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zukunft
zukunft forschung 01 | 20
forschung
NACHHALTIG
IN DIE ZUKUNFT
thema: nachhaltige lösungen I musikwissenschaft: transalpine verbundenheit
phytowissenschaft: die natur als apotheke I ökologie: wasserflöhe im bodensee
architektur: berechnetes design I mikrobiologie: coronaviren im abwasser
W
ir haben dieses Magazin während der Corona-Krise das Virus begonnen. Einige der Projekte stellen wir Ihnen in
produziert. Diese Krise wird aller Voraussicht nach dieser Ausgabe vor.
auch am Hochschulsystem nicht spurlos vorüberge- Minion
hen. Auch nach Corona wird es Universitäten mit einer starken Den Schwerpunkt dieses Magazins haben wir dem Thema
DE
Forschungs- und Lehrtätigkeit brauchen, um Antworten auf die Nachhaltigkeit gewidmet, das an unserer Universität einen ho-
großen Fragen der Gegenwart zu geben. Da wir als Universität hen Stellenwert genießt. Gerade jetzt ist es besonders wichtig,
Innsbruck in den vergangenen Jahren solide und vorausbli- dass wir über die aktuellen Fragen und Probleme in der Krise
ckend gewirtschaftet haben, sind wir aus unserer Sicht für die hinaus auch eine Perspektive für die Zukunft entwickeln, die
zukünftigen Herausforderungen gut gerüstet. Wir sind optimis allen Menschen ein gesundes und gutes Leben ermöglicht.
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tisch, dass wir auch diese schwierigen Zeiten zukunftsweisend stammt aus
nachhaltig
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gestalten werden, und blicken durchaus positiv in die Zukunft. Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen uns bewirtschafteten
Wäldern und
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über Ihre Fragen und Anregungen. Bleiben Sie gesund! Quellen Quellen
Unser Optimismus gründet auch auf dem Wissen, welche Inno- www.pefc.at www.pefc.at
IMPRESSUM
Herausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Innsbruck, www.uibk.ac.at
Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); public-relations@uibk.ac.at PEFC zertifiziert PEFC zertifiziert
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Verleger: KULTIG Werbeagentur KG – Corporate Publishing, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Innsbruck, www.kultig.at stammt aus stammt aus
Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Eva Fessler (ef), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), nachhaltig
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Lisa Marchl, MSc (lm), Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Lektorat & Anzeigen: MMag. Theresa Rass Wäldern und Wäldern und
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Layout & Bildbearbeitung: Florian Koch Fotos: Andreas Friedle, Universität Innsbruck Druck: Gutenberg, 4021 Linz Quellen Quellen
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TITELTHEMA 8
ENERGIE. Der Bauingenieur Pavel Ševela entwickelt mit seinem
Team eine technologisch innovative Dusche, die bei der
Bereitstellung von Warmwasser bis zu 80 Prozent Energie einspart. 8
FORSCHUNG
PHYTOWISSENSCHAFT. Innsbrucker Forscherinnen und Forscher MUSIKWISSENSCHAFT. Raymond Ammann
untersuchen das Wirkstoffpotenzial von Pflanzen, um ihnen noch eschäftigt sich mit der Geschichte des Jodelns im
b
mehr heilende Kraft zu entlocken. 26 Alpenraum und vergleicht die Entwicklungen in Tirol
und der Schweiz.
PHYSIK. Durch Autoabgase verursachte Salpetersäure- und
Ammoniak-Dämpfe tragen zur Bildung von Feinstaub bei. 29 38
MIKROBIOLOGIE. Das regionale Auftreten von Coronaviren lässt
sich im Abwasser frühzeitig erkennen. Österreichische
Wissenschaftler arbeiten am Aufbau eines Monitoringsystems. 30
RUBRIKEN
EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: SCHNITTSTELLEN FÜR DAS QUANTENINTERNET 4 | NEUBERUFUNG: SUSANNE AUGENHOFER 6 | FUNDGRUBE VERGANGENHEIT:
UNIVERSITÄRE STADTBAUGESCHICHTE 7 | MELDUNGEN 24 + 41 | WISSENSTRANSFER 34 + 35 | PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 – 47 | ZWISCHENSTOPP: RICHARD BARDGETT 48 |
SPRUNGBRETT INNSBRUCK: KATHARINA SCHRATZ 49 | ESSAY: WIR UND DIE COVID-19-PANDEMIE von Andreas Oberprantacher 50
Das Quanteninternet verspricht absolut abhörsichere Kommunikati- Kilometer lange Glasfaserkabel übertragen. Dazu wird die Wellenlänge
on und leistungsstarke verteilte Sensornetzwerke für Forschung und des Lichtteilchens in einem nichtlinearen Kristall (Bildmitte) so verän-
Technologie. An der Universität Innsbruck nimmt es bereits Gestalt an: dert, dass es über herkömmliche Glasfaserleitungen gesendet werden
Ein Team um START-Preisträger Ben Lanyon am Institut für Experimen- kann. Dies ebnet den Weg für die praktische Nutzung von Quanten-
talphysik kann mit Materie verschränkte Lichtteilchen bereits über 50 netzwerken.
Fotos: Andreas Friedle (1), Eva Banholzer (1), Claudia Sojer/ULB Tirol (1); COVERFOTO: soma architecture; BILD DER WISSENSCHAFT: IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch
zukunft forschung 01/20 5
NEUBERUFUNG
I
ch fand den Gedanken schön“, sagt dierte an der Uni Graz Rechtswissenschaft. spannend. Zudem ist es ein maßgeblich
Susanne Augenhofer heute, „mich Von 1999 bis 2009 war sie an der Uni europäisch geprägtes Rechtsgebiet und
für ein Studium zu entscheiden, bei Wien als Universitätsassistentin tätig (Pro- erfasst eine große Bandbreite von Lebens-
dem es um Gerechtigkeit geht.“ Dass das motion 2001) und erlangte jeweils einen sachverhalten – vom Reiserecht bis zum
Jusstudium ihr noch dazu die Möglich- LL.M. an der Yale Law School und der FU Heimvertrag ist alles dabei –, die sich
keit bot, sich mit Geschichte und Latein Berlin. 2009 wechselte sie als Juniorprofes- durch eine große Aktualität auszeichnen.
auseinanderzusetzen, reizte sie ebenfalls. sorin an die Humboldt-Universität zu Berlin ZUKUNFT: Müssen Verbraucher besonders
Ihr Karriereweg führte sie über ihre Stu- und wurde 2013 zur Inhaberin des Lehr- geschützt werden?
dienstadt Graz und die Uni Wien nach stuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches SUSANNE AUGENHOFER: Jein. Geschützt
Deutschland, 2020 folgte sie einem Ruf Privatrecht, Rechtsvergleichung sowie werden soll der schwächere Vertrags-
an das Institut für Unternehmens- und Marktregulierung durch Verbraucher- und partner, es soll also – wie mein verehrter
Steuerrecht der Universität Innsbruck. Wettbewerbsrecht ernannt. Ab Herbst Lehrer Franz Bydlinksi es formuliert hat
2018 war sie Professorin für Deutsches und – der materiellen Vertragsgerechtigkeit
ZUKUNFT: Sie haben sich für eine universi- Europäisches Zivil- und Wirtschaftsrecht an gegenüber einer nur formellen der Vorzug
täre Karriere entschieden – was reizt Sie an der Uni Erfurt. Forschungsaufenthalte und gegeben werden.
juristischer Forschung und Lehre? Fellowships führten Augenhofer u. a. nach ZUKUNFT: Ist die Digitalisierung z. B. durch
SUSANNE AUGENHOFER: Ähnlich wie bei der Italien, Großbritannien und in die USA. Onlinedienstleistungen eine Herausforde-
Entscheidung fürs Studium die Vielfältig- rung für das Verbraucherrecht?
keit: Als Professorin hat man das Privileg, AUGENHOFER: Die Digitalisierung stellt
in verschiedene Rollen schlüpfen zu dür- chen sozialisierte Kollegen kennen zu zweifelsohne eine Herausforderung für
fen. Man darf lehren und lernen – auch von lernen, empfand ich als ungeheuer berei- das Recht, nicht nur das Verbraucherrecht,
Studierenden. Und bei der wissenschaftli- chernd. Das gleiche galt für meinen LL.M.- dar. Man denke nur an Preisdiskriminie-
chen Auseinandersetzung mit aktuellen Aufenthalt an der Yale Law School und rung durch Algorithmen, die Haftung des
Fragen kann man unabhängig sein, man auch jeden späteren Forschungsaufenthalt Plattformbetreibers für auf seiner Platt-
muss nicht die Interessen eines Mandan- im Ausland. Während meines Studiums in form getätigte Äußerungen etc. Hier zeigt
ten vertreten. Schließlich darf man sogar in Yale hatte ich das Privileg, Vorlesungen bei sich aber auch sehr schön die Schnittstelle
die Rolle eines Eventmanagers schlüpfen, Guido Calabresi zu besuchen, der die For- zwischen Verbraucher- und Wettbewerbs-
wenn man eine Tagung veranstaltet. schung im Bereich von Law & Economics recht und wir sind wieder bei der Frage
ZUKUNFT: Und was hat Sie während des wesentlich mitbegründet hat. Diese Nähe von vorhin, wer geschützt werden muss:
Studiums am meisten fasziniert? zwischen Studierenden und Lehrenden, neben den Verbrauchern z. B. in gewissen
AUGENHOFER: Drei Dinge: während des wie ich sie in den USA erfahren durfte, Konstellationen auch die auf den Plattfor-
Diplomstudiums mein Erasmus-Aufent- kann man natürlich schwer 1:1 auf eine men tätigen Unternehmen, die sich gegen-
halt in Mailand. Die Möglichkeit, eine österreichische Uni mit hohen Studieren- über der Plattform in einem Verhältnis der
fremde Rechtsordnung und in einer sol- denzahlen übertragen. Aber sich darum Unterordnung befinden. ah
STADTGESICHTER
Was einst in privaten Räumlichkeiten begann, prägt heute das öffentliche
Erscheinungsbild der Stadt – die Gebäude der Universität Innsbruck.
A
ls 1924 am Innrain das neue Hauptgebäude der Uni-
1
versität Innsbruck eröffnet wurde, waren mehr als 30
Jahre vergangen, seit 1892/93 der erste Antrag auf eine
Erweiterung der Universität gestellt worden war – das da-
malige Hauptgebäude in der Universitätsstraße (die heutige
Theologische Fakultät) war in einem katastrophalen baulichen
Zustand und platzte zudem aus allen Nähten. Die Hörerzah-
len waren von 292 im Jahr 1851/52 auf 1001 im Jahr 1897/98
emporgeschnellt, auch die Spezialisierung der Wissenschafts-
disziplinen forderte neuen Raum. Der Unterricht fand – wie
2 schon in den ersten Jahren nach der Universitätsgründung im
Jahr 1669 – teilweise sogar in angemieteten Wohnungen statt.
Doch universitäre Zwistigkeiten über den Standort und Ausei-
nandersetzungen mit dem Ministerium verzögerten eine end-
gültige Entscheidung. Der Universität wäre etwa ein Standort
im Saggen oder nahe der Triumphpforte lieber gewesen, das
sogenannte Prügelbaugelände am Innrain wäre zu weit vom
Stadtzentrum entfernt. Die Mediziner wiederum bevorzugten
den Standort Prügelbaugelände, war doch südlich davon in
3 den Jahren zuvor das neue Klinikareal samt Institutspavillons
entstanden. Das Ministerium schließlich entschied sich für
diesen Standort, 1911 wurde der Spatenstich gefeiert, 1912 be-
gannen auch die Bauarbeiten für die benachbarte Universitäts-
bibliothek. Der Erste Weltkrieg und die italienische Besatzung
verzögerten die Eröffnung, 1924 war es schließlich soweit –
die Universität Innsbruck hatte, mehr als 250 Jahre nach ihrer
Gründung, ihren ersten repräsentativen Neubau. Heute bilden
die universitären Bauten am Innrain, nur wenige Gehminuten
vom Stadtzentrum entfernt, einen der vier urbanen Campus
der Universität.
Fotos: Abb. 1 – Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum FB 1673/13a, Abb. 2 – Stadtarchiv Innsbruck Ph-2240, Abb. 3 – Baumschlager Eberle Architekten zukunft forschung 01/20 7
8 zukunft forschung 01/20 Foto: Andreas Friedle
WARMDUSCHEN MIT
GUTEM GEWISSEN
Die Bereitstellung von Warmwasser zählt zu den leistungsintensivsten Anwendungen in
Haushalten. Bauingenieur Pavel Ševela entwickelt mit seinem Team nun eine technologisch
innovative Dusche, die dabei bis zu 80 Prozent Energie einspart.
W
smarte Dusche“ unter der Lei- enn morgens nach dem Aufstehen Einbauen & Duschen
tung von Pavel Ševela wird von angenehm warmes Wasser auf den In seinem von der Österreichischen For-
der FFG im Rahmen eines Spin- Nacken prasselt, denken wohl nur schungsförderungsgesellschaft (FFG) geför-
off Fellowship Programms mit die wenigsten daran, wie viel Energie für das derten Spin-off Fellowship Projekt „SOPHIE
rund 280.000 Euro gefördert, tägliche Duschvergnügen verbraucht wird: – die smarte Dusche“ – siehe Infobox – arbeitet
läuft 18 Monate und endet mit Eine fünfminütige Dusche mit 40 °C warmem Pavel Ševela gemeinsam mit weiteren Kolle-
Ende Mai 2021. Neben Rainer Wasser ist aber bei Weitem die leistungsinten- gen an einer technologischen Gesamtlösung
Pfluger und Johannes Frenger sivste Anwendung in einem Haushalt und be- für nachhaltiges Duschen. Die innovative Du-
(im Bild mit Pavel Ševela) vom nötigt so viel Energie wie elf Kilometer mit ei- sche SOPHIE soll das massive Einsparungs-
Arbeitsbereich für Energieeffi- nem E-Golf zu fahren oder eine 1.000 Lumen potenzial im Bereich der Warmwasserbereit-
zientes Bauen am Institut für starke Glühbirne 200 Stunden lang brennen stellung ausschöpfen, indem sie auf aktive
Konstruktion und Materialwis- zu lassen. Und das noch dazu unter der Vor- Wärmerückgewinnung und kurze Leitungen
senschaften ist Martin Kirch- aussetzung, dass das Warmwasser ohne Ener- setzt. Das erklärte Ziel ist, außerdem komplett
mair vom Institut für Mikrobio- gieverlust zur Dusche geliefert wird, was der- ohne Warmwasserspeicher auszukommen. Al-
logie am Projekt beteiligt. Mit zeit in den wenigsten Haushalten der Fall ist. le Einzelkomponenten sollen in einer Wand-
Christoph Drexel und Stephan Üblicherweise benötigt man in Gebäuden, die vorrichtung integriert und nach dem Prinzip
Breier entwickeln zwei externe dem per EU-Richtlinie 2020 definierten Stan- „plug and play“ eingesetzt werden. Wichtig
Experten aus der Praxis den dard für Nearly Zero Energy Buildings ent- ist Pavel Ševela nämlich, dass aus seinen For-
funktionsfähigen Prototypen sprechen (z. B. Passivhäuser), für die Bereit- schungsarbeiten ein Produkt entsteht, das in
der smarten Dusche mit. Mit stellung von Warmwasser sogar mehr Energie der Praxis ankommt. „Wir hatten vom ersten
seiner Gründungsidee belegte als für die Heizung. „Aus Studien wissen wir, Tag an unsere Stakeholder im Blick“, sagt er
Ševela beim 120-Sekunden- dass circa 70 Prozent des Warmwasserbedarfs und weist auf die vorhandene Skepsis hin,
Ideencasting im Oktober 2018 auf das Duschen entfallen. Deshalb konzent- auf die er bei seinen Vorstudien, für die er viel
den 1. Platz. rieren wir uns auf die Entwicklung einer ener- Zeit auf Baustellen verbracht hat, gestoßen
giesparenden Dusche“, erklärt Pavel Ševela, ist. „Kunden interessieren sich sehr wohl für
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbe- nachhaltige Lösungen, entscheiden sich aber
reich für Energieeffizientes Bauen der Fakul- aufgrund der Komplexität und der Vielzahl
tät für Technische Wissenschaften. der verfügbaren Optionen oft dagegen“, weiß
10 zukunft forschung 01/20 Fotos: Andreas Friedle (2), Pavel Ševela (1)
TITELTHEMA
ZUKUNFT: Nachhaltigkeit ist in aller Mun- ZUKUNFT: Was bedeutet dies im Sinne der kenntnisinteresse heraus. Parallel dazu
de, alles soll(t)e nachhaltig sein. Wie kann Verantwortung? braucht es diese neue Schiene, in die Ver-
man Nachhaltigkeit in Bezug auf Univer- STÖTTER: Dass wir uns in gesellschaftliche treter der Gesellschaft eingebunden sind,
sitäten definieren? Prozesse einbringen, dass wir mit der Ge- in der gemeinsam Fragestellungen ent-
HANS STÖTTER: Ob „man“ es so definieren sellschaft zusammen an der Wissenspro- wickelt werden und in der ein Erkennt-
kann, sei dahingestellt, für mich definiere duktion arbeiten. Einfach deshalb, weil die nisprozess gemeinsam durchlaufen wird.
ich es so: Nachhaltigkeit ist so etwas wie Gesellschaft, wenn sie bei der Wissenspro- Das ist ein problemgetriebener Ansatz,
ein Leitfaden, der für alle Teilaspekte, die duktion dabei ist, so etwas wie Ownership der nicht-universitäre Gesellschaft mit
eine Universität ausmachen – Forschung, besitzt, sie sich als Teil des Systems fühlt der universitären vereint.
