27; 28,29.31 (Gesetzeskontext); von Gott gesandte Richtergestalten in Ri 3,9: Otniël.
15: Ehud; 6,36: Gideon; nach 12,3 benötigt der Richter Jiftach Hilfe im Kampf, welche
ihm aber verweigert wird; nach 2 Kön 13,5 braucht das Nordreich Hilfe gegen den
König von Aram, und Gott sendet Joahas; nach 1 Sam 11,3 wollen sich die Ältesten
von Jabesch nach einem Retter umsehen; besonders zu erwähnen ist noch Jes 19,20,
wo Gott das Gericht über Ägypten ankündigt und verspricht, einen Retter zu schi-
cken; vgl. (ywÏi, H-Stamm, Partizip Singular maskulin) in 4Q365 8, 3; 4Q385a 5, 9;
4Q387 3, 11; 4Q389 9, 3; 11Q19 58, 8; 65, 8 [= YADIN (Hg.), Temple Scroll pl. 78 und
80]. Ç
31 Vermutlich ist anÈuwÊ gemeint.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 105

zerschlagen. Ein weiterer Beleg für die Phrase findet sich noch in
4Q418 f198 Z. 3., wobei dieses Fragment nur als „Sapiental Instruc-
tions“ 32 mit Z. 2 ([ . . ]hbu uiwym / „seine Taten“) ohne ersichtlichen Kon-
text bestimmt werden kann. Darüber hinaus trifft man auf die Kom-
bination huÄ qT Â Ç + dba noch in Spr 11,7, wo beim Tod des Frevlers auch
dessen Hoffnung zunichte wird. Ez 19,5 mit analoger Wortwahl han-
delt vermutlich davon, dass mit dem Schicksal des Joahas und Jojachin
die Hoffnung des Königshauses zugrunde geht. In Ez 37,11 sprechen
metaphorisch die Gebeine der Exulanten, Ç deren Hoffnung verloren ist.
Z. 4b bietet nur das Wort [ . . xk]wnu (Konjunktion + N-Stamm Par-
tizip Singular maskulin) / „und ein Vergessener“, welches zudem Un-
sicherheiten in der Überlieferung aufweist. Geht man vom Konsonan-
tenbestand aus, findet man das identische Wort nur mehr in Gen 41,30
(wörtlich): „und ein vergessener [war] der ganze Überfluss im Land
Ägypten“. Durch den Ägypten-Bezug könnte hier eine Anspielung
vorliegen, wobei der Genesistext allerdings die sieben Jahre der Hun-
gersnot meint, die jeden vorherigen, durch Josef angehäuften wirt-
schaftlichen Reichtum vergessen macht. Ç
Der Text von Z. 5a mit [ . . ]hënëuëw Õirida Õimb udba („Sie [vermutlich
die Israeliten] sind umhergeirrt an den gewaltigen Wassern des Feindes
. . .“) bietet wiederum eine wörtlich Ç identische Phrase zu Ex 15,10c,
dem Mose-Lied: ÕirÇiDÇaÅ ÕiÇmÅBÂ trÃpÃuyKÅ UllÎcÄ („Sie [die Ägypter] sind ver-
sunken wie Blei in den gewaltigen Wassern“), wobei hier auch das Lied
der Debora und Baraks ins Spiel kommt. Beide Worte – wenn auch
nicht im direkten Zusammenhang – stehen in Ri 5,25: Sisera, der nach
seiner Niederlage in Jaëls Zelt geflohen war, hatte von ihr Wasser (ÕiÇmÅ)
verlangt, aber stattdessen in einer prächtigen (ÕirÇiDÇaÅ) Schale Sahne
erhalten, d. h. Wasser kann gefährlich sein.
Z. 6 fährt fort mit einem wiederum lückenhaften Text, Ç von dem am
Beginn (a) zwei Worte erkennbar sind: ]mmurml hnmmuru („Erhebt euch
[Plural feminin] für das Preisen!“). Damit sind eindeutig Frauen ange-
sprochen, welche Mirjam, die Sprecherin dieser Passage, zum Lobpreis
auffordert. Eine vergleichbare Wortwahl ist in Ex 15,2c belegt: ihÈ´laË
UhnÂmÃmÂr
ÊaÎuÅ ibÇaÄ („den Gott meines Vaters, und ich will ihn erheben“).
Sprecher ist hier Mose. Der Sinn der Aufforderung ist in beiden Fällen
derselbe, nur die Subjekte wechseln. Gott soll im Lob eine Ehrenposi-
tion erhalten.

32 PARRY / TOV (Hg.), Reader IV, 168f.


106 RENATE EGGER-WENZEL

Die unvollständige Z. 6b [ . . ] ° ttn 33 tudë[p („Befreiung hast du


gegeben . . .“) lässt keine direkte Parallele zu einem biblischen Text
erkennen. Es finden sich nur terminologische Anklänge, wobei die Be-
freiung der Israeliten aus Ägypten in Dtn 21,8 (-rw Ïa
à ΠlaÈrÄw
Êi
Â Ç fMÂyÅl rPÈKÅ
huÄhi tÄidÇPÄ) am nächsten steht. Ç
Die gestörte Z. 7a bietet – soweit erkennbar – Folgendes: hw[uy]
[ . . ] [[ ]] . tuag („Machend Erhabenes . . .“). Damit ist vermutlich wie-
derum auf Gottes Rettungshandeln angespielt. Bezugspunkt ist ein
weiteres Mal (vgl. oben Z. 2a) Jes 12,5: hw ÊÄyÄ tUagÈ iKÇ („denn Erhabenes
hat er getan“). Am Versbeginn ergeht ein Befehl zum Lobpreis JHWHs.

Summe: Der Text von 4Q365 ist um zwei Drittel länger als der maso-
retische. Es werden – soweit Kontexte erkennbar sind – wörtliche An-
spielungen auf innerbiblische Passagen geboten, die zum Teil die
Ägypten-Thematik aufnehmen. Es wird ein Lobpreis auf Gottes Größe,
seine Einzigartigkeit und sein Rettungshandeln in einer kriegerischen
Auseinandersetzung angestimmt. Kultische Bezüge sind gegeben.

3. Debora (Ri 4 – 5)

3. 1 Die Autoritätsperson Debora und Ehefrau des Lapidot

Geht man bei der Darstellung der Debora von den eingangs gewählten
Kriterien aus, ist darauf zu verweisen, dass sie unter Rückbezug auf
ein männliches Familienmitglied vorgestellt wird: Ri 4,4 nennt zu-
nächst den Eigennamen Debora. Im Anschluss hält es der Autor –
interessanterweise – für wichtig zu betonen, dass sie eine Frau ist. Da-
nach wird ihre Profession als Prophetin 34 erwähnt. Erst danach folgt
die Zuordnung zu ihrem Ehemann Lapidot.Ç Schließlich wird ihr Rich- Ç
teramt für Israel angeführt (-taà hjÄpÂw
Ê aihÇ tudiPÇlÅ tw
Ï ÏÃaÈ haÄibÇn hW
ÏÄaÇ hrÄubdÂU
laÈrÄw
Êi
Â Ç ). Auch ihr Amtssitz zwischen Rama und Bet-El findet Erwäh-
nung (4,5).

33 Da allerdings tudë[p einige Unsicherheiten aufweist, könnte hier auch eine Anspie-
lung auf Ps 78,5 vorliegen, wonach Ç Gott sein Gesetz / Verordnung aufgestellt sowie
seine Weisung gesetzt hat (ÕwÊÄ hrÄutu bq
ÊyÎiÅBÂ tUdyÈ Õ qI
Ã Ä uÅ) und den Vätern geboten wurde,
die Kinder zu unterweisen. Somit wäre über 4Q365 für Mirjam sehr wohl Tora-Bezug
möglich. – Diesen Hinweis verdanke ich Markus Witte, wobei anzumerken ist, dass
sich Ps 78 rein auf „Väter“ bezieht.
34 GÖRG, Richter 27, wertet Prophetin als „dtr Zusatz“.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 107

Damit wird Debora als eine Autorität in einer Leitungsfunktion –


zumindest für einen Teil der Nordstämme 35 – eingeführt. Sie ist im
Kriegsfall Entscheidungsträgerin, wobei sie im Auftrag Gottes den
Heerführer (4,6; 5,12), die zu wählende Strategie (4,6) und den Zeit-
punkt zum Angriff (4,14) bestimmt. Hinzu kommt, dass im Lied De-
boras
Ç und Baraks von der Führerschaft durch Frauen die Rede ist
(tuyrÄPÂ yr ÅÊpÂBÇ; 5,2) und Debora sich selbst als Mutter in Israel bezeichnet
(laÈrÄw
ÊÂiÇBÂ ÕaÈ; 5,7).36

3. 2 Die Sängerin Debora

Ri 5,1 nennt nach dem Sieg über Ç die Kanaanäer in erster Linie Debora
als Sängerin eines Liedes (hrÄubDÂ rw ÏÅTÄuÅ; Narrativ Grundstamm, Präfix-
konjugation 3. Person Singular feminin), dem sich Barak anschließt.
V. 3 nimmt die Thematik nochmals auf und präzisiert: „Ich, für JHWH,
ich, ich will singen, ich musiziere für JHWH, den Gott Israels“ (ikÇÊa nÄ
laÈrÄw
ÏÂiÇ ihÈ´laË huÄhilÅ rMÈzÅaÎ hrÄiw
ÏÇaÄ ikÇÊa
n Ä huÄhilÅ). Vergleicht man den Text mit
dem Mirjam-Lied, so sind die Subjekte unterschiedlich. Mirjam hatte in
15,21b den Israeliten befohlen, für JHWH zu singen (huÄhilÅ Uriw ÏÇ), hier
fordert sich Debora unter Betonung ihrer eigenen Person selbst auf zu
singen.
In Ri 5,11 wird weiters berichtet, dass das Volk die Gerechtigkeit
JHWHs besingt (hnt II). Sodann wird Debora in V. 12 vom Volk aufge-
fordert, ein Lied zu singen (riw ÏÇ-irÇBÂDÅ), wird also als Vorsängerin ange-
sehen.

35 Sechs der Nordstämme Ephraim, Benjamin, Machir (= Sohn Manasses), Sebulon,


Naftali, Issachar folgen dem Aufruf zum Krieg gegen König Jabin / Sisera. Ruben,
Gilead, Dan und Ascher werden in Ri 5,15 – 17 wegen ihres unsolidarischen Verhal-
tens im Kriegsfall getadelt.
36 Vgl. 2 Sam 20,19; als analoges männliches Pendant siehe Elija und Elischa (Mein Vater,
mein Vater! Wagen Israels und sein Lenker!) in 2 Kön 2,12; 13,14; außerbiblisch: 6 . . .
„Fürchte dich nicht! 7 [Leb]en soll Achiqar, der Vater ganz Assurs, auf dessen Rat
König Sanher[i]b und das Heer von 8 [ganz] 7 Assur 8 [sich verließen.“] (Achiqar
XVII) aus: KOTTSIEPER, Geschichte 345.
108 RENATE EGGER-WENZEL

3. 3 Kontextuelle Berührungspunkte bei Mirjam und Judit


3. 3. 1 Die Kriegsmaschinerie
Im Lied der Mirjam (Ex 15,21c 37 ) werden die für die Ç Israeliten gefähr-
lichen, feindlichen Waffen „Pferd“ und „Wagen“ (ubkÂr Êu sUs / Ïippon kaiÁ
38
aÆnabaÂthn; vgl. aÏrma ) angeführt. Eingeschlossen ist die ganze Streit-
macht der Ägypter, die Streitwagen sowie Pferde besitzt und damit
hochgerüstet erscheint. Impliziert sind natürlich die auf den Streitwa-
gen des Pharao kämpfenden Soldaten. Diese werden allerdings nur in
der LXX eigens erwähnt.
Bis in die Zeit der Debora hat sich an dem „Kriegsmaterial“ einer
bestens ausgerüsteten Armee nichts geändert. Demgegenüber waren
die Israeliten bei weitem schlechter ausgerüstet. Das Eisenmonopol lag
in fremden Händen. Die Bedrohung durch die Waffengewalt haushoch
überlegener Gegner wird in Ri 4,3 als Anlassfall für dasÇ Auftreten der
Debora genannt: 900 eiserne Streitwagen ( 39 lzÃrÂBÅ-bkÃrà tuamÈ yw ÏÅT / eÆnna-
koÂsia aÏrmata sidhra Ä ) des Sisera. Seit 20 Jahren dienten sie der Unter-
drückung der Israeliten. Im Richterbuch wird explizit zudem die
kämpfende Truppe genannt.
Ähnliche Kräfteverhältnisse werden im Judit-Buch beschrieben.
Mehrfach wird die große Streitmacht des übermächtigen Feindes Ne-
bukadnezzar erwähnt. In Jdt 1,13 richtet sich der Gegner mit „all sei-
nen Pferden und all seinen Streitwagen“ (pa Ä san thÁn Ïippon ayÆtoyÄ kaiÁ
paÂnta taÁ aÏrmata ayÆtoyÄ) gegen einen anderen König, Arphaxad. In 2,19
muss sich der gesamte Westen vor König Nebukadnezzars Streitwa-
gen, Pferden und Soldaten (aÏrmasi kaiÁ iëppeyÄsi kaiÁ pezoiÄw eÆpileÂktoiw
Ä n) fürchten. In 2,22 wird das Bergland als Angriffsziel genannt,
ayÆtv
dem sich Fußtruppen, Pferde und Streitwagen nähern (toyÁw pezoyÁw kaiÁ
toyÁw iëppeiÄw kaiÁ taÁ aÏrmata ayÆtoyÄ). Letztlich trifft es Betulia (7,20): Die
Fußtruppen, Streitwagen und Pferde des Nebukadnezzar (oië pezoiÁ kaiÁ
aÏrmata kaiÁ oië iëppeiÄw ayÆtv Ä n) belagern Judits Heimat und schneiden die
Stadt von der Wasserversorgung ab. Judit nimmt in ihrem Gebet (Jdt
9,2 –14) in V. 7 dieses Szenarium auf, wobei sie Gottes Aufmerksamkeit
auf die Übermacht der stolzen „Assyrer“ lenkt, indem sie von dem
gewaltigen Heer, den Rossen samt Reitern (eÆf’ Ïippvì kaiÁ aÆnabaÂthì) und
weiterer Kriegsausrüstung spricht. Dagegen haben die Bewohner von
Betulia ohne Gottes Hilfe keine Chance.

37 Vgl. Ex 14,6f.9.17f.23.26.28; 15,1.19.21; (Ode 1,1; PsSal 17,33).


38 Vgl. Ex 14,6f.9.17f.23.25f.28; 15,4.19.
39 Vgl. Ri 4,3.7.13.15f; 5,28.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 109

3. 3. 2 Wasser

Wasser drängt sich für den Vergleich als weitere Thematik auf. Wäh-
rend des Exodus der Mose-Schar spielt das Wasser in unterschiedlicher
Hinsicht eine Rolle. Einerseits fehlt es bei der Wanderung durch die
Wüste (Ex 15,22d // 4Q365 6a col. ii und 6c Add. Z. 8c) oder es ist wie
in Mara nicht genießbar (Ex 15,23b.c // 4Q365 6a col. ii und 6c Add.
Z. 9b.c). Der Wassermangel ist Anlass, sich gegen Mose aufzulehnen
(Ex 15,24a.b // 4Q365 6a col. ii und 6c Add. Z. 10a.b). Andererseits ist
das Wasser eine Schöpfungsgegebenheit, die Gott für die Israeliten bei
der Durchquerung des Meeresbodens bändigt, indem er es zu Wänden
aufstaut (Ex 15,19c; 14,22b.29b // 4Q365 f6f Z. 4b.5a). Damit wird der
Mose-Schar eine Fluchtmöglichkeit geschaffen. Die Streitmacht des
Pharao aber macht eine gegensätzliche Erfahrung. Über ihnen bricht
das aufgestaute Wasser zusammen (Ex 15,19b.21d // 4Q365 f6f Z. 3c/
4a) und schützt so die Israeliten vor den Feinden. In Ex 15,10c wird
zudem konstatiert, dass die Ägypter wie Blei in den gewaltigen Was-
sern versunken sind. Erwähnt sei, dass nach 4Q365 6a col. ii und 6c
Add. Z. 5a die Israeliten vor den gewaltigen Wassern umherirrten,
bevor sie den Fluchtweg fanden.
Für Debora hat Wasser ebenfalls unterschiedliche Funktionen: Gott
wird zugunsten der Israeliten tätig, als er nach Ri 5,4 Wasser aus den
Wolken fließen lässt, um die Streitwagen Siseras am Weiterkommen zu
hindern. Für die Truppen des Barak ergibt sich so ein militärischer
Vorteil (5,21f; vgl. 4,15). Demgegenüber verlangt nach Ri 4,19 der flüch-
tige Sisera von Jaël Trinkwasser (vgl. 5,25).
Auch im Buch Judit spielt Wasser eine bedeutsame Rolle. Nachdem
Betulia von den Truppen des Holofernes eingeschlossen ist, sind die
Einwohner von der Wasserversorgung abgeschnitten und leiden Durst
(Jdt 7,19 – 22). In ihrer Verzweiflung lassen sich die Verantwortlichen
der Stadt dazu drängen, Gott ein fünftägiges Ultimatum zu stellen
(7,30 – 32). Andererseits bereitet sich Judit in 10,3 auf ihre Begegnung
mit Holofernes vor, indem sie sich mit Wasser wäscht, um dann par-
fümiert und in Festkleider gehüllt ins feindliche Lager zu gehen. Auch
dort bewahrt sie sich durch ihr nächtliches Bad ihre Reinheit und be-
reitet bei dieser Gelegenheit ihre Flucht vor (12,7).
110 RENATE EGGER-WENZEL

3. 3. 3 Der Sieg über die Feinde durch die „Hand einer Frau“

Dieses Thema kommt bei Mirjam nicht vor. Im Richter- und Judit-Buch
jedoch wird der militärische Sieg durch weibliche Hände errungen.
Insbesondere im Judit-Buch erweist sich die Rettungstat durch die
Frau Judit als Leitmotiv.40
Debora ist die führende Richtergestalt im Kampf gegen den Ka-
naanäerkönig Jabin samt seinem Feldherrn Sisera. Die besondere Rolle
Deboras wird aus folgender Begebenheit ersichtlich. Der Feldherr Ba-
rak weigert sich, allein ohne die Prophetin in den Kampf zu ziehen. Da
betont Debora, dass, wenn sie sich den Soldaten anschließt, Gott den
Sieg in die Hand einer Frau legen werde (-taà huÄhi rK ÊmÂiÇ hW ÏÄaÇ-diÅb iKÇ
arÄsÂisÇ / eÆn xeiriÁ gynaikoÂw; Ri 4,9). Den Schlusspunkt setzt dann eine Mit-
streiterin Deboras. Jaël, die Frau Hebers, dessen Familie eigentlich mit
König Jabin in Frieden lebte, tötet den gegnerischen Feldherrn Sisera
im Schlaf, indem sie einen Hammer in ihre Hand (HdÄiÄB tbà QM à ŠhÅ-taà / thÁn
sfyÄran eÆn th Ä w) nimmt und dem Mann einen Zeltpflock durch
Äì xeiriÁ ayÆth
die Schläfe treibt (4,21). Mit kleinen Varianten beschreibt diesen Vor-
gang auch Deboras Lied in 5,26. Hier streckt Jaël ihre Hand nach dem
Pflock aus und ihre Rechte nach dem Hammer (HnÄimÇiuÇ hnÄxÂlÅw ÏÂTÇ dtÈIÄlÅ HdÅiÄ
ÕilÇmÈyÎ tUmlÂhÅl / xeiÄra ayÆthÄw aÆristeraÁn eiÆw paÂssalon eÆjeÂteinen kaiÁ dejiaÁn
ayÆthÄ w eiÆw sfyÄran kopivÂntvn), um Siseras Schläfe zu durchbohren.
Sowohl im Prosatext als auch im Lied der Debora hat Sisera vorher
Milch (4,19) bzw. Sahne (5,25) getrunken. Warme Milch mit Honig gilt
aufgrund des Wirkstoffes L-Tryptophan auch heute noch als Ein-
schlafhilfe für Kinder.
Ebenso nimmt Holofernes im Judit-Buch Flüssigkeit, sprich Un-
mengen von Wein (eÍpien oiËnon polyÁn sfoÂdra oÏson oyÆk eÍpien pvÂpote eÆn
hëmeÂraì mia Äì aÆf’ oyÎ eÆgennhÂûh; Jdt 12,20) zu sich, der ihn außer Gefecht
setzt. Damit kann Judit den Plan Gottes ausführen und „Hand anle-
gen“, wie sie es bei ihrem Gespräch mit den Ältesten der Stadt in 8,33
angekündigt hatte: eÆpiskeÂcetai kyÂriow toÁn Israhl eÆn xeiri moy. Auch in
ihrem Gebet spricht Judit diese Thematik an und bittet Gott um ge-
nügend Kraft für ihre Hand, um die geplante Tat auszuführen: doÁw eÆn

40 Vgl. DUBARLE, Judith 142f; OTZEN, Tobit 103, der auch Zusammenhänge mit dem
Exodusbuch sieht und sich dabei auf SKEHAN, Hand, bezieht: „Exodus 1 – 15. Just as
God uses Moses’ hand, when Israel is delivered, so he uses Judith’s hand to free his
people. Both Moses and Judith are in post-exilic times seen as oustanding examples
of Jewish piety and as the elect ones used by God as his instruments“; weiters RAKEL,
Judit 118 –124.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 111

xeiri moy thÄ w xhÂraw oÊ dienohÂûhn kraÂtow (9,9). Weiters bittet sie Gott, den
Hochmut der Feinde durch die Hand einer Frau zu zerbrechen:
ûrayÄson ayÆtv Ä n toÁ aÆnaÂstema eÆn xeiriÁ ûhleiÂaw (9,10). Sogar Holofernes
gegenüber erwähnt Judit auf verschleierte Weise ihre Absicht, indem
sie sagt, dass Gott durch ihre Hand vollbringen wird, was er beschlos-
sen hat: poihÂshì kyÂriow eÆn xeiri moy aÊ eÆboyleyÂsato (12,4). Kurz bevor sie
dann zur Tat schreitet, tätigt Judit noch ein Stoßgebet, dass der Gott
aller Macht ihr in dieser Stunde gnädig sein und durch das Werk ihrer
Hände (eÆpiÁ taÁ eÍrga tv Ä n moy) die Erhöhung Jerusalems ermögli-
Ä n xeirv
chen möge (13,4). Daraufhin schlägt Judit dem Feldherrn mit dessen
Schwert den Kopf ab (13,8). Nach ihrer aufsehenerregenden Rückkehr
nach Betulia fordert sie die Anwesenden auf, Gott zu loben, denn
durch ihre Hand seien die Feinde vernichtend geschlagen (aÆll’ eÍûray-
se toyÁw eÆxûroyÁw hëmv Ä n diaÁ xeiroÂw moy; 13,14). Zum Beweis, dass Gott
Holofernes durch die Hand einer Frau erschlagen hat, zieht sie dessen
abgeschlagenen Kopf aus dem Sack und konstatiert: eÆpaÂtajen ayÆtoÁn oë
kyÂriow eÆn xeiriÁ ûhleiÂaw (13,15). Der Hohepriester Jojakim und die Ältes-
ten ehren Judit, als sie sie in ihrer Heimatstadt aufsuchen (15,10). Sie
halten fest, dass all das Gute durch ihre Hand (eÆpoiÂhsaw tayÄta paÂnta eÆn
xeiri soy) über ganz Israel kam. Zu guter Letzt besingt Judit in ihrem
Lied nochmals Gott, den Allmächtigen, weil er die Feinde durch die
Hand einer Frau (eÆn xeiriÁ ûhleiÂaw) der Vernichtung preisgab (16,5).
In diesen Beispielen ist „die Hand einer Frau“ bzw. die „weibliche
Hand“ durch Gottes Bevollmächtigung das „Rettungswerkzeug“, wel-
ches die Israeliten aus äußerster militärischer Not befreit und vor Ver-
nichtung bewahrt.

4. Judit

Mehrere Aspekte der Judit-Geschichte sind bereits bei Mirjam und De-
bora behandelt worden. Es verbleiben folgende Punkte: Die Verortung
Judits in der männlichen Verwandtschaft, ihre Autoritätsposition in
der Gesellschaft, ihr Loblied und die Frage, wie weit Judit als Pro-
phetin angesehen werden kann.
112 RENATE EGGER-WENZEL

4. 1 Verortung Judits in der männlichen Verwandtschaft

Judit wird in zweifacher Weise an ihre Verwandtschaft rückgebunden.


Zum einen wird bei der Einführung ihrer Person in 8,1 eine ausführ-
liche Genealogie 41 in rein männlicher Linie von ihrem Vater Merari
(vgl. 16,6) bis hin zu ihrem Stammvater Simeon bzw. Israel geboten.
Zum anderen wird ihr verstorbener Ehemann Manasse erwähnt, der
zu derselben Sippe und zu demselben Stamm wie Judit gehört (8,2.7).
Ihm verdankt sie ihren Wohlstand (8,7). – Die Heirat innerhalb des
Stammes verweist auf Gesetzestreue (vgl. Num 36,8; Tob 4,12).42 Ge-
rade bei Texten der nachexilischen Zeit ist ja der Nachweis einer legi-
timen Abstammung besonders wichtig.
Denkt man an Mirjam zurück, fanden es die biblischen Autoren
nur erwähnenswert, dass die Prophetin zwei Brüder hat. Ihr Famili-
enstand wird nicht angegeben. Von Debora erfuhr man, dass sie mit
einem gewissen Lapidot verheiratet war, der aber im weiteren Verlauf
der Erzählung keine Rolle spielt. Judits Lebensumstände werden da-
gegen genauer beleuchtet. Von deren Ehemann erfährt man neben der
Abstammung dessen Reichtum, die Umstände seines Todes sowie den
Bestattungsort (8,4).

4. 2 Judits Autorität

Judits Autorität mag teils auf ihrer Abstammung, teils auf ihrer Schön-
heit, teils auf ihrem ererbten Reichtum gründen, aber vor allem wird
ihr zurückgezogener Lebenswandel als Witwe 43 mit der Orientierung
an den kultischen Gepflogenheiten am Jerusalemer Tempel (Jdt 9,1;
12,2.5f.7– 9.19) geschätzt und hervorgehoben. Ihr wird ein guter Leu-
mund ausgestellt (oyÆk hËn oÊw eÆphÂnegken ayÆthÄì rëhÄma ponhroÂn). Vertiefend
kommt hinzu, dass sie überaus gottes(ehr)fürchtig war (oÏti eÆfobeiÄto

41 CORLEY, Judith 73, hebt hervor: „Judith is introduced with a genealogical list of
sixteen male ancestors [. . .] is unparalleled among female characters in biblical
tradition. The narrator wishes to highlight Judith’s importance as a leading figure
whose noble ancestry may be compared to the genealogy of male heroes such as
Abraham or Moses or David (Gen 11:10 – 27; Exod 6 :16 – 20; 1 Chr 2 : 9 –15.“
42 Vgl. HELLMANN, Judit 65.
43 Nach ENGEL, Judit 300: „einmalig im AT!“; vgl. ansonsten die Stellung der Trias
Arme, Witwe und Waise innerhalb der sozialen Randgruppen der damaligen Gesell-
schaft, die zusammen mit den Fremden als schützenswert angesehen wurden (vgl.
z. B. Lev 19,9f; 23,22; Dtn 26,12 – 15; 27,19; KTU 1.16 III 44 – 54); siehe auch EGGER-
WENZEL, Recht.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 113

toÁn ûeoÁn sfoÂdra; 8,8; vgl. 8,31: oÏti gynhÁ eyÆsebhÁw eiË; 16,15f ). Damit ist sie,
wie ZENGER sagt, „der Typus der weisen Frau bzw. der Frau Weisheit
selbst [. . .]. Als schöne Witwe ist sie aber auch Personifikation Jerusa-
lems, der im Exil kinderlos gewordenen Mutter und Witwe Zion (vgl.
Klgl) und zugleich die Geliebte JHWHs, der sie nicht im Stich lässt
(vgl. Jes 62,1– 5)“.44 Die Stadtältesten bescheinigen ihr, dass seit ihrer
frühesten Jugend ihre Weisheit offenbar ist (oÏti oyÆk eÆn thÄì shÂmeron hë
sofiÂa soy proÂdhloÂw eÆstin; 8,29; vgl. 11,20f ).
Als Judit erfährt, dass das Stadtoberhaupt von Betulia Gott ein
fünftägiges Ultimatum aufgrund des Wassermangels stellt, zitiert sie
wie selbstverständlich die Ältesten der Stadt zu sich, um ihnen ins
Gewissen zu reden: Wer seid ihr denn, daß ihr am heutigen Tag Gott auf die
Probe stellt und euch vor allen Leuten an die Stelle Gottes setzt? (8,12). Gott
ist völlig frei in seinem Handeln, ob er Betulia retten oder untergehen
lassen will. Man kann ihn nicht mit einer Fristsetzung zwingen. Judit
ist sich sicher, dass Gott die Israeliten retten wird, denn es gibt nie-
manden im Volk, der, wie in früheren Zeiten, Götzen anbetet (8,16).
Bekennend fährt Judit fort: „Wir kennen keinen anderen Gott als ihn
allein“ (hëmeiÄw deÁ eÏteron ûeoÁn oyÆk eÍgnvmen plhÁn ayÆtoyÄ; 8,20). Das ist für
Judit Begründung genug, um sich Gottes Rettung gewiss zu sein. Fort-
an wird sie selbst in die Durchführung des Gottesplanes eingebunden
und die Sache in die Hand nehmen, was die Stadtoberen selbstver-
ständlich akzeptieren, ohne in Judits Pläne eingeweiht zu sein.
Nach des Holofernes Tod und dem Sieg über die Feinde wird Judit
laut 15,8 –10 vom Hohepriester Jojakim mit den Ältesten ganz Israels
aufgesucht und aufs Höchste geehrt, indem ihr alle politischen Füh-
rungspersonen samt Volk für ewige Zeiten den Segen Gottes wünschen
(eyÆloghmeÂnh giÂnoy paraÁ tv Äì pantokraÂtori kyriÂvì eiÆw toÁn aiÆv
Ä na xroÂnon kaiÁ
eiËpen paÄ w oë laoÂw geÂnoito).
Judit erhält einen ansehnlichen Anteil aus dem geplünderten Lager
der Feinde, insbesondere die Ausrüstungsgegenstände des Holofernes,
ganz so als sei sie ebenfalls eine Soldatin der kämpfenden Truppe oder
gar eine Heerführerin (15,11; vgl. Antiquitates Iudaicae 5,203). Man über-
lässt ihr das erbeutete Zelt des Feldherrn mit allen Kostbarkeiten.
In 15,12 wird Judit von den aus ganz Israel herbeigeeilten Frauen
geehrt. Sodann führt sie zusammen mit den mit einem Siegeskranz

44 ZENGER (Hg.), Stuttgarter Altes Testament 848. Vgl. dagegen die Beschreibung von
MOORE, Judith 61: „– for the sake of her God and her people – a shameless flatterer
(11: 7 – 8), a bold-faced liar (11:12 – 14, 18 – 19), and a ruthless assassin“.
114 RENATE EGGER-WENZEL

geschmückten Frauen den Festreigen an, dem auch die bekränzten


Männer folgen (V. 13). Danach betätigt sich Judit als leitende Sängerin
und stimmt einen Lobgesang an (15,14 – 16,17, siehe unten).
Schließlich wird in Jerusalem drei Monate lang der Sieg gefeiert,
und Judit ist bei den Feierlichkeiten anwesend. Danach zieht sie sich
wieder nach Betulia in ihre gewohnte Umgebung und Lebensform zu-
rück. Solange sie lebte, blieb sie im Land hoch geehrt (eÆgeÂneto kataÁ toÁn
kairoÁn ayÆth
Ä w eÍndojow eÆn paÂshì th Äì; 16,21).
Äì gh
Sogar die Umwelt Israels hatte großen Respekt vor ihr, sodass es
bis über Judits Tod hinaus niemand wagte, die Israeliten auch nur zu
beängstigen (16,25).
Aus dieser Beschreibung wird klar, dass Judit nicht nur in ihrer
Stadtgemeinde als theologisches Korrektiv respektiert wird, dass man
ihr vertrauensvoll völlige Handlungsfreiheit lässt, sondern dass sie
auch für ganz Israel als geachtete Autoritätsperson und – durch Gottes
Hilfe – als Retterin des Landes und Tempels gilt (8,24; 9,8). Die politi-
schen Vertreter Israels, Frauen wie Männer und, über Israels Grenzen
hinaus, auch die Umwelt zollten Judit höchste Anerkennung.

4. 3 Die Vorsängerin Judit (Jdt 15,14 – 16,17)

Dieser Abschnitt beschränkt sich nur auf jene Bezüge, die zum Mirjam-
Lied (Ex 15,20f // 4Q365) bestehen, wobei einige Elemente bereits un-
ter 2. 6 oben abgehandelt wurden.
Nach der Rettung der extrem unterlegenen Israeliten aus höchster
militärischer Gefahr stimmt Judit, ähnlich wie Mirjam und Debora, im
Beisein des ganzen Volkes 45 einen Lobpreis an 46 (eÆjhÄrxen Ioydiû thÁn
eÆjomoloÂghsin tayÂthn eÆn pantiÁ Israhl kaiÁ yëperefvÂnei pa Ä w oë laoÁw thÁn aiÍ-
nesin tayÂthn; Jdt 15,14; vgl. Ex 15,21a eÆjh Ä n Mariam). Judit
Ä rxen deÁ ayÆtv
ermuntert ihr Volk, in ihr Lied einzustimmen und dieses auch musi-
kalisch zu begleiten: eÆjaÂrxete tv
Äì ûev
Äì moy eÆn tympaÂnoiw aÍìsate tvÄì kyriÂvì eÆn
kymbaÂloiw eÆnarmoÂsasûe ayÆtv Äì calmoÂn (16,1; V. 13 yëmnhÂsv tv Äì ûevÄì moy
yÏmnon kainoÂn). Die Pauken (tyÂmpanon) sind ebenso im griechischen Text
des Mirjam-Liedes zu finden.

45 Vgl. Ex 15,20b // 4Q365 f6b Z. 6b.


46 Vgl. RAKEL, Judit 230 – 235.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 115

4. 4 Loblied Judits 47 (Jdt 15,14 – 16,17)

Der rote Faden, der sich durch die Loblieder Mirjams, Deboras und
Judits zieht, ist folgender: Gott beendet Kriege und dafür gebührt ihm
Lobpreis. In Ex 15,21d wird das Kriegsende durch Gottes Handeln
bewirkt. Die Kriegsmaschinerie des Pharao hat Gott ins Meer gewor-
fen. – Das Lied der Debora beschreibt in Ri 5,4 – 5 mögliche Begleiter-
scheinungen einer Theophanie und erzählt Ç in V. 11, dass man die Ge-
rechtigkeit JHWHs besingt (tÊqdÂcÇ huÄhi tuqdÂcÇ UNtÅi / dvÂsoysin dikaiosyÂnaw
kyriÂvì dikaiosyÂnaw ayÍjhson eÆn Israhl), die letztlich den Israeliten zum
Sieg über König Jabin verhilft. Sogar Schöpfungsgegebenheiten wie die
Sterne stehen auf Seiten des Volkes und kämpfen vom Himmel her
gegen den Feldherrn Sisera (V. 20). Auf analoger Ebene kann man den
Bach Kischon interpretieren, der die Feinde fortschwemmt (V. 21). Ein-
deutig ist Ç aber JHWH der Held dieser kriegerischen Auseinanderset-
zung (ÕirÇuBGÇBÅ huÄhiÂ; V. 23). – Judits Preislied drückt in 16,2 explizit aus,
wer den Kriegen ein Ende setzt (Jdt 9,7; vgl. Ps 46,10), wobei er sich
Judits als Werkzeug bedient: ûeoÁw syntriÂbvn poleÂmoyw kyÂriow. Bereits in
Jdt 9,7 hatte Judit in ihrem Gebet diese Gewissheit geäußert (syÁ eiË kyÂ-
riow syntriÂbvn poleÂmoyw; vgl. Ex 15,3.7). RAKEL48 systematisiert die Ge-
meinsamkeiten zwischen dem Richter- und Judit-Buch mit folgender
Tabelle:

A Hymnische Einleitung Ri 5,2 – 3 Jdt 16,1 – 2


B Lobpreis Gottes als Schöpfer Ri 5,4 – 5 Jdt 16,13 – 15b
C Nach(-Erzählung) der Ereignisse Ri 5,6 – 30 Jdt 16,3 – 12
D Bitte um Gottes Gerechtigkeit Ri 5,11 49.31 Jdt 16,15c – 17

4. 5 Judit – eine Prophetin?

Die Frage, ob Judit wie eine von Gott berufene Prophetin anzusehen
ist, soll nun in erster Linie mit dem Text von Jdt 11,19 beantwortet
werden. Der Kontext beinhaltet eine geschichtstheologische Rede Ju-
dits an Holofernes, die mit ironischen Zweideutigkeiten nur so ge-

47 Vgl. GARDNER, Song 417 – 422, wo insbesondere die biblischen Querverbindungen mit
Schwerpunkt auf Ex 15,1 –18 und Ri 5,2 – 31 aufgearbeitet werden.
48 Vgl. RAKEL, Judit 244 – 248.
49 Ri 5,11 ist hier ebenso einzufügen.
116 RENATE EGGER-WENZEL

spickt ist, worauf einzugehen an dieser Stelle nicht der Rahmen ist.
Judit kündigt dem von ihrer Schönheit frappierten Feldherrn in Kapitel
11 an, dass sie ihn durch Judäa bis nach Jerusalem führen und ihn auf
seinen ihm zustehenden Sitz befördern wird. – Genau das wird mit
den Machtsymbolen des toten Holofernes (Moskitonetz und gesamte
Ausrüstung des Feldherrnzeltes) auch geschehen. – Zudem würde er
die Judäer wie Schafe wegführen können, da sie keinen Hirten (oyÆk
eÍstin poimhÂn) haben. – In der Person Judits steht aber Holofernes der
Hirtin Israels von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie ist es, die die
Schafe vor dem Wolf Holofernes retten wird.50 – Um die Zusage an den
Heerführer noch verführerischer zu machen, verspricht ihm Judit, dass
nicht einmal ein Hund ihn verbellen würde, d. h., dass er auf keinen
noch so geringen Widerstand treffen werde. – Da Holofernes zur Gän-
ze betrunken war, musste andererseits Judit nicht mit Gegenwehr rech-
nen, als sie ihm den Kopf abhieb.
All diese verlockenden Aussichten präsentiert Judit dem Holofer-
nes mit der Zusage, dass ihr diese Dinge aufgrund ihres Vorverständ-
nisses mitgeteilt bzw. angekündigt worden seien (tayÄta eÆlalhÂûh moi
kataÁ proÂgnvsiÂn moy kaiÁ aÆphggeÂlh moi). Darüber hinaus sei sie gesandt
worden, um ihm dies zu verkünden (aÆpestaÂlhn aÆnaggeiÄlai soi).51 Damit
ist ihr eine vorausgehende, auf exakter Analyse basierende Erkenntnis
der kommenden Dinge gegeben, wie sie eben Propheten besitzen (vgl.
Am 3,7), um künftige Geschehnisse im Namen Gottes beeinflussen zu
können. Die Frage, von wem Judit gesandt ist, bleibt vorerst offen.
SCHMITZ meint hierzu: „[. . .] die Formulierung klingt nach einem pas-
sivum divinum, aber die Aussage ist auffallender- und zugleich richti-
gerweise nicht als Gottesaussage eindeutig gemacht“,52 wobei sie den-
noch auf ein Kommunikationsmodell Judits verweist (Jdt 11,5d.8b.
9e.15b), nachdem Gott „ihr die Inhalte angekündigt und sie gesandt“
habe.
Die Heldin spricht bereits in ihrem Gebet in 9,6 davon, dass Gott
den Ablauf der Geschichte bestimmt, so auch die gegenwärtige Si-

50 ZENGER, Judit 502, verweist darauf, dass „die Herde ohne ihren Hirten [. . .] ein
verbreiteter Topos im Alten Orient und in Ägypten“ ist (vgl. Num 27,17; 1 Kön 22,17;
Ez 34,5; Sach 11,16; 13,7) und sieht im Bild schon die flüchtenden Assyrer nach dem
Tod des Holofernes vorgezeichnet.
51 Vgl. Moses Beauftragung durch Gott (aÆposteÂllv / xlw Ï): Ex 3,14f; 4,13.28; 5,22; 7,16
und öfter; Berufung des Jesaja: Jes 6,8; Jer 7,25 etc.
52 SCHMITZ, Geschichte 345.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 117

tuation mit der Bedrohung durch das Heer des Nebukadnezzar und
ebenso die Zukunft. Damit ist Gottes Gericht als weltumspannende
Regentschaft Bestandteil seiner vor allem liegenden Erkenntnis (hë kriÂ-
siw soy eÆn prognvÂsei).
Das Nomen proÂgnvsiw (in der Einheitsübersetzung mit Sehergabe
übersetzt) findet sich nur 2-mal im Alten Testament 53 und das im Buch
Judit. Sucht man weiters nach dem zugehörigen Verb, so ist der Ertrag
auch nicht umfangreicher. proginvÂskv ist lediglich 3-mal 54 im relativ
späten Buch der Weisheit nachzuweisen: Weish 6,13 gehört zu einer
Passage, die anmahnt, die Weisheit stets zu suchen. Wer dies tut, dem
gibt sie vorausgehende Erkenntnis. Ruft man sich Judits offensichtliche
Weisheit von Jugend an in Erinnerung (Jdt 8,29), ist es nicht verwun-
derlich, wenn sie eine solche Erkenntnis besitzt. Weish 8,8 steht im
Kontext von Weisheit, die als Lehrerin der Tugend auftritt. Sie ermög-
licht einen reichen Erfahrungsschatz aus der Vergangenheit, ist der
kommenden Dinge gewärtig, befähigt zur Eloquenz, vermag Zeichen
zu deuten, kann außergewöhnliche Ereignisse vorherwissen (progi-
nvÂskv) 55 und kennt den Ausgang der Zeiten. Weish 18,6 steht inmitten
eines Geschichtsrückblickes (Weish 18,5 – 19,22), der just das Exodus-
geschehen bietet, angefangen mit der Erinnerung an die Ermordung
der Erstgeburt bei den Israeliten, über die ägyptischen Plagen, die Ret-
tung am Meer bis hin zum Aufstand des Korach, Datan und Abiram in
unterschiedlicher Reihenfolge.
Jene Nacht (eÆkeiÂnh hë nyÂj; vgl. Ex 12,42) des mit dem ersten Pascha
beginnenden Exodus wurde den Israeliten im Vorhinein zur Kenntnis
gebracht (proginvÂskv), denn sie sollten voll Zuversicht dem göttlichen
Versprechen folgen können.
Somit könnte man schließen, dass Judit aufgrund ihrer von frühes-
ter Jugend an geschenkten Weisheit zu vertiefter Einsicht befähigt ist,
wegen der besonderen Beauftragung die Entwicklung um Holofernes
richtig beurteilen und diese Erkenntnis auch korrekt formulieren kann.
Nebenbei sei erwähnt, dass Achior, als er Holofernes von dem
Feldzug gegen Israel abbringen will, mit der Bemerkung verspottet

53 Vgl. Apg 2,23; 1 Petr 1,2.


54 Vgl. Apg 26,5; Röm 8,29; 11,2; 1 Petr 1,20; 2 Petr 3,17.
55 Seit Ben Sira übernimmt die Weisheit und damit der Personenkreis der Weisen die
Rolle der Propheten (vgl. REITERER, Prophet 172; MARBÖCK, Jesaja 134; PERDUE, Wis-
dom Literature 232f; und öfter).
118 RENATE EGGER-WENZEL

wird, dass er sich im Beratergremium als Prophet aufspielt (kaiÁ tiÂw eiË syÂ
Axivr kaiÁ . . . oÏti eÆprofhÂteysaw eÆn hëmiÄn kaûvÁw shÂmeron; 6,2). Damit
scheint er das prophetische Pendant zu Judit 56 zu sein, nur hat er klare
Worte gesprochen, während Judit mit Doppeldeutigkeit ihre Aussage
verschleiert.

5. Zusammenfassung

Festzuhalten ist, dass zwischen den Texten des Buches Exodus, insbe-
sondere Ex 15, dem Richterbuch mit den Kapiteln 4 – 5 und dem Buch
Judit (Kapitel 8 – 9; 15 –16) Bezüge bestehen. Diese Bezüge sind nicht
nur inhaltlicher Art – wie oben gezeigt werden konnte –, sondern ge-
hen bis zu wörtlichen Formulierungen und gemeinsamen Wortfeldern
hin. Insbesondere sind die unter leitender Funktion einer Frau vorge-
tragenen Lobgesänge (Ex 15 – Ri 5 – Jdt 16), die jeweils nach überstan-
dener Kriegsnot mit dem Volk gesungen werden, zu nennen. Gerade
der Autor des Judit-Buches kann auf die heroischen Gestalten aus der
Vorzeit zurückblicken. Die weiblichen Figuren Debora und Jaël (vgl. Ri
9,53) – aus der Richterzeit stammend – werden mit ihrem mutigen
Auftreten für die Darstellung der weisheitlich geprägten Heldin Judit
Patin gestanden haben.57
Eine formale Übersicht soll die bisher gesammelten Beobachtungen
verdeutlichen:

56 Vgl. ROITMAN, Achior 35f.43 Anm. 31. – Weiters wird Judit nach WÜNSCHE, Israels
Lehrhallen 183 (JELLINEK [Hg.], Bet ha-Midrasch 130f ), als eine „unter den Töchtern
der Propheten in Jerusalem“ bezeichnet.
57 Vgl. HELLMANN, Judit 96 – 103, welche diesen Abschnitt als „Judit – eine zweite De-
bora?“ betitelt; WHITE, Steps 5, stellt Judit in eine Linie von „leading female charac-
ters“ mit „Miriam, Deborah, Jael, the wise women of Tekoa and Abel-beth-Maacah,
and Ester“ dar; CORLEY, Judith 76 – 84, sieht Aspekte von weiblichen (Sara, Dina,
Mirjam, Jaël, Debora, Delila, Abigajil, Ester, Alexandra Salome) und männlichen Pro-
totypen (Abraham, Simeon, Moses, Ehud, Simson, David, Daniel, Judas Makkabäus)
in Judit vereinigt; siehe weiters OTZEN, Tobit 75f. Auch das rabbinische Schrifttum
bringt bei der Beschreibung Judits ihre Nähe zu Debora zum Ausdruck, so z. B. mit
dem Verweis auf die von Debora bekämpften Jabin samt Sisera (168) und mit der
Bezeichnung Judits als „Mutter in Israel“ (180; siehe Ri 5,7; 2 Sam 20,19; vgl. oben
3. 1) in WÜNSCHE, Israels Lehrhallen. – Im Grunde werden im Judit-Buch einzelne
Züge von Debora und Jaël in einer Person zusammengefügt.
Mirjam, Debora und Judit – eine Prophetinnentradition? 119

Mirjam Debora (Ri 4 – 5) Judit

Bezeichnung haÄibÇn / profhÄtiw proÂgnvsiw


Berufungserlebnis – – –
Sendung Mi 6,4: 4,4: 11,19:
(vgl. Anm. 51) xlw
Ï / eÆjaposteÂllv laÈrÄw
ÊÂiÇ-taà hjÄpÂÊ
Ï
w / aÆposteÂllv
eÍkrinen toÁn Israhl
Autorität Num 12,2; Mi 6,4 4,4f; 5,2.7 8 (V. 29); 15 – 16
Botschaft – 4,6.14 8,11 – 27; 11,19
politisch- Mi 6,4 Befreiung von Befreiung von
militärische Auf- Jabin / Sisera, Nebukadnezzar /
gabe zur Rettung den Kanaanäern Holofernes,
(Gericht Gottes) den Assyrern
(Prüfung Gottes)
Zurechtweisung Num 12,1 4,9 Barak Jdt 8 Stadtober-
Mose 58 5,8.15 – 17 häupter Betulias
Ruben, Gilead,
Dan, Ascher
Mittlerfunktion Num 12,2 4,6.14 8 – 12
Tora-Vermittlung – Segen (5,2.9) und 11,9 – 19 59
Fluch (5,23) zu (Lev 22,10.15f)
wählen 60 (Lev 26;
Dtn 28)

Die in der vorangehenden Tabelle zusammengestellten Merkmale einer


Prophetenpersönlichkeit weisen also allen drei alttestamentlichen Frauen
einen Platz in der Prophetentradition zu. Obwohl von keiner der drei
Frauen ein ausdrückliches Berufungserlebnis zur Prophetin geschildert
wird, sind die termini technici für ihre prophetische Tätigkeit eindeutig.
Als Autoritäten für ihre jeweilige Gesellschaft fällt ihnen eine politisch-

58 TRIBLE, Miriam 175, merkt an: „[. . .] the problem of the Cushite wife yields quickly to
a prophetic matter. If the cultic purity of Moses can be criticized, then his supreme
authority can be disputed“.
59 Vgl. BUTTING, Prophetinnen 110.
60 Mit Jdt 11,12 findet sich der einzige Beleg für noÂmow im Buch; vgl. Judits Gesetzes-
treue beschrieben bei HELLMANN, Judit 126 – 131. ENGEL, Judit 296, geht in seiner
Beschreibung noch einen Schritt weiter: „[. . .] ist Judit als persönlich, gesellschaftlich
und wirtschaftlich unabhängige, selbständig und klug handelnde Frau, als überzeu-
gend argumentierende Weisheitslehrerin und als ermutigende Theologin gezeichnet,
die sich in Schrift und Tradition Israels hervorragend auskennt“.
120 RENATE EGGER-WENZEL

militärische Aufgabe zu. Zudem betätigen sie sich als theologisches


Korrektiv für die Führungselite und übernehmen damit eine Mittler-
funktion zwischen Gott und Mensch, indem sie das geoffenbarte Got-
teswort zum alleinigen Maßstab allen Handelns machen. Das sind ein-
deutig Qualitäten, die Propheten zugeschrieben werden. Damit kann
man die eingangs gestellte Frage, ob Judit als prophetische Gestalt an-
gesehen werden kann, mit „ja“ beantworten.

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Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45
LXX und Theodotion
HEINZ-DIETER NEEF

1. Einleitung
Das Daniel-Buch ist uns in zweifacher griechischer Form überliefert:
LXX und Theodotion. Diese Doppelüberlieferung stellt die Forschung
nun allerdings vor das Problem, dass die frühe christliche Kirche den
LXX-Text zugunsten des sogenannten Theodotion-Textes aufgab. Sie
verwarf den Septuagintatext, um ihn durch die wortgetreuere grie-
chische Übersetzung Theodotions (ca. 180 n. Chr.) zu ersetzen.
Der Kirchenvater Hieronymus bereits gesteht, dass er die Gründe
für die Aufgabe der LXX nicht kennt: „Hoc cur acciderit nescio.“ Als
Vermutung fügt er hinzu: „Hoc unum affirmare possum, quod multum
a veritate discordat et recto iudicio repudiatus sit.“
Die unmittelbare Folge der Bevorzugung des Theodotion-Textes
war, dass der LXX-Text fast ganz in Vergessenheit geriet. Er war bis ins
17. Jahrhundert hinein nur in kleinen Fragmenten aus Kirchenväter-
Zitaten bekannt. Er konnte erst durch die Entdeckung einer Minuskel-
handschrift des 10. Jahrhunderts (Codex Chisianus = 88) wieder auf
eine bessere Grundlage gestellt werden. Durch die Entdeckung des
Papyrus 967 in jüngster Zeit konnte dann Daniel komplettiert werden.
967 kann jetzt wie eine vollständige Handschrift behandelt werden. In
dem von Olivier Munnich verantworteten Band „Susanna – Daniel –
Bel et Draco“ im Rahmen der Göttinger Septuaginta-Ausgabe liegt
nunmehr eine hervorragende kritische Ausgabe vor. Vergleicht man
nun LXX und Th miteinander, so fällt bezüglich von Daniel Kapitel 3
Folgendes auf: LXX und Th schieben zwischen Dan 3,23 und 3,24 ins-
gesamt 66 Verse ein: die Einleitung in V. 24f, das Gebet des Asarja in
V. 26 – 45, den Bericht vom Feuertod der Chaldäer in V. 45 – 51 und den
Schöpfungshymnus in V. 52 – 90. Der Einschub endet in V. 91a.1

1 Zu den Einschüben im Daniel-Buch siehe die informative Einleitung bei MITTMANN-


RICHERT, Erzählungen 114 – 138. – Das oben genannte Hieronymus-Zitat findet sich
bei BLUDAU, Übersetzung 6f.
124 HEINZ-DIETER NEEF

Von diesen Einschüben möchte ich in meinem Vortrag etwas ge-


nauer auf das Gebet des Asarja in V. 26 – 45 eingehen. Hier bestehen in
vielen Fragen hinsichtlich des Aufbaus, der theologischen Aussage,
des traditionsgeschichtlichen Hintergrundes sowie der ursprünglichen
Fassung des Gebetes unterschiedliche Meinungen. Einigkeit besteht
allerdings in der neueren Forschung darüber, dass das Gebet zusam-
men mit den anderen Teilen nicht ursprünglich zu Dan 3 des masore-
tischen Textes gehört hatte. Diese noch in den alten Einleitungen in das
Alte Testament sowie den Daniel-Kommentaren des 19. Jahrhunderts
vertretene Meinung von EICHHORN,2 GOETTSBERGER 3 und anderen ist
inzwischen mit meines Erachtens überzeugenden Argumenten wider-
legt worden. Folgende Argumente sprechen für die Annahme eines
Einschubes:
a. Zwischen V. 23 und V. 24 besteht keineswegs eine einschneidende
Textlücke, allenfalls eine „Ruhepause“ im Text, wie es CURT KUHL
treffend ausgedrückt hat.4
b. Der Inhalt des Gebets hat nicht das Mindeste gemein mit der Lage,
in der sich die befinden, von denen es ausgegangen sein soll. Das
Gebet des Asarja ist ja in weiten Teilen ein Bekenntnis zur eigenen
Schuld. Von Schuld ist jedoch in der hebräischen Erzählung über-
haupt nicht die Rede. Ganz im Gegenteil! Die jüdischen Männer
werden ja wegen ihres treuen Bekenntnisses zu ihrem Gott verur-
teilt und in den Ofen geworfen. Bei dem Gebet aber handelt es sich
um ein Bekenntnis zur Gerechtigkeit Gottes, die sich in dem schwe-
ren Gericht geoffenbart hat.5
c. In der LXX ist der Name der drei Männer Hananja, Asarja und
Michael im Unterschied zur masoretisch-aramäischen Erzählung,
wo sie Schadrach, Meschach und Abed-Nego heißen.6
Einigkeit besteht in der neueren Forschung auch in der Datierung des
Asarja-Gebetes in die Zeit (169 – 167 v. Chr.) des Königs Antiochus IV.
Epiphanes. In V. 34 LXX wird die Bitte formuliert, aus der Hand des
Gottlosen, des Ungerechten und Tyrannen erlöst zu werden. Der Bezug
auf Antiochus liegt hier deshalb nahe, weil er in den Makkabäer-
büchern als der „gottloseste aller Bösewichte“ und „größter Verbrecher
der Menschheit“ tituliert wird.

2 EICHHORN, Einleitung IV, 527.


3 GOETTSBERGER, Daniel.
4 KUHL, Männer 85.
5 KUHL, Männer 89; COLLINS, Daniel 203.
6 KOTTSIEPER, Zusätze 222.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 125

Die Diskussion um die griechischen Zusätze in Dan 3 ist nun in


jüngster Zeit durch die Arbeiten von KLAUS KOCH wieder aufgeflammt.
Er nahm in seinem in vielerlei Hinsicht beeindruckenden Kommentar
zu Dan 1– 4 die von M. GASTER 1894/95 vertretene These auf, dass
dem Asarja-Gebet ein aramäischer Urtext zugrunde liege. Diesen Ur-
text glaubte Gaster in einer mittelalterlichen Handschrift gefunden zu
haben. In einer Jerachmeel zugeschriebenen Weltchronik aus dem
11./12. Jahrhundert n. Chr. wird unter anderem eine hebräische Über-
setzung der aramäischen Daniel-Kapitel eingefügt. Danach wird als ein
Traktat eine aramäische Fassung des Zusatzes in Kapitel 3 wiederge-
geben. Der aramäische Text wird als ein Fragment aus einer unbekann-
ten früheren Quelle gesehen. Dieser Text sei, so GASTER und KOCH, die
Vorlage für das Gebet des Asarja.
Auf dem Hintergrund dieser Forschungssituation möchte ich mich
nun dem Gebet des Asarja zuwenden, nach seiner Gliederung, seiner
Form, seinem traditionsgeschichtlichen Hintergrund sowie seiner theo-
logischen Intention fragen. Ein Schwergewicht möchte ich dabei auf
die traditions- und motivgeschichtliche Fragestellung legen.

2. Übersetzung, Gliederung und Form


26 Gepriesen bist du, Herr, Gott unserer Väter,
und lobwürdig und verherrlicht ist dein Name bis in die Ewigkeiten.
27 Denn du bist gerecht in allem, was du an uns 7 getan hast,
und alle deine Werke sind wahr, und deine Wege sind gerade,
und alle deine Beurteilungen sind wahr.
28 Und Urteile von Wahrheit hast du gemacht
bei allem, was du über uns gebracht hast,
und über deine 8 heilige Stadt, die unserer Väter, Jerusalem,
denn mit Wahrheit und Beurteilung hast du dieses alles über (uns)
gebracht wegen unserer Sünden.
29 Denn wir haben in allem 9 gesündigt und gesetzwidrig gehandelt, indem
wir uns von dir entfernten,
und wir haben uns in allem versündigt.
30 Und den Geboten deines Gesetzes 10 haben wir nicht gehorcht,
und haben (sie) nicht bewahrt und nicht getan,
wie du uns geboten hast, damit es uns gut gehe.

7 „an uns“ fehlt bei Th.


8 „deine“ fehlt bei Th.
9 „in allem“ fehlt bei Th.
10 „deines Gesetzes“ fehlt bei Th.
126 HEINZ-DIETER NEEF

31 Und nun,11 alles, was du über uns gebracht hast,12


hast du durch eine wahre Beurteilung getan.
32 Und du hast uns in die Hände unserer 13 gesetzlosen Feinde und ganz
feindseliger Abtrünniger ausgeliefert,
und einem ungerechten König, dem bösesten auf der ganzen Erde.
33 Und nun steht es uns nicht zu, den Mund zu öffnen;
Schande und Schmach widerfuhr deinen Dienern und denen, die dich
verehren.
34 Liefere uns doch nicht endgültig aus wegen deines Namens,
und deinen Bund löse nicht auf.
35 Und entferne deine Barmherzigkeit nicht von uns
wegen Abraham, dem von dir Geliebten,
und Isaak, deinem Knecht,
und Israel, deinem Heiligen.
36 Wie 14 du zu ihnen 15 gesprochen hast,
(du werdest) ihren Samen sehr zahlreich machen, wie die Sterne des
Himmels an Menge 16
und wie der Sand am Strand des Meeres.
37 Denn, Gebieter, wir wurden kleiner gemacht als alle Völker,
und wir sind heute niedergeschlagen auf der ganzen Erde wegen unserer
Sünden.
38 Und es gibt in dieser Zeit keinen Herrscher und Propheten und Anführer,
weder Ganzopfer noch Brandopfer noch Opfergabe noch Räucheropfer
noch einen Ort, Früchte vor dir darzubringen und Barmherzigkeit zu
finden.
39 Aber mit zerbrochener Seele und niedergeschlagenem Geist mögen wir
angenommen werden.
40 Wie beim Ganzopfer von Widdern und Stieren
und (wie bei) Zehntausenden von fetten Lämmern,
so geschehe unser Brandopfer heute vor dir,
denn keine Schande ist bei denen, die auf dich vertrauen,
um so ,deinen Zorn zu beenden’.17
41 Und nun folgen wir (dir) mit unserem 18 ganzen Herzen nach und fürchten
dich und suchen dein Angesicht.

11 „und nun“ fehlt bei Th.


12 „und alles, was du uns getan hast“ fehlt bei LXX im Unterschied zu Th.
13 „unserer“ fehlt bei Th.
14 „wie“ fehlt bei Th.
15 „zu ihnen“ fehlt bei Th.
16 „an Menge“ fehlt bei Th.
17 Textänderung, siehe dazu unten.
18 „unserem“ fehlt bei Th.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 127

42 Beschäme uns nicht,


sondern tue mit uns entsprechend deiner Nachsicht
und der Fülle deiner Barmherzigkeit.
43 und befreie uns, deinen Wundern entsprechend,
und gib deinem Namen Herrlichkeit, Herr!
44 Und alle mögen umkehren, die gegenüber deinen Knechten Böses an den
Tag legen,
und sie mögen von jeder Herrschaft beschämt werden,
und ihre Stärke möge zerbrochen werden.
45 Sie sollen erkennen, dass du allein der Herr bist
und voller Herrlichkeit auf der ganzen bewohnten Erde.

2. 1 Zum Vergleich von LXX und Theodotion

Vergleicht man die Fassungen von LXX und Theodotion miteinander,


so fällt, anders als bei Dan 4 – 6, die hohe Übereinstimmung beider
Versionen auf.19 Beide sind mehr oder weniger identisch. Es lässt sich
lediglich beobachten, dass die Septuaginta gegenüber Theodotion ei-
nen leicht erweiterten Text hat. Diese Erweiterungen beziehen sich al-
lerdings nur auf kleine Zusätze wie etwa „an uns“ in V. 27, „deine“ in
V. 28 oder „und nun“ in V. 31. Die Zusätze beziehen sich in der Mehr-
zahl der Fälle auf die Hinzufügung von Possessivpronomina (V. 28.30)
und Objekten (V. 27.31.36). Der größte Unterschied findet sich in V. 31,
wo ausnahmsweise Theodotion einen längeren Text als Septuaginta
hat. Theodotion hat hier noch die Bemerkung „und alles, was du (sci-
licet Gott) über uns gebracht hast.“
Diese erste Beobachtung am Text führt zunächst zu der Annahme,
dass bezüglich des Gebetes des Asarja keine unterschiedlichen und
divergierenden Überlieferungen zu erkennen sind. Die These einer ge-
meinsamen Grundlage ist sehr wahrscheinlich.

2. 2 Zur Gliederung

Das Gebet des Asarja lässt sich in drei große Teile gliedern: V. 26 – 32,
V. 33 – 40 und V. 41– 45.
Der erste Abschnitt V. 26 – 32 wiederum besteht aus drei Unterab-
schnitten: Im ersten dieser Unterabschnitte V. 26 – 28 geht es um das
Rühmen Gottes. Hier dominieren hymnische Elemente in V. 26 ebenso

19 Vgl. dazu NEEF, Hybris.


128 HEINZ-DIETER NEEF

wie die Auflistung der Eigenschaften und Taten Gottes in V. 27 – 28:


Gott ist gerecht, er tut wahre Werke, seine Wege sind gerade, er übt
Urteile von Wahrheit. Im zweiten geht es um das Schuldeingeständnis
des Volkes: „Denn wir haben in allem gesündigt“, so wird V. 29 eröff-
net. In V. 29 und 30 ist das Subjekt das „wir“ der Gemeinde: „wir
haben (. . .) gesündigt und gesetzwidrig gehandelt, indem wir uns von
dir entfernten.“ Schließlich wird in V. 31f im dritten Unterabschnitt
Gottes Gerichtshandeln als richtig dargestellt. Die Auslieferung an die
Feinde und die damit entstandene Notlagenschilderung wird aus-
drücklich als gerecht bezeichnet: „alles, was du über uns gebracht hast,
hast du durch eine wahre Beurteilung getan.“ So lässt sich in diesem
ersten Unterabschnitt der Dreischritt vom „Du“ Gottes über das „Wir“
der Gemeinde zurück zum „Du“ Gottes beobachten.
Der zweite Abschnitt V. 33 – 40 hat das Bekenntnis zu dem gerech-
ten Gott zum Inhalt. V. 33 beschreibt die Situation der Frommen, die
Schande und Schmach erfahren mussten. Es folgen in V. 34 – 35 insge-
samt drei Bitten, die an die Treue Gottes gegenüber seinem Volk ap-
pellieren. Dazu werden Abraham, Isaak, Israel und ihre Nachkommen-
schaft als Bürgen von Gottes Verheißung genannt. Es folgen in V. 37 – 38
Schilderungen der gegenwärtigen Not, die sich vor allem in dem Feh-
len von Herrschern, Propheten und Anführern sowie der Unmöglich-
keit von Opfern konkretisiert. Der Abschnitt schließt mit der Hoffnung
der Annahme durch Gott.
Ebenso wie der zweite Abschnitt beginnt der dritte in V. 41 mit
„und nun“ (kaiÁ nyÄn). Die Frommen verpflichten sich dazu, Gott zu
folgen, zu fürchten und zu suchen (V. 41). Sie bitten ihn, sie nicht zu
beschämen, seiner Barmherzigkeit gemäß zu handeln, sie zu befreien
und seinem Namen Herrlichkeit zu geben (V. 42f ). Die Schlussbitte
besteht in dem Wunsch der Umkehr von allen, auch den Feinden, da-
mit sie erkennen, dass Gott allein Herr ist (V. 44f ).
Als erstes Fazit bezüglich der Gliederung des Asarja-Gebetes lässt
sich festhalten, dass es einen klaren und überlegten Aufbau zeigt. Die-
se Beobachtung kann noch durch formale Elemente erhärtet werden.

2. 3 Zur Form

Ein wesentliches formales Kennzeichen des Gebetes ist die Einführung


eines Themas und dessen oft mehrfache Wiederaufnahme im Gebet. So
ist in V. 26 von der Verherrlichung Gottes die Rede, dasselbe Motiv
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 129

begegnet mit gleichem Vokabular am Ende in V. 43 und 45 (doÂja).


Ebenso ist am Anfang und am Ende von dem zu verherrlichenden
Namen Gottes die Rede (V. 26.43.45). Man kann von daher zu Recht
von der Stilfigur der inclusio des Gebetes sprechen.
Auffallend ist auch, dass V. 26 in leichter Abwandlung in V. 52 am
Anfang des Schöpfungshymnus der drei Männer im Feuer zitiert wird:
„Gepriesen bist du, Herr, Gott unserer Väter, und lobwürdig und über alle
Maßen erhöht bis in die Ewigkeiten. Und gepriesen ist dein heiliger, herr-
licher Name, und über alle Maßen lobwürdig und erhöht bis in alle Ewig-
keiten.“
Die doppelte Verwendung dieses Hymnus spricht dafür, in ihm eine
Art Grundsatzerklärung zu sehen, unter der alle anderen Verse des
Asarja-Gebetes und des Schöpfungshymnus gelesen werden sollen.
In V. 27 ist davon die Rede, dass Gottes Werke wahr, seine Wege
gerade und alle seine Beurteilungen wahr seien. Diese Aussage wird
im Gebet in V. 28 und V. 31 in leichter Abwandlung aufgenommen.
Ebenso ist von dem Preisen seiner Werke im Schöpfungshymnus der
drei Männer in V. 57 die Rede.
V. 28 endet mit dem Hinweis darauf, dass die Strafe deshalb über
das Volk gebracht wurde, weil es gesündigt hatte. V. 29 knüpft daran
unmittelbar an: „Denn wir haben in allem gesündigt“. Auch hier kann
man von einer inclusio oder Verklammerung zweier Verse sprechen. In
ähnlicher Weise sind V. 38 – 40 verbunden, da sie durch den Hinweis
auf die Unmöglichkeit von Opfergaben verknüpft sind.
Der zweite und dritte Abschnitt des Gebetes, V. 33 – 40 und 41 – 45,
wird jeweils mit „und nun“ (kaiÁ nyÄn) eingeführt.
In V. 33 ist von „Schande und Schmach“ die Rede, die den Dienern
Gottes widerfuhr. Das Stichwort „Schande“ (aiÆsxyÂnh) wird dann in
V. 40 und 42 wieder aufgenommen.
Als Schlussfolgerung aus diesen Beobachtungen lässt sich festhal-
ten, dass die formalen Beobachtungen zum Asarja-Gebet die Annahme
eines klaren und überlegten Aufbaus des Gebetes stützen.

