August/September 2016 Nr. 5/2016 € 4,20 Österreich € 4,90 . Schweiz sFr 8,40 . Italien € 5,80 .

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Kanone M107

Der US-Gigant im Einsatz

Unternehmen „Seelöwe“
1940: Wie die Wehrmacht England erobern wollte

Frauen im Schützengraben
Zwei „Heldenmädel“
des Ersten Weltkriegs
KRIEGE & SCHLACHTEN STRATEGIE & TAKTIK

Zeppelin LZ 38
1915: Der erste
Königsberg 1945 Luftangriff
Endkampf um Ostpreußens Hauptstadt auf London
 TITEL
Abb.: BARCH B 206-Bild GD-02, Thomas Laber via C. Niesner,
Provan-MIREHO, Interfoto/DanielD, Bernd Hammerschmitt

INHALT

8 Das Unternehmen „Seelöwe“ stellte die Wehrmacht 46 Das deutsche Luftschif LZ 38 bombardierte 1915 London –
1940 vor gewaltige Probleme und kehrte mit gemischter Bilanz zurück

30 Die M107 erlebte in Vietnam

ihre Feuertaufe 4 KOLUMNE Erst warten, dann starten
Wie der deutsche Generalstab 1905 Angriffspläne auf Frankreich durchspielte

6 PANORAMA Wussten Sie, dass ..., Die historische Zahl, Zitate

8 TITEL Sprung über den Kanal

1940 bereitete sich die Wehrmacht auf eine riskante Landung in England vor.
Wie sollte die Invasion ablaufen – und warum kam sie nicht zustande?

22 MENSCHEN & SCHICKSALE Zwei Frauen im Stahlgewitter

Warum eine Österreicherin und eine Britin 1915 an die Front gingen

28 SPEZIAL Kriegsende in Berlin

Ein Buch versammelt dramatische Berichte von den Kämpfen um Berlin

30 WAFFEN & TECHNIK Die Lange mit dem lauten Knall

Was die mächtige Kanone M107 im Einsatz leisten konnte

36 KRIEGE & SCHLACHTEN Das Sterben einer Stadt

So verlief 1945 der verlustreiche Endkampf um die „Festung Königsberg“

44 DOKUMENT Ein Schmähbrief an den Feind

Wie streitbare Kosaken 1676 den türkischen Sultan aufs Korn nahmen

46 STRATEGIE & TAKTIK Der lautlose Tod

Am 31. Mai 1915 ließ ein deutscher Zeppelin erstmals Bomben auf London fallen
56 Spanische Freiwillige kämpften als „Blaue
Division“ im Verbund der Wehrmacht 52 SPEZIAL Als Eisenbahnpionier in Russland
Eindrücke vom fotografischen Nachlass eines Wehrmachtsoldaten

56 VERBÄNDE & EINHEITEN Spaniens Waffenhilfe

Wie sich die Freiwilligen der „Blauen Division“ an der Ostfront bewährten

62 SERVICE Bücher, Ausstellungen, Militärhistorisches Stichwort

Von der mittelalterlichen „Feldschlange“ zu Erinnerungen an Stalingrad

64 EINST & JETZT „Anschluss“-Fahrt in Wien

1938 paradierten österreichische Panzer vor dem Wiener Parlamentsgebäude

Rubriken: Vorschau, Impressum Seite 66 Titelthema

Zum Titelbild: Die bei den Übungen für „Seelöwe“ entstandenen Fotos geben eine
52 Private Fotos zeigen die Einsätze eines Landung unter Realbedingungen nicht wirklich wieder, daher zeigen wir auf unserem
deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg Cover eine Truppenanlandung in Russland 1941. Quelle: BARCH Bild 101II-MN-2781-19

Militär & Geschichte 3

VERBÄNDE & EINHEITEN

DIE BLAUE DIVISION

Bei den Kämpfen um Leningrad hat sich

die Blaue Division vielfach bewährt. Diese
Soldaten einer Panzerjägerabteilung laufen
1942 nach einem Alarm in ihre Stellungen im
Spaniens
Nordabschnitt der dortigen Front