Lehre, Betrieb und der Diskurs mit der – und eine gesellschaftliche Umsetzung ZUKUNFT: 2012 wurde die „Allianz Nach-
Gesellschaft –, eine zentrale Bedeutung dadurch um vieles leichter wird. Das ist haltige Universitäten Österreich“ gegrün-
hat. Das heißt, dass in Forschung und eine neue Form der Verantwortung, der det. Sehen Sie seither Highlights?
Lehre die Aspekte der nachhaltigen Ent- wir uns jetzt bewusst werden müssen. STÖTTER: Das erste Highlight war, dass
wicklung zu berücksichtigen sind. Eben- ZUKUNFT: Soll universitäre Forschung die- Universitätsleitungen ein gemeinsames
so im Betrieb – bei der Beschaffung, beim sen Wissenstransfer ständig mitdenken? Dokument, das „Memorandum of Un-
Energieverhalten, bei Reisen etc. – und im STÖTTER: Ja, er ersetzt aber definitiv nicht derstanding zur Zusammenarbeit der
gesellschaftlichen Diskurs. In der Diskus- die klassischen Felder. Natürlich wird es Allianz Nachhaltige Universitäten in
sion mit der Gesellschaft müssen wir als Grundlagenforschung wie bisher geben, Österreich“, unterschrieben und damit
Vordenker auch Vorlebende sein. Ein wei- Forschung aus wissenschaftlichem Er- kundgetan haben, mit dieser interuniver-
terer Aspekt in Hinblick auf diesen roten sitären Einrichtung im Bereich der Nach-
Faden: Meiner Meinung nach hat Nach- haltigkeit zusammenarbeiten zu wollen.
haltigkeit ganz klar eine ethische Kompo- Ein anderes Highlight ist das Vertrauens-
nente, es geht stark um Verantwortung; verhältnis, das entstanden ist. Österreich
und zwar um Verantwortung gegenüber ist ein kleines Land, die Unis rittern oft
der Zukunft, der Gesellschaft und vor al- um die gleichen Geldtöpfe, oftmals sieht
lem gegenüber künftigen Generationen. man Forscher einer anderen Uni als Kon-
ZUKUNFT: Provokant gefragt: Sollte dies kurrenz. Als wesentlicher Punkt der inter-
nicht per se die Aufgabe einer Uni sein? universitären Aktivitäten ist es gelungen,
STÖTTER: Provokante Antwort: Ja. Doch diese Konkurrenzsituation zu überwin-
dann kommt ein „…aber es ist halt nicht den und das Gefühl zu entwickeln, dass
so.“ Universitäten haben sich bisher HANS STÖTTER (* 1956 in München) wir stärker sind, wenn wir gemeinsam an
stark auf ihre klassischen Kernbereiche studierte Geografie, Kartografie und einem Strick ziehen. Ein weiteres High-
Forschung und Lehre konzentriert, auf Landschaftsökologie an der Ludwig-Maxi- light ist das Projekt UniNEtZ.
den Betrieb natürlich auch. Die Entwick- milians-Universität München. 1998 wurde ZUKUNFT: In dem Projekt soll bis 2021 ein
lungen im 21. Jahrhundert, auch schon er auf den Lehrstuhl für Geographie der Optionenpapier erarbeitet werden, das
im ausgehenden 20. Jahrhundert, haben Universität Innsbruck berufen. Von 2010 die Bundesregierung in der Umsetzung
aber ein Umdenken angeregt. Dahinge- bis 2012 war er Wissenschaftlicher Direk- der 17 Sustainable Development Goals
hend, dass an Universitäten – neben dem tor des alpS Centre for Climate Change der UNO, der SDGs, unterstützen soll.
Betreiben von Grundlagenforschung und Adaptation Technologies, er ist Grün- Gibt es schon Zwischenergebnisse?
dem Produzieren von Systemwissen – be- dungs- und Vorstandsmitglied des Climate STÖTTER: Anfang März wurde dem Bun-
gonnen wurde, angewandte Forschung Change Centre Austria (CCCA) und Vertre- desministerium für Bildung, Wissenschaft
zu betreiben und zielorientiertes Wissen ter der Universität Innsbruck in der Allianz und Forschung ein Perspektivenbericht
zu produzieren. Jetzt ist eine neue Di- Nachhaltige Universitäten Österreichs. In überreicht. In einer Kurzdarstellung
mension dazugekommen, nämlich Trans- seiner wissenschaftlichen Arbeit widmet wird aufgezeigt, in welche Richtung in
formationswissen zu produzieren und sich Stötter Fragen des Klimawandels, der den einzelnen SDG-Gruppen gearbeitet
transformativ an der Wissensproduktion Geomorphologie, der Naturgefahren- und wird, welche Fokussierungen angestrebt
zu arbeiten, also nicht der Gesellschaft der Gebirgsforschung sowie der Bildung werden, wo die Hauptproblemfelder in
einfach etwas vorzusetzen. für nachhaltige Entwicklung. Österreich gesehen werden, wie ein SDG
mit anderen SDGs interagiert… Damit ist lem den Tourismus wieder anzukurbeln, „Wenn ich heute eine
der Weg klar vorgegeben, den der Optio- mit entsprechenden Auflagen verbunden akademische Ausbildung
nenbericht gehen wird. werden. Ein Zurück zum Vorgehen vor abschließe und nichts von
ZUKUNFT: Stichwort SDGs. Befürchten Sie, der Corona-Krise kann es nicht geben.
den dringendsten globalen
dass diese anlässlich der Corona-Krise in ZUKUNFT: Was passiert an der Uni Inns
den Hintergrund rücken? bruck in Bezug auf Nachhaltigkeit?
Problemen weiß – das kann
STÖTTER: Lassen Sie mich das positiv dar- STÖTTER: Ein großer Schritt, der uns von nicht sein.“
stellen. Die Corona-Krise hat einen höchst anderen Universitäten unterscheidet,
interessanten Aspekt aufgezeigt, von ist das Ergänzungsstudium Nachhaltig- STÖTTER: Auf jeden Fall. Ich möchte mit
dem – glaube ich – Politiker viel lernen keit, das im kommenden Wintersemester einem provokanten Satz beginnen: Als
können. Politiker, die klare Ansagen und starten soll. Es hat einen Umfang von 30 Universität ist es unsere absolute Verant-
klare Vorgaben machen, können durchaus ECTS, Vertreterinnen und Vertreter aus wortung, dass alle unsere Absolventinnen
von der Gesellschaft sehr einschneidende den unterschiedlichen Fakultäten wur- und Absolventen eine grundlegende Ah-
Schritte einfordern – und es schadet ihrer den in ein Boot geholt, um gemeinsam nung von den Herausforderungen des 21.
Popularität überhaupt nicht. Man muss Module zu entwickeln, die an den SDGs Jahrhunderts haben müssen. Wenn ich
also davor keine Angst haben. Da sehe ausgerichtet sind. Nachholbedarf in Inns heute eine akademische Ausbildung ab-
ich die Chance. Wenn wir die Wirtschaft bruck sehe ich im Betrieb. In einigen Teil- schließe und nichts von den dringendsten
wieder ankurbeln, dann können wir die- bereichen sind wir sehr stark, in anderen globalen Problemen weiß – das kann
se Ankurbelung, diese Investitionen, die gilt es nachzuholen. Insgesamt wäre es nicht sein. Wer eine akademische Ausbil-
getätigt werden, mit Vorgaben koppeln, auch wichtig, Nachhaltigkeit an der Uni- dung macht, ist potenzieller Entschei-
die gleichzeitig dazu dienen, Klimaschutz versität institutionell zu verankern. Es dungsträger in der Zukunft und muss
oder Nachhaltigkeitsziele einzuhalten. Ich wird über die Gründung eines Zentrums wissen, was die zentralen Herausforde-
bin guter Hoffnung, dass das stattfindet. für Nachhaltigkeit diskutiert, eine inter- rungen sind und wie – zumindest im
Auf europäischer Ebene wird dies einge- fakultäre Einheit, in der alle Nachhaltig- Grundkonzept – Lösungsansätze ausse-
fordert, auf österreichischer Ebene wird keitsaspekte koordiniert werden sollen. hen. Insofern müssen die Studierenden
immer betont, dass das in dieser Hinsicht An der Universität für Bodenkultur in eingebunden sein, in allen Bereichen.
sehr ambitionierte Regierungsprogramm Wien gibt es das Zentrum für Globalen Universitäten haben Vorbildfunktion, das
hält. Es ist zu hoffen, dass das in Tirol Wandel & Nachhaltigkeit – das ist eine müssen sie auch leben – und das geht nur
ähnlich gesehen wird und dass die Maß- Erfolgsgeschichte, wenn so eine Koordi- mit einem Miteinander. In Innsbruck gibt
nahmen, die gesetzt werden, um vor al- nation stattfindet. Insofern wäre es ein es eine starke Initiative von studentischer
großer Gewinn, wenn es das an der Uni Seite, die INUI. Von INUI sind viele Im-
Innsbruck auch geben würde. pulse ausgegangen – ein Beispiel, wie ein
Das gesamte Interview finden Sie auf
der Homepage der Uni Innsbruck unter: ZUKUNFT: Soll man Studierende in den Miteinander bei solch grundlegenden
www.uibk.ac.at/forschung/magazin universitären Klimawandel einbinden? Fragen möglich ist. ah
UM DEN PREIS
DER WAHREN KOSTEN
Der Umweltökonom Markus Ohndorf fordert die Schaffung einer Kostenwahrheit in der Klimapolitik:
Produkte sollen genau um jenen Betrag teurer werden, den sie bei der Herstellung an ökologischen
Folgekosten verursachen.
S
ie gehen täglich in die Luft – Koh-
lendioxid (CO 2 ), Methan (CH 4 ),
Lachgas (N2O) und fluorierte Ga-
se. Und das in rauen Mengen. Umge-
rechnet in CO2-Äquivalente waren es 79
Millionen Tonnen im Jahr 2018 – allein
in Österreich. Peanuts im Verhältnis zum
weltweiten Ausstoß von Treibhausgasen
– nämlich nur rund 0,2 Prozent. Trotz-
dem zu viel. Bis 2030 sollen, so das Ziel
des heimischen Klimaplans, im Vergleich
zum Jahr 2005 36 Prozent der österreichi-
schen Treibhausgasemissionen eingespart
werden, um die 2030-Ziele der EU zu er-
reichen. Doch wie soll dies ehrgeizige Ziel
erreicht werden? Reicht der Ausstieg aus
fossiler Energie? Genügt der Verzicht auf
Burger, Schnitzel & Co? Ist Klimaschutz
allein mit Freiwilligkeit und Anreizen
möglich? Geht es nach Markus Ohndorf,
spielt der Preis eine entscheidende Rolle,
der Forscher vom Institut für Finanz-
wissenschaft der Universität Innsbruck
fordert daher eine Kostenwahrheit in der
Umweltpolitik.
„Werden Emissionen nicht reguliert,
beziehen die Verursacher, beispielsweise
die Produzenten eines Konsumguts, diese
Kosten nicht in ihrem ökonomischen Kal-
kül mit ein. Der Preis dieses ‚verschmut-
zenden‘ Gutes auf dem Wettbewerbs-
markt ist dann zu niedrig und es wird
eine größere Menge produziert und ver-
kauft als volkswirtschaftlich sinnvoll ist“,
sagt Ohndorf. Der Produzent hat also den MARKUS OHNDORF: „Eines der größten Probleme der Klimapolitik ist, dass diejenigen,
finanziellen Vorteil, die Gesellschaft den welche von den Schäden am stärksten betroffen sind, noch gar nicht geboren sind.“
ökologischen und ökonomischen Nach-
teil, entstehen ihr doch durch die nicht Güter konsumiert. In diesem Fall hätten res emissionsreichen Konsumverhaltens
regulierten Schadstoffemissionen Kosten die Unternehmen dann einen Anreiz, in in eben dieses Konsumverhalten einzu-
durch Umweltschäden und die verringer- emissionsarme Technologien zu investie- rechnen? „Eines der größten Probleme
te Nutzbarkeit von Umwelt-Ressourcen. ren“, argumentiert der Umweltökonom, der Klimapolitik ist, dass diejenigen, wel-
„Würde der Preis alle Kosten reflektieren, räumt aber auch ein, dass dieser Ansatz che von den Schäden am stärksten betrof-
wäre die Nachfrage entsprechend niedri- eine zentrale Frage der Umweltpolitik fen sind, noch gar nicht geboren sind oder
ger und es würden stattdessen andere tangiert: Sind wir bereit, die Folgen unse- noch nicht das Recht haben, an der demo-
REGIONAL UND
GLOBAL DENKEN
Die Humangeografin Jutta Kister beschäftigt sich mit der nachhaltigen
Gestaltung von Wertschöpfungsketten – im kleinen wie im großen Rahmen.
16 zukunft forschung 01/20 Fotos: unsplash.com/Martin Adams (1), Felix Malte Dorn (1)
TITELTHEMA
E
s geht vor allem darum, Prozesse Aktuell untersucht Jutta Kister ge- ten Forschungsansatz gewählt, der die
in ihrer Gesamtheit zu betrachten: meinsam mit Christian Schleyer und Akteurinnen und Akteure vor Ort in den
bei der lokalen Produktion ange- Michael Klingler sowie internationalen Gebieten miteinbezieht. In einer ersten
fangen, über teils globalisierte Handels- Kolleginnen und Kollegen im EU-Pro- Phase des Projekts wurden zunächst die
wege bis hin zum individuellen Konsum. jekt InnoForESt die Transformation des involvierten Personen und Unternehmen,
Das bedeutet auch, die Beziehungen zwi- Forstsektors in Europa auf unterschied- die im Forstbereich, dem Holzhandwerk
schen den einzelnen Akteuren unter die lichen Ebenen. Der österreichische Teil und Handel tätig sind, identifiziert.
Lupe zu nehmen“, fasst Jutta Kister den des Projekts befasst sich vor allem mit In einem nächsten Schritt wurden Inter-
Grundsatz ihrer Forschungsarbeit rund regionalen Wertschöpfungsketten zur views geführt und Workshops organisiert,
um den inzwischen längst auch in der Förderung eines nachhaltigen Wald- und um alle an einen Tisch zu bringen. „Letzt-
Alltagssprache angekommenen Begriff Forstmanagements. „Der Holzhandel ist lich geht es immer darum, Netzwerke
„Nachhaltigkeit“ zusammen. Nachhal- meist global angelegt, wir versuchen hier zu bilden: bestehende ausbauen oder
tigkeit scheint besonders erstrebenswert, Strategien zu erarbeiten, um auch diesen verändern bzw. noch nicht vorhandene
viele (große) Unternehmen versuchen Bereich stärker regional runterzubre- etablieren. Ich war überrascht, wie wenig
sich rund um das Label „nachhaltig“ chen“, erklärt Kister. manche der Akteure in Verbindung zu-
besser zu positionieren, Konsumentinnen einander standen, obwohl sie im gleichen
und Konsumenten kaufen bevorzugt aus Dienstleister Wald Bereich und in der gleichen Region tätig
nachhaltiger Produktion. Aber was be- Die untersuchte Region in Österreich sind“, erzählt Kister. „Die Innovation ist
deutet das eigentlich genau? Und kann befindet sich in Oberösterreich und der hier keine technische in erster Linie, son-
auf globaler Ebene überhaupt nachhaltig Steiermark, im Gebiet „Eisenwurzen“, wo dern vielmehr eine soziale. Das schafft im
gehandelt werden? Ist es in kleinerem auch die Nationalparks Kalkalpen und besten Fall Arbeitsplätze und hält sie in
Rahmen realistisch umsetzbar? Gesäuse liegen. Es handelt sich dabei um der Region.“ Aus dem Austausch ergeben
Jutta Kister hat sich diesem komple- eher strukturschwache Gebiete mit einem sich dann Aspekte wie ein Wiederaufle-
xen Themenbereich in ihrer langjährigen sehr hohen Waldanteil. „Diese starke Be- ben von Handwerkstraditionen oder die
Auseinandersetzung bereits aus verschie- waldung ist eine Herausforderung, aber stärkere touristische Positionierung des
denen Perspektiven angenähert. „Ich in- auch eine Stärke der Region, da der Wald Waldes als Ort für Erholung und Sport.
teressiere mich dabei nicht nur für Opti- viele Ökosystemleistungen erbringt, die „Und nicht zuletzt hat der Wald gerade in
mierungen von Abläufen auf technischer den Menschen vor Ort zugutekommen. Zeiten des fortschreitenden Klimawandels
Ebene, sondern vor allem in sozialer Die Stimulation und Förderung eines eine wichtige Schutzfunktion auf allen
Hinsicht: Nachhaltig ist nur, was für alle nachhaltigen Forstmanagements ist daher Ebenen und ist essenziell für die Biodi-
Beteiligten in einer Wertschöpfungskette sehr wichtig, um die positiven Aspekte in versität. Nachhaltige Forst- und Wald-
auch fair ist“, sagt Kister. den Vordergrund zu rücken.“ Dazu ha- wirtschaft ist daher gesamtgesellschaftlich
In ihrem Doktoratsprojekt „Von ben die Wissenschaftlerinnen und Wis- gesehen sehr wichtig.“
Wachstum und Werten. Globale Wert- senschaftler einen sehr praxisorientier-
schöpfungsketten im Fairen Handel“, Nachhaltige Hütten
dessen Ergebnis inzwischen auch als In Zusammenarbeit mit dem Alpenverein
Buch erschienen ist, wirft die Geografin untersucht Jutta Kister in einem INTER-
einen umfassenden Blick auf den Fairen REG-Projekt Berghütten im Hinblick auf
Handel, der in den vergangenen Jahren ihr nachhaltiges Agieren und erarbeitet
stark gewachsen ist. „Ich habe mir die Verbesserungsvorschläge. „Berghütten
Frage gestellt, wie viel Fairness diese befinden sich im Spannungsfeld zwi-
großen Wachstumsraten überhaupt noch schen Bergsport und Naturraum. Wir
zulassen. Produkte aus Fairem Handel möchten in den kommenden Monaten
sind inzwischen in jedem Supermarkt die wichtigsten Stakeholder in Berg und
erhältlich, das war nicht immer so.“ Tal identifizieren und ihre Netzwerke
Diese Entwicklung empfindet Kister als JUTTA KISTER ist Humangeografin und herausarbeiten. Dabei geht es um Fra-
prinzipiell positiv, sowohl in der Produk- als Postdoc in der Arbeitsgruppe Entwi- gen der Infrastruktur, wie auch die Art
tion als auch im Konsum. „Es gibt aber cklungs- und Nachhaltigkeitsforschung der An- und Abreise von Gästen, welche
auf mehreren Ebenen Luft nach oben: des Instituts für Geographie der Universität Produkte auf der Hütte verwendet wer-
Globale Wertschöpfungsketten sind Innsbruck tätig. Sie forscht zu wirtschafts- den und generell um die Beziehung zur
ein komplexes Gebilde, besonders die geografischen Themen mit Fokus auf umgebenden Natur“, so Kister.