3. Traditions- und motivgeschichtliche Beobachtungen


In diesem Abschnitt möchte ich den Bezügen des Asarja-Gebetes zu
alttestamentlichen Texten nachgehen. Schon die erste Lektüre des Ge-
betes lässt seine Durchdringung mit biblischen Bildern, Anspielungen
und Motiven vermuten. Diese Beobachtung soll im Folgenden erläutert
und erhärtet werden.
130 HEINZ-DIETER NEEF

V. 26: Er beginnt mit der klassischen hymnischen Anrufung Gottes


in der 2. Person Singular masculinum: „Gepriesen bist du, Herr“. Diese
Anrufung findet sich exakt in gleicher Weise in Ps 119,12 sowie in dem
Dankgebet Davids in 1 Chr 29,10: huhi hta Óurb. Die Rede vom Preisen
Gottes bestimmt auch die Einleitung des Lobgesanges der drei Männer
im Feuer in 3,53 – 56: „Gepriesen bist du (. . .)“.20
Die hymnische Anrufung des Herrn wird zudem noch durch das
Epitheton „Gott unserer Väter“ präzisiert. Diese Rede ist im Alten Testa-
ment vor allem im Deuteronomium geläufig, wie etwa Dtn 1,11.21; 26,7
und viele andere Stellen im Buch zeigen. Dabei wechselt das Suffix bei
„Väter“, es kann dasjenige der 2. Person Singular masculinum, 2. Per-
son Plural masculinum und 1. Person Plural commmunis sein. In dem
bereits zitierten Gebet Davids in 1 Chr 29,10 findet sich ebenso der
Hinweis auf den Vatergott: „Gelobt seist du, Herr, Gott Israels, unseres
Vaters, von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Diese Stelle des David-Gebetes
steht Dan 3,26 inhaltlich und sprachlich sehr nahe. Die weiteren hym-
nischen Elemente „lobwürdig und verherrlicht ist dein Name“ haben
eine enge Parallele in Ps 113,3, wo es heißt: „Vom Aufgang der Sonne
bis zu ihrem Niedergang sei gelobt der Name des Herrn!“ Die adver-
bielle Bestimmung der Zeit am Versende „bis in die Ewigkeiten“ erin-
nert ebenfalls stark an die Psalmen. Ich nenne nur Ps 9,6; 145,1.2.21.
V. 27: Der Vers betont die Eigenschaften und Taten Gottes, in be-
sonderer Weise seine Gerechtigkeit. Dies ist eine bekannte Aussage vor
allem in den Psalmen. „Gerecht bist du, Herr, und deine Urteile sind
richtig“ heißt es etwa in Ps 119,137. In ähnlicher Weise geschieht dies in
Ps 129,4; 145,17 und anderen Psalmenstellen.21 Als allernächste Paral-
lele zu Dan 3,17 lässt sich Ps 111,7f nennen: „Die Werke seiner Hände
sind Wahrheit und Recht; alle seine Ordnungen sind beständig. Sie
stehen fest für immer und ewig; sie sind recht und verlässlich.“ Ebenso
wie in Dan 3,27 ist von Gottes Werken die Rede, die recht und gerade
sind. Außer den Psalmen zeigt der Vers große Übereinstimmungen in
Wortwahl und Inhalt mit nachexilischen Texten wie Esr 9,15 und dem
Bußgebet des Volkes in Neh 9,8.33.
V. 28: Der Vers rühmt die „Urteile von Wahrheit“, die der Herr
über die Beter und die heilige Stadt Jerusalem gebracht hat. Ebenso wie
in V. 27 gibt es hier enge Berührungen mit den Psalmen; ich nenne nur
Ps 19,10; 25,9f; 111,7. Der Hinweis auf Jerusalem als der heiligen Stadt

20 Vgl. auch 1 Makk 4,30; 2 Makk 1,17.


21 Vgl. noch Ps 5,13.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 131

findet sich in den Psalmen 46,5; 48,2.9; 87,3 ebenso wie in Jes 52,1;
60,14; Neh 11,1 und JesSir 24,11. Leider wird nicht näher konkretisiert,
woran gedacht ist. An Abrahams Opfer auf dem Berg Morija, der in
2 Chr 3,1 mit dem Tempelberg gleichgesetzt wird? An die ersten
Könige David und Salomo, die die Stadt gründeten und ausbauten?
V. 29: Der Hinweis auf die Schuld des Volkes verbindet V. 29 mit
V. 28. Jetzt wird der Übergang vom Hymnus Gottes zur Schuld der
Beter vollzogen. Ebenso wie in den vorangehenden Versen ist von der
Sünde in einer Trias die Rede: „wir haben (. . .) gesündigt“ (zweimal),
„wir haben gesetzwidrig gehandelt“, wobei die erste Notiz wiederholt
wird. Eine ähnliche Trias findet sich in Ps 106,6: „Wir haben gesündigt
samt unseren Vätern, wir haben unrecht getan, und wir sind gottlos
gewesen.“ Die gleiche Trias lässt sich noch im Gebet Salomos in 1 Kön
8,47 sowie in Dan 9,5 feststellen. Die bekannte Trias der Verben ajx,
huy und ywr bringt somit das Schuldeingeständnis der Frommen zum
Ausdruck (vgl. 1QS 1,24 – 25).
V. 30: Das Bekenntnis der eigenen Schuld wird im nächsten Vers
weitergeführt und konkretisiert. Die hier begegnenden Ausdrücke er-
innern stark an deuteronomische Wendungen. So heißt es in Dtn 4,1f
etwa: „Und nun höre, Israel, die Gebote und Rechte, die ich euch lehre,
dass ihr sie tun sollt, auf dass ihr lebet (. . .), damit ihr die Gebote (. . .)
bewahrt (. . .)“. In ähnlicher Weise ist so in Dtn 5,1.16.29; 6,3; 7,12 die
Rede. Charakteristisch sind die immer wiederkehrenden Verben hwy,
rmw und ymw.
V. 31: Der Vers betont Jahwes gerechtes Handeln an seinen From-
men! Sachlich wird gegenüber V. 30 nichts Neues gesagt, aber der Hin-
weis auf das berechtigte Gericht wegen der Sünden wird hier unge-
mein stark ausgedrückt.
V. 32: Die Notlagenschilderung aufgrund der Auslieferung in die
Hände von gesetzlosen Feinden und feindseligen Abtrünnigen be-
herrscht diesen Vers. Auch hier steht ein Psalmenmotiv der Klage- und
Danklieder im Hintergrund; so bittet der Beter in Ps 71,4: „(. . .) hilf mir
aus der Hand des Gottlosen, aus der Hand des Ungerechten und
Tyrannen.“
Das Motiv der Auslieferung an die Feinde findet sich zudem im
Deuteronomistischen Geschichtswerk, etwa in Ri 2,14 und öfter, wo
von der Auslieferung Israels an die Feinde die Rede ist. Dieses Motiv
gehört zum festen Bestandteil des Rahmens des Richterbuches. Nach-
dem die Israeliten das taten, was dem Herrn missfiel, und den Baalim
und Astarten dienten, wurde der Herr zornig und verkaufte sie in die
132 HEINZ-DIETER NEEF

Gewalt der Feinde. Sprachlich wird dies im Richterbuch mit dem Verb
rkm zum Ausdruck gebracht.22
Der Hinweis auf die Auslieferung an den ungerechten und bö-
sesten König auf der ganzen Erde dürfte eine versteckte Anspielung
auf Antiochus IV. Epiphanes sein, der in den Makkabäerbüchern als
der „gottloseste aller Bösewichte“ und als „größter Verbrecher der
Menschheit“ charakterisiert wird (1 Makk 1,10; 2 Makk 7,34; 4 Makk
12,11). Im Kontext von Dan 3 ist freilich auch an Nebukadnezar zu
denken.
V. 33: Ebenso wie in V. 29 – 30 betont V. 33 die Akzeptanz des gött-
lichen Gerichtes bei denen, die Gott verehren. Das Besondere, dass die
Betenden nicht den „Mund öffnen“ können, ist ein den Klageliedern
vertrauter Gedanke. Die Unmöglichkeit des Sprechens ist Hinweis auf
ein großes Unglück. So heißt es etwa in Ps 38,14: „Ich bin wie taub und
höre nicht, und wie ein Stummer, der seinen Mund nicht auftut.“
Sprachlich erinnert der Vers an Ez 16,62f, wo Jerusalem, Israel und
Juda verheißen wird, dass sie sich nicht mehr zu schämen brauchen
und ihren Mund nicht mehr vor Scham geschlossen halten müssen.
V. 34: Der Vers besteht aus zwei Bitten: Die erste bezieht sich auf
die bleibende Verbindung der Beter mit Jahwe, die zweite spricht den
nicht aufzulösenden Bund an. Die Bitten erinnern an Ps 27,12, wo der
Beter bittet: „Liefere mich nicht aus an den Willen meiner Feinde!“
Ähnlich wie V. 34 ist auch die Aussage in Ps 25,11: „Um deines Na-
mens willen, Herr, vergib mir meine Schuld.“ Ebenso könnte Jer 14,21
genannt werden, wo ebenfalls darum gebeten wird, nicht wegen des
göttlichen Namens verworfen zu werden, und an Gottes Bund appel-
liert wird. Die Bitten in V. 34 sind im Duktus des Gebetes des Asarja
gut vorbereitet durch einen Hymnus auf Jahwes Gerechtigkeit, durch
ein Bekenntnis der eigenen Schuld und eine Schilderung der eigenen
Not und schließlich durch den Hinweis auf die eigene Frömmigkeit.
„Denn wer fromm ist – das ist allgemeiner Glaube, der sich auch in
Dan 3 spiegelt, wird nicht von Gott verlassen.“ 23
V. 35: Er bezieht sich zurück auf V. 34, denn die Begriffe „Bund“
und „Barmherzigkeit“ gehören zusammen, wie viele Stellen, vor allem
aus dem Deuteronomium (7,9.12) oder auch Jes 54,10 und Dan 9,4,
zeigen. Jahwes Barmherzigkeit ist dem Bund koordiniert. Die nähere
Begründung ist dadurch gegeben, dass Jahwe mit den Vätern seinen

22 Vgl. auch 2 Kön 21,14.


23 KUHL, Männer 140.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 133

Bund geschlossen hatte. In V. 35 werden wie in Ex 32,12f; 1 Kön 18,36f;


1 Chr 29,18f und 2 Chr 30,6 Abraham, Isaak und Israel genannt.
Abraham wird hier als „der von dir Geliebte“ tituliert. Dieses Epi-
theton steht in einer langen Traditionskette, die außerhalb der Abraham-
Erzählungen Gen 12 – 25 in Jes 41,8 einsetzt. Hier heißt es: „Aber du,
Israel, mein Knecht, Jakob, den ich erwählt habe, Spross Abrahams,
meines Freundes.“
In Jes 41,8 steht „mein Freund“ in Parallele zu „mein Knecht“, d. h.
das mit „Israel“ und „Same Abrahams“ angeredete Volk ist Knecht
und Freund Gottes. Das Suffix bringt eine Beziehung der Zugehörig-
keit zum Ausdruck. Wie tief das Verhältnis zwischen Jahwe und dem
Volk ist, zeigen die Suffixe der 2. Person Singular, insgesamt 18-mal in
V. 8 –13. In der Auslegungstradition wird ibha durchweg als „mein
Freund“ verstanden:
LXX : oÊn hÆgaÂphsa
A : aÆgaphtoyÄ moy
S : toyÄ fiÂloy moy
V : amici mei

Jes 41,8 wird in 2 Chr 20,7 aufgenommen. Es geht um die Gabe des
Landes. Ebenso wie in Jes 41,8 ist von der Nachkommenschaft „deines
Freundes Abraham“ die Rede. Im Schrifttum von Qumran wird in der
wohl aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. stammenden Damaskus-Schrift
auf Jes 41,8 angespielt. Hier heißt es in CD III,1– 4:
„Darin sind die Söhne Noahs und ihre Familien in die Irre gegangen, sie
sind deswegen ausgerottet worden. Abraham wandelte nicht darin und
wurde als Freund (bhua) geachtet, weil er die Gebote Gottes hielt (. . .) und
er gab (sie) weiter an Isaak und Jakob, die hielten (sie) und wurden aufge-
schrieben als ,Freunde Gottes‘ (lal Õibha) und Teilhaber am Bund für
immer.“

Im Neuen Testament wird Jes 41,8 im Jakobus-Brief 2,23 zitiert: „Abra-


ham aber glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit angerech-
net, und er wurde ein Freund Gottes (fiÂlow ûeoyÄ) genannt.“
An all diesen Stellen wird Abraham im Gefolge von Jes 41,8 als
„Freund Gottes“ tituliert. Da Israel als die Nachkommenschaft Abra-
hams an dieser Freundschaft und Liebe partizipiert, hat es Anteil an
den Abraham gegebenen Verheißungen. Es wird auf diese Weise an
Jahwes verborgene Möglichkeiten erinnert. So wie Jahwe Abraham fest
zur Seite stand, so wird er jetzt Israel in schwieriger Zeit zur Seite
stehen.
134 HEINZ-DIETER NEEF

Inwiefern Abraham und mit ihm Israel Jahwes Liebe und Freund-
schaft erfahren hat, wird in Jes 41,9 ausgeführt. Das gegenwärtige Is-
rael wird so angeredet, als habe es Abrahams Schicksal erlebt. Jahwe
hat in Abraham Israel von den Enden der Erde geholt und von ihren
Säumen gerufen. Hier wird offenbar auf Gen 12 angespielt. Es geht in
Jes 41,8f darum, Israel die Furcht und Lebensangst zu nehmen.
„Indem Jahwe durch seine Anrede Israel seine Herkunft aus der Verheis-
sung an Abraham in Erinnerung bringt, lässt er es verstehen, dass es Hoff-
nung auf Rettung haben darf. [. . .] Israel wird aufgrund der Verheissung
an Abraham gerettet, die Jahwe weiterhin einhalten will.“ 24

In diese Traditionslinie fügt sich Dan 3,35 LXX mit seiner Bitte an
Gott, seine Barmherzigkeit nicht von dem Volk wegzuziehen wegen
seines Freundes Abraham, hervorragend ein. Neben Abraham wird
noch Isaak genannt, der hier wie in Gen 24,14 als „Knecht“ tituliert
wird. Israel selbst wird mit dem ansonsten recht häufigen Adjektiv
„heilig“ angesprochen, allerdings ist die Rede von Jakob als „Israel,
dein Heiliger“ – sehe ich recht – singulär. Diese Aussage führt dann
direkt zu V. 36 weiter.
V. 36: Der Vers nimmt Bezug auf die Mehrungsverheißung an die
Väter. So heißt es etwa in Gen 22,17: „Ich werde dich bestimmt segnen
und deine Nachkommenschaft über die Maßen zahlreich machen, so
wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Ufer des Meeres
(. . .)“. Vergleicht man Dan 3,36 LXX mit Gen 22,17, so muss man die
nahezu völlige Übereinstimmung zubilligen. Dan 3,36 lässt sich gera-
dezu als Zitat dieser in Gen 22,17 und anderen Stellen (vgl. noch Ex
32,13) greifbaren Mehrungsverheißung verstehen. Es fällt dabei auf,
dass in V. 36 die Landverheißung offenkundig keine Rolle spielt. Der
These von CURT KUHL, wonach „wie die Sterne des Himmels und den
Sand am Meer“ ein späterer Zusatz sei, sollte man meines Erachtens
nicht zustimmen. Nach KUHL würde dies das Formalprinzip, dass im-
mer zwei Verse zusammengehören, stören. Hier beharrt er zu starr auf
seinem Prinzip und ordnet den Inhalt zu sehr der Form unter.25
In V. 37 wird diese Verheißung mit der gegenwärtigen Situation
konfrontiert. Das Volk der Verheißung wurde kleiner als alle anderen
Völker gemacht und lebt heute niedergeschlagen auf der ganzen Erde.
Offenbar wird hier eine politische Not angesprochen. Inhaltlich ähnli-
che Aussagen finden sich etwa in Dtn 4,27, wo die Zerstreuung des

24 MERENDINO, Literarkritisches 39.


25 KUHL, Männer 141f.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 135

Gottesvolkes unter die Völker und die Reduzierung auf eine kleine
Zahl angekündigt wird. Auch im Jeremia-Buch 29,6; 42,2 finden sich
solche Gerichtsaussagen. Diese Not freilich wird angenommen, weil
sie selbstverschuldet ist: „wegen unserer Sünden“ heißt es am Ende
des Verses. Zugleich werden damit die Verheißungen immer noch als
gültig angesehen. Hier zeigt sich ein unerschütterlicher Glaube an Got-
tes Zusage.
V. 38 präzisiert die Not, indem er auf den fehlenden Herrscher
sowie die fehlenden Propheten und Anführer verweist. Es kommt zu
einer Krise der Frömmigkeit, die sich als „interruption du culte“ 26
zeigt. Es können weder Opfer dargebracht werden, noch gibt es einen
Ort, um Früchte vor Gott darzubringen. Es ist die Situation, die einst
die Propheten als Gericht Gottes angekündigt hatten. So heißt es in
Hos 3,4: „Denn lange Zeit werden die Kinder Israel ohne König und
ohne Obere bleiben, ohne Opfer, ohne Steinmal, ohne Ephod und ohne
Hausgott.“ 27 Das Schlimme an dieser Unmöglichkeit des Kultes ist der
damit verbundene fehlende Kontakt mit Gott. Opfer sind Möglichkei-
ten, mit Gott in Verbindung zu treten! Wo diese aber unmöglich wer-
den, scheint Gott in unendliche Ferne zu entschwinden.
V. 39: Trotz dieser Schwierigkeiten hoffen die Beter, dass sie mit
zerbrochener Seele und niedergeschlagenem Geist von Gott angenom-
men werden können. Inhaltlich erinnert V. 39 an Ps 51,18f, wo von
einem geängstigten Geist und zerschlagenem Herz als Gott wohlgefäl-
ligen Opfern die Rede ist: „Denn Schlachtopfer willst du nicht, ich
wollte sie dir sonst geben, und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Op-
fer, die Gott gefallen, sind ein geängstigter Geist, ein geängstigtes, zer-
schlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“ 28 Die Betenden wol-
len sich gleichsam selbst in ihrer Ohnmacht Gott hingeben und hoffen
so auf seine Barmherzigkeit. Wahres Opfer kann nur „im büßenden,
zerbrochenen Geist und Herz liegen“.29
Dieses Thema wird in V. 40 weitergeführt. Die Hingabe des Beters
an Gott mit zerschlagenem Geist soll in Jahwes Augen so viel gelten
wie die Opfer von Widdern, Stieren und Zehntausenden von fetten
Lämmern. Diese Aufzählung erinnert stark an die Opfervorschriften
für Brand- und Schlachtopfer, wie wir sie etwa in Num 15,6 – 8, Jes
1,11; 2 Chr 29,21f, aber auch in Ps 66,15 und Dtn 32,14 finden. Mit der

26 So GILBERT, prière 572.


27 Vgl. auch Ps 74,8f.
28 Vgl. noch Ps 141,2.
29 GESE, Psalm 165.
136 HEINZ-DIETER NEEF

Wendung „so geschehe unser Brandopfer heute vor dir“ wird der
Schlussstrich unter dieses Thema gezogen.
Der Schlussteil, bei dem von denen die Rede ist, „die auf dich
vertrauen“, leitet zu V. 41 über, wo von denen gesprochen wird, die
Gott mit ganzem Herzen folgen, ihn fürchten und sein Angesicht su-
chen. Dieses Treuebekenntnis zu Jahwe erinnert nicht nur an V. 33 und
V. 39, sondern wiederum an Psalmenaussagen wie Ps 33,8; 85,10 und
andere: „Gottes Hilfe ist nahe allen, die ihn fürchten“ heißt es etwa in
Ps 85,10.
Das Treuebekenntnis in V. 41 bereitet zugleich die Bitte in V. 42 vor.
Die Beter bitten um Gottes Nachsicht und um die „Fülle seiner Barm-
herzigkeit“. In einer positiv und negativ formulierten Bitte „beschäme
uns nicht“ und „tue an uns entsprechend deiner Barmherzigkeit“ wird
um Gottes Hilfe gebeten. Die negativ formulierte Bitte bezieht sich
zurück auf V. 33 und V. 40, wo von der Schmach und Schande die Rede
ist, die den Dienern Gottes widerfuhr. Inhaltlich und sprachlich zeigt
sie eine Nähe zu Aussagen wie in Ps 119,116, wo der Beter ruft: „(. . .)
lass mich nicht zuschanden werden in meiner Hoffnung.“ Die positiv
formulierte Bitte um die Fülle der göttlichen Barmherzigkeit erinnert
an Ps 69,14, wo der Beter ruft: „(. . .) Gott, nach deiner großen Güte
erhöre mich (. . .)!“
Die Bitten finden in V. 43 ihre Fortsetzung: „befreie uns“ und „gib
deinem Namen Herrlichkeit, Herr!“ Auch hier finden sich ähnliche
Aussagen in den Psalmen. Die Bitte um Rettung ist ein stehendes Mo-
tiv der Klagepsalmen, wie etwa in Ps 7,2; 9,2f; 31,16; 59,2f. Mit der
Nennung der Wunder wird auf die großen Taten Gottes, die Israel in
seiner Geschichte immer wieder erlebte, hingewiesen (vgl. unter an-
derem Ex 3,20; 34,10; Jos 3,5 und öfter). Mit dem Hinweis auf den
Namen Gottes wird am Ende des Psalms wieder auf den Anfang zu-
rückverwiesen. Es geht um Gottes Ehre und Ansehen!
Im vorletzten Vers des Gebetes V. 44 wechselt die Blickrichtung. Es
geht um die, die Böses an den Frommen getan haben. Sie sollen um-
kehren, von jeder Herrschaft beschämt werden, und ihre Stärke möge
zerbrochen werden. Meines Erachtens sollte man hier nicht wie CURT
KUHL von „Haß und Rache an den Feinden“ 30 reden. Er spricht von
den Verwünschungen, in denen sich die Betenden ergehen würden.
Ganz so scharf wird dies allerdings nicht formuliert. Es geht doch eher
wie in vielen Psalmen und Prophetenbüchern 31 um die Bitte zur Um-

30 KUHL, Männer 149.


31 Vgl. etwa Ps 3,8; 48,4; Jes 1,29; 8,4 und öfter.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 137

kehr sowie um das Zerbrechen ihrer früheren Macht. Von der Rache
der Beter ist hier eigentlich nicht die Rede. Es ist nicht von dem Unter-
gang der Feinde die Rede, vielmehr wird um deren Umkehr gebeten.
Von daher fügt sich auch der letzte Gedanke in V. 45 gut in das
Gebet ein, wonach die Feinde erkennen sollen, dass Jahwe allein der
Herr und voller Herrlichkeit ist. Man braucht hier nicht von einer
„Kehrtwende“ 32 innerhalb des Gebetes zu sprechen. Die Aussage der
Gotteserkenntnis erinnert sehr an entsprechende Wendungen im Ezechiel-
Buch,33 aber auch in den Psalmen und in der Prophetie. So heißt es
etwa im Jes 37,20: „(. . .) damit alle Königreiche auf Erden erkennen,
dass du, Herr, allein Gott bist.“ In Ps 83,19 heißt es: „So werden sie
erkennen, dass du allein Herr heißt und der Höchste bist in aller Welt.“
Welches Fazit lässt sich aus den Beobachtungen zur Traditions- und
Motivgeschichte des Asarja-Gebetes ziehen? Ich möchte dies in zwei
Punkten zusammenfassen:
1. Das Gebet Asarjas zeigt eine große sprachliche und sachliche Nähe
zu den Psalmen, dem Deuteronomium, dem Deuteronomistischen
Geschichtswerk, der Prophetie, vor allem zu Deuterojesaja sowie
zu den Erzvätererzählungen mitsamt ihren Verheißungen. Es lebt
von den in den Psalmen greifbaren hymnischen Elementen (V. 26),
dem Preisen und Rühmen Gottes (V. 26), dem Hinweis auf Gottes
Gerechtigkeit (V. 27), der Rede von Jerusalem als der heiligen Stadt
(V. 28), dem Motiv des Ausgeliefertseins an die Feinde (V. 32), der
Bitte um den Beistand Gottes (V. 34) sowie der Rede von Gott
wohlgefälligen Opfern (V. 38). Mit dem Deuteronomium teilt es die
Rede von dem „Gott unserer Väter“ (V. 26), dem Bekenntnis zur
eigenen Schuld (V. 30), dem Hinweis auf den Bund (V. 35) sowie
der Ankündigung der Zerstreuung der Frommen über die ganze
Erde (V. 37). Das Motiv der Übergabe an die Feinde und die damit
verbundene Einsicht in die eigenen Vergehen zeigt die Nähe des
Gebetes zum Gedankengut des Deuteronomistischen Geschichts-
werkes (V. 32; 42). Die prophetische Tradition zeigt sich in der Rede
von Abraham als dem Freund Gottes sowie der Ankündigung des
Hosea-Buches, dass die Kinder Israel lange Zeit ohne König, ohne
Obere und ohne Opfer leben müssen (V. 38). Schließlich wird die
Väterverheißung in der Gestalt von Gen 22,17 in V. 36 fast wörtlich
zitiert.

32 So KOCH, Daniel 353.


33 ZIMMERLI, Erkenntnis.
138 HEINZ-DIETER NEEF

2. Meines Erachtens sprechen diese Beobachtungen für die Annahme


einer hebräischen Vorlage des Asarja-Gebetes. Das hebräische Ko-
lorit 34 ist im Gebet mit Händen zu greifen. Es bereitet kaum Mühe,
das Gebet vom Griechischen ins Hebräische zurück zu übersetzen.
Manche Wendungen drängen sich geradezu auf. So lautet etwa
V. 26 in Hebräisch: Õluyl Ómw dbknu llhmu unituba ihla huhi hta Óurb
dyu. Der Vers könnte so mit seiner Anrede, dem Epitheton und den
hymnischen Elementen mühelos in einem Psalm zu finden sein.
Auch die Bitte von V. 35 könnte in jedem Psalm stehen: qxrt la
Ódsx ta unmm. Die Beispiele lassen sich leicht vermehren. Für eine
ursprünglich hebräische Vorlage des Gebetes sprechen noch zwei
kleine Beobachtungen:
a. In V. 40 ist offenbar der Text verderbt, denn die Wendung „vollen-
den hinter dir“ gibt keinen rechten Sinn. Es spricht viel dafür, dass
hier ein Schreibfehler für Ónrx „dein Zorn“ anstelle des unverständ-
lichen Óirxa vorliegt. Man sollte deshalb an dieser Stelle besser
übersetzen: „zu beenden deinen Zorn“.35
b. Die zweite kleine Beobachtung bezieht sich auf den Stil des Gebe-
tes. So lassen sich im Gebet immer wieder knappe kurze Aussagen
beobachten. So heißt es etwa in V. 27: „deine Werke sind wahr“,
„deine Wege sind gerade“, „deine Beurteilungen sind wahr“. Eben-
so kann man hier V. 30 anführen, wo es heißt: „wir haben nicht
gehorcht“, „wir haben (sie, scilicet die Gebote) nicht bewahrt“, „wir
haben sie nicht getan“. Bei diesen Beispielen lässt sich stilistisch die
Zerlegung des Berichtes über einen Vorgang in seine einzelnen
Momente beobachten. CARL BROCKELMANN hat dies als „enume-
rativen Stil“ 36 bezeichnet. G. GERLEMAN hat in jüngerer Zeit von
einer „paratactic, atomizing technique“ 37 gesprochen. Die Parataxe
selektiert Elemente, und die fehlenden Verbindungen provozieren
beim Hörer Fragen und somit ein Mitdenken. Dieser Stil lässt sich
oft in Psalmen oder anderen poetischen Texten beobachten, und er
gehört zum guten hebräischen Stil.
Wenn diese Überlegungen richtig sind, bleibt zu fragen, ob die These
von KLAUS KOCH,38 wonach Dan 3,26 – 40 auf einer aramäischen Vor-

34 So die Wendung bei PLÖGER, Zusätze 68.


35 KUHL, Männer 146f; KOTTSIEPER, Zusätze 234f.
36 BROCKELMANN, Syntax § 133a.152e.
37 GERLEMAN, Song.
38 Vgl. dazu KOCH, “Märtyrertod“; KOCH, Daniel 316f; KOCH /RÖSEL, Polyglottensyn-
opse 314f.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 139

lage fuße, wirklich zutreffend ist. Meines Erachtens gewichtet er die


Beobachtung, dass in der mittelalterlichen Jerachmeel-Chronik nur
Dan 3,25 – 40 auf Aramäisch verfasst sei, zu stark. Sein Schluss, dass
demnach dieses deuterokanonische Daniel-Stück aus einer eigenen,
nämlich aramäischen Quelle geschöpft habe, greift zu kurz. Meines
Erachtens ist der traditions- und motivgeschichtliche Hintergrund des
Gebetes mit seiner breiten Aufnahme israelitisch-jüdischer Theologie
das beste Argument für eine hebräische Vorlage.

4. Die Theologie des Asarja-Gebetes

Ich möchte hier zunächst der Frage nachgehen, warum das Gebet des
Asarja mitsamt dem Schöpfungshymnus gerade zwischen Dan 3,23
und 3,24 eingefügt wurde.
Nach dem Urteil von MAURICE GILBERT 39 steht das Gebet in engster
Verbindung mit der Erzählung der drei Männer im Feuerofen, weil
diese in hervorgehobener Weise die Verfolgung und das Martyrium
des jüdischen Volkes repräsentierten. Gerade diese Perspektive sei
auch im Gebet des Asarja, vor allem in V. 39f, erkennbar. Meines Er-
achtens ist diese Sichtweise jedoch nicht unproblematisch, denn die
aramäische Erzählung in Dan 3 und das Gebet Asarjas unterscheiden
sich fundamental in der Frage nach der Schuld. Die drei Männer, die
auf Befehl Nebukadnezars in den Ofen geworfen wurden, sind gänz-
lich ohne Schuld. Sie müssen erst von den Babyloniern denunziert wer-
den, damit überhaupt ein Vorwand für ihre grausame Bestrafung ge-
geben werden kann. Das Gebet des Asarja dagegen ist bestimmt von
dem Bekenntnis der eigenen Schuld und der Richtigkeit der damit ver-
bundenen Strafe. „Wir haben in allem gesündigt und gesetzwidrig ge-
handelt!“ (V. 29) ist der cantus firmus des Gebets.
In die gleiche Richtung wie bei MAURICE GILBERT gehen die Über-
legungen von KLAUS KOCH. Auf dem Hintergrund seiner Rekonstruk-
tion des Asarja-Gebetes aus dem Aramäischen entnimmt er ihm eine
palästinische Märtyrertheologie. Er schreibt dazu:
„Auf dem Hintergrund einer solchen Bestimmung der Texte wage ich die
Behauptung, daß im Asarja-Gebet das erste greifbare Zeugnis einer paläs-
tinischen ’Märtyrertheologie‘[. . .] vorliegt. Denn in diesem Gesang wird
dem gewaltsamen Tod israelitischer Gotteszeugen eine sühnende Wirkung

39 GILBERT, prière 578f.


140 HEINZ-DIETER NEEF

für das übrige fromme Volk zugeschrieben. Das haben der griechische
Übersetzer und die von ihm abhänggigen [sic!] Versionen nicht völlig ver-
standen, es geht aber aus dem mutmaßlichen Urtext mit Deutlichkeit her-
vor.“ 40
KOCH stützt sich dabei auf Dan 3,38 – 40. Diese Verse geben
„in der aramäischen Fassung einer Überzeugung Ausdruck, daß das Hin-
schlachten von Märtyrern für die ’Bekenner‘ in Israel zur Vergebung der
Sünde beiträgt und also sühnende Kraft besitzt wie vordem die Opfer.“ 41
KOCH hat diese Sicht in seinem beeindruckenden Daniel-Kommentar
wiederholt und das Asarja-Gebet in die alt- und neutestamentliche
Sühnetheologie von der Priesterschrift über Ezechiel bis hin zu Hebr
9,12f eingeordnet.42
Meines Erachtens ist bei dieser sühnetheologischen Deutung von
Dan 3,38 – 40 aus folgenden Gründen äußerste Vorsicht geboten: In der
Septuaginta-Version und bei Theodotion findet sich in Dan 3,38 – 40
nach der Ausgabe von OLIVER MUNNICH keinerlei Hinweis auf einen
Sühnevorgang. Das Verb iëlaÂskesûai, das traditionell das hebräische
rpk Pi el wiedergibt, fehlt jedenfalls im ganzen Asarja-Gebet. Auch die
Übersetzung von hëmv Ä n hë ûysiÂa „unser Opfer“ in V. 40 mit „das Hin-
schlachten von uns“ durch KLAUS KOCH 43 ist sprachlich problematisch.
Die Frage, warum das Gebet des Asarja mitsamt dem Schöpfungs-
hymnus gerade zwischen Dan 3,23 und 3,24 eingefügt wurde, lässt sich
aus der Perspektive von 3,26 und 3,52 beantworten: „Gepriesen bist
du, Herr, Gott unserer Väter, und lobwürdig und verherrlicht ist dein
Name bis in die Ewigkeiten.“ Es geht um das Bekenntnis zu dem einen
Gott, dem Vätergott. Dieses Bekenntnis leisten Schadrach, Meschach
und Abed-Nego im Feuerofen, dieses Bekenntnis leisten die sich ihrer
Schuld bewussten Beter des Asarja-Gebetes, dieses Bekenntnis leistet
die gesamte Schöpfung, ja sogar auch der babylonische König Nebu-
kadnezar. So geht es letztlich um die Verherrlichung Gottes, die Do-
xologie durchzieht das gesamte 3. Kapitel des Daniel-Buches. Aus die-
sem Grund ist das Asarja-Gebet auch nicht in Dan 4 eingefügt worden,
da dort das Thema der menschlichen Hybris im Vordergrund steht.44

40 KOCH, “Märtyrertod“ 68.


41 KOCH, “Märtyrertod“ 75.
42 KOCH, Daniel 344 – 353; diese Sichtweise wird übernommen von RÖSEL, Bibelkunde
108; vgl. auch STUHLMACHER, Jesus Christus 307. – Zur Unterscheidung von Sühne-
und Märtyrertheologie vgl. die beachtenswerten Hinweise bei MITTMANN-RICHERT,
Erzählungen 131 –133.
43 KOCH, “Märtyrertod“ 73.
44 Vgl. dazu LENGLET, structure.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 141

Es ist sicher kein Zufall, dass es am Ende des Schöpfungshymnus in


V. 88f heisst: „Preist (eyÆlogeiÄte), Ananias, Azarja, Misael, den Herrn,
singt Loblieder (yëmneiÄte) und erhöht ihn über alle Maßen bis in die
Ewigkeiten (. . .). Bekennt den Herrn (eÆjomologeiÄsûe tv
Äì kyriÂvì), denn er
ist gütig.“ Aufgrund dieser Beobachtungen halte ich es auch durchaus
für möglich, dass das Asarja-Gebet und der Schöpfungshymnus in ei-
nem Zug in Dan 3 integriert wurden.45
Fragen wir abschließend nach der Theologie des Gebetes, so lässt
sich Folgendes festhalten. Wie in fast jedem Gebet geht es um das
Miteinander der Gottheit mit den Betern. So ist auch der Großteil des
Asarja-Gebetes eine Beschreibung von Gottes Eigenschaften und Hand-
lungen sowie dem Verhalten der Frommen.
Es geht um den Namen Gottes, der lobwürdig ist und bis in alle
Ewigkeiten verherrlicht sein soll (V. 26; 43). Mit dem Namen verbindet
sich die offenbare Seite Gottes, denn aufgrund seines Namens ist er
anrufbar, sowohl im Gebet als auch im Kult. Der Name symbolisiert
die Gegenwart Gottes und ist „zugleich Inbegriff der Güte gegenüber
dem Volk“.46 Es ist sicher kein Zufall, dass die Rede vom Namen Got-
tes das Gebet rahmt.
Das Gebet nennt zudem eine Fülle von Eigenschaften und Taten
Gottes: An erster Stelle steht dabei Gottes Gerechtigkeit (V. 27): „Du
bist gerecht in allem, was du an uns getan hast!“ Diese Aussage kann
geradezu als Fundament und Grundtenor des Gebetes bezeichnet wer-
den. Gottes Gerechtigkeit zeigt sich an der Geradlinigkeit seiner Wege,
der Wahrheit seiner Werke und Urteile.
Das Erstaunliche an diesem Gebet ist die vorbehaltlose Akzeptanz
des Gerichtes Gottes durch die Beter. Sie sehen das Gericht gerechtfer-
tigt aufgrund ihrer Sünde und ihres gesetzlosen Verhaltens. „Wir ha-
ben uns in allem versündigt!“ lautet das Fazit ihres Gebetes (V. 29). Die
Übergabe an die Feinde, die Zerstreuung in alle Welt sowie die Herr-
schaft des ungerechtesten und bösesten Königs auf Erden (V. 32) wird
vorbehaltlos akzeptiert. Gottes Gericht an Israel 722 und Juda-Jerusa-
lem 586 ist also kein Ereignis der Vergangenheit, sondern dauert bis in
die Gegenwart. Indem die Beter ihre Sündenschuld bekennen, signa-
lisieren sie ihre Bereitschaft zur Umkehr und zum Gehorsam.47 Das
Gebet nennt keine Selbstrechtfertigung, kein Hadern mit dem Schicksal

45 Anders PLÖGER, Zusätze 69; vgl. dazu auch BOGAERT, Daniel 24f.34 – 37.
46 KOCH, Daniel 343.
47 STECK, Israel 121– 128; BOGAERT, Daniel 37.
142 HEINZ-DIETER NEEF

oder sogar mit Gott. Im Gegenteil! Die Beter bitten Gott inständig, sich
nicht von ihnen zu entfernen, sondern ihnen zugewandt zu bleiben.
Der zweite Teil des Gebetes wird dominiert von Bitten: „Liefere uns
doch nicht endgültig aus (. . .)“ (V. 34), „Entferne deine Barmherzigkeit
nicht von uns (. . .)“ (V. 35), „Beschäme uns nicht (. . .)“ (V. 42), „befreie
uns (. . .)“ (V. 43). Die Beter wollen sich mit zerbrochener Seele und
niedergeschlagenem Geist Gott in der Hoffnung hingeben, von ihm so
angenommen zu werden, wie sie sind. Sie sehen sich dabei in einer
Kette der Zeugen von Abraham, Isaak und Jakob an (V. 35), die von
Gott die Zusage der Mehrung bekommen hatten.
Alles in allem kann man sagen: Das Gebet des Asarja ist ein höchst
kunstvoll aufgebautes und theologisch dichtes Gebet, das alle Auf-
merksamkeit verdient.48 Es ist einem Mosaikboden vergleichbar, auf
dessen Einzelmosaiken die zentralen Aussagen und Zitate israelitisch-
jüdischer Theologie verzeichnet sind. Es ist ein Beispiel für die höchst
lebendige Tradition israelitisch-jüdischen Gedankengutes in hellenisti-
scher Zeit, d. h. in unserem Text im 2. Jahrhundert v. Chr., und in dieser
Lebendigkeit ein Vorbild für uns heute.49

5. Hebräische Übersetzung von Dan 3,26 – 45


26 dyu Õluyl Ómw dbknu llhmu unituba ihla huhi hta Óurb
27 unl tiwy rwa lkb hta qidc ik
Õinman Óiwym lku
Õirwi Óikrd lku
Õinman Óijpwm lku
28 unily tabh rwa lkb tiwy tma ijpwmu
Õilwuri unitba riy Ówdq riy lyu
unituajx ñyml unily taz lk tabh jpwmbu tmab ik
29 unywrh ik
Óilym unqixrhl lkb uniuyhu
lkb unywrhu
30 unymw al Ótrut ijpwmu
unrmw alu
uniwy alu
untiuc rwak
unl bjii ñyml

48 In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von MITTMANN-RICHERT, Daniel’s


Prophecy, besonders 122f.
49 STECK, Israel 121.
Das Gebet des Asarja – Daniel 3,26 – 45 LXX und Theodotion 143

31 ñman jpwmb tiwy unily tabh rwa lk htyu


32 Õirrus Õiwna Õiywrh unibia idib unttn
Ñrah lkb yrh lbn Ólmlu
33 hph ta xtpl unl ñia htyu
Óiarilu Óidbyl htih hprxu twb
34 Ómw ñyml unntt al
Ótirb ta rpt al
35 Ódsx ta unmm qxrt lau
Óbuha Õhrba ñyml
Ódby qxciu
Ówdq larwiu
36 dam Õyrz ta tubrhl Õhl trbd rwak
Õih tpw ly rwa luxku brl Õimwh ibkukk
37 Õimyh lkm unjym inda ik
uninuy ñyml Ñrah lkb unikh
38 tazh tyb ñia waru aibnu rw
trjqu hxnmu hlyu lilk al
Õimxn acmlu Óinpl irp aibhl ñia Õuqmu
39 hcrn hkdn xuru hrbwn wpnb Õa ik
40 Õirpu Õilia tlyku
blx iairm tubbrku
Óinpl Õuih unxbz ihiu
Óily Õixjbb twb ñiau
Ónrx alkl
41 Óinp wqbnu Óarinu unbl lkb údrn htyu
42 unwibt la
Óaulwk unmy hwy Õa ik
Óimxr brku
43 huhi dubk Ómwl ñtu Óitualpnk unlichu
44 Óidby ly hyr ilmg Õlk ubuwiu
rbwt Õxku hrubg lkm uwbiu
45 Ñrah lkb dbknu Ódbl huhi hta ik uydiu

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Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9)

NURIA CALDUCH-BENAGES

Jerusalem is a mystical figure of love for the people of Israel


(Tikva Frymer-Kensky)

The image of Jerusalem as a woman expresses the intimate and deeply


moving relationships that exist between three fundamental compo-
nents of Judaism: the people of Israel, their God and the beloved city.1
This image is particularly developed in the prophetic literature as well
as in Lamentations and the deuterocanonical books of Baruch and
Tobit.2 It is a multifaceted image, with certain characteristics similar to
those of Lady Wisdom, which cannot be reduced to conceptual sche-
mas and simple linear descriptions. In these biblical texts, Jerusalem
appears with different but always feminine faces: as a daughter, a
young lady, a virgin and adorned bride, as a happy mother and pas-
sionate lover, as a woman in childbirth or sterile woman, as a beloved
or repudiated wife, as an unfaithful wife and adulteress, dissolute and
promiscuous, prostituted and raped, as a lonely and abandoned widow.
Our aim is not to present an exhaustive study of the feminine
image of Jerusalem, which would exceed the time and the space at our
disposal; instead we want to deal with only one of its many aspects.
Concentrating on Bar 4 : 5 – 5 : 9, we propose to study the figure of
Jerusalem as widow. The text we have chosen is a prophetic message
and has the features of an exhortation, of a lamentation and of an
oracle of hope. Its dependence on Deutero- and Trito-Isaiah is un-
deniable. We should also note its resemblance with Tobit 13 3 and the
Psalms of Solomon 11.4
All studies of Jerusalem as woman – and in our case, of Jerusalem
as widow – have to take into account the primal imagery of the City as

1 FRYMER-KENSKY, Wake 178.


2 However, it does not appear in the Psalms, with the exception of Ps 9 :14 (“in the
gates of the daughter of Zion“).
3 Cf. ALONSO SCHÖKEL, Hermenéutica 91 – 93.
4 KABASELE MUKENGE, unité 330 – 349.
148 NURIA CALDUCH-BENAGES

a woman, a motif that is widely attested in the Bible and elsewhere. For
this reason, before focusing our attention on the text of Baruch, we
shall consider the feminization of cities in antiquity and the Bible, as
well as the biblical texts using the widow metaphor for a city, especial-
ly Jerusalem.

1. The Feminization of Cities

1. 1 Antiquity

The prophets were not the first to personify cities as women. This was
a tradition very widely spread in the Ancient Near East and in the
eastern part of the Mediterranean, although its origin is unknown.
From a psychological point of view, this kind of feminization functions
perfectly according to T. FRYMER-KENSKY “for the city contains the
populace within her walls, nurtures it, provides for it, and defends it“,5
doing just as a mother does for her children. The founder of analytical
psychology, CARL GUSTAV JUNG, asserts: “The city is a maternal sym-
bol, a woman who harbours the inhabitants in herself like children“.6 It
is noteworthy that in the writing of Egyptian hieroglyphics, the ideo-
grams “house“ and “city“ can also mean “mother“.7 From a literary
perspective the city as mother could be understood as a “conceptual
metaphor“, i. e., an image so deeply rooted in the culture of the people
that it ends up by being invisible, without actually losing any of its
suggestive power. Be that as it may, there is one evident fact: in the
West Semitic cultures of the Ancient Near East, it was customary to
describe cities, and especially capital cities, as wives of the patron
gods.8 We find proof of this in various inscriptions written in West
Semitic attributing the same titles to the cities as to the goddesses (tbr
“lady“, “princess“, “queen“; tlutb/tb “virgin“, “daughter“ 9 ) and in
the names of some Assyrian cities containing feminine theophoric

5 FRYMER-KENSKY, Wake 172.


6 JUNG, Symbols 208.
7 MUMFORD, City 13.
8 FITZGERALD, Background; FITZGERALD, Btwlt; for a critical evaluation of FITZGERALD’s
thesis, cf. DAY, Personification. See also LEWY, Sun God, especially 436 – 454, and
WAKEMAN, Marriage. Concerning the contradictory opinions of the last two authors,
cf. GALAMBUSH, Jerusalem 20 – 23.
9 Paradoxically, although the cities are the mothers of their inhabitants, they are called
“virgins“. Likewise, the goddess Anat, wife of Baal, receives the title of tlutb (UT
49 : II :14).
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 149

elements (“the city Assyria is a queen“, while “the city Arba il is the
one who governs“).10 Moreover, the cities are not only personified as
wives but also as mothers (in the Sumerian poem “Lamentation over
the Destruction of Ur“,11 the city appears as the queen and mother of
its inhabitants, and in a Hebrew inscription we read “Tyre, the mother
of the Sidonians“ 12 ) or even as widows (on the Egyptian Stele of
Merneptah, Palestine has become the widow of Egypt).13
The depiction of the city as a woman is also frequent in Greek
culture. A first illustration of this is the tyxhÁ poÂlevw (“the fortune of the
city“), a goddess guardian of the prosperity of the city and its destiny.
Because of her comprehensiveness this goddess could be associated
with any Greek polis, unlike the other goddesses who were each exclu-
sively tied to one particular city. Many Phoenician coins dating from
the 3 rd century B.C. bear her image: a woman wearing a turreted or
walled crown and with the cornucopiae in her right hand. Another
example is the mhtroÂpoliw (“Mother City“),14 i. e., a capital city with
several dependent colonies (well known, e. g., was the metropolis of
Miletus, with its 90 colonies spread throughout the entire Mediterra-
nean region). The creation of the metropolis reflects the prominence of
the city in the Greek world: it was “the fundamental category, the
supreme norm, of thought and culture”.15
Finally, let us recall the image of Judea Capta (“Judah captured“)
pictured on many Roman coins: a Jewish female (personifying Judah)
seated on the right in an attitude of mourning at the base of a palm
tree, with a captive male standing on the right, hands bound behind
his back, with weapons, shields, and helmets to the left.

1. 2 Scripture

As heirs of the culture and mentality transmitted by their predecessors,


the Israelites maintained the tradition of personifying their cities, and

10 Cf. FITZGERALD, Background 407 – 412.


11 ANET 455 – 463.
12 SLOUZSCH, Thesaurus 34, quoted by MCCARTER, Zion 1771 – 1772.
13 Cf. COHEN, City, especially 81.
14 Concerning the origin of this name, which seems to have been used for the first time
by Herodotus, FITZGERALD has put forth a hypothesis in the form of a question: “Is it
possible that mētropolis is a translation of yr w m?“ (cf. FITZGERALD, Background 410
n. 34).
15 GRAHAM, Colony.
150 NURIA CALDUCH-BENAGES

especially their capital cities, as feminine figures.16 This is, for example,
what the biblical prophets did in many of their texts.17 They had
recourse to various feminine images and themes, the most recurrent of
which are: marriage/adultery, childbirth, nakedness/exposure, widow-
hood and menstruation.18 As ardent defenders of monotheism, the
prophets used the tradition of feminizing cities for their own literary
and theological ends, above all to point out God’s reaction to Israel’s
idolatry as a husband’s conduct faced with his wife’s adultery/pros-
titution.19
Jerusalem (Zion), while being the favourite, is not the only person-
ified capital city. Jeremiah and Ezekiel give her special attention, where-
as Hosea – the first author who uses the bridal metaphor to describe
the relationship between God and Israel – addresses his message to
Samaria, the capital of the northern kingdom, which throughout the
8 th century B.C. was struggling in the midst of calamities and ruin.20
Even if the capital cities are usually the main protagonists, it is not
always easy to distinguish whether the image of the adulterous/pros-
tituting wife is applied to the capital city, the land or the nation (see,
for example, Hos 2 : 5 –7 and 2 :16 – 20). The cities and towns of Israel
were not only seen as wives but also as mothers (in 2 Sam 20 :19, the
city of Abel of Beth-Maacah, is “a mother in Israel“), as daughters (23
times “daughter of Zion“, 7 times “[the] daughter of Jerusalem“), as
virgins (3 times “virgin daughter of Zion“) 21 and as widows (see below
2.).
Foreign cities do not escape this personification either; Phoenician
cities like Tyre and Sidon appear as matrons in the eyes of Isaiah (Isa
23 :1–10) and an enemy city (perhaps Edom) receives the vehement
reproaches of Zion: “Rejoice not over me, O my enemy! Though I have
fallen, I will arise [. . .]. My eyes shall see her downfall; now she shall
be trampled underfoot, like the mire in the streets“ (Mic 7 : 8, 10). Like-
wise, the Book of Lamentations incriminates Edom: “Though you

16 Cf. KELLE, Hosea 86 – 90.


17 According to ALONSO SCHÖKEL, the equation city = woman in the Old Testament may
be explained by the use of the verb hnb, “build“, because while God “formed“ the
man, he “built up“ the woman (Gen 2 :19, 22). The woman, in her turn, “builds up“
the family-house by bearing children (Ruth 4 :11); cf. ALONSO SCHÖKEL, Sı́mbolos
134.
18 CLARK, Sex 410.
19 Cf. WEEMS, Love 44 – 45.
20 Cf. KELLE, Hosea 47– 79.
21 FITZGERALD, Btwlt 168 – 172.
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 151

rejoice and are glad, O capital of Edom, you who dwell (tbw Ïui) 22 in the
land of Uz, to you also shall the cup be passed; you shall become
drunk and naked“ (Lam 4 : 21). Jeremiah also talks about foreign cities
(and nations) as if they were women: “Come down from glory, sit on
the ground, O inhabitant, daughter of Dibon [. . .]. Stand by the way-
side, watch closely, you that dwell in Aroer“ (Jer 48 :18 – 19). “Wail, O
Heshbon, for Ai is laid waste! Cry, O daughters of Rabbah! 23 Gird
yourselves with sackcloth, lament, and run to and fro among the
hedges!“ (Jer 49 : 3). Damascus, the capital of Syria, “has become feeble,
she turned to flee, and panic seized her; anguish and sorrows have
taken hold of her, as of a woman in travail“ (Jer 49 : 24). The virgin,
daughter of Egypt, must prepare herself for exile, since for her there
are no longer any remedies or cures; her howling fills the earth (Jer
46 :11; cf. 46 :16). Among all the enemy cities, Babylon – the capital of
the Chaldeans – stands out; she devastated Judah, destroying the
nation, its capital and the temple. She, who once was the matron,
mother of sons and mistress of kingdoms, who felt secure in her mis-
deeds and in the power of her magic (Isaiah 47),24 shall be completely
humiliated and devastated, depopulated and left grieving: “Your
mother shall be sorely put to shame, she that bore you shall be abashed;
see, the last of the nations, a desert, dry and waste” (Jer 50 :11). Her
wounds are so numerous that those who pass by her cannot contain
their appalled hissing (Jer 50 :12).

2. The Motif of the “Widowed“ City

2. 1 The Term hnmla

The motif of the “widowed city“ appears in four passages of the


Hebrew Bible, but only two refer to Jerusalem (Isa 54 : 4 and Lam 1:1).
The two others concern Babylon (Isa 47: 8 – 9) and Israel-Judah (Jer
51: 5). According to CHAYIM COHEN – the only author who, up to now,
has dealt specifically with the subject – the key for understanding the

22 According to Q; K has “princess, mistress“ (itbw Ïui).


23 This refers to the cities depending on the metropolis of Rabbah, the Ammonite cap-
ital.
24 Deutero-Isaiah contrasts Jerusalem with Babylon (cf. Isaiah 47 with Isaiah 51 – 52).
This contrast will be taken up again in the Book of Revelation, where Jerusalem is the
city faithful to the Lamb, her Bridegroom, and Babylon is the great whore who with
her spells and enchantments led nations and kings astray (Revelation 17 – 19).
152 NURIA CALDUCH-BENAGES

motif of the widowed city is the legal definition of the Akkadian term
almattu in the Middle Assyrian Laws. This term, which corresponds to
the Hebrew hnmla (“widow“), refers to only one type of widow: “a
once married woman who has no means of financial support and who
is thus in need of special legal protection“.25 This is the case, for exam-
ple, of Tamar, the daughter-in-law of Judah. However, it should be
noted that she is not called hnmla until her father-in-law sends her
home to her father: “Remain a widow in your father’s house, till
Shelah, my son, grows up“ (Gen 38 :11). By going back to her father’s
house, she loses the protection of her father-in-law and becomes com-
pletely defenseless; moreover, she has no male child capable of helping
her.26 Applied to a city, this concept of the widow would depict a city
that, having lost its independence, finds itself totally oppressed by
another kingdom or nation. As COHEN puts it, “the widowed city motif
seems to refer to a once independent city which has become a vassal of
another state“.27 This interpretation perfectly fits the four texts we have
mentioned. Now, let us briefly take a closer look at Isa 47: 8 – 9 and Jer
51: 5.

2. 2 Babylon and Israel-Judah as Widows

Isa 47: 8 – 9 is a part of a lamentation over Babylon (Isa 47:1 –15), in


which the poet reveals the sins of the city and predicts her unexpected
devastation.
8 Now therefore hear this, voluptuous one,
securely reigning (literally: who sits securely, xjbl),28
and say in your heart,
“I am, and there is no one besides me;
I shall not sit as a widow (hnmla),
or know what it is to lose children (lukw Ï)“.
9 Both these things shall come to you
suddenly, in a single day:
Complete bereavement (lukw Ï) and widowhood (ñmla) 29

25 Cf. COHEN, City 75 –77.


26 Cf., in contrast, the cases of Abigail (1 Sam 25 : 2 – 42), Bathsheba (2 Sam 11: 2 – 12 : 25)
and the three widows in the Book of Ruth: Naomi, Ruth and Orpah.
27 COHEN, City 78 –79.
28 COHEN, City 79: “Here it is clear that dwelling as an almanah is the opposite of
dwelling securely (labetah).“
29 Abstract form of the noun hnmla, a synonym of tunmla (cf. Isa 54 : 4).
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 153

shall come upon you


in spite of your many sorceries
and the great number of your spells.
Babylon was so sure of herself that she never thought of the future, nor
for a moment imagined that her fate could change. Convinced that her
reign would last eternally, her arrogant declarations sealed her destiny.
And so, the denunciation of sin is followed by the threat of punish-
ment: she shall be left widowed and childless, stripped of her securi-
ties, totally defenseless and with an ill-fated future. In other words, she
who was once the “sovereign mistress of kingdoms“, tuklmm trbg (Isa
47: 5) and had many vassals serving her, suffers now the fate of a loser,
precisely by becoming a vassal herself.
Jer 51: 5 belongs to a long oracle against Babylon (Jer 50 :1 – 51: 64),
placed at the end of the book, where it constitutes the culmination of
the series of oracles against the nations begun in chapter 46. In this
oracle, Jeremiah strongly reprimands Babylon; this is “the enemy from
the north“, which has entirely dominated his life and work, from the
beginning to the end.
5 For Israel and Judah are not widowed (ñmla) 30
of their God, the Lord of hosts,
whereas the Chaldean land 31 is the debtor of the Holy One of Israel.32

The poet, wanting to justify the punishment of Babylon, mentions the


sin of its two vassal kingdoms, Israel and Judah, who were not left
widowed in spite of the fact that they too sinned against the Lord. In
other words, although they temporarily suffered the exile (understood
in matrimonial terms as repudiation or abandoning by the husband)
and experienced the precarious situation of the defenseless widow, the
Lord did not abandon them forever. In this sense, then, Israel and
Judah were not widowed. Babylon, on the contrary, must pay the debt

30 We consider ñmla to be a verbal form (cf. ZORELL [ed.], Lexicon 58); according to
others, it is the masculine form of hnmla, used here in a collective sense (COHEN, City
80 n. 51).
31 Other authors read “their land“ (Õcra) in reference to Israel/Judah, and generally
translate the initial ik of verse 5a as a concessive particle; see, for example, FISCHER,
Jeremia 593: “obwohl ihr Land voll von Schuld ist vor dem Heiligen Israels“ or the
New Revised Standard Version: “though their land is full of guilt before the Holy One
of Israel.“ J. LUNDBOM instead translates the Hebrew ik . . . ik as a sequence: “But
Israel is not widowed [verse 5a; . . .] But their land is filled with guilt [verse 5c]“
(LUNDBOM, Jeremiah 430). Quite different is the suggestion by COHEN, City 79 – 80.
32 The problem of this verse comes from its questionable relation with the context,
which has led many authors to consider it misplaced (cf. BRIGHT, Jeremiah 356, and
others).
154 NURIA CALDUCH-BENAGES

of her crime: she used violence to conquer her vassals and the Lord has
seen himself obliged to intervene. As ALONSO SCHÖKEL rightly noted,
“el castigo de Babilonia es medio para la liberación de Israel y Judá“.33

2. 3 Jerusalem as Widow

As we have already said, in the Hebrew Bible Jerusalem appears as


widow only in Isa 54 : 4 and Lam 1:1. We will now present these texts.
In Isa 54 :1–10, a poem that the Jerusalem Bible curiously entitles
“The revenge of Jerusalem“, Deutero-Isaiah describes the contrast
between the vicissitudes Jerusalem has known in the past and its im-
minent re-establishment, using matrimonial images such as the sterile
wife who becomes fertile and the repudiated wife who is welcomed
back. In verse 4, the image of widowhood appears jointly with that of
the unmarried state:
4 Fear not, you shall not be put to shame;
you need not blush, for you shall not be disgraced.
The shame of your youth you shall forget,
the reproach of your widowhood (tunmla) no longer remember.34

These are words of consolation that the prophet addresses to Jerusa-


lem. They invite her to forget the past and look toward the future
without fear, and even with hope. In the past, the city had been un-
faithful to her husband and, therefore, she remained solitary like an
unmarried or widowed woman, i. e., alone and childless, abandoned
and defenseless, subjected to the crushing domination of Babylon.
Now, however, thanks to the eternal love of God, Jerusalem will be
able to begin a new life, as a beloved spouse and mother of many
children, liberated from her former slavery and with a future full of
hope.
The Book of Lamentations opens with a bitter complaint setting the
tone for the entire composition in five elegies. Lam 1: 1 describes the
miserable state of Jerusalem, the capital of the kingdom of Judah, with-
out explicitly mentioning her name (cf. Lam 1: 3).
1 How lonely sits the city
that was full of people!
How like a widow (hnmla) has she become,

33 ALONSO SCHÖKEL /SICRE DÍAZ, Profetas 643.


34 Abstract form of the noun hnmla (cf. Gen 38 :14, 19, referring to Tamar, and 2 Sam
20 : 3 in reference to David’s concubines).
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 155

she that was great among the nations!


The princess of the provinces
is submitted to tribute.35

The prestige and splendour that once characterized Jerusalem have


disappeared. Not only was she a great city, but she also stood out
among the nations, even receiving the title of “princess of the provinces“.
This glorious past has been reduced to nothing. Now, Jerusalem is
experiencing terrible solitude and deep grief. Her situation is like that
of a widow, a woman without social status, without legal protection
and condemned to death, for she has no children and family. In
addition to this, her position as a tributary province of Babylon con-
stitutes, for MORLA ASENSIO, “el colmo de la desgracia“.36 Isolation,
grief, and political dependency constitute the present situation of
Jerusalem.

3. Jerusalem, an Innocent Widow Who Intercedes


for Her Children (Bar 4 : 5 – 5 : 9)

3. 1 General Introduction to the Text

The Book of Baruch, which was probably written by an anonymous


Jew towards the end of the 3 rd or the beginning of the 2 nd century B.C.,
reflects the structure of a liturgical assembly. Fictively set during the
exile by the section usually called the “Historical Introduction“ (1:1 –
14), the book contains a penitential supplication by the exiles (1:15 –
3 : 8), an exhortation to seek Wisdom (3 : 9 – 4 : 4) and an oracle of sal-
vation/restoration (4 : 5 – 5 : 9).
Bar 4 : 5 – 5 : 9 constitutes the last section of the book and functions
as its conclusion. As such, Bar 4 : 5 – 5 : 9 “confère au livre un mouve-
ment significatif qui va de la lamentation au retour triomphal, de la
désolation de la ville à son idéalisation, en passant par une période de
conversion durant laquelle on a reconnu la place et le rôle irrempla-
çable de la Loi écrite.“ 37 This oracle of salvation/restoration is the
reply to both the confession of sin and the supplication for pardon by

35 Most authors maintain the division of Lam 1:1 into three bicola. COHEN, on the other
hand, basing himself on the presence of the atnah in the term hnmlak, prefers to
divide the verse in two tricola; cf. COHEN, City 81.
36 MORLA ASENSIO, Lamentaciones 65.
37 KABASELE MUKENGE, unité 290.
156 NURIA CALDUCH-BENAGES

the exiles (1:15 – 3 : 8). The entire oracle assumes a tone of exhortation
calling for courage (ûarseÂv), through either the words of the prophet
(4 : 5 “Take courage, my people“, UarseiÄte, laoÂw moy; 4 : 30 “Take cour-
age, O Jerusalem“, UaÂrsei, Ieroysalhm) or the words of Jerusalem
(4 : 21 “Take courage, my children“, UarseiÄte, teÂkna; 4 : 27 “Take cour-
age, my children“, ûarshÂsate, teÂkna). Given the discourses and the
speakers, we can distinguish three sections in this text: a) the announce-
ment of salvation the prophet addresses to his people (4 : 5 – 9a); b) the
discourse Jerusalem addresses to her neighbours (aië paÂroikoi Sivn) and
to her exiled children (4 : 9b – 29); 38 and c) the exhortation the prophet
addresses to Jerusalem (4 : 30 – 5 : 9).39 In these three sections Jerusalem
appears personified as the mother and innocent widow who intercedes
for her children before the Lord. We shall now direct our attention to
the features that characterize this figure.

3. 2 Jerusalem as Mother

In line with the prophetic tradition, above all that of Deutero-Isaiah (cf.
Isa 51: 8; 54 :13; 60 : 4; 66 :7– 14 40 ), Jerusalem appears as a matron city,
as the mother of the Jewish people. In Bar 4 : 8, we hear the voice of the
prophet as he reprimands the exiles:
8 eÆpelaÂûesûe deÁ toÁn trofeyÂsanta yëma Ä w ûeoÁn aiÆvÂnion,
eÆlyphÂsate deÁ kaiÁ thÁn eÆkûreÂcasan yëmaÄ w Ieroysalhm´
You forgot the everlasting God, who nourished you,
and you grieved Jerusalem, who reared you.

The two sentences of this verse, perfectly parallel, establish a close tie
between God/father and Jerusalem/mother, both of whom are seen
in relationship to their children. God’s fatherhood and Jerusalem’s
motherhood allude to the marriage between God and Israel (Jerusa-
lem/Zion), although it is not explicitly stated in our text (cf. Hos 2; Isa
1:1– 26; Jer 2 : 2; Ezek 16; 22, among others).41 The verb attributed to

38 In the Book of Lamentations, Jerusalem as mother also speaks out, alternating her
voice with that of the prophet.
39 Cf. STECK, Baruchbuch 187 – 200. KABASELE MUKENGE distinguishes two parts in the
exhortation of Bar 4 : 5 – 5 : 9; the first one is addressed to the exiles (4 : 5 – 29) and the
second to personified Jerusalem (4 : 30 – 5 : 9) (KABASELE MUKENGE, unité 293).
40 For the image of Jerusalem as a woman in childbirth, see also Mic 4 : 9 – 10 and Jer
4 : 31.
41 According to ALONSO SCHÖKEL, the marital relationship is also indicated by the im-
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 157

God is trofeyÂv “nourish, rear, educate“, which in the LXX appears


only in Bar 4 : 8 and Exod 2 :7, where it refers to the social function of
the nurse.42 In respect to Jerusalem, the prophet uses the verb eÆktreÂfv,
which is semantically quite similar to trofeyÂv and more frequent in
the LXX. Of the 26 occurrences, let us especially take note of Isa 23 : 4
and 49 : 21, where this term is found conjointly with verbs related to a
woman in childbirth: vÆdiÂnv “suffer the pains of childbirth“, “give birth
with pain“, tiÂktv, “give birth“, “bring into the world“, and gennaÂv, “en-
gender“, “bring into the world“. In these texts, eÆktreÂfv translates the
Hebrew ldg Pi el, “rear, educate“, always in reference to Jerusalem/
Zion. In Bar 4 :11, the same verb appears on the lips of Jerusalem,
when she tells her neighbours that she had reared (eÍûreca) her sons
and daughters with joy. Jerusalem’s motherhood 43 is, additionally,
emphasized each time she herself (or the prophet in 4 : 23, 37; 5 : 5)
mentions her sons and daughters (4 :10, 14, 16) and her children, teÂkna
(4 :12, 19, 21, 25, 27), to whom she refers twice with very affectionate
terms: “cherished“, aÆgaphtoi in 4 :16 and “pampered“, tryferoi in 4 : 26
(cf. Deut 28 : 56; Isa 47:1, 8; Mic 1:16). Thus, Jerusalem appears like a
mother responsible for the care and education of her cherished sons
and daughters, a mother who accomplishes her task devotedly and
joyfully and who, in spite of the adverse circumstances, uses all possi-
ble means to help them: “What can I do to help you?“ (4 :17).

3. 3 Jerusalem the Widow

The image of Jerusalem as mother is completed by another image that


is even more moving as it stirs the sympathy of the reader. Jerusalem is
compared to a forsaken widow, wrapped in weeping, alone and de-
prived of her sons and daughters (cf. Isa 54 : 4 and Lam 1:1). We must
note that neither the prophet nor the protagonist herself makes allusion

position of the name (Bar 4 : 30; 5 : 4; cf. Isa 62 : 2); cf. ALONSO SCHÖKEL, Hermenéutica
82.
42 MOORE, Daniel 309: “Given the strongly patriarchal character of Yahwism, one might
argue that ’nursing’ was an inappropriate activity for a male deity like Yahweh; but
see Hosea 11: 4, where Yahweh seems to refer, quite literally, to nursing when he
says, ’And I bent down to them and fed them’; see also Ezek 16 : 4 – 7.“ Also cf. Deut
32 :18, where the verbs gennaÂv and treÂfv (respectively translations of the Hebrew
dli and lux) are used in reference to God.
43 On this subject, see SCHMITT, Motherhood.
158 NURIA CALDUCH-BENAGES

to the death of the husband or to the sorrow and suffering it entails.44


The entire discourse concerns the children (in all, 12 occurrences). In
fact, Jerusalem’s widowhood – as she says herself in 4 :12 – 13 – is due
to the sin of her children.
Jerusalem the widow (xhÂra, translation of the Hebrew hnmla)
describes her dramatic situation poignantly, accentuating the tremen-
dous solitude into which she sees herself plunged. This is expressed by
the repetition of the verb eÆrhmoÂv “devastate, lay waste, depopulate,
deprive of “ (4 :12, 16) and the adjective eÍrhmow, “solitary, deserted,
uninhabited“ (4 :19). In 4 :12 – 13, she recognizes her disgrace before
her neighbours. She finds herself abandoned (kataleifûeiÂsh, cf. 4 :19)
and desolate (hÆrhmvÂûhn), and this is due to the wickedness of her
children who parted from the ways of the Lord. Directly after this, in
4 :1–16, she recalls the punishment that the Lord inflicted on her
children, i. e., the exile in Babylon, and what this critical juncture meant
for her:
14 eÆlûaÂtvsan aië paÂroikoi Sivn,
kaiÁ mnhÂsûhte thÁn aiÆxmalvsiÂan tv Ä n yiëv
Ä n moy kaiÁ ûygateÂrvn,
hÊn eÆphÂgagen ayÆtoiÄw oë aiÆvÂniow´
15 eÆphÂgagen gaÁr eÆp’ ayÆtoyÁw eÍûnow makroÂûen,
eÍûnow aÆnaideÁw kaiÁ aÆlloÂglvsson,
oiÊ oyÆk hìÆ sxyÂnûhsan presbyÂthn
oyÆdeÁ paidiÂon hÆleÂhsan
16 kaiÁ aÆphÂgagon toyÁw aÆgaphtoyÁw thÄ w xhÂraw
kaiÁ aÆpoÁ tv
Ä n ûygateÂrvn thÁn moÂnhn hÆrhÂmvsan

14 Let Zion’s neighbours come,


to take note of the captivity that the Eternal God brought upon
my sons and daughters.45
15 He has brought against them a nation from afar,
a nation ruthless and of alien speech,
that has neither reverence for age
nor tenderness for childhood;
16 They have led away this widow’s cherished sons,
have left me solitary, without daughters.

44 KABASELE MUKENGE, unité 302 n. 37: “Cette comparaison de la ville à une veuve a
quelque chose de poétique, car le veuvage signifie ici la perte de ses enfants, et non
pas, comme dans l’acception courante, la perte du mari.“
45 It should be noted that, in 4 :14, Jerusalem uses the direct style, whereas in 4 :15 – 16
she speaks in the 3 rd person.
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 159

She is this widow whose cherished sons the Lord has carried away,
leaving her solitary (moÂnhn) 46 and desolate (hÆrhÂmvsan). Finally, speak-
ing directly to her children, Jerusalem once again stresses her solitude:
“Go, my children, go; for you have left me desolate (kateleiÂfûhn
eÍrhmow)“ (4 :19).
Lastly, the solitude Jerusalem experiences within herself is also ex-
pressed by a series of gestures that recall the rites of mourning that
usually accompanied situations of disgrace or great affliction, public
calamities or times of penance: putting on sackcloth, sitting or lying
down in ashes and intoning the funeral hymn, among others.47 Thus,
for example, Jerusalem says farewell to her children “with tears of
mourning“ (4 :11, 23) and with “the sackcloth of supplication“ (4 : 20;
cf., by contrast, 5 :1). Moreover, the invitation of the poet in 5 : 5 (“Arise,
Jerusalem“) leads us to suppose that she was seated or prostrated on
the ground when she uttered her lamentation.48

3. 4 Jerusalem is Innocent

The image of Jerusalem as mother and widow does not represent a


novelty, since – as we have seen – it comes from an earlier, especially
prophetic, tradition. We cannot say the same in respect to her condition
of “both mother and innocent widow“, because this is totally foreign to
the already mentioned tradition that goes back to the prophet Hosea.
In Hos 2 : 4 –15, the prophet reproaches his wife (here, this does not
concern Jerusalem but Samaria) for her prostitutions and adultery with
her numerous lovers. Prostituted Jerusalem reappears in Isa 1: 21 – 26
and in many texts of Deutero-Isaiah, where the unfaithful city-wife
provokes the anger of the husband with her countless sins (Isa 40 : 2;
43 : 22 – 28; 50 :1; 51:17). Likewise, Jeremiah denounces the sexual infi-
delity and indecency of his wife-Jerusalem with vivid language and
bold imagery (Jer 3 : 3, 10; 4 : 30 – 31; 13 : 25 – 27; 22 : 20 – 23). In keeping
with the earlier prophets, Ezekiel denounces, in carefully chosen terms,
the dissolute behaviour of the wife-Jerusalem to the point of turning
her into an object of reproach, taunting and insult. While chapter 16

46 The Alexandrian codex (A) of the LXX has monogenhn.


47 Cf. Gen 37: 34; 2 Sam 3 : 31 (put on sackcloth); Esth 4 : 3; Isa 58 : 5; Jer 6 : 26; Ezek 27: 39
(lie down or sit in ashes); 2 Sam 1:19 – 27; 3 : 33 – 34; Lamentations (funeral hymn or
elegy).
48 KABASELE MUKENGE, unité 302 and 311 n. 58.
160 NURIA CALDUCH-BENAGES

puts the emphasis on the wife’s treason, chapter 23 insists on her incur-
able immorality and perversion that will lead her to a tragic end: she
will be raped, thrashed and mutilated. Guilty Jerusalem is not the ex-
clusive legacy of the prophets, since the Book of Lamentations men-
tions numerous confessions, denunciations and sins of the city. In Lam
1: 2, the poet states, although indirectly, that the widow (Jerusalem)
was unfaithful to her husband: she had several lovers. In 1: 4, the Lord
punishes her for her many crimes; in 1: 8, she is explicitly accused of
having become impure because of her many sins; in 1:18, she person-
ally confesses that she has been disobedient to the commandments of
the Lord; in 2 :14 the prophets deliberately hide her faults, and in 4 :16
her sin is even greater than that of Sodom.
In Bar 4 : 5 – 5 : 9, on the contrary, Jerusalem is completely inno-
cent.49 She does not confess that she has sinned, and the prophet does
not accuse her of this. Nothing and no one in the text suggests that the
city-wife is guilty. In the present case, Jerusalem is the innocent victim,
whereas her children are responsible for her widowhood (cf. Tob 13 : 9):

4 :12 mhdeiÁw eÆpixaireÂtv moi


thÄì xhÂraì kaiÁ kataleifûeiÂshì yëpoÁ pollv Ä n´
hÆrhmvÂûhn diaÁ taÁw aëmartiÂaw tv Ä n teÂknvn moy,
dioÂti eÆjeÂklinan eÆk noÂmoy ûeoyÄ,
4 :13 dikaivÂmata deÁ ayÆtoyÄ oyÆk eÍgnvsan
oyÆdeÁ eÆporeyÂûhsan oëdoiÄw eÆntolv
Ä n ûeoyÄ
oyÆdeÁ triÂboyw paideiÂaw eÆn dikaiosyÂnhì ayÆtoyÄ eÆpeÂbhsan

4 :12 Let no one rejoice over me,


a widow and bereaved of many;
I was left desolate because of the sins of my children,
because they turned away from the law of God.
4 :13 They ignored his statutes;
they did not walk in the ways of his commandments,
nor tread the paths of discipline in his righteousness.

49 ALONSO SCHÖKEL, Hermenéutica 89: “Frente a esta cadena solidı́sima de tradición la


inocencia de Jerusalén, aunque no enunciada formalmente en el poema de Baruc, es
una novedad excepcional, que los comentadores no han observado ni señalado.“
Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 161

3. 5 Jerusalem as Intercessor

Intercession is a typical though not exclusive function of the prophets.50


In 1 Sam 7: 8, the Israelites ask Samuel to intercede for them, and this
also happens with Elijah, in 1 Kgs 17: 20 – 22; in 2 Kgs 4 : 33, Elisha
intercedes for the Shunammite’s son who has died and is lying on his
bed. Amos (7: 2, 5), Isaiah (37: 1 – 4), Jeremiah (18 : 20; 27:18; 37: 3),
Ezekiel (9 : 8) and Daniel (9 :15 – 19) intercede for the people on various
occasions. Abraham, Moses, kings, priests and women also serve as
intercessors or mediators. Among the latter the most prominent are
Abigail (1 Sam 25), Bathsheba (1 Kgs 1) and the woman of Tekoa (2 Sam
14) who intercede, respectively, for David, Solomon and Absalom, and
further the heroines Judith and Esther, who intercede for the people.51
In the text of Baruch, the intercessor is the city of Jerusalem, mother
and innocent widow, directing her supplication to the Lord for her
sinful children. Fully convinced and full of confidence that the Lord
will answer her prayer, she says: “While I live I will cry out“ (4 : 20).
However, Jerusalem not only intercedes for her children, for whom she
feels great compassion (4 : 26); she also exhorts and encourages them,
as did the prophets with regard to the people of Israel (cf. the oracles of
consolation). She exhorts them to call upon the Lord (4 : 21, 27), to
patiently bear the punishment or exile (4 : 25), to be converted and to
seek the Lord with greater determination (4 : 28). Her discourse (which
resembles the one by the anonymous prophet in 4 : 30 – 5 : 9), both con-
soling and joyful, is characterized primarily by her assurance that they
will be saved.52 Consequently, she constantly repeats to her children:
“He who has brought these disgraces (taÁ kakaÂ) upon you must himself
deliver you from your enemies’ power“ (4 :18, 21); “the mercy that will
swiftly reach you from the Eternal One, your saviour“ (4 : 22); “God
will give you back to me with enduring gladness and joy“ (4 : 23); “they
[the neighbours of Zion] soon shall see God’s salvation come to you,
with great glory and the splendour of the Eternal God“ (4 : 24); “He
who brought this upon you will remember you“ (4 : 27); and, finally,

50 Concerning this, see IWANSKI, Dynamics.


51 ALONSO SCHÖKEL, Hermenéutica 84 – 85.
52 Cf., on the one hand, ûarseÂv (4 : 21, 27), xara (4 : 22), eyÆfrosyÂnh (4 : 23, 29) and
xarmosyÂnh in 4 : 23 and, on the other, svthriÂa 4 : 22, 24, 29 and svthÂr 4 : 22.
162 NURIA CALDUCH-BENAGES

“For he who has brought these disgraces (taÁ kakaÂ) upon you will, in
saving you, bring you back enduring joy“ (4 : 29; cf. 4 :18). The interces-
sion and the exhortation give an undeniably prophetic character to the
discourse of personified Jerusalem. As ALONSO SCHÖKEL notes,
“En una época en que ’no hay profeta’ (Sal 74,9; 1 Macc 14,41), Baruc
encomienda a la ciudad personificada oficio tan importante. Ella ha de
interpretar y explicar los sucesos, con sus consejos ha de acompañar a sus
hijos hasta el destierro para que éste se convierta en medicina, ha de sus-
citar y avivar la esperanza del retorno“.53

4. Conclusion

The ancestral tradition of feminizing cities, especially capital cities, by


describing them as wives of the patron gods, was at the source of the
imagery so often used by the prophets: Jerusalem as a woman and,
above all, as an unfaithful or adulterous wife. Texts, inscriptions and
archaeological artefacts attest to the practice of attributing the follow-
ing titles or appellations to cities: “lady“, “princess“, “queen“, “virgin“,
“daughter“, “mother“ and also, though less frequently, “widow“.
The image of the city-widow, be it Jerusalem or another city, has
been interpreted in the light of the legal meaning of the Hebrew term
hnmla (in Greek, xhÂra). From this viewpoint, the word “widow“ does
not simply refer to a woman whose husband has died, but also to the
woman who, having lost her husband, finds herself in a desperate
situation: without means of sustenance and deprived of legal protec-
tion. Applied to a city, widowhood describes a situation in which the
city cannot provide for itself – for example, a tributary city or a vassal
town of a stronger and more powerful nation. As we have seen, this is
indeed the case of Jerusalem and Babylon: on their path through histo-
ry, both have experienced “widowhood“.
Jerusalem as widow is an image replete with emotions that evoke
the reader’s compassion. In Isa 54 : 4 and Lam 1:1, the only two texts of
the Hebrew Bible in which it appears, widowhood is described as a
shame-inspiring dishonour. Even more: widowhood is synonymous
with solitude, sadness, helplessness and slavery. In Bar 4 : 5 – 5 : 9, on
the contrary, widowed Jerusalem in some way presents a different
countenance and even some original features. This originality consists

53 ALONSO SCHÖKEL, Hermenéutica 86.


Jerusalem as Widow (Baruch 4 : 5 – 5 : 9) 163

precisely in her innocence (those who have sinned are her children)
and her function as intercessor (she intercedes for her children before
the Lord), two typical characteristics of the prophets that had never
before been attributed to Jerusalem in a feminine personification. The
prophetic image of Jerusalem as mother and widow, innocent and in-
tercessor, is one more piece in the mosaic of symbols that is still a
challenge for today’s readers.

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Portrayals of David in Deuterocanonical
and Cognate Literature

PANCRATIUS C. BEENTJES

No doubt King David is a popular figure, who has inspired a lot of


people. For “Googling“ the lemma “King David“, no less than 126
million hits are presented. Quite a few novelists have invented their
own David: ELMER DAVID, Giant Killer (1928); GLADYS SCHMITT, David
the King (1946); STEFAN HEYM, Der König David-Bericht (1972); THOMAS
BURNETT SWANN, How are the Mighty Fallen (1974); JOSEPH KELLER,
God Knows (1984); ALLAN MASSIE, King David (1995).1
There are even “biographies“ relating to this biblical hero, such as
the ones by JUAN BOSCH, David: Biography of a King (1966) and STE-
VEN L. MCKENZIE, King David – A Biography (2000). Furthermore,
there are numerous collections with all kinds of information with
respect of David, such as R. J. FRONTAIN /J. WOJCIK, The David Myth in
Western Literature (1980); W. DIETRICH /H. HERKOMMER (eds.), König
David – biblische Schlüsselfigur und europäische Leitgestalt (2003).
Since the material relating to David is so huge, this paper will
concentrate on how David himself is presented in deuterocanonical and
cognate literature. As some specific authors, such as Josephus,2 or spe-
cific corpora, such as the Dead Sea Scrolls 3 and Rabbinic Literature,4
have already been investigated with respect of David, this contribution
will refrain from those fields, just as it will deliberately refrain from the
much discussed problem of David and Messianism, the more since the
latter notion goes without an unequivocal definition.5
A sketch, even though incomplete, of how the biblical figure of
David is presented in deuterocanonical and cognate literature can best
have its starting point somewhere at the end of the Old Testament
period, as about that time deuterocanonical literature gradually arose.
The Book of Chronicles can therefore serve as a bridge between these

1 See PETERSEN, Portraits.


2 FELDMAN, Josephus’ Portrait; BEGG, David and Goliath Story; HÖFFKEN, Rolle.
3 EVANS, David.
4 THOMA, David; BASSLER, Man.
5 See e. g. KNIBB (ed.), Septuagint.
166 PANCRATIUS C. BEENTJES

two corpora, all the more since it represents an important phase within
the “Wirkungsgeschichte“ of older biblical material.