56
 Gegen Russland zogen
viele Spanier freiwillig
in den Krieg. Bild Mitte:
Umzug von „Volunta-
rios“ in Madrid. Rechts:
beim Überqueren der
Grenze zu Frankreich.
Links: Begleitheft einer
Ausstellung über die
„heldenhafte Division
Azul“ an der Ostfront

Weltbild, Interfoto/Danita Delimont/Prisma

Waffenhilfe

Abb.: Interfoto/picturedesc.com/ÖNB/

Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl

Archivo, p-a/ZB, ullstein bild/
Zu den Verbündeten, die mit der Wehrmacht an der Ostfront
standen, zählte auch eine spanische Division. Kampferprobt
und hoch motiviert, verloren Francos Freiwillige in über
zwei Jahren Krieg keine einzige Schlacht – doch am Ende
wollte man zu Hause nichts mehr von ihnen wissen

Militär & Geschichte 57

VERBÄNDE & EINHEITEN
Augen rechts: Ein Zug
der spanischen Freiwilligen
ist im Juli 1941 auf dem
Truppenübungsplatz
Grafenwöhr zur Ausbildung
angetreten, die meist keine
vier Wochen dauerte
U
m es vorwegzunehmen: Das
Ende des spanischen Engage-
ments im Ostkrieg war kein
Triumphzug. Kaum hatte der Caudillo
Francisco Franco am 1. Oktober 1943
in Berlin um den Rückzug seiner Sol-
daten von der Front ersucht, da wurde
sein Land auch schon zur Zielscheibe
aggressivster Goebbel’scher Rhetorik.
Vor Millionen Zuhörern drohte der
deutsche Propagandaminister im
Sportpalast mit härtester Vergeltung
an jenen Nationen, die sich als Verrä-
ter an der gemeinsamen Sache schul-
dig gemacht hätten. Und auch in
Spanien wehte den zurückkehrenden
Veteranen ein kalter Wind entgegen.
Jahrelang durfte über sie nicht offi-
ziell gesprochen, nicht publiziert wer-
den. Sogar der frühere Außenminis-
ter Serrano Suñer, einer ihrer geis-
tigen Väter, konnte sich in seinen
Memoiren nicht mehr an die „Divi-
Voller Enthusiasmus gingen Zehntausende
Abb.: p-a/ZB, ullstein bild-ullstein bild, Interfoto/DanielD, Interfoto/Hermann Historica
an die Ostfront – für ein „freies Europa“.
sión Azul“ erinnern. Im Felde unbe-
siegt, war sie nach dem Krieg zu ei-
nem Kapitel geworden, über das man
besser schwieg.
Dabei hatte sich am Anfang wohl
kaum eine deutsche Kompanie so
enthusiastisch an die Ostfront verab-
schiedet, wie es die Spanier getan hat-
ten. Kaum nämlich hatten die ersten
deutschen Panzer am Morgen des
22. Juni 1941 die Grenzen zur Sowjet-
union überrollt, da fanden sich in
Spanien Zehntausende Menschen zu
spontanen Beistandskundgebungen
zusammen. Der blutige Bürgerkrieg,
er war noch nicht vergessen – und
nicht nur die Franco-Regierung, auch
zahlreiche Normalbürger machten
die Sowjetunion für dessen Eskala-
tion verantwortlich. „Die Zerstörung
58
des Kommunismus“, verkündete Ser-
rano Suñer unter lautem Jubel in Ma-
drid, „ist die notwendige Bedingung
für das Überleben eines freien und zi-
vilisierten Europas.“ Und auch wenn
Suñers radikale Position sich nicht un-
bedingt mit derjenigen Francos deck-
te (siehe Kasten unten), so folgten
diesem Auftritt doch sehr bald offi-
zielle Schritte: Am 24. Juni bot Madrid
Berlin Waffenhilfe an, vier Tage spä-
ter begann die Rekrutierung von Frei-
willigen für die sogenannte „División