Machtverhältnisse zwischen Produzen- nachhaltige Entwicklung. Ihre Forschungs- Weitere Projekte im Bereich der Erfor-
ten und Abnehmern sind am Weltmarkt interessen liegen in der nachhaltigen schung und praktischen Etablierung
oft sehr ungleich. Und gerade bei Kaffee Bereitstellung und dem Konsum von nachhaltiger Wertschöpfungsketten sind
oder Kakao ist es so, dass Überschüs- Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen bereits in Planung: „Gerade angesichts
se vorhanden sind und sogar noch viel Ressourcen, alternativen Wertschöpfungs- der Corona-Krise und ihrer Überwindung
mehr im Sinne von Fair Trade gehandelt ketten wie dem Fairen Handel und sozial- wird es ganz wichtig sein, Nachhaltigkeit
werden könnte.“ ökologischen Standards im Allgemeinen. als Maxime einzufordern.“ mb
A
ATM (li.) sowie Julika Knapp bfälle vermeiden und den Verbrauch beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am
(re.) und Sabine Robra vom von Rohstoffen reduzieren, so lau- Arbeitsbereich für Umwelttechnik der Uni
Arbeitsbereich für Umwelt- tet das Ziel des Projekts CIRCE 2020. Innsbruck, haben Materialflussanalysen und
technik analysieren in der Begonnen hat es mit Überlegungen in den Ökobilanzen sowie Lebenszykluskosten-Ana-
CIRCE2020-Pilotregion Tirol fünf Pilotregionen in Italien, Kroatien, Polen, lysen für von ATM ausgewählte Stoffe durch-
gemeinsam Abfallströme. Ungarn und Österreich, welche Abfall- und geführt. „Unsere Analysen sind eine gute
Nebenprodukte, die im produzierenden Ge- Möglichkeit, zu erwartende Auswirkungen
werbe anfallen, wiederverwertet werden kön- auf die Umwelt und die Ökonomie bereits vor
nen. Pro Region wurden dafür jeweils zehn der Einführung neuer Kreislaufwirtschafts-
relevante Abfallströme ausgewählt, in Tirol konzepte abzuschätzen“, erläutert Julika
unter der Leitung der Abfallwirtschaft Tirol Knapp. „Dabei hängen die Ergebnisse stark
Mitte GmbH (ATM). ATM ist bereits seit Juli von den verfügbaren Daten und den getrof-
2017 Projektpartner von CIRCE 2020, das vom fenen Annahmen ab. Für Tirol erwiesen sich
EU-Programm Interreg Central Europe finan- von den zunächst zehn genauer betrachteten
ziert wird. Julika Knapp und Sabine Robra, Abfallströmen zwei, nämlich Altholz und ge-
mischte Siedlungsabfälle, als besonders viel- lich darin, die Prozessoutputs in Form der
versprechend für eine Umsetzung als Pilotak- aufbereiteten Organikfraktion des Restmülls
tivität“, so Knapp weiter. sowie der Biokohle aus Altholz als Produkte
bzw. Sekundärrohstoffe einzustufen und diese
Altholz & Siedlungsabfälle zu vermarkten. „Das wird uns auch über das
Diese Ergebnisse haben sich auch in weiteren Projektende hinaus beschäftigen“, sagt Maria
Untersuchungen bestätigt. Nach Abschluss Ortner, Projektleiterin bei ATM. „Die Ergeb-
der Materialflussanalysen wurden die Stoff- nisse der ökologischen und ökonomischen
ströme unter Anwendung eines im Rahmen Analysen des Arbeitsbereichs für Umwelt-
des Projekts entwickelten Kriterienkatalogs technik der Universität Innsbruck liefern uns
auf ihre soziale, ökologische, ökonomische hierzu jedoch eine sehr gute Grundlage. Wir
und technologische Vertretbarkeit unter- achten bewusst auf regionale Verwertungs-
sucht. Altholz und gemischte Siedlungsabfälle optionen, um Transportwege kurz zu halten
wurden schließlich in Verbindung mit einer und die lokale Wertschöpfung zu stärken.
„Closing the Loop“-Lösung für die weiteren Hier gibt es bereits konkrete Ideen: So könnte
Pilotaktivitäten ausgewählt. In den gemisch- die produzierte Biokohle beispielsweise zur
ten Siedlungsabfällen ist trotz getrennter Ab- Reinigung des Sickerwassers der stillgelegten
Deponie Graslboden in der Gemeinde Schön-
„Unsere Analysen sind eine gute berg eingesetzt werden“, so Ortner weiter.
Möglichkeit, zu erwartende
Auswirkungen auf die Umwelt Gute Ausgangslage
In Sensitivitätsanalysen hat die Übertragung
und die Ökonomie bereits vor der der Ergebnisse auf andere Länder gezeigt,
Einführung neuer Kreislaufwirt dass regionale Rahmenbedingungen, wie z. B.
schaftskonzepte abzuschätzen“ der nationale Strom-Mix, eine entscheidende
Julika Knapp, Arbeitsbereich für Umwelttechnik Rolle spielen und die für Tirol gewählten
Konzepte dort nicht zwangsläufig zu einem
fallsammlung noch ein nicht unerheblicher ökologischen und/oder ökonomischen Mehr-
Anteil an Bioabfällen und Glas enthalten. wert führen. Im Vergleich mit den Partnerlän-
Um diese hochwertigen Abfälle nutzbar zu dern zeigt das Projekt CIRCE 2020, dass in
machen, soll im Rahmen der Pilotaktivitäten Österreich die Verwertung von Reststoffen
der Anteil des Restabfalls weiter behandelt bereits sehr viel Anwendung findet. „Die gu-
werden, der nach einer mechanischen Ab- te Überwachung der Abfallgesetze und hohe
fallaufbereitung als „Niederkalorik“ anfällt. Abfallgebühren sorgen in Österreich dafür,
Darin reichern sich vor allem die feinen und dass Betriebe sich nach Alternativen zur Ent-
schweren Anteile des Restabfalls an, also sorgung umsehen. Gleichzeitig sind Primär- START DES EU-geförderten
unter anderem organische Abfälle und Glas. rohstoffe teilweise sehr teuer. Wer also auf Projekts CIRCE 2020 (Expan-
Der organische Anteil soll nach dem weiteren Kreislaufwirtschaft setzt, findet sich in einer sion of the CIRcular Economy
Aufbereitungsschritt als Substrat zur Biogas- Win-win-Situation wieder“, erklärt Sabine concept in the Central Europe
produktion in Faultürmen von Kläranlagen Robra. Diese positive Ausgangslage hat die local productive districts)
genutzt werden. Das dabei abgetrennte Gas Arbeit jedoch sogar erschwert. Denn das Pro- war im Juni 2017. Durch die
soll recycelt werden. Der andere ausgewählte jekt war so konzipiert, dass den Unterneh- COVID-19-Situation wurde die
Abfallstrom ist Altholz, das momentan einer men nur mehr der letzte Anstoß für die Ein- Projektlaufzeit bis September
thermischen Verwertung zugeführt wird. Als führung bereits entwickelter Kreislauflösun- 2020 verlängert. Bis dahin
Pilotaktivität soll es durch einen speziellen gen gegeben werden sollte. Genug Zeit und sollen in Tirol die beiden Stoff-
Vergasungsprozess sowohl energetisch als finanzielle Mittel, neue technologische Lö- ströme Altholz und gemischter
auch stofflich, in Form von Biokohle, genutzt sungen zu erarbeiten, gab es also nicht. „Für Siedlungsabfall in Pilotaktivitä-
werden. Die Überführung dieser beiden Sze- Tirol wurden schließlich die Abfallströme ten überführt werden. Weitere
narien in Pilotaktivitäten konnte aufgrund der Altholz und gemischte Siedlungsabfälle aus- Pilotregionen sind Venetien
COVID-19-Situation bisher nur teilweise ab- gewählt, um sie in Pilotprojekte zu überfüh- (IT), Split-Dalmatien (HR),
geschlossen werden. Im Speziellen verzögern ren. Nicht zuletzt deshalb, weil es hier bei Wielkopolska (PL), Tatabánya
sich die technischen Versuche der thermoche- den Tiroler Projektpartnern bereits erste Er- Industrial Park (HU). Das Pro-
mischen Nutzung von Altholz, da Labore und fahrungen und die technischen Mittel gab. jekt wird auch dazu genutzt,
die Pilotanlage geschlossen werden mussten. Wir haben im Zuge des Projekts aber auch Gemeinden und Unternehmen
Dies soll nun bis zum Sommer nachgeholt weitere spannende Stoffe wie Schafwoll- und in diesen Regionen über die
werden. Brotreste untersucht, die sich künftig für die ökonomischen und ökologi-
Nach Überprüfung der technischen Mach- Kreislaufwirtschaft eignen würden“, sagt Ro- schen Vorteile der Kreislauf-
barkeit besteht die Herausforderung schließ- bra. lm wirtschaft zu informieren.
ZUKUNFT: 2016 traten die 17 Sustainable Universal Primary Education. Es war das ihre CO2-Emissionen einzuschränken. Ab
Development Goals, die SDGs, in Kraft. erste Mal, dass sich die UNO zusammen- 2010 setzte dann ein Diskussionsprozess
Wie kam es zur Erstellung dieser UN-Zie- gerauft hat, um klare universell geltende ein: Man arbeitete an universell gültigen
le für eine nachhaltige Entwicklung? Ziele zu definieren – das war ein großer Zielen, auf die sich die gesamte Mensch-
WOLFGANG LUTZ: Allein der Prozess war Fortschritt. Umwelt und Nachhaltigkeit heit als normatives Programm einigen
etwas Einmaliges in der Menschheitsge- wurden in den MDGs aber nur vage am kann. Einmalig in der Menschheitsge-
schichte. Im Jahr 2000 waren die Millen- Rande erwähnt. Seit 2000 wurde die Dis- schichte ist dies deshalb, weil es zuvor
nium Development Goals, die MDGs, for- kussion über globalen Klimawandel und noch nie so einen massiven Konsultations-
muliert worden. Das waren in erster Linie Artenvielfalt viel bedeutender, gleichzei- prozess gab. Im Gegensatz zu den MDGs,
Entwicklungsziele für Entwicklungslän- tig war klar, dass auch die reichen Länder die top-down definiert wurden, war es
der, etwa das Sinken der Armut oder die bei sich zu Hause etwas tun müssen, um bei den SDGs ein Bottom-up-Impuls, der
von der Zivilgesellschaft geprägt wurde.
In allen Ländern wurde auf allen Ebenen,
in NGOs und Dorfgemeinschaften, dis-
kutiert und über Prioritäten gesprochen.
ZUKUNFT: Als einer von 15 ausgewählten
Forschern verfassten Sie Ende 2019 den
ersten Global Sustainable Development
Report, eine Art Zwischenbilanz.
LUTZ: Der Report ist ein entscheidender
Schritt in der UNO, um die Rolle der un-
abhängigen Wissenschaft zu stärken und
die Stimme der Wissenschaft zu hören.
Es ist das erste Mal, dass so ein wichtiger
Bericht ganz in die Hände von Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern ge-
legt wurde. Alle anderen großen UNO-
Berichte sind Negotiated Documents –
Wissenschaftler produzieren Ergebnisse,
danach wird politisch verhandelt und
am Schluss müssen alle Regierungen zu-
stimmen. Insofern war das aus meiner
Sicht ein wichtiger Schritt in Richtung
Unabhängigkeit der Wissenschaft in der
UNO. Wir 15 wurden zwar von unseren
Regierungen vorgeschlagen und von der
UNO ernannt, waren aber frei und ohne
Einfluss auf das, was in dem Report steht.
ZUKUNFT: Und wie lautet die Zwischen-
bilanz?
LUTZ: Es ist eine sehr gemischte. Es gibt
Bereiche, in denen es nicht schnell genug
geht und die Ziele 2030 wahrscheinlich
nicht erreicht werden. Noch dringlicher
sind aber jene, in denen es in die falsche
Richtung geht – an erster Stelle stehen Kli-
WOLFGANG LUTZ: „Wenn wir die Herausforderung der Transformation zur Nachhaltig- mawandel und CO2-Emissionen. Andere
keit schaffen wollen, geht das nur über abstrakt-kognitive Prozesse.“ Ziele, wie z. B. die Ungleichheit, müssen
differenziert betrachtet werden. Manche LUTZ: Ich denke schon: Humankapital ist
Indikatoren der Einkommensungleich- „the root cause of sustainable develop-
heit haben sich verbessert, vor allem die ment“. Humankapital als eine Kombina-
globalen, in der Vermögensverteilung tion von Basisgesundheit und Bildung,
hingegen gibt es zunehmende Ungleich- im lutherschen Sinne „Sola schola et sa-
heit. Ein Bereich, der aktuell in Hinblick nitate“ – allein Bildung und Gesundheit.
auf neue Krankheiten, Viren etc. relevant Warum haben wir uns so entwickelt, wie
ist, ist die Biodiversität. Es gibt eine ra- wir sind? Warum sind wir so reich gewor-
pide Abnahme der Biodiversität und des den? Sehr stark bedingt durch die Demo-
Artenschutzes. Wir können – noch weni- kratisierung von Bildung, durch Bildung,
ger als beim Klimawandel – sagen, wann WOLFGANG LUTZ (* 1956 in Rom) die allen ermöglicht wurde.
es wie gefährlich wird. Wir wissen nicht, studierte Philosophie, Theologie sowie ZUKUNFT: Sie haben auch eine neue kultu-
ob es durch eine 20-, 30- oder 50-prozen- Sozial- und Wirtschaftsstatistik an den relle Subspezies des Menschen, den Homo
tige Abnahme der Artenvielfalt zu einem Universitäten München und Wien, er sapiens literata, kreiert…
Point of no Return kommt, an dem zu promovierte in Demografie an der Uni- LUTZ: Das geht auf einen Vortrag über die
viele der wichtigen Life Support Systems versity of Pennsylvania. Seit 1994 leitet er Entwicklung der Menschheit vor der Pon-
kippen und es für die Menschheit verhee- das World Population Program am IIASA tifical Academy im Vatikan zurück. Ich
rend wird. in Laxenburg und seit 2002 das Vienna dachte mir, da der Vatikan als Hort der
ZUKUNFT: Der Titel Ihres wegen der Co- Institute of Demography der Österrei- lateinischen Sprache gilt und nicht gera-
rona-Krise abgesagten Vortrags in Inns chischen Akademie der Wissenschaften. de durch seinen Feminismus bekannt ist,
bruck hätte „Brainpower für eine nach- Von 2008 bis 2019 war Lutz Professor für wäre das ein guter Anlass, die Bedeutung
haltige Entwicklung“ gelautet. Warum Sozialstatistik an der WU Wien, seither der Bildung der Frau hervorzuheben.
benötigt es Hirnschmalz? lehrt er als Professor für Demografie an der Ausgangspunkt war, dass die Bildung
LUTZ: Wenn wir diese Herausforderung Universität Wien. Die Arbeitsschwerpunkte der Frau der mit Abstand wichtigste Fak-
der Transformation zur Nachhaltigkeit des vielfach ausgezeichneten Forschers tor ist, um das explosive Wachstum der
schaffen wollen, geht das nur über ab (u. a. ERC Advanced Grant 2008 und 2017, Weltbevölkerung einzudämmen. Das ist
strakt-kognitive Prozesse. Beim Klima- Wittgenstein Preis 2010) sind Methoden meine Erkenntnis als Demograf aus mei-
wandel haben wir die fatale Situation, der Demografie, Bevölkerungsprognosen, nen Studien der letzten Jahrzehnte, dass
dass wir das CO2 nicht sehen, nicht riechen Weltbevölkerungsentwicklung, Entwicklung für die Gesundheit, vor allem aber für die
und kurzfristig noch keine Auswirkun- von Bildung und Humankapital, Zukunft Geburtenrate, die Bildung, und speziell
gen spüren. Wir brauchen daher wissen- der Geburtenentwicklung, die Interaktion die Bildung der Frau, ganz entscheidend
schaftliche Modelle, die auf sehr hohem zwischen Bevölkerung und Umwelt sowie ist. In allen früheren Zivilisationen waren
Abstraktionsniveau zeigen, dass wir lang- Indikatoren für nachhaltiges Wohlbefinden. es erstens nur wenige Männer, die lesen
fristig große Probleme bekommen werden. und schreiben konnten, und zweitens fast
Daher der Ansatz, dass Kognition, dass nur Männer. Die Innovation kam aus reli-
Brainpower notwendig ist, um die Gefahr zu verstehen und aus eigener Einsicht ihr giösen Gründen. Luther meinte, dass jeder
einschätzen zu können und die Notwen- Verhalten zu verändern. Mensch – „und sei es auch das geringste
digkeit der Reaktion heute einzusehen. ZUKUNFT: Was ist der zweite Aspekt? Mägdelein“ – die Bibel selbst lesen können
ZUKUNFT: Wie kann diese Brainpower er- LUTZ: Der befindet sich am anderen Ende müsse. Das war sozial revolutionierend. Es
reicht werden? des Spektrums, bei der Brainpower der hat sich gezeigt, dass bei der Entwicklung
LUTZ: Es geht um zwei Aspekte. Einerseits Spitzenwissenschaft. Hier sind Kreativi- unserer Wirtschaft, der Demokratie, unse-
um die Bildung, die kognitiven Fähigkei- tät und Höchstleistung eingefordert, um rer Institutionen die Bildung der Frau ein
ten und das abstrakte Denken der Bevöl- technologische und soziale Innovationen ganz entscheidender Faktor war.
kerung, die als Konsumenten und Wähler jeglicher Art voranzutreiben. Wissen- ZUKUNFT: Und wie kam es zur Bezeich-
entscheiden, welche politische Partei das schaft und Bevölkerung sind aufeinander nung Homo sapiens literata?