1. The Portrayal of David in Chronicles 6

With respect to David, the author of the Book of Chronicles is not so


much sketching the King’s state affairs as they have been described in
2 Sam and 1 Kgs. He rather enters at length into all that David has
accomplished for the Jerusalem temple and cult. However, emphasiz-
ing David’s unbridled energy on cultic matters is only one side of the
coin. The Chronicler has also another major intervention in store. For
the King who in 2 Sam and 1 Kgs is a man of common day, with all
kinds of shortcomings, is transformed into a pious man of unprece-
dented calibre, an ideal protagonist. Just three examples may illustrate
the Chronicler’s approach.
1. Whereas in 2 Sam it is reported that David beat a hasty retreat from
the Philistines moving against him and went down to the strong-
hold (2 Sam 5 :17), the Chronicler instead needs a King without fear
or reproach who has the courage to look them straight in the eye.
The author therefore presents a completely different picture: “Da-
vid went out against them“ (1 Chr 14 : 8). With the help of just a few
words a coward has been transformed into a straight hero!
2. Remarkable transformations of the older biblical tradition are also
found in the sphere of the cult. Some lines later in the same narra-
tive it is reported that “the Philistines abandoned their idols
(Õhibcy) there, and David and his men carried them away“ (2 Sam
5 : 21). For the Chronicler there is no question to adopt this line. For
the King who some chapters later will turn out to be the founder of
the Jerusalem temple cult must of course steer clear of pagan idols.
And indeed, in Chronicles we find a revised text: “The Philistines
abandoned their gods (Õhihla) there, and at David’s command
they were burned“ (1 Chr 14 :12). Now the foreign gods are imme-
diately destroyed in the fire and, moreover, it is emphasized that
this is an explicit decision by David.
3. It should not cause any surprise that the Chronicler does not men-
tion a single word about David’s intrigues to take Bathsheba, the

6 See e. g. IM, Davidbild; KNOPPERS, Images; POMYKALA, Dynasty 69 – 111; DE VRIES,


Moses.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 167

wife of Uriah the Hittite, to his own wife (2 Sam 11 – 12). The author
wants to portray David being a pious hero, not a murderer and
adulterer. No wonder the Chronicler has entirely omitted these
chapters. The idealization of David has assumed vast proportions
and appears to be a common feature of deuterocanonical and cog-
nate literature.

2. David in the Book of Ben Sira

2. 1 Sir 47 :1 – 11

In the Hebrew text of Ben Sira’s Hymn to the Fathers (Sir 44 – 50), David
is mentioned nine times,7 of which his portrayal in 47 :1 – 11 has to be
studied in the first place.8 On the face of it, it looks as if the opening
line with its reference to Nathan serves as the start to an historical
overview of David’s life: “After him [Samuel] came Nathan to stand
before David“ (47 :1). This general communication, however, remains
the only reference to Nathan’s activities. No word, for instance, about
his prophetic role to announce God’s promise with respect of the
Davidic dynasty, as handed down in 2 Sam 7 or 1 Chr 17.9
As far as other references to biblical narratives about David are
concerned, a kind of a pattern can be observed. At first glance, the
reader gets the impression Ben Sira is just referring to traditional bib-
lical stories, such as the episode in which David reports to Saul how he
as a shepherd rescued the lamb from a lion’s or a bear’s mouth (1 Sam
17: 34 – 36 / Sir 47: 3), his fight against Goliath and the Philistines
(1 Sam 17: 45 – 50/Sir 47: 4 – 5, 7), as well as the reference to the women’s
song as David was coming home (1 Sam 18 : 6 – 7 / Sir 47 : 6ab).
Ben Sira has used all this material, however, to create a particular
view of David. The real intention of Ben Sira’s portrayal of David is
already revealed in the second line, where David’s election is worded
in cultic terminology: “As fat is lifted up from the holy offering, so was
David from Israel“ (47: 2). Furthermore, it appears that all David’s
heroic deeds are interpreted by Ben Sira as God’s reaction to David’s
religious attitude: “He called upon God Most High“ (Sir 47 : 5a), so that
it in fact are God’s actions: “God Most High, who gave strength to his

7 Sir 45 : 25; 47 :1, 2, 8, 22; 48 :15, 22; 49 : 4; 51:12h.


8 See MARBÖCK, Davids Erbe; XERAVITS, Figure.
9 This point will be fully discussed later.
168 PANCRATIUS C. BEENTJES

right arm“ (Sir 47: 5b). At this point in the portrayal of David, Ben Sira
has used the collocation “to call upon God Most High“ (la la arq
ñuily), which appears to be a thematic thread throughout the Laus
Patrum, since it shows up at specific points: Sir 46 : 5a (Joshua), Sir
46 :16a (Samuel), Sir 48 : 20a (Hezekiah and the people of Judah).
When David in Ben Sira’s presentation has actually come into power,
the King is extensively – and exclusively – portrayed as the organizer
of the Jerusalem cult. No less than ten successive cola (47 : 8 – 10) have
been devoted to depict David as someone who is constantly giving
thanks to God, arranging musical instruments, composing songs,
ordering feasts, and so on. In his enthusiasm, Ben Sira even imported
an anachronistic element. The wording “before the altar“ (47 : 9a)
makes it as if in David’s days the Temple already existed!
In a remarkably general way, the text in 47:11a (uywp ribyh iii [Õgu])
mentions David’s sin, which undoubtedly refers to his affair with
Bathsheba (2 Sam 11–12). The phrasing of this colon has a direct bear-
ing on 2 Sam 12 :13 (Ótajx ribyh huhi-Õg), which in the biblical context
has explicitly been put in the mouth of Nathan. In the Ben Sira text,
however, there is no role for Nathan as a mediator. The same phrase is
now directly from the author to his readers: “JHWH even forgave him
his sin“, just as the remainder of this verse: “and He raised his horn
forever; He gave him the right of kingship and established his throne
over Jerusalem“.10
I am convinced that these concluding cola are an important key to
Ben Sira’s Hymn to the Fathers. First, we have to ascertain that, in spite
of 47:11a which undoubtedly quotes Nathan’s words, again the prophet
plays no role at all. Second, it is a matter of highest concern that
nowhere in 47:11b – d Ben Sira is referring to an everlasting Davidic
dynasty. Several scholars have correctly laid emphasis on the fact that
ñrq (“horn“) in 47:11b has to be linked with the same noun in 47: 5b
(“to restore the horn of his people“), in 47 : 7c (“and broke their horn till
this day“), and 49 : 5 (“He [God] gave their horn to others“).11 Since ñrq
(“horn“) refers to three different groups or persons, it is impossible
that in Sir 47:11b it should exclusively relate to the Davidic dynasty.
The words of this colon have only a bearing on David himself. Third,
the fact that Sir 47:11c has the noun qx, and not the noun tirb (“cov-

10 “La prophétie de Nathan, fondement scripturaire du messianisme royal, ne fait l’ob-


ject d’aucune allusion dans quelques versets consacrés à David par l’Eloge des Pères
des chapitres 44 – 49“; CAQUOT, Ben Sira 54.
11 See e. g. CAQUOT, Ben Sira 55; POMYKALA, Dynasty 145; XERAVITS, Figure 32 – 34.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 169

enant“) – which in the Hymn to the Fathers, however, is used several


times 12 – is a clear indication that Ben Sira is deliberately putting his
thoughts into words here.
What is this all about? It is my firm conviction that in his portrayal
of David, Ben Sira with all means tries to be consistent with a point of
view he advanced earlier on in his work. It is time to take a close look
at Sir 45 : 25.

2. 2 Sir 45 : 25, a Famous Crux Interpretum

What strikes one most here, in the first place, is that Ben Sira for the
first time abandons the strictly chronological order which is so char-
acteristic of his Hymn to the Fathers. Subsequent to the passage on
Phinehas (45 : 23 – 24), which has been composed with the help of a
conscious selection of cola from Num 25 :11 – 13, in 45 : 25 suddenly the
theme of God’s covenant with David is introduced.13 This untimely
mention of David – to whom in 47 :1 – 11 a lengthy passage has been
devoted – must therefore play a special role within the context of the
Phinehas pericope. The Hebrew text of Manuscript B. runs as follows:
hduhi hjml iwi ñb dud Õy utirb Õgu
uyrz lkl ñrha tlxn udubk inpl wa tlxn

Investigating the function of Sir 45 : 25, specifically in the third colon


(udubk inpl wa tlxn) one is faced with substantial text critical problems.
In my 1981 doctoral dissertation, I advanced the view that the Hebrew
text of 45 : 25c should be taken more seriously than had been done
before.14 Up to that date, no single scholar or commentator had ever
seen an opportunity to present a useful interpretation of this colon.
Therefore, all kinds of textual emendations had been suggested in
order to get out of this problem.15
Since 45 : 25d has been devoted to Aaron, and the opening cola of
45 : 25ab have a bearing on David, and moreover, as 45 : 25c and 25d
present a parallel structure, for all commentators it is definite that
45 : 25c can only relate to David. There must be, it is reputed, a com-
parison between the succession in the lineage of David (45 : 25c) and

12 Sir 44 :12, 17, 20, 22; 45 :15, 24 – 25; 50 : 24. Later on we will argue that the last two
occurrences appear to be essential.
13 For the composition of Sir 45 : 23 – 24, see BEENTJES, Canon 601f.
14 BEENTJES, Jesus Sirach 175 – 200.
15 An overview is offered by CAQUOT, Ben Sira 59 – 64; PRIEST, Ben Sira.
170 PANCRATIUS C. BEENTJES

the one in the lineage of Aaron (45 : 25d). According to this argumen-
tation, both the Greek and the Syriac translation confirm the aspect of
comparison.
Greek
KaiÁ diaûhÂkhn tv Äì Dayid “And a covenant with David,
yiëv
Äì Iessai eÆk fylh Ä w Ioyda son of Jesse from the tribe of Judah;
klhronomiÂa basileÂvw an inheritance of a king
yiëoyÄ eÆj yiëoyÄ moÂnoy is a son from a son only,
klhronomiÂa Aarvn an inheritance of Aaron
kaiÁ tv Äì speÂrmati ayÆtoyÄ is also to his seed.“

Syriac
w p dwyd br yšy “And also David, son of Jesse,
yhrtn dmlk blhwdwhy yrt an inheritance of kings alone he inherited,
wywrtn d hrwn˙ but an inheritance of Aaron
lh wlzr h is to him and his seed.“

On the basis of these two versions, several proposals have been sub-
mitted to reconstruct the “original“ Hebrew text of 45 : 25c. Since both
the Greek and the Syriac have the notion “alone“, it has often been
suggested to alter udubk (“his glory“) into udbl (“alone“), and to substi-
tute unbl (“his son“) for unpl (“in his presence“).16 It is quite remarkable,
however, that a fundamental question has consistently been left un-
answered, viz. in what way that “original“ Hebrew text of 45 : 25c
could have corrupted into the extant text of Manuscript B.
I therefore recommended an investigation into the question whether
the factual discovered Hebrew text could have a meaningful sense
within the Phinehas passage, since it was my firm conviction it has
indeed. To that end, one should get rid of the idea that 45 : 25a is the
start of a new sentence. Instead of it, it deserves serious consideration
to look upon 45 : 25a as the immediate continuation of 45 : 24cd. So doing,
the translation of 45 : 24c – 25b runs as:
“So that he [Phinehas] and his descendants
should possess the high priesthood forever,
but even His covenant with David,
the son of Jesse of the tribe of Judah“.

This translation, which had not even been considered in scholarly dis-
cussion, in any case can explain why the Hebrew of 45 : 25ab has no
verb; these cola must be seen as a subordinate clause to 45 : 24c. The

16 See e. g. POMYKALA, Dynasty 132 – 144; PIETSCH, Sproß 164 – 175.


Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 171

Greek text, too, appears to contain a similar lead. Nearly all Greek
manuscripts render an accusative (diaûhÂkhn), which by all commenta-
tors is immediately amended into a nominative.17 The mere fact, how-
ever, that the vast majority of the Greek manuscripts in Sir 45 : 25a
render an accusative is significant and should be given due protection.
It could be an indication that Ben Sira’s grandson, as the translator of
the Greek text, indeed made diaûhÂkhn depend on a preceding verb, or
that he thought this was the case, even though the Greek syntax of
45 : 24 does not suit for that kind of dependence.
Associating God’s covenant with David (45 : 25a), however, with
the institution of High Priesthood – viz. by the way of Phinehas –, at
the same time the purport of 45 : 25c would be perfectly clear, to the
effect that in the Hebrew text no emendations whatsoever are needed.
There is no need anymore to emend wa (“fire“) into wia (“man“),18
because the former notion no longer has a bearing on David, but on
Phinehas and his descendants, and can therefore be interpreted within
the area of the high priestly institution, viz. the cult:
“the inheritance of fire before his glory,
the inheritance of Aaron for all his descendants“.

So doing, the mention of Aaron in the passage on Phinehas does not


only refer to the preceding lengthy pericope on Aaron (45 : 6 – 22), but
also ties in with the notion of “inheritance“ that in 45 : 22 constitutes
the culmination of the passage on Aaron.
With respect of the notion of “fire“ one should keep in mind that this
notion plays an important role in Num 17:1– 15. Since in Sir 45 : 6 – 22,
however, there is no reference at all to this biblical passage, maybe Ben
Sira in his portrayal of Aaron has deliberately omitted an allusion to
that text, as he wanted to link the notion of “fire“ with the special
theme he created for 45 : 25.
It appears that Ben Sira in 45 : 25 relates God’s covenant with David
to the High Priesthood of Aaron, Phinehas and his descendants: “that
what was once promised to the Davidic dynasty has now been ’inher-
ited’ by the Aaronite high-priesthood“.19 Against this background, it
becomes evident why Ben Sira in 45 :12 has portrayed Aaron, the High
Priest, with “a diadem of precious gold“ (zp trjy), a collocation that is

17 See ZIEGLER, Sapientia 340.


18 Nowhere in the Hebrew manuscripts of Ben Sira wa is found being a defective read-
ing for wia.
19 MARTIN, Ben Sira’s Hymn 115.
172 PANCRATIUS C. BEENTJES

unique and is only found in Ps 21: 4, where it has a bearing on a king!


The same is true for Sir 45 :15, where the collocation “as permanent as
the heavens“ (Õimw imik) is said of Aaron and his descendants. This,
too, is a unique biblical wording, which is found in Ps 89 : 30 in respect
of King David.20 Now we do understand why Ben Sira in his portrayal
of David does not refer to Nathan neither to God’s promise about the
Davidic dynasty. In Ben Sira’s view, God’s covenant with David has
been transferred to the Aaronite dynasty.21 JAMES MARTIN, who was the
first scholar to agree with my interpretation of Sir 45 : 25, has an inter-
esting remark: “corresponding to what we might call the ’Davidising’
of the Aaronite (high-)priesthood, there is in the David pericope what
we might call the ’Aaronising’ of David, with [. . .] an emphasis being
laid on his role in the establishing of the cult“.22
Finally, Sir 50 : 24 should be adduced as solid evidence that “the
office of king, secured by the Davidic covenant, is for Ben Sira now
located in the office of high priest“.23 It is not by chance, of course, that
in 50 : 24d the collocation Õimw imik (“as permanent as the heavens“) 24 is
used in respect of Phinehas, as in 45 :15 it was with regard to Aaron.25
Again, we find a clue that this collocation, which originally referred to
the Davidic dynasty (Ps 89 : 30), has been transferred to the High
priestly dynasty.
Most probably, Ben Sira in 45 : 25 upholds a tradition which is
already documented in the 3 rd century B.C.E. In the so-called Aramaic Levi
Document, the figure of Levi and the levitical line have been given a
particularly central status.26 With the help of a midrash on Gen 49 :10,
in 11: 5 – 6 (= ALD 66 – 67) Judah’s royal blessing is transferred to
Kohath, Levi’s second son and the ancestor of the High priestly line.27

20 An overview of David in the Psalter is offered by BALLHORN, David.


21 It is no accident, of course, that exactly the same phrase – “as permanent as the
heavens“ (Õimw imik) – is used again in Sir 50 : 24d, which is the concluding line of
Ben Sira’s praise of Simeon the High Priest.
22 MARTIN, Ben Sira’s Hymn 115.
23 POMYKALA, Dynasty 143.
24 In their analysis of Sir 45 :15, a lot of commentators do not even mention that the
collocation Õimw imik is also found in Sir 50 : 24.
25 It is not impossible that the phrasing uyrzlu ul trki al rwa (Sir 50 : 24c) has been
inspired by 1 Kgs 9 : 5b (larwi ask lym wia Ól trki al). If so, again a “royal text“ has
been transformed into a “high priestly“ one!
26 I like to thank Prof. MICHAEL STONE (Hebrew University, Jerusalem) for his reference
to this document.
27 See GREENFIELD /STONE /ESHEL, Document 35, 94f, 184 – 188; DRAWNEL, Wisdom
145 –150, 307 – 309.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 173

Ben Sira, however, did not just adopt this tradition, but made some
adjustments to it; instead of Kohath, he favoured Aaron and Phinehas.
In Sir 50 : 24b, for instance, we come across the collocation sxnip tirb
(“the covenant with Phinehas“), a word combination that is unknown
to the Hebrew Bible and is therefore to be considered a creation by Ben
Sira himself. By means of this unique collocation, the author in a two-
fold way directly points back to 45 : 24. First, the mention of the name
of Phinehas in 50 : 24 immediately refers to the crucial passage on this
High Priest in chapter 45. Second, it is quite remarkable that precisely
in Sir 50 : 24 we find the one and only reference to the notion tirb
(“covenant“) after its remarkable occurrence in Sir 45 : 24 – 25.

3. David in 1 Macc

3. 1 1 Macc 2 : 57

Though David’s name is found six times in the First Book of Macca-
bees, the factual yield is quite meagre, since in four occurrences (1 Macc
1: 33; 2 : 31; 7: 32; 14 : 36) it has been used in the collocation poÂliw DayeiÂd
(“city of David“).28 The other two references to David, however, are
quite interesting.
In his valedictory speech (1 Macc 2 : 49 – 68), Mattathias summons
his sons to show zeal for the Torah, and to give their lives for the
covenant of their ancestors: “Remember the deeds of the ancestors,
which they did in their generations; and you will receive great honour
and an everlasting name“ (2 : 51). Then he recalls a series of Israel’s
heroes of the past that are to be considered examples of piety and
brave deeds: “Was not Abraham found faithful when tested, and it was
reckoned to him as righteousness? Joseph in the time of his distress
kept the commandment, and became lord of Egypt“ (2 : 52 – 53).
It is no coincidence, of course, that Mattathias, being a priest him-
self, subsequently refers to Phinehas: “Phinehas our ancestor, because
he was deeply zealous, received the covenant of everlasting priest-
hood“ (2 : 53). Having mentioned Joshua (“because he fulfilled the
commandment“), and Caleb (“because he testified in the assembly“),
David is put on the scene: “David, eÆn tv Äì eÆleÂei ayÆtoyÄ, inherited the
throne of the kingdom for ever“ (2 : 57). It is followed by a reference to

28 See TARLER /CAHILL, David.


174 PANCRATIUS C. BEENTJES

Elijah: “because of great zeal for the Law, he was taken up into heav-
en“ (2 : 58).
We can only speculate whether the author of 1 Macc for this series of
portrayals has been inspired by Ben Sira’s overview of biblical heroes
(Laus Patrum) that was published seventy years or so earlier. Much
more important, in my opinion, is what is meant by the notion eÆn tv Äì
eÆleÂei ayÆtoyÄ referring to David. To my mind, the rendering of the New
Revised Standard Version (“because he was merciful“) does not properly
fit the context; on whom should it have a bearing? For all the other
heroes are described and praised because of their loyalty to God, their
zeal for the Torah, their keeping the commandments. That this is pre-
cisely the purport of Mattathias’ address, indeed, is explicitly confirmed
at the end of it: “Put your trust in God“ (2 : 61), “grow strong in the
Law“ (2 : 64).
The most obvious conclusion, therefore, would be that David’s por-
trayal is no exception in this series and that his description is on a par
with that of all the other heroes. In that case, eÍleow does not mean
“mercy“, but is more than likely referring to David’s piety and loyalty,
as many modern Bible translations have rendered indeed: “man of
loyalty“ (Revised English Bible), “David hielt die Treue“ (Einheitsüber-
setzung), “David pour sa piété“ (Traduction Oecuménique de la Bible).
Moreover, since there is solid proof – provided by Flavius Josephus,
Origen, and Jerome –, that 1 Macc has originally been written in Hebrew,
eÍleow undoubtedly is the rendering of the Hebrew dsx, which justifies
the translation “loyalty“. Consequently the author makes Mattathias
refer to “the good deeds of David“ (dud idsx), a collocation that also
occurs in Isa 55 : 3 and 2 Chr 6 : 42.29 An identical characteristic of David
has come down to us in the fifth fragment of the so-called Halakhic
Letter from Qumran (4QMMT e ): “Remember David, a man of pious
deeds (Õidsx) (. . .)“.30
To my mind, one aspect of 1 Macc 2 : 57 deserves some further atten-
tion. The fact that David is not linked with the notion of “covenant“
here, as was Phinehas some lines before, could be adduced as additional
evidence to KENNETH POMYKALA’s cogent argumentation that in 1 Macc

29 See BORDREUIL, Grâces. In 2 Chr 6 : 42 this collocation undoubtedly is a subjective


genitive, because it is on a par with 2 Chr 32 : 32 (“the good deeds of Hezekiah“) and
35 : 26 (“the good deeds of Josiah“). I wonder why POMYKALA, Dynasty 156 n. 135,
does not refer to 2 Chr 6 : 42.
30 4Q398 fragment 2, col. II, 1 (QIMRON /STRUGNELL, Qumran 28 – 38, pl. VII –VIII). See
also EVANS, David 188f.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 175

“special attention is given to legitimizing the Hasmoneans in the office


of high priest, the locus of real power and authority“.31 This is the more
true, since “an interpretation of the davidic dynasty tradition as eter-
nally valid in a more literal, perhaps genealogical, sense would certain-
ly pose a threat to Hasmonean royal dynastic claims“.32 This must be
the reason why in 1 Macc 2 : 23 – 26 Mattathias is described as a “second
Phinehas“. It looks as if the author of 1 Macc had Ben Sira’s Laus Patrum
in front of him indeed!

3. 2 1 Macc 4 : 30

The second reference to David in 1 Macc is found in 4 : 30, the context of


which is as follows. As a result of serious uprisings in his empire, King
Antiochus IV mobilized an immense army. Half of this forces he turned
over to Lysias, a distinguished man of royal lineage, who was in
charge of the king’s affairs from the river Euphrates to the borders of
Egypt (1 Macc 3 : 32). He was ordered to destroy the strength of Israel
and the remnant of Jerusalem.
Judas and his brothers saw that the forces were encamped in their
territory. The congregation assembled to be ready for battle, and to
pray and ask for mercy and compassion. Seeing the enemy, Judas sum-
mons his men not to fear, saying: “Remember how our ancestors were
saved at the Red Sea, when Pharaoh with his forces pursued them“
(1 Macc 4 : 9). And indeed, the enemy “fled into the land of the Philis-
tines“ (4 : 22). On their return from battle, Judas and his men sang
hymns and praises to Heaven – “For he is good, for his mercy endures
for ever“, a refrain that is also cherished in the Book of Chronicles
(1 Chr 16 : 34, 41; 2 Chr 5 :13; 7 : 3, 6; 20 : 21).33
A year later, Lysias mustered an army to subdue Judas and his
men (1 Macc 4 : 28). When Judas saw that the opponent army was
strong, he prayed, saying: “Blessed are you, O Saviour of Israel, who
crushed the attack of the mighty warrior by the hand of your servant
David, and gave the camp of the Philistines into the hands of Jonathan,
son of Saul, and of the man who carried his armour. Hem in this army
by the hand of your people Israel“ (1 Macc 4 : 30 – 31). “When Lysias

31 POMYKALA, Dynasty 158.


32 POMYKALA, Dynasty 159.
33 It can hardly be a coincidence that all these occurrences are found in passages that are
the Chronicler’s own creation (“Sondergut“). See BEENTJES, Psalms.
176 PANCRATIUS C. BEENTJES

saw the rout of his troops and observed the boldness that inspired
those of Judas, (. . .) he withdrew to Antioch and enlisted mercenaries
in order to invade Judea again with an even larger army“ (4 : 35).
Judas’ prayer has some interesting features. It starts as a hymn of
praise (verse 30) and turns into a supplication (verse 31 – 33). In the
Hebrew Bible, a hymn of praise is usually phrased in the third person
singular: “Blessed be God Most High who (. . .)“ (Gen 14 : 20); “Blessed
be YHWH your God who (. . .)“ (2 Sam 18 : 28); “Blessed is God who
(. . .)“ (Ps 66 : 20); “Blessed be YHWH the God of Israel“ (2 Chr 2 :11);
“Blessed be YHWH, for He (. . .)“ (Ps 28 : 6; 31: 22). The speaker addresses
himself to an audience and lists the benefactions God has conferred.
In the Hebrew Bible, the phrasing “Blessed are you, (. . .)“, in the
second person singular, occurs only twice (1 Chr 29 :10; Ps 119 :12), but
circulates quite often in deuterocanonical literature (1 Macc 4 : 30; Tob
3 :11; 8 : 5, 15 –17; 11:14; Dan 3 : 26 (Greek); 3 : 52, 54 – 56 (Greek) and in
the Dead Sea Scrolls as well (1 QS 11:15; 1QH 5 : 20; 10 :14; 11: 27 – 33;
16 : 8).
The reference to David and Jonathan fits Judas’ battle into a biblical
scope, just as was the case in 1 Macc 4 : 9, that referred to Pharaoh with
his forces at the Red Sea.34 It is quite remarkable that the author of
1 Macc does not mention Goliath’s name, but instead has only the collo-
cation “the attack of the strong one“. To my mind, the non mention of
Goliath’ s name has a twofold purport. First, the author wants to high-
light the deed of David, the servant of God, and the brave action of
Jonathan. It is interesting, by the way, that the author has tied together
the narrative about David and Goliath (1 Sam 17) with the story of
Jonathan (1 Sam 14 :1–15). This has to do, of course, with the welcome
coincidence that Jonathan is also the name of one of the Maccabean
brothers, who after the death of Judas was chosen to take the lead in
their revolt (1 Macc 9 : 28 – 31); later on, he was even appointed high
priest (1 Macc 10 : 20).
The mention of David and Jonathan in 1 Macc 4 : 30 not only has the
function of intertwining Judas’ deeds with those two former biblical
heroes, it should at the same time be considered a preparation to the
extensive narrative on the cleansing and dedication of the sanctuary
that is reported immediately after the battle (1 Macc 4 : 36 – 61) and

34 In 1 QM XI, both references are just in the reversed order: “Goliath from Gath, gallant
giant, you delivered into the hands of David, your servant“ (1 QM XI, 1 – 2); “you
shall treat them like pharaoh, like the officers and their chariots in the Red Sea“
(1 QM XI, 9 – 10). Translation according to GARCÍA MARTÍNEZ, Dead Sea Scrolls 104.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 177

demonstrates a strong affinity with the narrative in 2 Chr 29 relating to


the cleansing of the temple and the restoration of worship.35

4. David in 4 Macc

This 1 st century document is a philosophical discourse that opens with


the phrase: “Highly philosophical is the subject I propose to discuss,
namely, whether devout reason is absolute master of the passions“.36
The phrase “devout reason is master over the passions“ – or small
variations on it – occurs as a continuous refrain at least two dozen
times in this document. In its very first chapter it appears no less than
eleven times. The best example the author can furnish with respect of
this thesis is the heroism of those who died for virtue’s sake, namely
Eleazar and the seven brothers and their mother, an episode that has
amply been described in chapters 5 – 18.37
Prior to it, he presents four Old Testament heroes that have prac-
tised the virtue of reason mastering over the passions. The first one is
Joseph who “is praised, because through his own rational faculty he
gained mastery over his sensuality“ (2 : 2), which is a reference to the
story in Gen 37: 7–12. The second example of a biblical hero mastering
over his passions is Moses (2 :17), since he moderated his anger with
Dathan and Abiram (Num 16 : 23 – 30). Jacob in his blessing of Simeon
and Levi (Gen 49 : 7) is presented as the third hero who controlled his
anger (2 :19).
The most elaborate example, however, is the last one, relating to
David (3 : 6 –17). It is preceded by a circumstantial philosophical obser-
vation (2 : 21– 3 : 5), which in fact is a build-up to an intriguing episode
in David’s life:
When God fashioned man, he implanted in him his passions and inclina-
tions, and at the same time enthroned the intellect amid the senses as the
sacred guide over all. To the intellect he gave the Law, and if a man lives
his life by the Law he shall reign over a kingdom that is temperate and just
and good and brave.
How is it then, someone may object, that if reason is master over the
passions, it does not control forgetfulness and ignorance? The argument is

35 The noun pastofoÂrion (“chamber“) in 1 Macc 4 : 38 reminds one of the frequent use of
it in the LXX of 1– 2 Chr: 1 Chr 9 : 26; 23 : 28; 26 :16, 18; 28 :12; 2 Chr 31:11.
36 Translation according to ANDERSON, 4 Maccabees 544.
37 VAN HENTEN, Martyrs 58 – 82.
178 PANCRATIUS C. BEENTJES

absolutely ludicrous, for reason is clearly not sovereign over its own inher-
ent inclinations but over those of the body. For instance, none of you can
eradicate desire, but reason can ensure that you do not become enslaved to
desire. Anger none of you can eradicate from his soul, but reason can help
you resist anger. None of you can eradicate malice, but reason may be your
ally in not allowing you to be overwhelmed by malice. For reason is not the
uprooter of the passions but their antagonist.
This becomes even clearer, in fact, when we consider the case of King
David’s thirst.38
It strikes the eye that this philosophical statement is paving the road
with a number of words that hint at a royal application: eÆnûroniÂzv (“to
enthrone“; 2 : 22); basileyÂv (“to be king“; 2 : 23); basileiÂa (“kingdom“;
2 : 23). This feature will be discussed in due course.
Subsequent to the passage quoted above, 4 Macc 3 : 7 – 17 comes up
with an extensive restatement of the biblical story in 2 Sam 23 :13 – 17,
which on the one hand is stripped of all its geographical details
(Adullam, Rephaim, Bethlehem), whereas on the other hand it has
been provided with a lot of peculiarities that have to do with the
philosophical application of the biblical narrative. Whereas, for example,
2 Sam 23 :13 –17 says nothing about David having water at his dis-
posal, 4 Macc 3 :10 explicitly states: “King David had plentiful springs
of water“. This statement serves as a leg up to the phrase “an unrea-
sonable desire for the water in the enemy’s territory racked him“
(3 :11).39
Why, someone may ask, did the author of 4 Macc use this specific
biblical story about David? In the first place, of course, because of the
topic “thirst“; this could serve as an excellent example in what way
reason is master over the passions. Second, because the author has a
double entendre. He is depicting David “as a model king because of his
right attitude towards the emotions, not on the basis of his power“.40 It
is no coincidence that – contrary to the Samuel passage – David is
explicitly called “King“ four times here (4 Macc 3 : 6, 10, 11, 14) and that
he is situated in a “royal tent“ (3 : 8). All these things have to do with
the author’s view of martyrdom, to which 4 Macc 7 :10 is most solid
proof: “O aged man, mightier than torture; revered elder more vigor-
ous than the flame; great king, ruler of the passions, Eleazar!“.41 In this

38 ANDERSON, 4 Maccabees 546f.


39 The noun “desire“ (eÆpiûymiÂa) undoubtedly refers to the phrase kaiÁ eÆpeûyÂmhsen Dayid
(2 Sam 23 :15 LXX).
40 VAN HENTEN, Martyrs 267.
41 ANDERSON, 4 Maccabees 552. See also 4 Macc 14 : 2 – “O reason, more kingly than
kings (. . .)“; ANDERSON, 4 Maccabees 559.
Portrayals of David in Deuterocanonical and Cognate Literature 179

perspective, one can also grasp why, on the other hand, David’s mental
and physical condition is described with the help of verbs which are
used in passages relating to martyrdom.42
David is mentioned just one more time in 4 Macc, viz. in the final
chapter where the mother of the seven sons addresses a collection of
righteous sayings to her children (18 : 6 – 19). This passage, in fact, is a
mosaic of thirteen biblical references and allusions, five of which are
from the Book of Genesis. Referring to her husband, the author makes
the mother say: “He sang to you 43 the psalm of David which says
’Many are the afflictions of the righteous’“ (18 :15).44

5. Conclusion

In this contribution we have offered solid proof that in deuterocanon-


ical and cognate literature, David is portrayed in rather various ways,
since every author creates his own view of David. In the Book of Ben
Sira King David is characterized more as a priest than as a king, a
feature that first and foremost is found in the Book of Chronicles. The
authors of 1 Macc, as well as of the Halakhic Letter from Qumran, present
David as a man of loyalty and piety, a characterization that in the
Hebrew Bible is already present in Trito-Isaiah and 2 Chr. In 4 Macc,
on the contrary, David is used as a shining example of a person who is
master over his passions.

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42 katafleÂgv (“to burn up“) in 3 :11 and 6 : 25 (see 15 :14); diapyroÂomai (“to be consumed
by fire“) in 3 :15 (see 9 :17; 11:19).
43 In 18 :10 –11, 15 some Greek manuscripts have hëmiÄn (“to us“). To my mind, for the
sake of context and coherence yëmiÄn is to be preferred.
44 It is a literal quotation from Ps 33 : 20 (LXX).
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The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical
Tradition

STEPHEN D. RYAN

1. Introduction

In the year 408 a blind priest from Spain wrote to Saint Jerome seeking
assistance in his struggle against sin. Jerome’s response, Letter 76, re-
fers to “slaying the Rabshakeh within”. He assures the Spanish priest
that had the Rabshakeh been alive within him, he never would have
thought to write for assistance.1 This reference to the Rabshakeh, made
over 1 000 years since he stood outside the walls of Jerusalem to ad-
dress King Hezekiah in the year 701 (2 Kgs 18 :17, Isa 36 : 2), is part of a
long tradition of allegorical and polemical reference to this Assyrian
officer, whose title means “Chief Cupbearer”.2
The brief but fiery speeches attributed to this figure in the Hebrew
Bible have received considerable attention in biblical scholarship. The
daring nature of the Rabshakeh’s words, which are never adequately
answered in the biblical text, and the fact that he spoke in Hebrew,
have made him an intriguing but troubling character to generations of
exegetes. Jewish and Christian traditions understood the Rabshakeh to
be an apostate Israelite, thereby increasing the enormity of his crimes.
Schooled by psalm titles, glosses, catenae, and commentaries, genera-
tions of Christian readers learned to see hidden references to the Rab-
shakeh throughout the Bible, particularly in the Psalter and the Minor
Prophets, and in almost any text referring to malicious speech.

1 Jerome, Epistula: “Quod autem precaris, ut nostris monitis Nabuchodonosor et


Rapsaces et Nabuzaradan et Olofernes in te occidantur, numquam nostra auxilia
postulares, si in te uiuerent” (epistula 76,3).
2 SPERLING, Rab-Shakeh.
184 STEPHEN D. RYAN

2. The Biblical Accounts

The Rabshakeh is first introduced in 2 Kgs 18 :17 as one of three Assyr-


ian officials sent by Sennacherib to Jerusalem. A parallel account of the
story in 2 Kgs 18 – 19 is given in Isa 36 – 37. In his first speech the
Rabshakeh claims to have been sent by the Lord to destroy Judea and
Jerusalem.3 In the second speech he claims that Israel’s God will be as
impotent in protecting Jerusalem as the pagan gods have been in
protecting their cities from the Assyrian juggernaut.4 The powerful
rhetoric of the Rabshakeh’s speeches, their skillful critique of Judaean
theology and cunning attack on the theology of the Deuteronomist
have been discussed by PETER MACHINIST in a recent article in Hebrew
Studies. MACHINIST has shown that the speeches externalize an inner-
Judaean critique of Hezekiah’s policies, identifying the position of
Hezekiah’s critics with that of the hated Assyrian enemy.5
I shall argue that within the biblical and post-biblical texts a tra-
jectory can be traced that reveals a concern to diminish the force of
the Rabshakeh’s words. For this reason I need to briefly discuss the
historical layers of this text. Within the Kings account scholars have
identified three sources: A, B 1 and B 2.6 Source A is short, only four
verses (2 Kgs 18 :13 – 16). It gives a brief account of Sennacherib’s
invasion and Hezekiah’s payment of tribute. Sources B 1 (2 Kgs 18 :17–
19 : 9a, 36 – 37) and B 2 (2 Kgs 19 : 9b – 35) are much longer and have been
understood as parallel accounts of a single event. The Rabshakeh is
mentioned by name only in B 1. This source, the earlier of the two,
mentions the Rabshakeh eight times and gives a full form of the Rab-
shakeh’s proclamation of Sennacherib’s letter-address to Hezekiah’s
officials and the inhabitants of Jerusalem. In this source responses to
the Rabshakeh are all relatively brief.

3 2 Kgs 18 : 25: “Moreover, is it without the LORD that I have come up against this
place to destroy it? The LORD said to me, Go up against this land, and destroy it.”
Unless otherwise noted, all biblical translations are taken from the New Revised Stan-
dard Version, occasionally with slight modifications.
4 2 Kgs 18 : 35: “Who among all the gods of the countries have delivered their countries
out of my hand, that the LORD should deliver Jerusalem out of my hand?”
5 MACHINIST, Rab Šāqēh. I am grateful to Professor MACHINIST for his comments on an
earlier draft of this paper written for a graduate seminar at Harvard University.
6 Sources in 2 Kgs 18 – 19: A – 2 Kgs 18 :13 –16; B 1 – 2 Kgs 18 :17– 19 : 9a, 36 – 37; B 2 –
2 Kgs 19 : 9b – 35; see MACHINIST, Rab Šāqēh 154 – 156; for a recent discussion of the
rhetorical content of the B 1 speech see RUDMAN, Rabshakeh.
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition 185

In source B 2 the Rabshakeh is not mentioned by name, being re-


placed by a more general reference to messengers of the King of Assyria.
It has a much briefer account of the Rabshakeh’s letter-address and
expands the Judaean response. As MACHINIST has shown, this account
in B 2 provides a more effective answer to the Rabshakeh’s speeches,
rejecting the Assyrian critique and reestablishing the legitimacy of the
Judaean theology.7 The dangerous rhetoric of the Rabshakeh has begun
to receive a reply within the development of the biblical tradition.
While the parallel description of the above events found in Isa
36 – 37 is nearly identical to the passage in 2 Kgs, the version in 2 Chr
32 : 6 – 23 represents a late harmonization of sources B 1 and B 2. In
Chronicles, as in source B 2, the Rabshakeh is not mentioned by name:
Sennacherib is said to speak through unnamed servants. The rhetorical
force of his speech is severely curtailed and shortened from 15 to 6
verses. In addition to military preparations, Hezekiah is said to have
assembled the people and “spoken to their hearts” (2 Chr 32 : 6). The
present function of the preparatory speech of Hezekiah in 2 Chr is to
frame the searing blasphemies of the Rabshakeh’s words with words of
comfort and assurance. One final change to be noted is the Chronicler’s
description of the results of the angelic intervention. Whereas in 2 Kgs
the text says that the angel of the Lord stuck down 185 000 in the camp
of the Assyrians, 2 Chr 32 : 21 specifies that the angel cut off “all the
mighty warriors and commanders and officers in the camp of the king
of Assyria”. The three officers named in 2 Kgs 18 :17 but omitted from
the Chronicles account, that is, the Tartan, the Rabsaris, and the Rab-
shakeh, are surely included in this group. The Chronicler thus solves a
problem left by the earlier account in Kings, which narrated the punish-
ment of Sennacherib but had left the fate of the Rabshakeh unstated.
2 Chr 32 witnesses to an inner-biblical attempt to deal with the
troubling words of the Rabshakeh preserved in 2 Kgs and Isaiah. The
Chronicler has shortened and domesticated the fiery speeches and re-
moved the person of the Rabshakeh from the narrative while at the
same time clearly indicating that his crimes were not left unpunished.
Four additional references to the blasphemies of either Sennacherib
or the Rabshakeh are found in the books of Tobit, Sirach, 1 Macc, and
3 Macc.
In singing the praises of Hezekiah, Sirach writes: “During his reign
Sennacherib led an invasion, and sent Rabshakeh (hqw br / Racakhn);

7 MACHINIST, Rab Šāqēh 161f.


186 STEPHEN D. RYAN

He shook his fist at Zion, and blasphemed God in his pride” (48 :18).8
SKEHAN and DI LELLA understand the Rabshakeh to be the subject of
the verbs “shook” and “blasphemed”.9 Sirach gives the Rabshakeh
more prominence than he is given in the B 2 and Chronicles accounts,
where he is not named. At the same time Sirach silences the Rabshakeh
by not repeating his words, and rebukes him by characterizing his
speech as blasphemy.
Tob 1:18 refers to King Sennacherib and his blasphemies very briefly:
“I also buried any whom King Sennacherib put to death when he came
fleeing from Judea in those days of judgment that the king of heaven
executed upon him because of his blasphemies.” No mention is made
of the Rabshakeh. What is decisive for the author of Tobit is that King
Sennacherib had been duly punished by the King of Heaven.
A second text, Tob 1: 22, mentions a different Rabshakeh. Tobit
identifies his nephew Ahikar as a rab šāqēh (chief cupbearer) serving
under Sennacherib’s son Essarhadon: “Now Ahikar was chief cup-
bearer (hqwÏ br), keeper of the signet, and in charge of administration
of the accounts under King Sennacherib of Assyria; so Esar-haddon
reappointed him”.10 One wonders if the later Jewish tradition making
the Rabshakeh of 2 Kgs an Israelite, something the Bible does not do, is
in any way related to this account about Tobit’s nephew, who is both
an Israelite and a Rabshakeh.
A brief reference to the invasion of Sennacherib is found in 1 Macc
7 : 41: “When the messengers from the king spoke blasphemy, your
angel went out and struck down one hundred eighty-five thousand of
the Assyrians.” 3 Macc 6 : 5 contains a slightly longer reference:
Sennacherib exulting in his countless forces, oppressive king of the Assyr-
ians, who had already gained control of the whole world by the spear and
was lifted up against your holy city, speaking grievous words with boast-
ing and insolence, you, O Lord, broke in pieces, showing your power to
many nations.

Neither reference mentions the Rabshakeh. The operative element in


both contexts is the divine defeat of the insolent enemy.

8 This translation follows SKEHAN / DI LELLA, Wisdom 538. The Hebrew text can be
found in BEENTJES, Book 86.
9 SKEHAN / DI LELLA, Wisdom 538. The Bibel in gerechter Sprache interprets the text in
the same way: “und Rabschake erhob seine Hand gegen Zion” (BAIL et al. [eds.],
Bibel).
10 4Q196 Fragment 2 reads: hqw br; for a convenient synopsis of the original texts see
WEEKS / GATHERCOLE / STUCKENBRUCK (eds.), Book 90f.
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition 187

3. Post-Biblical Traditions

A Talmudic tradition recorded in b. Sanhedrin 60a suggests that the


Rabshakeh was not a native Assyrian but rather an apostate Israelite:
Rab Judah said that Samuel said: “He who hears the Divine Name blas-
phemed by an idolater is not obliged to rend his clothes. But if you say,
’What about the case of Rabshakeh?‘ He was an apostate Israelite.“ 11

The Targum to Qoh 10 : 9 makes the Rabshakeh brother to the wicked


King Manasseh:
King Solomon the prophet said, “It was revealed before me that Manasseh
the son of Hezekiah will sin and worship images of stone. Therefore he will
be handed over to the power of the king of Assyria . . . and Rabshakeh his
brother will worship images of wood and forsake the words of the Torah
. . . Therefore he will be burned with fire by means of the angel of the
Lord.“ 12

Other traditions make him the son of Isaiah himself, or his grandson.
For example, manuscript M of Berakoth 10b reads:
Finally [Isaiah] gave [Hezekiah] his daughter [in marriage] and there is-
sued from him Manasseh and Rabshakeh. One day he [Hezekiah] carried
them on his shoulder to the Synagogue and one of them said, “Father’s
bald head is good for breaking nuts on,“ while the other said, “It is good
for roasting fish on.“ He thereupon threw them both on the ground and
Rabshakeh was killed, but not Manasseh.13

HAYIM TADMOR has argued for an historical basis for the tradition that
the Rabshakeh was an apostate. According to TADMOR, of the three
Assyrian officials mentioned in 2 Kgs 18 :17 only two, the Tartan and
the Rabsaris are known to have performed military roles in the neo-
Assyrian empire. He finds little evidence that the “Chief Cupbearer”
regularly performed the kind of military role assigned to him in the
biblical account.14 To explain this apparent breach of protocol, that is,
that the Rabshakeh does all the talking even though these other
officials outrank him, TADMOR suggests it was the Rabshakeh’s status
as an Israelite that qualified him to speak. The theory that he was an
apostate Israelite would thus account for his knowledge of the Hebrew
language and of things Judaean and help to explain the apparent
breach of protocol. TADMOR’s argument is attractive but overlooks

11 EPSTEIN, Edition, b. San 60a.


12 Translated from SPERBER (ed.), Bible 165.
13 EPSTEIN, Edition 55 n. 7.
14 TADMOR, Rabshakeh.
188 STEPHEN D. RYAN

some neo-Assyrian texts in which chief cupbearers do appear to have


fulfilled military and important administrative roles.15 Whether or not
it has any historical basis, the Jewish tradition that the Rabshakeh was
an apostate Israelite was well known in Christian sources, and to these
texts we now turn.

3. 1 The Rabshakeh as Apostate

Theodore of Mopsuestia records a tradition about the Rabshakeh’s


Jewish origins in his commentary on the Book of Psalms. In a discus-
sion of the title of Ps 52, which is said to refer to the boastings and
blasphemies of Sennacherib and the Rabshakeh, Theodore writes:
“Such was the Rabshakeh, Jewish by race but a convert by religion”.16
The 9 th century Syriac commentator Ishodad of Merv offers consider-
ably more detailed speculation in his commentary on 2 Kgs 18 :17:
Rabshakeh was the son of Pekah, son of Remaliah; he became a pagan and
worshipped the idols of the Assyrians, and the Assyrian made him head of
all his armies; this is the reason that he is called ’Rabshakeh‘, by which
is understood: chief of the royal offspring (šāqē ), who themselves were
under him; they are the satraps. But it is not, as others say, because he was
tall and had long legs (šāqā ), or because he was the chief butler (rab
šāqāwātā ). This Rabshakeh had indeed promised the king to seize the city
without a battle, for he was an expert in the stratagems of his own people
as well as their language.17

Here Ishodad cites a different genealogy: the Rabshakeh is made to be


the son not of the Judaean King Hezekiah (against whom he would
later be sent by Sennacherib) but of the Israelite monarch Pekah. Pekah
is a plausible choice because an Israelite deportation to Assyria oc-
curred during his reign (2 Kgs 15 : 29) and he had an evil reputation
(2 Kgs 15 : 28), thus making him a more fitting father for the Rabshakeh
than King Hezekiah. We might also note Ishodad’s punning etymolo-
gies of the Rabshakeh’s name, in which he rejects several etymologies,
among them the linguistically correct one, that of chief butler.

15 GELB, šāqû A in rab šāqı̂, cites texts in which chief cupbearers appear to direct troops
and oversee provinces. VAN DER KOOIJ, Heer 104 n. 77, discusses the rank of the
Assyrian officials and gives instances in Akkadian texts where the position of the
Rabshakeh varies between second and third rank.
16 Theodore of Mopsuestia, Commentaire 342.
17 Ishodad of Merv, Commentaire III, 142f.
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition 189

The tradition of the Israelite origin of the Rabshakeh was wide-


spread in the Latin Fathers as well. Jerome, one of the earliest sources
of this tradition in the Latin West, makes the following comment on Isa
36:
The Rabshakeh, however, who spoke the Hebrew language, is said to be
the son of Isaiah the prophet and to have become a traitor, while there
remained to Isaiah another son called Yasub, which in our tongue means
“remnant”. Still others believe that he was a Samaritan, and thus he knew
Hebrew, and blasphemed the Lord so boldly and impiously.18

Here Jerome gives yet another genealogy: the Rabshakeh is Isaiah’s


own son. One possible origin of the tradition is the phrase in Isa 1: 2,
“Sons I have raised and brought up, but they have rebelled against
me.” Another possible connection is that Isaiah and his son Shearja-
shub are told in Isa 7 : 3 to stand at a place outside of Jerusalem desig-
nated as “the conduit of the upper pool on the highway to the Fuller’s
Field.” This is the identical spot on which the Rabshakeh stands to give
his infamous speeches against the walls of Jerusalem (Isa 36 : 2) and
this place is mentioned only in these two instances and the parallel in
2 Kgs.

3. 2 Hidden References to the Rabshakeh in the Bible

Early Christian commentators found in the prophetic books ancillary


material for developing their notions concerning the character and
meaning of the Rabshakeh and his blasphemies. They brought to light
what might be called hidden references.
In his commentary on Isa 14 : 32, a text which refers obscurely to an
answer being given to an unnamed “messenger of the nations”, (“mes-
senger” is plural in Hebrew but singular in Syriac) Ishodad of Merv
finds a reference to the Rabshakeh.
The messenger of the nations: Rabshakeh. This refers to his coming to
Jerusalem. Not as if this [the receiving of such an answer] occurred by
means of [actual] speech, but rather it occurred in thought as the result of
the actual events.19

The language of this comment is cryptic but it is clear that Ishodad


wants to find here the reply to the Rabshakeh that is lacking in the

18 Jerome, Commentaires 1182.


19 Ishodad of Merv, Commentaire IV, 22.
190 STEPHEN D. RYAN

biblical text. He sees the Lord’s destruction of the Assyrian army and
the salvation of Jerusalem as the answer God provided to the Rab-
shakeh’s words. An answer that was conveyed in deeds, rather than by
words.
The Rabshakeh also served as a trigger for polemics against all the
perceived enemies of the Church. In his Commentary on Isaiah the
monk Herveus of Bourg-Dieu writes:
Rabshakeh, because he functions as a type for Jews and heretics as well as
pagans, speaks in the voice of all of these . . . What is designated by Rab-
shakeh if not the famed friendship of the scribes and the Pharisees? . . . let
us by Rabshakeh understand the Pharisees and the Sadducees and the
leaders, in such a way that we also allow that name to include secondarily
other leaders of the adversaries of the church, i.e., the leaders of the heretics
and the gentiles.20

This 12 th century monastic commentator gives us an indication of why


the Rabshakeh was so fascinating to Christian commentators. This
single figure was uniquely qualified to serve as a type of not only the
apostate, but of the blasphemer, the heretic, and the pagan ruler as
well.
Christian readers found explicit mention of the Rabshakeh in
psalm titles in Greek, Syriac, Ethiopic, Latin, and Anglo-Saxon Bibles
and in commentaries on the Book of Psalms. Theodoret of Cyrus, to
take just one example, argues that Psalm 52 contains:
. . . a prophecy of the frenzy of the Rabshakeh, who left the company of the
Hebrews, then was taken captive and learned the impiety of the Assyrians
who had reduced him to slavery; he used blasphemous words against God,
and tried to cheat the Jewish populace with deceptive speeches.21

Several psalms were read as either prophecies of the future speech of


Rabshakeh (he lived after King David, author of many of the Psalms),
or as direct references to his earlier blasphemies. This is one of many
ways in which classical biblical commentary linked unrelated biblical
texts, thereby uniting the various narratives of the Bible into one coher-
ent and cohesive narrative.

20 Herveus of Bourg-Dieu, Commentariorum in Isaiam 336. On the author and his


commentary see MEGIER, Converts 18 – 23.
21 Theodoret of Cyrus, Commentary 1 –72, 304.
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition 191

3. 3 On Not Responding to the Rabshakeh

Passages in the Prophets and Psalms interpreted as references or allu-


sions to the Rabshakeh can also be understood as a way of answering
the Rabshakeh, or at least of depriving him of the last word. Commen-
tators suggested to readers of glossed Bibles that the Rabshakeh be
grouped with the larger class of those who sin with their lips. The
biblical text mentions that no response was given to the Rabshakeh’s
blasphemies by order of Hezekiah himself (2 Kgs 19 : 36). But why
would Hezekiah give such an order? Would it not have been desirable
to have someone rebuke this blasphemer and reassure those who had
been listening and had become terrified by his words? Patristic authors
provided answers to questions such as these that might occur to read-
ers of the biblical account. Jerome, for example, who borrows heavily
from Eusebius in his commentary on Isa 36, marshals a number of
biblical texts to support Hezekiah’s not responding to the Rabshakeh:
And all the people were silent and did not respond to him in any way, for
indeed it was a command of the king that they not respond. Truly justified
was Hezekiah, who did all things faithfully, everything with counsel (cf.
Prov 13 :10). Indeed for that reason he ordered that the blasphemies of the
Assyrian not be responded to, so as not to provoke greater blasphemies.
Hence it is written: “Kindle not the coals of sinners” (Sir 8 :10 [13]); and in
the psalm we read: “When the sinner stood against me, I was dumb and
humbled and kept silence from good things” (Ps 39 : 2 – 3); and again: “Set a
watch, o Lord, over my mouth and a strong door in front of my lips; do not
incline my heart to words of malice” (Ps 141: 3 – 4).22

Here again the proper response of the wise person is silence, as Heze-
kiah demonstrated and as the texts Jerome can cite from the psalms
and wisdom books confirm.

3. 4 The Rabshakeh in Polemics and Preaching

Some of the earliest Patristic references to the Rabshakeh occur in


polemical contexts. Gregory Nazianzus suggests that the apostate
emperor Julian imitates the Rabshakeh by relying not only on force of
arms but on deceptive blandishments as well.23 Cyril of Alexandria
compares the unbridled and intemperate speech of the Rabshakeh with

22 Jereome, Commentaires 1189.


23 Gregory of Nazianzus, Contra Julianum 648.
192 STEPHEN D. RYAN

that of the heretics of his own day, among whom he includes Nesto-
rius.24 Such use of the Rabshakeh’s name continued well into modern
times. An anonymous pamphlet published in London in 1691 was
entitled Rabshakeh Vapulans (Rabhsakeh Thrashed).25 A similar work
appeared four years later: Rabshakeh Rebuked, and His Railing Accusa-
tions Refuted.26 Both pamphlets deal with confessional and political
controversies in late seventeenth-century Britain.
In homiletic usage the Rabshakeh came to be seen as a symbol of
moral evil. Bonaventure writes: “By the Rabshakeh, who was sent by
the King of the Assyrians to blaspheme God, is understood the bad
Christian, who is sent by a diabolical suggestion to commit sin, and
thus blaspheme God.” 27 Jerome’s spurious etymology of the name
Rabshakeh as “chief of kissing” or “abundant in kissing”,28 an etymolo-
gy found in the Glossa Ordinaria to 2 Kgs 17, led later preachers such
as Gottfried of Admont (12 th century) to draw a connection between
the Rabshakeh and sexual excess. Gottfried explains: “The name
Rabshakeh, which is interpreted as ’chief of kissing‘, or ’abundant in
kissing‘, signifies – not inappropriately – the spirit of carnal desire.” 29
In a model marriage sermon from the 13 th century, the Dominican friar
Gérard de Mailly compares the Rabshakeh to the Devil. He under-
stands Hezekiah’s command not to respond to the Rabshakeh (Isa
36 : 21) to mean that a bride should not reply to the speeches or sugges-
tions of the Devil, even if she cannot help but to hear them.30

4. Conclusion

This paper has studied the interpretive life of the Rabshakeh in Jewish
and Christian sources. Three general conclusions from our survey of
the biblical and post-biblical materials can be proposed:
a. The first is that already in the Hebrew Bible, as exemplified in the
B 2 account and in 2 Chr 32, there has been an attempt to remove
some of the sting of the Rabshakeh’s words, a type of diminution

24 Cyril of Alexandria, Cyrilli oratio 43.


25 N. N., Rabshakeh Vapulans.
26 N. N., Rabshakeh Rebuked.
27 Bonaventure, Bonaventurae sermones, sermo 46,3,23.
28 Jerome, Liber 117: “Rabsace princeps deosculans siue multus osculo.“
29 Gottfried of Admont, Homiliae 74.
30 D’AVREY, Marriage Sermons 267.
The Rabshakeh in Late Biblical and Post-Biblical Tradition 193

by editing. Continuing efforts in the same direction can be found


throughout the Patristic material as well. The Rabshakeh’s words
are not transmitted but rather characterized as blasphemy and his
punishment, not mentioned explicitly in the biblical text, is alluded
to more directly.
b. Secondly, Christian interpreters over the course of nearly two
millennia have found it a useful polemical tool to compare their
opponents with this notorious biblical blasphemer. In doing so
they could draw on one or more of the varied traditions associated
with the Rabshakeh as they needed, painting their opponents
either as pagan idolaters, impious blasphemers, treacherous apos-
tates, or more generally as doers and speakers of evil to whom God
himself will give answer.
c. Finally, we have seen that the Rabshakeh, whose title begins to be
used as a personal name already in the Bible, has entered into the
Christian imagination. Finding references to this figure throughout
the Bible helped Christian readers to relate diverse biblical texts to
the larger narrative of Scripture. When contemporary translations
render the Hebrew words rab šāqēh as “Chief Cupbearer”, or
when the Melchizedek of Ps 110 is replaced by “the King of Salem”,
readers are brought closer to the original text, which is clearly a
gain, but are simultaneously removed from the rich interpretive
afterlife of the biblical text.
In the annotations to his translation of Theodoret’s Commentary on
the Psalms, the prodigious translator ROBERT C. HILL was repeatedly
puzzled by numerous references to the Rabshakeh. Hill was unable to
fathom why this minor figure should have caught Theodoret’s fancy,
and ascribed it to a personal fascination.31 In this regard Theodoret was
not being eccentric, but was rather heir to a long tradition of interpre-
tation, a tradition with roots in the Bible itself.

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31 Theodoret of Cyrus, Commentary 1–72, 304 n. 3 and 168 n. 10.


194 STEPHEN D. RYAN

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lensis monachi opera omnia demum restituta et nunc primum in unum
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Pseudepigrapha
Vitae Prophetarum und Neues Testament 1

ANNA MARIA SCHWEMER

Die Vitae Prophetarum (VitProph) sind im Ursprung eine Sammlung


von 23 Kurzbiographien über die alttestamentlichen Propheten. Sie
verzeichnen unter anderem, woher die Propheten stammen, wie sie
starben und wo sie begraben liegen. Hauptthemen dieser kleinen Ab-
handlung bilden dabei die Todesart und die Gräber der Propheten und
ihre eschatologischen Weissagungen. Diese eigenartigen Endzeitorakel
stellen zum Teil Weiterbildungen der alttestamentlichen Prophetien
dar und geben zumeist die Vorzeichen für das Ende an.
Für die Auslegung des Neuen Testaments sind die Angaben über
die Prophetengräber und deren Verehrung und das gewaltsame Ge-
schick der Propheten nicht nur für das Wehewort Lk 11,47– 51 par.
wichtig, sondern auch für die Überlieferung vom leeren Grab Jesu. Die
apokryphen Endzeitprophetien der VitProph sind interessant im Ver-
gleich mit dem Jona-Zeichen Lk 11,29 und vor allem mit der Weis-
sagung Jesu über das Ende des Zweiten Tempels.
Meine Überlegungen zur Bedeutung der VitProph für die neutesta-
mentliche Exegese beschränke ich auf drei Hauptabschnitte:
a. Zum einen soll es um die Frage gehen: Sind die VitProph in ihrem
Ursprung jüdisch und wurden sie im 1. Jahrhundert n. Chr. vor der
Tempelzerstörung im Jahr 70 verfasst oder sind sie eine christliche
Schrift aus dem 4. Jahrhundert? Denn daran, ob sie zeitgenössische
Vorstellungen über die Propheten enthalten, die für uns die jüdi-
sche Umwelt Jesu und des Neuen Testaments beleuchten oder in
dessen Wirkungsgeschichte gehören, entscheidet sich ja ein gut Teil
ihrer Bedeutsamkeit für die neutestamentliche Exegese.

1 Gekürzte und überarbeitete Fassung des Schlussteils meiner Tübinger Dissertation


„Studien zu den frühjüdischen Prophetenlegenden“ (1993). Dieser Schluss wurde in
SCHWEMER, Studien I – II, nicht aufgenommen. Er blieb aus verschiedenen Gründen
bisher unveröffentlicht. Jetzt ist daraus ein „Nachtrag“ geworden.
200 ANNA MARIA SCHWEMER

b. Zum anderen werden Traditionen über die Prophetengräber in den


VitProph mit dem Wehewort Jesu gegen die Pflege von Propheten-
gräbern und die neutestamentliche Überlieferung vom leeren Grab
Jesu verglichen.
c. An dritter Stelle soll ein Vergleich von Erwartungen der Zerstörung
des Jerusalemer Tempels in den VitProph mit dem Tempelwort
Jesu und Legendenmotiven in der Passionsgeschichte stehen.

1. Zum Streit über die Herkunft der VitProph

Den Streit, ob die VitProph einen jüdischen Ursprung haben oder es


sich um einen späten genuin christlichen Text handelt, hielt ich für
lange entschieden.2 DAVID SATRAN hatte in seinen verschiedenen Ver-
öffentlichungen zu den VitProph von 1980 bis 1995 immer betont, dass
es sich um einen christlichen Text handelt. In seiner Monographie ge-
steht er dann zu, dass jüdische Traditionen verwendet wurden.3 Für
die Frage nach der Bedeutung der VitProph für die neutestamentliche
Exegese ist es nicht unwichtig, ob die VitProph eine christliche Schrift
aus dem 4. – 5. Jahrhundert sind und ein „Amalgam“ von verschie-
densten Traditionen, unter anderem auch jüdischen, darstellen oder
ob sie eine in ihrem Ursprung jüdische Schrift sind, die nur durch
Christen weiterüberliefert und in verschiedener Form christlich er-
gänzt beziehungsweise gekürzt wurde. Beides lässt sich durch den
Vergleich der verschiedenen Rezensionen erkennen. Die VitProph ge-
hören wie die Testamente der Zwölf Patriarchen zu den Schriften, über

2 Den Eindruck erweckten die Rezensionen zu meinen Untersuchungen; vgl. vor allem
MITTMANN-RICHERT, Einführung 156 – 171; sie schloss sich meinen Ergebnissen an
und führte sie weiter. Aber GÜNTER STEMBERGER hat mich im Sommer bei einer
Tagung freundlich kritisiert und mir entgegengehalten, es sei eine meiner typischen
Frühdatierungen und DAVID SATRAN habe doch recht. So ergreife ich die Gelegenheit
und antworte mit diesem Beitrag zugleich GÜNTER STEMBERGER und meinen anderen
Kritikern, zu denen auch D. SATRAN insofern gehört, als er meine Dissertation kannte,
aber die Diskussion mit meinen Ergebnissen nicht mehr in sein Buch aufnahm.
3 SATRAN, Daniel; SATRAN, Lives; SATRAN, Prophets; SATRAN, Prophets in Byzantine
Palestine 77: „It is as ill-advised to deny categorically the possibility of a Jewish text
underlying the Lives as it would be futile to speculate about the nature or contents of
such a document. We simply remain uncertain whether such a text ever existed and,
if so, what its form may have been.“ Im Anschluss an ihn, aber sehr viel weniger
vorsichtig, behandelt die Jerusalemer Dissertation von NIR, Destruction 68f.71, die
VitProph; R. NIR – eine Schülerin von EFRON – hält alle apokalyptische Literatur für
christlich (11). Ihre Untersuchung ist philologisch und historisch recht oberflächlich.
Zur apologetischen Tendenz vgl. unten Anm. 57.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 201

deren Herkunft man sich anscheinend endlos streiten kann. Sind sie
nun in ihrem Ursprung jüdisch und von Juden verfasst und später
christlich tradiert und ergänzt worden oder gehören sie zu den christ-
lichen Schriften, die jüdische Traditionen aufgenommen, bewahrt und
weitergebildet haben? Hinzu kommt, dass auch die christlichen Ergän-
zungen unterschiedlich eingeschätzt werden. SATRAN hat in mehreren
Untersuchungen die christliche Herkunft verfochten und sich dabei
vor allem auf die Vita des Propheten Daniel gestützt, aber – so viel ich
sehe – nie alle Viten im Ganzen untersucht. Es sind gerade die Ele-
mente in den VitProph, die SATRAN vernachlässigt oder von vornher-
ein für unsinnig erklärt hat, die es nahelegen, dass die VitProph als
frühjüdische Schrift konzipiert wurden. SATRAN will und kann den
Prozess der Tradierung der Rezensionsformen nicht deutlich machen,
denn genau dies rügt er als einen naiven rückwärts gewandten Kon-
sens in der Forschung, die mit ihrer Suche nach dem Urtext auf dem
Holzweg gewesen sei.4
Die Argumente, die SATRAN zur Deutung der VitProph als christ-
lichem Text anführt, lassen sich zumeist eindeutig und leicht widerlegen:
1. Zu seiner falschen Bestimmung der Gattung: Für eine frühe und
jüdische Herkunft spricht die Gattung der VitProph. Sie stellen kei-
nen völlig singulären Text dar, wie man immer wieder lesen kann.
Dieser Eindruck entsteht, wenn man nur die jüdische bzw. christ-
liche Literatur vergleicht. Seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. gab es
jedoch in der griechischen Literatur die variantenreiche Gattung
des Bios, unter anderem die Sammlungen von Kurzbiographien
über Philosophen, Dichter, Staatsmänner. Die VitProph richten sich
nach dem Vorbild der in hellenistisch-römischer Zeit entstandenen
Vitensammlungen. Und zwar gehören sie zu der sehr schlichten
Form, wie sie sich etwa in dem POxy 1800 erhalten haben, einem
Kompendium von „Bildungswissen“ 5 über philosophische und li-
terarische Gestalten mit besonderem Interesse an ungewöhnlichen
Todesarten. Sappho hätte sich aus Liebeskummer zu Tode gestürzt
– sie war hässlich; Euripides sei wegen seiner Asebie von Hunden
gefressen worden. Äsop sei von den Delphern den Felsen hinab-
gestürzt worden, weil er sie des Opferfrevels überführt hatte. Dar-
aufhin suchte eine Seuche die Stadt heim, die erst aufhörte, als die
Delpher ihm sühnende Opfer dargebracht, den Todesort mit einer

4 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 77.118.


5 GÖRGEMANNS, Biographie 684.
202 ANNA MARIA SCHWEMER

Mauer abgegrenzt und einen Altar für den Heros errichtet hatten.6
Hier finden wir genau dasselbe Nebeneinander von längeren Vi-
ten, dem Bios, und ganz kurzen, dem Genos, ganz wie in den
VitProph. Zudem haben die VitProph und die griechischen Viten-
sammlungen folgende Elemente gemeinsam:
1. Chronologische Ordnung,
2. Ordnung nach Gruppen einer bestimmten Schriftstellergattung,
3. vorangestellter Name,
4. Herkunft,
5. Todesart,
6. Todesort,
7. Grab (und Ehren),
8. kennzeichnende Episoden aus dem Leben.

Ich habe das in meinen Untersuchungen zu den VitProph ausführ-


lich dargestellt. Die VitProph haben ihre nächste Parallele nicht in
den christlichen Sammlungen der Mönchsviten oder dem Pratum
spirituale des Johannes Moschos, wie SATRAN meinte,7 sondern in
den schlichten Gebrauchstexten der frühen Vitensammlungen.
Dieser Ursprung erklärt auch, warum manche Propheten so karg
und andere dann wieder ausführlicher geschildert werden, aber
auch die ausführlicheren auf die Themen Namen, Herkunft, Tod,
Grab und besonders auffallende Episoden in ihrem Leben be-
schränkt sind. Die VitProph dienen dann selbst wiederum als Vor-
bild für die christlichen Apostel- und Jüngerkataloge.8
Ich zitiere als Beispiel für den lapidaren Stil eine ausführlichere
Vita und eine kurze:
„Jesaja aus Jerusalem starb, von Manasse in zwei Teile gesägt, und er wur-
de beigesetzt unter der Eiche Rogel in der Nähe der Wasser(läufe), die
Hiskia zerstörte, indem er sie zuschüttete. Und Gott tat das Zeichen des
Siloah wegen des Propheten. Denn vor dem Sterben wurde ihm schwach

6 POxy 1800 (F 2 ii 33 – 63), deutsche Übersetzung in: SCHWEMER, Studien I, 47; vgl.
SCHWEMER, Vitae 544f. Es ist anzunehmen, dass es im Alten Israel eine ähnliche
Totenverehrung gab, die zwar als Sitten der Kanaanäer scharf abgelehnt, aber den-
noch praktiziert wurde. Siehe dazu VAN DER TOORN, Family Religion; VAN DER
HORST, Prophetengräber 6f, der annimmt, dass der Totenkult angesichts des sich
durchsetzenden strengen Monotheismus in nachexilischer Zeit in den Untergrund
ging. Wahrscheinlich lebte er weiter in Form des Besuchs der Gräber in Hoffnung auf
die Fürbitte der dort Ruhenden und in der Erwartung der dort geschehenden Wun-
der, wie wir aus den VitProph schließen können.
7 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 90f.102 –105.
8 Siehe die Edition von SCHERMANN, Prophetarum vitae.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 203

. . . Und da dieses durch Jesaja geschah, begrub ihn das Volk um des An-
denkens willen in der Nähe mit Sorgfalt und Pracht, damit es durch seine
Gebete auch nach seinem Tode in gleicher Weise in den Genuss des Was-
sers käme, denn es war ihnen auch eine Weissagung über es gegeben wor-
den. Das Grab aber ist in der Nähe des Grabes der Könige, hinter dem
Grab der Priester auf dem Teil Richtung Süden.“

Oder kurz:
„Joel war aus dem Land des Stammes Ruben im Gehöft Bethomoron. In
Frieden starb er und wurde dort begraben.“

Das biographische Interesse der VitProph an den Propheten nimmt


ein Anliegen aus den Chronikbüchern auf und setzt deren schrift-
gelehrte Arbeit zu Personen- und Ortsüberlieferungen fort. Schon
der Chronist identifiziert z. B. den Schriftpropheten Micha mit
Micha ben Jimla.9 Eine verwandte Erscheinung ist im Psalter das
biographische Interesse an David, das sich in den sekundären
Psalmüberschriften und im Zusatz von Ps 151 in der LXX über den
jungen David als Autor zeigt. Auch im Judentum nehmen im Zeit-
alter des Hellenismus der Individualismus und das Interesse am
Individuum zu.10 Als Quellen werden in den längeren Viten neben
den alttestamentlichen Schriften vor allem Prophetenapokrypha
verwendet, wie wir sie etwa in Bel et Draco erhalten haben und
jetzt auch aus Qumran für Jeremia, Ezechiel und Daniel kennen.
Die VitProph wurden verfasst für ein Publikum, das sich über die
alttestamentlichen Propheten im Stil der hellenistischen Viten-
sammlungen informieren wollte.11 Stil und Form der biographi-
schen Sammlung bleiben dieselben, die Darstellung dient jedoch
stärker der Frömmigkeit und nie der Klatschsucht.
2. SATRAN unterschlägt die Bedeutung der jüdischen Prophetengrä-
ber und ihrer Verehrung völlig und verfällt in unsachliche Polemik
gegen JOACHIM JEREMIAS. So mutmaßt er, die christliche Verehrung
der Prophetengräber sei aus dem Wehewort Jesu „Wehe euch, ihr
baut den Propheten Gräber, eure Väter haben sie umgebracht . . .“
(Lk 11,47– 48; Mt 23,29 – 31) 12 entstanden. SATRAN übersieht die
zahlreichen anderen Belege für die Pflege der Gräber seit früher

9 2 Chr 18,27; siehe dazu SCHWEMER, Studien II, 24f.


10 Dies hat schon JULIUS WELLHAUSEN gesehen, siehe DEINES, Pharisäer 47.546, damit
erklärt sich auch die Entstehung der jüdischen Religionsparteien.
11 Siehe auch SCHWEMER, Vitae 545.
12 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 23f; weiter dazu unten.
204 ANNA MARIA SCHWEMER

Zeit und in Jesu Umwelt. Sogar auf die Bauten des Herodes I. am
David-Grab und dann in Hebron und Mamre, die durch Josephus
bezeugt bzw. archäologisch gesichert sind, geht er nicht ein. Die
Bauten in Hebron und Mamre sind im selben Stil wie der Jerusa-
lemer Tempel errichtet.13 Am David-Grab rühmt Josephus den
schönen weißen Stein und gibt an, Herodes habe es als eine „Süh-
negabe“, iëlasthÂrion mnhÄma, für seinen Grabfrevel errichtet.14 So
nimmt es nicht wunder, dass PIETER W. VAN DER HORST in seiner
DELITZSCH -Vorlesung zu den Prophetengräbern SATRAN nicht zu-
stimmen konnte und zu dem Ergebnis kommt:
„Die Annahme eines christlichen Hintergrundes [für die VitProph] im spä-
ten 4. Jh. schafft mehr Probleme, als sie löst, und sei es nur, daß das Wort
Jesu und die frühen christlichen Pilgerberichte über (jüdische) Gräber bi-
blischer Heiliger ihres Kontextes beraubt werden. Wir sind also zu dem
Schluß genötigt, daß es tatsächlich einen frühen, in das 1. Jh. zurückrei-
chenden jüdischen Kontext für die Grabtraditionen der Vitae Prophetarum
gibt.“ 15

Auch ich halte diese Schlussfolgerung für zwingend.


3. Die Stammes- und Ortsangaben der VitProph hat SATRAN nicht ge-
nauer untersucht, sondern nur behauptet, sie gehörten in das spä-
teste Stadium der Textentwicklung im 4. – 5. Jahrhundert n. Chr.16
Diese Stammes- und Ortsangaben weisen jedoch, wenn sie nicht
aus dem Alten Testament entnommen werden konnten, in die has-
monäische Glanzzeit unter Johannes Hyrkan. Bevorzugt wird die
Stammeszugehörigkeit zu Simeon erschlossen und die Gräber im
ehemals idumäischen Gebiet in der Gegend von Beth Guvrin an-
gesiedelt.17 Sogar der Prophet Jona, der doch bekanntermaßen aus
dem galiläischen Gat Hefer stammt, ist nun aus Karaithmaous in
der Nähe von Azotos /Aschdod, „der Stadt der Griechen“, gebür-
tig und wird im Grab des Kenaz, des idumäischen Patriarchen,
beigesetzt.18 Galiläa, das unter Alexander Jannai (103 – 76 v. Chr.)