Española de Voluntarios“ (DEV).
Parteisoldaten
Organisiert wurde alles von der fa-
schistischen Falange-Partei, in deren
blauen Parteihemden auch der Ur-
sprung des gebräuchlicheren Ver-
bandsnamens der DEV, nämlich der
„Blauen Division“, liegt. Um eine offi-
zielle Kriegserklärung an die Sowjet-
union zu vermeiden, steckte man alle
spanischen Soldaten, die gen Osten
abfuhren, in eben jenes Kleidungs-
stück; es galt als zivil.
Und blaue Hemden wurden viele
gebraucht: Allein in Madrid meldeten
sich in den ersten Tagen 40.000 Frei-
willige für die knapp 18.000 Planstel-
len, ein Großteil davon Studenten
und Falange-Mitglieder. Eine gänzlich
zivile Unternehmung war die „Blaue
Division“ aber dennoch nicht. Schon
um peinliche Verluste zu vermeiden,
kamen sämtliche Offiziere und Unter-
offiziere aus der regulären spani-
schen Armee – und so gut wie jeder
davon hatte schon im Bürgerkrieg
gekämpft. Für viele der übrigen Frei-
willigen galt dasselbe, und angesichts
dessen verwundert es nicht, dass die
Ausbildung der spanischen Rekruten
in Deutschland sehr rasch über die
Bühne ging: Keine vier Wochen ver-
brachten die meisten von ihnen auf
dem Truppenübungsplatz Grafen-
wöhr, schon Ende August 1941 galten
sie als verwendungsfähig.
Zu diesem Zeitpunkt war aus der
DEV bereits die 250. Infanterie-Divi-
sion der deutschen Wehrmacht ge-
worden. Rein äußerlich unterschied
ihre Soldaten wenig von der regulären
Truppe, bis auf die spanischen Wap-
penschilder auf Helm und Ärmel so-
wie gelegentlich getragene spanische
Auszeichnungen; ansonsten jedoch
waren die Spanier relativ autark. Sie
HINTERGRUND
Francos Außenpolitik
Als der Zweite Weltkrieg begann, hatte Spanien
noch mit den Folgen des erst im April 1939 beendeten
Bürgerkrieges zu kämpfen. Hohe Arbeitslosigkeit,
Kapital- und Rohstofmangel, eine zerstörte Infra-
struktur sowie Lebensmittelengpässe verhinderten
den Eintritt in einen weiteren Krieg.
Gute Beziehungen zu den Haupthandelspartnern
Frankreich, Großbritannien und die USA wurden für
den Wiederaubau als notwendig erachtet. Zudem
belasteten der Hitler-Stalin-Pakt und harsche
Gläubigerforderungen das Verhältnis zum alten
Kampfgenossen Deutschland.
Spätestens nach dem Sieg der Wehrmacht in Frank-
reich im Juni 1940 drängten Falange und Armee Franco
verstärkt zum Kriegseintritt. Hinzu kamen deutsche
Forderungen nach einer spanischen Beteiligung an
der Wegnahme Gibraltars, insbesondere während des
Winters 1940/41. Der stabilitätsorientierte Caudillo
hielt Hitler und die interne Opposition jedoch
erfolgreich hin, größte Zugeständnisse blieben die
spanischen Freiwilligen für die Ostfront sowie die
Genehmigung für die Kriegsmarine, einige U-Boot-
versorger in spanischen Häfen zu stationieren.
Die alliierten Landungen in Nordafrika, die Niederlage
von Stalingrad und die Kapitulation des Afrikakorps
sorgten dann ab Ende 1942 für die schrittweise Abkehr
Spaniens von den Achsenmächten.
 Abwehrbereit: „Männer der
,Blauen Division‘ in Erwartung
eines bolschewistischen
Angrifs“ schrieb ein NS-
Berichterstatter zu diesem
Foto vom Dezember 1941