Thema ernster nimmt. Dass das The- angewiesen. Wenn Wissenschaft von der LUTZ: Ich habe es mir dabei nicht leicht ge-
ma überhaupt ernst genommen werden Bevölkerung wertgeschätzt werden soll, macht. Ich habe mich am Max-Planck-In-
muss, ist schon eine kognitive Einsicht. In dann muss die Bedeutung von Wissen- stitut für evolutionäre Anthropologie in
der Verhaltensökonomie gibt es die Theo- schaft in der Bevölkerung verankert sein, Leipzig erkundigt und mir den Sanctus
rie des Nudging, jemanden anzustupsen, die Bevölkerung muss der Wissenschaft der dortigen Experten geholt, dass man
sein Verhalten zu ändern. Das Problem ist, vertrauen. Wissenschaft ist notwendig für eine Subspezies auch kulturell definieren
dass dies eigentlich ein sehr autoritärer Innovation, sie kann aber nur gedeihen, kann, wenn man das Gefühl hat, dass die-
Zugang ist. Oder will man die Menschen wenn sie Rückhalt in der Bevölkerung se qualitativ auf ein anderes Niveau führt.
selbst dazu befähigen, die Komplexitäten hat. Die Bevölkerung wiederum muss Ich habe auch mit Altphilologen geredet,
befähigt sein, ihr eigenes Verhalten zu re- dass man „homo“ mit dem weiblichen
flektieren und auch zu ändern. Adjektiv versehen kann, weil „homo“
Das gesamte Interview finden Sie auf
der Homepage der Uni Innsbruck unter: ZUKUNFT: Ist Bildung sozusagen eine gro- auch für „Mensch“, also für Mann und
www.uibk.ac.at/forschung/magazin ße Klammer der SDGs? Frau steht. ah
UNIVERSITÄT
stellt die Grundlage für eine nachhaltige Organisation der Universi-
tät dar. An dieser Stelle präsentieren wir einige Beispiele, mit denen
die Universität Innsbruck in den vergangenen Jahren Akzente in
diesem Bereich gesetzt hat.
NACHHALTIGES BAUEN
Die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) hat die Gebäude der Fakultäten für Architektur und
Technische Wissenschaften am Campus Technik im Auftrag der Universität Innsbruck umfas-
send saniert. Dabei wurde ein besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit und Energieeffi-
zienz gelegt. Durch das Konzept des Niedrigenergiehauses wurde das Haus der Technischen
Wissenschaften zu einem Vorzeigeobjekt, das mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde.
Wesentlich unterstützt wurden die Planungen durch die Mitglieder des Forschungszentrums
Nachhaltiges Bauen, das sich dem Bauen für eine energie-, umwelt- und ressourceneffizien-
te Zukunft widmet. Das innovative Highlight der Sanierung ist die Kombination aus Fenster-
lüftung mit mechanischer Lüftung. Dafür wurden eigens für dieses Projekt zwei Prototypen
entwickelt: Das Senkklappfenster und die schallabsorbierenden Überstromöffnungen in den
Bürotüren. Bei trockener Witterung wird frische Luft über die Senkklappfenster in die Büros
eingeleitet, über die Überstromöffnungen gelangt sie in den Kern des Gebäudes.
UMWELTFREUNDLICHE MEHRWEGBECHER
Gerade einmal zehn Minuten dauert es im Schnitt, bevor er, im besten Falle, im
Mülleimer landet. Selbst wenn die Becher ordnungsgemäß entsorgt werden, belas
tet jeder einzelne massiv die Umwelt: Ein Recycling der Becher ist nicht möglich, bei
der Verbrennung werden schädliche Chemikalien aus der Beschichtung freigesetzt.
Gemeinsam mit den Partnern Der Bäcker Ruetz, Baguette/MPREIS, der Mensa sowie
coffeekult und Brennpunkt hat die Universität Innsbruck 2018 mit einem eigenen
Mehrwegbecher zu nachhaltigeren Alltagsgewohnheiten angestoßen. Der Becher
besteht zu 100 Prozent aus natürlichen Rohstoffen, die als Reststoffe in der Holz-
industrie anfallen. Er ist biologisch abbaubar, wird in Deutschland produziert und
über die Projektpartner vertrieben. Die Konsumenten profitieren von einem Rabatt
beim Kaffeekonsum aus dem Mehrwegbecher.
22 zukunft forschung 01/20 Fotos: Uni Innsbruck (2), IVB (1), Stephan Galos (1), Birgit Pichler (1), Robert Puteanu (1), Andreas Friedle (1)
TITELTHEMA
NACHHALTIGKEITSZENTRUM
Gemeinsam bilden Kerstin Neumann, Professorin am Institut für Strategisches
Management, Marketing und Tourismus, sowie Gabriele Chiogna (li.) und Martin
Stuchtey (re.), Professoren am Institut für Geographie, das „Innovation Lab for
Sustainability“ an der Universität Innsbruck – eine Einrichtung, die aus zwei Stif-
tungsprofessuren des Stiftungsfonds für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit
GmbH (SUN) besteht. Die Professuren beschäftigen sich aus der jeweiligen Fach-
perspektive heraus mit Fragestellungen des nachhaltigen Ressourcenmanage-
ments und der nachhaltigen Entwicklung von Organisationen und Systemen.
Übergeordnetes Ziel der Einrichtung ist, das Thema Nachhaltigkeit als fächerüber-
greifendes Thema sichtbar an der Universität zu verankern. Es dient als Plattform
für die projektbasierte Zusammenarbeit der vielen nachhaltigkeitsrelevanten For-
schungsbereiche der Universität, der Wirtschaft und öffentlicher Institutionen.
INTERDISZIPLINÄRES FORSCHUNGSZENTRUM
Das Forschungszentrum „Globaler Wandel – Regionale Nachhaltigkeit“ schafft Raum
für den interdisziplinären Dialog in der Global Change- und Nachhaltigkeitsforschung
an der Schnittstelle zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Theoretisch-
konzeptionelle Arbeit, empirische sowie anwendungsorientierte Forschung und
Umsetzung sind hier gleichbedeutend. Im Sinne einer zeitgemäßen, sich ihrer gesell-
schaftlichen Verantwortung bewussten Wissenschaft bringen sich die Mitglieder des
Forschungszentrums aktiv in den transdisziplinären Dialog mit der Gesellschaft ein,
um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Studierende beschäftigen sich im
Master-Studiengang „Geographie: Globaler Wandel – regionale Nachhaltigkeit“ mit
ähnlichen Fragestellungen. Aktuell widmet sich das von Hans Stötter (Institut für Geo-
graphie) geleitete Forschungszentrum dem Themenschwerpunkt Ressourcen. Dabei
geht es um natürliche und menschengemachte, materielle und immaterielle Ressour-
cen sowie diskursive Bedeutungszuschreibungen. Wesentliche Aspekte umfassen ihre
Entstehung und Potenziale, (Un)Begrenztheit und Nutzung, Verfügungsrechte und
Konflikte sowie damit einhergehende Veränderungen in Raum und Zeit.
NACHHALTIG MOBIL
Die Universität Innsbruck ermuntert ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für den
Weg zur Arbeit öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und fördert dies mit einem
Zuschuss zum Job-Ticket der Innsbrucker Verkehrsbetriebe. Gleichzeitig empfiehlt
sie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Parkberechtigungen an der Uni-
versität zu verzichten. Darüber hinaus können sie dank einer Kooperation mit den
Innsbrucker Verkehrsbetrieben das Fahrradverleihsystem „Stadtrad“ für private
und dienstliche Fahrten zum Vorteilstarif nutzen. So wird ein Beitrag zu einer
nachhaltigen Mobilität der über 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geleistet.
Mit dem von Markus Mailer (Arbeitsbereich für Intelligente Verkehrssysteme)
geleiteten Zentrum für Mobilitätsverhaltensänderung wird die nachhaltige Trans-
formation der Mobilität auch in der Forschung vorangetrieben. Das Zentrum
sammelt Wissen zu Potenzialen und Herausforderungen der Mobilitätsverhaltens-
änderung im digitalen Zeitalter und gibt dieses an alle Akteurinnen und Akteure
weiter, die mit Verkehrsproblemen konfrontiert sind und Lösungen dazu erarbei-
ten und entwickeln.
MIT RECHENPOWER ZU
NEUEN EINBLICKEN SPEZIALIST
FÜRS EXTREME
Eine unlängst entdeckte Ameisenart fühlt sich im Hochgebirge wohl.
Welche evolutionären Anpassungen dafür notwendig waren, haben
Ökologen mit vergleichenden Analysen des Erbguts herausgefunden.
D
ie alpine Ameisenart Tetramorium sequenzierter Ameisenarten zeigte den
24 zukunft forschung 01/20 Fotos: CSCS/CC BY-SA 3.0 (1), Claude Lebas (1), Uni Innsbruck (1)
GRAFIKDES GN
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zukunft forschung 01/20 25
PHYTOWISSENSCHAFT
ANDREAS KOEBERLE wechselte mit sechs Mitarbeitern von Jena ans neue Michael-Popp-Forschungsinstitut der Universität Innsbruck.
I
hm wird allerhand nachgesagt. Es soll zu gehen und einen Wirkstoffkandidaten
bei Arthritis & Co. die Gelenke wie- zu entwickeln, der Entzündungen nicht
der in Schwung bringen, es soll vor nur unterdrückt, sondern gezielt auflöst.
Krebs und Herzinfarkt schützen, es soll „Ein erster vielversprechender Wirkstoff-
die Hautalterung bremsen, ja es sei sogar kandidat wurde von uns patentiert. Er ist
ein Anti-Aging-Mittel der Spitzenklasse: oral verfügbar, metabolisch stabiler als
Vitamin E. 1922 erstmals chemisch identi- der körpereigene Vitamin-E-Metabolit
fiziert, wurde 1938 seine Struktur aufge- und zeigt vielversprechende Wirkung in
klärt. Seither wird an Alpha-Tocopherol, präklinischen Studien zu Bauchfellent-
so der Fachausdruck für Vitamin E, ge- zündung, Asthma und Dermatitis“, sagt
forscht, unter anderem weiß man, dass der Forscher, der auch die größte Apothe-
es als Antioxidans zellschädigende freie ke der Welt nach geeigneten Kandidaten
Radikale neutralisiert. In Zell- und Tier- durchstöbern will. Koeberle sucht Pflan-
modellen wurde dies mehrmals bestätigt, zen, die über einen hohen Anteil an In-
in klinischen Studien allerdings konnte haltsstoffen verfügen, die in Struktur und
Vitamin E mit dieser Rolle noch nicht Funktion den körpereigenen Vitamin-E-
überzeugen. Warum dies – möglicher- Stoffwechselprodukten sehr ähnlich sind.
weise – so ist, zeigten 2018 Innsbrucker
Pharmazeutinnen und Pharmazeuten ge- PHYTOVALLEY TIROL Größte Apotheke der Welt
meinsam mit Kolleginnen und Kollegen In den vergangenen Jahren wurden in Das Wissen um die Heilkraft der Pflan-
aus Deutschland, Frankreich und Italien. Tirol zahlreiche Arbeitsplätze im Bereich zen reicht weit zurück. Schon Dioskuri-
„In dieser Studie konnten wir den ent- der Phytowissenschaften geschaffen, des, ein griechischer Arzt im ersten Jahr-
zündungseindämmenden Wirkmecha- aktuell arbeiten rund 140 Forscherinnen hundert nach Christus, nannte in seiner
nismus von Vitamin E aufklären. Wir und Forscher im Phytovalley Tirol. Neben großen Arzneimittellehre über 600 kata-
zeigen, dass die Wirkung von Vitamin dem Anfang 2020 eröffneten Michael- logisierte Heilpflanzen. Auch die klassi-
E nicht auf dem Vitamin selbst, sondern Popp-Forschungsinstitut wird seitens der sche Schulmedizin greift auf die Kraft der
auf der eines körpereigenen Stoffwech- Universität Innsbruck an den Instituten Natur zurück – so ist Morphin die Leit-
selprodukts beruht“, erläutert Andreas für Analytische Chemie & Radiochemie, substanz für starke Analgetika, Kokain
Koeberle, der 2018 noch an der Universi- Pharmazie und Botanik an Pflanzenwirk- jene für Lokalanästhetika.
tät Jena tätig war und 2019 als erster Pro- stoffen geforscht. Das ADSI, Bionorica „Mehr als 30 Prozent der Arzneistoffe
fessor ans neugegründete Michael-Popp- Research, Tirol Kliniken, MCI und weitere lassen sich auf Naturstoffe zurückfüh-
Forschungsinstitut der Universität Inns Partner ergänzen das Cluster Phytovalley. ren, einen sehr hohen Anteil haben Na-
bruck berufen wurde. Das Stoffwech- „Das Phytovalley ist ein Vorzeigebei- turstoffe z. B. im Bereich der Antibiotika
selprodukt, ein Metabolit mit Namen spiel, das mit der engen Verflechtung und Krebsmedikamente“, weiß Koeberle.
Alpha-Carboxychromanol, hemmt die zwischen Akademia und Wirtschaft Eine Stärke von Naturstoffen sieht er in
Bildung entzündungsfördernder Lipid- weltweit einmalig ist“, sagt Andreas ihrer sehr hohen Vielfalt, etwa in ihrer
mediatoren und lässt die systemischen Koeberle, für den Österreich im Bereich 3D-Struktur: „Diese ist von größter Be-
Spiegel an entzündungsauflösenden Li- der Phytoforschung „im Vergleich zu deutung, wenn der Naturstoff an einer
pidmediatoren ansteigen. „Wir konnten anderen europäischen Staaten stark auf- Zielstruktur im Körper eine Wirkung
beschreiben, wo genau der Wirkstoff an gestellt“ ist. Nach Koeberle, den sechs entfalten soll. Man kann sich das verein-
der Zielstruktur, der 5-Lipoxygenase, an- Mitarbeiter von Jena nach Innsbruck facht wie einen Schlüssel vorstellen, der
greift. Wir konnten auch zeigen, dass er begleitet haben, wird das Michael-Popp- in ein Schloss passen muss. Wenn be-
in der Leber gebildet wird und sich stark Forschungsinstitut mit einer zweiten stimmte Schlüsselformen nicht zugäng-
in Immunzellen am Ort der Entzündung Professur für Pflanzliche Biotechnologie lich sind – wie das bei synthetischen
anreichert“, berichtet Koeberle. ausgestattet, das Berufungsverfahren für Wirkstoffen oft der Fall ist –, dann kann
Dieses Wissen will er nun nutzen, um diese Stiftungsprofessur des Landes Tirol man damit auch nicht jedes Schloss öff-
in der Entzündungstherapie neue Wege ist am Laufen. nen – d. h. nicht jeden Wirkmechanismus
VISUALISIERUNG von Luft-Austauschprozessen in einer Megacity: Saubere Luft (blau) vermischt sich mit der mit Schadstoffen angerei-
cherten Luft (gelb), die vor allem durch verkehrsbedingte Emissionen auf Straßenniveau entsteht.