13 NETZER, The Architecture 229.231.


14 Josephus, Antiquitates Iudaicae 16,179 – 182; vgl. dazu unten Anm. 35 und 61.
15 VAN DER HORST, Prophetengräber 26.
16 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 48ff.73: „These geographical and genealogi-
cal oddities may have been the product of a late, even final, stage in redaction“.
17 Vgl. die Übersicht in SCHWEMER, Studien I, 74f.
18 VitProph 10; siehe SCHWEMER, Studien II, 53 – 78; SCHWEMER, Vitae 617 – 621.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 205

erobert und mit jüdischen Siedlern aus Judäa besiedelt wurde,19


spielt noch gar keine Rolle in den Ortsüberlieferungen der VitProph.
Die Stammes- und Ortsangaben sind korrekt für die Situation in
frühhasmonäischer Zeit.
4. Die Daniel-Vita enthält SATRANs Hauptargument für die Spätdatie-
rung, denn hier ähnelt die Beschreibung Nebukadnezars der bei
Paulinus von Nola, Johannes Chrysostomos und Cyrill von Jeru-
salem: Der Herrscher wird zur Strafe in ein Tier verwandelt.20 Die-
se Verwandlung ist durch den griechischen Bibeltext vorgegeben.21
Bei seiner Buße nährt sich der König in der Daniel-Vita von grünen
Sprossen und eingeweichten Hülsenfrüchten, oÍspria brektaÂ, als
Fastenspeise und erlangt Gottes Vergebung. Dass oÍspria brektaÂ
sonst nur für christliche Asketen belegt sind, war für SATRAN das
wichtigste Argument.22 Die Hülsenfrüchte, oÍspria, werden als rei-
ne Speise schon in Dan 1,12.16 (LXX und Theodotion) genannt für
die Nahrung, die Daniel und seine Gefährten als Pagen am könig-
lichen Hof Nebukadnezars zu sich nehmen.23 Mit Hülsenfrüchten
konnte man bis in die jüngste Zeit nur in vorher eingeweichtem
Zustand, d. h. „benetzt“ (brektoÂw), etwas Essbares zubereiten. Man
kann sie auch kalt eingeweicht und ungekocht essen als „Spros-
sen“, sie sind dann sehr gehaltvoll und gesund. Hinzu kommt,
dass uns asketische Schriften aus der Alten Kirche in reichem Maße
erhalten geblieben sind, während die Nachrichten aus frühjüdi-
scher Zeit spärlich sind. Was wissen wir denn über die Armeleute-
nahrung im antiken Judentum und warum betont die Tosefta, dass
ausgerechnet Hülsenfrüchte im Unterschied zu anderen Früchten
keine Unreinheit annehmen, wenn sie feucht werden? 24 Weiter
scheint Daniels Funktion als Interzessor und Fürbitter für den

19 Siehe dazu FREYNE, Galilee 60.67f.128.177 – 182; HENGEL / SCHWEMER, Jesus 274. Vgl.
Joh 7,52.
20 Paulinus von Nola, Epistulae 23,19 – 20 (HARTEL, 177); Johannes Chrysostomus, A
Théodore 1,6 (DUMORTIER, 106); Cyrill von Jerusalem, Opera, Catecheses 2,18
(MIGNE, 407A; REISCHEL I, 60 – 62; vgl. die recensio altera MIGNE, 421C); dazu SATRAN,
Prophets in Byzantine Palestine 86f.
21 Dan 4,16.33 (LXX) spricht am deutlichsten von körperlicher Verwandlung; sie klingt
aber auch bei Theodotion an.
22 So schon in: SATRAN, Daniel 39f; weiter SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 90f.
23 Vgl. Josephus, Antiquitates Iudaicae 10,190: oÍspria kaiÁ foiÂnikaw.
24 tMak 2,1; vgl. dazu DEINES, Steingefäße 236.
206 ANNA MARIA SCHWEMER

König, die in den VitProph wie im Gebet des Nabonid aus Qumran
erscheint und entscheidend ist, bei den Kirchenvätern zu fehlen.25
Dan 4 wurde aus verständlichen Gründen im 4. Jahrhundert als
Thema von der Kirche wiederentdeckt, vorher, aber auch noch
nachher war Dan 7 für Christen sehr viel wichtiger.26 Zudem ver-
wendet die Daniel-Vita den alten LXX-Text, der im 4. Jahrhundert
praktisch schon verschwunden war, neben der Theodotion-Über-
setzung. Einem christlichen Hagiographen kann das im 4. Jahrhun-
dert nicht so einfach aus der Feder geflossen sein. Dass die rabbi-
nische Haggada ein anderes Bild von Nebukadnezar zeichnet, ist
nicht verwunderlich, denn sie legt ja den aramäischen Text aus und
nicht den hier stark abweichenden griechischen, in dem eine tat-
sächliche Verwandlung des Königs beschrieben wird. Ich halte es
für völlig verkehrt, die rabbinische Haggada zum Maßstab für das
zu machen, was im 1. Jahrhundert n. Chr. als jüdisch gelten kann.
In der halachischen Auslegung sehen wir eine durchgehende Kon-
tinuität von den Diskussionen in den Texten aus Qumran bis zu
den rabbinischen. In der Haggada dagegen sind sehr viel mehr
Umwandlungen, gerade auch polemische, und Brüche festzustel-
len. Es ist ja kein Zufall, dass die jüdisch-hellenistische Literatur in
griechischer Sprache, wie Josephus und Philo und all die anderen
Autoren, von denen wir nur noch Bruchstücke haben, nur in der
Kirche tradiert wurden und erhalten blieben. Die Daniel-Vita zeigt
zudem Berührungen mit den Testamenten der Zwölf Patriarchen,
die ich an diesen Stellen nicht für christlich halte.27 Aber da beißt
sich die Katze in den Schwanz . . .
5. Es gibt christliche Interpolationen und Kürzungen in allen hand-
schriftlichen Zeugen der VitProph. Keine der Rezensionsformen ist
von christlichen Korrekturen frei. So etwa, dass die Wiederkunft
des Kyrios zum Sinai zu erwarten sei, wenn alle Völker das jyÂlon,

25 Der König wird durch die Verwandlung bestraft, damit er – durch Buße – gerettet
wird (eÆmastigoyÄto Ïina svûh
ì Ä ); vgl. Cyrill von Jerusalem, Opera, Catecheses 2,18
(MIGNE, 407A; 421C). Die Fürbitte der Propheten für Einzelpersonen und für das
Volk in lebensbedrohlichen Situationen bildet dagegen einen charakteristischen Zug
in alttestamentlichen und frühjüdischen Texten. In den VitProph sind die großen
Propheten (Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel) solche Fürbitter und Wundertäter.
Die lange Liste der Wunder von Elia und Elisa sind Bibelparaphrase und scheinen
sekundär zugewachsen zu sein. Vgl. auch unten.
26 Vgl. die Belege in ALLENBACH u. a. (Hg.), Biblia Patristica.
27 Zum Nachweis siehe SCHWEMER, Studien I, 346f.350 und öfter.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 207

das Kreuz, verehren – und das in einer Geschichte vom Verbergen


der Lade.28 Das Holz der Lade führte zu dieser „Verbesserung“.
Andere Stellen, die auf den ersten Blick christliche Entstehung ver-
muten lassen, erweisen sich als jüdisch und älter. So verehren in
der Jeremia-Vita die ägyptischen Priester eine Wöchnerin und ei-
nen Säugling. Es handelt sich dabei nicht einfach nur um die all-
gegenwärtige Isis mit dem Horus-Knaben, sondern es stellt eine
Anspielung auf das Ritual des Geburtszyklus des „Pharao“ als
Sohn des Re dar. Auf Anweisung des Propheten Jeremia vollziehen
die Priester in der jüdischen Legende diese Kulthandlung als Zei-
chen für das Ende der ägyptischen Götter und der ptolemäischen
Herrschaft durch den jüdischen Messias.29 Dass sie das Kind dazu
in eine „Krippe“, faÂtnh, legen, könnte christliche Ergänzung sein –
ich nehme es nicht an.30 Für die Kindheitslegenden bei Lukas und
Matthäus sollte man die Parallelen in den VitProph insgesamt stär-
ker heranziehen als bisher. Die Viten von Elia und Elisa enthalten
ebenfalls interessante Geburtsgeschichten, die des Propheten Sacharja

28 SCHWEMER, Studien I, 215ff; NIR, Destruction 68f, sieht die Legende vom Verbergen
der Lade und ihrer Auferstehung insgesamt in Abhängigkeit vom Begräbnis und der
Auferstehung Jesu in den Evangelien (siehe dazu unten Anm. 52). Die Lade (kibvtoÂw)
sei nichts anderes als die Arche, die die Kirche symbolisiere. Das könnte vielleicht
eine Interpretation der Vita Jeremias aus dem 5. Jahrhundert sein, aber auch eine
solche ist nicht belegt. Nir scheint mir für ihre Rekonstruktion vom englischen Text
auszugehen.
29 Vgl. Jes 7,14 (LXX: parûeÂnow); 19,1 (LXX); 19,20 (LXX); Jer 18,7.9 (LXX); zu weiteren
Parallelstellen siehe SCHWEMER, Vitae 576ff. Zum Ritual der jährlich in Ägypten in
den Geburtshäusern der Tempel gefeierten „Geburt des Kindes“, d. h. des Pharao,
aus der „Jungfrau“, der Königin und Gemahlin des Pharao, siehe BRUNNER-TRAUT,
Pharao. Auf ganz anderem Wege stellt MERKLEIN, Einflüsse, eine Verbindung zwi-
schen jüdischen Traditionen aus Ägypten, die auf die lukanische Kindheitsgeschichte
eingewirkt haben, her und kommt zu dem Schluss, dass Lk 1,34f eine „über das
hellenistische Judentum vermittelte spätägyptische Weiterentwicklung des klassi-
schen ägyptischen Mythos von der Zeugung bzw. der Geburt des Gottesohnes“ (34)
aufnimmt.
30 Vgl. dagegen den Artikel von HENGEL, faÂtnh 55 Anm. 44; auch MITTMANN-RICHERT,
Einführung 117 Anm. 39, hält die ganze Passage in der Jeremia-Vita (VitProph 2,8)
für christlich, denn die messianische Erwartung würde in den VitProph fehlen, weil
der Zion seine Heilsfunktion verloren habe. Nun, die Jeremia-Vita erzählt von einem
kriegerischen Messias, der dem Götzendienst der Ägypter und der Herrschaft der
Ptolemäer ein Ende bereitet (zur Erwartung eines solchen „Messias“ vgl. die vorige
Anm.). Schließlich wurde auch der jüdische Aufstand in der Kyrenaika und Ägypten
unter Trajan (115 –117 n. Chr.) von einem messianischen „König“ Lukuas angeführt
(Eusebius, Historia ecclesiastica 4,2,4). Zu den messianischen Erwartungen in Ägyp-
ten siehe HENGEL, Hoffnung; HORBURY, Beginnings.
208 ANNA MARIA SCHWEMER

aus dem Zwölfprophetenbuch eine Geburtsankündigung an den


Vater von Serubbabel.31
SATRAN durchschaut die Textentwicklung nicht und geht davon
aus, dass die kürzeste Textform die älteste sein müsste. Wenn er
z. B. sagt, dass die Dorotheus-Rezension die apokryphen Orakel
der Propheten, die zumeist mit „er gab ein Zeichen“ (teÂraw eÍdvken)
eingeleitet werden, nicht enthält, weil sie sekundär zugewachsen
seien,32 so übersieht er, dass diese Rezension an den Anfang jeder
Vita, wenn es möglich ist, originale Schriftzitate der Propheten als
messianische Testimonien stellt und eben deshalb auf diese apo-
kryphe Tradition der teÂraw -Worte manchmal – nicht generell – ver-
zichten kann. Dieser Prozess, dass im Laufe der Überlieferung in
den Viten Schriftzitate und Bibelparaphrase die älteren legendären
Notizen verdrängen, lässt sich beobachten bis hin zu den Synaxa-
rien und Menologien. Ich kann diese Einzelheiten hier nicht auf-
zählen. Dies alles sind entscheidende Einwände gegen einen christ-
lichen Ursprung der VitProph und machen die Hypothese einer
frühen jüdischen „Urschrift“ notwendig. Christliche Autoren des
3. oder 4. Jahrhunderts hätten einen anderen Text verfasst, der
mehr der Tendenz der späteren christlichen Überarbeitungen ent-
sprochen hätte.

2. Prophetengräber in den VitProph, das Wehewort Jesu


über die Erbauer von Grabdenkmalen und
die Überlieferung vom Grab Jesu

Es ist das bleibende Verdienst von JOACHIM JEREMIAS, dass er nicht nur
breit alle Überlieferungen zur Verehrung und Pflege der jüdischen
Heiligengräber zusammengetragen und kommentiert und auf diesem

31 Vgl. zum Weiterleben dieser Legendenmotive in der rabbinischen Literatur SCHWE-


MER, Elija. HIMMELFARB, Mother, sieht im Interesse an der Mutter des Messias in
diesen Legenden eine jüdische Reaktion auf die christliche Marienverehrung.
32 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 68ff. Nach meiner Textkenntnis (siehe die
Textsynopse in SCHWEMER, Studien II, 1* – 76*) fehlt das entsprechende teÂraw-Wort
jedoch nur in der Hosea-Vita und in der Sacharja ben Jojada-Vita der Dorotheus-
Rezension. In der Sacharja ben Jojada-Vita handelt es sich jedoch um teÂrata als
„postume“ Vorzeichen auf die Tempelzerstörung nach dem Mord an dem Propheten
(siehe unten). Leider ist die langerwartete, kritische Gesamtedition der VitProph
noch nicht erschienen, die hier einen besseren Überblick über den Textbestand geben
könnte.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 209

Hintergrund auch den Weheruf Jesu über die Erbauer von Propheten-
gräbern beleuchtet hat, sondern er hat auch auf die Bedeutung dieser
Hochschätzung für die Überlieferung vom Grab Jesu hingewiesen.33

2. 1 Die Polemik Jesu gegen den Bau der Prophetengräber

Es gab in Jesu Umwelt Heiligengräber. Sie waren damals keine Neue-


rung. Neu war dagegen, dass diese Gräber ebenso wie die monumen-
talen Gräber der Makkabäer in Modein und die prachtvollen Priester-
gräber im Kidrontal und die anderen Jerusalemer Gräber nun nach
hellenistisch-römischer Sitte deutlich außen sichtbare Grabbauten er-
hielten.34 Bevorzugt scheinen die gewaltsam ums Leben gekommenen
Propheten jetzt gebaute Grabmäler zu erhalten. In Jerusalem mag das
für Jesaja und den Propheten Sacharja ben Jojada gelten, der nach den
VitProph bei seinem Vater beigesetzt wurde, der wiederum nach 2 Chr
24,16 im königlichen Erbbegräbnis liegt. ULRIKE MITTMANN-RICHERT
hat deshalb vorgeschlagen, das „Sühnmal“, das Herodes an Davids
Grab errichtet habe, beziehe sich auf den in diesem Grab beigesetzten
Märtyrerpropheten und nicht auf den Grabfrevel des Herodes.35 Das
ist nicht völlig ausgeschlossen, insofern Herodes im Gegenzug zu sei-
nen Bauten in Mamre und Hebron auch das „Heroon“ der Gründer-
dynastie in Jerusalem mit einem Grabbau bedacht haben kann und
dabei gleichzeitig auch den an der Pflege der Prophetengräber Interes-
sierten einen Gefallen getan haben könnte. Die Quellenlage ist unbe-
friedigend und verleitet zu Hypothesen, weil uns Josephus den Bau-
bericht des Nikolaos von Damaskus nicht ausführlich überliefert hat
und es keine klaren archäologischen Funde zum Grab von David und
Salomo gibt.36 Es könnte ja auch sein, dass das David-Grab im Zuge
der Tempelerweiterung ein neues Denkmal am Eingang erhielt. Jose-
phus jedenfalls – als Priester und Abkömmling des hasmonäischen
Königshauses 37 – war an der herodesfeindlichen Legende interessiert,

33 JEREMIAS, Heiligengräber.
34 1 Makk 13,27– 30. JEREMIAS, Heiligengräber 64 – 68; VAN DER HORST, Prophetengräber.
Zu Jerusalem siehe jetzt KÜCHLER, Jerusalem 43.78.698 – 729.734 – 738.
35 MITTMANN-RICHERT, Einführung 162.168.
36 Nach Dio Cassius, Epitome 69,14,2, stürzte „Solomos Grabmal, das die Juden hoch
verehren“ im Bar Kochba-Krieg von selbst ein. Vgl. zu den von R. WEILL auf dem
Südosthügel vermuteten Resten der Grabhöhlen der David-Dynastie: KÜCHLER, Je-
rusalem 81f.83f; es handelt sich nicht um die davidische Grablege, sondern um die
„Substrukturen der Theodotos-Synagoge“.
37 Josephus, Antiquitates Iudaicae 10,187; Vita 1 – 6.
210 ANNA MARIA SCHWEMER

dass dieser in die königliche Grabhöhle eingedrungen, Schätze geraubt


und sogar die Särge Davids und Salomos erbrochen habe und nur
durch ein Strafwunder zum Einhalt gebracht wurde. Josephus rügte
Nikolaos von Damaskus dafür, dass dieser wohl die Errichtung des
Marmorbaus erwähne, aber den Frevel des Königs mit Stillschweigen
übergangen habe.38 Die Apg verbindet den Propheten Sacharja eben-
falls nicht mit dem zweimal erwähnten David-Grab, das vielmehr dem
Beweis dient, dass sich Ps 16,8 – 11 „. . . du lässt deinen Heiligen nicht
die Verwesung sehen“ auf den auferstandenen Christus und nicht auf
König David bezieht, der verwest in seinem Grabe ruht.39
Für ein eigenes Monument an Sacharja ben Jojadas Grab und nicht
am Grab Davids für diesen Propheten spricht der Weheruf Jesu gegen
die Erbauer von Grabmälern für die Propheten. Der Plural kann sich
eigentlich nur auf das Grab Jesajas und das Sacharja ben Jojadas in
Jerusalem beziehen – oder er ist eine übertreibende Hyperbel. In Ga-
liläa gab es zur Zeit Jesu keine Prophetengräber, und in den Süden, wo
Amos in Tekoa und Micha in Bet Guvrin begraben liegen, die nach den
VitProph ebenfalls eines gewaltsamen Todes starben, kam er nicht. Je-
sus wird wohl auch nicht an das wundertätige Jeremia-Grab in Taph-
nas oder an das Ezechiels in Maour in Babylonien gedacht haben. Seine
scharfe Kritik am Erbauen solcher Denkmäler muss er in Jerusalem
geäußert haben (Lk 11,47– 48 / Mt 23,29 – 31):
„Wehe euch, ihr baut den Propheten Grabmäler,
eure Väter aber haben sie getötet!
Also bezeugt ihr die Taten eurer Väter und stimmt ihnen zu,
denn jene haben sie getötet, ihr aber baut.“
Man versteht diesen Weheruf besser, wenn man die VitProph daneben
legt. Ich denke, JOACHIM JEREMIAS hat hier schon in die richtige Rich-
tung gewiesen: Die Vorwüfe Jesu richten sich „gegen die studierten
Theologen“, angesprochen sind in der ursprünglicheren Lukas-Fas-
sung die nomikoiÂ, die gesetzeskundigen Lehrer. Diese belasten nicht nur
mit ihren überzogenen Gesetzesforderungen das Volk, sondern

38 Josephus, Antiquitates Iudaicae 16,179 – 183. Auch die weitere Angabe des Josephus,
der das „häusliche Unglück“ des Königs mit seiner Grabschändung verbindet
(10,188), stimmt mit dem Motiv des Grabfrevels überein. In der Jesaja-Vita (VitProph
1,9) trifft Gottes Fluch den König Hiskia, weil dieser die davidische Grablege mit
Heiden verunreinigt hatte, sodass er selbst von da an unfruchtbar wurde und seine
Nachkommen später ins Exil mussten. Dem Grabschänder droht schon der inschrift-
liche Grabfluch auf den Särgen kanaanäischer und phönizischer Kleinkönige mit
Vernichtung der Nachkommenschaft und Unfruchtbarkeit. Siehe SCHWEMER, Vitae
569.
39 Apg 2,25 – 31; 13,34 – 36.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 211

„[s]ie rufen mit ernsten Worten das Volk auf, durch Sühnemäler die Pro-
phetenmorde der Väter zu sühnen und stehen selbst im Begriff, einen Pro-
phetenmord, furchtbarer als die Morde der Väter, zu begehen.“ 40
In diese Richtung zielt der Vorwurf bei Lukas: „Ihr seid einverstanden
mit den Taten eurer Väter!“ syneydokeiÄte toiÄw eÍrgoiw tv Ä n.
Ä n pateÂrvn yëmv
Der Vergleich zwischen Lukas und Matthäus zeigt, wie Matthäus die
Polemik aus der Sicht seiner – späteren – Zeit verschärft und aktuali-
siert:
„Ihr habt das Maß eurer Väter voll gemacht. Schlangen und Otterngezücht,
wie wollt ihr dem Gericht der Gehenna entkommen?“ 41

Bezeichnend für die Unabhängigkeit der VitProph vom Neuen Testa-


ment und charakteristisch für die unterschiedliche theologische Be-
trachtungsweise ist der von beiden völlig anders dargestellte religiöse
Antrieb, der zur ehrenvollen Pflege der Prophetengräber führt. In der
Jesaja-Vita, aber auch in der Jeremia-Vita, werden die postumen Ehren
für die Propheten mit deren Wohltaten, d. h. ihren Wundern, zu Leb-
zeiten begründet und die Fortwirkung ihrer Wunder und ihrer Fürbitte
nach ihrem Tode erhofft. Diese Wohltaten gehen in der Jeremia-Vita
sowohl in Taphnas, wo der Prophet gesteinigt und begraben wurde,
wie in Alexandrien, wohin Alexander der Große seine Gebeine über-
führte, direkt vom „Grab“ des Propheten für die Bewohner Ägyptens
und fromme Pilger aus.42 Bei Jesaja vertraut das Volk auf die fortwir-

40 JEREMIAS, Theologie 145. In den VitProph fehlt jedoch der Gedanke der Sühne, diesen
finden wir bei Josephus, Antiquitates Iudaicae 16,179 – 182 (siehe oben Anm. 14 und
38) und in POxy 1800 für den Mord an Äsop (siehe oben). Einen Satz wie Sir 46,20
(LXX) sucht man in den VitProph vergebens. Hier setzt der Enkel den Abschlussvers
seines Großvaters über den Propheten Samuel: „Und auch nach seinem Tod wurde er
befragt und er verkündete dem König sein Ende (hebräisch: seine Wege) und er
erhob aus der Erde seine Stimme durch (das Wort / den Geist der) Prophetie“ (haubnb,
vgl. 11QPs a XXVII 11), einen weiteren Versteil hinzu, in dem er die Absicht dieser
Prophetie erklärt: „um durch (das Wort / den Geist der) Prophetie auszulöschen das
Vergehen des Volkes“ (eÆn profhtei
ì Â aì eÆjaleiÄcai aÆnomiÂan laoyÄ).
41 Die Schärfe ist das Resultat der Trennung zwischen Judentum und Christentum um
90. „Mt 23 wäre ohne eine akute Auseinandersetzung mit den jüdischen Führern
nicht geschrieben worden. Das Kapitel weist zugleich auf die Herkunft des Evan-
gelisten hin. Ähnlich wie Paulus wird er in seiner Polemik dort am schärfsten, wo er
sich indirekt auch mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzt“, so HENGEL,
Bergpredigt 375; vgl. BECKER, Kathedra; zur Datierung der Evangelien siehe HENGEL,
Gospels.
42 VitProph 2,1– 6. Vgl. Sir 48,13f zum Elisa-Grab: „Kein Ding war ihm zu wunderbar,
noch aus dem Grab heraus wirkte sein Leib prophetisch. Zu Lebzeiten vollbrachte er
Wundertaten und bei seinem Tod staunenswerte Werke.“ Auch Ezechiel ist ein sol-
cher hervorragender Wundertäter. Die lange Liste der Wunder bei Elia und Elisa ist
den VitProph vermutlich sekundär zugewachsen.
212 ANNA MARIA SCHWEMER

kende Kraft seiner Gebete und auf seine Verheißung über den Siloah
als Lebensquell und -ader der Stadt.43 Von eigener Schuld oder gar von
Sühne für den gewaltsamen Tod der Propheten aus der Sicht des Vol-
kes ist in den VitProph nicht die Rede, es wird jedoch betont, dass
Jeremia, der „Prophet für die Völker“, der von seinen Landsleuten
gesteinigt wurde, von den Ägyptern besonders verehrt wird.44
Im Jesus-Wort richtet sich die Anklage nicht an das Volk, das die
Gräber ehrt, sondern gegen die religiöse Elite, die den Gräberbau ver-
anlasst und fördert. Bei den Adressaten hat Lukas ein ursprüngliches
Element erhalten, während Matthäus stereotyp von den „Schriftgelehr-
ten und Pharisäern“ spricht. Die Gesetzeslehrer 45 werden damit als die
treibende Kraft bei der Unterstützung der Traditionspflege bezeichnet.
Beim modernen Leser erwecken die VitProph zwar nicht den Eindruck
besonderer Gelehrsamkeit, sondern werden als Zeugnisse der „Volks-
religion“ 46 bzw. Volksfrömmigkeit eingestuft. Doch die in den VitProph
enthaltene haggadische Schriftauslegung, gerade die Legenden, bedür-
fen der Pflege und die Abfassung der VitProph selbst bedurfte vielsei-
tiger geographischer und historischer Kentnisse. Die alttestamentlichen
Gestalten wurden nicht nur von den Vätern den Söhnen als Vorbild
vor Augen gehalten,47 sondern dienten als anschauliche Ausschmü-
ckung der Predigt. Es ist kein Zufall, dass die wenigen Beispiele der
frühen Synagogenpredigt, die uns erhalten sind, wie etwa die pseudo-

43 VitProph 1,5. MITTMANN-RICHERT, Einführung 166f, meint, dass die Fürbitte der Pro-
pheten an die Stelle der kultischen Sühne im gefährdeten Tempel getreten sei. Ich
kann ihr da nicht zustimmen. Die Fürbitte der Propheten hat ihre Vorgeschichte im
Alten Testament; zur prophetischen Interzessio siehe JANOWSKI, Stellvertretung 27ff
(Literatur). Vgl. auch VAN DER HORST, Prophetengräber 7f.13f. Die Jesaja-Vita berich-
tet von der Rettung der Stadt bei der Belagerung durch Sanherib (2 Kön 18 – 19; Jes
37,36f ) durch den Propheten, dessen Grab in der Stadt lag und wegen der Rettung
durch ein Quellwunder von ihren Bewohnern verehrt wird. Dieses Rettungswunder
war das Paradigma schlechthin für die Bewahrung der Stadt vor dem Untergang
durch Feinde; vgl. Sir 48,20; Tob 1,18 (G II); ausführlich Josephus, Bellum Iudaicum
5,362 – 419. Innerhalb der VitProph widerspricht dieser Tradition die Prophetie Jonas,
der Jerusalems Zerstörung weissagt. In Sir 49,7 verheißt Jeremia – im Gegenzug zu
Jesaja – den Untergang der Stadt. Vgl. dazu SCHWEMER, Studien I, 130 – 136.
44 Jer 1,5.10; VitProph 2,2ff.
45 Zum Stand der Gelehrten siehe JEREMIAS, Jerusalem 265 – 278; SCHÜRER, History
314ff.356ff; zur Forschungsgeschichte siehe DEINES, Pharisäer 642 Index sub voce
„Volksfrömmigkeit vs. Gelehrtenfrömmigkeit“. Vgl. zu dieser erzählenden Form der
frühjüdischen Exegese in Palästina die gründliche Untersuchung von DOCHHORN,
Apokalypse 116 – 120.149 – 172.
46 Siehe den Titel von JEREMIAS’ Monographie von 1958; vgl. weiter etwa STRANGE,
Archaeology 667f.
47 4 Makk 18,10 –19.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 213

philonische Jona-Predigt, solche haggadische Auslegung verwenden.48


Ein auffallender Anachronismus in den VitProph erklärt den Prophe-
ten Nathan zu Davids Lehrer im Gesetz.49 Damit werden – wie auch
sonst in den VitProph – Angaben des chronistischen Werkes aktuali-
siert: Dort ist er der Berater Davids in der Nachfolge Samuels und
einer der Verfasser der Geschichte des Königs.50 Die Synagogen Paläs-
tinas dienten, wie in der Theodotos-Inschrift zu lesen ist, „zum Lesen
des Gesetzes und zur Lehre der Gebote“ (eiÆw aÆnaÂgnvsin noÂmoy kaiÁ
Ä n).51 In der Jeremia-Vita holt im Eschaton Aaron die Lade
didaxhÁn eÆntolv
des Gesetzes von ihrem Aufbewahrungsort im Felsen des Berges Sinai,
und Mose, der eÆklektoÁw toyÄ ûeoyÄ, nimmt die Tafeln heraus, „rollt sie
auf“ (aÆnaptyÂjei) und liest das Gesetz vor, ganz analog zum Synago-
gengottesdienst.52
VitProph und die Logienüberlieferung weisen also beide unabhän-
gig voneinander diese Form der Traditionspflege, JOACHIM JEREMIAS
nannte sie nur widerstrebend „Gräberrenaissance“,53 nicht in erster Li-
nie der „Volksreligion“, sondern den Gelehrten zu. Sie bestätigen sich
damit gegenseitig. Man kann die VitProph sozial am ehesten im Milieu
der pharisäisch orientierten Schriftgelehrten,54 die vor allem in den
Synagogen Palästinas ihren „Lehrsitz“ hatten, einordnen. Da diese

48 Vgl. SIEGERT, Predigten 30.36.


49 In der Nathan-Vita: VitProph 17,1.
50 1 Chr 29,29; vgl. 2 Chr 9,29.
51 CIJ II, Nr. 1404; zur Inschrift siehe jetzt auch KÜCHLER, Jerusalem 78 – 81.
52 VitProph 2,11 –14. Mit „der Erwählte Gottes“ erhält Mose als Auszeichnung den
höchsten Titel innerhalb der VitProph. NIR, Destruction 68f, meint, Mose werde so als
„prototype of Jesus“ genannt. Sie sieht das Versiegeln der Lade im Fels durch Jeremia
und dieses „Aufrollen“ als Weiterbildung der Grablegung und Auferstehung Jesu,
führt jedoch keinen genauen Nachweis. Das ist meines Erachtens auch gar nicht
möglich, denn sogar im Vergleich mit Mt 27,60 – 65; 28,1 – 15 gibt es Wortgleichheit im
Griechischen nur bei peÂtra. Das ist viel zu wenig, um eine Abhängigkeit zu rekon-
struieren.
53 JEREMIAS, Heiligengräber 121 Anm. 5: „Den Ausdruck prägten H. Vicent – F.-M.
Abel, Jérusalem II, Paris 1926[. . .]. Er ist nicht sehr glücklich; denn es handelt sich
nicht um ein Wiederaufleben, sondern um ein Novum.“ Wie man an den Bauten
Herodes’ I. in Hebron und Mamre sehen kann, handelt es sich wirklich um eine
„Renaissance“.
54 Die von Lk nomikoi und von Mt grammateiÄw genannten Schriftgelehrten umfassten
sowohl die einfachen Schreiber von Urkunden bzw. Elementarlehrer wie die hoch-
gebildeten Gelehrten. Man darf sich durch das verhältnismäßig schlichte sprachliche
Niveau des Verfassers der VitProph nicht täuschen lassen, die griechische literarische
Form und die Verwendung der LXX rücken ihn mehr in die Nähe der Gelehrten, die
verhältnismäßig geringe theologische Reflexion in die der Urkundenschreiber. Er
nimmt eine Mittelstellung ein. Pharisäisches Milieu verrät das Interesse an den Pro-
pheten und die eschatologische Ausrichtung.
214 ANNA MARIA SCHWEMER

pharisäischen Lehrer, nicht nur ihrem Programm nach, eine volkser-


zieherische Breitenwirkung hatten, beeinflussten sie natürlich auch die
sogenannte „Volksreligion“ – und umgekehrt.55 Es erübrigt sich eigent-
lich, noch einmal zu betonen, dass ich es für völlig undenkbar halte,
dass die Berichte über die Prophetengräber in den VitProph aus dem
Herrenwort nachträglich entstanden sind.56 Hier wird – aus apologe-
tischen Gründen – der historische Zusammenhang auf den Kopf ge-
stellt.57
Als Begründung für den Weheruf Jesu fährt Lukas mit einer Weis-
heitsrede fort (Lk 11,49 – 51/ Mt 23,34 – 36):
„Darum hat auch die Weisheit Gottes gesprochen:
Ich werde Propheten und Boten zu ihnen senden,
und sie werden welche von ihnen töten und verfolgen,
damit das Blut aller Propheten,
das vergossen wurde seit Grundlegung der Welt,
von diesem Geschlecht gefordert wird,
vom Blute Abels an bis zum Blute des Zacharias,
der zwischen Altar und (Tempel-)Haus umgebracht wurde.
Ja, ich sage euch, es wird von diesem Geschlecht gefordert werden.“
Sacharja ben Jojada hatte – nach 2 Chr 24 – Israels Götzendienst ange-
prangert und war deshalb auf Befehl des Königs im Tempelhof gestei-
nigt worden. Er starb mit den Worten: „Der Herr wird es sehen und
Rechenschaft fordern“. Im Jesus-Logion spricht die Weisheit in hypo-
stasierter Gestalt ein Droh- und Gerichtswort gegen diese Generation,
von der alles gewaltsam vergossene Blut vom 4. Kapitel der Genesis an
bis zum letzten Buch im Kanon der Schriften gefordert wird, das heißt,
das Gericht steht unmittelbar bevor. Damit wird die sogenannte deu-
teronomistische Doktrin vom gewaltsamen Geschick der Propheten
und Israel als Täter weit überboten. Geht dieses Wort auf Jesus zu-
rück? 58 Es spricht mehr dafür als dagegen. Jedenfalls reflektiert die
Fassung, in der Lukas es mitteilt, weder Jesu Verwerfung durch Israel
noch seinen Kreuzestod oder die späteren blutigen Verfolgungen sei-
ner Anhänger durch Juden. Matthäus ergänzt hier wieder aus späterer

55 Siehe dazu DEINES, Steingefäße 7f.18.20f.244ff.269ff (in Auseinandersetzung mit


SANDERS) und öfter. Er trägt die archäologischen Beweise für die Verbreitung der
pharisäischen Reinheits-Halacha in der Zeit vor 70 zusammen.
56 SATRAN, Prophets in Byzantine Palestine 23f.
57 Siehe dazu SCHWEMER, Studien I, 9 Anm. 33.
58 Siehe auch VAN DER HORST, Prophetengräber 20: „Jesu Wort über den Bau der Pro-
phetengräber gehört mit Sicherheit [. . .] zum Grundbestand der Überlieferung. Es
gibt keinerlei Gründe, dieses Wort dem irdischen Jesus abzusprechen.“ Vgl. DUNN,
Christianity 417.837f.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 215

Sicht mit größerem Abstand von der Katastrophe im Jahr 70 und ver-
steht die Zerstörung Jerusalems – wie HANS-JÜRGEN BECKER 59 gezeigt
hat – in großer Nähe, ja in einer gemeinsamen „Familiensprache“ mit
den ihm zeitgenössischen frühen Rabbinen als gerechte Strafe für die
vorangegangene Schuld Israels, von der Matthäus die Christen jedoch
frei sieht.
In den VitProph heißt es über diesen Sacharja:
„Sacharja (war) aus Jerusalem, der Sohn Jodaës des Priesters; ihn tötete
Joas, der König von Juda, in der Nähe des Altars, und es vergoss sein Blut
das Haus David mitten vor dem Ailam. Und es nahmen ihn die Priester
und begruben ihn bei seinem Vater.“ 60

Die Blutschuld durch den Mord im Tempel, an allerheiligster Stätte,


liegt weiterhin auf dem Haus David. Sacharjas Vater wurde nach 2 Chr
24,16 „in der Stadt Davids (zusammen) mit den Königen“ begraben.
ULRIKE MITTMANN-RICHERT hat deshalb, wie schon erwähnt, vermutet,
dass es zur Bezeichnung iëlasthÂrion „Sühnmal“ für das von Herodes
errichtete Denkmal am Grab Davids kam, weil hier der vom Haus
Davids getötete Prophet bestattet worden war.61
Die Notiz in der Logienüberlieferung und die Sacharja-Vita zeigen
die außerordentliche Nähe der Version der Sacharja ben Jojada-Legende
in den VitProph und im Neuen Testament, aber auch charakteristische
Unterschiede. Sie spiegeln beide verschiedene traditionsgeschichtliche
Stufen der Legende.62 Denn einmal ist die Wortwahl in den VitProph
bewusster: Die Tötungsstelle liegt zwischen Altar und Ulam und nicht

59 BECKER, Zerstörung.
60 VitProph 23,1ff.
61 Vgl. oben Anm. 14 und 35; aber Josephus, der als Jerusalemer dieses „iëlasthÂrion
mnhÄ ma“ gesehen hat, stellt eine solche Verbindung nicht her: Josephus, Antiquitates
Iudaicae 9,167ff, prophezeit Sacharja der Volksmenge und dem König eine schwere
Strafe, wenn sie nicht von ihrer Vernachlässigung des Gottesdienstes und ihren Ge-
setzesübertretungen abließen. Den Mord an Sacharja rächen (eÆkdikoyÄntew) dann bald
darauf die Freunde des Königs, d. h. seine Höflinge, indem sie den König umbringen,
der dann – 2 Chr 24 folgend – nicht in der königlichen Grablege bestattet wird
(Antiquitates Iudaicae 9,171f ). Vom Grab des Sacharja berichtet Josephus dagegen –
im Gegensatz zur Bestattung von dessen Vater (eÆn taiÄw basilikaiÄw ûhÂkaiw) (9,166) –
ebenso wenig wie von dem des Propheten Jesaja.
62 Zum großen Komplex der Ausgestaltung der Sacharja-Legende vgl. SCHWEMER,
Studien II, 287– 320.326; zu den altkirchlichen Nachrichten über das frühjüdische
Sacharja-Apokryphon vgl. DUBOIS, Études 258 – 303; dort auch zu den rabbinischen
Belegen 56ff; weiter BECKER, Zerstörung 62 – 68; EGO, Targum Scheni 180f: Als frü-
hester Tradent wird für die rabbinische Blutlegende R. Jehoschua b. Qarcha (130 – 160)
genannt, der selbst die Geschichte in Jerusalem von einem alten Mann gehört haben
will. B. EGO erwägt eine Datierung in die Zeit der „Hadrianischen Verfolgung“.
216 ANNA MARIA SCHWEMER

nur zwischen Altar und (Tempel-)Haus.63 Anders als in den VitProph,


wo König Joas (ca. 839 – 800 v. Chr.) der Mörder bleibt und die Blut-
schuld weiterhin allein auf dem Haus David liegt, wird im Jesus-
Logion das Schicksal Sacharjas mit der deuteronomistischen Vorstel-
lung vom gewaltsamen Geschick der Propheten und ganz Israel als
Täter verknüpft wie in der späteren rabbinischen Sacharja-Legende.
Die Sacharja-Vita hat eine frühere Form der Legende bewahrt.
Matthäus schließt als Klimax von Kapitel 23 die Klage über Jeru-
salem an, die Lukas erst zwei Kapitel nach seiner Sacharja-Notiz
bringt, und ergänzt sie:
„Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten
und steinigst, die zu dir gesandt sind . . .
euer Tempel wird euch leer gelassen werden.“

Er zeigt damit, dass er die Auswirkung von Sacharjas Tod auf den
Tempel kennt, wie sie in dieser Weise in der Sacharja-Vita noch nicht
anklingt (siehe unten), aber in der rabbinischen Haggada ausgestaltet
wird. In späteren Rezensionen der VitProph dringt der Wortlaut von
Mt 23,35 ein und die Sacharja-Vita wird zur christlichen Zacharias-
Legende, die in dem Ermordeten den Vater des Täufers sieht, eine
Legende, die durch das Protevangelium des Jakobus seit ca. der Mitte
des 2. Jahrhunderts n. Chr. und wahrscheinlich auch im Brief der Mär-
tyrer von Lyon belegt ist (177 n. Chr.).64

2. 2 Das leere Grab Jesu

Die ersten Christen haben den Ort, „wo sie den Herrn hingelegt haben“
(Mk 16,6), im Gedächtnis behalten, aber wir finden kein Indiz für eine
frühe Verehrung des Grabes.65
Die Überlieferung vom Auffinden des leeren Grabes Jesu ist mit
den Frauen verbunden, die dieses Grab zu ihrem großen Schrecken am

63 Es muss sich um einen besonders hervorgehobenen Ort der Bußgottesdienste und


des Flehens um Vergebung und Rettung handeln; vgl. Joël 2,17; 1 Makk 7,36; tYom
1,12 (ZUCKERMANDEL, 181) par. 1 Chr 21,16 bringt einen interessanten Zusatz zu
2 Sam 24,16 – 25: Als David den Engel mit dem Richtschwert an der Tenne Araunas
stehen sieht, fallen er und die Ältesten in Bußgewändern an dieser Stelle nieder zum
Gebet. Nach der Erhörung und Vergebung errichtet David an dieser Stelle den Altar.
64 ProtevJak 23f; vgl. Eusebius, Historia ecclesiastica 5,1,9; siehe dazu SCHWEMER, Stu-
dien II, 294ff.299ff.303.
65 Vgl. dazu HORBURY, Cult; VAN DER HORST, Prophetengräber 27.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 217

Ostermorgen – aus welchen Gründen auch immer – leer fanden. Das


kann, wie MARTIN HENGEL in mehreren Untersuchungen gezeigt hat,
keine späte Legende sein.66 Frauen galten im antiken Judentum nicht
als vertrauenswürdige Zeugen, zumeist wurde ihr Zeugnis abgelehnt.
Josephus gibt als Grund für die generelle Ablehnung von Frauen ihre
Leichtgläubigkeit und Unzuverlässigkeit an.67 Ein rabbinischer Ge-
richtshof nahm nur in Ausnahmefällen das Zeugnis einer Frau an,
wenn es sie selbst in ganz persönlichen Dingen betraf. Im Normalfall
wurden Frauen nicht als Zeugen vor Gericht herangezogen.68 Noch
Celsus spottet über die Auferstehungszeugen: „Wer hat denn das ge-
sehen? – Ein verrücktes Weib und noch ein anderer von der Sipp-
schaft“.69 Er greift bewusst das Anstößige und Unglaubwürdige auf,
dass Maria Magdalena vermutlich die erste Ostererscheinung hatte.
Weil die Frauen als Zeugen so wenig galten, fehlen sie in der Glaubens-
formel der Auferstehungszeugen in 1 Kor 15.70
Doch die Passionserzählungen konnten nicht einfach auf Maria
Magdalena und die Frauen verzichten, denn sie waren es, die bei der
Kreuzigung Jesu nicht geflohen waren, die von Weitem den Ort des
Grabes sich merkten, in dem Josef von Arimatia die Leiche Jesu bei-
gesetzt hatte, und sie waren es, die am Morgen des ersten Tages der
Woche die Salbung des Leichnams vornehmen wollten.
Im verhaltenen Bericht des Markus sagt der Engel den Frauen nur
(Mk 16,6f ):
„Er wurde auferweckt, er ist nicht hier. Siehe, der Ort, wo sie ihn hingelegt
haben. Aber geht und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er euch voran-
geht nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen . . .“.

Es könnte sich um einen Hinweis auf die Ablehnung der Verehrung


dieses Grabes in der Urgemeinde handeln; dieselbe Urgemeinde hat
auch den Weheruf Jesu über die Erbauer von Prophetengräbern tra-
diert. Ebenso könnte die schon erwähnte eigenartige Polemik, dass der
,Prophet‘ David verwest in seinem prachtvollen Grab liegt (Apg 2,25 –
31; 13,34 – 36) im Gegensatz zum Auferstandenen, auf die Urgemeinde

66 Vgl. HENGEL, Maria Magdalena; HENGEL, Begräbnis 123; HENGEL / SCHWEMER, Jesus
641– 644.
67 Josephus, Antiquitates Iudaicae 4,219.
68 Siehe dazu ILAN, Women 163 – 166.
69 Origenes, Contra Celsum 2,55.
70 Vgl. dazu HENGEL, Begräbnis 135.
218 ANNA MARIA SCHWEMER

zurückgehen. Für sie war nicht das Grab „das ehrwürdige und aller-
heiligste Zeugnis der Auferstehung des Heilands“ (toÁ semnoÁn kaiÁ pan-
Ä w svthriÂoy aÆnastaÂsevw martyÂrion),71 sondern diejenigen, die
aÂgion th
den Herrn gesehen hatten. Das leere Grab an sich war völlig ambiva-
lent und löste „Zittern und Entsetzen“ (Mk 16,8: troÂmow kaiÁ eÍkstasiw)
aus. Erst die Ostererscheinungen machten es verständlich.72
Auch PETER STUHLMACHER hat im Anschluss an JOACHIM JEREMIAS
darauf hingewiesen, dass die Berichte vom leeren Grab Jesu keine spä-
te apologetische Legende sein können, sondern wie die Traditionen
von den Frauen am Grab und Maria Magdalena als erste der Aufer-
stehungszeugen zu den frühen Elementen der Osterüberlieferungen
gehören müssen.73 Ebenso betont JAMES D. G. DUNN in seinem Jesus-
Buch mit Verweis auf die VitProph, dass die Spekulationen vieler Neu-
testamentler über das Begräbnis Jesu in einem Massengrab völlig halt-
los sind, dass die ersten Christen vielmehr dem Grab, in dem Jesus
gelegen hatte, wenig Beachtung schenkten, weil er nicht in diesem
Grab geblieben war.74 Doch die Stelle des Grabes behielten die Christen
in Erinnerung bis in die Zeit Konstantins.
Im neuen Jerusalem-Führer von MAX KÜCHLER 75 sind die topogra-
phischen Verhältnisse ausführlich beschrieben. Auch KÜCHLER rechnet
mit einer Jerusalemer Lokaltradition für Golgata und für das Grab, die
die Stadterweiterung von Agrippa I., die Eroberung und Zerstörung
durch Titus im Jahr 70 und den Neubau des Stadtzentrums von Aelia
Capitolina durch Hadrian überdauert hat, und mit einem Traditions-
zusammenhang zwischen dem Grab Jesu und dem Heiligtum Kon-
stantins. Er begründet dies durch einen Hinweis auf die VitProph und
mit der Zitierung des Schlussworts von JOACHIM JEREMIAS’ Heiligen-
gräber:
„Diese Welt der heiligen Gräber war ein realer Bestandteil der Umwelt, in
der die Urgemeinde lebte. Es ist undenkbar, dass sie, in dieser Welt lebend,
das Grab Jesu der Vergessenheit anheimgegeben haben sollte.“

71 Eusebius, Vita Constantini 3,28. J. JEREMIAS zitiert dies als Schlusswort seines Buches
über die Heiligengräber.
72 Vgl. dazu HENGEL, in: HENGEL / SCHWEMER, Jesus 641– 644.652 und öfter.
73 STUHLMACHER, Theologie 175 – 179.
74 DUNN, Christianity 781ff.837f.
75 KÜCHLER, Jerusalem 418ff (Zitat 420).
Vitae Prophetarum und Neues Testament 219

3. Prophetien der VitProph über das Ende des Zweiten Tempels


und das Tempelwort Jesu

Für das Tempelwort Jesu (Mk 14,58) haben die VitProph einige Paral-
lelstellen erhalten, die man zum Vergleich heranziehen sollte. Dieses
Tempelwort wird als Vorwurf der falschen Zeugen beim Verhör Jesu
vor dem Hohen Priester und seinem Synhedrium von Markus mitge-
teilt und trägt alle Züge von Echtheit:
ÆEgvÁ katalyÂsv toÁn naoÁn toyÄton toÁn xeiropoiÂhton
kaiÁ diaÁ triv
Ä n hëmerv
Ä n aÍllon aÆxeiropoiÂhton oiÆkodomhÂsv
„Ich werde diesen mit Händen gemachten Tempel niederreissen,
und nach drei Tagen einen anderen, nicht mit Händen gemachten Tempel
erbauen.“

Formal bildet das Tempelwort einen strengen antithetischen Parallelis-


mus membrorum, wie er für Logien Jesu charakteristisch ist. Weiter
handelt es sich um ein typisch jesuanisches Ich-Wort. Das Gegensatz-
paar xeiropoiÂhtow und aÆxeiropoiÂhtow darf man nicht als sekundäre Zu-
sätze streichen, denn sie bilden den entscheidenden Hinweis darauf,
dass es bei dem „nicht mit Händen gemachten“ um den eschatologi-
schen Tempel geht, den Gottes Hände errichten werden (Ex 15,17). Das
„Ich“, das hier spricht, beansprucht mit messianischer Vollmacht an
Gottes Stelle den eschatologischen Tempel zu errichten. Dieses Logion
bereitete den frühchristlichen Tradenten solche Schwierigkeiten, dass
es in dieser Form nur bei Markus als falscher Vorwurf beim Verhör
erhalten geblieben ist. Lukas trägt es nach für die Tempelkritik des
Stephanus,76 Matthäus schwächt ab: „Ich kann diesen Tempel Gottes
niederreißen und in drei Tagen aufbauen“ (Mt 26,61). Johannes (2,20ff )
entfernt es ganz aus seinem alten Kontext, stellt es abgewandelt an den
Anfang des Wirkens Jesu und verwendet es als einen Hinweis auf die
Auferstehung Jesu.
Wahrscheinlich fiel dieses Wort bei der „Tempelreinigung“ Jesu.
Mit dieser prophetisch-messianischen Zeichenhandlung stellt Jesus
den Kultbetrieb im Tempel in Frage und setzt Sach 14, die Erwartung
des eschatologischen Tempels und des Anbruchs der Gottesherrschaft
in Aktion um.77 Im Urchristentum musste diese Prophetie zur Ver-
leumdung erklärt oder uminterpretiert werden, weil sie nicht in Erfül-

76 Apg 6,14.
77 Siehe dazu SCHWEMER, König 356f; ÅDNA, Stellung, passim.
220 ANNA MARIA SCHWEMER

lung gegangen war. Nun trat als Tempelwort das wörtliche Schriftzitat
an seine Stelle:
„Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt werden,
ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ (Mk 11,17)

Das Mischzitat aus Jes 56,7 und Jer 7,11 spiegelt die Deutung der Funk-
tion des Tempels in der frühesten Urgemeinde, die mit der Völker-
wallfahrt zum Zion rechnete, bevor nach der Steinigung des Stephanus
und der Vertreibung der Hellenisten aus der Stadt die Hinwendung
zur Heidenmission als von Gott gewollt erkannt wurde.78
Beide Formen des Umgangs mit der Erwartung der Zerstörung des
Tempels und der Hoffnung auf den eschatologischen sind typisch neu-
testamentlich und christlich: So ein selbstbewusstes Ich-Wort von
einem Propheten finden wir in den VitProph ebenso wenig wie ein
wörtliches Schriftzitat in ihrer frühesten Überlieferungsform.79 Wieder
illustriert die bunte Blütenlese der VitProph, ebenso wie Josephus und
andere frühjüdische Schriften, was die jüdische Umwelt dachte und für
die Endzeit befürchtete und erhoffte:
In der Jeremia-Vita wird die Lade des Gesetzes nach der Zerstö-
rung des Ersten Tempels von Jeremia im Sinai geborgen. Im Eschaton
wird die Lade als Erste auferstehen. Aaron wird sie herausholen und
Mose wird die Gesetzestafeln „aufrollen“ wie ein Buch und das Gesetz
verlesen. Gottes Herrlichkeit offenbart sich in seinem Gesetz und wird
nie von diesem weichen. Zuvor sind die Heiligen vor dem Endfeind
zum Sinai geflüchtet, um dort das Kommen Gottes auf diesen Berg zu
erwarten.80
Ezechiel schaut wie Mose das himmlische Tempelurbild und den
Entwurf für den eschatologischen Tempel auf dem Zion wie Daniel.81

78 ÅDNA, Stellung 216 – 225.265ff.382.384ff, plädiert dagegen für Authentizität von Mk


11,17.
79 Schriftzitate erscheinen in den VitProph in späteren Rezensionsformen und verdrän-
gen legendäre Passagen, dazu oben.
80 VitProph 2,12 – 15. Vgl. oben Anm. 52. In der Jeremia-Vita ist das endzeitliche Ge-
schehen in seiner Abfolge am ausführlichsten beschrieben. Der Berg der Endzeit wird
nach der ursprünglichen Version der Sinai sein wie in Dtn 33,2; Ps 68,18; 1 Hen 1,3f;
sekundär wird dies in vielen Handschriften zu „Zion“ korrigiert. Vgl. ausführlicher
SCHWEMER, Studien I, 214f (Exkurs: Der Sinai und die Lade in Ps 68); SCHWEMER,
Vitae 580. Zur in der Sinai-Tora gegenwärtigen doÂja Gottes als vergänglicher und
richtender im Gegensatz zur rettenden und bleibenden doÂja Gottes im Evangelium
siehe Paulus 2 Kor 3,7–11; dazu SCHWEMER, Vitae 584 Anm. 14e. Zur Deutung von
R. NIR vgl. oben Anm. 28.
81 VitProph 3,16.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 221

Habakuk prophezeit den Aufbau und den Untergang des Tempels


und rechnet wieder mit der endzeitlichen Flucht in die Wüste:
„Und über das Ende des Tempels sagte er vorher:
Es wird durch ein Volk aus dem Westen geschehen.
Dann, sagte er, wird der Vorhang des Debirs in kleine Stücke gerissen
werden,
und die Kapitelle der beiden Säulen werden weggenommen werden,
und niemand weiß, wo sie sein werden.
Sie aber werden in die Wüste weggetragen werden von Engeln,
(dahin) wo am Anfang das Zelt des Zeugnisses gebaut wurde.
Und durch sie wird am Ende der Herr erkannt werden,
denn sie erleuchten die von der Schlange in der Dunkelheit Verfolgten wie
von Anfang an.“ 82

Es gab beides nebeneinander: Die Erwartung des endzeitlichen Heils


im Tempel auf dem Zion auf der einen Seite und daneben auf der
anderen die Hoffnung auf das Wiederkommen Gottes zum Sinai, vor-
gegeben durch Dtn 33,2f, die Flucht in die Wüste und den Aufbruch zu
einem neuen Exodus. Dieses Nebeneinander war dann typisch für die
sogenannten Zeichenpropheten, die im 1. Jahrhundert n. Chr. auftra-
ten, und ihren Anhängerscharen die Zeichen und Wunder des Exodus
in der Wüste versprachen, und für die zelotischen Propheten, die die
Volksmengen im 1. Jüdischen Krieg bis zur Eroberung des Tempels
durch Titus in der Gewissheit bestärkten, jetzt müsse das endzeitliche
Heil im Jerusalemer Tempel anbrechen oder in die Wüste abziehen
wollten.83 Mt 24,26 warnt dann zusätzlich als Reaktion auf diese Flucht
in die Wüste: „Wenn sie zu euch sagen, siehe er (der Messias) ist in der
Wüste, geht nicht hinaus.“
Das Heil in der Wüste spielte auf andere Weise schon bei der Ver-
wendung von Jes 40,3 in den Qumran-Texten und besonders bei
Johannes dem Täufer eine Rolle.84

82 VitProph 12,10 –14; vgl. 2,12ff.


83 Theudas, der unter dem Prokurator Fadus (44 – 46 n. Chr.) auftrat, war der erste
„Pseudoprophet“, von dem wir durch Josephus wissen, dass er eine große Menge
von Menschen in die Wüste führte, Josephus, Antiquitates Iudaicae 20,97ff. Ausführ-
licher zu diesen eschatologischen Propheten: HENGEL / SCHWEMER, Jesus 93 – 101. Die
VitProph enthalten ältere Überlieferungen, vom zelotischen Eifer für das Gesetz ist
meines Erachtens in den VitProph noch nichts zu spüren, und vor allem rechnen sie
nicht mit dem Auftreten neuer Propheten. NIR, Destruction 71, erkennt hier dagegen
die rein christliche Erwartung der Parusie in der Wüste, die der christlichen Haupt-
überlieferung widerspräche – ohne jeden weiteren Stellenbeleg.
84 Zu Jes 40,3 – 5 und Mk 1,3 parr.; Lk 3,1 – 6; 1QS VIII 13 –16; vgl. HENGEL / SCHWEMER,
Jesus 93.98.140.300.302f.314.
222 ANNA MARIA SCHWEMER

In der synoptischen „Apokalypse“ erscheinen für die Schrecken


der endzeitlichen Wehen ähnliche Motive wie in den VitProph. Die
Weissagungen bei Markus gipfeln jedoch nicht in apokryphen Pro-
phetenworten, sondern werden mit Schriftzitaten begründet, und die
Prophetie Daniels über die Abfolge der endzeitlichen Ereignisse wird
aufgenommen.85 Hier kam es im Urchristentum ganz auf die eschato-
logischen Erwartungen und Vorhersagen des messianischen Propheten
Jesus von Nazareth und die wörtliche Erfüllung der Schrift an.86
Doch bei legendären Motiven finden wir erstaunliche Ähnlichkeit.
In der Habakuk-Vita prophezeit der Prophet, dass der innere Tempel-
vorhang, der die Erde darstellte, in kleine Stücke gerissen werden wer-
de. Ich habe dieses „Zerreißen in kleine Stücke“ auf ein Wortspiel, das
im Aramäischen und Hebräischen möglich ist, und auf die Auslegung
von Hab 3,9 zurückgeführt.87 Das „Zerreißen“ kann nicht von der syn-
optischen Passionsgeschichte abhängig sein. Doch beim Tode Jesu er-
scheint dasselbe Legendenmotiv, aber nun spaltet sich der äußere Tem-
pelvorhang, der den Himmel darstellte, von oben bis unten, d. h. er tut
sich auf wie der Himmel in der Taufperikope. Jedes Mal verwendet Mk
das Verb sxiÂzv für diese Öffnung des Himmels.88
Das Ende der Welt und die Zerstörung Jerusalems kündigt in der
Jona-Vita ein schreiender Stein an, dasselbe Motiv verwendet Lk 19,40.
In seiner Vita kündigt Jona als „Zeichen“ auch die Zerstörung Jerusa-
lems an, so wie einst die Ninives. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es
eine Motivverwandtschaft mit der Ablehnung der Zeichenbitte in Lk
11,29 gibt:
„Dieses Geschlecht ist ein böses Geschlecht. Es fordert Zeichen, aber es
wird ihm kein Zeichen gegeben werden, außer dem Zeichen des Jona.“

85 Mk 13,24f zitiert Jes 13,10; 34,10, aber sonst steht Daniel im Hintergrund: vgl. jetzt
PITRE, Jesus 312f. Er sieht in Mk 13,14 „wer es liest, der soll verstehen!“ eine Auffor-
derung Jesu an seine Jünger, das Daniel-Buch zu lesen und paraphrasiert: „‘When
you see the abomination of desolation, let he who reads (Daniel) understand’ that the
time of the end, the time of ‘unsealing’ the words of Daniel’s prophecy – the time of
the Great Tribulation – is at last at hand“ (313).
86 Vgl. PITRE, Jesus 223 – 379, der die Authentizität der eschatologischen Prophetien Jesu
in seiner Rede auf dem Ölberg (Mk 13,1 – 27) nachzuweisen sucht. Die VitProph
bezieht er nicht in seine Untersuchung ein.
87 SCHWEMER, Studien II, 129f. Vermutlich ist die Weissagung, dass der innere Vorhang,
der die Erde symbolisierte, zerrissen wird (aÏplvma . . . toyÄ DabhÂr eiÆw mikraÁ rëaghÂse-
tai), aus Hab 3,9 (LXX) entstanden: rëaghÂsetai gh Ä.
88 Mk 1,10; 15,38. Siehe dazu FELDMEIER, Der Gekreuzigte.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 223

Der drohende Unterton des jesuanischen Gerichtsworts gegen „dieses


Geschlecht“ passt wesentlich besser zu einer Ankündigung der Zer-
störung Jerusalems als zur Buße der Nineviten (so Lukas) oder dem
dreitägigen Aufenthalt des Menschensohns in der Unterwelt (so Mat-
thäus).89
So könnte man noch lange fortfahren und die Parallelen und
Motivanklänge untersuchen.90 Ich breche hier ab, möchte zum Schluss
nur noch auf eine Eigentümlichkeit der VitProph hinweisen:
Der letzte Prophet in den VitProph ist nach der ursprünglichen
Anordnung Sacharja ben Jojada (2 Chr 24), dessen Blut das Haus David
nach dieser Version der Sacharja-Legende vergossen hat. Dieser Mord
hat in den VitProph schlimme Folgen für den Ort, an dem er geschah,
denn die Priester können seitdem die Erscheinung von Engeln im Tem-
pel nicht mehr sehen und auch keine Orakel mehr geben aus dem
Allerheiligsten. Sie können nicht mehr mit den Orakelsteinen des ho-
hepriesterlichen Ornats und mit dem Ephod Fragen beantworten wie
früher.
„Seitdem ereigneten sich Vorzeichen von erschreckendem Eindruck
(teÂrara fantasiÂaw) im Tempel:
Und die Priester konnten nicht (mehr) die Erscheinung von Engeln
Gottes sehen;
weder Orakel geben aus dem Debir, noch befragen mit dem Ephod,
noch durch die Orakelsteine dem Volk antworten wie früher.“ 91

Nach Josephus haben die Orakel aus dem Debir 200 Jahre, bevor er
schreibt, aufgehört, weil die Gesetze nicht gehalten wurden. Er denkt
an Johannes Hyrkan als letzten Hohen Priester, der um 110 v. Chr.

89 VitProph 10,8f; vgl. SCHWEMER, Studien II, 82; MITTMANN-RICHERT, Einführung 170.
90 Vgl. etwa zur jüdischen Bewohnerschaft von Tyrus VitProph 10,2 und Mk 7,24 – 30
den Exkurs in SCHWEMER, Studien II, 64 – 67; weiter dort den Index 358 – 361 zu den
neutestamentlichen Parallelstellen.
91 VitProph 23,2. MITTMANN-RICHERT, Einführung 163 – 168, deutet diese Verse einseitig
auf den Verlust der Sühnefunktion des Tempels, obwohl es an dieser Stelle um die
Vorzeichen geht, die die Zerstörung des Tempels anzeigen, und in den VitProph
insgesamt Sühneterminologie – ja auch Opferterminologie abgesehen von den se-
kundären Passagen – fehlt, und sieht hier den „Fixpunkt des theologischen Ringens“
der VitProph, denn „auch die Vitae Prophetarum sind nur von diesem Fixpunkt her
in ihrer Tiefe zu verstehen“ (168). Das kann ich beim besten Willen in den VitProph
nicht erkennen. Sie sind gerade nicht auf ein theologisches Zentralthema ausgerich-
tet, sondern enthalten eine Sammlung aus der Vielfalt der verschiedenen endzeitli-
chen Erwartungen und sind ein Zeuge für die Aspekthaftigkeit des frühjüdischen
Denkens, dem eine systematische Dogmatik völlig fernlag und das vielmehr an der
Vielfalt der Annäherungsweisen interessiert war. Es ist doch bezeichnend, dass eine
Aussage wie Sir 46,20 (LXX) in den VitProph fehlt (siehe dazu oben Anm. 40).
224 ANNA MARIA SCHWEMER

noch einmal Orakel aus dem Debir gegeben haben soll.92 Der düstere
Schluss in den VitProph sieht den irdischen Tempel schon seit den
Zeiten des Königs Joas als defekt an und die Vorzeichen künden das
Ende des (Ersten) Tempels an. Auch an anderen Stellen in den VitProph
kann man die Enttäuschung über die Priesterschaft und die Überzeu-
gung, dass in der Endzeit der Zweite Jerusalemer Tempel so wie einst
der Erste zerstört werden wird, ebenso wie die Erwartung der endzeit-
lichen Zerstörung Jerusalems feststellen.93 Die Heilshoffnungen richten
sich auf die Rückkehr aus dem Exil,94 die eschatologische Auferste-
hung, die erneute Gabe des Gesetzes durch Aaron und Mose am Sinai,
die Flucht der Heiligen zu diesem Berg, wo sie das endzeitliche Kom-
men Gottes zum Sinai 95 bzw. auf die Erde zum Gericht und zur Samm-
lung des Zwölfstämmevolkes 96 und die Errichtung des eschatologi-
schen Tempels erwarten.97
Die Vita des Propheten Sacharja ben Jojada steht am Ende der ur-
sprünglichen Sammlung, weil die Chronikbücher den Schluss des da-
maligen Kanons bilden. Diese Kanonsgrenze vertritt das Jesus-Logion
Lk 11,51 ebenso wie der halachische Brief aus Qumran, der wohl auf
die priesterliche Gründerautorität der Religionspartei der Essener, den
Lehrer der Gerechtigkeit, zurückgeht.98 Den negativen Schluss mit der

92 Josephus, Antiquitates Iudaicae 3,218; vgl. 13,282 zur Weissagung Hyrkans, die auch
die rabbinische Literatur tradiert (tSota 13,5 [ZUCKERMANDEL 319] und öfter). Aus-
führlicher SCHWEMER, Studien II, 312 – 320. Vgl. weiter mSota 9,12; tSota 13,2: Mit
dem Tod der früheren Propheten bzw. der Zerstörung des Ersten Tempels hörten
Urim und Tummim auf.
93 Auch die Vita des Propheten Sacharja aus dem Zwölfprophetenbuch übt Kritik an
der Priesterschaft (VitProph 15,6); damit wird Sach 14 aufgenommen: Im eschatolo-
gischen Tempel gibt es keine Priester mehr. Auf der anderen Seite wird die priester-
liche Abstammung – als die vornehmste – für die Propheten am häufigsten ange-
nommen. Vgl. zu den verschiedenen Aspekten der Kritik an der Priesterschaft in der
klassischen Prophetie, in der Apokalyptik, bei den Essenern, bei Johannes dem Täu-
fer und Jesus von Nazareth: GRUENWALD, Priesthood.
94 Ezechiel-Vita (VitProph 3,6f.19) rechnet mit der Rückkehr der verlorenen Stämme,
wenn sie am Ende ihren Götzendienst aufgegeben haben, siehe SCHWEMER, Vitae
589.595. In der Daniel-Vita kehrt das Volk in sein Land zurück und wird dort be-
wahrt, bevor „das Morden Beliars auf der ganzen Erde sein wird“ (VitProph 4,22).
Zur Hosea-Vita siehe unten Anm. 96. Zur endzeitlichen Sammlung der Erwählten
aus allen Himmelsrichtungen vgl. Mk 14,27.
95 VitProph 2,12; vgl. Dtn 33,2 (LXX); 1 Hen 1,3f; dazu SCHWEMER, Vitae 580.582.
96 VitProph 5,2; vgl. SCHWEMER, Vitae 611; dass sich die „Eiche von Silo“ (Jos 24,25ff
[LXX]) von selbst in zwölf Bäume teilt, weist nicht nur auf das Gericht hin, sondern
auch auf die Sammlung des Zwölfstämmevolkes.
97 VitProph 3,16.
98 4QMMT C 11 (QIMRON / STRUGNELL, Qumran 27.58; GARCÍA MARTÍNEZ / TIGCHELAAR
[Hg.], Dead Sea Scrolls 800.802); vgl. auch Josephus, Contra Apionem 1,40f. Dazu
HENGEL, Schriftauslegung 13.52.
Vitae Prophetarum und Neues Testament 225

Sacharja ben Jojada-Vita haben spätere Rezensionen nicht beibehalten


und unterschiedlich verbessert. In der Dorotheus-Rezension (Dor) ist
der Vers 23,2 mit der Schilderung der erschreckenden Vorzeichen im
Tempel ausgelassen. Aus christlicher Sicht konnte er ja gar nicht stim-
men: Zacharias / Sacharja, der Vater des Täufers, hatte den Engel
Gabriel im Tempel gesehen.99 So tritt in der Epiphanius von Salamis
zugeschriebenen Rezensionsform (Ep 1) 100 an die Stelle der Vita von
Sacharja ben Jojada die des Vaters des Täufers.101 Weiter werden die
Viten des Priesters Symeon (Lk 2) und die Johannes’ des Täufers als
die des letzten vorchristlichen Propheten (vgl. Lk 16,16) in dieser Re-
zensionsform ans Ende gestellt.102
Dass sich in den Handschriften dennoch der ,pessimistische‘
Schluss gehalten hat, scheint mir ein Indiz dafür zu sein, dass die
VitProph keine genuin christliche Schrift – wie etwa die AscJes – sind.
Kirchliche Verfasser des 3. und 4. Jahrhunderts hätten von vornherein
einen anderen Text geschrieben und auch nicht mehr die nötigen
Kenntnisse gehabt, um die VitProph in dieser Form abzufassen. An
den Apostel- und Jüngerlisten 103 kann man sehen, wie dürftig das bio-
graphische Wissen in dieser Zeit in der Kirche geworden war.
Die VitProph gehören in ihrem Ursprung in die frühjüdische Zeit.
Sie sind zwar eine kleine und recht unscheinbare, aber nicht zu unter-
schätzende Quelle für die jüdische Umwelt Jesu, der die Propheten
wichtig waren als Künder der Vorzeichen des kommenden Weltendes,
als Wundertäter und Fürbitter und deren Gräber besucht und in Ehren
gehalten wurden. Dieser Erwartungshaltung gegenüber einem Pro-
pheten widersprach Jesus deutlich mit seiner Ablehnung der „Zeichen-
bitte“ und dem Wehewort über die Erbauer von Prophetengräbern. Es
hätte an sich nahegelegen, das Grab Jesu so wie das anderer als Mär-
tyrer gestorbener Propheten und Wundertäter zu verehren und zu be-
suchen, zu hoffen, dass er noch aus dem Grab weiterhin Heilungs-
wunder tun und Sündenvergebung zusprechen würde. Das unterblieb.
Der scharfe Kontrast zwischen dem leeren Grab Jesu und den Erschei-
nungen des Auferstandenen ließ in der Frühzeit eine solche Verehrung

99 Lk 1,11.
100 Auch die sogenannte 2. anonyme Rezension (An2) und andere Rezensionen ergänzen
oder streichen am Schluss. Zu den verschiedenen Rezensionsformen siehe SCHWE-
MER, Studien I, 14 –18.28f (Tabelle zur Reihenfolge der Viten).
101 Siehe dazu SCHWEMER, Studien II, 294f.299f; SCHWEMER, Vitae 652 Anm. 1 b.
102 Vgl. SCHWEMER, Studien II, 325 – 328.
103 Vgl. SCHERMANN, Indices.
226 ANNA MARIA SCHWEMER

des Grabes nicht zu und machte sie überflüssig.104 Zur Verehrung des
Grabes Jesu kam es erst Jahrhunderte später nach dem Vorbild des
Besuchs der christlichen Pilger an den Stätten der alttestamentlichen
Patriarchen-Prophetengräber.

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230 ANNA MARIA SCHWEMER

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The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets

GÉZA G. XERAVITS

The prophet Elijah appears as one of the most many-sided figures of


the Hebrew Bible. A committed prophet, a man of deep spirituality; an
opponent of great political powers and companion of the poor and
distressed; a man of God, who communicates with his God in an ex-
traordinarily intimate manner; who was depicted by the collectors of
the stories of his life as a new Moses; and – as later authors hold – even
a redivivus figure of the last days of the histoire sainte. Seeing this im-
pressive career, we can of course understand the interest that later
thinkers of both early Judaism and Christianity attached to Elijah. In
this paper, I would like to focus on an originally early Jewish work –
which later on suffered or enjoyed reworking of the early Church as
well – which can be considered as one of the earliest hagiographic
collections, the Lives of the Prophets.1
The author of this work collects together basic information on great
Biblical prophets, information about “The names of the prophets, and
where they are from, and where they died and how, and where they
lie“, as its title indicates. The various Vitae differ in length and content,
but the figure of Elijah deserved one of the best-developed treatments
in the entire collection. In chapter 21, we find side-by-side retelling of
Biblical material, and a good amount of extra-biblical traditions con-
cerning Elijah. My aim here is to analyse that part of the chapter, which
deals with the activity of Elijah, and which concerns exclusively the
miracles performed by the prophet.

1. The Structure of the Elijah-Vita

The above-mentioned title of the Lives of the Prophets relates the basic
structure of the individual sections of the work respectively. The most

1 SCHWEMER, Studien I, 12 – 90; HARE, Lives (in this paper we quote the Lives according
to this translation, but with the numbering of SCHWEMER’s “Synopse“: SCHWEMER,
Studien II, 3* – 75*). See furthermore DENIS et al., Introduction 577 – 607. The Christian
origin of the collection is defended by SATRAN, Prophets, unconvincingly.
232 GÉZA G. XERAVITS

condensed example of this structure is found in the Joel-Vita (chapter


8), which identifies the name, the place of origin, the death and burial
of the prophet. Other chapters, nevertheless, can contain more addi-
tional information on these issues, and even on the most important
events of the given prophet’s activity.
Chapter 21, the Elijah-Vita shows a couple of interesting character-
istics compared to the others. Its first section (21:1) is regular: it iden-
tifies the prophet, and collects data about his origin. Yet, after this, an
interlude follows which recalls legendary elements of the prophet’s
miraculous birth (21: 2 – 3).2 Then we find the main body of the chapter
(21: 4 – 12a): events from the activity of the prophet. This section is a
retelling of various passages from 1 Kgs 17 – 2 Kgs 2; the author picked
up eight events, in an order different to the one in the Books of Kings,
all of which display Elijah the wonder-worker. Finally, seeing the fact
that the author of the Lives cannot recall the burial of Elijah, we find a
short note about his being taken up by the chariot of fire (21:12b). The
structure of the chapter is as follows:
21:1: introduction (prologue)
21: 2 – 3: miracles of birth
21: 4a: superscript for Elijah’s miracles
21: 4b – 12a: miracles of activity
21:12b: end of life (epilogue)

It is worth noting, that we find a similar structure in the following


Elisha-Vita, with some variants, as follows:
22 :1: introduction
22 : 2 – 3: miracles of birth
22 : 4: the death of the prophet
22 : 5a: superscript for Elisha’s miracles
22 : 5b – 19: miracles of activity
22 : 20: miracle after death

The two Vitae are common firstly in relating miracles that follow the
prophet’s birth (nowhere else in the Lives); secondly in using an iden-
tical superscript before treating the activity of the prophet (nowhere
else in the Lives); thirdly in giving a systematic treatment focusing on
the wonders the prophet made (nowhere else in the Lives). It seems
furthermore, that in the case of Elisha, an originally shorter Vita was
reshaped in the style of the Elijah-Vita, which is indicated by the antic-
ipated account of Elisha’s death in the middle of the section.

2 See XERAVITS, Remarks.


The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets 233

2. Wonders in the Lives of the Prophets

The Lives often display wonders connected to the activity of prophets.


It often refers to the miracles as “signs“ (shmeiÄon / shmeiÄa), and “portent,
wonder or prodigy“ (teÂraw / teÂrata / teraÂsteia).3 At the background of
this intense interest, we naturally find the requirements of the pious
readers of hagiography, yet, on the other hand, it has strong theolog-
ical implications as well.4 Most of the wonders we find in the Lives
have an extra-biblical origin. In the Elijah and Elisha Vitae, however,
the author deals exclusively with Biblical material. This seems to be
natural, because the Biblical narrative of these figures itself is interest-
ed in the miracle making activity of both. What is interesting, however,
is that the author restricts himself to collecting events where the proph-
ets make miracles. The author’s intention lies in the manner by which
he selects passages from the Bible, and by which he rearranges the
original order of the material he borrows.

3. The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets

The Lives have been transmitted to us in a number of varying textual


witnesses.5 The section of the Elijah-Vita, which relates the prophet’s
wonders, is transmitted in four different textual traditions.
1. The most complete is provided by the oldest known recension of
the work, which is preserved among others in the so-called codex
Marchalianus (An1, manuscript Vat.gr. 2125), which was copied in
the 6 th century A.D. Here we find altogether eight wonders.
2. A 13 th century A.D. manuscript of the writings of Epiphanius of
Salamis (Ep1) mentions only elements of the first two wonders.
3. Another Epiphanius manuscript, from the 10 th century A.D., and
cognate witnesses, contain a short summary of the prophet’s mir-
acle maker activity.
4. Finally, the two other known recensions of the Lives, one from the
writings of Dorotheos of Antioch (Dor), in a manuscript from the

3 ShmeiÄon/shmeiÄa: 1: 2, Isaiah; 2 : 7, 10, Jeremiah; 21: 4, Elijah; 22 : 5, Elisha; teÂraw/


teÂrata/teraÂsteia: 3 : 6, 18, Ezekiel; 4 :19, 21, Daniel; 5 : 2, Hosea; 10 : 8, Jonah; 11: 2,
Nahum; 12 :10, Habakkuk; 15 :1, 4, Zechariah; 22 : 2, Elisha; 23 : 2, Zechariah son of
Jojadah.
4 SCHWEMER, Studien I, 79.
5 See the comprehensive list in DENIS et al., Introduction 585 – 590.
234 GÉZA G. XERAVITS

13 th century A.D., and in the so-called “recensio anonyma“ (An2) –


which otherwise is closest to An1 – from the 10 th century A.D., omit
entirely the section about the wonders.
In the following, our basic text will be the one provided by An1. It is
not easy to judge, whether this oldest remaining version is the most
original one compared to the others; yet, in its actual state it displays a
theologically artfully arranged text, with a thematically concentric
structure, which is certainly a result of a careful work of its author.
The signs which he did are these. Elijah prayed and it did not rain for three
years, and after three years he prayed again and abundant rain came. In
Zarephath of Sidon through the word of the LORD he made the jar of the
widow not to fail and the flask of oil not to diminish. Her son who has died
God raised from the dead after (Elijah) prayed. When the question was
posed by him and the prophets of Baal concerning who is the true and real
God, he proposed that a sacrifice be offered both by him and by them, and
that fire not be placed under (it), but that each should pray, and the one
answering him would be God. Accordingly, the (prophets) of Baal prayed
and cut themselves until the ninth hour, and no one answered them; and
Elijah, when he had filled the place where the sacrifice was with much
water, also prayed, and immediately fire came down and consumed the
sacrifice, and the water was gone. And all blessed God, and killed the four
hundred and fifty (prophets) of Baal. When king Ahaziah sent to obtain an
oracle from idols, (Elijah) prophesied death, and he died. When two cap-
tains of fifty were sent to him from Ahaziah, the king of Israel, he invoked
the Lord and fire came down from heaven, and the fire consumed them at
the Lord’s command. Ravens brought him bread in the morning and meat
in the afternoon. With a sheepskin he struck the Jordan and it was divided,
and they crossed over with dry feet, both he and Elisha. Finally he was
taken up in a chariot of fire (HARE, Lives 396f ).