besaßen eigene Lazarette und ein ei-

genes Ersatzkommando, eine eigene
Feldpolizei und waren auch ansons-
ten nicht der deutschen, sondern der
spanischen Militärgerichtsbarkeit
unterworfen – ein Umstand, der im
völkischen Vernichtungskrieg im Os-
ten noch eine Rolle spielen sollte.
Erster Divisionskommandeur wur-
de Agustín Muñoz Grandes, ein un-
prätentiöser Mann, der zuvor bereits
Generalsekretär der Falange gewesen
war und es nach dem Krieg bis zum
stellvertretenden spanischen Minis-
terpräsidenten bringen sollte. Er
vereinte Partei und Armee und war
obendrein überaus beliebt bei seinen
Männern, mit denen er den gleichen,
einfachen Waffenrock teilte.

Eine erste, böse Überraschung

Gelegenheit zur Verbrüderung gab
schon die erste gemeinsame Kriegs-
erfahrung: Fast 1.000 Kilometer muss-
ten die Spanier von der ehemals pol-
nisch-sowjetischen Grenze zu Fuß
marschieren, bis sie ihre erste Station,
Nowgorod am Wolchow, erreichten.
Bei der Heeresgruppe Nord füllten die
Spanier eine der Lücken, die durch
den Abzug von Kräften für die Offen-
sive auf Moskau entstanden waren.
Das war Mitte Oktober 1941, und für
die enthusiastischen Kämpfer gegen
den Kommunismus war die offen-
sichtlich bereits zu diesem Zeit-
punkt mangelhafte Motorisie-
rung der Wehrmacht eine
erste böse Überraschung.
Viel Zeit, sich zu besinnen,
blieb Muñoz Grandes’
Männern jedoch nicht.
Gut gelaunt: Spanier in Diensten Nur Tage nach ihrer
der Wehrmacht, wo sie die
250. Infanterie-Division formten
Helme mit Wappen in den spani-
schen Farben wurden nur bei der
Erstausstattung ausgegeben

Militär & Geschichte 59

VERBÄNDE & EINHEITEN

Durch tiefen Schnee:

In Russland mussten
die sonnenverwöhn-
ten Spanier mona-
telang mit bitterster
Kälte klarkommen,
hier im März 1942
an der nördlichen
Ostfront

Ankunft nahm die 250. ID an der deut-

schen Offensive auf die Stadt Tichwin
teil. Diese stand im Zusammenhang
mit der Schließung des Belagerungs-
ringes um Leningrad und wurde am
8. November 1941 erfolgreich abge-
schlossen. Die Gegenangriffe der Ro-
ten Armee setzten jedoch fast unver-
züglich ein und die Spanier, einen
Frontvorsprung etwa 30 Kilometer
nordöstlich von Nowgorod haltend,
mussten wochenlange Artillerie- und
Luftbombardements erdulden, bis
auch sie im Rahmen des allgemeinen
Rückzugs im Winter 1941 wieder hin-
ter den Wolchow zurückgenommen
wurden. Die kommenden Monate ver-
brachte die HG Nord damit, den Vor-
stoß der sowjetischen Entsatzkräfte
Abb.: p-a/ZB, ullstein bild/Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl, Interfoto/Hermann Historica, Slg. H. Ringlstetter

auf Leningrad abzuwehren. Dies ge-

lang bis zum März 1942.

