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KIM MITTERBACHER

Es war einmal …
Wie Literatur-, Kultur- und Sprachvermittlung mit Hilfe von Märchen im
DaF-Unterricht funktionieren können.
(Am Beispiel der Märchen der Brüder Grimm: Schneewittchen und
Schneeweißchen und Rosenrot)

Masterarbeit
Zur Erlangung des akademischen Grades
Magistra der Philosophie
Studienrichtung: Germanistik (SKZ 817)

Begutachterin: Mag.a Dr.in Manuela Glaboniat


Institut: Germanistik

Klagenfurt, März 2016


Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich


- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und andere als
die angegebenen Hilfsmittel nicht benutzt habe;
- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung,
einschließlich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe;
- die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder
sinngemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den
Ursprung der Information durch möglichst exakte Quellenangaben (z.B. in
Fußnoten) ersichtlich gemacht habe;
- die Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde
vorgelegt habe und
- zur Plagiatskontrolle eine digitale Version der Arbeit eingereicht habe, die mit
der gedruckten Version übereinstimmt.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben
wird.

(Unterschrift) (Ort, Datum)


Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich während der
Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt und motiviert haben.

Zuerst gebührt mein Dank Mag.a Dr.in Manuela Glaboniat, die meine Masterarbeit
betreut und begutachtet hat. Für die hilfreichen Anregungen und die konstruktive
Kritik bei der Erstellung dieser Arbeit möchte ich mich herzlich bedanken.

Mein weiterer Dank gilt all meinen Kollegen und Kolleginnen bei Deutsch in
Österreich, die mir sowohl bei der qualitativen, wie auch quantitativen Forschung
unterstützend beiseite gestanden sind und mir ihre Zeit, privat als auch beruflich,
zur Verfügung gestellt haben. Ein besonderer Dank gilt allen Teilnehmern und
Teilnehmerinnen an meiner Befragung, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen
können.

Sehr dankbar bin ich vor allem auch meinem Arbeitgeber Deutsch in Österreich –
insbesondere Andrea Pirker. Ohne ihre Unterstützung wäre es mir nicht möglich
gewesen, einen Workshop über Märchen zu halten und die Ergebnisse dieser
wissenschaftlichen Arbeit zu erzielen.

Mein spezieller Dank aber gilt vor allem drei wichtigen Menschen in meinem
Leben: meinem Vater Arno Mitterbacher, BA und meinem Partner, Mag. Gerhard
Kropik, die mich sowohl mental, als auch professionell beim Verfassen der Arbeit
begleitet und unterstützt haben und meiner Mutter Irene Mitterbacher, deren
emotionaler Rückhalt mir immer sicher war und ist.

Abschließend kann ich nur sagen, dass ich ohne die Hilfe und Unterstützung all
dieser (und vieler weiterer) Personen nicht an dem Punkt angelangt wäre –
universitär und privat – an dem ich jetzt bin. Danke vielmals!

1
Inhalt
Einleitung ................................................................................................................ 5
1 Literaturvermittlung ......................................................................................... 8
1.1 Literaturvermittlung im DaF-Unterricht ..................................................... 8
1.2 Literatur im DaF-Unterricht – sinnvoll und oft verwendet? ..................... 10
2 Das Märchen – eine Einführung .................................................................... 13
2.1 Begriffs- und Wortdefinition .................................................................... 13
2.2 Gattung Märchen ....................................................................................... 15
2.3 Kunstmärchen vs. Volksmärchen.............................................................. 16
2.4 Funktion der Märchen ............................................................................... 19
2.4.1 Inhalt, Kennzeichen und Symbole .................................................. 20
3 Die Märchen der Brüder Grimm .................................................................... 24
3.1 Die Entstehung und Publikation der KHM ............................................... 25
3.2 Quellen der Brüder Grimm ....................................................................... 27
3.3 Warum die Grimm’schen Märchen nicht „Deutsch“ sind ........................ 28
3.4 Sprache und Stil in Grimm’schen Märchen .............................................. 29
3.5 Märchen damals und heute........................................................................ 31
3.5.1 Märchen im 19. Jahrhundert: Die KHM werden zum
Erziehungsbuch .............................................................................................. 32
3.5.2 Märchen nach der Zeit der Brüder Grimm ...................................... 36
3.5.3 Märchen im 21. Jahrhundert: Die Beliebtheit der Märchen nimmt
wieder zu ........................................................................................................ 37
4 Märchen in pädagogischen Bereichen ........................................................... 40
4.1 Märchen im Unterricht .............................................................................. 41
4.2 Märchen im DaF-Unterricht ...................................................................... 43
4.3 Warum funktionieren Märchen im DaF-Unterricht? ................................ 43
4.4 Was man beim Einsatz von Märchen beachten sollte ............................... 45
4.4.1 Kulturelle Problematik .................................................................... 45
4.4.2 Sprachliche Problematik ................................................................. 46
5 Märchen im DaF-Unterricht: Untersuchung bereits didaktisierter
Unterrichtsmaterialen ............................................................................................ 49