The two framing wonders of the section are connected to nature. The
first wonder relates Elijah’s prayer after which three years it did not
rain, and then his new prayer after which the rain came again (21: 4b).
This passage combines two successive events described by 1 Kgs 17 :1
and 18 : 42b – 45. The eighth wonder (21:12) relates the two prophets
crossing the Jordan, when Elijah divided the waters by his sheepskin
mantle. This passage comes from 2 Kgs 2 : 8. Both wonders reveal Eli-
jah’s power over the forces of nature, especially over the waters, com-
ing either from the skies (rain) or being on the face of the earth (river).
That a prophet is able to master the waters is a familiar topic in the
Lives, we find similar passages in the Vitae of Isaiah (1: 2 – 3) and Eze-
kiel (3 :10).
The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets 235

Then, we find two passages connected with food. The second won-
der summarises Elijah’s meeting the widow of Zarephtha, when her
provision was provided after Elijah had given an oracle for her (21: 5a),
a story that comes from 1 Kgs 17 : 7 – 16. The seventh wonder, based on
1 Kgs 17: 4 – 6 relates the event when ravens brought food for Elijah
lest he not starve during his stay at Wadi Kerith (21:11). The topic of
miraculous feeding occurs also in some passages of the Lives. After a
prayer of Ezekiel, the people got “an abundant supply of fish“ (3 :11). It
is worth noting, that the Isaiah-Vita combines the theme of water and
surviving when recalling the prophet’s prayer for drinking-water
(1: 2 – 3).
The third circle of wonders concerns human life. The third wonder
continues to recall the Zarephtha episode (21: 5b), and, based on 1 Kgs
17:17– 24 relates the resurrection of the widow’s dead son. The sixth
wonder (21:10) summarises the wonder when Elijah saves his own life
by killing with heavenly fire the captains of king Ahaziah who were
sent to arrest him. This event was taken from 2 Kgs 1: 9 – 14. The Lives
know of prophets who can miraculously heal, such as Jeremiah (2 : 4);
and even of prophets whose presence can raise the dead, such as the
buried body of Elisha (22 : 20). The son of the widow of Zarephtha was
furthermore identified by the prophet Jonah in his Vita (10 : 4 – 5); and
one of the captains of the king was identified by the prophet Obadiah
(9 : 3).
Finally, at the middle of the section, we find two wonders connect-
ed to the right worship of the God of Israel. The fourth, lengthy sub-
section evokes thus the victory over the priests of Baal at Mount Car-
mel (21: 6 – 8), taken from 1 Kgs 18 :16 – 40; while the fifth wonder
(21: 9) – based on 2 Kgs 1:1 – 6 – is the giving of a prophecy of judge-
ment for king Ozias (sic!) when he asked an oracle from Beelzebub
(here: “from idols“). These wonders reveal the zeal for God’s unique-
ness over the idols, a topic that occurs e. g. in the Vita of Jeremiah (2 : 7).
These subsections show relative fidelity to the original narrative,
we find nevertheless a sort of selectivity regarding the material the
author has picked up from the Bible, and also slight rearrangements in
wonders 1 and 7, where the author changed the original place of the
events. To recapitulate the use of the sources, we find the following
sequence:
236 GÉZA G. XERAVITS

Sources Topics

1 1 Kgs 17 :1 + 18 : 45 drought and rain (4b)


2 1 Kgs 17 : 7 – 16 the food of the widow of Zarephtha (5a)
3 1 Kgs 17 :17 – 24 the resurrection of the widow’s son (5b)
4 1 Kgs 18 :16 – 40 the affair at Mt. Carmel (6 – 8)
5 2 Kgs 1:1 – 6 prophecy to king Ozias – images (9)
6 2 Kgs 1: 9 – 14 the soldiers of king Ahaziah (10)
7 1 Kgs 17 : 4 – 6 ravens feed him (11)
8 2 Kgs 2 : 8 crossing the Jordan (12)

The selection of the Biblical material and the replacement of some of its
elements were certainly intentional, and testify to the creative power of
the author. Although – as we have seen – the individual themes the
author evokes here are all familiar from other Vitae of the collection,
we cannot find anywhere else such a structurally emphatic arrange-
ment of the elements. The concentric structure of the miracles-section
of the Elijah-Vita is as follows:
1. nature (water)
2. food
3. life and death
4. God
5. God
6. life and death
7. food
8. nature (water)
Seen from inside, the entire passage is centred on theo-logical matters;
the two wonders in the middle emphasize the refusal of the service of
other deities. At the same time, both wonders allude to the active role
of Elijah in defending the only authority of God, by which they under-
line the prophet’s figure as an example of the zealous worshipper. In
doing this, the intention of this section is to strengthen the fidelity of
the addressees to the God of Israel. The encircling sections show how
the authority of God emanates into various realms of the creation,
which comprises humanity, and nature as well. God is depicted as
master of life and death, who can save the one belonging to him in
various kinds of menaces, both in the cases of illness and persecution.
Then, the author turns to everyday life, and presents God as the one
The Wonders of Elijah in the Lives of the Prophets 237

who nourishes the pious – either when he or she has to be faced with
challenges of poverty, or when he or she intends to seek God in remote
places of desert. Finally, the passage is framed by sections that deal
with God’s authority over nature, an entity far beyond the realm of
humanity, which, on the one hand, gives a basis for human subsistence
(first miracle), and, on the other hand, is under divine control both in
creation and in history (eighth wonder, with its direct allusions to the
Exodus and the waters of the creation).
Seen from outside, the passage directs the readers more and more
close to God. Nature, basic human needs, questions of life and death
naturally lead to meditate on God. The perspective of providence,
which is evident when we understand the passage in the middle of the
pericope refers to the knowledge of God, when understanding the pas-
sage from outside.
A final note, which deserves attention, concerns the role of Elijah in
these episodes. We can easily detect a bipartite macro-structure of the
passage. All the wonders are performed through the active collabora-
tion of Elijah. In the first three sections, the object of the wonders are
various entities: the people, the widow and the dead son, respectively.
In the last three sections, however, the object of the wonders is Elijah
himself: his life is saved, he obtained food and he crossed the Jordan,
respectively. Thus, the attention of the reader is directed more and
more to this pre-eminent figure, which is crowned by his explicit
manifestation as the new Moses – when dividing the Jordan – an
exemplary ideal of the Jewish faith.

4. Conclusion

To sum up, we can conclude that the overall intention of the passage of
the Elijah-Vita that deals with the wonders of the prophet is to encour-
age piety and perseverance in the faith of the God of Israel. The overall
goal of hagiography is threefold: to give an itinerary to the pilgrims, to
give theological (re)interpretation to the exemplary figures of the past,
and to promote the piety of the addressees. In the case of the Elijah-
Vita, this third aspect seems to be the more emphatic one. Within the
complicated religious and political circumstances of the early 1 st cen-
tury A.D., the stress on perseverance is the more important perspective
an author could give to a pious Jewish audience. That is why we find
nothing about personal mysticism, and this is the reason why Elijah’s
238 GÉZA G. XERAVITS

personal encounters with God are consciously omitted. The prophet is


presented as an ideal type of the devoted Jew – what is important is the
universal manifestation of his faith in the God of Israel.

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Joseph und Aseneth
Die Weisheit Israels und die Weisheit der Heiden

ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Hartmut Gese in Dankbarkeit zum 80. Geburtstag

Dass im Zentrum der Frage nach der Rezeption biblischer Figuren in


der frühjüdischen Literatur ein Ehepaar stehen soll – Joseph und Ase-
neth –, ist ungewöhnlich. Ungewöhnlich nicht deshalb, weil die Patri-
archenfrauen in den alttestamentlichen Quellentexten nicht hervorge-
treten wären. Im Gegenteil: Sara, die Frau Abrahams, Rebekka, die
Frau Isaaks, und Lea und Rahel, die beiden Frauen Jakobs, sind pro-
minente Figuren. Und alle sind sie Teil eines Dramas: Sara, die Kin-
derlose, die über die Boten Gottes lacht, als sie ihr einen Sohn verhei-
ßen; Rebekka, die Jakob die gottgewollte Vorrangstellung sichert; und
Lea und Rahel, die um Liebe und Mutterschaft streitenden Stammmüt-
ter des Zwölf-Stämme-Volkes. Ungewöhnlich ist das Hervortreten der
Frau Josephs in einem Text aus hellenistischer Zeit allein deshalb, weil
die Ehefrauen der vorgenannten Patriarchen in der nachalttestament-
lichen Tradition kaum eine Rolle spielen, und wenn, dann nur im Blick
auf die eschatologische Neukonstitution des Zwölf-Stämme-Verban-
des.1 Das Erstaunen über die plötzliche Bedeutung der Frau Josephs
wächst, wenn man bedenkt, dass gerade sie, im Unterschied zu den
anderen Frauen im Buch Genesis, überhaupt keine Beachtung erfährt
und nur am Rande erwähnt wird, so rasch, dass man sich kaum ihres
Namens erinnert: Aseneth, die Tochter Poti-Pheras, des Priesters zu On

1 So etwa beim sogenannten Exegeten und Chronographen Demetrios; siehe MITT-


MANN-RICHERT, Demetrios. Zur Rolle Leas im Magnifikat siehe MITTMANN-RICHERT,
Magnifikat 9f.142f. Auch Paulus bezieht sich in ähnlicher Weise auf die Frauen der
Patriarchen, wenn er Sara, als Sinnbild der Freien, zur Stammmutter des aus Juden
und Heiden im Namen Christi gesammelten, vom Fluch des Gesetzes befreiten „Is-
rael Gottes“ erhebt (Gal 4,21 – 30; 6,16).
240 ULRIKE MITTMANN-RICHERT
Ç
Ê ñhÈÊ
(ña K yrÅpà ijÇuP-tBÅ tnÅsÂaÄ; griechisch: Asenneû ûygaÂthr Petefrh iëereÂvw
ëHliÂoy poÂlevw; Gen 41,45.50; 46,20). Warum wird gerade diese Randfigur
der Vätererzählungen in frühjüdischer Zeit zur Protagonistin einer
großen Schrift? 2
Da an der Entstehung der Schrift in der ägyptischen Diaspora
kaum ein Zweifel besteht,3 scheint die Antwort auf der Hand zu liegen:
Aseneth ist Heidin, sie ist die Tochter des obersten Priesters von On,
griechisch Heliopolis, dem Zentrum des Sonnenkultes. Ihr Vater, Poti-
Phera, griechisch Pentephres, vertritt Re, den höchsten ägyptischen
Gott. Seine Tochter ist damit ebenfalls Repräsentantin des heidnischen
Gott-Königtums und also Repräsentantin der ägyptischen Staatsmacht.
Diese Konstellation verliert auch nicht dadurch an Brisanz, dass im
Entstehungszeitraum der Schrift 4 Ägypten ein hellenisiertes Land un-
ter griechischer bzw. römischer Fremdherrschaft war. Denn die unge-
brochene Bedeutung der ägyptischen Kultur und Religion in der hel-
lenistischen Monarchie manifestiert schon die Tatsache, dass sich die
ptolemäischen Herrscher als Rechtsnachfolger der Pharaonen präsen-
tierten und den Pharaonentitel trugen; und die Römer führten in der

2 Nicht überzeugend ist der aus jüngster Zeit stammende Kommentar BURCHARDs,
Joseph und Aseneth, ThZ 61, 74, zum Thema: „Das hellenistische Judentum las das
[scilicet die Heirat Josephs mit einer Heidin] mit Befremden. JosAs schaffte Rat da-
durch, dass Aseneth [. . .] sich unter himmlischer Mitwirkung bekehrte, unter die
Israeliten aufgenommen wurde und seither mit Sara, Rebekka und Rahel das Quar-
tett der Erzmütter bildete.“ Von Aseneths Rolle als Mutter von Manasse und Ephraim
und also als Stammmutter Israels ist in der ganzen Schrift an keiner Stelle die Rede.
Die Rolle Aseneths wird eschatologisch gefasst, bezeichnenderweise aber ohne dass
ihre Person mit der Wiederherstellung der zwölf Stämme Israels in Verbindung ge-
bracht würde.
3 Siehe BURCHARD, Joseph und Aseneth, PVTG 5, 39; CHESNUTT, Death 76 – 80. Vgl. den
Überblick bei STANDHARTINGER, Frauenbild 14 – 20, deren eigene Vorbehalte gegen-
über einer Eingrenzung des äußeren Entstehungsrahmens auf Ägypten allerdings
erstaunen, da sie auf soziologischem Gebiet aufgrund weit weniger markanter In-
dizien überraschend konkrete Ergebnisse präsentiert, die notwendig der historischen
Verankerung bedürfen. – Die Möglichkeit eines nicht jüdischen, sondern christlichen
Ursprungs wird mehrheitlich verneint; siehe dazu ausführlich COLLINS, Joseph and
Aseneth.
4 Die Datierungen bewegen sich mehrheitlich in einem Zeitrahmen, der vom 1. Jahr-
hundert v. Chr. bis zum frühen 2. Jahrhundert n. Chr. reicht. Siehe BURCHARD, Joseph
und Aseneth, JSHRZ II/4, 613 – 615; vgl. BURCHARD, Joseph and Aseneth, OTP II,
177.187f; BURCHARD, Joseph und Aseneth, TRE XVII, 247; SCHÜRER, History 549. Vgl.
nochmals STANDHARTINGER, Frauenbild 14 – 20. Ins 2. Jahrhundert v. Chr. datiert
BOHAK, Joseph and Aseneth 84 – 87, den Text aufgrund seiner angeblich oniadischen
Herkunft. Die Spätdatierung ins 3./4. Jahrhundert n. Chr. wird von KRAEMER, When
Aseneth Met Joseph 225 – 244, vertreten. Vgl. KRAEMER, Aseneth as Wisdom 220. Der
Artikel fasst die Ergebnisse des 2. und 7. Kapitels ihrer vorgenannten Monographie
zusammen.
Joseph und Aseneth 241

Förderung der ägyptischen Kulte die Religionspolitik der Ptolemäer


zunächst fort.5 Aus jüdischer Sicht musste die von den griechischen
Monarchen bewusst vollzogene Verschmelzung der Kulturen die
„ägyptischen“ Traditionen des Pentateuch in besonderer Weise aktuell
erscheinen lassen. Aseneth, die ägyptische Ehefrau Josephs, wurde
automatisch zu einer Figur, die das ägyptische Diasporajudentum
dazu zwang, in der Frage nach Assimilation oder Abgrenzung sein
Verhältnis zur fremden Kultur und Religion zu reflektieren.
Es ist allerdings die Frage, in welchem thematischen Horizont sich
diese Reflexion vollzog. Gemeinhin nimmt man an, das Hauptthema
der Schrift sei die Bekehrung vom Heidentum zum Judentum.6 Ase-
neth wäre dann das Sinnbild der Umkehr vom heidnischen Götzen-
dienst zum Gott Josephs 7 und damit Identifikationsfigur aller, die wie
sie zum Glauben Israels kommen (JosAs 15,7f; Zählung nach BUR-
CHARD 8 ). Die gängige Klassifikation der Schrift als eines missionari-
schen Romans oder Proselytenromans entspricht dieser Themenbe-
stimmung.9 Beliebt ist auch die Einordnung der Schrift in die Gattung
des hellenistischen Liebesromans.10 Da sich diese Zuordnung aller-
dings in der Regel mit der vorgenannten Bestimmung der Schrift
als eines Proselytenromans kombiniert findet, wird der literarische

5 Siehe HÖLBL, Geschichte 69 – 110.141 – 154.228 – 269. Zur ptolemäischen Herrschaft in


Ägypten und zur Situation der Juden siehe auch MITTMANN-RICHERT, Historische
und legendarische Erzählungen 73 – 79.
6 Stellvertretend für andere BURCHARD, Joseph und Aseneth, PVTG 5, 39; BURCHARD,
Joseph und Aseneth, ThZ 61, 75; CHESNUTT, Death, besonders 254 – 265.
7 Vgl. BARCLAY, Jews 214: „Aseneth as a paradigmatic convertit“.
8 Die vorliegende Untersuchung legt die kritische Textausgabe von BURCHARD, Joseph
und Aseneth, PVTG 5, zugrunde und folgt ihr in der Rekonstruktion des sogenann-
ten Langtextes als des ursprünglichen Textes. Siehe im genannten Werk S. 39 – 46 und
BURCHARD, Text 89 – 94, zur Kritik an STANDHARTINGER, Frauenbild 42 – 45, und
KRAEMER, When Aseneth Met Joseph 50 – 88, die aus soziologischen bzw. geistesge-
schichtlichen Gründen dem von PHILONENKO, Joseph et Aséneth, etablierten Kurztext
– mit Modifikationen im Einzelnen – neu Geltung zu verschaffen suchen. Zur Pro-
blematik der von STANDHARTINGER und KRAEMER einseitig verwendeten soziologi-
schen Begründungsmuster siehe auch Anm. 58; vgl. Anm. 51.
9 Vgl. SZEPESSY, L’histoire. – Dass die Proselytenproblematik im Vordergrund stünde,
behaupten unter anderen auch DÍEZ MACHO, Apócrifos 216, und COLLINS, Symbol
76f. SCHNACKENBURG, Brot 335 – 340, redet durchgehend von einer „Propaganda-
schrift“, „die für den Übertritt zum Judentum wirbt“ (335).
10 Vgl. PHILONENKO, Joseph et Aséneth 43 – 48; KERÉNYI, Roman 9f; WEST, Joseph and
Asenath; vgl. SCHÜRER, History 346f. Zur Diskussion um den antiken Roman im
Allgemeinen und den Liebesroman im Besonderen siehe STANDHARTINGER, Frauen-
bild 20 – 26, die das Werk vorsichtig als „Imitation eines antiken Liebesromans“ klas-
sifiziert (26); vgl. STANDHARTINGER, Joseph und Aseneth 463.
242 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Charakter der Schrift diffus.11 Dies mehr noch, wenn man die Hand-
lung allegorisiert 12 und bzw. oder die Schrift zum mystischen Roman
erhebt,13 wobei vor dem Hintergrund religionsgeschichtlicher Paralle-
len Aseneth in der Regel als Verkörperung der Göttin Neith gilt.14 Ein
wirkliches Einvernehmen besteht im Blick auf den literarischen Cha-
rakter der Schrift also nicht 15 und wird unmöglich bleiben, solange
man das Diktum für gültig hält, mit dem BOHAK den Stand der Er-
kenntnis zusammenfasst: „Much in this fascinating text remains dis-
turbingly mysterious.“ 16
Auffällig bei allem Bemühen, den Skopus der Erzählung zu erfas-
sen, ist der Umstand, dass sich ein Erzählelement nicht oder nur
schwer in die bisherigen Versuche einer Gesamtdeutung der Schrift

11 Vgl. BURCHARD, Joseph und Aseneth, TRE XVII, 247: „Man vermeidet wohl besser
ausschließende Gattungsbestimmungen.“ Diese Feststellung kommt dem Einge-
ständnis gleich, dass man die Schrift nicht befriedigend zu klassifizieren weiß.
12 Die vielfältigen Allegorisierungsversuche dokumentiert STANDHARTINGER, Frauen-
bild 13f.
13 PHILONENKO, Joseph et Aséneth 53 – 98; vgl. PHILONENKO, Initiation. Vgl. bereits KIL-
PATRICK, Last Supper 6, und REITZENSTEIN, Mysterienreligionen 249. Zur Kritik an
PHILONENKO siehe BERNER, Initiationsriten 26 – 91.156 – 172; SÄNGER, Judentum 148 –
190; CHESNUTT, Death 217– 253. – Obwohl er die Proselytenproblematik als das
Hauptthema der Schrift herausstellt (siehe Anm. 7), verweist auch BARCLAY, Jews
211– 213, auf den mystischen Charakter der Schrift. Vgl. auch COLLINS, Athens 219.
Dass in vielen Fällen der Begriff „mystisch“ verwendet wird, ohne definiert zu wer-
den, verschärft das Problem einer unklaren Gattungszuordnung.
14 Zu dieser vor allem von PHILONENKO (siehe Anm. 13) mit Überzeugung vertretenen
These ausführlich und kritisch SÄNGER, Judentum 58 – 67, mit zahlreichen weiterfüh-
renden Literaturhinweisen.
15 Vgl. CHESNUTT, Death 85 – 92, besonders 91.
16 BOHAK, Joseph and Aseneth XIV, in Fortführung eines Zitats von NICKELSBURG, Litera-
ture (1. Auflage) 261: „Joseph and Aseneth has more than its share of obscure pas-
sages.“ Anders formuliert in der 2. Auflage, 337: „The story’s many obscure and
elusive elements defy simple solution.“ Vgl. STANDHARTINGER, Frauenbild 12, die
1995 ihre monographische Untersuchung mit der Feststellung beginnt, dass „die Ein-
ordnung von JosAs in das zeitgenössische Judentum immer noch ungeklärt“ sei, eine
Feststellung, die nach wie vor Gültigkeit hat. – Die als kritische Forschungsgeschichte
gedachte Aseneth-Persiflage von HUMPHREY, Bees, in welcher BOHAK, KRAEMER und
STANDHARTINGER (siehe Anm. 3 und 4) eine Hauptrolle spielen, zeigt eindrücklich,
dass nicht nur in der Frage der Textgestalt, Datierung und Herkunft der Erzählung,
sondern auch in der theologischen Klassifikation der Schrift inzwischen so große
Meinungsverschiedenheiten bestehen, dass für den noch unbefangenen Leser die
Konturen zunehmend verschwimmen, statt immer deutlicher hervorzutreten. Ein
Konsens ist in weite Ferne gerückt, und wer ihn auch für die bislang mehr oder
weniger unumstrittenen historischen Grunddaten wiederherstellen will, muss die
theologischen, historischen und soziologischen Aspekte der Schrift neu prüfen. Auch
wenn dies nur monographisch ins Werk zu setzen ist, soll die vorliegende Unter-
suchung dazu dienen, zumindest den hermeneutischen Rahmen einer Folgeunter-
suchung neu zu definieren.
Joseph und Aseneth 243

integrieren lässt: die auf den ersten Blick ganz merkwürdige, leitmo-
tivisch wiederkehrende Bezeichnung Aseneths als zukünftige Zu-
fluchtsstadt und himmlischer Ruheort aller Heiden, die sich wie sie
zum höchsten Gott bekehrt haben (JosAs 15,7f; 16,16; 19,5 – 8). Die Er-
hebung Aseneths zur himmlischen Zufluchtsstadt ist die crux inter-
pretum, und die bisherigen Deutungsversuche erscheinen mehrheitlich
als Verlegenheitslösungen. BURCHARD etwa versteht den Begriff „Zu-
fluchtsstadt“ als reinen Beinamen der Aseneth, so wie im Neuen Testa-
ment „der Fels“ der Beiname des Petrus ist (Mt 16,16 – 18) oder „die
Säulen“ – ebenfalls ein architektonischer Begriff – Ehrentitel für Jako-
bus, Petrus und Johannes (Gal 2,9).17 Bei dieser rein bildhaften Deu-
tung des Begriffs muss BURCHARD allerdings den interpretatorisch
hochbedeutsamen Tatbestand ignorieren, dass die gesamte theologi-
sche Reflexion der Schrift auf das Leben in der Ewigkeit ausgerichtet
ist (eiÆw toÁn aiÆv
Ä na xroÂnon; JosAs 4,8; 6,8; 8,11; 12,11; 13,15; 15,6f.9; 16,14;
17,6; 19,5; 21,3), das Leben zunächst Josephs und Aseneths und dann
das Leben des Menschen überhaupt, sofern er sich auf Erden zum Gott
Josephs bekannt hat. Der Begriff „Ewigkeit“, wörtlich „Ewigkeits-
Zeit“, findet sich zwölfmal. Er macht es unmöglich, das Geschehen
rein exemplarisch zu deuten. Daher verbietet es sich auch – dies ist die
zweite der in der Literatur diskutierten Denkmöglichkeiten –, die Be-
titelung Aseneths als zukünftige Zufluchtsstadt als Topos zu verstehen,
als Topos für die Gottesgemeinschaft Aseneths und der ihrem from-
men Beispiel folgenden Heiden.18 Denn auch hier verliert Aseneht ihre
eigenständige Bedeutung, und das, was zu sein ihr verheißen wird –
ein himmlischer Zufluchtsort –, wird zum Sinnbild dessen, wessen sie
selbst bedarf. Sie ist also auch im Rahmen der topischen Deutung nicht
mehr als das jeder Individualität entkleidete Exempel der gnädig von
Gott angenommenen Heidin. Dass dies in Spannung steht zu dem
ganz einmaligen Bild der Aseneth zugesprochenen Ewigkeitsexistenz,
zeigt sich gerade dort, wo man – in einem dritten Deutungsansatz –
Aseneth als Sinnbild des himmlischen Jerusalem interpretiert und mit
dem zukünftigen Ruheort des Volkes Gottes identifiziert.19 Denn da
man diese personale Identifikation traditionsgeschichtlich einseitig pro-
phetisch verankert und daher die Frage der irdischen Erscheinungs-
form des himmlischen Jerusalem in Gestalt Aseneths nicht zu lösen

17 BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, 600.


18 MARTÍNEZ FERNÁNDEZ / PIÑERO, José y Asenet 201 – 203.
19 Grundlegend FISCHER, Eschatologie 106 – 123.
244 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

vermag, stellt man beides unausgeglichen nebeneinander: im Blick auf


Aseneths irdische Existenz die exemplarische Deutung,20 im Blick auf
ihre himmlische Existenz die eschatologische Deutung ihrer Figur.21
Damit aber relativiert gerade derjenige Deutungsansatz sich selbst,
welcher aufgrund der Integration des Zionsmotivs in die Auslegung
einer theologischen Lösung des Problems am nächsten kommt. Sie läge
in der Einbeziehung der spezifisch weisheitlichen Zionstheologie. Aber
interessanterweise bleibt Aseneth gerade auch dort das Paradigma
heidnischer Konversion, wo man „Joseph und Aseneth“ – wie es auch
hier geschehen soll – in Anbetracht der Fülle weisheitlicher Erzähl-
elemente als eine Weisheitsschrift klassifiziert.22 Denn man tut dies in
aller Regel von einem verengten Weisheitsbegriff her, wonach Weisheit
nicht mehr ist als ein auch Heiden vermittelbares Wissen, in dessen
Besitz Aseneth mit Josephs Hilfe gelangt und mit ihr das durch sie
repräsentierte Heidentum. So verschiedenartig also die Schrift gedeu-
tet wird, immer bleibt Aseneth das Beispiel frommer heidnischer Um-
kehr zum Gott Josephs.
Genau dies aber – die exemplarische Rolle Aseneths als der dem
Gott Josephs huldigenden Heidin – ist in Frage zu stellen. Nicht allein
deshalb, weil Aseneth in der Erzählung als exponierte Einzelperson
mit einer fest umrissenen Funktion in der Ewigkeit des himmlischen
Gottesreiches vorgestellt wird und ihre heidnische Umwelt allenfalls in
Nebenrollen erscheint, sondern vor allem auch deshalb, weil bei der
weisheitlichen Klassifikation der Schrift ein wichtiger Aspekt der in
frühjüdischer Zeit hochentwickelten Weisheitstheologie bislang nicht
oder nur am Rande in die Diskussion miteinbezogen wurde, nämlich
der personale Charakter der Weisheit (Hiob 28,20 – 28; Prov 8; Sir 24,1 –
12; SapSal 7,21– 30; 18,14 – 25). Eine Ausnahme bildet der Beitrag von
ROSS S. KRAEMER mit dem Titel „Aseneth as Wisdom“, in welchem die
Identifikation Aseneths mit der Person der Weisheit erwogen wird;
allerdings geschieht dies, ohne dass dabei die Bedeutung dieser Iden-
tifikation für die Erhellung der Personenkonstellation als Ganzer re-
flektiert und das Gegenüber von Joseph und Aseneth, gleichzeitig das
Gegenüber der himmlischen Entsprechungspersonen weisheitlich syste-
matisiert wird.23

20 FISCHER, Eschatologie 13f.


21 FISCHER, Eschatologie 123.
22 Zu den weisheitlichen Elementen siehe BRANDENBURGER, Fleisch 120 Anm. 2.124f
und öfter; SÄNGER, Judentum 191 – 208; KRAEMER, When Aseneth Met Joseph 22 – 27;
KRAEMER, Aseneth as Wisdom. Zu STANDHARTINGER siehe Anm. 51.
Joseph und Aseneth 245

Eine solche Systematisierung muss insbesondere der Erkenntnis


Rechnung tragen, dass in frühjüdischer Zeit die Weisheit durch die
Integration der Offenbarungstraditionen Israels eine geschichtliche
Aufweitung erfahren hat.24 In der älteren Tradition war das Verständ-
nis der Weisheit im Wesentlichen von ihrer Rolle als Schöpfungsmitt-
lerin bestimmt, die als das göttliche Ordnungsprinzip alle Bereiche des
Irdischen durchwaltet: als physikalisches Grundprinzip den Bereich
der Natur, als ethische Norm den menschlichen Bereich, der wesenhaft
durch die Beziehung des Menschen zu Gott konstituiert ist. Entschei-
dend für die spätere Weiterentwicklung der Weisheit in hellenistischer
Zeit, insbesondere im Buch Sirach und in der Sapientia Salomonis, ist
die Personalität der Weisheit und die Worthaftigkeit des Geschehens der
Vermittlung Gottes an den Menschen durch die Weisheit. Denn beides
findet seine Entsprechung in der Art und Weise, wie in den Geschichts-
traditionen Israels vom Offenbarwerden des Gottes vom Sinai geredet
wird: Die Sinai-Offenbarung ist das Ereignis der personalen Selbster-
schließung Gottes im Wort der Selbstkundgabe und Selbstteilgabe und
wird in allen Traditionsschichten des Alten Testaments und der früh-
jüdischen Literatur stets als das Urgeschehen des Zur-Welt-Kommens
Gottes in Israel rezipiert. Da also die Vorstellungsmuster konvergieren,
wird in hellenistischer Zeit die Weisheit als Mittlerin nicht nur der
Schöpfung, sondern auch der geschichtlichen Offenbarung am Sinai
erkannt, mehr noch: als das Wort Gottes selbst. Dabei werden die Sinai-
und die Zionstradition zusammengeführt in der Vorstellung von der
irdischen Einwohnung der Weisheit in Zion (Sir 24,3 – 12). Die Weisheit
wird damit automatisch zur kultischen Größe (vgl. SapSal 18,21– 25 25 )

23 Die Möglichkeit, dass Joseph und Aseneth Verkörperungen der Weisheit seien, dis-
kutiert im Rahmen seiner allegorischen Interpretation des Textes auch PHILONENKO,
Joseph et Aséneth 53 – 98, allerdings nur aus gnostischer Sicht, wonach Joseph als
Personifikation des göttlichen Logos die gefallene Weisheit in Gestalt Aseneths rettet.
Vgl. GEORGI, Gegner 52f Anm. 2. Daher meint BURCHARD, Joseph und Aseneth,
JSHRZ II/4, 600, die weisheitliche Deutung der Figuren ganz allgemein mit der
Feststellung abweisen zu können, dass Joseph in der Erzählung nicht als Erlöser
fungiere.
24 Grundlegend GESE, Weisheit. Die folgende Zusammenfassung folgt den in der ge-
nannten Studie textlich ausführlich dokumentierten Ergebnissen. Vgl. auch MITT-
MANN-RICHERT, Thesen, wo die Erkenntnisse GESEs ausführlich vorgestellt und in
ihrer Bedeutung für ein vertieftes Verständnis der christologischen Entwicklung in
neutestamentlicher Zeit diskutiert werden. Da dieser Beitrag etwa zeitgleich mit der
vorliegenden Studie zu Joseph und Aseneth erscheint, ist hier auf die nochmalige
Dokumentation der weisheitlichen Entwicklung verzichtet worden. Der Exkurs zu
SapSal 18 in Abschnitt 3. des vorliegenden Aufsatzes ergänzt allerdings die dortige
Darstellung.
25 Zur Deutung des Textes siehe unten S. 260 – 263.
246 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

und mit der Schekina identifiziert. Das aber bedeutet: Die Weisheit ist
der auf Erden offenbare Gott, der Deus praesens, und d. h.: der im Wort
der Selbstteilgabe auf Erden dem Menschen in Person gegenübertre-
tende Gott (vgl. SapSal 7, 21.25).26
Dies ist in aller Kürze der Vorstellungshorizont, den bei einer als
weisheitlich klassifizierten Schrift der hellenistischen Ära zu ignorieren
ein grundlegendes exegetisches Versäumnis bedeutet. Da aber genau
dieses Versäumnis die Diskussion um die Bedeutung der Schrift „Jo-
seph und Aseneth“ bestimmt und sie daher bis heute mehr wegen
ihres angeblich erbaulichen Charakters als wegen ihres theologischen
Niveaus geschätzt wird, ist eine Neuinterpretation der Erzählung drin-
gend geboten. Eine solche soll im Folgenden versucht werden. Dass
dabei im Licht der offenbarungsgeschichtlichen Aufweitung der weis-
heitlichen Personvorstellung in hellenistischer Zeit auch die Gattung
der Schrift neu zu bestimmen ist, liegt in der Konsequenz des theolo-
gischen Neuansatzes.
Den Ausgangspunkt der Neuinterpretation bildet die bereits ge-
nannte, dem Verstehen bis heute widerständige Stelle JosAs 15,4 – 7a, in
welcher Aseneths Funktion in der Ewigkeit durch die Betitelung ihrer
Person als himmlische Zufluchtsstadt definiert wird. Grundlage der
Auslegung ist der von CHRISTOPH BURCHARD rekonstruierte Text.27

1. Die himmlische Funktion Aseneths nach JosAs 15,4 –7a

Der Textabschnitt steht am Anfang der großen Hauptszene der Erzäh-


lung, in welcher nach siebentägiger Selbstdemütigung Aseneths vor
dem Gott Josephs ein Mensch vom Himmel zu ihr hinabsteigt und sie
zu der ihr von jeher bestimmten Aufgabe zurüstet. Es spricht der vom
Himmel herabgekommene Mensch:

26 Zur Schekinavorstellung siehe zusammenfassend THOMA, Schekhina. Siehe auch den


Beitrag von JANOWSKI in diesem Band mit dem Titel „Gottes Weisheit in Jerusalem.
Sirach 24 und die biblische Schekina-Theologie“.
27 Siehe Anm. 8. BURCHARDs Übersetzung in JSHRZ II/4 ist allerdings durch eine eigene
ersetzt, da das von BURCHARD zugrunde gelegte Prinzip einer gegen die Regeln
des Deutschen gehenden, absoluten Texttreue problematisch erschien. Als Beispiel
genannt sei hier nur die durchgehende akkusativische Wiedergabe der Wendung eiÆw
Ä na xroÂnon mit „in die Ewigkeits-Zeit“, auch dort, wo das Deutsche den Dativ
toÁn aiÆv
„in der Ewigkeits-Zeit“ verlangt. So etwa in JosAs 4,8 (640f ): „er [scilicet Joseph]
(selbst) wird sein deiner (der) Bräutigam in die Ewigkeit-Zeit“.
Joseph und Aseneth 247

4 ûaÂrsei ÆAseneÁû hë parûeÂnow aëgnhÂ. iÆdoyÁ gaÁr eÆgraÂfh toÁ oÍnoma soy eÆn th Äì
biÂblvì tv Ä n zvÂntvn eÆn tv Äì oyÆranvÄì eÆn aÆrxh
Äì thÄ w biÂbloy prv Ä ton paÂntvn
<eÆgraÂfh> 28 toÁ oÍnoma soy tv Äì daktyÂlvì moy kaiÁ oyÆk eÆjaleifûhÂsetai eiÆw toÁn
aiÆvÄ na. 5 iÆdoyÁ dhÁ aÆpoÁ th Ä w shÂmeron aÆnakainisûhÂshì kaiÁ aÆnaplasûhÂshì kaiÁ
aÆnazvopoihûhÂshì kaiÁ fageiÄw aÍrton eyÆloghmeÂnon zvh Ä w kaiÁ pieiÄw pothÂrion
eyÆloghmeÂnon aÆûanasiÂaw kaiÁ xrisûhÂshì xriÂsmati eyÆloghmeÂnvì th Ä w aÆfûarsiÂaw.
6 ûaÂrsei ÆAseneÁû hë parûeÂnow aëgnhÂ. iÆdoyÁ deÂdvka se shÂmeron nyÂmfhn tv Äì
ÆIvshÁf kaiÁ ayÆtoÁw eÍstai soy nymfiÂow eiÆw toÁn aiÆv Ä na xroÂnon. 7 kaiÁ toÁ oÍnomaÂ
soy oyÆkeÂti klhûhÂsetai ÆAseneÁû aÆll’ eÍstai toÁ oÍnoma soy poÂliw katafyghÄw
dioÂti eÆn soiÁ katafeyÂjontai eÍûnh pollaÁ eÆpiÁ kyÂrion toÁn ûeoÁn toÁn yÏciston kaiÁ
yëpoÁ taÁw pteÂrygaÂw soy skepasûhÂsontai laoiÁ polloiÁ pepoiûoÂtew eÆpiÁ kyriÂvì
<tv Äì ûev Äì> kaiÁ eÆn tv
Äì teiÂxei soy diafylaxûhÂsontai oië proskeiÂmenoi tv Äì ûevÄì
tvÄì yëciÂstvì <eÆn oÆnoÂmati th Ä w> metanoiÂaw.
4 Sei getrost, Aseneth, du keusche Jungfrau. Denn siehe, dein Name wur-
de aufgeschrieben im Buch der im Himmel Lebenden, am Anfang des Bu-
ches, als erster von allen wurde dein Name aufgeschrieben mit meinem
Finger und wird in Ewigkeit nicht ausgetilgt werden. 5 Sieh doch, vom
heutigen Tage an wirst du erneuert und umgebildet und zu neuem Leben
erweckt werden und gesegnetes Brot des Lebens essen und gesegneten
Kelch der Unsterblichkeit trinken und dich mit gesegneter Salbe der Un-
verweslichkeit salben. 6 Sei getrost, Aseneth, du keusche Jungfrau! Siehe,
ich habe dich heute dem Joseph zur Braut gegeben, und er wird für ewige
Zeit dein Bräutigam sein. 7 Und dein Name wird nicht mehr „Aseneth“
heißen, sondern dein Name wird „Zufluchtsstadt“ sein, denn in dir wer-
den viele Völker Zuflucht nehmen zu Gott, dem Herrn, dem Höchsten, und
unter deine Fittiche werden sich bergen viele Nationen im Vertrauen auf
Gott, den Herrn, und innerhalb deiner Mauer werden diejenigen bewahrt
werden, die sich Gott, dem Höchsten, im Namen der Umkehr angeschlos-
sen haben.

Dieser Abschnitt lässt keinen Zweifel daran, dass der neue Name, den
Aseneth hier erhält, nicht ein Symbolname ist, sondern Aseneths
himmlische und ewige Funktion real bezeichnet. Diese Funktion ist
durch ein doppeltes Bild bestimmt: zum einen durch das Bild der
Stadt, in welcher die Völker Zuflucht finden, zum anderen durch das
Bild der Flügel, die hier deutlich als deine, also Aseneths Flügel iden-
tifiziert sind (aië pteÂrygai soy). Auf den ersten Blick scheinen die beiden
Bilder nicht zusammenzupassen. Eine Stadt hat keine Flügel. Aber
man verfehlte den Sinn der Passage, wenn man hier sachlogisch statt
traditionsgeschichtlich argumentieren wollte. Ein Blick in die frühjü-
dischen Weisheitsschriften genügt, um zu erkennen, dass die Bilder
vorzüglich zusammenpassen.

28 Spitze Klammern bezeichnen ein rückübersetztes bzw. konjiziertes Wort; siehe BUR-
CHARD, Joseph und Aseneth, PVTG 5, 49.
248 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Der Zusammenhang erschließt sich von den über den Völkern aus-
gebreiteten Flügeln Aseneths her. Die ausgebreiteten Flügel – das weist
auf die Cherubenflügel über der Lade; das ist das Bild der Schekina,
der Einwohnung Gottes im Irdischen. Sie erscheint bereits in Sir 24 als
mit der Weisheit identifiziert und damit personifiziert.
1 Die Weisheit preist sich selbst,
inmitten ihres Volkes rühmt sie sich.
2 In der Gemeinde des Höchsten tut sie ihren Mund auf,
und vor seiner Macht rühmt sie sich:
3 Ich ging aus dem Munde des Höchsten hervor,
und wie Nebel bedeckte ich die Erde.
4 Ich schlug mein Zelt auf in den Höhen,
und mein Thron war auf einer Wolkensäule.
5 Den Himmelskreis durchwaltete ich allein,
und in der Tiefe des Abgrundes wandelte ich einher.
6 Auf den Wogen des Meeres und auf der ganzen Erde
und in jedem Volk und jeder Nation errichtete ich (meine) Herrschaft.
7 Bei allen diesen [den Völkern] suchte ich Ruhe:
In wessen Erbbesitz soll ich lagern?
8 Da befahl mir der Schöpfer des Alls,
und der mich erschaffen hatte, brachte zur Ruhe mein Zelt
und sprach: „In Jakob nimm Wohnung,
und in Israel nimm Erbbesitz!“
...
10 Im heiligen Zelt tat ich vor ihm Dienst
und erhielt so in Zion (meinen) festen Platz.
11 In der geliebten Stadt gab er mir auf diese Weise Ruhe,
und in Jerusalem ist mein Machtbereich.
12 So wurzelte ich ein in einem Volke, dem (dadurch) Doxa verliehen wurde,
im Anteil des Herrn, in seinem Erbbesitz.

Die Weisheit ist nach dem Verständnis dieses Textes der auf Erden
einwohnende, auf Erden gegenwärtige Gott; sie ist Gott selbst in seiner
dem Menschen zugewandten Gestalt. Was hier allerdings zunächst
zeitlich definiert ist als das geschichtliche Ereignis der Erwählung Is-
raels zum Volk, in dessen Mitte Gott wohnen will, hat stets auch eine
räumliche Komponente. Denn die Vorstellung von der irdischen Ein-
wohnung Gottes ist ja in der Tradition verbunden mit der göttlichen
Erwählung eines Einwohnungsortes, ist verbunden mit der Zionser-
wählung. Der Zion als der von Gott zum ewigen Ruheort (hebräisch
hxÄÁnmÂ, griechisch kataÂpaysiw) erwählte Ort ist ein konstitutives Element
der Schekina-Vorstellung, auch der weisheitlichen (Sir 24,10 – 12), und
ist es zunächst auch dort, wo in Reaktion auf die historische Entwick-
lung die Zionsbindung der Weisheit aufgegeben wird. Das eindrück-
lichste Beispiel ist äthHen 42,1f: 29
Joseph und Aseneth 249

1 Die Weisheit fand keinen Platz, wo sie wohnen konnte,


da hatte sie eine Wohnung in den Himmeln.
2 Die Weisheit ging aus, um unter den Menschenkindern zu wohnen,
und sie fand keine Wohnung;
die Weisheit kehrte an ihren Ort zurück
und nahm ihren Sitz unter den Engeln.

Hier ist ganz deutlich der Zion als der erwählte, aber seiner Funktion
als Ruheort Gottes beraubte irdische Einwohnungspunkt Gottes im
Blick.30 Die Weisheit kehrt in den Himmel zurück; aber alle mit dem
Zion verbundenen Vorstellungen werden auf den himmlischen Wohn-
und Ruheort der Weisheit übertragen. Genau diese Übertragung kon-
stituiert auch den oben zitierten Textabschnitt JosAs 15,4 – 7a. Die
Zionsbindung der Schekina ist aufgegeben, ohne dass gleichzeitig
der Heilscharakter der Zionserwählung in Frage gestellt würde. Es
überrascht aber diese Loslösung der eschatologischen Heilserwartun-
gen vom Zion schon deshalb nicht, weil die geographische Distanz
zum Zion zu den geschichtlichen und damit automatisch zu den das
theologische Denken heilsgeschichtlich bestimmenden Voraussetzun-
gen der Diasporaschrift gehört. Gleichzeitig erweist die personale
Identifizierung der Schekina mit Aseneth, dass Aseneth selbst in ihrer
himmlischen Existenz niemand anderes ist als Gottes Weisheit, welche,
als Verkörperung des in seinem Volk einwohnenden Gottes, ihrerseits
zum himmlischen Anwohnungsort des ihr verbundenen Volkes wird.
Dieses Volk allerdings ist nicht Israel, sondern das Volk der den Gott
Josephs bekennenden Heiden. Es ist nun keine Frage mehr, warum in
der himmlischen Botschaft an Aseneth sowohl von Aseneths Flügeln
die Rede ist, unter welche sich die Völker bergen, als auch von der
Stadt, welche zum Namen Aseneths wird. Denn sobald die Schekina-
vorstellung sich aus den irdischen Bezügen löst, wird Gott selbst zum
„Ort“ des zur ewigen Gemeinschaft mit ihm berufenen Menschen, zur
himmlischen poÂliw. Was daher in Sir 24,12 als irdisches Bild entworfen
wird – die Zionseinwohnung der Weisheit und das Wohnen Israels
unter den Flügeln Gottes im Sinne der Anteilhabe an der göttlichen
Doxa –, das wird im Wort des himmlischen Menschen an Aseneth zum
Bild der himmlischen Einwohnung des irdischen Menschen. Dabei fal-
len im Blick auf die Gemeinschaft des Menschen mit Gott der Bezie-

29 Übersetzung: UHLIG, Henochbuch 584.


30 Den historischen Hintergrund bildet die vom 2. Jahrhundert v. Chr. an sich wieder-
holende Erfahrung der heidnischen Usurpation bzw. der Schändung und Entwei-
hung des Tempels auf dem Zion.
250 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

hungsaspekt und der geographische Aspekt in eins und wird die Weis-
heit in Gestalt Aseneths zum himmlischen „Ort“, an welchem der
Mensch das ewige Leben in Gemeinschaft mit Gott empfängt.
So lässt sich zusammenfassend feststellen, dass die stets als rätsel-
haft empfundene Erhebung Aseneths zur zukünftigen Zufluchtsstadt,
unter deren Flügel sich die Heiden sammeln (JosAs 15,7), ihre Rätsel-
haftigkeit verliert, wenn man sie in den weisheitlichen Gesamthorizont
der damaligen Zeit einordnet: Aseneth erscheint als die Schekina und
damit als die Verkörperung des offenbaren Gottes. Das aber heißt vor
dem Hintergrund der weisheitlichen Tradition, in welcher die Schekina
personifiziert ist: Aseneth erscheint in ihrer himmlischen Gestalt als die
mit Gott wesenseine Person der Weisheit. Sie ist die personifizierte
Einwohnung Gottes, deren Einwurzelungsort allerdings nicht mehr,
wie noch in Sir 24, der Zion ist, sondern, wie in äthHen 42, die göttliche
Transzendenz. Als Personifikation der Einwohnung wird sie daher
gleichgesetzt mit der himmlischen poÂliw. Der Ort ihres Seins ist das
Identifikationsmerkmal ihrer Person, weshalb sie unter doppelter Be-
zeichnung auftreten kann: als Einwohnungsort Gottes und als der
Wohnung nehmende Gott selbst. Aseneth ist die Stadt der Einwoh-
nung Gottes, und sie ist die verkörperte Gegenwart Gottes in dieser
Stadt und daher die Schekina, unter deren Flügel die Völker Wohnung
finden. Das Bild der Sammlung der Völker unter den Flügeln Aseneths
zeigt in diesem Zusammenhang deutlich den Einfluss der alttestament-
lichen Zionstheologie, in welcher das Wohnen Gottes in Israel und das
Wohnen Israels im Angesicht Gottes miteinander korrespondieren. Der
Begriff „Ruhe“, hxÄÁnmÂ, umfasst stets beide Aspekte des Offenbarungs-
und Erwählungsgeschehens.
Mit dieser Deutung Aseneths als göttliche Schekina bzw. als Per-
sonifikation der Weisheit in JosAs 15,4 – 7a eröffnen sich allerdings zu-
nächst mehr Fragen, als schon beantwortet wurden. Denn die strenge
Begrenzung der himmlischen Ruhefunktion Aseneths auf die Heiden-
völker stellt einen Bruch in der Weisheitsvorstellung dar. Israel ist, wie
Sir 24 deutlich gezeigt hat, in der Tradition dasjenige Volk, in dessen
Mitte Gott Wohnung nimmt und welchem das Wohnen unter Gottes
Flügeln verheißen ist. Und selbst dort, wo – wie in den Bilderreden des
äthiopischen Henochbuches – das Geschehen vom Zion gelöst ist und
der himmlische Transzendenzraum als Wohn- und Ruheort der Weis-
heit und des erlösten Menschen erscheint, ist es zunächst Israel bzw., in
den Gerechten des Volkes verkörpert, das wahre Israel, dessen himmli-
sche Ruhe im Blick ist. Als Beispiel sei hier äthHen 39,4f.7 genannt, wo
Joseph und Aseneth 251

ebenfalls im Sinne der soeben beschriebenen Schekinavorstellung von


den Flügeln die Rede ist, unter denen Israel Wohnung nehmen darf.
4 Und ich sah dort eine andere Vision:
die Wohnung der Heiligen und die Ruheorte der Gerechten.
5 Hier sahen meine Augen ihre Wohnung bei den Engeln seiner
Gerechtigkeit
und ihre Ruheorte bei den Heiligen.
...
7 Und ich sah ihre Wohnung unter den Fittichen des Herrn der Geister.31

Gewiss schließt, wie in der alttestamentlichen Zionskonzeption, auch


in den Bilderreden Henochs das eschatologische Heil die Völker mit
ein (äthHen 48,4); aber ihre Integration in den himmlischen Herr-
schaftsbereich Gottes geschieht im Zuge der endzeitlichen Errettung
Israels und ist dieser sachlich nachgeordnet. Israel und die Völker
wohnen am Ende der Zeit gemeinsam im offenbaren Angesicht Gottes.
Der Hauptbezugstext dieser endzeitlichen Erwartung ist Jes 25,6 – 8.
Nirgendwo aber findet sich die Vorstellung, dass der offenbare Gott
der Wohn- und Ruheort allein der Heidenvölker ist bzw. dass die Per-
son der Weisheit der transzendente Einwurzelungsort der Völker ist.
Daher wird man eine solche Vorstellung auch für die Aseneth-Erzäh-
lung nicht voraussetzen dürfen, so sehr sie auch auf das Verhältnis der
Heiden zum Gott Israels konzentriert ist. Es stellt sich die Frage, wie
Israel in dieses Bild gehört. Wie ist das Bild Aseneths verknüpft mit
der althergebrachten Vorstellung von der Weisheit als Personifikation
des in seinem Volk Israel einwohnenden Gottes?
An dieser Stelle kommt Joseph ins Spiel. Und man ahnt bereits,
was es mit der Heirat Josephs und Aseneths auf sich hat, genauer mit
der Tatsache, dass Joseph der Bräutigam Aseneths in der Ewigkeit ist
(JosAs 4,8).

2. Joseph – die Weisheit Israels

Dass auch Joseph weit mehr ist als der elfte der Söhne Jakobs, der es in
Ägypten zu Ruhm und Ansehen und zum zweiten Mann im Staat
gebracht hat, wird offensichtlich, wenn man die Stellen betrachtet, an
welchen er die Szene betritt. Ganz auffällig ist nämlich, dass das Kom-
men Josephs und die Erscheinung Josephs stets in Begriffe gefasst wer-

31 Übersetzung: UHLIG, Henochbuch 578f.


252 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

den, die traditionell das Offenbarwerden Gottes ins Bild setzen. Joseph
ist „der Starke Gottes“ (oë dynatoÁw toyÄ ûeoyÄ; JosAs 3,4; 4,7; 18,1f; 21,21),
ein Titel, der sich Jes 9,5 verdankt und dort dem Heilskönig der End-
zeit verliehen wird. Ja, er ist der eigentlich nur Gott gebührende
Thronname
Ç des von Gott zur Errettung Israels gesandten Messias:
ruBGÇ laÈ – starker Gott. Der Akzent in „Joseph und Aseneth“ liegt auf
dem göttlichen Bezug Josephs. Die Parallele ergibt sich allerdings –
dies ist ausdrücklich festzuhalten – nur vom MT her. Dass hier gleich-
wohl auf die jesajanischen Geburtsverheißungen angespielt wird, zeigt
sich in JosAs 4,7, wo Joseph nun mit Worten aus Jes 11,2 charakterisiert
wird. Hier ist der Bezug auch im LXX-Text deutlich:
kaiÁ eÍstin ÆIvshÁf aÆnhÁr dynatoÁw eÆn sofiÂaì kaiÁ eÆpisthÂmhì kaiÁ pneyÄma ûeoyÄ
Äì kaiÁ xaÂriw kyriÂoy met’ ayÆtoyÄ.
eÆstin eÆp’ ayÆtv
Es ist Joseph ein Mann stark in Weisheit und Verstand, und es ist der Geist
Gottes auf ihm, und die Gnade des Herrn ist mit ihm.

Jes 11,2 LXX: kaiÁ aÆnapayÂsetai eÆp’ ayÆtoÁn pneyÄma toyÄ ûeoyÄ pneyÄma sofiÂaw
kaiÁ syneÂsevw pneyÄma boylhÄ w kaiÁ iÆsxyÂow pneyÄma gnvÂsevw kaiÁ eyÆsebeiÂaw.

Es entspricht der Betitelung Josephs als „Starker Gottes“ und seiner


Charakterisierung als Träger des göttlichen Geistes der Weisheit und
des Verstandes, dass Joseph stets in Weiß und Gold gekleidet ist. Auf
seinem Haupt sitzt ein goldener Kranz, bestückt mit zwölf Steinen, die
ihrerseits zwölf goldene Strahlen tragen (JosAs 5,5). Von Josephs Kopf
strahlt es also 144-fältig – die Potenzierung der Zwölfzahl –, wobei die
Farben „schneeweiß“ und „gold“ die Farben Gottes sind und andern-
orts, als Sinnbild der göttlichen Doxa, der Herrlichkeit Gottes, die An-
wesenheit Gottes selbst manifestieren (vgl. Dan 7,9). Selbst Josephs
Wagen und Rosse tragen die Farben „weiß“ und „gold“ (JosAs 5,4).
Die motivische Übereinstimmung zwischen dem Erscheinen Gottes
in der Tradition und dem Erscheinen Josephs vor Aseneth umgreift
auch das Kommen Josephs von Osten. Nie kommt er aus einer anderen
Himmelsrichtung, stets ist der Osten als Herkunftsort Josephs genannt
(JosAs 5,2). Vom Osten, von dort, wo die Sonne aufgeht, aber kommt
der biblischen Überlieferung nach Gott selbst (Ez 43,2; 32 vgl. JosAs

32 Die Bilder sind vielfältig, aber durchgehend von der Vorstellung geprägt, dass der
Sonnenaufgangspunkt im Osten den Eintrittspunkt Gottes in die irdische Welt mar-
kiert. So liegt nach Gen 2,8; 4,16 der Paradiesgarten im Osten und geschieht nach
Sach 6,1 die endzeitliche Ausgießung des Geistes Gottes von den Metallbergen her,
die der altorientalischen Mythologie zufolge im Osten liegen. Dazu GESE, Anfang
214. Vom Sonnenaufgang her ist auch die Zeit des Erscheinens der Sonne am Himmel
Joseph und Aseneth 253

11,15.19; 14,1f; 17,7– 9). Wie sehr die Bilder verschwimmen und das
Kommen Josephs als Kommen Gottes selbst erscheint, zeigt sich in
JosAs 6,2, wo es bei der Ankunft Josephs in seinem goldenen und von
schneeweißen Pferden gezogenen Wagen heißt:
iÆdoyÁ oë hÏliow eÆk toyÄ oyÆranoyÄ hÏkei proÁw hëma Äì aÏrmati ayÆtoyÄ.
Ä w eÆn tv
Siehe, die Sonne ist zu uns aus dem Himmel gekommen in ihrem Wagen.

Die Wahrnehmung der Doxa-Herrlichkeit Josephs gipfelt im unmittel-


baren Kontext in der Sohn-Gottes-Erkenntnis Aseneths 33 (JoAs 6,3; vgl.
6,5; 13,13; 18,11; 21,4; 23,11):
oyÆk hÍìdein oÏti ÆIvshÁf yiëoÁw toyÄ ûeoyÄ eÆstin.
Ich wusste nicht, dass Joseph der Sohn Gottes ist.

Dass hier Joseph indirekt mit der Weisheit Gottes identifiziert wird,
zeigt sich nur wenige Zeilen weiter, wo es heißt (JosAs 6,6):
oyÆdeÁn kryptoÁn leÂlhûen ayÆtoÁn diaÁ toÁ fv Äì.
Ä w toÁ meÂga toÁ oÍn eÆn ayÆtv
Kein Verborgenes entgeht ihm wegen des großen Lichtes, das in ihm ist.

Das Vermögen, alles zu durchdringen und das Verborgene aufzudecken


– das ist nach SapSal 7,23f das Charakteristikum der Weisheit, des
„Widerscheins des göttlichen Lichts“ (SapSal 7,26).34 Die überirdische
Schönheit des Joseph rundet das Bild ab (JosAs 7,3; 21,21), auch dies
ein Wesensmerkmal der Weisheit, die nach SapSal 7,29 „schöner“ ist
„als die Sonne“.

theologisch qualifiziert und wird Gottes Rettungshandeln als Hilfe früh am Morgen
erkannt (Ps 45,6 LXX). Dementsprechend bezeichnet in Ps 110,3 (109,3 LXX) das
Frühlicht der Morgenröte die Geburtsstunde des davidischen Königs am Tag seiner
göttlichen Inthronisation. Zur altorientalischen Vorstellung siehe JANOWSKI, Ret-
tungsgewißheit.
33 Abzuweisen ist in diesem Zusammenhang die von DÍEZ MACHO, Apócrifos 218, vor-
geschlagene Gleichsetzung der Sohn-Gottes-Titulatur mit dem in der hellenistischen
Literatur geläufigen ûeiÄow-aÆnhÂr-Titel.
34 Dass man sogar dort, wo man das Sohn-Gottes-Motiv als solches mit der Weisheit
verknüpft, in ihrem Bezug zu Joseph die Sohn-Gottes-Prädikation selbst nur als un-
eigentlichen Titel zur Bezeichnung des Weisen versteht, zeigt ein weiteres Mal, wie
konsequent man die weisheitliche Personvorstellung aus der Reflexion ausklammert.
So etwa BYRNE, „Sons of God“ 49 – 54, der, um dennoch die äußerliche Charakteri-
sierung Josephs im oben beschriebenen Sinne erklären zu können, auf die Engelvor-
stellung zurückgreifen muss, was das Bild gänzlich verwirrt. Die Kombination von
nur vage passenden Deutungsmustern erweist sich hier als ein Hilfskonstrukt, das
die Not, die man mit der Erklärung der Gottessohnschaft Josephs hat, nicht ver-
schleiern kann. – Ausführlich zum Problem der Engelvorstellung Abschnitt 3.
254 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die


gleichzeitig königliche und priesterliche Charakterisierung Josephs: In
der Hand hält er das königliche Zepter, sein Gewand aber ist nach Ex
28,4f das eines Priesters mit einem Untergewand aus weißem Leinen
und einem golddurchwirkten purpurnen Überwurf aus Byssos (JosAs
5,5). Diese Doppelcharakterisierung Josephs entspricht genau dem Bild
der Weisheit in Sir 24,1–12, deren priesterliches Wirken die kultische
Integrität der Schöpfung garantiert, während sie als Inhaberin des kö-
niglichen Amtes den universellen Herrschaftsanspruch Gottes über die
Welt manifestiert. Auch der Strahlenkranz, den Joseph auf seinem
Haupt trägt, symbolisiert die gleichzeitig königliche und priesterliche
Würde. Nach Sir 45,12 ist der goldene Kranz (steÂfanow xrysoyÄw) der
Kopfschmuck Aarons. Die Edelsteine jedoch sind der Tradition nach
nicht Teil des Kranzes bzw. der Kopfbinde, sondern der Brusttasche
(Ex 28,15 – 21) bzw. des Brustschilds (Sir 45,11) des Priesters. Dadurch
dass sie dem Kranz aufgesetzt sind und Strahlen aussenden, wird eine
königliche Krone assoziiert, was traditionsgeschichtlich die Manifesta-
tion der bei Sirach vorabgebildeten Vorstellung bedeutet.35
Joseph steht also in einem Entsprechungsverhältnis zu Aseneth. Er
erscheint wie sie als die auf Erden Gott in Person offenbarende Weis-
heit. Die Wesensgleichheit von Joseph und Aseneth zeigt auch die Tat-
sache, dass im Blick auf Josephs Ewigkeitsexistenz die genau gleichen
Voraussetzungen gelten wie für Aseneth: Anteil am transzendenten
göttlichen Leben gewinnt er durch das Essen des Brotes des Lebens,
das Trinken des Kelchs der Unsterblichkeit und der Salbung mit der
gesegneten Salbe der Unverweslichkeit (Joseph: JosAs 8,5; Aseneth:
JosAs 8,9; 15,5; 16,16; 19,5). Der Kelch der Unsterblichkeit aber ist nach
JosAs 21,21 nichts anderes als der Kelch der Weisheit, womit zusam-
mengefasst ist, worauf die Gabe des Lebens, der Unsterblichkeit und
der Unverweslichkeit zielt, nämlich auf die göttliche Natur der Weis-
heit. Im Blick auf das irdisch doppelt manifeste Hervortreten der Weis-
heit sind die Akzente allerdings etwas verschoben, weil bei der Hoch-
zeit Aseneth durch Joseph erst wird, was zu sein ihr bestimmt ist: Den
Geist des Lebens, den Geist der Weisheit und den Geist der Wahrheit
empfängt Aseneth durch den dreifachen Kuss Josephs (JosAs 19,11),
woraufhin sie ebenfalls zu einer Gestalt des Lichts wird, deren himm-

35 Vgl. SAUER, Jesus Sirach 310. – Die einseitig königliche Deutung des Kranzes in JosAs
5,5 durch BURCHARD, Joseph und Aseneth, JSHRZ II/4, 643 Anm. 5, verfehlt den Sinn
des Textes. Vgl. auch SapSal 18,24, wo die priesterlich personifizierte Weisheit ein
Diadem auf dem Kopf trägt; siehe den Exkurs zu 3.
Joseph und Aseneth 255

lische Schönheit der Spiegel ihres Wesens ist (JosAs 20,6) und sie als
„Tochter des Höchsten“ hervortreten lässt. Bemerkenswert ist in die-
sem Zusammenhang auch, dass bei Joseph das Essen des Lebensbrotes,
das Trinken des Kelchs der Unsterblichkeit und die Salbung mit der
Salbe der Unverweslichkeit von vornherein als das Charakteristikum
seiner Person herausgestellt wird (JosAs 8,5).36 Die himmlischen Güter
sind also nicht etwas, das Joseph erst noch zuteil werden muss, son-
dern etwas, das er immer schon besitzt. Deutlicher könnte das göttliche
Wesen Josephs nicht vor Augen gestellt werden.37
Dies festzuhalten bedeutet aber, eine zunächst ganz eigentümliche
Vorstellung zu fixieren: Die Weisheit wird in JosAs in gleichzeitig
männlicher und weiblicher Form verkörpert. Sowohl Joseph als auch
Aseneth erscheinen als Personifikation der Weisheit. Allerdings wird
Aseneth Joseph dadurch untergeordnet, dass ihr weisheitliches Sein
sich dem seinen verdankt und ihre weisheitliche Existenz durch Joseph
qualifiziert wird. Gleichwohl verkörpern beide Protagonisten je für
sich, was in der Tradition stets nur eine Person ist: die alles durchdrin-
gende, alles mit ihrer Schönheit überstrahlende und mit Gott wesens-
eine Person der Weisheit Gottes, das Doxa-Licht Gottes, die Schekina,
unter deren Flügel der Mensch seine Ruhe findet. Unterschieden wer-
den die beiden Figuren also nicht ihrem Wesen, sondern allein ihrer
Funktion nach: Joseph steht für Israel, Aseneth für die Heiden, die
kraft der Gotteszugehörigkeit des Joseph ein himmlisches Wohnrecht
erhalten. Dass dabei Aseneth in der Erzählung erst zeitlich versetzt
zuteil wird, was Joseph von Anfang an besitzt, nämlich Anteil an den
himmlischen Gütern, entspricht der heilsgeschichtlichen Vorordnung
Israels vor die Heiden kraft der Erwählung des Volkes zum Bundes-
partner Gottes.38 Da gleichwohl beide Figuren als Personifikationen der
Weisheit erscheinen, kann am weisheitlichen Gesamtduktus der Schrift
kein Zweifel mehr bestehen. Die Erzählung ist durch und durch weis-
heitlich stilisiert.

36 Die hohe Symbolik der triadisch miteinander verbundenen Begriffe verbietet eine
historische Verankerung der Formel in unbekannten rituellen Vollzügen des helle-
nistischen Diasporajudentums. Vgl. CHESNUTT, Perceptions.
37 Abzulehnen ist die von O’NEILL, Joseph and Aseneth 195 – 198, vorgeschlagene mes-
sianische Deutung der Person Josephs.
38 Vor diesem weisheitlichen Hintergrund erscheint die von BOHAK, Joseph and Aseneth
2, vorgenommene Charakterisierung Aseneths als einer arroganten Frau als Fehldeu-
tung des Textes, denn die Abwehr der an ihr interessierten Männer Ägyptens und die
Erhaltung ihrer Keuschheit sind auf der Erzählebene das Zeichen der besonderen
göttlichen Bestimmung Aseneths.
256 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Bevor aber das Weisheitsverständnis der Schrift systematisiert wer-


den kann, muss das Bild, das sie von der Weisheit entwirft, vervoll-
ständigt werden. Denn der Leser bekommt es ja nicht nur mit zwei,
sondern mit vier Figuren gleichen Charakters zu tun. Erst, wenn alle
vier zueinander ins Verhältnis gesetzt sind, kann die Erzählung von
Joseph und Aseneth theologiegeschichtlich eingeordnet werden.

3. Der Mensch aus dem Himmel und


seine himmlische Schwester
Das weisheitliche Bild ist schon deshalb nicht vollständig und kann es
auch gar nicht sein, weil in der Tradition die Person der Weisheit sich
vom Himmel her zur Erde hinabsenkt und ihre Aufgabe, den tran-
szendenten Gott auf Erden zu vermitteln, im Akt des Zur-Welt-Kom-
mens erfüllt. Joseph und Aseneth aber erscheinen auf Erden, dem bi-
blischen Bericht entsprechend, als irdische Menschen, denen erst für
die Ewigkeit eine himmlische Funktion verheißen wird. Wie lässt sich
das auf dem Hintergrund der geläufigen Weisheitsvorstellungen er-
klären? Und lässt es sich überhaupt auf dem Hintergrund der Tradi-
tion erklären?
Um hier zu einer Antwort zu gelangen, ist zunächst diejenige Per-
son genauer in den Blick zu nehmen, die in der Erzählung tatsächlich
vom Himmel herabsteigt und den Ratschluss Gottes offenbart. Diese
Gestalt ist stets nur als „Mensch“, griechisch aÍnûrvpow, bezeichnet
(JosAs 14,3.6.8). Auffallend ist, wie bei seinem Erscheinen vor Aseneth
sein Äußeres beschrieben wird (JosAs 14,9):
iÆdoyÁ aÆnhÁr kataÁ paÂnta oÏmoiow tv Äì ÆIvshÁf th Äì stolh
Äì kaiÁ tv
Äì stefaÂnvì kaiÁ th
Äì
rëaÂbdvì th Äì basilikh
Äì plhÁn toÁ proÂsvpon ayÆtoyÄ hËn vëw aÆstraphÁ kaiÁ oië oÆfûal-
moiÁ ayÆtoyÄ vëw feÂggow hëliÂoy kaiÁ aië triÂxew th
Ä w kefalhÄw ayÆtoyÄ vëw floÁj pyroÁw
yëpolampaÂdow kaiomeÂnhw kaiÁ aië xeiÄrew kaiÁ oië poÂdew v Ï sper siÂdhrow eÆk pyroÁw
aÆpolaÂmpvn <kaiÁ > spinûhÄrew aÆpephÂdvn aÆpoÁ te tv Ä n xeirvÄ n kaiÁ tv
Ä n podvÄn
ayÆtoyÄ.
Siehe, ein Mann, in allem dem Joseph gleich: im Gewand und dem Kranz
und dem königlichen Zepter. Sein Angesicht jedoch war wie ein Blitz und
seine Augen wie Sonnenlicht und die Haare seines Hauptes wie die Feu-
erflamme einer brennenden Fackel und die Hände und Füße gleichwie
Eisen, das aus Feuer hervorglänzt, und Funken sprangen ab, sowohl von
seinen Händen als auch von seinen Füßen.

Das Verständnis der Stelle wird vorgegeben durch den einleitenden


Hinweis, der Mann aus dem Himmel sei Joseph gleich. Allerdings er-
Joseph und Aseneth 257

scheint das Strahlende und der Sonnenglanz der Erscheinung Josephs


hier gesteigert: Blitz und Feuerflammen sind die eigentliche Erschei-
nungsform dessen, der da zu Aseneth herabgestiegen ist. Er kommt zu
Aseneth zur Zeit des Aufgangs des Morgensterns im Osten, im glei-
ßenden Licht der göttlichen Doxa (JosAs 14,1f).
Gemeinhin wird der Mensch, der hier vor der Tochter des Priesters
von Heliopolis erscheint, als ein Engel identifiziert.39 Und in der Tat
erinnert die Beschreibung an den Mann im Leinengewand in Dan 10,6,
dessen Angesicht wie ein Blitz erscheint, dessen Augen wie Feuer-
fackeln erstrahlen und dessen Arme und Beine wie Kupfer glänzen.
Die Identifikation dieser Gestalt des Danielbuches mit einem Engel legt
der Kontext zunächst nahe, da der Mann von seinem Kampf mit dem
Engelfürsten von Persien berichtet, bei dem ihm der Engelfürst Mi-
chael zu Hilfe geeilt sei (Dan 10,13; vgl. 10,20f ). Der Verfasser des
Danielkapitels scheint also die feurige Erscheinung den Völkerengeln
zuzuordnen, deren himmlischem Kampf das Gegeneinander der Völ-
ker auf Erden entspricht. Gern wird daher die namenlose Gestalt mit
dem Engel Gabriel identifiziert, der im Danielbuch als Deuteengel eine
prominente Rolle spielt (Dan 8,16f; 9,21).40 Allerdings hebt sich in der
Beschreibung der Erscheinungen Dan 10,6 deutlich von den anderen
Stellen ab, an denen Gabriel erscheint, so dass auch im Blick auf das
Danielbuch ein Unbehagen gegenüber der Klassifizierung der Gestalt
als Engel bleibt. Zudem scheint der vor Daniel erscheinende „Mann“
in der himmlischen Rangordnung noch über Michael zu stehen, da
Michael nur Hilfsfunktion zukommt und Letzterer in Dan 10,13 zwar
als „einer der Obersten / Herrscher unter den Engelfürsten“ klassifi-
ziert wird, aber nicht als der Oberste bzw. Herrscher:
ÕinÇÊ
Ï
warÇhÄ ÕirÇW
ÊÄhÅ dxÅaÅ laÈkÄimÇ
LXX: Mixahl eiÎw tv
Ä n aÆrxoÂntvn tv
Ä n prvÂtvn

Zumindest interpretiert der Verfasser von „Joseph und Aseneth“ die


genannten Stellen des Danielbuches im Sinne einer hier angedeuteten
Rangordnung. Denn er nimmt ausdrücklich Bezug auf Dan 10, wenn er

39 Vgl. BURCHARD, Joseph und Aseneth, TRE XVII, 246; BURCHARD, Joseph und Aseneth,
ThZ 61, 72: „eine biblisch-jüdische Engelerscheinung auf Breitwand“. Stellvertretend
für viele – nahezu alle –, die die Frage nach dem Wesen des Menschen aus dem
Himmel gar nicht stellen bzw. sie mit der Klassifizierung als Engel für von vornher-
ein beantwortet halten, BOHAK, Joseph and Aseneth 2f.
40 Zur Diskussion siehe PLÖGER, Daniel 148; DI LELLA, Daniel 279f; GOLDINGAY, Daniel
290; COLLINS, Daniel 373f.
258 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

in der Selbstvorstellung des Menschen aus dem Himmel vor Aseneth


diesen seinen himmlischen Rang offenbaren lässt (JosAs 14,8): Er ist der
Herrscher (oë aÍrxvn) des himmlischen Heeres:
eÆgv eiÆmi oë aÍrxvn toyÄ oiÍkoy kyriÂoy kaiÁ stratiaÂrxhw paÂshw stratia
Ä w toyÄ
yëciÂstoy.
Ich bin der Herrscher des Hauses des Herrn und Heerführer des ganzen
Heeres des Höchsten.

Es ist allerdings die Frage, was mit dieser Bezeichnung gemeint ist.
Stellt sich der Mensch aus dem Himmel hier als Höchster der Engel
vor, wie es der Gesamtzusammenhang von Dan 10 zu implizieren
scheint, oder unterscheidet seine Herrschaftsfunktion ihn von den En-
geln? An welche himmlische „Person“ aber wäre in diesem Fall zu
denken?
Die Antwort ergibt sich, wenn man neben den Gemeinsamkeiten
auch die Unterschiede zur Engelsgestalt des Danielbuches in die Be-
trachtung miteinbezieht. Der Hauptunterschied liegt im Königtum der
vor Aseneth erscheinenden Person. Von ihr wird ausdrücklich gesagt,
sie trage das königliche Zepter in der Hand und auf dem Haupt einen
Kranz (JosAs 14,9), die Insignien herrscherlicher Macht. Diese könig-
liche Charakterisierung macht es ganz unmöglich, in der vor Aseneth
erscheinenden Menschengestalt einen Engel zu sehen, zumal das Zep-
ter auch die richterliche Vollmacht des so Erscheinenden manifestiert.
Dass hier weit mehr im Blick ist als eine Führungsrolle unter den En-
gelwesen, zeigt ferner in der Selbstvorstellung des Menschen aus dem
Himmel der Hinweis auf das Haus Gottes (oë oiÍkow kyriÂoy), über wel-
ches er herrscht. „Der Mann, in allem gleich dem Joseph“ (JosAs 14,9;
15,12x), ist also kein Geringerer als der Herrscher des transzendenten
Gottesreiches. Für eine solche Sonderstellung eines Engelwesens in der
himmlischen Welt gibt es in der frühjüdischen Literatur keine Parallele
und kann es keine Parallele geben, da trotz ihrer himmlischen Existenz
die Engel des himmlischen Heeres stets als Gott untergeordnet gelten,
während der vor Aseneth erscheinende Mensch im Himmel offensicht-
lich Gottes eigenes Amt innehat.
Sucht man in der Tradition nach einer Person, die zum Herrscher
des transzendenten Gottesreiches eingesetzt ist, so könnte man – auch
wegen der Charakterisierung der vor Aseneth erscheinenden Gestalt
als „Mensch aus dem Himmel“ – zunächst an den Menschensohn den-
ken, wie er als messianische Gestalt erstmals in Dan 7 und dann in den
Bilderreden des äthiopischen Henochbuches (äthHen 37 – 71) offenbar
Joseph und Aseneth 259

wird (Dan 7,13f; äthHen 46,1 – 6; 48,2f und öfter). Allerdings ist auch
hier der konzeptionelle Unterschied beträchtlich. Denn während der
Menschensohn der von der Erde in den Himmel erhöhte Menschheits-
repräsentant ist, dessen menschliches Wesen nie außer Frage steht und
dessen Wirkkreis nach seiner Inthronisation das transzendente Gottes-
reich ist,41 kommt der vor Aseneth Erscheinende aus dem Himmel her-
ab 42 – „der Himmel spaltete sich“ (JosAs 14,1) – und wird auf Erden
von Aseneth als Gott selbst erkannt (JosAs 17,9):
oyÆk hÍìdein oÏti ûeoÁw hËlûe proÂw me.
Ich wusste nicht, dass Gott zu mir kam.