Flankensicherung vor Leningrad

Der Stellungskrieg, der nun folgte,
spielte den Spaniern in die Karten.
Deren Kampftaktiken waren nämlich
traditionell eher statisch auf Flanken-
sicherung ausgelegt und ließen sich
mit dem deutschen Bewegungskrieg
nur schwer vereinbaren. Tatsächlich
erntete die „Blaue Division“ haupt-
sächlich dort Kritik, wo sie an Angriffs-
operationen teilnahm. Doch sollten
Tichwin und die Zerschlagung des
Wolchow-Kessels die einzigen Unter- Gefechtsbereit:
nehmungen dieser Art für die Spanier jene, die über 30 Jahre alt und verhei- Auch sonst konnten die iberischen Soldaten der Blauen
bleiben. Den Rest ihres Einsatzes ratet waren –, bei der Ankunft neuer Frontsoldaten nicht klagen – Lebens- Division entfernen
verbrachten sie in der Defensive vor Rekruten in die Heimat zu entlassen. mittel- und Kleiderspenden, Paten- im Herbst 1942 die
Leningrad. Selbst als im Laufe des Jahres 1942 der post, spanische Zeitungen, alles gab Tarnung an einer
Nichtsdestotrotz erlitten sie hohe antikommunistische Enthusiasmus es reichlich, da sich die Aufmerksam- Schweren Feld-
Verluste. Allein bis zum Frühjahr 1942 im Mutterland spürbar nachließ, mel- keit eines ganzen Landes auf eine Di- haubitze Kaliber 15
hatten sie Ausfälle von 5.000 Mann zu deten sich immer noch genügend ehr- vision konzentrierte. Es dauerte lange, Zentimeter
beklagen. Doch der Strom von Frei- geizige Militärs oder Glücksritter, um bis dieser Gabenstrom abebbte, und
willigen riss lange Zeit nicht ab. Der die Division auf Sollstärke zu halten. bis dahin ließen die Soldaten der
Personalersatz aus Spanien klappte Sie blieb sogar dann noch bei neun „Blauen Division“ sogar russische Zi-
sogar so reibungslos, dass es sich die Bataillonen, als die Deutschen ge- vilisten an ihrem Überfluss teilhaben
Divisionsführung erlauben konnte, zwungen waren, auf sechs herunter- und verpflegten diese aus ihren Feld-
viele ihrer Veteranen – insbesondere zugehen. kantinen.

60
 HINTERGRUND

Spanier in der deutschen Luftwaffe

Bereits kurze Zeit nach ihrer Aufstellung wurde
die spanische Freiwilligen-Division durch eine
Jagdliegerstafel ergänzt. Im Gegensatz zu den
eher politischen Motiven des Heeresverbandes
standen hier jedoch das Sammeln von Erfahrun-
gen in Luftkriegführung und -taktik sowie der
Austausch von technischem Know-how im Vorder-
grund. Piloten und Bodenpersonal der Escuadrilla
Azul waren Berufssoldaten und rotierten in regel-
mäßigen Abständen. Ausgebildet wurden sie ab
Juli 1941 in Werneuchen, später zum Teil auch in
Spanien. Zunächst als 15. Stafel dem Jagdge-
schwader 27 zugeteilt, operierten die Spanier ab
September 1941 im Moskauer Raum, ab Juni 1942
beim Jagdgeschwader 51 über dem südlichen
Mittelabschnitt der Ostfront (Orel, Bobruisk).
Eine operative Verbindung mit der Blauen Divi-
sion bestand nicht. Ausgerüstet mit Bf 109 und
Fw 190, konnten die Piloten im Laufe des Krieges
etwa 140 Luftsiege erzielen; die eigenen Verluste
lagen bei zirka 20 Gefallenen. Im Februar 1944
verlegte die Stafel zurück in die Heimat.