2
5.1 Achtung Deutsch A2: Kapitel 7 Märchen ................................................. 50
5.1.1 Wortschatz....................................................................................... 50
5.1.2 Grammatik....................................................................................... 56
5.1.3 Conclusio ........................................................................................ 57
5.2 Märchenhaft 2012 ..................................................................................... 59
5.2.1 Unterrichtsvorschläge rund um das Thema Märchen ..................... 60
5.2.2 Frau Holle – ein Beispiel ................................................................ 61
5.2.3 Conclusio ........................................................................................ 65
6 Erkenntnisse aus der empirischen Erhebung über die Bekanntheit von
Märchen unter DaF-Lernenden ............................................................................. 67
6.1 Eckdaten .................................................................................................... 67
6.1.1 Herkunft und Alter der Befragten ................................................... 68
6.2 Ergebnis: Bekanntheit der Märchen .......................................................... 69
6.2.1 Prüfung möglicher Determinanten für den Bekanntheitsgrad ........ 71
6.2.2 Zusammenhang: Bekanntheit und Herkunft ................................... 71
6.2.3 Zusammenhang: Bekanntheit und Alter.......................................... 74
6.3 Conclusio .................................................................................................. 75
7 Wie arbeiten DaF-Lehrende mit Märchen? Ergebnisse einer qualitativen
Umfrage................................................................................................................. 77
7.1 Eckdaten .................................................................................................... 77
7.2 Bekanntheit und Bedeutung von Märchen bei Lehrenden im DaF-
Unterricht .......................................................................................................... 77
7.3 Wie setzen DaF-Lehrende Märchen im Unterricht ein? ........................... 79
7.4 Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Märchen ............................................ 84
7.5 Conclusio für eigenständige Didaktisierung ............................................. 84
8 Arbeiten mit Märchen im DaF-Unterricht – Ein Didaktisierungsvorschlag für
Schneewittchen und Schneeweißchen und Rosenrot ............................................. 86
8.1 Einstieg in die „Märchenwelt“ .................................................................. 87
8.1.1 Wortschatz....................................................................................... 88
8.1.2 Deutsche Titel und Inhalt der Märchen ........................................... 89
8.1.3 Conclusio ........................................................................................ 91
8.2 Schneewittchen .......................................................................................... 92
8.2.1 Lernziele.......................................................................................... 94
8.2.2 Einstieg............................................................................................ 95
3
8.2.3 Arbeit mit dem Inhalt ...................................................................... 97
8.2.4 Freies Sprechen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten finden ...... 100
8.2.5 Freies Sprechen: Über Wünsche und Träume sprechen können. .. 103
8.2.6 Kreatives Schreiben: Was wäre wenn … ...................................... 104
8.3 Schneeweißchen und Rosenrot ................................................................ 106
8.3.1 Lernziele........................................................................................ 108
8.3.2 Arbeit mit dem Inhalt .................................................................... 109
8.3.3 Einstieg: Arbeit mit Bildimpuls .................................................... 110
8.3.4 Märchen lesen: Präteritum ergänzen und Inhalt verstehen ........... 113
8.3.5 Vermutungen aufstellen/Meinung äußern: Wie geht es weiter? ... 116
8.3.6 Hörstrategie: Eine filmische Szene ansehen und verstehen .......... 117
8.3.7 Freies Sprechen: Eine (Bild-)Geschichte erzählen können ........... 119
8.3.8 Schreiben: Einen (märchenhaften) Brief schreiben können …..... 120
8.4 Conclusio ................................................................................................ 122
Resümee .............................................................................................................. 127
Literaturverzeichnis............................................................................................. 130
Anhang ................................................................................................................ 143