Diese Erkenntnis Aseneths entspricht ganz derjenigen in JosAs 6,3, wo


Aseneth nach Josephs Weggang festgestellt hatte: „Ich wusste nicht,
dass Joseph der Sohn Gottes ist“. Die Parallelität der Sätze zeigt im
Blick auf den göttlichen Charakter beider Figuren deren Zusammen-
gehörigkeit.
So bleibt für die Identifikation des Menschen aus dem Himmel nur
eine Deutungsmöglichkeit: Die einzige „Person“, von der in der früh-
jüdischen Literatur gesagt werden kann, sie habe das himmlische Kö-
nigtum inne, die gleichzeitig als mit Gott wesenseins gedacht wird, die
ihr Offenbarungsamt aber auf Erden ausübt, ist die Person der Weis-
heit. Sowohl im Sirachbuch als auch in der Sapientia Salomonis ge-
schieht die Herabkunft der Weisheit in die Welt vom königlichen
Thron der Weisheit aus (Sir 24,4; SapSal 18,15). Die präexistente Weis-
heit ist Gottes Throngenossin seit Urbeginn (Prov 8,30) und begründet
in der Vermittlung Gottes an die Welt den universellen Herrschaftsan-
spruch Gottes über seine Schöpfung. Von besonderer Bedeutung für
das weisheitliche Verständnis von JosAs ist die Sapientia Salomonis,
weil in ihr die Weisheit ebenfalls männlich personifiziert ist, und dies
in doppelter Weise. Da die Entstehung der Sapientia Salomonis in der
ägyptischen Diaspora belegt, dass auch außerhalb des palästinischen
Mutterlandes die Weisheit im theologisch reflektierenden Ringen um
die jüdische Identität eine erhebliche Rolle spielte, ja, dass sie dort eine

41 Zur Entwicklung der Menschensohnvorstellung siehe GESE, Messias 138 – 145.


42 Der grundlegende Unterschied der Vorstellungen zeigt sich in äthHen auch daran,
dass der zum Herrscher des Gottesreiches eingesetzte Menschensohn zwar als An-
wohnungsort der Weisheit gelten kann, die auf Erden keinen Einwohnungsort mehr
gefunden hat (äthHen 49,1 – 4; vgl. 48,1 –7), aber personal streng unterschieden wird
von der Person der Weisheit. Die funktionale Einheit begründet nicht die Wesensein-
heit.
260 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

eigene Fortentwicklung genommen hat, sei hier kurz das Weisheits-


verständnis dieser Schrift entfaltet. Dies ist auch deshalb geboten, weil,
wie oben (siehe Abschnitt 2.) gezeigt wurde, in der weisheitlichen Cha-
rakterisierung Josephs und Aseneths der Autor offensichtlich Bezug
genommen hat auf SapSal 7 und daher die Kenntnis der Weisheits-
schrift oder zumindest der sie konstituierenden Weisheitsvorstellun-
gen bei ihm vorauszusetzen ist.

Exkurs: die doppelte männliche Personifikation der Weisheit


in SapSal 18

Obwohl im Preis der Weisheit SapSal 7 die Weisheit, hë sofiÂa, weiblich quali-
fiziert ist im Sinne der älteren Weisheitsvorstellung, findet sich in SapSal 18 der
auf Erden offenbare Gott unvermittelt in männlicher Form hypostasiert bzw.
personifiziert; an die Stelle der weiblichen Bezeichnung „Sophia“ tritt nun der
Logostitel (SapSal 18,14 – 16):
14 Denn als tiefes Schweigen das All umfing
und die Nacht in der ihr eigenen Geschwindigkeit ihre Mitte erreichte,
15 da fuhr dein allmächtiges Wort [loÂgow] vom Himmel herab, vom
königlichen Thron,
als harter Kriegsmann, mitten in die Zerstörung der Erde,
16 und trug als scharfes Schwert deinen unmissverständlichen Befehl
und stellte sich hin und erfüllte das All mit Tod;
dabei berührte es den Himmel, schritt aber auf der Erde einher.
Dass hier Logos und Sophia miteinander identifiziert werden, zeigt schon die
Tatsache, dass das Herabkommen des Logos auf die Erde vom himmlischen
Thron her geschieht, der nach Sir 24,4 der himmlische Sitz der Sophia ist. Die
Identifikation von Weisheit und Logos ist auch deshalb konsequent, weil vom
Sinai her das Wort das Offenbarungsmedium Gottes ist, durch welches Gott als
Person erkennbar wird, weshalb die Weisheit – als die Norm der Gottesbezie-
hung im menschlich-ethischen Bereich – auch mit der Tora identifiziert wird.43
In der Sapientia Salomonis ist daher der vom himmlischen Thron herabstei-
gende Logos die Personifikation des göttlichen Offenbarungswortes und somit
identisch mit der Weisheit. Wie konkret diese Personifizierung werden kann,
zeigt ferner das Auftreten des Logos als „harter Kriegsmann“ (aÆpoÂtomow pole-
misthÂw; SapSal 18,15). Dieser Titel verdeutlicht die Funktion, die der Logos im
fraglichen Zusammenhang hat: Er muss Gericht halten und Gottes Recht auf
Erden durchsetzen.44 Geschichtlich ist dabei zunächst auf Israels Zeit in Ägyp-

43 Dazu ausführlich GESE, Weisheit 228f.


44 Die Charakterisierung des Kriegers als „hart“ ist daher nicht im Sinne kriegerischer
Grausamkeit und Emotionslosigkeit zu verstehen, sondern zielt auf den unverrück-
baren Gerichtswillen Gottes.
Joseph und Aseneth 261

ten angespielt und wird das Gericht verstanden als Strafe an den Ägyptern, der
Macht, die Israel versklavt. Ägypten steht hier, wie in anderen alttestamentli-
chen und frühjüdischen Texten auch, für das Urböse, das am Anfang der Ge-
schichte Israel in Gefangenschaft hielt und zum Typos der widergöttlichen
Macht wurde. Auch wenn im ersten Teil von „Joseph und Aseneth“ zunächst
noch die Friedenszeit unter Joseph und einem dem Volk wohlgesinnten Pharao
vor Augen steht, so deutet sich im zweiten Teil, der von den Nachstellungen
des Sohnes Pharaos und der Gefährdung Aseneths handelt, doch schon die
künftige Katastrophe an.45 Bedeutsam im Blick auf das Verständnis von „Joseph
und Aseneth“ ist zunächst der ägyptische Bezugsrahmen, den die Sapientia
Salomonis und die Asenethschrift gemeinsam haben.
Allerdings trifft in der Sapientia Salomonis das Gericht nicht allein die
Ägypter, sondern auch das Volk Israel, von dem es heißt, dass es ebenfalls den
Gotteszorn auf sich gezogen habe (SapSal 18,20). Der Frevel Israels macht die
Entsühnung des Volkes notwendig, weshalb nun die – wiederum männlich
verkörperte – Weisheit in priesterlicher Funktion erscheint, als Weltenpriester,
der die kultische Ordnung des Kosmos verbürgt und wiederherstellt (SapSal
18,21 – 25):
20c Aber der Zorn [Gottes] währte nicht lang.
21 Denn ein Mann ohne Fehl eilte herbei und kämpfte für sie
und hatte mitgebracht die Waffe seines eigenen [priesterlichen] Dienstes:
Gebet und sühnendes Räucherwerk.
Er widerstand dem Zorn und machte dem Unheil ein Ende
und zeigte so, dass er dein Diener ist.
22 Er überwand aber den Zorn nicht mit Körperkraft
und nicht mit Waffengewalt,
sondern unterwarf den Strafgewaltigen mit dem Wort,
indem er an die den Vätern geltenden Eide und Bundesschlüsse
erinnerte.
...
24 Denn auf seinem fußlangen Gewand befand sich die ganze Welt,
und die Doxa der Väter stand eingraviert auf dem vierreihigen
Schmuck von Steinen,
und deine Majestät war auf dem Diadem seines Hauptes.
25 Davor wich der Verderber.
Äußerlich scheint der Textabschnitt SapSal 18,20 – 25 auf Num 17 anzuspielen,
wo die Rede ist vom Aufbegehren Israels gegen Gott in der Wüste und von der
Vernichtung großer Teile der Gemeinde. Sie endet durch das Einschreiten
Aarons, der zwischen die Toten und die Lebenden tritt und für Israel Sühne
wirkt. Die sprachlichen Bezüge aber zeigen, dass hier ein ganz anderer Text im
Vordergrund steht, nämlich 1 Chr 21. Auch in diesem Text geht es um ein
Strafhandeln Gottes an Israel; der Grund des göttlichen Zornes ist in diesem
Fall aber nicht das Volk, sondern David, der mit einer Volkszählung Gottes
Eigentumsrecht an Israel verletzt hat. Und so sendet Gott, als irdischen

45 Siehe dazu ausführlich Anm. 56.


262 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Repräsentanten seiner selbst, einen Strafengel nach Jerusalem, um die Stadt zu


vernichten (1 Chr 21,14 – 15). Dass das, was nun geschieht, dem Verfasser der
Sapientia Salomonis das Grundmuster der theologischen Reflexion in SapSal 18
geliefert hat und das Kapitel insgesamt von 1 Chr 21 her konzipiert ist – also
nicht nur der von der Entsühnung Israels handelnde zweite Teil –, ergibt sich
aus der Tatsache, dass die Beschreibung des Logos, der als Kriegsmann vom
Himmel steigt, im ersten Teil des Berichts genau der des Strafengels entspricht.
Dieser Engel steht zwischen Himmel und Erde und hält in der Hand ein
Schwert, ausgestreckt über Jerusalem (1 Chr 21,16). Dies ist in der oben zitier-
ten Stelle SapSal 18,16 aufgenommen, wo es heißt, dass der Logos, als Voll-
strecker des göttlichen Gerichts, sein Werk tut, indem er in Person Himmel und
Erde verbindet. Dass dabei in SapSal 18 die Weisheit bzw. der Logos mit dem
Strafengel gleichgesetzt wird, widerspricht nicht der oben im Blick auf den
himmlischen Menschen getroffenen Unterscheidung zwischen der Person der
Weisheit und einem zum himmlischen Heer gehörenden Engelwesen. Die
Gleichsetzung zwingt vielmehr zur Differenzierung der alttestamentlich-jüdi-
schen Engelvorstellung, innerhalb derer der Engel Jahwes ganz anders charak-
terisiert ist als die Engel des himmlischen Heeres. Der Unterschied ist ein
schöpfungstheologischer. Während nämlich das himmlische Heer der geschaf-
fenen Welt zugehört und die ihm angehörenden Engel trotz ihrer transzenden-
ten Existenz in ihrem Sein und Wesen von Gott unterschieden sind, ist der
Engel Jahwes die irdische Erscheinungsform Gottes selbst: der offenbare Gott.
Am deutlichsten zeigt sich dies in Ex 3, der Erzählung von der Berufung des
Mose, wo es im Visionsteil zunächst der Engel Jahwes ist, der Mose am Dorn-
busch im Feuer erscheint (Ex 3,2), in der Audition aber Gott selbst, der zu Mose
spricht und sich ihm offenbart (Ex 3,4 – 15). Offensichtlich hat in hellenistischer
Zeit, im Zuge der offenbarungsgeschichtlichen Aufweitung der Weisheitsvor-
stellung, die Weisheit die Funktion des Engels Gottes übernommen und er-
scheint nun dasjenige Amt mit der Person der Weisheit verknüpft, das in älterer
Tradition das Amt des Engels Jahwes war: Gott in Person auf Erden offenbar zu
machen. Es ist traditionsgeschichtlich also konsequent, wenn der Strafengel aus
1 Chr 21 in SapSal 18 als der vom himmlischen Thron herabfahrende Logos
betitelt ist.
Entscheidend für das Verständnis von SapSal 18 aber ist das, was in 1 Chr
21 auf das Auftreten des Strafengels folgt: Angesichts der Unzahl derer, die in
Israel dem Schwert des Engels zum Opfer fallen, bekommt Gott, obwohl er
selbst den Strafengel ausgesandt hat und in dessen Handeln wirksam ist, Mit-
leid mit seinem Volk und gebietet dem Engel Einhalt (1 Chr 21,15b.22.27). Das
heißt: Gott stellt sich gegen Gott. Gott stellt sich gegen sich selbst und hebt den
Richterspruch auf. Da aber die Aufhebung des Richterspruches die Entsüh-
nung Israels voraussetzt, weist Gott David an, auf einem von ihm eigens dazu
bestimmten Stück Land einen Altar zu bauen und Opfer darzubringen. Das
Stück Land (die Tenne Ornans) ist der Grund und Boden des späteren Jerusa-
lemer Tempels. Und David, der Gott ja eigentlich den Anlass für sein Strafhan-
deln geliefert hat – er fungiert hier als Priester, der das Opfer darbringt, das
Israel entsühnt. Es handelt sich in 1 Chr 21, dem Bezugstext von SapSal 18, also
um nicht weniger als die Gründungserzählung des Jerusalemer Tempels und
Kultes, in welcher David als Priesterkönig auftritt. Während allerdings in 1 Chr
Joseph und Aseneth 263

21 Gott die Entsühnung Israels durch David vollziehen lässt, wirkt in SapSal
18,21 – 24 Gott selbst die Entsühnung. Dabei ist – wie schon im Fall des Ge-
richtswortes Gottes – auch das Wort, das den Strafbefehl aufhebt, personifiziert:
Es kommt ein „Mann ohne Fehl“ (aÆnhÁr aÍmemptow), wie es in SapSal 18 heißt,
und das bedeutet: ein Priester. Dass diese priesterliche Gestalt kein irdischer
Mensch ist, sondern der seinem Volk in Liebe und Erbarmen zugewandte Gott
in Person, zeigt sich an zweierlei: 1. Der Priester trägt ein Gewand, auf wel-
chem die ganze Welt ist (oÏlow oë koÂsmow). Er ist der Garant der kultischen Inte-
grität der Schöpfung und daher niemand anderes als die Weisheit in Person,
die als principium der Schöpfung und als principium der im Kult manifesten
Offenbarung die Welt durchwaltet. 2. Die Entsühnung Israels geschieht nicht
durch irdisch vollzogene Opfer, sondern allein durch das Wort (SapSal 18,22),
wie auch der als strafender Richter auftretende Logos das Gericht allein durch
das Wort vollzieht (SapSal 18,16). Die beiden Aspekte des Wirkens Gottes nach
außen, sein Gerichtshandeln und sein Gnadenhandeln, sind hier in zweifacher
Weise hypostasiert bzw. personifiziert, wobei im Gesamtkontext der Sapientia
Salomonis klar ist, dass es sich in beiden Fällen um die Weisheit Gottes handelt,
deren universelle richterliche und kultische Funktion in SapSal 7 vor Augen
gestellt wurde und die in SapSal 18 zur Garantin der göttlichen Weltordnung
wird. Dass dabei das Gnadenhandeln Gottes sich in der Entsühnung Israels
vollzieht und daher die Weisheit priesterlich personifiziert erscheint, entspricht
ganz Sir 24,10, wo die Weisheit ebenfalls das priesterliche Amt auf dem Zion
ausübt. Wenn daher in „Joseph und Aseneth“ die Weisheit weiblich und männ-
lich zugleich personifiziert wird und den verschiedenen Aspekten des Offen-
barwerdens Gottes unterschiedliche Figuren zugeordnet werden, dann ent-
spricht das den Denkkategorien, welche die Sapientia Salomonis bestimmen.
Zum gemeinsamen Vorstellungsrahmen gehört auch, wie gleich zu zeigen ist,
die priesterliche Charakterisierung der aus dem Himmel zu Aseneth herab-
steigenden Gestalt.

Die männliche Feuergestalt, welche, die königlichen Insignien in der


Hand, in JosAs 14 vom Himmel herabsteigt und Aseneth den Heils-
plan Gottes offenbart, ist niemand anderes als die Weisheit Gottes. Was
hier in bekannten Bildern vorgestellt und männlich personifiziert wird,
ist die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes im Feuer, die Erscheinung
der göttlichen Doxa. Gott selbst ist es, der hier redet und in seinem
Reden von Aseneth erkannt wird: ûeoÁw hËlûe proÂw me – „Gott kam zu
mir“ (JosAs 17,9). Und es entspricht dieses Offenbarwerden Gottes vor
Aseneth doch insofern der hier stets zum Vergleich herangezogenen
Engelserscheinung in Dan 10,5f, als der Danieltext seinerseits Traditi-
onsmaterial aufnimmt, und zwar Ez 1,26 – 28, damit aber gerade den-
jenigen Text, in welchem in der menschlichen Feuererscheinung auf
dem himmlischen Thron Gott selbst vor Ezechiel offenbar wird. Die
264 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Offenbarung vor Daniel wird also vom Verfasser der Asenethschrift im


Sinne der Gotteserscheinung von Ez 1 verstanden, und das heißt im
weisheitlichen Gesamtkontext der Schrift: als das irdische Sichtbarwer-
den Gottes in der Person der Weisheit.46
In das weisheitliche Gesamtbild gehören schließlich auch diejeni-
gen Erzählelemente, welche den kultischen Rahmen der Szene konsti-
tuieren. Dies betrifft zum einen das äußere Erscheinungsbild des Men-
schen aus dem Himmel, das dem des Joseph entspricht (JosAs 14,9). Er
erscheint vor Aseneth nicht nur als König, sondern auch als Priester
(siehe Abschnitt 2.). Es betrifft zum anderen die rätselhafte Bienen-
episode (JosAs 17,1–18,4). Die Bienen werden dadurch, dass sie in den
priesterlichen Farben „weiß – purpurfarben – byssosfarben“ erscheinen
(JosAs 17,18) kultisch dem heiligen Raum Gottes zugeordnet. Dem ent-
spricht, dass der Himmel der Herkunftsort der Bienen ist (JosAs
16,20f). Der Bau der Honigwabe auf Aseneths Mund als Gegenbild zur
Honigwabe des himmlischen Menschen bildet den Prozess der weis-
heitlichen Gleichgestaltung ab.47 Das Bild selbst hat seine Wurzeln
zunächst ganz generell in der traditionellen Verbindung des Offenba-
rungswortes Gottes mit Honig als Sinnbild der Süße und gottgeschenk-
ten Lebenskraft (Ez 3,3; Ps 18,11 LXX; Ps 118,103 LXX) und wird in der

46 Die interpretatorische Schwierigkeit, die in Dan 10 beim offensichtlichen Rückgriff


auf Ez 1,26 – 28 dadurch entsteht, dass die Erscheinung eigentlich als Gotteserschei-
nung gedeutet werden müsste, dies aber mit der Völkerengelvorstellung kollidiert,
wird in den Kommentaren zur Stelle durchaus wahrgenommen, zumal die „Engels-
erscheinung“ in Dan 10,5f einen ganz anderen Charakter hat als die übrigen Er-
scheinungen des Deuteengels vor Daniel; siehe nochmals die in Anm. 40 genannte
Literatur. Im Rahmen der Entwicklung der alttestamentlich-jüdischen Angelologie
lässt sich der Unterschied zwischen Gabriel und Michael auf der einen, dem namen-
losen Mann in Dan 10 auf der anderen Seite mit dem Hinweis auf die oben bereits
benannte konzeptionelle Differenz zwischen den Engeln des himmlischen Heeres
und dem Engel Jahwes als Erscheinungsform Jahwes selbst erklären. Dabei fällt auf,
dass in Dan 10,5f die Erscheinung der Gottesherrlichkeit nach Ez 1,26 – 28 kombiniert
ist mit der Erscheinung des Mannes im Leinengewand nach Ez 9,2f.11; 10,2.6f, der
durch seine Bekleidung als Priester gekennzeichnet ist. Vgl. ZIMMERLI, Ezechiel 225f.
Angesichts der priesterlichen Charakterisierung der Weisheit in Sir 24,10 – 12 und in
SapSal 18 ist daher vorsichtig zu fragen, ob nicht auch in Dan 10 die Erscheinung des
namenlosen Mannes weisheitlich statt angelologisch zu deuten ist.
47 Dass es hier um eine wesensmäßige Gleichgestaltung Aseneths mit dem Mann aus
dem Himmel geht, erkennt auch LIEBER, Table 65.77, und sie verweist in diesem
Zusammenhang auch ganz richtig auf den eschatologischen Charakter der Szene,
verfehlt aber dadurch den Sinn derselben, dass sie Aseneth in ihrer neuen Existenz
als Engel klassifiziert und die Einsetzung Aseneths zur ewigen Zufluchtsstadt nicht
in das eschatologische Gesamtbild integriert. Ausführlich zur These, Joseph und Ase-
neth würden in Engel transformiert, Anm. 51 und 52.
Joseph und Aseneth 265

Identifikation des Wortes Gottes mit der Weisheit auch auf die Weisheit
übertragen (Prov 24,13f; Sir 24,20). Als genuin weisheitlich aber gibt
sich das Bild dort zu erkennen, wo davon die Rede ist, dass die erste
Honigwabe, die Aseneth in ihrer Kammer findet und aus der später
die Bienen kommen, hervorgegangen ist aus dem Munde des himmli-
schen Menschen (JosAs 16,11). Denn es ist die Weisheit selbst, die nach
Sir 24,1 aus dem Munde des Höchsten hervorgeht und deren göttliches
Wesen dieser Akt der Selbstentäußerung Gottes manifestiert. Dieses
Bild der göttlichen Selbstentäußerung wird – auf einer zweiten Ab-
straktionsebene mit der Weisheit als der sich selbst teilgebenden Per-
son – in der rituellen Einsetzung Aseneths in ihr weisheitliches Amt 48
zum Sinnbild der Wesenseinheit des Menschen aus dem Himmel mit
Aseneth, einer Einheit, die erzählerisch durch die Nachbildung der
ersten Honigwabe auf dem Munde Aseneths konstituiert wird (JosAs
16,19). Dass dabei die Bienen, welche die zweite Wabe aufbauen,
priesterliche Farben tragen, dokumentiert den Vorgang der kultischen
Integration der durch Aseneth repräsentierten Heiden.49 Der Hinweis,
dass einige der Bienen Aseneth mit ihrem Stachel angreifen (JosAs
16,22), aber zeigt, wie brisant die Vorstellung war, die Heiden hätten in
der Weisheit Gottes selbst ihre Repräsentantin und damit von jeher
Anteil am göttlichen Heil. Daher bleibt – wie in der Bestimmung des
Verhältnisses zwischen Joseph und Aseneth – auch hier die Vorrang-
stellung Israels dadurch gewahrt, dass Aseneth ihr himmlisches Amt
nicht schon von jeher innehat, sondern dasselbe erst durch den Men-
schen aus dem Himmel empfängt.50

48 Zur offenbarungsgeschichtlichen Systematik der vier weisheitlich charakterisierten


Hauptfiguren siehe Abschnitt 4.
49 Wenn daher PORTIER-YOUNG, Sweet Mercy Metropolis 153 –155, den Bau der Honig-
wabe auf Aseneths Lippen allein als Bild für die „süße Gnade“ Gottes interpretiert,
die dieser der ehemaligen Götzendienerin gewährt, dann ignoriert sie den kultischen
Hintergrund der Szene, den BOHAK, Joseph and Aseneth 1 –18, längst herausgearbeitet
hat, auch wenn seine einseitig historisierende Interpretation der Szene die Forschung
bislang nicht zu überzeugen vermochte (siehe Anm. 50).
50 Da die Szene aller historischen Reminiszenzen entbehrt und das kultische Geschehen
als rein transzendentes Geschehen ganz vom irdischen Kultus gelöst ist, überzeugt
BOHAKs These nicht (BOHAK, Joseph and Aseneth, besonders 1– 18), dass die Bienen-
episode wegen ihrer priesterlichen Motive auf die Legitimation des oniadischen
Tempels in Heliopolis ziele, der erzählerisch durch die Honigwabe repräsentiert wer-
de. Vgl. BOHAK, Fiction 277– 279. Es geht – trotz der ägyptischen Verhaftung der
Schrift – nicht im geographischen Sinne um einen priesterlichen „Ort“ der Erzäh-
lung, sondern um das priesterliche Sein der Hauptfiguren.
266 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Dass der himmlische Mensch kein anderer ist als die männlich
personifizierte Weisheit Gottes, erweist auch die Tatsache, dass er am
Ende seines Besuchs bei Aseneth ihre sieben Jungfrauen zu den sie-
ben Säulen der Stadt der Zuflucht erhebt (JosAs 17,4 – 6). Denn er
vollzieht damit, was nach Prov 9,1 das irdische Handeln der Weisheit
ist:
Die Weisheit hat ihr Haus gebaut
und ihre sieben Säulen ausgehauen.

Ein letzter, hochinteressanter Sachverhalt bestätigt, dass hier in der


Tat kein Engelwesen, sondern die Weisheit Gottes zu Aseneth herab-
steigt. Denn so wie Joseph auf Erden in Aseneth die Frau und – nach
JosAs 7,7f – eigentlich die Schwester hat, so hat nach eigenem Zeug-
nis auch der königliche Mann im Himmel eine Schwester, deren
Name „Umkehr“ lautet – eine Vorstellung, die unmöglich auf die
Engel Gottes zu übertragen ist.51 Nicht von ungefähr entfaltet der

51 STANDHARTINGER, Frauenbild 189 – 197, kann, da sie die Identifikation des Men-
schen aus dem Himmel mit einem Engel ohne Prüfung des Sachverhalts voraus-
setzt, gleichzeitig aber erkennt, dass die Schwester des Menschen mit Namen „Um-
kehr“ als die personifizierte Weisheit charakterisiert ist, das Bruder-Schwester-
Verhältnis im Rahmen der Engelvorstellung nur durch die Behauptung stützen,
die „Umkehr“ sei in „Joseph und Aseneth“ ihrer weisheitlichen Würde entklei-
det und zu einem Engelwesen degradiert worden. Von einer solchen Degra-
dierung ist im Text weder explizit die Rede, noch impliziert die Charakterisierung
der „Umkehr“ an irgendeiner Stelle, dass die Herabstufung von Seiten des Ver-
fassers vorausgesetzt sei. Hier zeigt sich, wie sehr man den Text beugen muss, um
am etablierten angelologischen Deutungsmuster festhalten zu können, selbst dort,
wo man den weisheitlichen Vorstellungsrahmen bereits herausgearbeitet hat. Da in
der Tat Bruder und Schwester, der himmlische Mensch und die „Umkehr“, nicht
verschiedenen „Personen“kreisen zugeordnet werden können, bleibt nur die Iden-
tifikation auch des himmlischen Menschen mit der zur himmlischen Regentschaft
berufenen göttlichen Weisheit. – In diesem Zusammenhang ist auch Kritik an
STANDHARTINGERs Versuch zu üben, den Kurztext aufgrund seines angeblich pro-
vokanteren Frauenbildes als den ursprünglichen Text auszugeben. Denn die von
der Autorin zum Vergleich der Textfassungen entworfene Graphik auf S. 196 ihres
Werkes zeigt deutlich die Entwicklung von der theologisch hochdifferenzierten
Erzählform des Langtextes, in welchem die Funktion der Umkehr von der weis-
heitlichen Schekinavorstellung her definiert wird, zu einer Liebeserzählung. In ihr
wird die Vorstellung vom himmlischen Einwohnungs- und Ruheort (JosAs 15,7)
aufgegeben und durch das Bild des Brautgemachs ersetzt, in welchem Joseph und
Aseneth ihre ewige himmlische Vereinigung besiegeln. STANDHARTINGER kann an
dieser Stelle die Klassifikation des Kurztextes als des theologisch angeblich an-
spruchsvolleren Textes auch nur deshalb aufrechterhalten, weil sie „die Vorstel-
lung, die hinter dem himmlischen Ruheort [. . .] steht“ als „undeutlich“ und daher
als nicht weiter bedenkenswert disqualifiziert (196f ). Dass Joseph und Aseneth mit
dem Eintritt in das ihnen bereitete Brautgemach zu Engeln erhoben würden, run-
Joseph und Aseneth 267

Text das Bild dieser Schwester im direkten Anschluss an die Stelle,


wo Aseneth zur himmlischen Zufluchtsstadt für die Völker erhoben
wird. Der Abschnitt wurde bereits ausführlich ausgelegt. Nun ist
auch die Fortsetzung JosAs 15,7b – 8 in den Blick zu nehmen, welche
begründend anschließt an die Aseneth geltende Verheißung (JosAs
15,17a): „Innerhalb deiner Mauer werden diejenigen bewahrt wer-
den, die sich Gott, dem Höchsten, im Namen der Umkehr ange-
schlossen haben“:

det das Bild einer textbeugenden Exegese ab, zumal die Verwandlung von Men-
schen in Engel in der alttestamentlich-frühjüdischen Tradition keine Parallele hat.
Das gilt auch gegen LIEBER, Table 65, die ohne weitere Untersuchung des Sach-
verhalts feststellt, durch den Verzehr der vom Engel bereiteten Nahrung werde
Aseneth selbst in einen Engel verwandelt. – Dass STANDHARTINGER schließlich die
Protagonisten in ihrem nur wenig später erschienenen Aufsatz „From Fictional
Text to Socio-Historical Context“ in ganz anderer Weise charakterisiert als in ihrer
Monographie, verwirrt das Bild noch mehr, zumal sie auch hier die Figuren im
Kurz- und im Langtext verschieden deutet: Hauptbezugspunkt der Personende-
batte ist jetzt nicht mehr die Angelologie, sondern die weisheitliche Charakterisie-
rung der „Umkehr“, deren Identifikation mit der Sophia STANDHARTINGER nun
nicht mehr in Frage stellt (Fictional Text 308 – 310). Da sie aber im Blick auf den
Menschen aus dem Himmel auf eine Wesensbestimmung verzichtet und auch im
Blick auf Aseneths himmlische Existenz vage bleibt, misslingt die weisheitliche
Systematisierung der Personen und bleibt die Verhältnisbestimmung unklar. Das
gilt auch für den von der Autorin als sekundär klassifizierten Langtext, dem sie
vorwirft, er ersetze der Tendenz nach die weibliche Sophia durch die männlichen
Protagonisten, was eine Diskussion über das wahre Geschlecht der Sophia wider-
spiegele (313f ). Im Langtext finde außerdem in der Begegnung mit dem Menschen
aus dem Himmel zunächst keine Transformation Aseneths in ein himmlisches
Wesen statt, da der Bau der Honigwabe auf Aseneths Mund, von dem nur im
Langtext die Rede ist, ihr den Mund verschlösse und ihre Stellung als Mensch
manifestiere, der eine himmlische Botschaft empfängt (310 – 312). Diese Interpre-
tation bedeutet die völlige Verkehrung der Verhältnisse, da gerade der Kurztext
durch die Streichung des Wabenbaus auf Aseneths Mund die weisheitliche Sym-
bolik minimiert. – Dass gerade die Weisheitsanspielungen nachträglich getilgt
wurden um der Herstellung einer kurzen, theologisch nicht überfrachteten, gefäl-
ligen Liebeserzählung willen, zeigt auch die oben erwähnte Erhebung der sieben
Jungfrauen Aseneths zu den sieben Säulen der himmlischen Zufluchtsstadt, die
der Kurztext nicht enthält. Siehe BURCHARD, Joseph und Aseneth, PVGT 5, 224f.
Festzuhalten bleibt allerdings, dass die Schwierigkeiten, denen sich STANDHARTIN-
GER im Blick auf die Verhältnisbestimmung der Personen ausgesetzt sieht und die
einer Lösung harren, allein dadurch entstehen, dass die Autorin im Grunde er-
kennt, dass alle vier Personen die Züge der Weisheit tragen. Die einseitige Fixie-
rung auf Gender-Fragen verstellt allerdings eine theologische Lösung.
268 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

7b dioÂti hë metaÂnoia eÆstin eÆn toiÄw oyÆranoiÄw ûygaÂthr yëciÂstoy kalhÁ kaiÁ
aÆgaûhÁ sfoÂdra. kaiÁ ayÆthÁ eÆklipareiÄ toÁn ûeoÁn toÁn yÏciston yëpeÁr soyÄ pa Ä san
vÏ ran kaiÁ yëpeÁr paÂntvn tv Ä n metanooyÂntvn eÆn oÆnoÂmati ûeoyÄ toyÄ yëciÂstoy
eÆpeidhÁ pathÂr eÆsti thÄ w metanoiÂaw. kaiÁ <ayÆth > eÆstin eÆpiÂskopow paÂntvn tv Än
parûeÂnvn kaiÁ fileiÄ yëma Ä w sfoÂdra kaiÁ periÁ yëmv Ä n eÆrvtaÄì paÄ san v
Ï ran toÁn
yÏciston kaiÁ pa Ä si toiÄw metanooyÄsin toÂpon aÆnapayÂsevw hëtoiÂmasen eÆn toiÄw
oyÆranoiÄw kaiÁ aÆnakainieiÄ paÂntaw toyÁw metanohÂsantaw kaiÁ <ayÆthÁ > dia-
Ä na xroÂnon. 8 kaiÁ eÍstin hë metaÂnoia kalhÁ sfoÂdra
konhÂsei ayÆtoiÄw eiÆw toÁn aiÆv
parûeÂnow kaûaraÁ kaiÁ gelv Ä sa paÂntote kaiÁ eÍstin eÆpieikhÁw kaiÁ praeiÄa. kaiÁ
diaÁ toyÄto oë pathÁr oë yÏcistow aÆgapa Äì ayÆthÁn kaiÁ paÂntew oië aÍggeloi aiÆdoyÄntai
ayÆthÂn. kaÆgvÁ aÆgapv Ä ayÆthÁn sfoÂdra dioÂti aÆdelfh moy eÆsti kaiÁ ayÆthÂ. kaiÁ
kaûoÂti yëmaÄ w taÁw parûeÂnoyw aÆgapa Äì kaÆgvÁ yëma
Ä w aÆgapv Ä.
7b Denn die Umkehr ist im Himmel die Tochter des Höchsten, schön und
sehr gut. Und sie fleht Gott, den Höchsten, alle Stunde an für dich und für
alle, die umkehren im Namen Gottes, des Höchsten, weil er doch der Vater
der Umkehr ist. Und sie ist die Hüterin aller Jungfrauen und liebt euch
sehr und bittet alle Stunde den Höchsten für euch und hat allen, die um-
kehren, einen Ort der Ruhe im Himmel bereitet. Und sie wird alle erneu-
ern, die umkehren, und sie wird ihnen dienen für ewige Zeit. 8 Und die
Umkehr ist sehr schön, eine Jungfrau, rein und allezeit lachend, und ist
milde und sanftmütig. Und deswegen liebt sie der Vater, der Höchste, und
all die Engel scheuen sie. Und ich liebe sie sehr, denn auch sie ist meine
Schwester. Und wie sie euch, die Jungfrauen liebt, so liebe auch ich euch.

Wieder ist hier – nun im Blick nicht auf das Zur-Welt-Kommen der
Weisheit, sondern auf ihr transzendentes Sein bei Gott – die Weisheit in
zweifacher Personifikation vorgestellt. In weiblicher Gestalt trägt sie
den Namen „Umkehr“. Ihr göttliches Wesen tritt in ihrer Bezeichnung
als „Tochter des Höchsten“ zutage. Ihre Offenbarungsfunktion mani-
festiert sich darin, dass sie denen, die sich zu ihr kehren, einen Ruheort
bereitet. Dass sie als rein (kaûaraÂ) und alles erneuernd vorgestellt
wird, entspricht wieder ganz der Charakterisierung der Weisheit in
SapSal 7,22 – 27. Ja, es scheint fast, als hätte der Autor von „Joseph und
Aseneth“ die Liste der Wesensmerkmale der Weisheit aus SapSal 7
verteilt auf die männlichen und die weiblichen Figuren der Erzählung.
Denn beide Seiten sind zwar individuell charakterisiert, aber so, dass
in der Zusammenschau der Merkmale das Gesamtbild der Weisheit
nach SapSal 7 entsteht. Dass die Charakterisierung des Bruders der
„Umkehr“ als Engel eine sinnentstellende Fehlinterpretation des Tex-
tes ist, zeigt in diesem Zusammenhang auch die im Text ausdrücklich
vollzogene Unterscheidung der Person der Umkehr von den Engeln:
Da die Engel ihr als Gruppe ausdrücklich untergeordnet werden
(JosAs 15,8) und sie scheuen, ihr also wegen ihres höheren Ranges mit
Ehrfurcht begegnen, kann ihr Bruder, der Mensch aus dem Himmel,
Joseph und Aseneth 269

unmöglich den Engeln angehören.52 Es hätte also allein die Bruder-


Schwester-Beziehung der himmlischen Protagonisten Zweifel an der
gängigen Identifikation des vor Aseneth erscheinenden himmlischen
Menschen als Engel wecken müssen.
Mit der Figur der himmlischen Schwester des Mannes, der vor
Aseneth erscheint und äußerlich dem Joseph gleicht, ist das Gesamt-
bild vollständig. Was der Leser vor sich hat, sind vier Figuren, die alle
weisheitlich charakterisiert sind, vier Figuren zudem mit gleichzeitig
himmlischer und irdischer Funktion. Die Weisheit Gottes erscheint hier
vierfach personifiziert, wobei die Differenzierung der Aspekte um der
Individualisierung der Personen willen geschieht. In der Gesamtheit
der Aspekte aber entspricht die Weisheitsvorstellung ganz dem Bild
der Weisheit in anderen Weisheitsschriften: Auch hier erscheint die
Weisheit als eine personale, präexistente Größe, die den transzenden-
ten Gott an die Welt vermittelt und die Integrität der Gottesbeziehung
manifestiert. Mehr noch: Das Zur-Welt-Kommen Gottes in der Person
der Weisheit findet auch hier seine letzte Erfüllung in der eschatolo-
gischen Integration des Menschen in den Lebensraum Gottes, wobei
das Wohnen des Menschen bei Gott als Leben unter den Flügeln Gottes
vorgestellt wird. Die Schrift „Joseph und Aseneth“ ist daher als genuin
weisheitliche Schrift zu klassifizieren.53 Sie ist es aber nicht im Sinne

52 Gegen BROOKE, Men, der auf die Parallelen zwischen der in den Schriften von Qum-
ran hervortretenden Engelvorstellung und der Charakterisierung Aseneths, Josephs
und des Menschen aus dem Himmel verweist, dabei aber bezeichnenderweise nicht
auf die vierte Hauptperson mit Namen „Umkehr“ eingeht, die sich ganz offensicht-
lich jeder Engelsystematik entzieht. Da BROOKE aber drei der vier Personen – ein-
schließlich der irdischen Protagonisten! – als Engelwesen kennzeichnet, ist der Schritt
zu einer weisheitlichen Klassifikation aller Hauptdarsteller nicht mehr weit, sobald
man die Schwester des Menschen aus dem Himmel eindeutig als Sophia identifiziert.
Die Problematik der von BROOKE beigebrachten Parallelen liegt außerdem darin, dass
– wie in der Forschung zu Joseph und Aseneth – auch in der Qumran-Forschung alle
Wesen mit himmlischer Funktion als „Engel“ klassifiziert werden, ohne dass dieser
Begriff einer traditionsgeschichtlichen Systematik unterworfen würde. So ist es bei-
spielsweise höchst fraglich, ob man einen Text wie 4Q541 9 i 2b – 5 als angelologisches
Zeugnis heranziehen kann, zumal in der von BROOKE nicht mehr zitierten Zeile
4Q541 9 i 2a von der Vermittlung der Weisheit die Rede ist. Auch für die Qumran-
Forschung trifft zu, was eingangs über die Einbeziehung der Weisheit in die Deutung
der Texte gesagt wurde, dass nämlich die weisheitliche Personvorstellung völlig aus
der Diskussion ausgeklammert wird. So ist auch auf diesem Gebiet eine Entschlüs-
selung mancher der als rätselhaft geltenden Texte zu erwarten, wenn man die Per-
sonalität der Weisheit in die Interpretation miteinbezieht, zumal die Bedeutung der
Weisheit im Qumran-Schrifttum unumstritten ist.
53 Die beliebte mystische Klassifikation der Schrift (siehe Anm. 13) bedeutet die Ver-
kennung des offenbarungsgeschichtlichen Gesamtrahmens der Weisheit in hellenisti-
scher Zeit.
270 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

der zum Vergleich oft herangezogenen Weisheitsnovellen, wie sie etwa


in der Josephserzählung Gen 37 – 51 vorliegt,54 sondern sie ist es, wie
Sir 24 oder SapSal 18, als ein Dokument hochdifferenzierter theologi-
scher Reflexion, in welchem die erzählerische Gestaltung das Mittel
der Abstraktion darstellt. Die narratio dient der Vermittlung weisheit-
licher Lehrerkenntnisse, nicht der Unterhaltung.55 Im Unterschied etwa
zum Sirachbuch ist in der Diasporaschrift allerdings die Loslösung
vom irdischen Zion und die damit einhergehende Transformation der
Reich-Gottes-Vorstellung bereits vollzogen. Wie in den Bilderreden des
äthiopischen Henochbuches wird der Herrschaftsraum Gottes als jen-
seitiges, außerirdisches Reich verstanden, dessen Einbruch in die Welt
am Ende der Tage das Gericht an der Welt bedeutet. Der Gerichtsge-
danke wird im zweiten Teil der Schrift expliziert.56 Dem Menschen

54 Siehe dazu nochmals die in Anm. 22 genannten Autoren.


55 Gegen BURCHARD, Joseph und Aseneth, TRE XVII, 247, der den Unterhaltungsan-
spruch der Schrift als den Hauptzweck der Schrift angibt.
56 Dass auch im zweiten, kürzeren Teil der Schrift nicht ein dramatisches, sondern ein
theologisches Interesse die Handlung bestimmt, zeigt die Auswahl der am Konflikt
beteiligten Brüder Josephs. Als Agitatoren gegen den mit der Verbindung Josephs
und Aseneths besiegelten Heilszustand sind unter den Josephssöhnen die Mägde-
söhne genannt (JosAs 24,2), zu denen der Autor als den Anführer der widergöttli-
chen Agitation auch Dan rechnet, denjenigen Bruder Josephs also, welcher der Tra-
dition nach die endzeitliche Restitution des Zwölf-Stämme-Verbandes gefährdet. Ja,
Dan ist derjenige, der in der eschatologischen Erwartung des Frühjudentums – und
auch in der des Christentums (vgl. Offb 7,1 – 8) – wegen seiner Gottesfeindschaft
nicht mehr in der Zwölf-Stämme-Systematik erscheint. Dazu MITTMANN-RICHERT,
Demetrios, besonders 195 – 201; hier auch ausführlich zu den unterschiedlichen Syste-
men der Ordnung der Jakobssöhne im Alten Testament und der sie weiterführenden
Rezeption im ägyptischen Diasporajudentum. Der Autor von „Joseph und Aseneth“
greift hier ganz offensichtlich eine eschatologisch geprägte Stämmesystematik auf,
die ihm aus seinem Diasporaumfeld bekannt war. Dass gleichzeitig und als eigent-
licher Anstifter der gegen den Gott Josephs gerichteten Aktion der Sohn Pharaos den
Anschlag auf Aseneth ausführt (JosAs 24,1 – 19), zeigt die Doppelgesichtigkeit der
Gottesfeindschaft: Sie geht sowohl von heidnischer als auch von jüdischer Seite aus,
wobei – anders als bei der Frage der Heilsgewinnung – in der Feindschaft gegen Gott
den Heiden das „Prärogativ“ zuerkannt wird, was allerdings den Abfall der Israel-
Söhne von Gott nur schlimmer macht. Am Ende der Asenethschrift wird also die
Integration in das eschatologische Gottesvolk – ganz unabhängig von der Zugehö-
rigkeit zum Volk Israel oder zu den Heiden – allein von der Treue zum Gott Josephs
abhängig gemacht. Die Tatsache allerdings, dass am Schluss Aseneth für die abtrün-
nigen Brüder Josephs bittet (JosAs 28,1– 17) und deren Ende – anders als im Falle des
Sohnes Pharaos – offen bleibt, zeigt die generelle Vorordnung Israels vor die Hei-
denvölker und ist ein Indiz für den ganz Israel geltenden Erlösungswillen Gottes,
während die in Gottesfeindschaft befangenen Heiden, trotz der Heilungsbemühun-
gen Levis, ihrer endgültigen Vernichtung entgegensehen (JosAs 29,1 – 7; vgl. 27,1– 5).
– Sind aber die feindlichen Fronten, die sich in der Schrift auftun, als Elemente einer
heilsgeschichtlichen Systematik identifiziert, dann verlieren sie ihre Signifikanz als
Joseph und Aseneth 271

aber, den Gott aus dem Gericht errettet, öffnet er seinen Transzendenz-
bereich, öffnet er die himmlische Welt.
Da nun aber die Weisheit in „Joseph und Aseneth“ vierfach per-
sonifiziert erscheint, ist die letzte, entscheidende Frage, die es noch zu
beantworten gilt, die nach dem inneren Zusammenhang der Figuren.

4. Die offenbarungsgeschichtliche Integration der Heiden


Grundlegend für die Erhellung der weisheitlichen Systematik der
Schrift ist die Erkenntnis, dass das eschatologische Zu-Gott-Kommen
des Menschen in der prophetischen und apokalyptischen Tradition
nicht auf Israel beschränkt bleibt, sondern die Heiden mitumgreift. Die
eschatologische Gemeinschaft Israels und der zum Zion strömenden
und dem Gott Israels huldigenden Völker prägt die alttestamentliche
Endzeiterwartung (vgl. Jes 25,6 – 8). Das aber heißt, dass im Blick auf
die heilvolle Vollendung der Geschichte die Menschheit als ganze An-
teil an der transzendenten Gottesgemeinschaft bekommt. Allerdings
wird auch in ihrer Gänze die Menschheit stets als erwählungsge-
schichtlich geteilt vor Augen gestellt und wird die Nachordnung der
Heiden immer betont. Mit der Vorstellung also, dass am Ende auch die
Heidenvölker bei Gott selbst ihre Ruhe finden, geht die Schrift „Joseph
und Aseneth“ nicht über den Erwartungshorizont des Alten Testa-
ments und des frühen Judentums hinaus. Was sie aber von anderen
Schriften unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Weisheit als Ruheort
des unter Gottes Flügeln Schutz suchenden Menschen männlich und
weiblich zugleich personalisiert wird. Das wiederum bedeutet – da die
Weisheit präexistent ist – insofern eine grundlegende Wandlung des
Offenbarungsverständnisses, als der Gott Israels bzw. der Gott der
Hebräer (JosAs 11,10) als der schon immer den Heiden zugewandte
Gott erkannt wird. Die Erwählung Israels dient also von vornherein
dem Ziel, den Gott Israels vor aller Welt zu offenbaren. Die nationale
Entgrenzung der Weisheitsvorstellung vollzieht sich in der Aufspal-
tung der Person der Weisheit in zunächst zwei Personen – Bruder und
Schwester (JosAs 15,8) –, deren Unterschiedenheit der durch die Er-
wählung Israels konstituierten heilsgeschichtlichen Trennung Israels
und der Völker entspricht, die als Paar aber das dem Menschen univer-
sell verheißene Heil der himmlischen Gottesgemeinschaft verbürgen.

historische Indizien und sind nicht geeignet, als Grundlage einer Datierung der
Schrift zu dienen. Gegen SÄNGER, Erwägungen.
272 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Ist in diesem Sinne die Differenzierung des geschichtlichen Her-


austretens Gottes aus sich selbst in Gestalt der männlich und weiblich
personifizierten Weisheit zunächst geeignet, die erwählungsgeschicht-
liche Trennung der Menschheit offenbarungsgeschichtlich zu veran-
kern und eschatologisch zu systematisieren, dann muss die Systematik
in dem Moment erweitert werden, wo nicht nur das Nebeneinander
der beiden Menschheitsteile in den Blick kommen soll, sondern auch
die Vorordnung Israels vor die Heidenvölker kraft der Erwählung des
Volkes. Anders gewendet: Da die Heidenvölker nur durch Vermittlung
Israels Zugang zum Gott Israels haben und ihre Erkenntnis des einen
Gottes nicht unmittelbare, sondern vermittelte Erkenntnis ist, muss die
weisheitliche Systematik den geschichtlichen Prozess der an die Hei-
den vermittelten Gottesoffenbarung abbilden. Es wundert daher nicht,
wenn in der Erzählung weiter differenziert wird und in der nochma-
ligen Doppelung der Personen das universale Offenbarungsgeschehen
von seiner irdisch-geschichtlichen Seite her in den Blick kommt.
Dass diese Doppelung tatsächlich das Entsprechungsverhältnis
zwischen himmlischer und irdischer Welt manifestiert und Ausdruck
universeller Seinserkenntnis ist, zeigt die individuelle Charakterisie-
rung der vier Personen. Es ist ja ganz auffällig, dass Joseph und der
Mensch aus dem Himmel auf der einen Seite, Aseneth und die himm-
lische Person mit Namen „Umkehr“ auf der anderen Seite nicht nur in
ihrer irdischen Erscheinungsform einander gleichen, sondern auch in
ihrer himmlischen Funktion miteinander verschmelzen. Aseneth ist in
der Ewigkeit des himmlischen Gottesreiches nicht als Zufluchtsstadt in
Person neben der Weisheit in ihrer weiblichen Verkörperung vorge-
stellt, sondern sie ist die Schekina, sie ist der vor den Völkern offenbare
Gott. In gleicher Weise ist die eschatologische Funktion Josephs da-
durch festgelegt, dass sein Erscheinen vor Aseneth stets dem Erschei-
nen Gottes selbst in Gestalt des Menschen vom Himmel parallelisiert
wird. Dass in ihrer himmlischen Existenz Joseph und Aseneth selbst als
Verkörperungen der Weisheit erscheinen und personhaft verschmelzen
mit den zuvor als himmlisches Geschwisterpaar von ihnen geschiede-
nen Figuren, entspricht der für das biblische und frühjüdische Schrift-
tum charakteristischen narrativen Abstraktion. Die gegenläufigen Be-
wegungen, die irdische Selbstoffenbarung Gottes auf der einen Seite
und das himmlische Wohnung-Nehmen des Menschen unter den Flü-
geln Gottes auf der anderen Seite, werden als zusammengehörende,
aber heilsgeschichtlich getrennte Akte verstanden und daher auch per-
sonal differenziert. Dass dabei der Wechsel von der irdischen zur
Joseph und Aseneth 273

himmlischen Seinsweise der Protagonisten als eine rituell vollzogene


Transformation vor Augen gestellt wird (JosAs 16,15 – 17,4), liegt in der
Konsequenz der Geschichtlichkeit der mit der Selbstoffenbarung Got-
tes konstituierten gott-menschlichen Gemeinschaft.57
So nimmt zwar unter den alttestamentlichen und frühjüdischen
Weisheitsschriften „Joseph und Aseneth“ eine Sonderstellung ein, aber
nicht wegen ihrer besonderen Personvorstellung, sondern weil diesel-
be den Erkenntnisgrund bildet für die offenbarungsgeschichtliche, und
d. h. zugleich eschatologische, Systematisierung des Verhältnisses Is-
raels zu den Völkern. Dabei spiegelt die uranfängliche Verankerung
des eschatologischen Geschicks der Heiden im Akt der Selbstoffenba-
rung Gottes vor Israel die Diasporasituation wider, in welcher das Le-
ben in der Mitte fremder Völker und die Ferne vom Tempel auf dem
Zion als Grundproblem jüdischer Existenz die theologische Reflexion
in eigene Bahnen lenkte. Dass dieselbe sich auf höchstem Niveau voll-
zog und neue Dimensionen weisheitlicher Abstraktion erschloss, er-
weist das ägyptische Judentum einmal mehr als das zweite geistige
Zentrum der antiken jüdischen Welt. „Joseph und Aseneth“ einseitig
als einen Missions- oder Proselytenroman zu klassifizieren oder gar als
Liebesroman bedeutet die Verkennung der geistigen Strömungen der
damaligen Zeit und reduziert das theologische Anliegen auf einen
pragmatischen oder ästhetischen Kern.58

57 Das offenbarungsgeschichtliche Gesamtbild ist daher von KRAEMER, Aseneth as Wis-


dom 221– 229, nicht richtig erfasst, wenn sie die Transformation Aseneths deutet als
Verwandlung „der Frau Torheit“ – d. h. der fremden Frau, der Verführerin nach Prov
9,13 – 18 – in die Person der Weisheit, „Frau Weisheit“. Dass die Person der Weisheit
auf Erden zunächst als ihr eigenes Gegenbild erscheint, muss schon aus theologi-
schen Gründen als unmöglich abgewiesen werden. Gerade weil Aseneth die Reprä-
sentantin des Heidentums ist, wehrt der Verfasser der Schrift dem möglichen nega-
tiven Missverständnis ihrer irdischen Person, indem er festhält, dass Aseneth anders
war als die Jungfrauen der Ägypter und nicht ihnen glich, sondern denen der He-
bräer, insbesondere Sara, Rebekka und Rahel (JosAs 1,5).
58 Das gilt auch für den Versuch, die Schrift als Dokument eines spezifischen Frauen-
bildes auszulegen, so etwa KRAEMER, Monastic Jewish Women’s Religions; KRAEMER,
Women’s Authorship; KRAEMER, Book of Aseneth; STANDHARTINGER, Frauenbild;
STANDHARTINGER, Joseph und Aseneth 463 (siehe bereits Anm. 51). Die Bedeutung
Aseneths erschließt sich aus ihrer theologischen Funktion, nicht aus ihrem Rollen-
verhalten, das aufgrund ihrer weisheitlichen Identifikation notwendig den Rahmen
soziologischer Muster sprengt. Die Gültigkeit insbesondere auch der auf den ge-
schlechtsspezifischen Rollenvergleich gegründeten Textrekonstruktion STANDHAR-
TINGERs (siehe oben Anm. 8) ist daher einmal mehr zu hinterfragen. Der auf die
einseitige Isolierung soziologisch vordefinierter Elemente gerichtete Einwand ist
auch gegen allgemeiner ausgerichtete Studien zu erheben, die in der Regel von der
Proselytenfrage als dem eigentlichen Thema der Schrift ausgehen. So z. B. DOUGLAS,
Liminality.
274 ULRIKE MITTMANN-RICHERT

Dass eine solche Reduktion religiöser Interessen zu einem verzerr-


ten Bild der Diasporasituation führt, zeigt schließlich auch der Blick
auf die ägyptischen Elemente der Erzählung. Denn Heliopolis (JosAs
1,2f.7; 3,1; 21,2.11) galt als Zentrum der Weisheit (Herodot 2,3; 59 Strabo
17,1,29 60), und der Kult des göttlich verehrten Weisen Imhotep, grie-
chisch Imuthes, des ehemaligen Hohepriesters von Heliopolis, war in
ptolemäischer Zeit im ganzen Land verbreitet,61 gerade in jener Epoche
also, in welche man gemeinhin „Joseph und Aseneth“ datiert. Schon
diese heidnisch-weisheitliche Qualifikation des Ortes, an welchem die
Erzählung spielt, legt den Schluss nahe, dass der Autor bewusst eintritt
in die geistige Auseinandersetzung mit der ägyptischen Weisheit in
ihrer griechisch-hellenistischen Ausprägung. Auch die Selbstverständ-
lichkeit, mit der man auf jüdischer Seite die theologische Abstraktion
mit Hilfe einer multiplen Personifikation der Geschichtsmächtigkeit
Gottes vollzieht, zeigt die eindringliche Beschäftigung mit der ägypti-
schen Religion, die ja ganz von der Vorstellung des hypostatischen
Aus-Sich-Heraustretens der Gottheit geprägt ist.62 Trotz der emphati-
schen Abwehr des ägyptischen Götterglaubens (JosAs 8,5; 10,12; 11,7 –
10 und öfter) fällt dabei auf, wie sehr man bemüht ist, sein weisheit-
liches Element in die israelitisch-jüdische Weisheit zu integrieren und
über die Gestalt Aseneths zu einer offenbarungsgeschichtlichen Syn-
these der Traditionen zu gelangen.63 Die Tatsache allerdings, dass die
Heiden ganz einseitig als Adressaten des jüdischen Gottes und Emp-
fänger seiner Weisheit erscheinen, macht deutlich, dass die theologische
Auseinandersetzung rein innerjüdisch geführt wird 64 – als notwendige

59 „Denn die Bewohner von Heliopolis sollen die gelehrtesten Ägypter sein.“ Text: FEIX
(Hg.), Herodot, I, 199 – 202.
60 Nach Strabo gelten die Priester von Heliopolis als in der Erkenntnis der himmlischen
Dinge (hë eÆpisthÂmh tvÁn oyÆraniÂvn) alle anderen weit überragend. Text: JONES, Geogra-
phy, VIII, 82 – 85.
61 Siehe WILDUNG, Imhotep 289 – 302.
62 Siehe ASSMANN, Einwohnung; HORNUNG, Der Eine, besonders 62 – 149. Siehe ferner
im vorliegenden Band den Beitrag von JANOWSKI, der im Blick auf die jüdische Weis-
heit das tierische Manifestwerden der ägyptischen Gottheiten vor dem Hintergrund
der Hypostasenvorstellung erhellt.
63 In diesen Zusammenhang mag auch die Bienensymbolik gehören, da in Ägypten den
Bienen, entstanden aus den Tränen des mit Heliopolis in besonderer Weise verbun-
denen Sonnengottes Re, schöpferische Mittlerfunktion zuerkannt wurde. Siehe LECLANT,
Biene 788. Dort auch zur Verbindung der Biene zu anderen Göttern, insbesondere der
Göttin Neith, und zum Königtum.
64 So auch BOHAK, Fiction 277; CHESNUTT, Joseph and Aseneth 970; CHESNUTT, Text
300 – 302, allerdings mit jeweils anderem theologischen und soziologischen Akzent.
Zur sozialen Problematik siehe auch CHESNUTT, Setting 40.42, und CHESNUTT, Death
Joseph und Aseneth 275

Vergewisserung des eigenen Glaubens und Befestigung des Bekennt-


nisses zu dem einen Gott, der am Sinai aus seiner Verborgenheit her-
vorgetreten ist und sich dem von ihm erwählten Volk offenbart hat.
Dass in diesem Prozess die biblischen Figuren Joseph und Aseneth
als Verkörperungen der Weisheit eine gegenüber der ursprünglichen
Erzählung völlig neue theologische Funktion und Bedeutung erhalten,
hängt aber im Falle Aseneths nicht nur mit dem außerjüdischen Vor-
stellungshorizont zusammen, in welchem sich die theologische Refle-
xion der Schrift bewegt und durch welchen sie einen Teil ihrer Impulse
empfängt, sondern auch mit der eingangs erwähnten Tatsache, dass
Aseneth in der alttestamentlichen Josephserzählung als Erzählfigur
keinerlei Beachtung erfährt und ihre Person und Bedeutung geheim-
nisvoll im Dunkeln bleiben. Das Schweigen der alten Quellen über
Aseneth verlangte nach Deutung in einer Zeit, in welcher ein Großteil
des jüdischen Volkes sich wieder im „Lande Josephs“ vorfand und den
Glauben an den Gott, der sich Israel zu seinem Eigentumsvolk erwählt
hatte, in Ägypten bewähren musste. Die Ehe Josephs mit der Tochter
des Priesters von Heliopolis bot der Reflexion den notwendigen An-
knüpfungspunkt für die theologische Bewältigung der aktuellen poli-
tischen Situation der Juden Ägyptens, die offenbarungsgeschichtlich zu
reflektieren allein im Rahmen der Weisheit möglich war.

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Die Christologie in Hebr 1,1– 2,9 und die
Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17

JAN DOCHHORN

1. Ziel

Die Gegenüberstellung Christi und der Engel in Hebr 1,1– 2,9 beruht
auf religionsgeschichtlichen Voraussetzungen, die in diesem Artikel
aufgezeigt werden sollen. Der entscheidende Referenztext ist die Teu-
felsfallsgeschichte der Vita Adae et Evae (Vit Ad 11–17), die als Par-
allele zu Hebr 1,1– 2,9 bisher nur beiläufig berücksichtigt wurde.1 Die
Parallelität der Texte besteht darin, dass in beiden ein Mensch als Welt-
herrscher präsentiert wird, und zwar speziell im Hinblick auf die En-
gel. Der nachfolgende Abschnitt (§ 2) soll zeigen, inwiefern dies in
Hebr 1,1– 2,9 der Fall ist. Daran anschließend soll dasselbe Phänomen
an Vit Ad 11–17 – im Rahmen einer ausführlichen Analyse des Textes –
demonstriert werden (§ 3). Ein Schlussabschnitt wird die Hintergrund
stehenden religionsgeschichtlichen Zusammenhänge skizzieren (§ 4).

2. Ein Mensch als Weltherrscher in Hebr 1,1– 2,9

Am Anfang des Hebräerbriefs kommt offenbar einiges Gewicht Aus-


sagen zu, die sich auf Christi Sein von Gott her beziehen; sie sollen
hier als „wesenschristologisch“ bezeichnet werden. Mit dem Hinweis
auf die Sessio ad dexteram in Hebr 1,3b rücken dann freilich erkennbar
Mitteilungen über eine endzeitliche Inthronisation Christi in den Vor-
dergrund, der auch die meisten Zitationen zur nachfolgenden Ge-
genüberstellung Christi und der Engel zugeordnet werden können
(Hebr 1,5a // Ps 2,7 LXX; Hebr 1,5b // 2 Sam 7,14LXX und 1 Chr 17,13 LXX;

1 Die Proskynese der Engel vor Adam in Vit Ad 14 wird etwa bei BRAUN, Hebräer 37,
als Parallele zu Hebr 1,6 aufgeführt und unter „jüdische Gnosis“ subsumiert. Diese
religionsgeschichtliche Kategorisierung kann nicht aufrechterhalten werden, vgl. § 3.
Der hier diskutierte religionsgeschichtliche Zusammenhang wird auch bei STEEN-
BURG, Worship, angesprochen, allerdings mit ganz anderen Ergebnissen.
282 JAN DOCHHORN

Hebr 1,6 // Dtn 32,43 LXX und Ps 96,7 LXX; Hebr 1,8 – 9 // Ps 44,7– 8 LXX;
Hebr 1,13 // Ps 109,1LXX; Hebr 2,6 – 8a // Ps 8,5 –7 LXX ). Indessen bleibt
die „Wesenschristologie“ immer noch mit Hebr 1,10 –12 // Ps 101,26 –
28 LXX berücksichtigt, und Hebr 1,7 // Ps 103,4LXX verhält sich in dieser
Sache neutral.
Der Grund für die Dominanz des eschatologischen Geschehens
liegt in der paränetischen Funktion der Christus-Engel-Antithese, wie
sie in Hebr 2,1– 4 sichtbar wird: Die Adressaten sollen sich hüten, die
in Christus gegebene endzeitliche Errettung zu vernachlässigen, die-
weil schon das durch die Engel geredete Wort (vgl. Hebr 2,2!), also das
– als Engelwort viel geringere – Gesetz (vgl. Gal 3,19), mit Lohn und
Strafe bewehrt war (zur heilsgeschichtlichen Funktion des noÂmow im
Hebräerbrief vgl. Hebr 7,19.28; 9,19; 10,1).
In der Paränese in Hebr 2,1 – 4 liegt der einzige am Text des Hebräerbriefs selbst
auszumachende Grund für die Gegenüberstellung Christi und der Engel. Ihre
Funktion besteht darin, die Qal-Wachomaer-Struktur in 2,1 – 4 vorzubereiten:
Achtet auf das mit Christus verbundene Heil, denn ihr kennt die Strafen für die
Vernachlässigung des Gesetzes, das ja nur durch die Engel gegeben wurde!
Meines Erachtens besteht keinerlei Anlass, Hebr 1,1 – 2,9 als Polemik gegen
Engelchristologie oder Engelverehrung zu lesen. Hätte der Verfasser eine sol-
che Abzweckung nicht deutlich machen können? 2

Im Einzelnen kann das Verhältnis von Wesenschristologie und Inthro-


nisationsaussagen in Hebr 1,1– 2,9 folgendermaßen bestimmt werden: 3
Angelpunkt ist Hebr 1,3, das in eine wesenschristologische (1,3a) und
eine eschatologische Hälfte (1,3b) zu zergliedern ist: Auf Aussagen
über Christi Verhältnis zu Gott (1,3aa) und seine – fortwährende –
Schöpfungsmittlerschaft (1,3ab), beide im Partizip Präsens (vÍ n, feÂrvn),
folgen Aussagen über die von Christus vollzogene Reinigung von den
Sünden (1,3ba) und seine Sessio ad dexteram (1,3bb), die beide im Aorist
gehalten sind, zunächst im Partizip Aorist (poihsaÂmenow) und dann in
einer finiten Form (eÆkaÂûisen). Die Präsentia bringen das Wesen Christi
zum Ausdruck, die Aoriste sein endzeitliches und damit zu einem be-

2 Zu alternativen Funktionsbestimmungen der Gegenüberstellung Christi und der En-


gel in Hebr 1,1– 2,9 vgl. GLEASON, Angels 90f (Literatur!). GLEASON sieht die Gegen-
überstellung als Abwehr einer im frühen Judentum weitverbreiteten Hoffnung auf
Engel als Heilsbringer.
3 Deutlich anders rekonstruiert BRAUN, Hebräer 32f, das Verhältnis beider Größen. Er
konstatiert für die Christologie des Hebräerbriefs eine Aporie, die durch eine nicht
spannungsfreie Verbindung von „Jesus-war-schon-immer“- und „Jesus-wurde-erst“-
Aussagen verursacht ist. Aporetisch wirkt aber z. B. das Christus-Enkomion in Hebr
1,2ff nun gerade nicht.
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 283

stimmten Zeitpunkt erfolgendes Handeln. Letzteres steht im Fokus der


Darstellung. Wie etwa in der Ascensio Isaiae geht es hier darum, dass
Christus, der schon wesensmäßig in Bezug auf Gott einer bestimmten
Hoheit teilhaftig ist, endzeitlich eine Herrschaftsposition erwirbt.4
Dem Nacheinander von Wesens- und Inthronisationschristologie in
1,3 entspricht chiastisch ein Nacheinander von Inthronisations- und
Präexistenzchristologie in dem vorausgehenden Vers Hebr 1,2, näher-
hin 1,2b: Auf die – endzeitliche – Einsetzung Christi zum Erben des
Alls (1,2ba) folgt die protologische Aussage, dass Gott durch ihn die
Äonen erschaffen habe (1,2bb). Dass Präexistenz- und Wesenschristo-
logie in 1,2b – 3 miteinander korreliert sind, ergibt sich aus dem ge-
meinsamen Schöpfungsbezug (Gott schuf durch den präexistenten
Sohn die Äonen [1,2bb]; der Sohn erhält fortwährend das All durch das
Wort seiner Kraft [1,3ab]). Der eschatologische Einstieg in 1,1– 2a (Gott
redete endzeitlich und abschließend im „Sohn“) sorgt dafür, dass alles
unter dem Vorzeichen des endzeitlichen Christusgeschehens steht.
Für den hier zu erörternden Zusammenhang ist vor allem relevant,
was sich anschließt: Auf die im Aorist dargestellte endzeitliche Sessio
ad dexteram Christi in 1,3 folgt eine ebenfalls aoristische Gegenüber-
stellung Christi und der Engel (1,4: kreiÂttvn genoÂmenow tvÄ n aÆggeÂlvn –
Christus wurde machtvoller als die Engel). Jene wiederum wird durch
mehrere Schriftzitate erläutert (1,5ff ), die gewissermaßen dramatisch
aufgeführt werden, indem der Hebräerbrief sie als Aussprüche Gottes,
teils an Christus, teils an die Engel gerichtet, zur Sprache bringt.5 Sie
fügen sich zunächst nahtlos in die mit der Sessio ad dexteram angedeu-
tete Inthronisationsszenerie: Gott präsentiert seinen aktuell geborenen
Sohn (1,5a // Ps 2,7 LXX ). Ganz im Sinne der alten Königsideologie wird
hier die Inthronisation offenbar als Geburt verstanden.6 Daraufhin

4 Die Asc Isa erzählt von dem Martyrium Jesajas, das sie als Konsequenz zweier Pro-
phezeiungen darstellt, eine davon eine Himmelsreise und eine visionäre Schau des
endzeitlichen Descensus und Ascensus Christi betreffend (Asc Isa 6,1 – 11,40). Diese
sogenannte Vision des Jesaja enthält unter anderem eine Schilderung der – klar sub-
ordinatianisch verstandenen – Trinität (Asc Isa 9,27 – 10,6) und entfaltet damit eine
Wesenschristologie, nach der Christus seit je eine bestimmte Hoheit im Verhältnis
zum Vater einnimmt. Gleichwohl gewinnt Christus mit seinem endzeitlichen Ascen-
sus und Descensus auch eine neue Machtstellung, und zwar setzt er sich auf seinen
himmlischen Thron, nachdem er zuvor stehend war, wird also endzeitlich inthroni-
siert (Asc Isa 11,32). Vgl. hierzu DOCHHORN, Ascensio 37 – 39 (zum Wesen der guten
Geistmächte in der Asc Isa) und 42 – 45 (zur Eschatologie).
5 Zur dramatischen Inszenierung biblischer Texte in der frühjüdischen und frühchrist-
lichen Literatur vgl. DOCHHORN, Apokalypse 316f (dort Anm. 18).
6 Zur Zeugung des Königs als Rechtsakt bei der Inthronisation in Ps 2,7 vgl. KRAUS,
Psalmen 151 –153.
284 JAN DOCHHORN

nennt er sich selbst seinen Vater (Hebr 1,5b // 2 Sam 7,14 LXX und 1 Chr
17,13 LXX). Das Tempus der Zitationsformeln in Hebr 1,5 ist der Aorist;
vielleicht deutet dies die Fortsetzung der in Hebr 1,3b – 4 erzählten
Handlung an.
Thematisch zum Inthronisationsgeschehen passt auch die Auffor-
derung an die Engel, vor dem Sohn, hier näherhin als Erstgeborener
qualifiziert, die Proskynese zu vollziehen (Hebr 1,6b // Dtn 32,43 LXX
und Ps 96,7 LXX ). Doch ergeht diese tatsächlich zu derselben Zeit und
damit in derselben Szene? Der Aorist Konjunktiv mit oÏtan, der für ein
Futurum exactum stehen dürfte,7 deutet auf einen futurischen Zeit-
punkt, und paÂlin wird nicht – wie in Hebr 1,5b – Zitatakkumulation
signalisieren, sondern bezeichnet ausweislich seiner Stellung eher eine
zweite Einführung des betreffenden Herrschers in die bewohnte Welt.
Damit geht Hebr 1,6 auf eine noch ausstehende Ermächtigung Christi
bzw. seine Parusie (vgl. Hebr 9,28: oë XristoÁw . . . eÆk deyteÂroy . . . oÆfûhÂ-
setai). Sie ist als Abschluss des mit 1,3b eingeleiteten Erhöhungsge-
schehens zu verstehen, ähnlich wie vielleicht in Phil 2,9 –11, wo die
Verehrung Jesu Christi durch sämtliche Mächte (2,10 –11) wohl auch
ein noch zu erwartendes Ereignis ist, das an eine ausweislich 2,9 be-
reits vorgefallene Erhöhung Christi anschließt.8
Es reihen sich präsentische Zitationsfomeln an, und das Zitierte
harmoniert nicht mehr mit der Inthronisationsszenerie: Hebr 1,7 // Ps
103,4LXX hebt auf die wesensmäßige Inferiorität der Engel ab und Hebr
1,8 – 9 // Ps 44,7– 8 LXX auf die Superiorität Christi, freilich doch wohl
des endzeitlich Inthronisierten.9 Hebr 1,10 – 12 // Ps 101,26 – 28 LXX
betrifft die Schöpfungsmittlerschaft Christi, gehört also gewiss nicht
in den Inthronisationszusammenhang. Erst in Hebr 1,13, eingeleitet
durch das einem Aorist formal und funktional ähnliche eiÍrhken,10

7 So WINER, Grammatik 356f, unter Verweis auf Mk 8,38; Röm 11,27; Joh 4,25; 16,13;
Apg 23,35; 1 Kor 16,3; 1 Joh 2,28.
8 Zur oben vorgetragenen Auslegung von Hebr 1,6 vgl. die vorzügliche Darstellung
bei LÜNEMANN, Handbuch 76 – 79.
9 Dem Zitat aus Ps 44,7 – 8 LXX in Hebr 1,8 – 9 ist zu entnehmen, dass der Thron des
Angeredeten (= Christus) „in alle Ewigkeit“ (eiÆw toÁn aiÆv Ä now) bestehen
Ä na toyÄ aiÆv
werde. Das heißt nicht, dass er seit jeher bestand, sondern dass er zukünftig immer
bestehen wird. Dies fügt sich gut zur Vorstellung einer endzeitlichen Inthronisation.
Wenn der Angeredete in Hebr 1,9 // Ps 44,8 LXX als „Gott“ prädiziert wird (diaÁ toyÄto
eÍxriseÂn se oë ûeoÁw oë ûeoÂw soy), so dürfte diese Prädikation der mit der Inthronisation
verliehene Thronname sein, vgl. Phil 2,9.11. Die Funktion des Psalmenzitats in Hebr
1,8 – 9 wird freilich anderenorts eingehender zu erörtern sein.
10 Zu Perfekten, die Aoristen ähnlich sehen (wegen der Augmentierung) und sich so
verhalten vgl. BLASS / DEBRUNNER, Grammatik § 343 2 (S. 281).
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 285

scheint eine Rückkehr zur Inthronisationsszenerie stattzuhaben, indem


das der Sessio ad dexteram zugrunde liegende Psalmwort (Ps 109,1LXX )
zitiert wird (Hebr 1,3b klingt deutlich an Ps 109,1LXX an). Damit schließt
sich ein Bogen zum Beginn der Inthronisationsszenerie in Hebr 1,3b. Es
kann nun ein angelologisches Resumée, die Inferiorität der Engel be-
treffend, folgen (1,14) und – endlich – in 2,1– 4 die Paränese, auf die
Christologie und Angelologie in Hebr 1 gleichermaßen abzielen (siehe
oben).
Danach freilich kehrt die Argumentation noch einmal zum Gegen-
satz Christus versus Engel zurück, nämlich mit einer Zitation und Aus-
legung von Ps 8,5 –7 LXX in Hebr 2,5 – 9, mit der zugleich zur anschlie-
ßend entfalteten Passionsthematik übergeleitet wird (Hebr 2,10 –18).
Diese Zitation ist hier von großer Wichtigkeit, doch vorerst sei beach-
tet, dass sie sich kategorial von den Schriftzitaten in Hebr 1,5 –1,13
unterscheidet: Sie ist keine Gottesrede; die Zitationsformel lautet
diemartyÂrato de poy tiw leÂgvn („es hat an einer Stelle aber jemand be-
zeugt“ – Hebr 2,6); passend dazu wird im Zitat ja auch Gott angeredet
(von wem auch immer!). Diese Zitation gehört also nicht in den Zu-
sammenhang der in Hebr 1,3b – 5 dargebotenen – und in Hebr 1,6 the-
matisch weitergeführten – Inthronisationsszenerie (zu der 1,13 zurück-
zulenken scheint), sondern bleibt rein argumentativ. Wir haben es mit
einem anderen Textsegment zu tun, das gleichwohl, wie nachfolgend
zu zeigen sein wird, eine entscheidende Verständnishilfe für die In-
thronisationsszene in Hebr 1,3bff darstellt.
Für den hier zu erörternden Zusammenhang ist nun entscheidend,
dass der in Hebr 1,3bff inthronisierte „Sohn“ nicht Christus als „Abglanz
Gottes“ (Hebr 1,3a), sondern Christus als Mensch ist. Dies wiederum
ergibt sich aus dem bereits erwähnten Zitat, das noch einmal die Anti-
these Christus versus Engel begründet, nämlich der Repetition von Ps
8,5 –7 LXX in Hebr 2,6 – 8a, und aus deren nachfolgender Ausdeutung in
Hebr 2,8b – 9. Dort nämlich wird Christus, dem im Unterschied zu den
Engeln die „künftige bewohnte Welt“ (hë oiÆkoymeÂnh hë meÂlloysa) unter-
geordnet ist (2,5), eindeutig als der „Mensch“ (aÍnûrvpow) bzw. „Sohn
des Menschen“ (yiëoÁw toyÄ aÆnûrvÂpoy) von Ps 8,5 LXX identifiziert.
Wenn es die „künftige bewohnte Welt“ ist, die dem „Menschen“ untergeordnet
wird, so deutet dies auf ein noch ausstehendes Ereignis. Dies legt sich auch
aufgrund der Stichwortübereinstimmung mit Hebr 1,6 nahe (oiÆkoymeÂnh!). Es
geht im folgenden Zitat und seiner Auslegung also um die in Hebr 1,6 ange-
sprochene zukünftige Ermächtigung des Inthronisierten. Das zeigt vielleicht
auch oyÍpv oërv
Ä men in 2,8 an.
286 JAN DOCHHORN

Dass durch diese Identifikation Christi mit dem „Menschen“ von Ps


8,5 – 7 LXX auf ein Mensch-Sein des inthronisierten Christus abgehoben
wird und dies dem Verfasser des Hebräerbriefs nicht nur selbstver-
ständlich, sondern sogar wichtig war, lässt sich aus fünf Beobachtun-
gen erweisen:
1. Das Mensch-Sein dessen, dem Gott die künftige oiÆkoymeÂnh unter-
geordnet hat, wird rhetorisch inszeniert: Gott hat laut Hebr 2,5
diese nicht Engeln, sondern jemand anderem untergeordnet, der
durch das in Hebr 2,6 einsetzende Zitat wirkungsvoll als „Mensch“
präsentiert wird.
2. Der Leser ist gehalten, den als Konterpart der Engel vor Augen
geführten „Menschen“ sofort mit Christus zu identifizieren. Darauf
wird er durch die antithetische Angelologie in 2,5 gelenkt, die an
die Gegenüberstellung Christi und der Engel in 1,3bff gemahnt.
3. Das Stichwort oiÆkoymeÂnh in Hebr 2,6 erinnert an ein bestimmtes
Element der Gegenüberstellung Christi und der Engel: Als Gott
seinen „Erstgeborenen“ in die oiÆkoymeÂnh einführt, fordert er die
Proskynese der Engel (Hebr 1,6). Dies dürfte den Leser in 2,6 ver-
anlassen, bei dem Menschen, dem alles untergeordnet ist, an den
„Erstgeborenen“ von Hebr 1,6 zu denken, der die Proskynese der
Engel empfängt.
4. Nur von Ps 8,5 –7 LXX // Hebr 2,6 – 8a her scheint ein realer Anlass
gegeben, Christus und die Engel überhaupt gegenüberzustellen: In
keinem der anderen Zitate taucht neben den Engeln klar erkennbar
eine Gestalt auf, die mit Christus zu identifizieren wäre. Ps 8,5 –
7 LXX wird damit der exegetische Nukleus für die angelologisch pro-
filierte Christologie in Hebr 1,1– 2,9 sein. Die Achtergewichtstel-
lung des Zitats – hernach findet eine Kontrastierung Christi und
der Engel nicht mehr statt – und seine besonders enge Vernetzung
mit dem argumentativen Kontext in Hebr 1,3b –13 könnte andeu-
ten, dass der Leser sich dieses Umstandes bewusst werden soll.
Auch in Hebr 1,6 // Dtn 32,43 LXX und Ps 96,7 LXX kommt neben den Engeln
ein ayÆtoÂw zu stehen. Aber eine Proform hat nun einmal, wenn der Kontext
entfällt, keine eindeutige Referenz. Im ursprünglichen Kontext referierte
sie auch auf Gott; die „Umwidmung“ auf Christus kann für den Hebrä-
erbrief schwerer erklärt werden als die entsprechende Umwidmung des
Proskynesemotivs auf Adam in Vit Ad 14 (vgl. § 3).
Wenn ferner in Hebr 1,9 // Ps 44,8 LXX mit den meÂtoxoi („Teilhaber“) des
dort angeredeten Thronenden (= Christus) Engel gemeint sein sollten,
dann stünden auch in diesem Zitat Engel neben Christus (so BRAUN, He-
bräer 40 [Literatur!]). Aber von den meÂtoxoi wird im Zitatkontext nichts
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 287

gemacht. Außerdem sind meÂtoxoi im Hebräerbrief sonst die Christen, vgl.