I
n urbanen Ballungszentren führen ho- für die ungleichmäßige Verteilung der wärmeren Bedingungen sind die Teilchen
he Konzentrationen von Feinstaub zu Schadstoffe sind einerseits die hohen zu flüchtig und können daher keinen Bei-
erheblichen Beeinträchtigungen der Schadstoffemissionen auf Straßenniveau. trag zum Wachstum liefern. Die Bildung
Gesundheit. Besonders in den Winter- Andererseits dauert es einige Minuten, von Aerosolpartikeln aus Ammoniak und
monaten ist die Situation in vielen asia bis sich die Straßenluft mit Luft aus der Salpetersäure tritt vermutlich nicht nur in
tischen Mega-Citys dramatisch, wenn Umgebung vermischt. Dies führt dazu, Städten und Ballungsgebieten auf, son-
Smog die Sichtweite stark reduziert und dass sich die beiden Schadstoffe Ammo- dern auch gelegentlich in höheren Luft-
das Atmen schwerfällt. Feinstaubparti- niak und Salpetersäure in der Straßenluft schichten der Atmosphäre. Ammoniak,
kel, deren Durchmesser kleiner als 2,5 kurzzeitig stark anreichern. Die hohen das hauptsächlich in der Landwirtschaft
Mikrometer ist, entstehen vorwiegend di- Konzentrationen – wie die CLOUD-Ex- entsteht, gelangt durch aufsteigende
rekt durch Verbrennungsprozesse. Darü- perimente zeigten – schaffen Bedingun- Luftströmungen aus bodennaher Luft in
ber hinaus entsteht Feinstaub auch in der gen, unter denen die beiden Schadstoffe die obere Troposphäre, und Salpetersäure
Luft, indem sich Gase aus organischen an Nanopartikeln kondensieren können: entsteht durch Blitze aus dem Stickstoff
Substanzen, Schwefelsäure, Salpetersäure An wenige Nanometer großen Kondensa- der Luft.
oder Ammoniak an winzige Nanoparti- tionskernen bildet sich Ammoniumnitrat „Es bilden sich bei den dort herrschen-
kel anlagern. Rätselhaft war bisher, wie und lässt diese Partikel rasch anwachsen. den niedrigen Temperaturen neue Am-
diese Feinstaubpartikel aus Gasen in den moniumnitratpartikel, die als Kondensa-
Straßenschluchten von Mega-Citys neu Rasantes Wachstum tionskeime bei der Wolkenbildung eine
gebildet werden. Diese Nanopartikel wachsen innerhalb Rolle spielen“, verdeutlicht der Ionen-
Am Teilchenbeschleuniger CERN in weniger Minuten sehr rasch an. Sie wach- physiker Armin Hansel von der Univer-
Genf hat ein internationales Team mit sen teilweise einhundert Mal schneller, sität Innsbruck die dadurch auch beste-
Beteiligung von Forscherinnen und For- als dies bisher von anderen Schadstof- hende Klimarelevanz des Forschungser-
schern der Universitäten Wien, Innsbruck fen, wie zum Beispiel Schwefelsäure, gebnisses. Hansel hat mit seinem Team
und Frankfurt im internationalen Atmo- bekannt war. In urbanen Ballungszent- am Institut für Ionenphysik und Ange-
sphären-Forschungsprojekt CLOUD in ren liefert der beobachtete Prozess einen wandte Physik im Rahmen eines FFG-
einer Klimakammer Bedingungen nach- wichtigen Beitrag zur Bildung von Fein- Projektes ein neues Messverfahren
gestellt: In den Straßenschluchten einer staub im Wintersmog. Denn der Prozess (PTR3-TOF-MS) entwickelt, um die Spu-
Stadt kommt es zu einer lokalen Erhö- läuft nur bei Temperaturen von weniger rengase beim CLOUD-Experiment noch
hung von Schadstoffen. Die Ursache als etwa plus fünf Grad Celsius ab. Bei empfindlicher zu analysieren. mb
CORONAVIREN IM
ABWASSER
Das regionale Auftreten von Coronaviren lässt sich im Abwasser frühzeitig erkennen.
Österreichische Wissenschaftler arbeiten am Aufbau eines Monitoringsystems.
Z
ur Eindämmung des Coronavirus Zwei Forschungsgruppen – der Grup- haben sich bereits Anfang April zum
SARS-CoV-2 ist es entscheidend, pe um Heribert Insam und einem Team „Coron-A“-Konsortium zusammenge-
Infektionsketten frühzeitig zu er- um Norbert Kreuzinger an der TU Wien schlossen, um gemeinsam herauszufin-
kennen. Nur so können neben den ge- – gelang es im April gleichzeitig, das Erb- den, wie das Auftreten von SARS-CoV-2
nerellen Maßnahmen zielgerichtete Ak- material von SARS-CoV-2 im Zulauf von in häuslichem Abwasser mit der Anzahl
tionen gesetzt und die wirtschaftlichen zwei österreichischen Kläranlagen nach- der Infektionen im Einzugsgebiet von
Auswirkungen solcher Maßnahmen be- zuweisen. „Solche Tests können einen Kläranlagen im Zusammenhang steht.
grenzt werden. „Eine erfolgversprechen- besseren und rascheren Einblick in die
de Möglichkeit, um einen umfassenden Ausbreitung von COVID-19 erlauben“, Kontrollstelle Kläranlage
Überblick über die Ausbreitung der betont Insam. „Wir wollen ein Früh- Die Messungen im Abwasser sollen auch
Krankheit und den Verlauf der Pandemie warn- bzw. Monitoringsystem aufbauen, neue Information über die Dunkelziffer
zu erhalten, bietet die Untersuchung von mit dessen Hilfe die Gesundheitsbehör- an Infektionen liefern. Ein relevanter Teil
Abwasserproben“, erklärt Heribert Insam den rasch Informationen über Auftreten an Infizierten, auch solche mit keinen
vom Institut für Mikrobiologie der Uni- und Verbreitung des Virus erhalten.“ For- oder nur milden Symptomen, scheidet
versität Innsbruck. „Im Abwasser ist das schungsteams der Medizinischen Univer- nämlich das Virus über den Stuhl aus.
Virus noch bruchstückhaft vorhanden, es sität Innsbruck, der Technischen Univer- „Da die Fäkalien am Knotenpunkt Klär-
ist aber nicht mehr infektiös.“ sität Wien und der Universität Innsbruck anlage zusammenlaufen, können aus der
KLEINE URSACHE,
GROSSE WIRKUNG
Wasserflöhe gehören zu den kleinsten Bewohnern in heimischen Seen, sind für ein funktionierendes
Ökosystem aber entscheidend. Der Ökologe Markus Möst untersucht diese Kleinstlebewesen im Bodensee.
DIE IM BODENSEE
heimische Wasserfloh-
Art Daphnia longispina
steht im Zentrum des
Forschungsinteresses
von Markus Möst (1).
Der Forscher vom
Institut für Ökologie
der Universität Inns
bruck untersucht auch
sogenannte Dauereier,
die im Seesediment
gelagert sind (2, bei
einer Probenentnahme
an Bord). Durch die
Schichten im Bohr-
kern des Seesediments
lassen sich die daraus
gewonnenen Dauer-
eier gut datieren (3, im
Bild ein Ausschnitt des
1 Bohrkerns).
2 3
W
asserflöhe zählen zur Gattung gewährleisten eine gute Wasserqualität, wasser-Ereignis zu viele Schwebstoffe ins
der Krebse, sie sind daher auch indem sie Algen und Bakterien aus dem Wasser eingetragen, was dazu führte, dass
keine Flöhe. Sie leben im uferfer- Wasser filtrieren. Zudem sind sie eine die Daphnien-Population im See zugrunde
nen Freiwasserbereich, dem sogenannten wichtige Futterquelle für größere Wasser- ging. Das Fehlen dieser Art hatte zur Fol-
Pelagial, und übernehmen hier eine zent- bewohner. Wie wichtig Wasserflöhe für ge, dass auch der gesamte Fischbestand im
rale Funktion“, erklärt Markus Möst vom das Ökosystem See sind, verdeutlicht Möst See zusammengebrochen ist.“
Institut für Ökologie. Daphnien, so die la- anhand eines Beispiels: „Im Brienzersee Unter dem Titel „SeeWandel: Leben im
teinische Bezeichnung der Wasserflöhe, im Kanton Bern wurden durch ein Hoch- Bodensee – gestern, heute und morgen“
32 zukunft forschung 01/20 Fotos: Andreas Friedle (1), Markus Möst (2), Jana Isanta Navarro (1)
ÖKOLOGIE
untersuchen Wissenschaftlerinnen und internationaler Kollegen Wasserfloh-Po- Um die Entwicklung der Hybridisie-
Wissenschaftler aus sieben Forschungs- pulationen aus dem Bodensee sowie aus rungen der zwei Daphnien-Arten über
einrichtungen Deutschlands, Österreichs zahlreichen deutschen, österreichischen, eine gewisse Zeit zu untersuchen, ent-
und der Schweiz den Einfluss von Nähr- Schweizer und nordamerikanischen Seen nahmen die Ökologen Bohrkerne aus
stoffrückgang, Klimawandel, gebiets- und sequenzierten ihre Genome. Der Ver- dem Seesediment und untersuchten die
fremder Arten und anderer Stressfakto- gleich dieser Daten sollte zeigen, ob und dort abgelagerten Dauereier. „Aufgrund
ren auf das Ökosystem Bodensee, seine zu welchem Grad Hybridisierungen der der oftmals ungestörten, chronologisch
Biodiversität und Funktionsweise sowie beiden Arten Daphnia longispina und Daph- abgelagerten Schichten in den Bohrker-
die menschliche Nutzung am See. Möst nia galeata stattgefunden haben. nen des Seesediments können wir die
koordiniert den Teilbereich Pelagial des Diese Untersuchungen kombinier- daraus entnommenen Dauereier sehr
Interreg-Projektes. ten die Innsbrucker Wissenschaftler mit gut datieren. Die Analyse zeichnet dann
einem innovativen Ansatz. Sie nutzten ein sehr deutliches Bild der Entwicklung
Nährstoff-Überschuss einen Reproduktionsmechanismus, den über ein relativ langes Zeitfenster in die
Die im Bodensee heimische Art des Was- die Daphnien unter Stress anwenden. Vergangenheit, zu dem wir sonst keinen
serflohs, Daphnia longispina, ist perfekt an „Daphnien vermehren sich normalerweise Zugang hätten“, erklärt Möst. Sein Team
das Leben in Alpenseen angepasst und klonal, das heißt, sie teilen sich ohne Paa- hat Sedimentkerne aus drei Seen entnom-
kann sehr gut in nährstoffarmen Gewäs- rungsvorgang. Wenn ihre Nahrung limi- men, um ein möglichst breites Spektrum
sern überleben. Im Zuge der sogenannten tiert ist, ändern sie allerdings ihre Strate- an Ergebnissen zu erhalten. „Die ausge-
Eutrophierung der Seen in den 1980er-Jah- gie, bilden Männchen und Weibchen aus, wählten Gewässer Zürichsee, Bodensee
ren – durch die Verwendung phosphathal- paaren sich und legen sogenannte Dauer- und Walensee unterscheiden sich sowohl
tiger Waschmittel, fehlende Kläranlagen eier ab, um den Fortbestand ihrer Popu- in ihrer geografischen Lage als auch im
und eingeschwemmten Dünger kam es in lation zu sichern“, beschreibt Möst. Diese Besiedelungsgrad, was zu Unterschieden
den Seen zu einem Nährstoff-Überschuss Dauereier werden von Wind, Strömungen in ihrer Eutrophierung führt“, erläutert
– gelang es der invasiven Wasserfloh-Art und Tieren verbreitet, sie sinken aber auch der Ökologe.
Daphnia galeata, sich im Bodensee anzusie- auf den Seeboden ab und werden dort im
deln. „Diese invasive Daphnien-Art wächst Lauf der Zeit von Seesediment bedeckt. Deutliche Vermischungen
schneller als Daphnia longispina, braucht Die ersten Ergebnisse dieser umfassenden
dazu aber mehr Nährstoffe“, erklärt Möst. Analysen zeigen bereits einen deutlichen
Eine Befürchtung der Forscherinnen und Genaustausch zwischen den Arten Daph-
Forscher war deshalb, dass die heimische nia longispina und Daphnia galeata. „Die
Daphnia longispina von ihren invasiven einzelnen Arten haben zum Teil geneti-
Verwandten verdrängt werden könnte, sches Material der anderen Art in ihren
was bei einer Rückkehr zum ursprüng- Genomen integriert“, resümiert Möst. Im
lichen, geringen Nährstoffangebot fatal Zuge der Untersuchungen zeigte sich ei-
wäre. „Wenn die invasive Art sich nicht an ne weitere Entwicklung für die Ökologie
die neuen Bedingungen anpassen könnte, der Seen. „Nachdem die Eutrophierung
würde die Wasserfloh-Population im Ge- mittlerweile kaum mehr eine Rolle spielt,
wässer zusammenbrechen“, beschreibt bemerken wir jetzt Auswirkungen des
der Ökologe. Klimawandels auf den Lebensraum See.
Der Eutrophierung der Gewässer wur- So tauchte vor rund drei Jahren eine wei-
de inzwischen durch ein Verbot phosphat- tere Wasserfloh-Art, Daphnia cucullata, im
haltiger Waschmittel und die Verbesse- Bodensee auf. Über die genauen Gründe
rung der Kläranlagen entgegengewirkt, dieser Invasion können wir allerdings bis-
wie sich diese Verbesserungen auf die lang nur spekulieren“, sagt Markus Möst.
Eigenschaften der Wasserflöhe im Boden- Hybridisierungen mit dieser neuen Art
see genau ausgewirkt haben, ist aber noch wären möglich und sind aus anderen
unklar. „Im Rahmen unseres Forschungs- MARKUS MÖST absolvierte ein Master- Seen bekannt. Allerdings sind solche Hy-
projektes interessiert uns vor allem, inwie- Studium der Zoologie an der Universität bridisierungen in den Voralpenseen selte-
weit die invasive Art Daphnia galeata die Innsbruck, das er 2008 abschloss. Nach ner und auch im Labor lässt sich Daphnia
heimischen Wasserflöhe Daphnia longispi- einer Zeit als Forschungsassistent an der cucullata mit den anderen Arten nur
na beeinflusst hat und ob es hier zu einer Uppsala University in Schweden folgte schwer kreuzen. Ob dies an unterschied-
Vermischung der Arten beziehungsweise ein PhD-Studium (2009-2014) am Was- lichen genetischen Schranken liegt oder
zum Austausch von wichtigen Genen im serforschungsinstitut Eawag und an der andere Ursachen hat, steht genauso im
Zuge der Hybridisierung gekommen ist“, ETH Zürich. Im Anschluss war Möst als Fokus der weiteren Forschungsarbeit wie
erklärt Markus Möst. Postdoc an der University of Cambridge die unterschiedlichen Eigenschaften der
Um dies herauszufinden, sammelten tätig, bevor er 2016 in die Arbeitsgruppe Hybride zwischen Daphnia longispina und
Möst und die in das Projekt eingebundene Molekulare Ökologie am Innsbrucker Daphnia galeata im Vergleich zu ihren El-
PhD-Studentin Tania Holtzem mit Hilfe Institut für Ökologie wechselte. ternarten. sr
QUANTENOPTIMIERUNG
Das Lösen von komplexen Optimierungsproblemen steht im Fokus eines neuen Spin-offs der
Universität Innsbruck und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
WOLFGANG LECHNER und Magdalena Hauser führen das neue Quanten-Unternehmen in Innsbruck.