schen.“ Einige Spanier heirateten rus- Erst politischer Druck

sische Frauen und ließen aus Mitleid
Kriegsgefangene laufen; spanische
Ärzte schließlich beschäftigten in ih-
ren Lazaretten nicht nur aus reinem
Zufall jüdische Kollegen. Deutscher-
seits galten viele dieser Dinge als
Kapitalverbrechen, doch da die Spa-
nier ihrer eigenen Jurisdiktion unter-
lagen, blieb nur der Weg der Beschwer-
den. Dass diese geflissentlich igno-
riert wurden, belegt die hohe Zahl, die
in den Akten erhalten ist.
Siegreich gegen die Übermacht
Letztlich ließen es die harten Bedin-
gungen an der Ostfront aber nicht zu,
dass solche Differenzen zum Bruch
führten. Zu spürbar wurde der Druck
der immer stärker werdenden Roten
Armee, und so gerieten die Spanier,
nach Monaten der relativen Ruhe,
noch einmal in die Bahn einer großen
Die Spanier hielten ihren Frontabschnitt,
erst politischer Druck ließ sie weichen.
feindlichen Offensive. Der Angriff
von vier sowjetischen Divisionen am
10. Februar 1943 auf ein bei Krasnij
Bor, unmittelbar südöstlich von Le-
ningrad stationiertes spanisches
Infanterie-Regiment wurde jedoch
zum größten spanischen Abwehrer-
Mit dem antislawischen Dünkel folg des Krieges. Im stundenlangen
ihrer deutschen Waffenbrüder konn- Kampf Mann gegen Mann wehrten
ten die meisten Spanier nichts anfan- knapp 5.000 Spanier mehr als neun-
gen. In vielen Kriegserinnerungen mal so viele Rotarmisten so lange ab,
der „Blauen Division“ wurden Miss- bis der Angriff von Entsatztruppen
handlungen und Demütigungen der niedergeschlagen werden konnte. Die
Zivilbevölkerung strikt verurteilt. Verluste waren freilich immens, doch
„Während der bitterkalten Winter“, eine Kampfpause sollte es für die
schreibt der Historiker und DEV-Ex- „Blaue Division“ nicht geben. Viel zu
perte Wayne H. Bowen, „teilten die wichtig waren die zunächst oft als dis-
russischen Bauern und die Spanier ziplinlos und minderwertig belächel-
warme Milch und Holzhäuser und ten Spanier inzwischen für die deut-
scherzten gemeinsam über die Deut- sche Verteidigung geworden.
ließ sie weichen. Wie schon
erwähnt, beorderte Franco
die Freiwilligen-Division im
Oktober 1943 in die Heimat zu-
rück. Zu sehr hatte sich das
Kriegsglück inzwischen auf die Sei-
te der Alliierten geneigt, da schien
es ratsam, sich abzusetzen.
Die Lücke, die das Ausschei-
den der kampfstarken Spanier
in die Abwehrfront riss, muss-
te von gleich zwei deutschen
Divisionen gestopft werden.
Immerhin, als Fehler will His-
toriker Bowen das spanische
Engagement nicht verstanden wis-
sen: „Indem sie die Loyalität zu
Deutschland demonstrierte, ver-
schaffte die ‚Blaue Division‘ Spanien Die „Medalla de la
den Freiraum, den es brauchte, um División Azul“ bekam
weitere deutsche Kriegseintrittswün- jeder Freiwillige,
sche abzuwehren.“ sobald er wieder zu
Hause in Spanien war
Als Geste an die alten Kampfge-
fährten ließ Madrid zunächst sogar
noch eine 2.000 Mann starke „Spani-
sche Legion“ an der Leningrad-Front
zurück, doch auch diese wurde im
März 1944 abgezogen. Wer nun noch
blieb, tat es aus Überzeugung. Einige
Hundert spanische Soldaten kämpf-
ten bis zum Kriegsende auf deutscher
Seite, unter anderem auch bei der Christian Kättlitz
Waffen-SS, in Böhmen, in Berlin, auf kam bei den Recher-
chen zur „Blauen
dem Balkan. Der Löwenanteil der
Division“ nicht umhin,
47.000 Spanier, die in den Reihen der Francos politisches
„Blauen Division“ gestanden hatten, Geschick zu bewun-
kehrte jedoch desillusioniert, wenn- dern, auch wenn
gleich immerhin lebendig nach Hau- dieser sich fragwür-
se zurück – im Reisezug. Und viel- diger Mittel bediente.
leicht war das schon der größte Sieg,
den ein jeder von ihnen in diesem
Krieg hatte erringen können.

Militär & Geschichte 61