Hebr 3,1; 6,14; 12,8 und vor allem 3,14 (die Christen als Teilhaber Christi!).
Das Schriftwort in Hebr 1,9 // Ps 44,8 LXX könnte durchaus auf Christus
allein gemünzt sein, wie andere Schriftworte in Hebr 1,3b – 13 auch.

5. Auf etwas Ähnliches wie die Menschlichkeit Christi, nämlich die


Wesensübereinstimmung mit den Erlösten, kommt es im Folgekon-
text ganz entscheidend an: Christus hat wie die von ihm Erlösten
Teil an Fleisch und Blut (2,14, vgl. 2,11). Er wird dementsprechend
als deren Bruder prädiziert (2,11.17).
In diesem Zusammenhang ist auch einmal noch von den Engeln die Rede:
Christus nimmt sich nicht der Engel an, sondern des Samens Abrahams
(2,16). Die Unterordnung der Engel im Verhältnis zu Christus findet hier
ein ekklesiologisches Korrelat. Ähnliches lässt sich schon in Hebr 1,14 be-
obachten, wo den Engeln eine Funktion für die künftig Geretteten zuge-
schrieben wird, die genauso als Erben dargestellt werden (toyÁw meÂllontaw
klhronomeiÄn!) wie in Hebr 1,2 Christus.

Wir dürfen uns aufgrund der Zitation und Auslegung von Ps 8,5 –
7 LXX in Hebr 2,5 – 9 also sicher sein, dass der inthronisierte Sohn in
Hebr 1,1– 2,9 als Mensch zu denken ist. Es herrscht mit Christus in der
Endzeit also ein Mensch als „Erbe des Alls“, der sich nach vollbrachter
Reinigung der Sünden zur Rechten Gottes gesetzt und damit eine
Machtstellung errungen hat, die ihn unter anderem berechtigt, bei sei-
ner Präsentation in der oiÆkoymeÂnh die Proskynese der Engel entgegen-
zunehmen.
Der Vollständigkeit halber soll die exegetische Arbeit des Hebräerbriefs mit Ps
8,5 – 7 LXX erläutert werden: Ps 8,5 – 7 LXX wird (beinahe) umfassend ausgewertet,
und zwar von den Rändern her: Die beiden ersten Zeilen empfangen ihre In-
terpretation im Prätext: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkest, / oder
des Menschen Sohn, dass du ihn heimsuchst?“ (Hebr 2,6b // Ps 8,5 LXX ) ist
aufgrund der Prätextsignale auf Christus zu beziehen. Das zu aÍnûrvpow in
Zeile 1 parallel stehende yiëoÁw toy aÆnûrvÂpoy in Zeile 2 scheint den Ausleger
nicht weiter interessiert zu haben; ein Titel yiëoÁw toy aÆnûrvÂpoy kommt im He-
bräerbrief ansonsten nicht vor. Der betreffenden Zeile ist seine Aufmerksam-
keit von allen wohl am wenigsten zuteil geworden.11 Die Zeilen 3 – 5 (Hebr
2,7 – 8a // Ps 8,6.7b LXX ) werden im Folgekontext gedeutet, und zwar zuerst die
letzte: „Alles hast du unter seine Füße geordnet“ (Hebr 2,8a // Ps 8,7b LXX ) wird
in Hebr 2,8b dahingehend aufgefasst, dass damit der so gezeichnete Weltherr-
scher wirklich alles beherrscht. Vermutlich wird damit auf die Suprematie

11 Vgl. GRÄSSER, Beobachtungen, der konstatiert, dass dem Verfasser des Hebräerbriefs
an der Menschensohnterminologie in Ps 8,5b LXX nicht gelegen war (speziell S. 409).
Dieser Befund ist wichtig für die Klärung der Frage, ob im Hebräerbrief Menschen-
sohnchristologie realisiert oder wenigstens im Hintergrund aktiv ist.
288 JAN DOCHHORN

Christi über die Engel abgehoben. Danach werden die Zeilen 3 – 4 „Du hast ihn
ein wenig unter die Engel erniedrigt, / mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn
gekrönt“ (Hebr 2,7 // Ps 8,6 LXX ) ausgelegt, und zwar auf ein Geschehen, das
der in Zeile 5 geschilderten Unterordnung des Alls vorausgeht: Christus wurde
zunächst ein wenig unter die Engel erniedrigt und dabei mit Herrlichkeit und
Ehre gekrönt, damit er für jeden (?) den Tod schmecke.12 Seine Herrschaft über
das All hingegen ist jetzt „noch nicht“ (oyÍpv) zu sehen, damit allerdings im-
plizit in der Zukunft. Zeile 3 – 5 werden also in Christus-Geschichte umgesetzt.
Erneut erweist sich der Verfasser des Hebräerbriefs, der in Hebr 1 Bibelverse
dramatisch umgesetzt hat, als Meister einer narrativen Exegese.13

3. Ein Mensch als Weltherrscher in Vit Ad 11–17

Wie in Hebr 1,1– 2,9 fungiert auch in Vit Ad 11–17 ein Mensch als
Weltherrscher, und dies wird auch dort speziell im Hinblick auf die
Engel demonstriert. Vit Ad 11–17 erzählt eine Geschichte vom urzeit-
lichen Fall des Teufels, die partiell im frühen Judentum, vor allem aber
im frühen Christentum erhebliche Verbreitung gefunden hat, daneben
bei den Mandäern und nicht zuletzt im Koran.14 Im Christentum ist sie
später sukzessive von dem auf Jes 14,12 –15 basierenden Luzifermythos
verdrängt worden.15 Die Teufelsfallsgeschichte von Vit Ad 11 – 17
dürfte, wie auch hier noch einmal gezeigt werden wird, in der Vit Ad

12 Hebr 2,9 ist in der Auslegung heftig umstritten. Probleme bereitet vor allem der
oÏpvw-Satz, der im Grunde nahelegt, dass die Krönung Jesu mit Ehre und Herrlichkeit
vor dem Todesleiden stattfand, was aber gewöhnlich nicht akzeptiert wird. Hinzu
kommt die Variantenbildung xaÂriti ûeoyÄ versus xvriÁw ûeoyÄ in dem betreffenden Satz,
vgl. hierzu VON HARNACK, Korrekturen 235 – 245, und (wohl besser!) LÜNEMANN,
Handbuch 87f.103f.
13 Die Auslegung des Psalmenzitats in Hebr 8,8b – 9 lässt Ps 8,7a LXX (kaiÁ kateÂsthsaw
ayÆtoÁn eÆpiÁ taÁ eÍrga tv Ä n soy) unberücksichtigt. Es fehlt auch in zahlreichen
Ä n xeirv
Textzeugen, unter anderem dem Codex Vaticanus und der Koinê-Überlieferung. Im
Grunde besser ist die Bezeugung für einen Langtext mit Ps 8,7a LXX in Hebr 2,7
(Sinaiticus, Alexandrinus, Übersetzungen etc.). Weil dieser Teilvers aber in der nach-
folgenden Auslegung überhaupt keine Berücksichtigung findet, dürfte der Langtext
indes sicher sekundär sein; so entscheidet auch NA27. Äußere Kriterien sind in der
Textkritik des Neuen Testaments offenbar nicht immer entscheidend.
14 Vgl. DOCHHORN, Apokalypse 52f, dort Anm. 39.
15 Der Luzifermythos, dem zufolge der Teufel der in Jes 14,12 – 15 erwähnte Morgen-
stern ist, der seinen Thron über den Wolken errichten und dem Höchsten gleich sein
wollte, ist erstmalig datierbar belegt bei Origenes, De Principiis I,5,2 – 5. Er stellt die
Standardversion der Teufelfallsvorstellung in der späteren kirchlichen Literatur dar,
vgl. etwa Isidor, Liber Sententiarum I,10,5 – 12 (PL 83,554 – 556); Petrus Lombardus,
Liber Sententiarum II,6 (PL 192,662 – 664); Thomas Aquinas, Summa Theologiae, q. 63
(BAC 77,435 – 447).
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 289

ihren ursprünglichen Sitz haben; 16 die anderen Belege sind damit mit-
telbar oder unmittelbar Derivate der in Vit Ad 11–17 bezeugten Ver-
sion.
Die Vita Adae et Evae stellt eine Erzählung über das Leben Adams
und Evas nach deren Vertreibung aus dem Paradies dar. Sie ist in einer
lateinischen, einer armenischen und einer georgischen Version erhal-
ten, die mehr oder weniger stark voneinander abweichen; 17 es existie-
ren fragmentarische Zeugen einer koptischen Version.18 Die lateinische
Version wurde am ehesten bekannt, und gleichwohl ist sie es, die noch
am wenigsten editorisch bearbeitet erscheint; in neuerer Zeit hat sich
vor allem PETTORELLI um die Vit Ad (lat) verdient gemacht.19 Der aus
den drei Versionen (mehr oder weniger sicher) zu erschließende
Grundtext der Vit Ad kann als redaktionelle Fortentwicklung der
ebenfalls vom Leben Adams und Evas handelnden Apokalypse des
Mose (Apc Mos) erwiesen werden, und zwar speziell eines Zweigs von
deren Textüberlieferung, nämlich des Subarchetypen *Ia, der nicht nur
der Vit Ad, sondern auch den griechischen Handschriften A AC Ath C
sowie der Gruppe Va-P 1-slavisches Adambuch zugrunde liegt.20 Vit Ad
erscheint damit als Teil einer griechischsprachigen Tradition, und dies
legt nahe, dass ihr Grundtext griechisch war.21 Dies wird auch durch

16 Vgl. dazu schon DOCHHORN, Apokalypse 91f.143f.


17 Vgl. DOCHHORN, Apokalypse 38 – 54.
18 Die Fragmente der koptischen Version sind nach älteren Vorarbeiten vorläufig ediert
bei DOCHHORN, Apokalypse 55 – 60.
19 Zu den Ausgaben der Vit Ad (lat) vgl. DOCHHORN, Apokalypse 41 – 46. Am ehesten
wurde die Ausgabe von MEYER, Vita (1878), bekannt (vgl. DOCHHORN, Apokalypse
41f). Die Arbeiten PETTORELLIs (vgl. DOCHHORN, Apokalypse 45f ) sind bisher vor
allem vorwärtsweisend, weil es ihm gelungen ist, eine altertümliche Version der Vit Ad
(lat) ausfindig zu machen (in Paris, BNF lat. 3832 und Mailand, Bibliotheca Ambro-
siana O 35 sup [nur Exzerpte]), die Vit Ad (georg), Vit Ad (arm) und nicht zuletzt
Apc Mos näherstehen als die bisher bekannten Textformen. Relevant ist vor allem,
dass es in Paris, BNF 3832 eine synoptische Parallele zum Sündenfallbericht der Eva
in Apc Mos 15 – 30 gibt. Diese liegt auch in Vit Ad (georg) und Vit Ad (arm) vor,
nicht aber in den bisher bekannten Versionen der Vit Ad (lat).
Aus der Überlieferung des Westens ist uns eine solche Parallele allerdings auch schon
länger bekannt, nämlich aus dem mittelirischen Versepos Saltair na Rann, vgl. DOCH-
HORN, Apokalypse 19 (dort Anm. 7). Ob die irische Überlieferung von der *Vit Ad
(lat) oder der griechischen Vit Ad abhängig ist, sei hier dahingestellt.
20 Vgl. DOCHHORN, Apokalypse 34 – 36 – dort Hinweis auf die bahnbrechenden Vorar-
beiten von NAGEL (1971). Vgl. auch das Stemma der Textzeugen zur Apc Mos bei
DOCHHORN, Apokalypse 657.
21 Vgl. DOCHHORN, Apokalypse 38f.
290 JAN DOCHHORN

Überreste einer griechischen Sekundärüberlieferung bestätigt.22 Die


Apc Mos dürfte ins erste nachchristliche Jahrhundert gehören, und die
Vit Ad wird nicht wesentlich später entstanden sein, da sie zum einen
schon recht früh durch Sekundärüberlieferung bezeugt ist (etwa in Ev
Phil 15) 23 und sich zum anderen durchgängig als Produkt genau des-
selben – jüdischen – Milieus erweist, das auch die Apc Mos und den
von ihr derivierenden Subarchetypen *Ia hervorgebracht hat.24
Statt der Bezeichnungen Apc Mos und Vit Ad werden häufig andere Titula-
turen verwendet, die vor allem dem Anliegen geschuldet sind, den Titel „Apo-
kalypse“ für eine Erzählung über das Leben Adams und Evas zu vermeiden.
Die Apc Mos heißt häufig „Griechisches Leben Adams und Evas“ (GLAE), und
die drei Adam-Viten „Armenisches, Georgisches und Lateinisches Leben Adams
und Evas“ (ArmLAE, GeorgLAE, LatLAE). Diese Titulaturen sind aus mehreren
Gründen abzulehnen:
1. Sie verwischen den Unterschied zwischen der Apc Mos einerseits und den
drei Versionen der Vit Ad andererseits. Dies wird vor allem im Falle von
Vit Ad (arm) prekär. Es existiert nämlich auch eine armenische Überset-
zung der Apc Mos.
2. Mit guten Gründen wendet man sich zunehmend von Bezeichnungen wie
„Athiopisches Henochbuch“ oder „Syrisches Baruchbuch“ oder „Slavi-
scher Henoch“ ab, die fälschlich suggerieren, dass man es mit Erzeugnissen
einer durch die jeweilige Sprache geprägten Kultur zu tun habe. Man sollte
diese überholte Titulatur bei der Apc Mos und der Vit Ad nicht auch noch
einführen. Die Sprachgestalt eines parabiblischen Textes sollte grundsätz-
lich nach seinem eigentlichen Titel vermerkt werden; als Beispiele seien
genannt 1 Hen (aeth); 4 Esra (lat); 4 Esra (aeth), Apc Mos (gr), Apc Mos
(arm).
3. Die Vermeidung des Titels „Apokalypse“ für eine Erzählung über das Leben
Adams und Evas beruht auf dem Klischee, dass eine Apokalypse notwen-
digerweise im Sinne des herkömmlichen Apokalyptikbegriffes funktionie-
ren müsse. Aber dieser gehört selbst auf den Prüfstand: Gab es überhaupt
ein „apokalyptisches Judentum“? 25 Abgesehen davon müssten wir dann

22 Zur griechischen Sekundärüberlieferung der Vit Ad (gr) gehören die zahlreichen


griechischen Belege der Teufelsfallsgeschichte (vgl. DOCHHORN, Apokalypse 52f, dort
Anm. 39) sowie Kontaminationen aus Vit Ad (gr) in den Textzeugen C und der
Gruppe Va-P 1-slavisches Adambuch, vgl. Lemma °26,2c bei DOCHHORN, Apokalypse
409 und Lemma °29,6k ibidem 421 – 425. Material aus Vit Ad (gr) dürfte auch in der
Apocalypsis Sedrach und der Apocalypsis Esdrae Graeca zu finden sein, vgl. dazu
als Textausgabe WAHL (Hg.), Apocalypsis.
23 Vgl. hierzu DOCHHORN, Getreide.
24 Vgl. DOCHHORN, Apokalypse 91 – 93.139 – 147; zum jüdischen Charakter dieses Mi-
lieus vgl. ibidem 149 – 172.
25 Vgl. WOLTER, Apokalyptik, der unter anderem schreibt: „Gegen die Annahme, dass
‘Apokalyptik‘ so etwas wie eine ‘historische Strömung‘ war bzw. soziologisch veror-
tet werden kann oder dass es so etwas wie eine ‘apokalyptische Bewegung‘ gab,
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 291

auch die zahlreichen Apokalypsen in Nag Hammadi umbenennen, die wir


gewöhnlich im Anschluss an die Codices, also mit durchaus ernst zu neh-
mendem Grund, als solche bezeichnen. Ein solcher Grund liegt auch in der
Apc Mos vor, vgl. deren Superscriptio, die den nachfolgenden Text als
Offenbarungsschrift präsentiert.

Die nun anschließende Nacherzählung der Teufelsfallsgeschichte in


Vit Ad 11–17 beschränkt sich auf das wahrscheinlich ursprüngliche
Material, und dies bedeutet vor allem, dass der Rekurs auf den Luzifer-
mythos in der Mehrzahl der bisher bekannten Rezensionen der Vit Ad
(lat), vgl. dort § 15, unberücksichtigt bleibt.26 Sie kennzeichnet ferner-
hin die Basistexte, aufgrund derer die Teufelsfallsgeschichte entwickelt
wurde. Diese ist nämlich wie fast alle Erzählungen der Apc Mos und
der Vit Ad ein narrativ-exegetisches Elaborat: Die Teufelsfallsgeschich-
te in Vit Ad 11–17 erzählt, wie Adam nach einer zweiten Verführung
Evas durch den Teufel (Vit Ad 9 –10) von diesem erfährt, warum er,
der Teufel, ihn und seine Frau so erbittert bekämpft. Der Teufel berich-
tet Adam, dass er ihnen gegenüber deshalb so feindlich agiere, weil er
um Adams willen seiner Doxa, seiner Nähe zu Gott, seiner himmli-
schen Wohnungen und der Gemeinschaft mit den Engeln verlustig ge-
gangen und auf die Erde gestürzt worden sei (Vit Ad 11–12). Die
Situation, in der sich dies ereignet habe, sei der Zeitpunkt der Er-
schaffung Adams gewesen (Vit Ad 13): Als Gott diesem den Lebens-
odem eingehaucht habe (< Gen 2,7), sodass er zum Ebenbild Gottes
geworden sei (< Gen 1,27), da habe Michael zuerst Adam zur Pros-
kynese vor Gott veranlasst (13,2), bevor Michael dann, nachdem er
selbst mit gutem Beispiel vorangegangen sei, die Engel aufgefordert
habe, vor Adam als dem Ebenbilde Gottes die Proskynese zu vollziehen

spricht ein ganz elementarer Sachverhalt: Weder im frühen Judentum noch im frühen
Christentum noch überhaupt in der antiken Welt gab es einen einzigen Menschen,
der sich selbst als ‘Apokalyptiker‘ bezeichnet hätte oder den seine Umwelt als
‘Apokalyptiker‘ identifiziert hätte“ (174). WOLTER versucht „Apokalyptik“ gleich-
wohl als metaprachlichen Terminus zu retten, freilich durch den Versuch einer Neu-
definition. Vielleicht sollte man ihn besser ganz fallen lassen. Er regt nicht gerade
selten zu textfernen Debatten an.
26 Für den synoptischen Vergleich bietet ANDERSON / STONE (Hg.), Synopsis, eine Über-
sicht; daneben ist auf jeden Fall der in Anm. 15 erwähnte Pariser Textzeuge zu halten,
vgl. PETTORELLI (Hg.), Vie.
Der oben genannte Rekurs auf den Luzifermythos in Vit Ad 15 fehlt in Vit Ad
(arm.georg) sowie im Pariser Textzeugen (vgl. PETTORELLI [Hg.], Vie 14). Er ist damit
sicher sekundär.
292 JAN DOCHHORN

(14,1; < Dtn 32,43 Q/LXX [4Q Deut q ]; Ps 96,7 LXX, vgl. Hebr 1,6; 27 < Apc
Mos (*Ia) 16,2).28 Ja, in der Tat: Dies ist die Aufforderung, die an die
Engel erging! Das Vokabular ist bei dem, was Adam im Hinblick auf
Gott tut, in den unterschiedlichen Versionen der Erzählung dasselbe
wie bei der von den Engeln im Hinblick auf Adam abverlangten Hand-
lung. In Vit Ad (lat) etwa steht beide Male adorare („anbeten“), in der
armenischen Parallele erkir paganel („zu Boden fallen“).29 Wir dürfen
als griechischen Grundbegriff proskyneiÄn ansetzen (vgl. die Sekundär-
überlieferung in Apc Sedrach 5,2; Didascalia Christi 23; Quaestiones
Bartholomaei 4,54) 30 und können hier offenlassen, welcher Gestus da-
mit genau gemeint gewesen ist.31 Dem Teufel nun mag diese Auffor-
derung Michaels nicht gefallen: Er weigert sich mit der Begründung,
dass er eher erschaffen sei als Adam und darum nicht er Adam, son-
dern Adam ihm die Proskynese schulde (< Lib Jub 2,2).32 Die dem
Teufel zugeordneten Engel schließen sich seiner Weigerung an (Vit Ad
15). Daraufhin zürnt Gott dem Teufel und seinen Engeln und lässt sie
vom Himmel auf die Erde vertreiben. Dort angekommen, missgönnt
der Teufel, nachdem er den Verlust seiner Herrlichkeit wahrgenommen
hat, Adam den Aufenthalt im Paradies und sorgt dafür, dass er aus
diesem vermittels seiner Frau vertrieben wird, wie zuvor er, der Teu-
fel, vertrieben worden war (Vit Ad 16; < Apc Mos 16,3b).33 Das ist die

27 Dtn 32,43 LXX liest kaiÁ proskynhsaÂtvsan ayÆtv Äì paÂntew yiëoiÁ ûeoyÄ: dieser Text findet in
Dtn 32,43 MT keine Entsprechung, wohl aber in 4Q Dtn q, das Õihla lk ul uuxtwhu bietet.
Zu 4Q Dtn q vgl. SKEHAN / ULRICH, 4QDeut q. In Ps 96,7 LXX steht proskynhÂsate ayÆtv Äì,
paÂntew oië aÍggeloi ayÆtoyÄ, vgl. Ps 97,7 LXX : Õihla-lk ul uuxtwh.
28 In Apc Mos 16,2 bietet Subarchetyp *Ia den Zusatz: oÏmvw proskyneiÄw toÁn eÆlaxistoÂ-
teron („Gleichwohl fällst du vor dem so geringen [scilicet Adam] nieder?“), vgl.
Lemma °16,2f bei DOCHHORN, Apokalypse 308. Der Zusatz gehört einer Frage des
Teufels an die Schlange an. Sie vollzieht demnach die Proskynese vor Adam.
29 Zur Vit Ad (arm) vgl. STONE (Hg.), Penitence (Edition), und STONE, Penitence (Über-
setzung).
30 Zur Apc Sedrach vgl. WAHL (Hg.), Apocalypsis, zur Didascalia Christi NAU (Hg.),
Didascalie, zu den Quaestiones Bartholomaei BONWETSCH (Hg.), Fragen.
31 Wahrscheinlich ist eher ein Niederfallen im Blick (vgl. Apc Joh 19,10) als eine knieend
dargebotene Kusshand (so bei Herodot I,134). Im erstgenannten Sinne jedenfalls hat
Vit Ad (arm) den Gestus wiedergegeben (siehe oben). Zu adorare als Korrelat für
proskyneiÄn vgl. GEORGES, Handwörterbuch, I,147 (sub voce: ad-ōro § 2b).
32 Laut Lib Jub 2,2 wurden die Engel am ersten Schöpfungstage erschaffen. Wenn der
Teufel, wie Vit Ad 11– 17 voraussetzt, ein Engel war, gilt dies auch für ihn.
33 Apc Mos 16 berichtet, wie der Teufel die Schlange verführt, sodass diese ihm dann
als Werkzeug für die Verführung der Erzeltern dient. In Apc Mos 16,3 sagt er zur
Schlange: aÆnaÂsta kaiÁ deyÄro, kaiÁ poihÂsvmen ayÆtoÁn eÆkblhûh Ä nai eÆk toyÄ paradeiÂsoy, vëw
kaiÁ hëmeiÄw eÆjeblhÂûhmen di’ ayÆtoyÄ („Steh auf und komm, und sorgen wir, dass er her-
ausgeworfen wird aus dem Paradies, wie auch wir herausgeworfen worden sind um seinet-
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 293

Geschichte des Teufels, und nachdem Adam sie sich angehört hat, be-
kennt er zunächst, dass sein Leben in Gottes Händen sei (< Ps 31,6),
um dann Gott zu bitten, dass er diesen Feind von seinem Angesicht
entfernen und dessen verloren gegangene Herrlichkeit ihm selbst zu-
kommen lassen möge. Der Teufel ist unmittelbar danach verschwun-
den (Vit Ad 17).
Dieser Geschichte hat man gelegentlich eine gnostische Provenienz
oder die Zugehörigkeit zu einer jüdischen Gnosis attestiert.34 Sie kann
aber als genuiner Bestandteil der ganz und gar ungnostischen Vit Ad
gelten, die wie die Apc Mos dem Judentum entstammen dürfte (siehe
oben). Dies mag die nun erfolgende Rekonstruktion ihrer exegetisch-
narrativen Substruktur erweisen, die zugleich das in ihr aktivierte kos-
mische Ordnungsdenken offenlegen wird:
1. Mit seiner Erzählung reagiert der Teufel auf die Frage, warum er
sich gegen Adam und Eva feindlich verhalte. Faktisch aber erklärt
er, warum er dafür gesorgt hat, dass Adam aus dem Paradies ver-
trieben wurde, wie auch er selbst aus seiner Doxa vertrieben wor-
den sei (vgl. Vit Ad [lat] 16 nach Anm. 33). Dies ist der Zielpunkt
der Geschichte, und dieser findet eine klare Parallele in Apc Mos
16,3b, wo der Teufel die Schlange auffordert, mit ihm zusammen
die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies zu bewirken,
„wie auch wir vertrieben worden sind um seinetwillen“. Der Hin-
weis des Teufels auf eine vormalige Vertreibung seiner selbst – und
der Schlange (?) – wirkt im Kontext von Apc Mos 16 rätselhaft;
wahrscheinlich haben die Verfasser von Apc Mos 16 hier etwas
gewusst, was sie an gegebener Stelle nur andeuten wollten (das ist
bei einem esoterischen Literaturprodukt, als welches die Apc Mos
zu bestimmen ist, ohne Weiteres denkbar).35 Die Teufelsfallsge-

willen“), vgl. DOCHHORN, Apokalypse 306.649f. Vgl. dazu Vit Ad (lat): et feci te expelli
per eam de delitiis laetitiae tuae, sicut ego expulsus sum de gloria mea – zitiert nach MEYER,
Vita 226.
34 Die Kennzeichnung von Vit Ad 11 – 17 als „gnostisch“ findet sich etwa bei BRAUN,
Hebräer; vgl. auch MERK / MEISER, Leben 766f (Literatur!).
35 Zur Apc Mos als esoterischem Literaturwerk: Generell lässt sich die Beobachtung
machen, dass im Verlaufe der Entstehungsgeschichte der Apc Mos gleichermaßen
wie der nachfolgenden Vit Ad die kongeniale Ausdeutung älterer Arbeitstexte eine
große Rolle spielte: Speziell Apc Mos 15 – 30 (die Erzählung der Eva vom Sündenfall,
wohl zur ältesten Schicht der Apc Mos gehörig) war als Arbeitstext wichtig. Ihm
entnahm man Ideen für neue narrative Kreationen, die dann auch noch dieselbe
biblisch-exegetische Grundlage aufnahmen und weiterentwickelten wie der Vorla-
gentext, so etwa paradigmatisch bei der Geschichte von der Nahrungssuche Adams
294 JAN DOCHHORN

schichte dürfte dies rätselhafte Moment in ihrem Vorlagentext auf-


gegriffen und amplifiziert haben.
Auf diese Weise sind die Erzähler der Sondergutpassagen der Vit Ad, wel-
che diese der Apc Mos voraus hat, oftmals verfahren, vgl. das Beispiel in
Anm. 35. Solche Übereinstimmungen in der Bauart zeigen, dass die Teu-
felsfallsgeschichte genuiner Bestandteil des Vit Ad-Sondergutes ist.

2. Den Ausgangspunkt der vom Teufel erzählten Geschichte von sei-


ner Vertreibung bildet die Erschaffung Adams zum Ebenbild Got-
tes, die eine vom Teufel nicht akzeptierte Herrschaftsposition
Adams begründet. Vorausgesetzt ist eine Exegese von Gen 1,27,
welche die Gottesebenbildlichkeit für Adam und damit den Mann
reserviert. Diese Auffassung liegt auch Apc Mos 10 –12 zugrunde,
wenn dort nicht Eva, wohl aber Seth die Gottesebenbildlichkeit
zugesprochen wird (vgl. Gen 5,3!), siehe dazu DOCHHORN, Apo-
kalypse 282 – 284; die gleiche Interpretation von Gen 1,27 bezeugen
Ber R 8 passim und 1 Kor 11,7. Die Gottesebenbildlichkeit wird
speziell mit der Behauchung Adams assoziiert. Es wird also Gen
2,7 in Gen 1,27 eingelesen; das Verfahren der kombinatorischen
Lektüre ist generell typisch für die der Apc Mos und der Vit Ad
zugrunde liegende exegetische Arbeit (vgl. DOCHHORN, Apokalyp-
se 162f). Interpretiert wird, wie das Proskynesemotiv anschaulich
macht, die Ebenbildlichkeit im Sinne eines Herrschaftstitels. Dies
kann prinzipiell Gen 1,26 – 27 entnommen werden, wo die Gottes-
ebenbildlichkeit des Menschen dahingehend verstanden werden
kann, dass sie eine Herrschaft des Menschen über die Tiere be-
gründet.
3. Das aus Gen 1,27 erschlossene Dominium bestiarum muss hier frei-
lich im Sinne einer Herrschaft über die Engel analogisch ausge-
weitet worden sein. Dies wird durch die Proskynese der Engel zum
Ausdruck gebracht. Dass der Vit Ad tatsächlich an einer solchen

und Evas, die durch den Hinweis auf die minderwertige Nahrung der Schlange in
Apc Mos 16,3a angeregt ist und darüber hinaus dieselbe exegetische Substruktur
weiterentwickelt, nämlich eine kombinatorische Lektüre von Gen 3,1 + 3,18 (vgl.
DOCHHORN, Apokalypse 140 – 142). Dieser Befund lässt sich literatursoziologisch am
besten dahingehend erklären, dass der Textentstehungsprozess von Apc Mos 15 – 30
über Apc Mos, Subarchetyp *Ia und schließlich die Vit Ad innerhalb eines Milieus
stattfand, das wie eine Schule arbeitete und intern einen – esoterischen – Text ent-
wickelte, der erst später, als er aus dem Schulmilieu heraustrat und nicht mehr eso-
terisch war, anderen als kongenialen Interpretationen ausgeliefert war, etwa als die
christologische Interpolation in Vit Ad 42 hinzutrat, vgl. Lemma °13,3/5B bei DOCH-
HORN, Apokalypse 257. Vgl. zum Ganzen ibidem 135 – 145.
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 295

Analogie gelegen ist, demonstriert Vit Ad 44 (die synoptische Par-


allele zu Apc Mos 16). Dort wird erzählt, dass die Schlange wie alle
anderen Tiere vor Adam die Proskynese vollzog – ein deutlicher
Rückverweis auf Vit Ad 14. Freilich bot schon die Vorlage von
Vit Ad 44 ein Proskynesemotiv: Im Subarchetyp *Ia der Apc Mos
erscheint der originale Text von Apc Mos 16,2 durch einen Zusatz
erweitert, dem zufolge der Teufel die Schlange fragt, wieso sie vor
Adam, der geringer sei als sie, die Proskynese vollziehe (vgl. Lem-
ma °16,2f bei DOCHHORN, Apokalypse 308). Da wir wissen, dass
die Teufelsfallserzählung im Hinblick auf Apc Mos 16,3 entwickelt
wurde (siehe oben unter Nr. 1), können wir annehmen, dass sie
auch in dieser Sache von Apc Mos 16, diesmal eindeutig in der
rezensierten Gestalt des Subarchetypen *Ia, inspiriert worden ist.
Offen bleibt indes zunächst die Frage, was eine solche Analogie
zwischen Engeln und Tieren eigentlich nahelegt. Der Grund für die
Analogie wird in § 5 genannt werden.
4. Speziell auf eine Proskynese der Engel dürfte der Verfasser auch
durch ein Schriftwort verwiesen worden sein: Die Aufforderung
Michaels an die Engel in Vit Ad 14 klingt an Dtn 32,43 Q/LXX [4Q
Deut q] und Ps 96,7 LXX an, vgl. auch das Zitat in Hebr 1,6, das hier
insofern eine Hilfe ist, als es zeigt, dass eine solche Aufforderung
an die Engel zur Proskynese tatsächlich als Schriftwort im Umlauf
war.
Indes ist es in beiden biblischen Referenztexten gerade nicht ein
Mensch, sei es nun Adam, sei es – wie in Hebr 1,6 – Christus, vor
dem die Proskynese der Engel (respektive Gottwesen, so in Dtn
32,43 Q/LXX ) stattfinden soll, sondern Gott. Wie konnte es zu diesem
Transfer des Anrechts auf Proskynese kommen, der in Vit Ad 14
genauso zum Ausdruck gebracht wird wie in der Hebräerbrief-
Parallele? Interessanterweise lässt sich für die Vit Ad hier eher eine
Antwort finden als für den Hebräerbrief: Die Proskynese kommt
Adam zu, weil er Ebenbild Gottes ist. Sein Anrecht eignet ihm also
per analogiam, und genau dies wird narrativ auch demonstriert, in-
dem Adam, bevor er die Proskynese der Engel empfängt, diese vor
Gott selbst vollzieht. Der Analogieschluss sollte sicher bemerkt
werden, und dementsprechend sollte der Leser wohl durchaus re-
alisieren, dass ein ursprünglich auf Gott bezogenes Schriftwort hier
auf jemand anderen, nämlich Gottes Abbild, bezogen wird.
5. Das Dominium angelorum Adams findet den Widerspruch des Teu-
fels, der darauf hinweist, dass er eher erschaffen sei als Adam. Er
296 JAN DOCHHORN

sagt dies als einer der Engel und setzt damit voraus, dass die Engel
eher erschaffen wurden als Adam. Dieses Wissen dürfte dem Ju-
biläenbuch, speziell Lib Jub 2,2, entstammen, das in der Apc Mos
gleichermaßen wie in der Vit Ad mehrfach als quasi-biblischer
Referenztext Verwendung fand (vgl. DOCHHORN, Apokalypse 122).
Auch hierin erweist sich die Teufelsfallsgeschichte als genuines
Produkt desjenigen Milieus, das die Apc Mos und die Vit Ad her-
vorgebracht hat.
Mit seinem Widerspruch liefert der Teufel allerdings, ohne es zu
wollen, gleich auch eine Begründung für das von ihm abgelehnte
Herrschaftsrecht Adams. Eher als dieser sind ja auch die Tiere er-
schaffen! Dass daran tatsächlich zu denken ist, zeigt erneut Vit Ad
44 (vgl. DOCHHORN, Apokalypse 308 [dort Anm. 4]). Dort stellt der
Teufel der Schlange die Proskynese vor Adam als absurd dar – mit
der Begründung, dass sie schließlich eher erschaffen sei.
6. Vorausgesetzt ist schließlich das Wissen, dass der Teufel einmal ein
Engel war. Dieses dürfte exegetisch nicht so ohne Weiteres herzu-
leiten sein. Wahrscheinlich haben wir es hier mit einem Traditions-
wissen zu tun, dass zur Zeit der Abfassung der Vit Ad schon ei-
nigermaßen etabliert war. Vielleicht war es schon in dem Hinweis
des Teufels auf seine vormalige Vertreibung in Apc Mos 16,3 aktiv,
aber dies ist unsicher, da der Text auch eine Vertreibung der
Schlange anzudeuten scheint, sodass also weniger an einen Engel-
fall zu denken ist. Eher schon liegt ein Implement des Subarche-
typen *Ia in Apc Mos 39,3 auf dieser Linie (vgl. Lemma °39,3a bei
DOCHHORN, Apokalypse 514f). Dieses konstatiert, dass der Thron
des Teufels (im Himmel?) durch seinen Hochmut vakant wurde.
Erneut zeigt sich eine spezielle Affinität zwischen der Vit Ad und
dem Subarchetypen *Ia.
Die Rede vom Teufel als einem ehemaligen Engel könnte auf einer Trans-
formation älterer Traditionen beruhen, in welchen der Teufel schlicht als
ein Engel gedacht wird: In der Rahmengeschichte des Ijob-Buches erscheint
der Teufel unter den Söhnen Gottes (so in Ijob 1,6; 2,1MT ) bzw. den Engeln
(so in Ijob 1,6; 2,1LXX ); es bleibt allerdings offen, ob er nun zu dieser Gruppe
gehört oder nicht (in Apc Mos 17,1b – 17,2a erscheint diese Szene dahin-
gehend gedeutet, dass der Teufel durch Täuschung wie ein Engel erscheint,
vgl. DOCHHORN, Apokalypse 320 – 323). Eindeutig als Engel bezeichnet
wird der dem Finsternisbereich zugeordnete Geist in der Zwei-Geister-
Lehre von Qumran (1Q S III,14 – IV,26), vgl. Ówx Óalm in 1Q S III,20 – 21.
Zur Vorstellung vom Teufel als einem Engel passt die Tatsache, dass der
Teufel in Lib Jub 48,2 eine Funktion bekleiden kann, die in einer synopti-
schen Parallele ein Engel wahrnimmt, vgl. Lib Jub 48,2, wo Mastema Mose
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 297

überfällt, und Ex 4,24LXX, wo diese Aktion einem Engel Gottes zugeschrie-


ben wird; im hebräischen Text kommt diese Rolle noch Gott zu. Auch die
Rede von Engeln des Teufels respektive des Satans könnte in diesen Tra-
ditionszusammenhang gehören, vgl. Apc Joh 12,7.8 sowie Barn 18,1, das als
Teil der sogenannten Zwei-Wege-Lehre 36 eine starke Affinität zu 1Q S
III,12 – IV,26 aufweist. Logisch steht die ältere Tradition freilich in Span-
nung zu der Vorstellung vom Teufel als gefallenem Engel: Er kann eigent-
lich nur entweder Engel oder ehemaliger Engel sein.

7. Adam reagiert auf die Teufelsfallsgeschichte mit einem kurzen Ge-


bet an Gott, in dem er sein Leben als in der Hand Gottes befindlich
erklärt. Das erinnert an das bekannte Commendatio-Motiv aus Ps
31,6, das nicht zuletzt auch in Lk 23,46 Aufnahme gefunden hat.
Vor allem aber entsteht so eine Konstellation, die an Sap Sal 2,23 –
3,1 gemahnt: Auf Aussagen über die Erschaffung des Menschen
(Sap Sal 2,23: „Gott erschuf den Menschen zum Ebenbild seiner
Ewigkeit . . .“, vgl. Vit Ad 13) und die Rolle des Teufels in der
Urzeit (Sap Sal 2,24: „Durch den Neid des Teufels kam der Tod in
die Welt“, vgl. Vit Ad 15ff) folgt eine Aktivierung des Commen-
datio-Motivs, in Sap Sal 3,1 auf die Gerechten, in Vit Ad 17 auf
Adam angewandt. Mehr als eine Affinität zwischen beiden Texten
kann hier nicht festgestellt werden; 37 sie ist für die Teufelsfallsge-
schichte selbst vielleicht auch nicht unbedingt entscheidend.
Wir können festhalten: Vit Ad 11–17 ist ein schriftgelehrt-jüdisches
Elaborat, wie es für die Apc Mos und die Vit Ad typisch ist. Und dieses
Produkt jüdischer Schriftgelehrsamkeit stellt Adam als einen Weltherr-
scher unmittelbar unter Gott dar! Man ist versucht, hier einen Verstoß
gegen das monotheistische Prinzip zu sehen, und in der Tat ist dieser
Vorwurf schon in der mittelalterlichen Rezeptionsgeschichte an die Er-
zählung herangetragen worden.38 Doch gerade das Proskynesemotiv,
das hier besonders anstößig erscheint, weist in die entgegengesetzte
Richtung: Es deutet den derivativen Charakter der Herrschaft Adams

36 Die Zwei-Wege-Lehre ist eine unter anderem in die Didache und den Barnabas-Brief
eingegangene, ursprünglich wohl jüdische Schrift; ihr bester Zeuge ist die lateinisch
in zwei Handschriften erhaltene Doctrina Apostolorum, vgl. hierzu NIEDERWIMMER,
Didache 48 – 64. Für eine erste Orientierung vgl. den Text der Doctrina Apostolorum
bei LIETZMANN (Hg), Didache 3 – 9.
37 Schon FICHTNER, Weisheit 18, zieht Vit Ad 16 zur Erklärung von Sap Sal 2,24 heran.
38 In einer koptischen Engelmonographie kommt dem Teufel der fromme Einfall, seine

Proskyneseverweigerung damit zu begründen, dass diese doch Gott allein zukomme,

vgl. Theodosius, In Michaelem / London Or. 7021 p. 13b:  
   
      („nicht soll es mit mir soweit kommen, dass ich zwei Herren
diene“), zitiert nach BUDGE (Hg.), Coptic Texts 338,2 – 3.
298 JAN DOCHHORN

an. Bevor nämlich Adam die Proskynese empfängt, vollzieht er sie


selbst vor Gott.
Explizit als ein Weltherrscher wird Adam in Vit Ad 11 – 17 nicht bezeichnet,
aber vermutlich ist die im Judentum weit verbreitete Vorstellung mitzudenken,
dass den Engeln kosmosverwaltende Tätigkeiten zugeordnet sind, vgl. etwa
Lib Jub 2, von dem Vit Ad 11 – 17 abhängig ist (siehe oben). Von Vit Ad 11 – 17
derivierende Texte haben verstärkt Signale gesetzt, die auf eine Kosmokratie
Adams hinauslaufen. Dies gilt für Apc Sedr 6,2, wo der Mensch als ein von
Gott eingesetzter klhroÂnomow oyÆranoyÄ kaiÁ ghÄ w bezeichnet wird (vgl. Hebr 1,2!),
oder die christliche Schatzhöhle, dort § 2 (CSCO 486,12ff ), die Adam als einen
urzeitlichen Weltherrscher schildert, der am Ort des Kreuzes in Golgotha auf
dem Gottesthron inthronisiert wird und die Proskynese sowohl der Tiere als
auch der Engel empfängt, oder ebenfalls für die von der Vit Ad abhängigen
Mysteria Iohannis,39 denen zufolge der Teufel Adam beneidete, weil sich Mond
und Sonne vor diesem niederwarfen (Brit Mus, Ms Or 7026, S. 8).40 Zur Ab-
hängigkeit der Schatzhöhle und der Myst Joh von Vit Ad 11 – 17 und der Vit Ad
überhaupt vgl. DOCHHORN, Apokalypse 18f; zur Apc Sedr genügt der Hinweis,
dass sie die Teufelsfallsgeschichte rezipiert (in Apc Sedr 5,2 – 3).

4. Konsequenzen für die Religionsgeschichte des


frühen Judentums und Christentums

Die Ähnlichkeiten zwischen Hebr 1,1– 2,9 und Vit Ad 11–17 sind be-
trächtlich: Laut beiden Texten herrscht ein paradigmatischer Mensch
über die Welt, hier Christus als der „Mensch“ von Ps 8, dort Adam als
Urvater der Menschheit. In beiden wird diese Kosmokratie speziell im
Hinblick auf die Engel demonstriert: Adam wie Christus empfangen
die Proskynese der Engel. Die Herrschaft kommt in beiden Texten dem
Menschen vonseiten Gottes zu: In Vit Ad 11–17 empfängt zuerst Gott
die Proskynese Adams, bevor die Engel sie auf seinen Befehl vor
Adam als seinem Ebenbild vollziehen, und in Hebr 1,1– 2,9 ist es Gott,
der Christus zum Erben des Alls eingesetzt hat (Hebr 1,2) und schließ-
lich, in einer noch zu erwartenden Szene, die Proskynese der Engel vor
dem Sohn fordert. Die motivischen Übereinstimmungen zwischen den
Texten sind zu dicht, als dass hier nicht an einen traditionsgeschicht-
lichen Zusammenhang zu denken wäre.
Dieser traditionsgeschichtliche Zusammenhang lässt sich zunächst
allgemein dahingehend benennen, dass es im frühen Judentum (und

39 Zu den Myst Joh vgl. GEERARD, Clavis § 333 (S. 213).


40 Vgl. BUDGE (Hg.), Coptic Apocrypha 62.
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 299

von ihm abgeleitet im frühen Christentum) die Vorstellung einer von


Gott derivierenden menschlichen Kosmokratie gab. Diese Vorstellung
ist in der Tat weiter verbreitet, als man zunächst annehmen möchte:
Abraham kann in Test Abr 10 auf Befehl Gottes den göttlichen Thron-
wagen besteigen und einmal den Weltregenten spielen – mit wenig
erbaulichen Folgen (Nachklänge des Test Abr finden sich vielleicht im
Märchen vom Schneider im Himmel, vgl. GRIMM, Kinder- und Haus-
märchen Nr. 35). Moses darf in der Exagogê des Dramatikers Ezechiel
(bei Eusebius, Praeparatio Evangelica IX,29,5) auf einem Thron Platz
nehmen, der sich vom Sinai her bis in den Himmel erhebt. Der Thro-
nende übergibt Mose das Szepter und überlässt ihm seinen Platz, und
Mose zählt die Sterne (vgl. Ps 146,4, wo dies Gott tut), die ihm vor die
Knie fallen.41 Und nach 4Q 521, Frgm II, Kol II, Z. 1 werden Himmel
und Erde auf den Gesalbten Gottes hören. Im 3. Henoch-Buch schließ-
lich nimmt Henoch als Metatron die Position des von Gott eingesetzten
menschlichen Weltherrschers ein (3 Hen 4 – 20).42 Ähnlich wie in Vit Ad
11–17 wird dabei die Herrschaft Metatrons speziell gegen die Engel
profiliert: Metatron ist über fast alle Engel gesetzt (Ausnahme: die 8
YWJ-Fürsten – 3 Hen 13). Ihm entsteht bei seiner Erhöhung die Geg-
nerschaft von Engeln, deren letzter auch als Teufelsgestalt bekannt ist
( Uzzah, Azzah und Aza el, vgl. 3 Hen 6).43 Ähnlich wie Adam in
Vit Ad 11–17 ist er dabei der altersmäßig eigentlich Nachrangige. Dar-
um trägt er den Titel „Jüngling“ (ryn, vgl. 3 Hen 4 – 6, speziell 6 44 ).
Wir kennen schon aus § 3 die Frage, wie dieses Konzept sich mit
den Prinzipien einer monotheistischen Religion vereinbare. Im Juden-
tum dürfte diese wohl deswegen kaum aufgekommen sein, weil die
jeweilige Kosmokratie so eindeutig derivativ erschien. Zur Monotheis-
mustauglichkeit dieser Konzeption wird auch zu beachten sein, dass
immerhin der Islam, gemeinhin streng monotheistisch orientiert, die
von Vit Ad 11–17 derivierende Teufelsfallsgeschichte aufgenommen
hat (vgl. Koran 2,30 – 39; 7,11– 24; 15,26 – 43; 17,61– 65; 18,50; 20,115 –
123; 38,71– 85). Die Proskynese der Engel vor jemand anderem als Gott
war dort offenbar kein Problem. Und im Christentum war eine Kos-
mokratie Christi erst recht dann kein Gegenstand des Anstoßes mehr,

41 Zur Thronvision des Mose in der Exagogê vgl. VAN DER HORST, Throne.
42 Vgl. hierzu SCHÄFER / HERRMANN (Hg.), Übersetzung 9 – 48.
43 Die Gestalt des Aza el ist vor allem aus der Wächterengelüberlieferung bekannt, vgl.
etwa 1 Hen 6ff. Eine diabolische Rolle spielt er in Apc Abr 14, wo er als der Verführer
Adams und Evas im Paradies agiert.
44 Vgl. SCHÄFER / HERRMANN (Hg.), Übersetzung 15f.
300 JAN DOCHHORN

als die wesensmäßig göttliche Natur Christi immer mehr zu einem


Spezifikum des Christlichen geworden war.
Und doch gab es kritische Stimmen: In 3 Hen 20 konstatiert der für
seine Häresien bekannte Acher bei einer Himmelsreise, die ihn der
Machtfülle Metatrons ansichtig machte, dass es zwei Gewalten im
Himmel geben müsse. Sofort wird Metatron einer Bestrafung unter-
zogen (vgl. SCHÄFER / HERRMANN [Hg.], Übersetzung 46 – 48). Eine
ähnliche Geschichte wird auch über Adam erzählt: Laut Ber R 8,10
wollten die Engel, als Gott Adam geschaffen hatte, vor Adam die Qe-
dûšâ sprechen. Da ließ Gott einen Schlaf auf Adam fallen (Erschaffung
der Frau! – Gen 2,21).45 Hier wird ein Prärogativ Gottes auf Verehrung
hervorgehoben, und zwar gegen Adam; eine Frontstellung gegen
Vit Ad 11–17 kann durchaus vermutet werden.
Die Berührungspunkte zwischen Vit Ad 11–17 und Hebr 1,1– 2,9
gehen über die allgemeine Tatsache, dass im frühen Judentum eine von
Gott derivierende menschliche Kosmokratie gedacht werden konnte
(und mehrfach realisiert wurde), in einigem hinaus: Beide Texte teilen
Momente einer Inthronisationsszenerie, insonderheit die aus Schrift-
zitaten erschlossene Engelproskynese. Es bleibt zu fragen, ob diese Ge-
meinsamkeiten nicht eine spezielle traditionsgeschichtliche Affinität
begründen, etwa dahin gehend, dass im Hebräerbrief Momente einer
Adam-Christologie zu vermuten wären. Ob dies der Fall ist, wäre im
Rahmen einer weiteren Untersuchung zu klären, die nicht zuletzt
1 Kor 15 einzubeziehen hätte, das Hebr 1,1– 2,9 nahesteht und auf jeden
Fall Adam-Bezüge aufweist. Hier mag der nicht ganz unbeträchtliche
Befund genügen, dass im frühen Judentum und im frühen Christen-
tum ein Mensch – nach dem Willen Gottes – die Welt in der Gesamtheit
von Himmel und Erde beherrschen konnte.

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45 Zu Ber R 8,10 vgl. den Text bei THEODOR /ALBECK (Hg.), Bereschit Rabba I,63f. Zu
rabbinischen Reaktionen auf Hoheitsaussagen über Adam vgl. FOSSUM, Adam.
Christologie in Hebr 1,1 – 2,9 und Weltherrschaft Adams in Vit Ad 11 – 17 301

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Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch

CHRISTFRIED BÖTTRICH

Zu den zentralen Gestalten der großen biblischen Erzählungen gehört


die Gestalt des Urvaters Henoch, des Siebenten nach Adam, nicht. Der
Sethitenstammbaum in Gen 5 widmet ihm ganze 4 Verse, was – abge-
sehen von dem rätselhaften Hinweis auf seine Entrückung – nicht
mehr ausmacht als der Abschnitt über Enosch, Kenan, Mahalalel oder
Jared.1 Erst die nachbiblische Überlieferung hat Henoch zum Heros
einer umfangreichen Literatur gemacht, die ihn nun als den überra-
genden Offenbarungsempfänger der Urzeit darstellt und zum obersten
Funktionsträger im Hofstaat Gottes avancieren lässt.2
In diesem Zusammenhang spielt auch unter den Figuren des
2. Henoch-Buches der Urvater, der dieser Schrift den Namen gibt,3 er-
wartungsgemäß die Hauptrolle. Seine Himmelsreise, die Offenbarun-
gen, die er in der Thronwelt Gottes empfängt, und die Rückkehr zum
Zweck der Unterweisung seiner Söhne präsentieren ihn als den maß-
geblichen Handlungsträger. Selbst die Entstehung eines priesterlich
verfassten Kultes, mit deren Schilderung das Buch schließlich zur Flut
und damit zum Ende der Urzeit überleitet, speist sich noch ganz aus
den Impulsen der Mahnreden Henochs. Dabei bleibt der „weise Mann
und große Meister, den der Herr aufnahm“ (1a,1) in den narrativen
Rahmen der biblischen Urgeschichte eingebunden. Im Gegensatz zu
dem disparaten Charakter jener im 1. Henoch-Buch versammelten
Überlieferungen hat der Autor des 2. Henoch-Buches diesen Rahmen

1 Gen 5,21 – 24 (eine Auflistung der Namen des Sethitenstammbaums bietet auch 1 Chr
1,1– 4); die Erwähnung Henochs im Kainitenstammbaum steht in einem anderen
Zusammenhang; weitere Anspielungen finden sich in Sir 44,16; Hebr 11,5 – 6; Jud
14 – 15.
2 Grundlegende Bedeutung hat das 1. Henoch-Buch; vgl. vor allem MILIK (Hg.), Books
of Enoch; BLACK (Hg.), Apocalypsis; UHLIG, Henochbuch; BLACK, Book of Enoch;
NICKELSBURG, Enoch; vgl. weiterhin zur älteren Henoch-Tradition noch Jub 4,13 – 26.
3 Die wichtigste Ausgabe der slavischen Texte bietet SOKOLOV, Materialy; VAILLANT,
Livre; im Folgenden beziehen sich Zitate vor allem auf BÖTTRICH, Henochbuch
(Handschrift R, längere Fassung); eine synoptische Präsentation der beiden Text-
rezensionen bietet die englische Übersetzung von ANDERSEN, Apocalypse.
304 CHRISTFRIED BÖTTRICH

durch eine eigenständige, stringent konzipierte Erzählung ausgefüllt.


Zwar übernimmt er den Grundbestand seines Stoffes aus den Vorga-
ben der älteren Henoch-Tradition,4 doch das Bild der biblischen Urzeit
im Ganzen gewinnt für ihn noch einmal eine neue, gestaltende Kraft.
Die Henoch-Gestalt des 2. Henoch-Buches hat in der Forschung
bislang die größte Aufmerksamkeit auf sich ziehen können. Vor allem
ihre Typik im Übergang von der apokalyptischen Tradition zur frühen
jüdischen Mystik ist in letzter Zeit wieder nachdrücklich herausgestellt
worden.5 Sehr viel weniger Beachtung haben indessen die weiteren
Figuren der biblischen Urgeschichte gefunden, mit denen der Patriarch
im 2. Henoch-Buch in vielfachen Wechselbeziehungen steht. Deshalb
möchte ich mich in dem vorliegenden Beitrag vor allem auf jene Fi-
gurenkonstellation konzentrieren, die als Kontext der Henoch-Gestalt
erscheint.

1. Vorüberlegungen

Der biblische Horizont des 2. Henoch-Buches ist durch den klar um-
grenzten Bestand der Urgeschichte vorgegeben.6 Auf der Erzählebene
bleibt dieser zeitliche Rahmen konsequent gewahrt. Anachronismen
meidet der Autor mit sichtbarer Sorgfalt.7
Für einen solchen intertextuellen Bezug existieren im 1. Jahrhun-
dert n. Chr. bereits verschiedene Modelle.8 Sie alle verfolgen das ge-
meinsame Anliegen, den alten Text unter veränderten Umständen neu
zur Sprache zu bringen. Ob das in Form eines Kommentares, einer

4 Das betrifft vor allem die Überlieferung vom Engelfall, der Himmelsreise Henochs,
des astronomischen Buches sowie der Mahnreden; genaue Nachweise bei BÖTTRICH,
Henochbuch 807f.
5 Nach den ersten frühen Hinweisen von H. ODEBERG (1928) und G. SCHOLEM (1941)
jüngst in monographischer Breite bei ORLOV, Enoch-Metatron Tradition.
6 Dass der Bezug auf Gen 1 – 11 bereits von einer reichen Auslegungsgeschichte be-
gleitet wird, ändert nichts an dieser Begrenzung. Größtes Interesse haben dabei die
Entrückung Henochs (Gen 5,24) und der Engelfall (6,1 – 4) gefunden; ansonsten wer-
den vor allem die Adam- und die Noah-Geschichte in den Offenbarungen an die
Adresse des Urvaters neu akzentuiert.
7 Das wird z. B. erkennbar an den Bezügen auf die ihrem materialen Gehalt nach
allgegenwärtige Tora, die sich terminologisch jedoch nur in so vorsichtigen Wendun-
gen wie „Gesetzlosigkeit“ oder „gesetzlos handeln“ bzw. in der Metapher vom
„Joch“ niederschlagen; vgl. BÖTTRICH, Weltweisheit 176 – 196. Da 2 Hen im Gegensatz
zu 1 Hen nicht an der Geschichte, sondern vor allem an der Kosmologie interessiert
ist, fehlt es auch an vaticinia, die über die Urzeit hinausweisen könnten.
8 CHARLESWORTH, Biblical Interpretation.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 305

ausschmückenden Nacherzählung, einer Fortschreibung oder einer


völligen Neufassung geschieht – in jedem Falle schlagen sich darin
neue theologische Einsichten nieder. Das betrifft auch das „Recycling“
biblischer Figuren,9 die nun zu Trägern modifizierter, aktualisierter
oder ausdifferenzierter religiöser Identität werden.

1. 1 Biblische Figuren als Repräsentanten religiöser Identität

Damit wird jedoch eine methodische Frage grundsätzlicher Art aufge-


worfen: Inwiefern kann der „Heros“ einer Schrift auch als „Patron“
oder „frontman“ einer bestimmten, soziologisch beschreibbaren Trä-
gergruppe in Anspruch genommen werden? Muss man aus der Exis-
tenz von Henoch-Schriften zwangsläufig auch einen „Enochic-Juda-
ism“ folgern? 10 Wären dann analog auch ein Esra-Judentum, eine
Baruch-Gruppe oder eine breite Mose-Bewegung zu postulieren? Vor
allem aber: Gestattet die Favorisierung einer Figur auf Kosten anderer
Erzähltraditionen schon einen Rückschluss auf Gruppenrivalitäten? Ist
die Aufwertung einer Repräsentationsfigur zwangsläufig Ausdruck
der Abwertung bzw. Polemik gegen eine andere? Diese Position ist in
jüngster Zeit gerade mit Blick auf das 2. Henoch-Buch nachdrücklich
vertreten worden. ANDREI ORLOV hat das Profil der Figuren Henochs
und Melchisedeks im 2. Henoch-Buch im Sinne eines polemischen
Grundmusters interpretiert.11 Ich möchte dieser These im folgenden
widersprechen.12

1. 1. 1 Henoch und Adam

Zunächst erkennt A. ORLOV im 2. Henoch-Buch eine breit gestreute


„Adam-Polemik“. Unbestreitbar bleibt, dass zwischen den Figuren
Adams und Henochs zahlreiche Korrespondenzen bestehen.13 Das liegt

9 BRENNER / VAN HENTEN (Hg.), Biblical Figures.


10 So die These von BOCCACCINI, Essene Hypothesis, die viel Zustimmung, aber auch
manche kritischen Einwände erfahren hat, vgl. z. B. ALBANI, Zadokite Judaism.
11 ORLOV, Enoch-Metatron Tradition. Die Thesen des Buches finden sich auch in zahl-
reichen Aufsätzen zwischen 1998 und 2006 wieder, die mittlerweile noch einmal in
einem Buch zusammengefasst sind: ORLOV, Apocalypticism.
12 Vgl. bereits unseren Disput: BÖTTRICH, Melchizedek; ORLOV Nature; dazu meine
Rezension zu „The Enoch-Metatron Tradition“ in DSD, voraussichtlich 2008.
13 Zu Recht bezieht sich A. ORLOV hierbei auch auf die Arbeiten von STONE, Fall, und
ALEXANDER, Son.
306 CHRISTFRIED BÖTTRICH

auch nahe, denn erst die Verfehlung Adams macht ja die neuen Offen-
barungen an Henoch erforderlich.14 Kann man jedoch behaupten, dass
Henoch nun Adam gezielt verdrängen würde? A. ORLOV versucht an-
hand von acht Motiven nachzuweisen, dass im 2. Henoch-Buch eine
Übertragung bzw. Verschiebung von Eigenschaften und Funktionen
von Adam auf Henoch in polemischer Absicht stattgefunden habe.
Von diesen acht Motiven halten meines Erachtens allein zwei einer
kritischen Rückfrage stand, indem sie eine gezielte Anspielung auf
Adam-Traditionen erkennen lassen: Das betrifft zum einen jene Szene,
in der Henoch vor dem Thron Gottes Verehrung durch die Engel des
himmlischen Hofstaates erfährt,15 zum anderen den Bezug auf das Öl,
durch dessen Anwendung sich Henochs Verwandlung in einen der
„Herrlichen des Herrn“ vollzieht.16 Aber dadurch wird Adam nicht
einfach „verdrängt“ – vielmehr stellt seine Geschichte erst das Modell
bereit, das nun von Henoch positiv aufgenommen und überboten wer-
den kann!
Vier weitere Motive zielen auf Analogien, bei denen sich ein kon-
kreter Bezug nur sehr bedingt feststellen lässt – sei es, weil die Text-
basis zu unsicher ist,17 oder sei es, weil die jeweiligen Kontexte zu
verschieden sind:
1. Dass Henoch als ein König der Erde fungiere und damit in Adams
praelapsarische Rolle eintrete, stellt eine Überinterpretation des
Textes dar 18 – Adams Herrschaft erstreckte sich zudem auf die Erde,

14 Folgerichtig verknüpft Henoch seine Belehrungen sachlich und didaktisch angemes-


sen mit der Geschichte von Herrlichkeit und Fall der Voreltern.
15 2 Hen 22,6 – 7. Hier liegt die Assoziation zu jener Überlieferung, nach der ein Teil der
Engel die von Gott geforderte Verehrung des Menschen verweigert, der von Michael
geführte Teil sie aber vollzieht (vgl. VitAd 13 – 16), nahe. Dennoch gilt die Verehrung
in 2 Hen 22,7 nicht Henoch, sondern „dem Herrn“, womit die Engel lediglich ihre
Opposition gegen den Eintritt eines Menschen in die Thronwelt aufgeben!
16 2 Hen 22,9 – 10. Die Episode ApkMos 9 /VitAd 36, die vom Begehren des todkranken
Adam nach dem Öl vom Baum des Lebens im Paradies erzählt, stellt ebenfalls einen
nahe liegenden Bezug dar.
17 A. ORLOV greift die Lesarten der sehr komplexen handschriftlichen Überlieferung
ganz nach Bedarf und Belieben auf, ohne begründete textkritische Urteile zugrunde
zu legen. Die Möglichkeit von Interpolationen lehnt er ab, ohne die jeweiligen Ar-
gumente im Einzelnen zu widerlegen.
18 Adams königliche Rolle wird in 2 Hen 30,12 und 58,2 klar benannt; Henoch indessen
nimmt nur im Kreis seiner Sippe die Funktion des Patriarchen wahr. Der von A.
ORLOV präsentierte Titel „Governor of the World“ (2 Hen 43,1) basiert auf einer
Wendung der kürzeren Handschriften, die sich lexikalisch nicht eindeutig bestimmen
lässt und Konjekturen notwendig macht: Inhaltlich geht es darum, dass Henoch auf
Gottes Befehl hin die gesamte Schöpfung ausmisst und „aufschreibt“. ORLOV,
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 307

Henoch hingegen verbleibt als oberster Engel in der Welt Gottes


und ist allein von dort aus auch für die Belange zuständig, die das
Leben der Menschen auf der Erde betreffen.19
2. Der Titel „Knabe / Naar“, dessen sporadisches Auftauchen in ei-
nigen Handschriften der kürzeren Fassung außerdem einer ge-
naueren textkritischen Klärung bedürfte,20 genügt noch nicht, um
einen bewussten Bezug auf die „Jugend“ Adams als Grund für die
verweigerte Verehrung durch die Engel nachzuweisen.21
3. Das Motiv des göttlichen Angesichtes, als dessen Abbild Adams
ursprüngliche Herrlichkeit wie auch Henochs himmlischer Glanz
erscheinen, verbindet beide Protagonisten zwar miteinander,
beschreibt letztlich jedoch nur die Existenzbedingungen in der
Gegenwart Gottes, auf die Adam bis zu seiner Wiederannahme
warten muss, deren Henoch bei seiner Entrückung einleuchtender-
weise aber schon gewürdigt wird.22

Enoch-Metatron Tradition 218 Anm. 29, polemisiert gegen meinen Verweis auf
VitHen („dubious associations“), den er falsch verstanden hat: Ich hatte darauf ver-
wiesen, dass in VitHen als einzigem Text der Henoch-Tradition von Henoch könig-
liche Würde auf Erden ausgesagt sei, und erwogen, ob hier ein (wie auch immer
gearteter) Rückbezug der rabbinischen Henoch-Überlieferung auf 2 Hen 39,8 beste-
hen könne.
19 2 Hen 36,3 (U/A); 64,5; 67,2. Henoch ist dabei nicht mehr als eine Art oberster
Dienstengel, dessen Aufgabe vor allem in der Protokollierung aller menschlichen
Taten und des endzeitlichen Gerichtes besteht. Königliche Funktion hätte er allein,
wenn er auf Erden agierte.
20 Die Belege werden von A. ORLOV nur unvollständig genannt (vgl. die ungleich ver-
teilte Lesart in B/V: 1,8; B: 9,1; 10,4; 24,2; V: 20,2; 21,3; 22,5). Er verschweigt, dass es
sich bei B und V zudem um die schlechtesten Handschriften der kürzeren Fassung
handelt. Eine Verschreibung des Vokativs im Bereich der slavischen Überlieferung
(,Junosche‘ statt ,Jenosche‘ – aus I-o wird I-c-; beide Varianten finden sich in B und V
nebeneinander) liegt hier meines Erachtens näher als die Bewahrung einer ursprüng-
lichen Lesart inmitten eines ansonsten stark korrumpierten Wortlautes. Dennoch bleibt
diese Variante natürlich merkwürdig und sollte immerhin in Betracht gezogen werden.
21 Einen solchen Bezug könnte man von der Hekhalotmystik aus, wo der Titel pro-
grammatisch verwendet und auch erklärt wird, herstellen. Vom 2. Henoch-Buch aus
trägt diese Brücke nicht.
22 ORLOV, Enoch-Metatron Tradition 229 Anm. 77, weist meine Argumente für den se-
kundären Charakter von 2 Hen 22,1 und 39,3 – 8 ohne ein einziges Gegenargument
ab, was in der Tat „dramatic consequences“ hat! Für 2 Hen 22 habe ich zudem eine
Interpolation nicht pauschal, sondern präzis nur für 22,1 (einen Vers, der nur in J/P
steht) nachgewiesen; für 39,3 – 8 sind die Spannungen dreifacher Art: hinsichtlich der
Kapitelfolge (40 schließt einfacher an 38 an), hinsichtlich der Sache (Widerspruch
zwischen einer Betonung von Henochs „menschlicher Natur“ und seiner zuvor be-
richteten Verwandlung, Spannung zwischen dem Shi ur-Qoma-Motiv und der sons-
tigen Zurückhaltung gegenüber einer Beschreibung Gottes), hinsichtlich des Wort-
lautes (39,3/22,1; 22,1 schließt die Beschreibung des 8. – 10. hebräisch benannten
Himmels ab und fällt damit völlig aus dem gesamten Schema von 7 Himmeln heraus).
308 CHRISTFRIED BÖTTRICH

4. In diesen Zusammenhang gehört auch das Shi ur-Qoma-Motiv,


dessen Textbasis in 2 Hen 39 zum einen auf textlich schwankendem
Boden steht, dessen Anwendung auf Adam und Henoch zum an-
deren außerhalb des 2. Henoch-Buches liegt: Adams Erschaffung
und Namensgebung hat in 2 Hen nichts mit den Körpermaßen
Adams zu tun, sondern ist Ausdruck seines Bezuges auf die ma-
terielle Schöpfung; 23 die überdimensionale Körperlichkeit Henochs
wiederum wird erst in der späteren mystischen Tradition zum The-
ma.24
Zwei weitere Motive, die A. ORLOV anführt, ermangeln eines Bezuges
auf Adam ganz. Erstens: Bei der befristeten Rückkehr in den Kreis
seiner Söhne verweigert Henoch irdische Speise, was A. ORLOV mit
dem Hunger-Motiv der Voreltern nach ihrer Vertreibung aus dem Got-
tesgarten in Verbindung bringt – Henoch sei folglich wieder in den
ursprünglichen, der Speise nicht bedürftigen Stand Adams gelangt.25
Adam und Eva essen jedoch sehr wohl und wissen lediglich nicht, wie
sie sich außerhalb des Paradieses Nahrung beschaffen sollen. Henoch
indessen hat teil an einer anderen Existenzweise in Gottes Welt, für die
es keine Nahrungsaufnahme mehr gibt.26 Zweitens: Ganz unklar bleibt,
wieso Henoch in der Rolle einer Erlösergestalt Adam abwerten sollte.
Zum einen besteht für die gesamte biblische und außerbiblische
Adam-Literatur kein Zweifel daran, dass Adam selbst eine solche Rolle
nicht beanspruchen kann. Zum anderen wird die Erlöserrolle Henochs
von A. ORLOV gegen den klaren Wortlaut des Textes von 2 Hen erst
konstruiert.27 Mehr als dies, dass Henoch durch die Weitergabe göttli-
cher Offenbarung Erlösung verkündigt, lässt sich hier nicht erkennen.28

23 Vgl. ausführlich BÖTTRICH, Adam. Beide Motive (der Körper stammt von den 7 oder 8
Elementen der Welt, der Name von den 4 Himmelsrichtungen) fügen sich in das
Bildungsmilieu hellenistischer Popularphilosophie ein.
24 Vgl. die Belege bei ALEXANDER, Son.
25 2 Hen 56,1– 2. Zum Hungermotiv in der Adam-Literatur verweist A. ORLOV auf
ANDERSEN, Penitence.
26 Vgl. noch Tob 12,19; JosAs 16; TestAbr A 4.
27 ORLOV, Enoch-Metatron Tradition 232 – 234. Sein Kardinalbeleg ist 2 Hen 64,5 mit der
Wendung „the one who carried away the sin of mankind“. Meine präsentische Über-
setzung „Wegnehmer der Sünden der Menschheit“, die nur die Erwartung der Äl-
testen, nicht aber die reale Funktion Henochs beschreibt, versucht ORLOV mit einem
philologischen Possenspiel zu widerlegen: Er behauptet frisch (233 Anm. 96), dass
der von dem Verb „otimati / wegnehmen, aufheben“ abgeleitete Begriff „otimitel /
Wegnehmer“ das bereits geschehene Faktum bezeichne! Der grammatische Befund
sieht anders aus: Das Verb ,otimati‘ ist ein imperfektives Verb, sodass hier eben genau
das gegenwärtige oder immer wieder geschehende „Wegnehmen“ bezeichnet wird!
Zuzugeben ist, dass die Wortbildung und die dazugehörigen Belege mit vielen Un-
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 309

1. 1. 2 Henoch und Mose

Ganz ähnlich steht es mit der „Mose-Polemik“, die A. ORLOV zunächst


in einen größeren Kontext einordnet. Schon immer hat man die auf-
fällige Zurückhaltung beobachtet, mit der in den Geschichtsüberbli-
cken der älteren Henoch-Tradition die Sinai-Offenbarung behandelt
wird.29 Stattdessen haftet der Ursprung allen normativen Wissens nun
an der Gestalt Henochs, zeitlich weit vor der Epoche des Mose platziert
und sachlich durch die Unmittelbarkeit der göttlichen Offenbarung
unüberbietbar legitimiert. Verbunden mit der These der literarischen
Gestaltung eines „Henoch-Pentateuch“ 30 rückt der Urvater damit als
Lehrer des Gotteswillens deutlich in Konkurrenz zu Mose, die nicht
allein die biblische, sondern auch die außerbiblische Mose-Überliefe-
rung einbezieht. Die Reaktion auf diese Favorisierung Henochs be-
schreibt A. ORLOV unter dem Begriff einer „Mosaic Counterattack“,
deren Niederschlag er bei Philo, vor allem aber in der Exagogê des
Tragikers Ezechiel sowie in Qumran und in der rabbinischen Henoch-
Überlieferung findet.31 Auf der anderen Seite gehört es zu den prägen-
den Zügen der Hekhalotmystik, dass Henoch-Metatron Moses erneut
übertrifft.32 Vor diesem Hintergrund beurteilt A. ORLOV den Typos
Henochs in 2 Hen als Teil eines Diskurses, der die „Mosaic Counter-
attack“ bereits pariert und damit den Weg zur mystischen Karriere des
Urvaters einleitet.

klarheiten behaftet bleiben und deshalb als Basis weitreichender Hypothesen wenig
geeignet sind (vgl. zum ganzen Problem ausführlich KEIPERT, Adjektive). Der Kon-
text bzw. der Sachzusammenhang erzwingt jedoch im vorliegenden Fall eine imper-
fektive Bedeutung: Jede Fürbitte im göttlichen Gericht wird im 2. Henoch-Buch ra-
dikal abgewiesen (7,4 – 5; 53,1 – 3); es kann sich hier also nur um eine Erwartung,
nicht aber um ein bereits vollzogenes Geschehen handeln. Der Vorwurf einer „faulty
methodology“ fällt auf A. ORLOV selbst zurück.
28 Im Vergleich zur älteren Henoch-Tradition (Fürbitte für die Menschen: 1 Hen 83,8.10;
84,2 – 6; 89,57 – 58; für die Engel: 1 Hen 12,6; 13,4 – 7; 14,4; 15,2) hat die strikte Ab-
weisung der Fürbitte im 2. Henoch-Buch programmatischen Charakter. 2 Hen 64,5
kann nicht an diesem klar erkennbaren Anliegen vorbei interpretiert werden.
29 Das betrifft vor allem die „Zehn-Wochen-Apokalypse“ (1 Hen 92,1 – 5; 93,1 –10; 91,11 –
17) sowie die „Tiersymbolapokalypse“ (1 Hen 85 – 90), die sich dezidiert auch mit
Mose befassen; vgl. dazu ORLOV, Enoch-Metatron Tradition 254 – 258.
30 So erstmals DIX, Pentateuch; programmatisch entwickelt von MILIK, Books of Enoch;
ALEXANDER, Son 107f. Inzwischen wird diese These, vor allem in der Auseinander-
setzung mit MILIK, wieder mit größerer Zurückhaltung betrachtet.
31 Ausführliche Nachweise bei ORLOV, Enoch-Metatron Tradition 260 – 270.
32 Vgl. z. B. IDEL, Enoch; ALEXANDER, Son.
310 CHRISTFRIED BÖTTRICH

Dieses Gesamtbild wechselseitiger Überbietungen ist sicher zutref-


fend gezeichnet, wenngleich man daraus auch andere Schlussfolgerun-
gen ziehen kann. Ist es wirklich denkbar, dass die Mose-Tora durch die
Offenbarungen Henochs unterwandert oder gar ersetzt werden sollte?
Liegt es nicht sehr viel näher, ihren Geltungsbereich durch den Rück-
griff auf urzeitliche Offenbarungen ausgeweitet zu sehen – sodass die
Tora letztlich nur als Spezifizierung des universalen Gotteswillens für
die Adresse Israel erscheint? In diesem Falle wäre nicht der Gegensatz,
sondern die Entsprechung das maßgebliche Kriterium: Was in der Ur-
zeit bereits für alle Menschen galt, erfährt am Sinai später noch einmal
eine Konkretisierung. Das Anliegen der „Henoch-Gruppe“ bestünde
dann darin, unter Berufung auf den Urvater die Relevanz der Glau-
benstradition Israels für die Völkerwelt zu erweisen. Warum sonst ge-
winnt die Urzeit für das hellenistische Judentum eine so große Be-
deutung? Doch nur deshalb, weil sich über das Medium urzeitlicher
Gottesoffenbarung auch die universale Geltung des Glaubens Israels
erweisen lässt!
Eine solche Intention hat meines Erachtens mehr Plausibilität als
ein innerjüdischer Gruppenkonflikt um die Mose-Tora, der den Kern-
bereich religiöser Identität auf gefährliche Weise in Frage stellen wür-
de.33 Die spannungsreiche Interdependenz zwischen Henoch und Mose
repräsentiert somit Transformationsprozesse jüdischen Glaubens in
hellenistischer Zeit, die im Zusammenhang einer Ablösung partikularer
durch universale Muster stehen. Dass dies nicht konfliktfrei geschieht,
liegt auf der Hand. Dennoch kann es dem Autor des 2. Henoch-Buches
nicht darum gehen, Henoch und Mose gegeneinander auszuspielen.
Vielmehr liefern ihm ihre unterschiedlichen Typen Modelle, die sich
wechselseitig befruchten.
In diesem Sinne legen auch die Motive in 2 Hen, die A. ORLOV zum
Beleg seiner These zusammenträgt, eine andere als eine „polemische“
Relation nahe. Allein sechs der von ihm genannten zehn Motive bezie-
hen sich unmittelbar auf Ex 33 – 34.34 Diese Analogie ist evident.35 Hin-

33 Gerade seit Esra ist die Konzentration auf die Tora derart dominant, dass eine so
grundsätzlich angelegte Kritik wie im Falle der polemischen Verdrängung Moses
durch Henoch zumindest hart an die Grenze der Apostasie führen müsste, was dann
erst recht für die Lage nach der syrischen Religionskrise gilt.
34 Das betrifft: die Metaphorik und die Schau des göttlichen Angesichts, die Gefahr der
Gottesbegegnung, das Stehen in der Gegenwart Gottes, den göttlichen Abglanz auf
dem menschlichen Gesicht, die Metaphorik der Hand.
35 Dennoch ist gerade im Blick auf das göttliche Angesicht noch einmal auf die textliche
Unsicherheit in 2 Hen 39 zu verweisen; hier muss die Analyse sorgfältiger zwischen
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 311

ter der Gottesbegegnung Henochs scheint durchgängig die Gottesbe-


gegnung des Mose auf – jedoch so, dass Henoch stets einen Schritt
näher zu Gott gelangt als Mose. Die Funktion einer solchen Darstel-
lung besteht darin, Henoch zu legitimieren – mit Hilfe der eingeführ-
ten und unangefochtenen Autorität des Mose! Was man von dem
Gesetzgeber schon weiß, das erfährt man hier nun auch von dem
Patriarchen. Mose ist damit weniger „Counterpart“ als „Vorbild“ für
Henochs Autorität. Und wenn Mose auf Israel, Henoch aber im Kon-
text der Urzeit auf die gesamte Menschheit bezogen ist, dann kann
auch das Moment der Überbietung nicht verwundern. Dadurch wird
die Autorität des Mose nicht reduziert, sondern retrospektiv bis an den
Beginn der Menschheitsgeschichte erweitert.
Zwei andere Motive betreffen die Offenbarungen Henochs vor
Gottes Thron in Gestalt eines „neuen Schöpfungsberichtes“ 36 sowie die
Belehrungen Henochs an seine Söhne in Gestalt einer „neuen Tora“.37
Doch auch hier geschieht nichts anderes als eine aktualisierende Aus-
legung, wie sie durch das Genre der „rewritten bible“ in der zeitge-
nössischen Literatur schon breit etabliert ist. Die biblische Kosmologie
wird dabei mit philosophischen und religiösen Topoi der Umwelt ver-
mittelt,38 während die Mahnreden Henochs die Tora auf die materiale
Basis der noachidischen Gebote zurückführen.39 Mose wird dadurch
nicht verdrängt, sondern in einen universalen Horizont gestellt. Was A.
ORLOV schließlich zu den Schriften Henochs, ihrer Verbreitung und
normativen Geltung aufgreift, lässt sich auch im Sinne eines engeren
und eines weiteren Schrifttums wie in 4 Esr 14,23 – 48 verstehen.40

2 Hen 22 und 39 unterscheiden (siehe oben Anm. 22), was die von A. ORLOV undif-
ferenziert angeführten Belege relativiert.
36 2 Hen 22 – 33; es geht um Offenbarungen aus himmlischen Büchern und aus dem
Munde Gottes.
37 Henochs differenzierte Belehrungen umfassen den gesamten zweiten Teil des Buches
(2 Hen 40 – 67).
38 Vgl. z. B. 3,2 (Äther und Aër); 13,2/30,6 (Tierkreis); 14,2 (gekrönter Helios); 15,4/16,8
(astronomische Zyklen); 23,1/30,6/40,9 (Brontologien); 23,5 (Präexistenz der Seele);
24,2 (Schöpfung aus dem Nichts); 25,1 (Unsichtbares / Sichtbares); 23,5 (Schöpfung
als Mischung); 27,3/28,1/48,1 (kristallene Planetensphären); 29,1 (Feuergestalt des
Äthers); 30,8 (Mikrokosmosidee); 30,9 (Seelenteile); 30,16 (Sünde als Erkenntnisdefi-
zit); 33,4 (Gott als unwandelbar Seiender); 48,1 (182 Parallelkreise nach Geminos).
39 BÖTTRICH, Weltweisheit 184 –189.
40 Esra schreibt inspiriert 94 Bücher – d. h. noch einmal die 24 kanonischen, dazu 70
weitere, geheime Bücher. Beide Gruppen korrespondieren einander; ein Gegensatz
lässt sich nicht erkennen. Vgl. KAESTLI, Récit; KAESTLI, Annexe.
312 CHRISTFRIED BÖTTRICH

Unbestreitbar bleibt das letzte Motiv, das die Überbietung des


Mose durch Henoch-Metatron in der späteren jüdischen Mystik be-
schreibt. Aber auch dadurch wird der Mystiker nur als ein solcher
gekennzeichnet, der noch einen Schritt tiefer in die Geheimnisse Gottes
eindringt, nicht aber als einer, der sich außerhalb der auf der Mose-
Tora basierenden Gemeinschaft des Gottesvolkes stellen würde.41 Denn
ohne diese Legitimationsbasis wäre auch Henoch-Metatron nicht das,
was er ist.