W
eltweit arbeiten Unternehmen an chitecture sind Quantenbits für Optimie- Universität und Akademie gemeinsam mit
den ersten kommerziellen Quan- rungsprobleme erstmals voll program- privaten Investoren ist ein weiterer Schritt,
tencomputern, die den „Quan- mierbar – das war bis dato skalierbar noch um den wissenschaftlichen Vorsprung Eu-
ten-Vorteil“ gegenüber herkömmlichen nicht möglich. Die Architektur erlaubt ropas bei den Quantentechnologien auch
Computern ausspielen und erste nützli- auch die volle Parallelisierbarkeit von Al- in einen kommerziellen Erfolg umzumün-
che Anwendungen finden. Das Lösen von gorithmen, die Leistungsengpässe verhin- zen. ParityQC ist bereits das zweite Quan-
komplexen Optimierungsproblemen, die dert. Weil die Entwicklung von Software ten-Start-up im Portfolio der Uniholding
heute auf den größten Supercomputern und Hardware nach Auffassung des Un- der Universität Innsbruck.“
berechnet werden, könnte in Zukunft mit ternehmens gemeinsam und gleichzeitig
Quantencomputern sehr viel schneller und passieren muss, entwickelt ParityQC zur Aus Tirol in die Welt
effizienter gelingen. Quantenoptimierung Architektur das dazugehörige Betriebs ParityQC agiert international, will aber
gilt daher als vielversprechendste erste system ParityOS – eine Plattform, die weiterhin von Innsbruck aus tätig sein und
Anwendung von Quantencomputern. Compiler, Optimierung von Algorithmen wird von den Geschäftsführern Wolfgang
und Chip-Layouts automatisiert erstellt. Lechner und Magdalena Hauser aufge-
Aus der Grundlagenforschung... baut. Hauser ist ehemalige Geschäftsfüh-
Die in Innsbruck gegründete ParityQC ...in die Wirtschaft rerin des I.E.C.T. – Hermann Hauser, Mit-
GmbH will den weltweiten Standard für „Österreich ist weltweit führend im Be- gründerin von AI Austria und wurde un-
Quantenoptimierung setzen. Dabei profi- reich Quantenphysik. ParityQC hat dem- ter die Forbes 30 under 30 gewählt. Lech-
tiert das Unternehmen vom internationa- nach großes Potenzial, aufbauend auf ner ist Professor am Institut für Theoreti-
len Rennen um das beste Quantenbit und der exzellenten Forschung von Wolfgang sche Physik und hat u. a. im vergangenen
den besten Algorithmus, da die an der Lechner, ein großer Player im Quanten- Jahr den Houska-Preis der B&C Privatstif-
Universität Innsbruck und der Österrei- computermarkt zu werden. Ganz beson- tung mit dem der Firmengründung zu-
chischen Akademie der Wissenschaften ders freut es mich, dass die Firma weiter- grunde liegenden Patent für die sogenann-
(ÖAW) entwickelte und inzwischen pa- hin aus Österreich heraus agieren wird“, te LHZ-Architektur gewonnen. Entwickelt
tentierte Architektur all diesen Plattfor- sagt Venture Capitalist Hermann Hauser, hat Lechner die Architektur gemeinsam
men fundamentale Vorteile bietet: Sie ist der gemeinsam mit Herbert Gartner, Angel mit Philipp Hauke und Peter Zoller an der
programmierbar, skalierbar und paralleli- Investor bei eQventure, in die ParityQC Universität Innsbruck und am Institut für
sierbar – diese Kombination ist einzigartig. GmbH investiert hat. Rektor Tilmann Quantenoptik und Quanteninformation
Mit der Parity Quantum Computing Ar- Märk ergänzt: „Diese Ausgründung von (IQOQI) der ÖAW. cf
D as deutsche Quanten-Software-Start-
up HQS und das Innsbrucker Hard-
ware-Unternehmen Alpine Quantum
Technologies (AQT) bündeln ihre Kräf-
te zu einer strategischen Partnerschaft,
um den Markt für die Anwendung von
Quantencomputern gemeinsam zu er-
schließen. Die globale Partnerschaft ver-
bindet die Erfahrung von HQS Quantum
Simulation bei der Bereitstellung von
Software zur Erleichterung der bevorste-
E
in ursprünglich für Seniorinnen tungsfunktion in Notfällen für Non-Pro-
und Senioren konzipiertes Ruf- fit-Einsatzzwecke softwarelizenzkosten-
und Ortungssystem in Pflege- und frei zur Verfügung zu stellen“, sagt Felix
Betreuungseinrichtungen wird in CO- Piazolo vom Institut für Strategisches
VID-19-Zeiten in provisorischen Kran- Management, Marketing und Tourismus
kenpflegeeinrichtungen eingesetzt. Die an der Uni Innsbruck und Co-Gründer
2PCS Solutions GmbH, ein Spin-off der von 2PCS Solutions. Das System wurde „Derzeit lösen wir stark korrelierte Git-
Uni Innsbruck, bietet im Kampf gegen bereits ad hoc in je zwei Pflegeheimen in termodelle mit Hilfe von DMRG (Den-
den Coronavirus ihre Hilfe an. „Wir ha- Österreich und Deutschland als Zwi- sity Matrix Renormalization Group).
ben uns auf Basis der aktuellen gesell- schenlösung für Notsituationen in An- Doch egal wie optimiert die Methode
schaftsrelevanten Entwicklungen von spruch genommen. Die mobile Rufaus- auch sein mag, klassische Computer
COVID-19 und der aktuellen Flüchtlings- lösung über einen Handfunksender oder sind grundsätzlich begrenzt“, sagt Mi-
situation dazu entschieden, für zeitkriti- einen Birntaster ermöglicht eine eindeu- chaelMarthaler, CEO von HQS Quan-
sche Einsatzzwecke in Pandemie- und tige Zuordnung und erleichtert den Pfle- tum Simulations, „während es eine Weile
Krisengebieten die 2PCS Web-Plattform, gekräften den Überblick über die Patien- dauern wird, bis Quantencomputer die
die 2PCS mobile App sowie die 2PCS Or- tinnen und Patienten. bestehenden Methoden überholen, wol-
len wir die Lösung von kleinen Testmo-
dellen auf dem AQT-Quantencomputer
ermöglichen.“
UNI INNSBRUCK WIRD GASTGEBERIN DER UNI-KLETTER-WM
AQT, ein Spin-off der Uni Innsbruck
D ie Uni Innsbruck erhielt im Februar den Zuschlag zur Durchführung der World University
Championship Sport Climbing 2022. Damit findet nach der Winter-Universiade im Jahr
2005 wieder ein universitäres Großsportereignis in Österreich statt. Die Bewerbung erfolg-
und der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, ist ein führendes Start-
up im Rennen um den Bau eines Quan-
te durch die nationale Universitäts-Sportorganisation Unisport Austria gemeinsam mit der tencomputers und realisiert mit Hilfe
Universität Innsbruck, vertreten durch das Universitäts-Sportinstitut, und dem Kletterverband öffentlicher Investitionen Quantencom-
Österreich. „Im Herzen der Alpen ist Sport ein zentrales Thema in Innsbruck. Ich freue mich puter, die auf der individuellen Manipu-
sehr, dass die Universität Innsbruck wieder Austragungsort eines internationalen universitären lation von gefangenen geladenen Ato-
Wettkampfes wird. Die für die Universität Innsbruck antretenden Athletinnen und Athleten men basieren. Die Ionenfallen-Plattform
messen sich hier mit den Besten der Welt, hat eine geringe Fehlerrate und kann
genauso wie unsere Forscherinnen und leicht auf größere Systeme hochskaliert
Forscher. Spitzensport und Spitzenforschung werden. „Die Kombination der Theorie-
verbinden Menschen mit ihren Fähigkei- und Software-Erfahrung von HQS mit
ten, Ideen und Zielen in unterschiedlichen der Hardware- und Ingenieurskompe-
Disziplinen international miteinander. Ich tenz von AQT wird den nutzer- und an-
wünsche schon jetzt den Verantwortlichen wendungsorientierten Fortschritt erheb-
alles Gute für die Vorbereitungen dieser Ver- lich erleichtern“, sagt Thomas Monz,
anstaltung“, so Rektor Tilmann Märk. Geschäftsführer von AQT.
Fotos: 2PCS Solutions (1), IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch (1), Uni Innsbruck (1) zukunft forschung 01/20 35
MUSIKWISSENSCHAFT
TRANSALPINE
VERBUNDENHEIT
Der Musikwissenschaftler Raymond Ammann hat sich mit der Geschichte
des Jodelns im Alpenraum beschäftigt und vergleicht die Entwicklungen in
Tirol und der Schweiz.
S
JodlerInnen aus der Steiermark ingen ohne Text und der Wechsel zwi- selbst, wenn man jemandem ganz intuitiv ein
– Heli Gebauer, Gretl Steiner schen Brust- und Kopfstimme sind die ‚Juhuu’ zuruft. Beim lauten Rufen springt die
und Willi Mayer (v.l.). Charakteristika eines Jodlers, der vor Stimme oft ungewollt in die Kopfstimme – die
allem im Alpenraum weit verbreitet ist. Von Grundtechnik des Jodlers“, erklärt Raymond
der Nachbildung des Alpenprofils durch Ammann, der sich aber vor allem mit der Ver-
die Notenlinien bis hin zum Ausdruck von breitung des Jodlers wissenschaftlich ausein-
Emotionen – zur Entstehung des Jodlers andersetzt. Diese Art des registerwechselnden
existieren die unterschiedlichsten Theorien. Gesangs, von Brust- zu Kopfstimme, kam in
Als gesichert gilt allerdings die ursprüng- der Schweiz in den Kuhreihen vor und war
liche Funktion der musikalischen Vorform in Tirol als „Kuhschroa“ bekannt – jedenfalls
des Jodlers, die zur Kommunikation gedient war es auch hier ein Kommunikationsmittel,
haben soll. „Früher lebten die Menschen in um die Kühe zu rufen. Selbst wenn die Ge-
den Alpen häufig weit auseinander. Der über sangstechnik schon länger existiert, der Be-
weite Entfernungen hörbare Ruf half zur Ver- griff „Jodeln“ wurde erstmals 1796 von Ema-
ständigung vom Berg ins Tal. Wanderinnen nuel Schikaneder – im Singspiel „Der Tyroler
und Wanderer kennen dies vielleicht auch Wastl“ – als Gesangsbezeichnung verwendet.
HISTORISCHE
DETEKTIVARBEIT
Fragmente älterer Bücher als Teil neuer Bände wurden bisher öffentlich wenig beachtet,
das ändert ein aktuelles Projekt.
S
ie befinden sich in Orgeln, in Altä- Die Historikerin ist Mitarbeiterin im etwa als Baumaterial,oder aber als Be-
ren, wurden als Baumaterial ver- Projekt „Die abgelösten Handschriften- standteil neuer Bücher“, erklärt Sojer.
wendet oder zu Spielwaren verar- fragmente der Universitäts- und Lan- Letztere Verwendung ist auch die an der
beitet – in Holland etwa zu Drachen für desbibliothek Tirol und ihre digitale Er- Bibliothek erhaltene und verbreitete: Per-
Kinder: Pergament- und Papierfragmente schließung“ (siehe Kasten). „Wir unter- gament oder Papier zerschnittener von
aus Büchern des Mittelalters und der frü- scheiden mehrere Arten von Fragmen- Hand geschriebener Bücher findet sich
hen Neuzeit, die nicht mehr gebraucht ten. Einmal die Katastrophenfragmente: dann zum Beispiel als zusammengekleb-
wurden, fanden vielseitig Verwendung. Hier sind Bücher unvollständig, weil ter Karton und mit Leder überzogen als
Und sie erlauben Rückschlüsse auf die ihnen sozusagen etwas ‚zugestoßen‘ ist, Einband von neueren Büchern wieder.
Verbreitung von Schriften, erzählen da- etwa ein Feuer, eine Überschwemmung,
durch eigene Geschichten – jedes Frag- aber auch bewusste Beschädigungen Herkunft der Fragmente
ment wirft eine ganze Reihe von For- im Rahmen von kriegerischen Ausein- Wir assoziieren heute mit der Zerstörung
schungsfragen auf. Die historische For- andersetzungen oder Verbrechen fallen von Büchern meist böse Absicht, die Ver-
schung hat derartige Fragmente deshalb darunter. Außerdem Sammler- oder nichtung von Kulturgut ist zurecht ver-
bereits seit Längerem zum Gegenstand, Kunstfragmente, für die Bücher eben- pönt. Dass mit der Weiterverwendung
wie Claudia Sojer erklärt: „Die wissen- falls ganz bewusst zerschnitten wurden, von Pergament in anderen Produkten
schaftliche Bearbeitung von Buchfrag- aber nicht, um sie zu zerstören, sondern zugleich Unliebsames zerstört werden
menten reicht bis ins Mittelalter zurück um zum Beispiel golden verzierte Buch- sollte, war im Mittelalter und in der
und etablierte sich durch die italienischen staben zu sammeln – die wurden dann frühen Neuzeit allerdings nicht zwangs-
Humanisten, aber natürlich sind die Mit- an Sammler verkauft. Daneben, und das läufig der Fall: „Zum einen wissen wir
tel, die uns dafür heute zur Verfügung ist ein sehr großer Teil, gibt es die Hand- von Pergamentmärkten, wo sozusagen
stehen, deutlich umfassender und ma- werksfragmente: Hier wurden Bücher aus zweiter Hand Buchfragmente für
chen die Arbeit auch um einiges leichter.“ für andere Zwecke weiterverarbeitet, die Weiterverwendung verkauft wur-
38 zukunft forschung 01/20 Fotos: Andreas Friedle (1), Claudia Sojer und ULB Tirol, Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, Frg. 11 (2)
GESCHICHTE
den. Die Buchbinder und Handwerker, diese Fragmente systematisch digital Verknüpfung mit anderen – das macht
die hier eingekauft haben, haben mit der zu erfassen und begibt sich auf Detek- diese Arbeit auch besonders spannend.
Zerstörung meist nichts zu tun, und Per- tiv- und Puzzlearbeit: „Der erste Schritt Fragmente aus den USA können zum
gament, letztlich ja Tierhaut, war wert- ist immer, das Fragment im Original zu Beispiel aus dem gleichen Buch stammen
voll. Die Gründe, warum Fragmente auf untersuchen, und es dann zu digitali- wie ein Fragment in einem Buch hier in
derartigen Märkten landeten, waren oft- sieren. Danach beginnt die Zuordnung: Innsb ruck und über ‚Fragmentarium‘
mals profan: Etwa wurden so Urkunden Das ist vergleichsweise leicht, wenn können wir den Ursprungsband rekons-
und Verträge entsorgt, die einfach nicht ganze Seiten erhalten sind, da kann ich truieren und auch gemeinsam anzeigen“,
mehr gültig waren.“ Aber auch Schriften, dann auf Anhieb zumindest Sprache, erklärt die Historikerin. Auch innerhalb
die nicht gelesen werden konnten, lan- Schrifttyp und grob Inhalt feststellen, Tirols ist Derartiges schon gelungen:
deten so auf derartigen Second-Hand- meist lässt sich das dann rasch zuord- Fragmente aus demselben Textzeugen
Märkten – etwa hebräisches, syrisches nen. Kleinere Fragmente sind natürlich der „Weltchronik“ des Rudolf von Ems
oder glagolitisches Schriftgut. „Viel deutlich schwieriger, manchmal haben finden sich zum Beispiel an der Univer-
stammt auch aus Klosterauflösungen, wir auch nicht mehr als einzelne Papier- sitätsbibliothek, im Tiroler Landesarchiv,
aber natürlich spielte auch religionspoli- oder Pergamentstreifen aus Buchfalzen. im Tiroler Landesmuseum und im Stift
tische Konkurrenz eine Rolle: Ein katho- Aber auch da sind digitale Hilfsmittel Stams, außerdem in der Staatsbibliothek
lisches Kloster kann mit protestantischen Gold wert.“ zu Berlin und in der Badischen Landes-
Schriften wenig anfangen und verkauft Die Innsb rucker Fragmente werden bibliothek in Karlsruhe.
sie deshalb zur Weiterverwertung“, sagt auf der Plattform „Fragmentarium“ Das aktuelle Projekt zur digitalen Er-
Claudia Sojer. „Was außerdem häufig zu öffentlich zugänglich sein – ein wissen- schließung der Fragmente in der Univer-
finden ist, sind zum Beispiel regionale schaftliches Forschungslabor, das, be- sitäts- und Landesbibliothek läuft bis
Messbücher aus der Zeit vor dem Trien- ginnend mit großen Bibliotheken und Ende dieses Jahres, aber allein in Tirol ist
ter Konzil. Damals, Mitte des 16. Jahr- Sammlungen, als zentrale Plattform für ein Großteil der Fragmente noch völlig
hunderts, wurde die römisch-katholische die Bearbeitung und Untersuchung mit- unerschlossen: viel Raum für mögliche
Liturgie vereinheitlicht, die Vorläufer telalterlicher Handschriftenfragmente Folgeprojekte also. „Am Beispiel der er-
wurden schlicht nicht mehr gebraucht. dient. Mit der Österreichischen National- wähnten Weltchronik sehen wir, dass
Gleiches gilt für Schulbücher, von denen bibliothek ist die zentrale wissenschaftli- sich da auch innerhalb Tirols viele Ver-
zusätzliche Exemplare entsorgt wurden, che Bibliothek und größte Sammlung Ös- knüpfungen auftun, die aber großteils
wenn diese abgenutzt oder deren Inhalte terreichs dort ebenso vertreten wie große noch nicht entdeckt sind. Hier sozusagen
überarbeitet wurden.“ Bibliotheken und Sammlungen aus der im Rahmen eines Tiroler ‚Fragmentari-
Insgesamt 233 abgelöste handschrift- ganzen Welt, etwa aus der Schweiz, ums‘ die Bestände im Bundesland zu er-
liche Fragmente zählt Claudia Sojer an Frankreich und den USA – und nun eben schließen, Querverweise zu identifizie-
der Universitäts- und Landesbiblio- auch die ULB Tirol. „‚Fragmentarium‘ ren und zugänglich zu machen, wäre ein
thek. Sie arbeitet gemeinsam mit einer ermöglicht nicht nur die Darstellung der lohnendes Ziel und ein schönes Folge-
studentischen Hilfskraft gerade daran, eigenen Fragmente, sondern auch die projekt“, sagt Claudia Sojer. sh
Beste Hochschule
Westösterreichs
Quelle: Global Employability Survey 2017 von Emerging und trendence
3
Top-Ergebnisse
im Bereich Internationale Ausrichtung
in Österreich
im Bildungsbereich
E
die auf dem aktuellen Stand
20% Steigerung in 4 Jahren der Forschung ausgebildet wurden
Quelle: Semesterstatistiken
Quelle: Universität Innsbruck in Zahlen 2020 https://orawww.uibk.ac.at/public/stv01_pub.liste
T
raditionelle Oberhäupter im südli- dern auf spezielle klimatische Bedingungen
chen Afrika regieren ebenso gut wie beschränkte Ökosysteme mit einer sehr
gewählte Amtspersonen; so neigen hohen Artenvielfalt”, stellt PhD-Student
sie nicht stärker zu Vetternwirtschaft als Philipp Kirschner klar. „Es gibt neben den
Wahlbeamte. Das hat ein Team um den großen Steppengebieten Osteuropas und
Marburger Wirtschaftswissenschaftler Südrusslands auch Steppen innerhalb der
Björn Vollan und Esther Blanco von der
Universität Innsbruck herausgefunden,
indem es unterschiedliche Formen der
Führung in namibischen Dörfern unter-
suchte. Die Gruppe berichtete im April im
Forschungsjournal Science Advances über
ihre Ergebnisse. „In der Zusammenschau auf lokaler Ebene erreichen oftmals nicht
zeigen die Ergebnisse, dass die traditio- die erwünschten Standards – zum Bei-
nellen Autoritäten ähnlich gute Regie- spiel werden Abstimmungen nicht ge-
rungsqualitäten aufweisen wie demokra- heim durchgeführt. Die traditionellen DER SCHWARZFLECKIGE HEIDE-
tisch gewählte Führungspersonen, wenn Autoritäten hingegen übertreffen die er- GRASHÜPFER war eine der drei unter-
beide nebeneinander existieren“, fasst warteten Standards häufig, indem sie le- suchten Tierarten der Studie.