1. 1. 3 Nir / Melchisedek und Noah

Schließlich postuliert A. ORLOV für 2 Hen eine polemische Beziehung


zwischen Noah und Nir / Melchisedek, die auf deren priesterlichen
Funktionen sowie auf ihren jeweiligen Geburtsumständen aufbaut.
Diese Frage hängt wesentlich davon ab, wie man die Integrität von
2 Hen 70 –72 beurteilt. Denn wenn die beiden Passagen 71,32 – 37 und
72,6 – 7 als christliche Interpolationen vom Kontext unterschieden wer-
den (wofür gewichtige Indizien sprechen),42 erhält man auch ein ganz
anderes Bild der Melchisedek-Gestalt: Während die christlichen Inter-
polationen Melchisedek für die Kontinuität der priesterlichen Traditi-
on über die Flut hinaus rekrutieren und dabei die Linie bis zu Christus
ausziehen, erscheint Melchisedek nach der Grundschicht der Erzäh-
lung als jenseitiges Urbild des Priestertums, das aus Gottes Welt
kommt und nach kurzer Zeit wieder in Gottes Welt zurückkehrt. A.
ORLOV indessen betrachtet beide Interpolationen als festen Bestandteil
des Textes und gelangt somit folgerichtig auch zu anderen Ergebnis-
sen.
Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten: Auch im dritten Teil des
2. Henoch-Buches (69 – 73), der die Thematik des Kultes zum Inhalt
hat, bleibt Henoch die maßgebliche Größe: Aufgrund seiner Instruktio-
nen wird Methusalem von Gott zum Priester bestellt; es ist ausdrück-
lich das Erbe Henochs, das in dem nun beginnenden priesterlichen

41 Dass dies gleichwohl eine Gratwanderung darstellt, zeigt die berühmte Überliefe-
rung von den „Vier im Paradies“ (bChag 14b; Text bequem bei LENHARDT / VON DER
OSTEN-SACKEN, Rabbi Akiva 124 – 137), deren Intention ganz eindeutig ist: Der Mys-
tiker steht mehr als andere in der Gefahr der Apostasie und bedarf gerade deshalb
einer besonderen Rückbindung an die Gemeinschaft! Zum Ganzen vgl. auch SEGAL,
Powers.
42 Vgl. die Argumente bei BÖTTRICH, Weltweisheit 118 – 125.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 313

Dienst in kultische Praxis umgesetzt wird. Melchisedek taucht in die-


sem Geschehen als ein „Quereinsteiger“ auf, der auch nur befristet in
die Sukzessionsfolge aufgenommen wird (72,1). Seine Rolle besteht in
der Transzendierung des Kultes, nicht in seiner Fortführung.
Wiederum trägt A. ORLOV verschiedene Motive zusammen, die
eine Art „Enterbung“ Noahs im Blick auf seine priesterlichen Funktio-
nen belegen sollen. Dabei stellt er zunächst völlig zutreffend heraus,
dass Noah im 2. Henoch-Buch keinerlei Berührung zum urzeitlichen
Kult hat, was in der Tat auffällt: Ausgehend von Gen 8,20 wird Noah
ansonsten stets als der Urheber eines Opferkultes nach der Flut be-
trachtet. In 2 Hen 69 – 72 indessen läuft die Linie über Methusalem –
Nir – Melchisedek, um dann zunächst abzubrechen. Noah bleibt aus-
gespart. Auch von göttlichen Offenbarungen an die Adresse Noahs ist
keine Rede, während Methusalem und Nir solcher Offenbarungen ge-
würdigt werden. Auf die wunderbaren Geburtsumstände Noahs, die
in 1 Hen 106 – 107 /1QGenAp 2 – 5 zur Sprache kommen, wird nun in
der Erzählung von Melchisedeks wunderbarer Geburt angespielt. Wie
ist dieser Befund zu deuten? A. ORLOV sieht hier einen „domestic con-
flict“ innerhalb der Henoch-Tradition, der die zunehmende Überhö-
hung Noahs als eine Bedrohung der Autorität Henochs verstanden
und deshalb Noah wieder abgewertet habe.43 Eine solche Konstruktion
erscheint jedoch wenig plausibel. Dass der Autor des 2. Henoch-
Buches die Entstehung eines Opferkultes nicht von Gen 8,20 aus zu-
rückprojiziert, sondern vielmehr aus Henochs Instruktionen ableitet,
liegt in der Gesamtkonzeption seines Entwurfes begründet. Wenn er
nun aber Noah auch noch aus der mit Methusalem beginnenden Suk-
zession ausschließt, dann hat das andere Gründe: Er führt die Figur
des Nir ein, um die Bewahrung des Kultes und die Bewahrung der
Menschheit auf zwei verschiedene Protagonisten verteilen zu können.
Die Bewahrung der Menschheit über die Flut hinaus hat dabei das
größere Gewicht, weshalb auch Noah als der Berater und Mentor sei-
nes jüngeren Bruders Nir auftritt.44 Mit Nirs Adoptivsohn Melchisedek
hingegen erhält der Kult einen „Anwalt“ in Gottes Welt. Denn auf die

43 ORLOV, Enoch-Metatron Tradition 319.


44 Eine Unterordnung des Älteren unter den Jüngeren, wie A. ORLOV sie darstellt, wird
der narrativen Struktur nicht gerecht und verkürzt die Darstellung von 2 Hen 71– 72.
314 CHRISTFRIED BÖTTRICH

Erde kehrt Melchisedek definitiv nicht zurück,45 und wer nach der Flut
die priesterliche Sukzession fortsetzt, bleibt offen.46
Insofern ist es falsch, Melchisedek als einen Konkurrenten Noahs
bei der Überbrückung der Flut zu betrachten: Noah überlebt, Melchi-
sedek aber wird entrückt. Das folgenreichste Missverständnis liegt des-
halb in der Annahme, die in der targumischen und späteren rabbini-
schen Tradition gezeichnete Linie Noah – Sem (= Melchisedek) werde
hier durch die andere Linie Nir – Melchisedek ersetzt. Der Melchise-
dek-Knabe des 2. Henoch-Buches hat mit dem Priesterkönig von Gen
14 nichts gemeinsam außer dem Namen. „Melchisedek“ ist Chiffre für
die Dauer und Legitimation des Priestertums. Der Priesterkönig von
Salem aber ist nicht etwa die „Reinkarnation“ des wunderbar geborenen
und zu Gott entrückten Knaben aus 2 Hen 70 –71, sondern das voll-
endete irdische Abbild jenes urzeitlich von Gott offenbarten Urbildes.
Im 2. Henoch-Buch hat Melchisedek demnach die Funktion, den
jüdischen priesterlichen Kult als eine für die gesamte Menschheit gül-
tige Institution zu präsentieren. Gruppeninterne Oppositionen lassen
sich nicht nachweisen. Das gilt im Besonderen auch für den von A.
ORLOV erneut reklamierten „sektiererischen“ Charakter der Opfervor-
schriften,47 in denen sich ganz einfach ägyptische Schlachtungsbräuche
spiegeln.48 Auch die abschließenden Beobachtungen A. ORLOVs zur
Datierung des ganzen Buches anhand dieses letzten Teiles bedürfen
polemischer Konstellationen nicht.49 Sie beruhen völlig ausreichend auf
der Sichtweise kultischer Praxis, wie sie hier entwickelt wird.

45 2 Hen 72,5 („Ich [Michael] werde mit ihm gehen und werde ihn in das Paradies Eden
setzen, und dort wird er sein in Ewigkeit.“) wird von A. ORLOV wie von den meisten
jüngeren Äußerungen zur Sache ignoriert – vermutlich unter dem Einfluss der kür-
zeren Fassung (U/A/B/Rum lassen die Schlusswendung „und dort wird er sein in
Ewigkeit“ aus). Hier liegt jedoch der Zielpunkt der ganzen Erzählung, den die an
einer irdischen Priesterreihe interessierte christliche Interpolation dann schlicht kon-
terkarriert.
46 Der Schluss des Buches ist korrumpiert. Dass die Erzählung bei der Flut endete, geht
aus der Anlage des gesamten Buches jedoch deutlich hervor. Wie die ursprüngliche
Textgestalt dieses Schlusses aussah, lässt sich allerdings nicht mehr ermitteln; vgl. die
Nachweise zum christlichen Profil von 2 Hen 73 bei BÖTTRICH, Henochbuch, zur
Stelle.
47 A. ORLOV bezieht sich dabei auf die These von PINES, Eschatology.
48 Vgl. meinen Vorschlag in BÖTTRICH, Henochbuch, zu 59,3a.
49 A. ORLOV wirft mir vor, die Bezüge des Glanzes auf Methusalems Gesicht zur Noah-
Tradition nicht wahrzunehmen – was hier auch gar nicht nötig ist: Die kalendarische
Struktur des Buches, in der ich das Hauptargument für eine Datierung des 2. He-
noch-Buches vor 70 sehe, besteht unabhängig vom Profil der einzelnen Figuren. An-
sonsten bin ich mit A. ORLOV darin einig, dass gerade der letzte Teil des Buches die
wichtigsten Indizien für eine frühe Datierung des 2. Henoch-Buches enthält.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 315

1. 2 Gruppenkonflikte im Spiegel literarischer Traditionen

Für den Nachweis eines „domestic conflict“ innerhalb der Henoch-


Tradition reichen die von A. ORLOV zusammengestellten Indizien mei-
nes Erachtens nicht aus. Henoch und Melchisedek sind im 2. Henoch-
Buch primär Teil einer vielfältig vernetzten Figurenkonstellation. Der
Autor schöpft dabei aus dem Pool biblischer und außerbiblischer Über-
lieferungen, um die Legitimation seiner Figuren sichtbar zu machen.
Darin fügt er auch zahlreiche Bezüge auf Bildungsgut seiner hellenis-
tischen Umwelt ein, wodurch sein integrativer Ansatz besonders
deutlich zutage tritt. Wenn Henoch oder Melchisedek dabei ihre je-
weiligen Referenzfiguren überbieten, so ist damit weniger Abgrenzung
und Polemik als Anknüpfung und Zuordnung beabsichtigt. Davon
werden auch die intratextuellen Bezüge zwischen den Figuren auf der
Erzählebene bestimmt.
Offen bleibt in A. ORLOVs Interpretation vor allem die Frage nach
dem Trägerkreis jener postulierten Polemik. Die Formel von den „men
of faith“ bleibt zu pauschal, um hier schon ein klares Profil ermitteln
zu können.50 Noch schwieriger aber wären die Kontrahenten jener spe-
zifischen Henoch-Gruppe zu bestimmen. So liegt es sehr viel näher,
den Trägerkreis des 2. Henoch-Buches nach wie vor in einem jüdischen
Milieu der Diaspora zu suchen, das sich zwischen Traditionsgebun-
denheit und Weltoffenheit zu orientieren versucht. Ist es wirklich
denkbar, dass eine jüdische Gruppe im 1. Jahrhundert n. Chr. mit einer
Schrift wie 2 Hen die Autorität der LXX hätte untergraben wollen und
können?
Zugleich wäre noch einmal in methodischer Hinsicht zu klären,
aufgrund welcher Signale literarische Texte überhaupt als Ausdruck
von Polemik verstanden werden können. Ist es Polemik, wenn in 1 Chr
1 die Genealogien des Buches Genesis neu strukturiert werden? 51 Ver-
folgen die Übersetzer der Genesis-LXX eine gegen den masoretischen
Text gerichtete polemische Tendenz, wenn sie den Schöpfungsbericht
durch sprachliche Anklänge an Platons Timaios profilieren? 52 Will der
Evangelist Lukas seine Vorgänger einschließlich Markus verdrängen,
wenn er die Jesus-Geschichte noch einmal kaûejhÄw (Lk 1,3) auf-

50 2 Hen 35,2 (alle kürzeren Handschriften: „treue Männer“; alle längeren: „treue und
mir wohlgefällige Männer“); vgl. ORLOV, Heirs.
51 WILLI, Chronik, der stattdessen das Moment der Interpretation betont.
52 RÖSEL, Übersetzung 72 – 87, betont das Arrangement; RÖSEL, Brief.
316 CHRISTFRIED BÖTTRICH

schreibt? 53 Stuft der Autor des Johannes-Evangeliums Petrus wirklich


in polemischer Weise gegenüber dem „Lieblingsjünger“ zurück – oder
findet hier nicht eher eine sorgfältig ausbalancierte Koordinierung ver-
schiedener Traditionen durch ihre jeweiligen Repräsentationsfiguren
statt? 54 Und bietet nicht auch der Jakobus-Brief mit seinem Abraham-
Bild sehr viel weniger antipaulinische Polemik als eine mit Paulus
durchaus konforme Interpretation „lebendigen“ Glaubens? 55 Solche
Beispiele lassen sich fortsetzen.
Gruppenrivalitäten, die an eingeführten biblischen Figuren als
Exponenten gegensätzlicher theologischer Positionen zur Darstellung
gelangen, gibt es indessen sehr wohl! Vor allem in einer Reihe früh-
christlicher apokrypher Texte finden sich dafür anschauliche Beispiele.
Dabei wird dann aber auch die Frontstellung stets explizit benannt!
Das Paulus-Bild der Kerygmata Petrou etwa basiert auf einer Umkeh-
rung der Kontroverse von Gal 2,11 –14: Nun wird Paulus als „ein
Feind“ bezeichnet, der Petrus schmäht und damit Gott beschuldigt
(H XVII 19,4 – 6).56 Im Evangelium der Maria heißt es, dass der Erlöser
sie nicht nur mehr als alle anderen Frauen, sondern auch mehr als die
Jünger geliebt und ihr besondere Offenbarungen übermittelt habe, was
Andreas und Petrus dann scharf als abweichende Lehren kritisieren
(18,6 – 21).57 Das erst jüngst publizierte Judas-Evangelium bezichtigt
die Elf, dass sie in die Irre gingen, während dem Judas allein die Ge-
heimnisse der Basileia offenbart worden seien, weshalb er auch zur
Herrschaft über sie gelangen werde.58 Gerade in diesem letzten Bei-
spiel artikuliert sich in aller Deutlichkeit eine Sondergruppe, die ihre
scharfe Abgrenzung von der „Großkirche“ durch die Berufung auf den
theologisch längst geächteten „Verräter“ zum Ausdruck bringt.

53 Dabei kann offenbleiben, ob der Begriff qualifizierend „der Reihe nach“ bzw. „wohl
geordnet“ oder nur temporal „im folgenden“ heißt; vgl. dazu KÜRZINGER, Lk 1,3. Der
Duktus des ganzen Vorwortes lässt die Absicht eines Neuentwurfes deutlich genug
erkennen; vgl. zum Ganzen ALEXANDER, Preface.
54 So mit guten Argumenten z. B. SIMON, Petrus; so bereits LUZ, Evangelium 469.
55 Jak 2,14 – 26. Die Illustration „lebendigen“ Glaubens durch sozialgerechtes Handeln
deckt sich mit dem, was Paulus in Gal 5,6 die piÂstiw di’ aÆgaÂphw eÆnergoymeÂnh nennt.
Vgl. zum Ganzen KONRADT, Existenz 241 – 246 (= zur Frage des traditionsgeschicht-
lichen Verhältnisses von Jak 2,14 – 26 zur paulinischen Tradition).
56 Text in: SCHNEEMELCHER (Hg.), Apokryphen II, 479 – 488, hier 485.
57 Text in: SCHNEEMELCHER (Hg.), Apokryphen I, 313 – 315; KLAUCK, Evangelien 217;
PETERSEN, Werke 163 –188.
58 KASSER / MEYER / WURST (Hg.), Gospel 23.33.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 317

Ansonsten können biblische Figuren auch in sehr ambivalenter


Weise in Anspruch genommen werden. Das eindrücklichste Beispiel
liefert der Erzvater Abraham. Von Haus aus eine Symbolfigur jüdi-
scher Identität, wird er von Paulus als Integrationsfigur präsentiert,
mit deren Hilfe der Apostel den Zugang der Völker zu Gott argumen-
tativ begründet.59 Der Evangelist Johannes indessen macht Abraham
zur Kontrastfigur, um die Grenzlinie zwischen Glaube und Unglaube,
Wahrheit und Lüge zu markieren.60 Der Märtyrer Justin schließlich
usurpiert Abraham als Kronzeugen für die Delegitimierung des Juden-
tums.61 Allein der jeweilige Kontext gestattet eine eindeutige Bestim-
mung, ob eine Figur in polemischer oder integrativer Absicht einge-
setzt ist.
In jedem Falle hat also die Analyse des gesamten Erzählzusam-
menhanges Priorität. Es genügt nicht, isoliert nach Analogien für die
Typoi der handelnden Figuren im 2. Henoch-Buch zu suchen,62 bevor
nicht der theologische Gehalt der Himmelsreise, der Gottesreden, der
ethischen Belehrungen, der kultischen Anordnungen usw. geklärt ist.
Geht man von einem solchen Ansatz aus, dann gibt es keine stichhal-
tigen Indizien für ein polemisches Grundmuster des Buches. Umso
stärker aber treten jene Züge in den Blick, die ein integratives Interesse
zum Ausdruck bringen – intern zur Selbstvergewisserung, extern zur
Verständigung mit einer nichtjüdischen Umwelt in der Situation der
Diaspora.

2. Konstellationen

Die biblische Urgeschichte kommt im 2. Henoch-Buch in einer beson-


deren Gewichtung zur Darstellung. Einsatzpunkt ist die Entrückung
Henochs drei Generationen vor der Flut, wobei das narrative Szenario
eine schrittweise Öffnung von Henoch hin zur urzeitlichen Menschheit
erfährt, deren Einheit jedoch schon zerbrochen ist.

59 Zentral Gal 3,6 – 18.26 – 29; 4,21 – 31; Röm 4,1– 25.
60 Joh 8,31 – 59.
61 SIKER, Jews.
62 Ein solches Verfahren gerät leicht in die Gefahr der „Parallelomanie“; vgl. SANDMEL,
Parallelomania.
318 CHRISTFRIED BÖTTRICH

Die Erzählperspektive ist eine chronologisch-lineare. Ihr Schwer-


punkt liegt bei der Himmelsreise Henochs und seinen anschließenden
Mahnreden.63 Schöpfung und Fall werden in Gestalt verschiedener
Rückblenden eingespielt. Die Fluterzählung wird in Vorausblicken
vorbereitet und schließt das ganze Buch ab.
Interesse verdient die Auswahl aus dem Figuren-Repertoire der
biblischen Vorlage. Die überragende Rolle Henochs und die breit ent-
faltete Geschichte vom Engelfall verdankt der Autor bereits der älteren
Henoch-Tradition.64 Ausgelassen hat er die meisten genealogischen
Angaben aus Gen 4 – 5. Auch die Geschichte des Brudermordes (Gen
4,1 –16) findet sich erst in einer späteren Interpolation (71,36).65 Unter-
repräsentiert sind angesichts ihrer sonstigen Bedeutung die Figuren
des Seth, Lamech und Enosch.
Umso bedeutsamer erscheinen alle Erweiterungen, die – angesichts
der dem Genre der „rewritten bible“ eigenen Erzählfreude – jedoch
überraschend sparsam ausfallen.66 Sie beschränken sich, von einigen
Namen der Henoch-Söhne (1,10 und 57,2) und der Ältesten (69,8) ab-
gesehen, auf die in der übrigen Literatur sonst unbekannten Figuren
des Nir und der Sopanima. Beide sind für den dritten Teil des Buches
(69 – 73) unentbehrlich. Auch der Melchisedek-Knabe muss unter die
neuen Figuren gerechnet werden, denn er teilt mit dem König von
Salem nur den gemeinsamen Namen. Dieser Knabe ist und bleibt Teil
der Welt Gottes, aus der er nur für den begrenzten Zeitraum von 40
Tagen hervortritt.
Verweise über den urzeitlichen Rahmen hinaus gibt es nicht. Eine
eschatologische Perspektive ist durch die wiederholten Gerichtsaussa-
gen oder durch den Verweis auf Adams letztliche Wiederannahme an-
gelegt.67 Anspielungen auf die weitere Geschichte Israels fehlen. Der

63 Dennoch fehlt der Schrift – im auffälligen Gegensatz zum 1. Henoch-Buch – jedes


geschichtliche Interesse. Genealogische Angaben beschränken sich auf die Urzeit.
Eine Generationenfolge deutet sich erst in der Sukzession des Priesteramtes von
Methusalem auf Nir und von diesem auf den Melchisedek-Knaben an.
64 Gen 5,21 – 24 und 6,1 – 4 reichen dafür als Bezug nicht aus. Zu den direkten Bezug-
nahmen auf 1 Hen vgl. z. B. die Geschichte der Wächter in 2 Hen 7 und 18; die
astronomische Ordnung 2 Hen 11–17; insgesamt die Rahmensituation der Mahn-
reden Henochs an seine Söhne.
65 2 Hen 71,36. Sie gehört in das 5. – 7. Jahrhundert und spielt auf eine haggadische
Überlieferung an; vgl. dazu ausführlich BÖTTRICH, Vögel.
66 Anschauliche Beispiele liefern Jub und Liber antiquitatum biblicarum, wo der Text
der Genesis nicht nur um fehlende Namen, sondern auch um neue Episoden ergänzt
wird; vgl. HELLER, Scheu.
67 Zur Gerichtsthematik vgl. BÖTTRICH, Weltweisheit 169 – 172; zu Adams Wiederan-
nahme 2 Hen 42,5.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 319

Autor des 2. Henoch-Buches ist weniger an der Geschichte als an Kos-


mologie, Ethik und Kult interessiert.

3. Figuren

Die folgende Übersicht stellt die handelnden Figuren nach der Chro-
nologie der biblischen Urgeschichte zusammen. Dabei kann es im
Folgenden lediglich darum gehen, auf einige Besonderheiten ihrer
Darstellung hinzuweisen.68 Insgesamt fügen sich die Figuren des
2. Henoch-Buches in ihrer jeweiligen Profilierung wie auch in ihrer
gegenseitigen Zuordnung stimmig in das Milieu frühjüdischer Schrift-
auslegung ein und sind damit auf vielfältige Weise verbunden.

3. 1 Adam und Eva

Obgleich die Geschichte der Protoplasten im 2. Henoch-Buch nur in


Gestalt von mehreren Rückblenden in ganz unterschiedlichen Kontex-
ten erscheint, gehören diese Passagen doch zu den wichtigsten und
bemerkenswertesten Bausteinen der frühjüdischen Adam-Überliefe-
rung überhaupt. Als solche sind sie bislang noch kaum ausreichend
gewürdigt worden.69
Die erste und zugleich eigenwilligste Passage betrifft die Erschaf-
fung und Namensgebung Adams (30,8 –18).70 Sie ist Teil jenes Schöp-
fungsberichtes (24 – 36), den Henoch aus dem Munde Gottes selbst ver-
nimmt und der gegenüber seiner biblischen Vorlage um zahlreiche
Details erweitert ist.71 Übereinstimmend ordnet auch der Autor des
2. Henoch-Buches die Erschaffung des ersten Menschenpaares dem
6. Schöpfungstag zu, fügt aber sogleich noch den Sündenfall mit ein,
bevor er dann von der Ruhe Gottes am 7. Tag berichtet.72 Erschaffung

68 Zahlreiche Nachweise wie Parallelen, Namenserklärungen, religionsgeschichtliche


Bezüge, Positionen der Forschung sowie weiterführende Literatur finden sich in den
Anmerkungen meiner Übersetzung des 2. Henoch-Buches (BÖTTRICH, Henochbuch)
und müssen hier nicht wiederholt, sondern lediglich an einigen Stellen um neuere
Literatur ergänzt werden.
69 LEVISON, Portraits, geht z. B. auf die Adam-Traditionen des 2. Henoch-Buches nicht ein.
70 Vgl. dazu ausführlich BÖTTRICH, Adam.
71 Die auffälligste Erweiterung findet sich am Beginn, wo in einer Art „Vorgeschichte“
die Entstehung der materiellen Welt überhaupt, also des Seins aus dem Nichtsein, in
mythologischer Einkleidung erzählt wird (2 Hen 24 – 27).
72 Dafür ist der 6. Tag komplett dem Menschen vorbehalten; die Erschaffung der Land-
tiere zieht der Autor auf den 5. Tag vor.
320 CHRISTFRIED BÖTTRICH

und Namensgebung, die sich ganz auf Adam konzentrieren (30,8–16),73


entwerfen mit wenig Strichen, aber großer Stringenz, das Bild des
Menschen als eines Mikrokosmos. Weder spielt dabei die „imago dei“-
Vorstellung eine Rolle, noch wird die Erschaffung „Adams“ mit der
„Adamah“, der Ackererde, in Verbindung gebracht. Vielmehr ruht
alles Interesse auf den sieben Materialien, aus denen der Mensch ge-
bildet ist und in denen sich der materielle Bestand der gesamten
Schöpfung widerspiegelt. Allein sein Denkvermögen und seine Seele
verbinden ihn mit Gott. Insofern ist er ein Grenzgänger zwischen die-
ser und jener Welt: „von unsichtbarer und sichtbarer Natur“ ist er ge-
schaffen, „von beidem, Tod und Leben“ (30,10). Den nächstliegenden
Bezugsrahmen bilden hier Vorstellungen aus der griechischen Philo-
sophie, die auch bei Philo von Alexandrien schon Eingang in die Aus-
legung der Schöpfungsgeschichte gefunden haben. Das gilt auch für
die Aufzählung von sieben „Fähigkeiten“, die seinen zuvor genannten
Bestandteilen zugeordnet werden (30,9) und bei denen es sich um die
fünf Sinne plus „Standfestigkeit“ und „Lust“ handelt. Unverkennbar
hat dabei die stoische Lehre von den Seelenteilen Pate gestanden, die
nun der biblischen Schöpfungserzählung integriert wird. Ähnlich ver-
hält es sich schließlich mit jenem Akronym (30,13), das den Namen
Adams aus den Anfangsbuchstaben der griechischen Himmelsrichtun-
gen (Anatole, Dysis, Arktos, Mesembria) bildet. Wiederum ist es nicht
mehr die Ackererde (Gen 2,7; 3,19), von der sich der Name ableitet,
sondern die Spannweite der gesamten Erdoberfläche. Mehr noch: Die
vier Sterne, die den vier Himmelsrichtungen zugeordnet werden
(30,14), überhöhen diesen Bezug so, dass er den gesamten Kosmos
umfasst! 74 Eine solche Deutung speist sich aus einer neuen Weltsicht,
die von dem Universalismus des hellenistischen Kulturraumes durch-
drungen ist. „Adam“ als anthropologische Repräsentationsfigur er-
scheint im Gewand hellenistischer Popularphilosophie. Dass es die
Weisheit ist, die ihn erschafft und dass er sein Königtum durch Gottes
Weisheit hat (30,8.12), fügt sich diesem Kontext ein. Er hat einen freien
Willen (30,15). „Unwissenheit“ ist die Ursache allen Übels und verur-
sacht seinen Fall (30,16).

73 Eva wird in 30,17 – 18 und 31,1 nur ergänzungsweise angefügt, was durchaus dem
biblischen Modell entspricht. Bei ihrer Erschaffung aus Adams Rippe (30,17) fällt der
Mikrokosmosgedanke fort, und auch ihre Namensgebung (30,18 und 31,1) lehnt sich
nur noch an Adam an.
74 Literatur bei BÖTTRICH, Adam; ergänze noch CERBELAUD, Nom, der weniger den
jüdischen Ursprung des Akronyms als dessen christliche Rezeptionsgeschichte be-
handelt.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 321

Die zweite Passage vom Sündenfall (31,1– 8 und 32,1– 2) schließt


unmittelbar daran an und ist ebenfalls noch dem 6. Schöpfungstag
eingegliedert. Der Grund für diese merkwürdige Zuordnung liegt dar-
in, dass die Erschaffung Evas (30,17–18 und 31,1) schon von vornher-
ein auf die Verfehlung Adams hin angelegt ist. Durch Eva wird Adams
Unwissenheit offenbar – durch Eva kommt der Tod zu ihm (30,17).
Dieses negative Bild setzt sich dann in der Aktion des Teufels fort, der
Eva verführt, Adam aber unberührt lässt (31,6). Konsequent ist es wie-
der die Unwissenheit, um derentwillen die Ureltern nun verflucht wer-
den – was jedoch sofort eine Korrektur erfährt: Weder verflucht Gott
den Menschen noch die Erde noch irgend ein anderes Geschöpf, son-
dern allein „die böse Frucht des Menschen“ (31,7). Von der Vertrei-
bung selbst wird nichts mehr gesagt. Bedeutsam hingegen ist der Se-
gen, mit dem Gott zuvor noch alle seine Werke segnet (31,1): Er gilt der
„ganzen Schöpfung, der sichtbaren und der unsichtbaren“, was deut-
lich weiter ausgreift als der Segen in Gen 1,28/2,3 und erneut die
universale Perspektive des 2. Henoch-Buches unterstreicht.
Die nächste Passage (41,1– 2) findet sich im Reisebericht Henochs
an die Adresse seiner Söhne (40,1– 42,5). Unter anderem berichtet er
dabei vom Ort des Hades: „Und ich sah alle Vorfahren seit Urzeiten
mit Adam und Eva“ (41,1). Anders als in 1 Hen 70,4 befinden sich die
Ureltern also an einem Strafort, an dem sie das „maßlose Gericht“
erwarten und an dem sie jetzt schon leiden. So beklagt Henoch die
Protoplasten und formuliert mit deutlich paränetischer Tendenz einen
Makarismos: „Selig ist der Mensch, der nicht geboren wurde . . ., damit
er nicht an diesen Ort komme . . .“ (41,2). Die Erlösung erfolgt dann
„beim letzten Kommen“, was trotz aller christlicher Assoziationen im
Kontext der Schrift eindeutig das endzeitliche Kommen Gottes selbst
zum Gericht meint.75 Die Herausführung der Ureltern aus dem Hades
mündet in das bekannte Bild des eschatologischen Freudenmahles ein.
Adam und Eva befinden sich von da an im Kreis der Gerechten, denen
ewiges Leben gegeben wird.
Die letzte gewichtige Aussage ist dem Testament Henochs (55 – 67)
eingefügt und findet sich dort im Kontext der ersten Redeeinheit
(58 – 63). Sie enthält Mahnungen hinsichtlich des Verhaltens gegenüber
Tieren und Menschen, verbunden mit verschiedenen kultischen Vor-

75 Zunächst mag man dabei an den Descensus Christi und die Herausführung der
Voreltern aus dem Hades denken. Der Sprachgebrauch in 2 Hen 32,1 und 70,7 macht
es jedoch sehr viel wahrscheinlicher, dass hier Gottes endzeitliches Kommen zum
Gericht gemeint ist.
322 CHRISTFRIED BÖTTRICH

schriften. Abgeleitet werden diese Mahnungen aus der „dominium


terrae“-Vorstellung, die deshalb den Anfang der Rede bildet (58,1– 3):
Adam wird danach zum „König über alle Tiere“ und zum „Hausherrn
für seinen (Gottes) ganzen Besitz“ eingesetzt. Eine solche Herrschaft
verpflichtet. Die Tiere erhalten im jenseitigen Äon einen eigenen Ort
und treten, wenn sie misshandelt wurden, als Kläger gegen den Men-
schen im endzeitlichen Gericht auf. Was der Autor des 2. Henoch-
Buches in diesem Zusammenhang zum Tierschutz aussagt, ist in der
frühjüdischen und frühen christlichen Ethik ohne Parallele!
Unklar bleibt die isoliert stehende Aussage in 71,28: Im Rahmen
der Melchisedek-Erzählung ist von dem „Paradies Eden“ die Rede, „in
dem Adam vormals 7 Jahre war, während er den Himmel offen hatte
bis zur Versündigung.“ Die Vorstellung des geöffneten Himmels be-
zieht sich zurück auf das Bild des Paradieses in 31,2 und 42,3. Aller-
dings ist es dort der irdische Garten, der in direkter Verbindung zu
seinem himmlischen Gegenstück steht. Hier indessen geht es um einen
Ort in Gottes Welt! Dieselbe Unklarheit begegnet noch einmal in 72,5
wo es heißt, der Melchisedek-Knabe werde „in Ewigkeit“ im „Paradies
Eden“ sein. Als schwierig erweist sich auch die Zeitangabe von 7 Jah-
ren des Aufenthaltes im Paradies. Zwar ist sie in der jüdischen Adam-
Literatur breit belegt und korrespondiert auch der Hochschätzung der
Siebenzahl im 2. Henoch-Buch insgesamt,76 steht aber in Spannung zu
jener Einordnung des Sündenfalls in den 6. Schöpfungstag. Immerhin
könnten die 7 Jahre eine Zeit ursprünglicher Vollkommenheit andeu-
ten, bevor durch die Verfehlung Adams eine Geschichte von Aufleh-
nung und Gewalt beginnt.
Die Rolle Evas wird in diesen Passagen durchgehend negativ be-
stimmt. Nach 30,17 erfolgt ihre Erschaffung, „damit auch der Tod
durch die Frau zu ihm (Adam) käme“.77 Der biblische Gedanke, dass
Eva aus einer Rippe des schlafenden Adam gebildet sei (Gen 2,21– 22),
schlägt sich in Gestalt ihrer Namensdeutung in 30,18 nieder: Ganz ähn-
lich wird ihr Name („Mutter“) vom letzten Buchstaben des Namens
„Adam“ geformt. Immerhin übernimmt auch der Autor des 2. He-
noch-Buches die biblische Deutung (Gen 3,20) „Mutter, das heißt Eva“,
bzw. „Mutter, der Erde und des Lebens“.78 Die Aktion Satans wendet

76 Ergebnis einer christlichen Interpolation ist indessen die Angabe von 5 1/2 Stunden
(2 Hen 32,1), die das Schema der frühchristlichen Chronographie aufnimmt.
77 Das entspricht der Sicht von Sir 25,24; ApkMos 7; VitAd 3.5.
78 Vgl. auch Josephus, Antiquitates Iudaicae I 36 (1,2). Zu den verschiedenen etymologi-
schen Erklärungen des Namens vgl. HELLER, Name.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 323

sich demnach in 31,6 gezielt gegen Eva und ist offensichtlich im Sinne
einer sexuellen Verführung verstanden.79 In 41,1 ist sie dann lediglich
in das gemeinsame Geschick mit Adam eingebunden. Das 2. Henoch-
Buch folgt hier jener frühjüdischen Tradition, die alle Schuld des Sün-
denfalls Eva anlastet und damit ein spezifisches Frauenbild theologisch
zu untermauern versucht.
Drei kurze Anspielungen erfolgen im Kontext christlicher Inter-
polationen des dritten Teiles. 71,35 weiß, dass Adam „in der Mitte der
Erde“ erschaffen und schließlich auch begraben worden sei, wofür sich
vor allem in der christlichen und rabbinischen Adam-Tradition zahl-
reiche Parallelen finden.80 Eng damit verbunden erscheint die Überlie-
ferung vom Brudermord und von Abels Bestattung (71,35), die eine
seit dem 5. Jahrhundert weitverbreitete Legende aufnimmt.81 Schließ-
lich liefert 72,6 eine Zeitrechnung von der „Erschaffung Adams“ an,
führt also eine „Weltära“ ein, wie sie erst seit dem 4. Jahrhundert üblich
wurde.82 In diesen Interpolationen zeichnet sich bereits die Spur der
christlichen Adam-Literatur in den Text des 2. Henoch-Buches ein.

3. 2 Henoch und seine Söhne

Gegenüber der älteren Henoch-Tradition hat der Autor des 2. Henoch-


Buches die Henoch-Gestalt deutlich weiterentwickelt. Damit ist schon
der Weg in Richtung der späteren Hekhalotmystik eingeschlagen, in
der „Henoch-Metatron“ zum Vizeregenten Gottes wird.83
Die Rollen und Funktionen Henochs sind vielfältig. Im Proömium
wird er ganz allgemein als „weiser Mann und großer Meister“, als
„Augenzeuge“ der göttlichen Welt eingeführt. Während seiner Him-
melsreise, die streckenweise einer naturkundlichen Expedition gleicht,
misst und erforscht er das Universum. In der Thronwelt wird er zum
Schüler des Erzengels Vrevoil, der ihn aus den himmlischen Büchern
belehrt. Gott selbst platziert ihn zu seiner Linken und offenbart ihm die
Geheimnisse der Weltschöpfung. Als Offenbarungsträger kehrt er zu-
rück und wird zum Weisheitslehrer für seine Söhne sowie für die

79 So schon Philo, De opificio mundi 151 –157; ApkAbr 23; ebenso 2 Kor 11,2 – 3 und
1 Tim 2,14. Zum Ganzen vgl. KÜCHLER, Schweigen 36 – 50.
80 JEREMIAS, Golgotha.
81 Ausführlich BÖTTRICH, Vögel.
82 Vgl. BORK, Chronologie.
83 Bei aller Kritik im Detail ist darin ORLOVs materialreicher Untersuchung (ORLOV,
Enoch-Metatron Tradition) zuzustimmen.
324 CHRISTFRIED BÖTTRICH

ganze urzeitliche Menschheit. Endgültig zurückgekehrt übernimmt er


die himmlische Buchführung und steht vor Gott in Ewigkeit.
Den bemerkenswertesten Zug stellt in 2 Hen 22,5 –10 die Verwand-
lung des Patriarchen in einen der „Herrlichen des Herrn“ vor Gottes
Thron dar. Schon immer ist aufgefallen, dass hier die engsten Bezüge
zur Erhöhung Henochs im Schlussteil der Bilderreden (1 Hen 71) be-
stehen.84 Zugleich hat diese Passage ihre Weiterentwicklung in dem
Henoch-Metatron der späteren Mystik erfahren. Der Grundgedanke ist
relativ einfach und resultiert aus der Frage: Wie kann ein sterblicher
Mensch in der Welt Gottes bestehen? Während die ältere Henoch-
Tradition diese Frage offenlässt, wird sie vom Autor des 2. Henoch-
Buches beantwortet: Er muss „verwandelt“ werden! Durch die 7 Him-
mel vermag Henoch noch in seiner irdischen Existenzweise zu reisen.
Vor dem Angesicht Gottes aber, wo er „in Ewigkeit“ stehen soll (22,6),
bedarf es einer Transfiguration, die der Erzengel Michael auf Gottes
Gebot hin an Henoch vollzieht. Worin ihr Effekt liegt, lässt sich anhand
des vorliegenden Textes nur andeutungsweise erkennen: Die Einklei-
dung mit „Gewändern der Herrlichkeit“ und die Salbung mit „gutem
Salböl“ des Herrn sind realistisch gemeint. Sie symbolisieren den neu-
en Status im Kreis der Engel Gottes. Seine Leiblichkeit behält Henoch
jedoch bei, was ihm auch ermöglicht, so wie die Gottesboten vor An-
tritt der Himmelsreise in sein Haus auf Erden zurückzukehren (37,1 –
2). Bei dieser Rückkehr ist deshalb auch keine „Rückverwandlung“
nötig, sondern nur eine Reduktion des göttlichen Glanzes auf Henochs
Gesicht. Mit der Aufnahme in den himmlischen Hofstaat erfolgt
schließlich eine Auszeichnung, die ihn weit über alle anderen Wesen
der Thronwelt stellt: Henoch erfährt die Geheimnisse der Schöpfung,
die auch den Engeln bislang verborgen waren (24,3) und steigt zum
Buchführer aller menschlichen Taten und zum Protokollanten des Ge-
richtes auf.85 Er wird zum obersten Bevollmächtigten Gottes – was
ganz sicher weniger ist als ein „Vize-Regent“, aber doch weit mehr als
alle Erz- und Dienstengel.86

84 Vgl. BÖTTRICH, Konturen.


85 BÖTTRICH, Henochbuch: zu den Taten 50,1a und zum Gericht 36,3g. Ob die Auszeich-
nungen 36,3 ursprünglich sind, ist textlich unsicher (dieser Vers findet sich nur in den
beiden kürzeren Handschriften U/A); sie fügen sich indessen gut in das Gesamtbild
ein.
86 An dieser Stelle geht ORLOV, Enoch-Metatron Tradition, deutlich über den Befund
des Textes hinaus und projiziert eine Reihe von Rollen und Titeln aus der mystischen
Tradition zurück in das 2. Henoch-Buch.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 325

Welche theologische Intention lässt sich an diesem entwickelten


Profil der Henoch-Gestalt ablesen? Dass Henoch hier zum Heros einer
sektiererischen Gruppe würde und als polemische Repräsentations-
figur der Abgrenzung von anderen Gruppierungen diente, lässt sich
meines Erachtens nicht nachweisen. Nachvollziehbar wird die neue
Profilierung der Henoch-Gestalt dann, wenn man sie als eine Integra-
tionsfigur begreift, mit deren Hilfe die eigene Glaubenstradition als
spezifischer Ausdruck allgemeinmenschlicher Einsichten und Werte
zur Darstellung kommt. So wie Philo die Tora in den Kategorien der
neuplatonischen Philosophie auslegt, so interpretiert der Autor des
2. Henoch-Buches die Urgeschichte in einer Weise, die auf volkstüm-
lichem Niveau einen Konsens mit ihrer Umwelt herzustellen versucht.
Der Henoch des 2. Henoch-Buches ist jedenfalls nicht mehr nur der
ausgezeichnete Urvater (Gen 5,21– 24) bzw. maßgebliche Offenba-
rungsträger der Urzeit (1 Hen, Jub 4) – ebenso wenig wie er schon der
Henoch-Metatron der Mystiker (3 Hen) wäre.
Die Söhne Henochs, die gegenüber der älteren Henoch-Tradition
nun auch namentlich benannt werden (1,10; 57,2), bleiben Statisten.
Allein Methusalem erhält eine neue Bedeutung, die ihn weit über seine
sonstige Rolle als ersten Adressaten der Mahnungen Henochs und
Sachwalter seines Erbes 87 hinaushebt: Mit ihm setzt der urzeitliche
priesterliche Kult ein, der auf den Instruktionen des Patriarchen auf-
baut.

3. 3 Noah und seine Familie

An der Figurenkonstellation um Noah erweist der Autor des 2. He-


noch-Buches seine Kreativität am sichtbarsten. Die Gestalt Noahs
selbst bewegt sich noch ganz in den Bahnen der biblischen Vorgabe.
Völlig neu werden dann jedoch ein zweiter, jüngerer Bruder Noahs mit
Namen Nir und dessen Frau Sopanima eingeführt. Beide Figuren er-
scheinen hier völlig singulär.88 Nir erlangt in der letzten Phase vor der
Flut eine dominierende Rolle als Priester und als Adoptivvater des
Melchisedek-Knaben. Seine Frau Sopanima steht im Mittelpunkt einer
eigentümlichen Geburtsgeschichte.89 Noahs Rolle bleibt unangetastet.

87 In dieser Funktion spielt er schon im 1. Henoch-Buch eine maßgebliche, breit belegte


Rolle.
88 Zu ihren Namen vgl. BÖTTRICH, Henochbuch, zu 70,4a (Nir) und 71,1b (Sopanima).
89 BÖTTRICH, Geburtsgeschichte.
326 CHRISTFRIED BÖTTRICH

Er ist derjenige, der die Menschheit über die Katastrophe hinweg-


bringt. Wer den Kult danach neu begründen wird, bleibt offen. Nir
jedenfalls endet in der Flut, und der Melchisedek-Knabe kehrt aus Got-
tes Welt nicht mehr auf die Erde zurück. Der Neuanfang bleibt aus-
schließlich Noah vorbehalten, für den Nir und Melchisedek jedenfalls
keine Konkurrenz darstellen. Durch sie wird Noahs Bedeutung weni-
ger reduziert als vielmehr aufgewertet: Seine Familie erhält ein Ge-
wicht, das sie in der älteren Henoch-Tradition so noch nicht aufweisen
kann. Noah repräsentiert den Neubeginn der Menschheit. Nir symbo-
lisiert das Ende der Urzeit. Der Melchisedek-Knabe aber steht für die
Bewahrung des urzeitlichen Erbes bei Gott.

3. 4 Melchisedek

Mit der Figur Melchisedeks tritt die merkwürdigste und gegenüber der
biblischen Überlieferung am eigenständigsten profilierte Figur des
2. Henoch-Buches in den Blick. Auch in der verzweigten jüdisch-
christlichen Melchisedek-Tradition nimmt sie eine Sonderstellung ein.90
Zwei Beobachtungen sind dabei von grundlegender Bedeutung, um
ihre ursprünglichen Konturen möglichst präzise zu erfassen. Zum Ers-
ten: Die Melchisedek-Erzählung (2 Hen 71,1–72,11) zeigt in ihrer vor-
liegenden Textgestalt deutliche Spuren einer christlichen Bearbeitung.
In den Passagen 71,32 – 37 und 72,6 –7 tritt eine Melchisedek-Christus-
bzw. Adam-Christus -Typologie zutage, die zu der umgebenden Erzäh-
lung in Widerspruch steht. Wenn man hier nicht unterscheidet, erfasst
man die Melchisedek-Figur nach der Konzeption des christlichen In-
terpolators und nicht nach der Konzeption des ursprünglichen Autors.
Zum Zweiten: Der auf wunderbare Weise geborene Knabe ist nicht der
Priesterkönig aus Gen 14. Er kommt aus Gottes Welt und kehrt in
dieselbe zurück, wo er auch „in Ewigkeit“ bleibt (2 Hen 72,5). Seine
Aufgabe besteht nicht darin, als Priesterkönig von Salem wieder in die
Geschichte einzutreten, sondern als Urbild des Priestertums überhaupt
der irdischen Institution Schutz und Obhut zu garantieren (2 Hen
71,19 – 20). Dennoch erfolgt das Spiel mit der Namensgleichheit gezielt.
Der Name „Melchisedek“ ist unter allen möglichen alttestamentlichen
Namen derjenige, der das Phänomen „Priestertum“ auf dichteste und

90 Sie schließt sich noch am ehesten der durch 11QMelch und Hebr 7,3 belegten Vor-
stellung einer himmlischen Melchisedek-Gestalt an.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 327

zugleich auf offenste Weise assoziiert. Auch die Christologie des He-
bräerbriefes spielt ja nicht von ungefähr mit dem typologischen Poten-
zial dieses Namens und seines rätselhaften Trägers. Der Knabe Mel-
chisedek ist eine eigenständige, mit Gen 14 und Ps 110,4 nur über die
assoziative Brücke „Priestertum“ verbundene Figur.
Ohne Frage hat die Geschichte der wunderbaren Empfängnis und
Geburt Melchisedeks eine Reihe von Zügen aus der Geburtsgeschichte
Noahs (1 Hen 106 –107; GenAp 2 – 5) entlehnt. Dennoch ist der jewei-
lige Kontext grundverschieden. Für die Erzählung in 2 Hen 71– 72
muss deshalb das gesamte Spektrum alttestamentlich-jüdischer Ge-
burtsgeschichten zum Vergleich herangezogen werden. Die Besonder-
heit der Geburtsgeschichte Melchisedeks liegt darin, dass sie den Ge-
danken einer übernatürlichen Empfängnis im Kontext einer jüdischen
Schrift entwickelt. Der Knabe tritt als göttliche Bestätigung des Pries-
tertums in diese Welt ein. Einkleidung und Gabe von „Brot der Heili-
gung“ als Zeichen priesterlicher Legitimation vollziehen lediglich
nach, was an dem Kind sichtbar schon vorgegeben ist. Der Melchise-
dek-Knabe des 2. Henoch-Buches gehört nicht in die Traditionslinie
des Priesterkönigs von Salem, sondern in die einer himmlischen
Melchisedek-Gestalt.
Davon unterscheidet sich die Konzeption des Interpolators (71,32 –
37/72,6 – 7) sehr klar. Ihm geht es um einen typologischen Bezug zu
Christus. Die Epitheta, die diesem letzten künftigen Priester beigefügt
sind, sprechen eine klare Sprache.91 Nicht weniger aussagekräftig sind
die weiteren Traditionen, die der Interpolator damit verbindet. Sie grei-
fen jüdisch-christliche Legenden des 4./5. Jahrhunderts auf und spei-
sen sich aus den Interessen typologischer Exegese.92
Ein bemerkenswertes Detail dieser christlichen Fortschreibung ver-
dient noch besondere Beachtung. In 72,6 fügt der christliche Interpo-
lator eine Anspielung auf die Begegnung zwischen Abraham und
Melchisedek ein, die der apokryphen „Geschichte Melchisedeks“
(HistMelch) entnommen ist.93 Zur Konzeption des jenseitigen, über-

91 2 Hen 71,34: „Haupt aller, großer hoher Priester, Wort Gottes und Kraft, der große
Wunder vollbringt und herrlichere als alle gewesenen“; 72,7: „großer Hegemon, das
heißt Führer, der alles Sichtbare und Unsichtbare herausführt“.
92 71,3: Adam am Erdmittelpunkt, Abels Bestattung; 72,6: Bau der Arche, „Geschichte
Melchisedeks“.
93 DOCHHORN, Historia; dazu BÖTTRICH, Melchisedek. Eine ausführliche Darstellung
der Textüberlieferung mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar wird meine Be-
arbeitung der „Geschichte Melchisedeks“ für die Reihe JSHRZ.NF voraussichtlich
2009 bieten.
328 CHRISTFRIED BÖTTRICH

natürlich empfangenen Melchisedek-Knaben in 2 Hen 71–72 steht die-


se Legende in frontalem Gegensatz; allein für den typologischen An-
satz des christlichen Interpolators liefert sie einen leidlich passenden
Haftpunkt. Damit aber wird die christliche Fortschreibung der Mel-
chisedek-Gestalt in 2 Hen 72,6 – 7 nicht nur zum Zeugen der Rezepti-
onsgeschichte des 2. Henoch-Buches, sondern zugleich auch zum Zeu-
gen der Rezeptionsgeschichte der HistMelch! 94

3. 5 Väterreihen / Genealogien

Weitere biblische Figuren finden sich im 2. Henoch-Buch auch in ge-


nealogischen Listen, die angesichts des engen Erzählrahmens jedoch
nur eine marginale Rolle spielen. Die Auflistung der Söhne Henochs,
die über die biblische Vorgabe hinausgeht, bleibt singulär. Die sonstige
Chronologie zählt bis Henoch sieben Generationen und führt noch drei
Generationen bis zu Noah weiter.
Eine Patriarchenreihe bis auf Henoch nennt 2 Hen 33,10. Sie ent-
spricht der biblisch vorgegebenen Abfolge, die hier jedoch verkürzt
aufgeführt ist.95 Interesse verdient der Umstand, dass alle Urväter von
Adam an als Verfasser von Schriften reklamiert werden. In welcher
Beziehung sie zu den aus den himmlischen Büchern und aus den Be-
lehrungen Gottes gespeisten Schriften Henochs stehen, bleibt unklar.
Der Kontext legt jedoch eine positive Wertung nahe, denn auch diese
Schriften werden der Vermittlung des Erzengels Michael anvertraut.
Von priesterlichen Qualitäten dieser Väter verlautet nichts.
Die genealogische Reihe des christlichen Interpolators in 2 Hen
71,32 kommt mit dieser biblisch vorgegebenen Linie in keiner Weise
zur Deckung. Bei ihr spielt offensichtlich das Interesse an der Zwölf-
zahl die entscheidende Rolle. Die Reihe setzt bei Seth ein und erreicht
mit Henoch bereits das zehnte Glied. Henoch selbst wird schon als
Priester eingeordnet. Sechs der Namen entbehren jedes biblischen Vor-
bildes und scheinen frei gebildet zu sein. Der programmatische Einsatz
des Priestertums mit Methusalem auf der Basis von Henochs Instruk-
tionen wird hier völlig nivelliert. Was den Interpolator von seinem
Bezugstext unterscheidet, kommt in dieser Reihe besonders deutlich
zum Ausdruck.

94 Vgl. dazu ausführlich BÖTTRICH, Geschichte Melchisedeks.


95 Gen 5,1 – 24 /1 Chr 1 – 3 (LXX); vgl. auch 1 Hen 37,1, Jub 4,7–16.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 329

3. 6 Engelgestalten

In die Figurenkonstellation des 2. Henoch-Buches gehören schließlich


auch die Gestalten der himmlischen Welt, die im Zusammenhang mit
Henochs Himmelsreise (1– 38) einen beachtlichen Teil der ganzen
Schrift ausmacht. Mit der frühjüdischen Literatur insgesamt teilt 2 Hen
die breite Entfaltung der Angelologie,96 was sich im Rückgriff auf die
Geschichte vom Engelfall (Gen 6,1 – 4 / 1 Hen 1 – 36) in differenzierten
Schilderungen des himmlischen Hofstaates sowie in der Benennung
einzelner Engelsgestalten bemerkbar macht.
Die Rolle des „angelus interpres“ wird während Henochs Himmels-
reise von verschiedenen Engeln wahrgenommen. Henochs anfängliche
Reisebegleiter (1,4) werden nachträglich als „Samoil und Raguil“ be-
nannt (33,6) und gehören vermutlich zur Gruppe der Erzengel.97 Vom
siebenten Himmel an übernimmt der Erzengel „Gabriel“ die Führung
(21,3) und stellt Henoch vor das Angesicht des Herrn (21,5). Dort rich-
tet ihn der Erzengel „Michael“ auf, 98 der ihn auf Gottes Gebot hin salbt
und einkleidet – ein Vorgang, durch den Henoch nun selbst in einen
der „Herrlichen des Herrn“ verwandelt wird. Damit tritt ein weiterer
Erzengel namens „Vrevoil“ in Aktion, in dem der aus 1 Hen wohlbe-
kannte „Uriel“ zu sehen ist. Vrevoil unterrichtet Henoch aus den
himmlischen Büchern und erklärt ihm deren Inhalt. Im dritten Teil der
Schrift ist es dann wiederum „Michael“, der Nir im Traum erscheint
und die Geburt Melchisedeks deutet.99 Er entrückt schließlich auch den
Knaben zu Gott.
Die Gliederung des himmlischen Hofstaates erscheint als eine viel-
fältige. Schon vom ersten Himmel an begegnet Henoch Dienstengeln,
die mit der Verwaltung der kosmischen Ordnung betraut sind. Vom
dritten Himmel an beginnt ein zunehmend differenzierterer liturgi-
scher Dienst. Vor dem Thron Gottes wird dann die Gliederung der
Dienstengel nach ihren liturgischen Aufgaben bestimmt: Sieben „sehr

96 MACH, Entwicklungsstadien.
97 „Raguil / Raguel“ ist offensichtlich einer der 7 Erzengel (1 Hen 20,4), der schon in
1 Hen 23,4 als Reisebegleiter Henochs erscheint; „Samoil“ lässt sich dann am ehesten
als Analogiebildung verstehen.
98 Die stereotype Benennung als „Archistratege“ könnte eine spätere, christliche Titu-
lierung sein. In frühjüdischer Zeit ist der Titel noch völlig singulär; vgl. ROHLAND,
Erzengel.
99 Dass die kürzeren Handschriften U/A Michael gelegentlich gegen Gabriel austau-
schen (so in 71 –72), hängt mit der redaktionellen Einfügung bzw. Interpolation in
2 Hen 71,11 in A/U zusammen, die deutlich an der Rolle Gabriels in Lk 1– 2 ori-
entiert ist.
330 CHRISTFRIED BÖTTRICH

glänzende und überaus herrliche Abteilungen“ (19,1) stehen für die


Gefolgschaft der Erzengel (19,3), deren namentliche Siebenzahl im
2. Henoch-Buch ansonsten jedoch nur erschlossen werden kann: Mi-
chael, Gabriel, Vrevoil / Uriel, Raguel, Samoil, Ariuch, Pariuch. Zu ih-
nen gesellen sich die Gruppen der Ophanim, Cherubim und Seraphim
(19,6/20,1), zusammengefasst in der Aufzählung „alle feurigen Heer-
scharen der großen Erzengel und der körperlosen Kräfte und Herr-
schaften, der Obrigkeiten und Mächte, der Cherubim und Seraphim,
der Throne und Vieläugigen, 10 Scharen, den leuchtenden Stand der
Ophanim“ (20,1). Ihre Einteilung in „10 Scharen“, die ihren „10 Stufen“
vor dem Thron entspricht (20,3), steht für eine diffizile hierarchische
Ordnung des himmlischen Hofstaates.
Singulär treten in 2 Hen 33,11 die beiden Engel „Ariuch“ und „Pa-
riuch“ auf, die von Gott als Wächter für die Bücher Henochs bestellt
und „auf der Erde“ eingesetzt werden. Sie sollen die urzeitlichen
Schriften vor allem über die Katastrophe der Flut hinüberretten. Für
die gelegentlich vorgeschlagenen Bezüge zu den beiden Engeln „Harut
und Marut“ der islamischen Tradition und dem damit eng verbunde-
nen jüdischen Sagenkreis gibt es keine tragfähige Brücke.100 Ariuch
und Pariuch, deren Namen wohl Analogiebildungen ähnlich Samoil
und Ragoil sind, stehen eher im Horizont altpersischer Überlieferun-
gen und scheinen, nimmt man sie zu den übrigen namentlich bekann-
ten Gestalten hinzu, in die Gruppe der sieben Erzengel zu gehören.
Ein Engel der besonderen Art ist „Satanael“. Diese Namensform,
verbunden mit der Vorstellung vom Verlust des „-el“ als Ausdruck
einer Degradierung, lässt sich erst in der christlichen Überlieferung
sicher nachweisen und tritt in 18,3 und 31,4 sekundär in den Text ein.101
Bereits in der jüdischen Tradition beheimatet findet sich indessen die
Erzählung von der Auflehnung des obersten Engels gegen Gott und
seinem Sturz, die stets im Licht von Jes 14,13 –14 formuliert und auch
in 2 Hen 29,4 – 5 vorausgesetzt wird.102 Eine dominierende Rolle spielt
sie jedoch nicht. Stärkeres Gewicht hat die Tradition vom Engelfall
(1 Hen 1 – 36). Die Verführung der Eva ist das Werk des „Teufels“
(31,3 – 6), der dabei auch ohne die „Schlange“ auskommt.

100 Nachweise bei BÖTTRICH, Henochbuch, zu 33,11c; zuletzt in einem Vortrag auf der
SBL-Tagung 2005 in Philadelphia J. C. REEVES, Enoch Arabus: The Parascriptural
Dimension of the “Tale of Harut and Marut“.
101 18,3 steht in Widerspruch zu der Vorstellung eines Engelsturzes im Zusammenhang
zur Erschaffung des Menschen. 31,4b – 5 gibt sich deutlich als christliche Interpola-
tion zu erkennen; vgl. auch GAYLORD, Satanael.
102 VitAd 12 –14.
Biblische Figuren im slavischen Henoch-Buch 331

Eng mit der älteren Henoch-Tradition ist die Gruppe der „Grigo-
roi / Wächter“ verbunden, deren Geschichte als Rückblende zur Spra-
che kommt: Im zweiten und fünften Himmel (2 Hen 7/18) begegnet
Henoch jenen gefallenen Engeln bereits an ihren Straforten, wo sie das
„maßlose Gericht“ erwarten. Dabei erleidet die Gefolgschaft im zwei-
ten Himmel Fesselung und Qual, was für ihre Anführer im fünften
Himmel offensichtlich nicht gilt. Henoch fordert sie sogar auf, sich am
liturgischen Dienst zu beteiligen (2 Hen 18,9).
Auf die Gefangenen bezogen nennt 2 Hen eine Gruppe von Straf-
engeln, die bei den „Grigoroi“ nicht ausdrücklich genannt, bei den im
Hades des dritten Himmels aufbewahrten Menschen dann jedoch
umso deutlicher beschrieben werden (2 Hen 10,3). Sie bleiben als
Dienstengel Gott selbst unterstellt. Die Vorstellung von Engeln Satans,
die den Menschen bedrohen und einen eigenständigen, wenngleich
von Gott nur zugelassenen Spielraum besäßen, kennt das 2. Henoch-
Buch nicht.103

4. Fazit

An der Figurenkonstellation des 2. Henoch-Buches lassen sich ver-


schiedene charakteristische Züge frühjüdischen Schriftgebrauchs ex-
emplarisch ablesen.
Formative Bedeutung hat der Bezug auf die biblische Vorlage, die
hier mit der Urgeschichte Gen 1 –11 Ausgangspunkt und Maßstab
bleibt. In diesen Bezug ist jedoch im Falle des 2. Henoch-Buches auch
schon die Rezeptions- und Auslegungsgeschichte des biblischen Textes
durch die ältere Henoch-Tradition einbezogen.
Auswahl aus der Vorgabe und Erweiterung derselben verraten die
Intention des Autors. Vor allem solche Figuren, die sich im Rahmen
der Urgeschichte als Träger einer universalen Religiosität eignen
(Adam, Henoch), werden weiterentwickelt. Ihre Aktualisierung erfolgt
so, dass an ihnen die gemeinsamen Grundlagen der Menschheit sicht-
bar werden.
Die intratextuellen Bezüge gestaltet der Autor des 2. Henoch-
Buches mit großer Stringenz. Da er den Stoff nicht erst sammelt, son-
dern schon vorfindet, vermag er ihn auch leichter zu ordnen und neu

103 2 Hen 31,4 ist eine sekundäre Hinzufügung.


332 CHRISTFRIED BÖTTRICH

zu strukturieren. In das intertextuelle Spiel bezieht er auch philoso-


phische Vorstellungen der hellenistischen Welt mit ein und verbindet
sie mit den handelnden Figuren.
An dem Profil der Figuren des 2. Henoch-Buches, an ihren Eigen-
heiten und ihren wechselseitigen Beziehungen tritt die Theologie des
Autors deutlich zutage: Er aktualisiert die Urgeschichte, um in einer
veränderten Zeit und Umwelt Orientierung zu vermitteln. Seine Fi-
guren werden dabei zu Trägern jüdischer Identität, die in der alexan-
drinischen Diaspora um die Bewahrung ihres Erbes wie um eine
Öffnung gegenüber ihrer Umwelt gleichermaßen bemüht ist.

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Abraham’s Faith in the One God – A Motif of the
Image of Abraham in Early Jewish Literature

BEATE EGO

1. Introduction

It is one of the central motifs in Early Jewish literature that Abraham


devoted himself to the one God and thus fought every kind of devotion
to other gods vehemently. This element, which is not expressed explic-
itly in the biblical tradition of Abraham, was probably inspired by a
short note in Josh 24 : 2. Here, in Joshua’s farewell speech at the assem-
bly of Sichem, he addresses the people with the following words:
“This is what the Lord, the God of Israel, says: ’Long ago your forefathers,
including Terah the father of Abraham and Nahor, lived beyond the River
and worshipped other gods. But I took your father Abraham from the land
beyond the River and led him throughout Canaan and gave him many
descendants. I gave him Isaac, and to Isaac I gave Jacob and Esau, but Jacob
and his sons went down to Egypt“ (Josh 24 : 2).1

In order to fill the “narrative gaps“ that are typical especially for the
beginning of the story of the patriarchs in Gen 11: 27ff, a plot is devel-
oped where Abraham distances himself from the many gods of his
environment and only worships the one God from his youth on. Be-
cause his family continues to worship many gods it comes to a quarrel
which ends in Abraham finally dissociating himself from his family
and, having been anointed by God, finding a new home in Canaan. By
means of this narrative construction, we find God’s appeal to Abraham
to move to a land hitherto unknown to him, as well as the promise of
the land and descendants of the biblical text of Gen 12 being explained
to a certain extent.
The comprehensive representation of the motif of Abraham as a
devotee of the one God to be found in the Hellenistic-Roman period
can be regarded as a desideratum of research. Thus, the following

1 Quoted according to the NIV Study Bible.


338 BEATE EGO

attempt to make plain the different contextualisations this concept has


undergone in the Early Jewish tradition. This paper aims to reveal
motif-immanent evolutions of the theme and to illuminate the histor-
ical setting of the motif. Focus will be placed especially on the Book of
Jubilees and on the Apocalypse of Abraham. At the end of this contri-
bution, I will briefly consider the “Biblical Antiquities“ and the Rab-
binic traditions; furthermore I will enquire after the inner motifs of the
progress of tradition.

2. The Belief in the One God in the Book of Jubilees

Probably the earliest attestation to the story of Abraham and his wor-
ship of the one God is to be found in the Book of Jubilees. This opus,
which is known to have originated after the Maccabean uprising,2 con-
tains a detailed story of Abraham’s youth, which shall be summed up
briefly: Abraham’s birth coincides with a plague of ravens on earth
caused by Mastema, a negative angelic authority. These ravens devour
all the grain before it can grow; besides this, they eat all the fruit of the
trees. The saying of the poet HÖLDERLIN, “Wo Gefahr naht, wächst das
Rettende auch“, applies in this context, for here relief also comes:
Rather suddenly the lad Abraham recognises it as a grave error that all
stray after idols, statues and the castings of their own hands. At the age
of 14 years, he thus dissociates himself from his father’s idols and he
begins “to pray to the Creator of all so that he might save him from the
straying of the sons of men, and so that his portion might not fall into
straying after the pollution and scor