Vollan zusammen. Die lokale Umsetzung gitim und rechenschaftspflichtig agieren
demokratischer Strukturen im südlichen und bei den Dorfbewohnern beliebt Alpen“, erklärt Schönswetter: „Diese sind
Afrika bleibe hinter den idealen Stan- sind.“ Auf den traditionellen Institutio- im Vergleich zwar sehr klein, haben aber
dards zurück, „aber auch die traditionel- nen aufzubauen oder mit ihnen zusam- eine ähnliche Ausstattung an Tieren und
len Autoritäten entsprechen nicht dem, menzuarbeiten, statt sie aus Angst vor Pflanzen.“ Die Steppengebiete der Alpen –
was man sich theoretisch von ihnen er- Despotismus links liegen zu lassen, kön- z. B. der Vinschgau in Südtirol – zeichnen
wartet“. Hinter den Ergebnissen steckten ne auf Dauer Vorteile für die Gemeinden sich dadurch aus, dass sie sehr kleinräumig
zwei Mechanismen, ergänzt Co-Autorin in der Subsahara-Region bringen, schluss- und meist auf steile sonnenexponierte
Blanco: „Die demokratischen Strukturen folgert Vollan. Hänge beschränkt sind. Weitere inner-
alpine Steppengebiete sind beispielsweise
das Wallis, das Aostatal und das Tiroler
CORONA: MASKEN AUF DEM PRÜFSTAND Oberinntal. „Die Ergebnisse unserer Studie
werden dazu beitragen, dass die Steppen
Fotos: Ivo Steimanis(1), Uni Innsbruck (1), Philipp Kirschner (1) zukunft forschung 01/20 41
ARCHITEKTUR
BERECHNETES DESIGN
Computer sollen lernen, den kreativen Designprozess von Architektinnen und Architekten zu
unterstützen. Im neuen Spezialforschungsbereich „Advanced Computational Design“ werden
innovative computerbasierte Designmethoden erarbeitet.
D
ie beiden wissenschaftlichen Diszi- macht werden kann. Das Team der Uni Punktgenau
plinen Mathematik und Architek- Innsbruck ist Teil des österreichweiten in- Zahlreiche Vorstellungen, Bilder im Kopf,
tur sind seit jeher eng miteinander terdisziplinären FWF-Spezialforschungs- Ideen und Konzepte beschäftigen De-
verbunden. Sich darauf besinnend wird bereiches, in dem weiters Forscherinnen signerinnen und Designer. Erst durch den
ein interdisziplinäres Team um Kristina und Forscher der Informatik und der gemeinsamen Austausch und die Dis-
Schinegger und Stefan Rutzinger vom Ingenieurwissenschaften aus Wien und kussionen über Möglichkeiten der Um-
Institut für Gestaltung und Tobias Hell Graz beteiligt sind. Ziel ist es, die Ent- setzung kommt der kreative Prozess ins
vom Institut für Mathematik eine neue wicklung eines neuen Entwurfs- und Pla- Rollen. „In der Architektur ist es wichtig,
Designmethode zur Erstellung von di- nungswerkzeuges voranzutreiben. „Wir dass man pragmatische Rahmenbedin-
gitalen Modellen in der frühen Design- suchen nach einem intuitiveren und di- gungen mit freien und intuitiven Ideen
phase erarbeiten. Diese ermöglicht es rekteren Weg, in dem die Architektinnen miteinander verhandeln kann. Wir stel-
den Designerinnen und Designern, ef- und Architekten nicht durch starre Rah- len uns die Frage, ob es gelingt, durch
fizient und intuitiv Geometrien mittels menbedingungen eingeschränkt werden. maschinelle Unterstützung hier neue
Referenzbilder und Referenzobjekten zu Unser Wunsch ist, subjektive Präferenzen Möglichkeiten zu bekommen“, so Stefan
erzeugen. oder Ästhetik, Dinge, die sehr schwer in Rutzinger. Die angestrebte Automatisie-
Mit dieser engen Zusammenarbeit und Zahlen zu fassen sind, trotzdem auto- rung soll die Zusammenarbeit zwischen
dem intensiven Austausch zwischen den matisieren zu können. Dazu brauchen Mensch und Maschine optimieren, indem
Disziplinen wollen die Wissenschaftle- wir die Hilfe von Mathematikerinnen aus Bildern bestimmte Features abgeleitet
rinnen und Wissenschaftler einen Beitrag und Mathematikern, die unseren Weg werden können.
zur Beantwortung der Frage leisten, wie zu einem Design- und Entwurf-Konzept Für die Umsetzung haben sich die
implizites Designwissen in computerge- mit einem Data-Science-Projekt mit ma- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
stützten Entwurfsprozessen auf systema- schinellem Lernen unterstützen können“, ler für das Geometrie-System von Punkt-
tische Weise integriert und operativ ge- sagt Kristina Schinegger. wolken entschieden und wollen somit
die bisher klassischen, in der Architektur
verwendeten Linien- und Flächenmo-
delle ersetzen. „Punktwolken bieten ein
großes Potenzial der Dreidimensionalität,
um Objekte in der Tiefe zu beschreiben.
Mit den neuesten Entwicklungen werden
auch die Möglichkeiten an recheninten-
siveren Prozessen erweitert“, erläutert
Tobias Hell, der vor der Herausforderung
steht, die von den Architektinnen und
Architekten beschriebene Eigenschaft der
„Vagheit“ zu integrieren.
„Die Herausforderung besteht darin,
die Informationen aus den Bildern in
eine Punktwolke zu übertragen. Um-
gekehrt müssen wir es aber auch schaf-
fen, dem Sammelsurium von Punkten
wieder eine Struktur zu geben, ohne die
Designerinnen und Designer mit fertigen
Objekten zu konfrontieren. Rein mathe-
matisch betrachtet liegen dem Verbinden
beider Welten komplexe Prozesse zugrun-
de“, so der Mathematiker. Bereits voran-
TOBIAS HELL, Kristina Schinegger und Stefan Rutzinger (v.li.) bilden den Tiroler Part des geschrittene Entwicklungen von neuro-
österreichweiten interdisziplinären FWF-Spezialforschungsbereiches. nalen Netzen ermöglichen es, die wich-
42 zukunft forschung 01/20 Fotos: Andreas Friedle (1), soma architecture (1)
ARCHITEKTUR
www.karrieregipfel.at
PREISE & AUSZEICHNUNGEN
HÖCHSTDOTIERTER
FORSCHUNGSPREIS DER EU
Der Ionenphysiker Roland Wester erhielt für seine Forschung einen ERC Advanced Grant.
Wester widmet sich den Grundlagen der Molekülphysik, im Fokus stehen chemische Reaktionen.
M
it den ERC Advanced Grants
werden herausragende Forsche-
rinnen und Forscher in ganz
Europa gefördert. Mit Roland Wester
erhält ein weiterer Wissenschaftler der
Universität Innsbruck diesen höchsten
von der EU vergebenen Forschungs-
preis. „Als eine führende Forschungsu-
niversität in Österreich liegt unsere Stär-
ke in exzellenter Grundlagenforschung,
forschungsgeleiteter Lehre und erfolg-
reichem Wissenstransfer in Wirtschaft
und Gesellschaft“, freut sich Rektor Til-
mann Märk.
Roland Wester vom Institut für Io-
nenphysik und Angewandte Physik
erforscht die Grundlagen der Molekül-
physik. Er baute dazu ein einzigartiges
Experiment, mit dem Ionen und Mole-
küle zur Reaktion gebracht und dabei
beobachtet werden können. Dies erlaubt
dem Forscher einen tiefen Einblick in
die atomare Abfolge von den meist sehr
komplexen Prozessen, die chemische
Reaktionen ausmachen. So konnte das
Team um Roland Wester in den vergan-
genen Jahren etliche einzigartige Ein-
blicke in chemische Reaktionen erhalten,
die in der Fachwelt viel beachtet wurden.
Beispielsweise konnten sie die atomare
Dynamik eines wichtigen Reaktionstyps
in der organischen Chemie – der nukle-
ophilen Substitutionsreaktion – erstmals
im Detail beschreiben.
Mit den Mitteln des Europäischen For-
schungsrats will Roland Wester diese
Experimente nun auf eine neue Ebene ROLAND WESTER hat nach dem Studium in Konstanz und Heidelberg in einem deutsch-
heben. Mit neuen empfindlichen Nach- israelischen Forschungsteam am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg auf dem
weistechniken und einer deutlich ver- Gebiet der Molekülphysik promoviert. Er wechselte dann für zwei Jahre in die physikalische
besserten Genauigkeit will der Inns Chemie an der University of California in Berkeley, um sich mit ultraschneller Dynamik von
brucker Physiker nach Effekten der Molekülen zu beschäftigen. Von 2003 bis 2010 baute Roland Wester eine eigenständige
Quantenmechanik in Ionen-Molekül- Arbeitsgruppe zur Untersuchung von Ionen-Molekül-Reaktionen an der Universität Freiburg
Reaktionen suchen und damit in ganz auf. Dort habilitierte er sich 2007 und übernahm später eine Lehrstuhlvertretung. 2010
neue Regionen der Physik chemischer wurde Roland Wester als Nachfolger von Tilmann Märk zum Professor für Experimentelle
Reaktionen vordringen. Physik an die Uni Innsbruck berufen. 2011 erhielt er bereits einen ERC Consolidator Grant.
ERFOLG IN ESTLAND
Die Dissertation von
Maryna Tverdostup
vom Institut für
Finanzwissenschaft
wurde vom estni-
schen Ministerium
für Bildung und For-
schung mit dem
ersten Preis für eine Doktorarbeit im Bereich
Kultur und Gesellschaft ausgezeichnet. Ihre
Arbeit „Human Capital and Labour Market PRÄMIERT: Barbara Beikircher, Verena Hörtnagl-Seidner, Eva Maria Hirzinger-Unterrainer (v.li.)
Disparities“ liefert empirische Belege für die
LIECHTENSTEIN-PREIS
Rolle bisher wenig untersuchter Dimensio-
nen von Humankapital, wie diverse kogni-
tive und berufsspezifische Fertigkeiten, für
den Erfolg am Arbeitsmarkt.
Bereits zum 37. Mal wurde im März der Preis des Fürstentums
FUNDRAISINGPREIS
Liechtenstein für wissenschaftliche Forschung vergeben.
D
er Preis des Fürstentums Liech- letzten Vermögenssteuern in Österreich.
tenstein wird seit 1983 jährlich Das zugrunde liegende Vermögen lässt
verliehen und zählt zu den re- sich anhand der öffentlichen Bücher
nommiertesten Auszeichnungen für leicht erheben. Schwieriger wird es
wissenschaftliche Forschung an der bei der Bemessung der Steuerlast. Bis-
Universität Innsbruck und der Medizi- lang basiert die Grundsteuer auf den
Zum 350-Jahr-Jubiläum wurde im vergan- nischen Universität Innsbruck. Die dies- historischen Einheitswerten. Die Frage
genen Jahr eine gemeinnützige Bundesstif- jährigen Auszeichnungen für Barbara nach deren Verfassungskonformität be-
tung „Universität Innsbruck“ als selbststän- Beikircher, Verena Hörtnagl-Seidner schäftigt Höchstgerichte und Literatur
dige Fördereinrichtung ins Leben gerufen. und Eva Maria Hirzinger-Unterrainer seit geraumer Zeit. Hörtnagl-Seidner
Für diese Initiative wurde die Uni Innsbruck wurden coronabedingt ohne offizielle greift ausgewählte österreichische und
nun mit dem ersten „DACH Hochschul-Fun- Verleihung vergeben. deutsche Grundsteuermodelle auf und
draisingpreis“ ausgezeichnet. Die Stiftung Barbara Beikircher untersucht am In- untersucht diese kritisch. Ausgehend
startet mit einem Grundkapital von 2,5 stitut für Botanik Winterschäden an Ap- von den gewonnenen Erkenntnissen
Millionen Euro. Die Länder Tirol, Vorarlberg felbäumen. Die klimatischen Bedingun- stellt die Arbeit ein neues Grundsteuer-
und Südtirol sowie die Stadt Innsbruck hat- gen in den alpinen Regionen Mitteleuro- modell für Österreich vor.
ten die von privater Seite zur Verfügung ge- pas sind hervorragend für den Apfelan- Eva Maria Hirzinger-Unterrainer vom
stellten Mittel verdoppelt. Ziel der Stiftung bau geeignet, erhöhen aber gleichzeitig Institut für Fachdidaktik erhielt die Aus-
ist, die Universität Innsbruck in Forschung, auch das Risiko für sogenannte Winter- zeichnung für ihre Arbeit zum Italie-
Lehre, Aus- und Weiterbildung sowie Inter- schäden. Mehrjährige Untersuchungen nischunterricht in der Sekundarstufe II.
nationalisierung zu fördern. an unterschiedlichen Sorten und Stand- In ihrer Habilitationsschrift untersuchte
orten und unter unterschiedlichen Be- sie den medienunterstützten Wort
EHRENZEICHEN dingungen bestätigen, dass Frosttrocknis schatzerwerb im österreichischen Schul-
Barbara Juen, Pro- durch niedrige Bodentemperaturen im kontext. Die Schülerinnen und Schüler
fessorin am Institut Frühjahr für die Entstehung von Winter- einer Experimentalgruppe erstellten
für Psychologie und schäden hauptursächlich ist. Mit der nun Medienprodukte, mittels derer der für
fachliche Leiterin der ausgezeichneten Studie erweitert Barba- den Italienisch-Unterricht relevante
Psychosozialen Diens- ra Beikircher das grundlegende Wissen Wortschatz digital aufbereitet wurde;
te des Österreichi- über den Wasserhaushalt von Bäumen, diese Produkte wurden anschließend
schen Roten Kreuzes, ermöglicht aber auch die Entwicklung der ganzen Klasse zur Verfügung ge-
wurde im Februar mit von geeigneten Gegenstrategien, um stellt, während sich die Kontrollgruppe
einem Ehrenzeichen des Landes Tirol aus- Schäden in Zukunft möglichst gering zu von der Autorin unbeeinflusst den
gezeichnet. Damit würdigte das Land ihre halten. Wortschatz aneignete. Zu Schulende
hervorragende Aufbauarbeit in Tirol und Verena Hörtnagl-Seidner vom Insti- konnte die Experimentalgruppe unter
Österreich für die psychische „Erste Hilfe“ tut für Unternehmens- und Steuerrecht anderem signifikant bessere Ergebnisse
in der Akutsituation, den Rettungsdienst für beschäftigt sich in ihrer preisgekrönten im Hinblick auf die Wortschatzaneig-
die Seele. Arbeit mit der Grundsteuer als einer der nung erzielen.
46 zukunft forschung 01/20 Fotos: privat (3), Uni Innsbruck (1), Andreas Friedle (1), Birgit Pichler (1)
PREISE & AUSZEICHNUNGEN
EINE NEUES
QUANTENFORSCHUNG
Im Rahmen einer
gemeinsamen Aus-
Z UKUNFTSKOLLEG
schreibung von FWF
und FFG werden
fünf Projekte im Be-
reich der Quanten-
forschung gefördert,
Ein Forschungsprojekt verknüpft Erkenntnisse aus drei davon kommen
Politikwissenschaft, Soziologie und Geografie, um Fragen zum von Forschern der Uni Innsbruck. Die
Experimentalphysikerin Tracy Northup er-
globalen Agrar- und Ernährungssystem zu erläutern. hält Fördermittel für die Entwicklung einer
miniaturisierten Schnittstelle zwischen zwei
elementaren Bausteinen eines zukünftigen
Quantennetzwerks: gefangenen Ionen und
Photonen. Ebenfalls gefördert werden Pro-
jekte von Gregor Weihs sowie von Thomas
Ußmüller und Philipp Schindler.
TOP-ARBEITGEBERIN
D
er österreichische Wissenschafts- Aktuell wird das Agrar- und Er-
fonds FWF bewilligte zum zwei- nährungssystem von transnationalen
ten Mal Forschungsprojekte im Konzernen dominiert, die auf Basis der
Gesamtumfang von 8,6 Millionen Euro Prinzipien von Wettbewerb, wirtschaft- Zum vierten Mal wurde die Universität Inns
für innovative und fächerübergreifende lichem Wachstum und Gewinnmaximie- bruck unter die Top-Arbeitgeber Österreichs
Zusammenarbeit exzellenter Postdoc- rung agieren. Dieses um die Welthan- gewählt. Das Ranking wird jährlich vom
Teams. An einem der vier Projekte sind delsorganisation zentrierte Nahrungs- Wirtschaftsmagazin trend, dem Statistik-
Robert Hafner vom Institut für Geogra- regime wird von verschiedenen sozialen Portal Statista, der Arbeitgeber-Bewertungs-
phie und Rike Stotten vom Institut für Bewegungen und Produzierenden aktiv Plattform kununu sowie dem Karriereportal
Soziologie beteiligt. Das Projekt „Wer- hinterfragt. In dem Forschungsprojekt Xing durchgeführt. In der Branche Bildung
tebasierte Produktions- und Konsum- werden kleine und mittelgroße Initiati- und Forschung erreichte die Uni Innsbruck
weisen im WTO-zentrierten Nahrungs- ven untersucht, um die Frage zu klären, den 4. Platz und im tirolweiten Vergleich
regime“ verknüpft Erkenntnisse aus der inwieweit diese Bottom-up-Initiativen liegt sie auf Platz 5.
Politikwissenschaft, der Soziologie und das Potenzial haben, das WTO-zentrier-
der Geografie, um Fragen zum globalen te Nahrungsregime (d. h. die dominie- GOOGLE-PREIS
Agrar- und Ernährungssystem zu erläu- renden globalisierten Wertschöpfungs- Der Physiker Wolf-
tern. Koordiniert wird es von Christina ketten in der Lebensmittelproduktion) gang Lechner erhielt
Plank von der Universität für Bodenkul- zu verändern. einen Google Faculty
tur Wien. Von den 22 begutachteten Projektan- Research Award in
trägen – mit einer Antragssumme von der Kategorie Quan-
insgesamt 44,1 Millionen Euro – fielen tum Computing. Die
44 Prozent in den Bereich Sozial-, Kul- mit rund 80.000 US-
tur- und Geisteswissenschaften, 17 Pro- Dollar dotierte Aus-
zent in den Bereich Biologie und Medi- zeichnung wird vom Internetkonzern Goo-
zin und 39 Prozent in die Natur- und gle vergeben und soll innovative Forschung
Technikwissenschaften. Die Beteiligung zur Entwicklung neuer Technologien
von Wissenschaftlerinnen betrug knapp fördern. Lechner entwickelt damit seine ge-
49 Prozent. Ausgeglichen war die Ge- meinsam mit Philipp Hauke und Peter Zoller
schlechterverteilung auch in der Lei- an der Universität Innsbruck und der Öster-
INTERDISZIPLINÄR: Rike Stotten und tungsfunktion der geförderten Zu- reichischen Akademie der Wissenschaften
Robert Hafner beschäftigen sich mit dem kunftskollegs, die jeweils zwei Frauen ersonnene und patentierte Architektur für
globalen Agrar- und Ernährungssystem. und zwei Männer innehaben. Quantencomputer weiter.
Fotos: Axel Springer (1), Uni Innsbruck (2), unsplash.com/Johny Goerend (1), privat (2) zukunft forschung 01/20 47
ZWISCHENSTOPP INNSBRUCK
VIELFALT IM BODEN
Mit Richard Bardgett war von Januar bis März einer der weltweit
führenden Ökologen an der Universität Innsbruck zu Gast.
D
er Brite Richard Bardgett von und Forschern in Innsbruck auf, wo mit
der Universität Manchester war Unterstützung der Alpinen Forschungs-
im Winter auf Einladung von stelle Obergurgl auf Versuchsflächen in
Michael Bahn vom Institut für Ökolo- Vent, Sölden und Obergurgl Experimente
gie als LFUI-Gastwissenschaftler an der mit veränderten Schnee- und Vegetati-
Universität Innsbruck tätig. Gemeinsam onsdecken durchgeführt werden. Unter-
hatten sie in den vergangenen Jahren sucht wird die Reaktion der mikrobiellen
den Einfluss von Klima und Landnut- Bodengemeinschaften und biogeoche-
zung auf die alpinen Böden untersucht. mischen Zyklen auf das Vordringen von
Richard Bardgett ist einer der meistzi- Sträuchern und Veränderungen der
tierten Ökologen weltweit und war bis Schneedecke. „Der Besuch von Richard
vor Kurzem Präsident der Britischen Bardgett bot die Gelegenheit, bestehende
Ökologischen Gesellschaft. In Innsbruck Daten zu analysieren und zu interpretie-
tauschte er sich mit Wissenschaftlerinnen ren, aber auch neue Perspektiven für zu-
und Wissenschaftlern aus den Bereichen künftige gemeinsame Forschung zu ent-
Ökologie, Mikrobiologie und Botanik wickeln, die das Verständnis der Auswir-
aus. Das gemeinsame Interesse richtete kungen von Klima- und Landnutzungs-
sich auf die Interaktionen von Pflanzen änderungen in Bergwiesen fördern soll“,
und Mikroorganismen in Böden. Es ging sagt Michael Bahn. Im Frühjahr wurde
dabei um die Frage, wie Landnutzung ein Projekt des Natural Environment Re-
und Klimawandel die Mikroorganismen search Council (NERC) bewilligt, das ei-
im Boden und deren Funktionsweise die ne vertiefende Zusammenarbeit zu die-
biogeochemischen Kreisläufe in alpinen sem hochaktuellen Thema ermöglicht.
Ökosystemen beeinflussen. Während seines Aufenthalts arbeitete
Bardgett auch im Rahmen des Doktorats-
Ökosystemprozesse kollegs „Alpine Biology and Global
Richard Bardgetts Forschung zielt auf Change“ mit Nachwuchswissenschaft-
ein besseres Verständnis der Rolle von lern zusammen. cf
Wechselwirkungen zwischen Pflanzen-
und Bodengemeinschaften für die Regu-
lierung terrestrischer Ökosysteme und RICHARD BARDGETT ist Professor für
deren Reaktion auf den globalen Wandel Ökologie an der Universität Manchester
ab. Insbesondere versucht er, ein mecha- und stand bis vor Kurzem der Britischen
nistisches und konzeptuelles Verständ- Ökologischen Gesellschaft als Präsident
nis dafür zu entwickeln, wie Pflanzen vor. Er ist langjähriger leitender Heraus-
die biologische Vielfalt des Bodens und geber des Journal of Ecology. Als „Highly
die Ökosystemprozesse beeinflussen Cited Researcher“ und Verfasser mehrerer
und wie diese Vielfalt wiederum die Dy- Bücher hat er bereits zahlreiche Aus-
namik der Nährstoffzyklen und Pflan- zeichnungen erhalten, unter anderem ein
zengemeinschaften auf verschiedenen Ehrendoktorat der Hasselt University in
zeitlichen und räumlichen Skalen verän- Belgien sowie einen ERC Advanced Grant,
dert. In Innsbruck richtet sich sein Inte- der zu den prestigeträchtigsten und
resse vor allem auf das alpine Grasland bestdotierten Forschungspreisen Europas
und den Einfluss von Landnutzung und zählt. In zahlreiche nationale und interna-
Klimawandel auf mikrobielle Bodenge- tionale Beratungsgremien zu Biodiversität
meinschaften, ihre Funktionsweise und und Klimawandel bringt Richard Bardgett
die biogeochemischen Zyklen. seine große Erfahrung und Expertise ein.
Die Forschung baut auf einer lau- Seine Forschungsarbeit führte ihn von der
fenden Kooperation mit Forscherinnen Tibet-Hochebene bis nach Kenia.
VON INNSBRUCK
AN DIE SORBONNE
Mit 34 Jahren wird die Mathematikerin Katharina Schratz an die Sorbonne Université in Paris berufen.
Den Grundstein für ihre akademische Karriere legte sie in Innsbruck.
D
as Forschungsgebiet von Katha- men, was für hinreichend großes N mehr meinsame Forschungsvorhaben weiterzu-
rina Schratz liegt in der Nume- ist, als der ganze technische Fortschritt der entwickeln. An ihre Studienzeit in Inns
rischen Mathematik partieller letzten 55 Jahre“, sagt Schratz. Die funda- bruck erinnert sie sich gerne zurück: „Das
Differentialgleichungen. Diese spielen in mentale Frage, die die Mathematikerin war eine fantastische Zeit, in der ich mit
der Mathematik eine zentrale Rolle, da bei der Suche nach neuen numerischen meinen Studienkolleginnen aber auch oft
sie es erlauben, zahlreiche Phänomene Lösungsverfahren immer wieder antreibt, gezweifelt habe, ob wir das Studium denn
zu beschreiben: von der Ausbreitung von ist jene, wie und in welchem Ausmaß wir überhaupt zu Ende bringen werden.“ Als
Krankheiten und Lawinenabgängen über das qualitative Verhalten von Differen- grundlegend für ihren erfolgreichen Weg
Lernalgorithmen bis hin zu Flüssigkeiten tialgleichungen in einer endlichen Welt sieht die Mathematikerin, dass sie in Inns
im menschlichen Gehirn. „Um die Natur überhaupt reproduzieren können. „Um bruck zielgerichtet gefördert und gefordert
zu verstehen, müssen wir ihr qualitatives Algorithmen implementieren zu können, wurde. „Dank meines Doktorvaters konn-
Verhalten nachvollziehen: die Existenz müssen wir immer eine endliche Form te ich genau diese Erfahrungen machen.
und das Langzeitverhalten von Lösungen, der zu lösenden Gleichung betrachten. Ich bin Alexander Ostermann sehr dank-
ihre geometrischen und dynamischen Ei- Die große Herausforderung besteht darin, bar für die gemeinsamen Forschungspro-
genschaften – und ihre numerische Lö- eine geeignete Diskretisierung zu finden, jekte und Publikationen, in die er mich
sung zuverlässig berechnen“, beschreibt die es uns erlaubt, die zugrunde liegende schon früh eingebunden hatte. Ebenso
die Mathematikerin ihre Aufgabe. Die Be- Struktur der Gleichung widerzuspiegeln.“ konnte ich schon früh an internationalen
deutung von neuen mathematischen Me- Tagungen und Workshops teilnehmen,
thoden illustriert Schratz am Beispiel der Gezielte Förderung was mir erlaubte, über die Zeit ein starkes
Schnellen Fourier-Transformation, mit der „Ich freue mich immer sehr, an ‚meine‘ Netzwerk aufzubauen.“ Diese Qualitäten
diskrete Signale in ihre Frequenzanteile Universität zurückzukommen, da sie mich will die junge Professorin nun auch ihren
zerlegt und dadurch analysiert werden auf meinem Weg immer irgendwie beglei- Studentinnen und Studenten weitergeben:
können. Die mit diesem in den 1960er- tet hat“, sagt Schratz, die regelmäßig am „Meinen Studierenden möchte ich ein Vor-
Jahren entwickelten Verfahren erzielte Institut für Mathematik der Uni Innsbruck bild sein, indem ich ihnen meine Leiden-
Effizienz übertrifft die Entwicklung der zu Gast ist, um hier ehemalige Kolleginnen schaft für die Wissenschaften, die eigene
Computerhardware. „Hier sind wir von und Kollegen zu treffen und mit ihrem Weiterentwicklung und Wege zum Erfolg
N^2 auf N log(N) Operationen gekom- Doktorvater Alexander Ostermann ge- aufzeige und vorlebe.“ cf
A
„Strittig ist auch die ngefangen vom Slogan „Schau auf Bewegungsdaten von Mobilfunkunternehmen
Vision eines ‚Wir‘, das dich, schau auf mich. So schützen wir soll helfen, sich verändernde Bewegungsströ-
uns“ über Tweets wie #wirbleibenzu- me zu visualisieren, Tracking- oder Tracing-
sich aus kalkulierten
hause bis zur medialen Botschaft „So sind wir“ Apps sollen den Kontakt von Infizierten und
und aggregierten des Bundespräsidenten wurden im Kontext Nicht-Infizierten biometrisch dokumentieren.
Zahlen ergibt.“ der Pandemie eine Reihe von Pathosformeln Kurzum, die Epidemiologie etabliert sich als
geprägt, die eines wiederholt beschwören: ein Sozialwissenschaft und in Allianz mit Biome-
„Wir“, dessen Referenz nebulös bleibt und trie und Bioinformatik entsteht ein Verständ-
problematisiert werden sollte. nis von infektionsgefährdeten Populationen,
das alternative Verständnisse des Sozialen im
Wird bedacht, dass bereits das moderne Namen bestimmter Zahlen dominiert bzw.
Staatswesen, das sich nun als zentraler Akteur transformiert. Strittig sind dabei nicht allein
zur Bewältigung der Corona-Krise profiliert, die Methoden, wie all diese Zahlen generiert,
ein Arrangement heterogener Verständnisse interpretiert und gemanagt werden, was sie
von sozialen Verhältnissen ist, d. h. dass die le- bedeuten, strittig ist auch die Vision eines
gistische Definition des Staatsvolkes (als Sum- „Wir“, das sich aus diesen Zahlen ergibt.
me von Rechtssubjekten) und der biologische
Begriff der Bevölkerung (als Menge mehr oder Gemessen an den eindimensional wirkenden
weniger trainierbarer Körper) nur teilweise Grafiken zur COVID-19-Pandemie als „Welle“,
korrelieren und jeweils extrem ambivalent die laut Tomas Pueyos häufig zitiertem Beitrag
sind, da sie Figuren der Devianz bedingten Der Hammer und der Tanz durch restriktive Qua-
(„Staatenlose“, „Irre“ etc.), dann gibt es keine rantänen zunächst gebrochen (Hammer) und
historischen Gründe, ein solches „Wir“ un- dann mittels flexibler Distanzierungen gesurft
kritisch zu idealisieren. Anders gesagt, es gab (Tanz) werden sollte, steht jedenfalls fest, dass
und gibt viele, die nicht so dazugehören wie die propagierte – und von vielen Regierungen
„wir“. Diesbezüglich hat Jacques Rancière in auch geteilte – Maßnahmenvariante einen dy-
seiner Schrift Das Unvernehmen (1995) auch namischen „Mix“ darstellt, der demokratiepoli-
die strittige These formuliert, dass seit den tisch virulent ist: Manche Grundrechte sollen
ANDREAS Anfängen der Politik – als Medium der Aner- (temporär) suspendiert oder (lokal) relativiert
OBERPRANTACHER wurde kennung und Partizipation – so etwas wie eine werden, während eine gewisse Häufung von
1974 in Bozen geboren und „Verrechnung“ (mécompte) stattfindet, was Todesfällen toleriert werden muss, um schließ-
hat in Innsbruck, Nottingham besagt, dass es immer wieder eine Un-Zahl lich so etwas wie eine Homöostase der Infektio-
und Castellón Philosophie, von Menschen gibt, die bei der Konstitution nen zu erreichen. Ikonische Grafiken wie diese,
Geschichte, Europäische eines Gemeinwesens nicht oder weniger zäh- die zur Rechtfertigung der getroffenen Maß-
Ethnologie und Komparatistik len (Versklavte, Obdachlose, „Illegale“ usf.), nahmen umhergezeigt, jedoch nicht weiter re-
sowie Friedens- und Konfliktfor- offiziell entbehrlich (also überzählig) sind. flektiert werden, vermitteln das reduktive Bild
schung studiert. Seit 2005 ist er eines „Wir“, das sich aus scheinbar neutralen
wissenschaftlicher Mitarbeiter, Das viel gepriesene „Wir“ kreist heute auch Datensätzen zusammenfügt, als ob die momen-
seit 2015 assoziierter Professor um allerlei Zahlen: Es geht um die Erhebung tanen Risiken, zu erkranken oder zu verarmen,
am Institut für Philosophie der von medizinischen Fallzahlen, aber auch um vielfach nicht bereits Ergebnis früherer Verrech-
Universität Innsbruck. Er ist epidemiologische Parameter oder um die Zahl nungen wären, d. h. Geschichten von Prekari-
stellvertretender Sprecher des der Menschen, die sich öffentlich versammeln sierung und Diskriminierung latent spiegeln.
Doktoratskollegs „Dynamiken oder gleichzeitig ein Geschäft oder Museum So gesehen besteht auch gegenwärtig die Ge-
von Ungleichheit und Differenz betreten dürfen. Zugleich werden bioinfor- fahr, dass uns das beschworene „Wir“ der Pan-
im Zeitalter der Globalisierung“ matische Prognosemodelle zunehmend wich- demie verführt, jene sozialen Bruchstellen und
sowie Vorstandsmitglied der tiger, um den weiteren Verlauf der Pandemie Risse, welche durch die Corona-Krise vermehrt
Österreichischen Gesellschaft für zu simulieren und die Effizienz verschiedener erkennbar werden, wieder zu verwischen, an-
Philosophie. Maßnahmen zu berechnen. Der Zugriff auf statt sie zur Diskussion zu stellen.
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