4
Einleitung

Es war einmal … drei magische Worte, die bei vielen kindliche Erinnerungen wach
werden lassen. Es war einmal … ein berühmter Anfang vieler Geschichten. Es war
einmal … eine literarische Gattung die (vermeintlich!) nur für Kinder geeignet
scheint. Es waren einmal … die Märchen der Brüder Grimm.

Friedrich Wilhelm Nietzsche sagte einst: „Wir meinen, das Märchen und das Spiel
gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter
ohne Märchen und Spiel leben möchten!“ (Nietzsche, 1988, S. 493). Genau an
diesem Ansatz setzt diese wissenschaftliche Arbeit an. Die von vielen
fälschlicherweise als reine Kinderliteratur angesehenen Texte sind nun bereits seit
über 200 Jahren ein wichtiger Bestandteil der deutschen Literaturgeschichte – und
auch für Erwachsene geeignet. Als 1812 die erste Ausgabe der Kinder- und
Hausmärchen der Brüder Grimm publiziert wurde, konnte wohl niemand ahnen,
dass die Sammlung mit den vielen „Volksgeschichten“ zu einem der weltweit
weitverbreitetsten Werke deutschsprachiger Literatur wird. Um darzustellen, dass
auch Märchen eine hochwertige literarische Gattung sind, sollen die ersten Kapitel
ganz der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Märchen – vor allem jener der
Brüder Grimm – gewidmet werden. Was genau ist eigentlich der Sinn von
Märchen? Welche Funktion haben sie? Wie hat sich ihre Funktion im Laufe der
Jahrhunderte verändert? Welche Symbole, inhaltliche Strukturen und Figuren
tragen die Märchen in sich und was haucht ihnen „märchenhaftes Leben“ ein? Wie
viel „Deutsches“ steckt eigentlich in den Märchen? Dies sind nur einige der Fragen,
die – vor allem unter Zuhilfenahme der Forschungen und Theorien der
„Märchenexperten“ Hans-Jörg Uther, Max Lüthi und Heinz Rölleke – thematisiert
werden.

Der eigentliche Fokus der Arbeit liegt aber auf der Vermittlung von Märchen.
Genauer gesagt, die Vermittlung von Märchen im DaF-Unterricht. Einleitend steht
aus diesem Grund das erste Kapitel, welches sich kurz mit einem wichtigen Teil der
angewandten Germanistik – der Literaturvermittlung – auseinandersetzt. In
weiterer Folge wird die Darstellung und Vermittlung von Märchen im DaF
(Deutsch als Fremdsprache)-Unterricht für Erwachsene auf dem Sprachniveau B1

5
untersucht. Der DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Unterricht konnte für diese
Forschungsarbeit nicht herangezogen werden.

Es wird der Frage nachgegangen, ob der Einsatz von Märchen im DaF-Unterricht


überhaupt als sinnvoll zu erachten ist. Um dem Folge leisten zu können, wird vorab
betrachtet, welche Rolle Märchen im DaF-Unterricht spielen, ab welchem
Sprachniveau (nach dem Europäischen Referenzrahmen) sie zum Einsatz kommen,
welche Probleme es geben kann und wie sie didaktisiert werden. Anhand zweier
Beispiele (Lehrwerk Achtung Deutsch, Goethe-Institut) sollen bereits vorhandene
Didaktisierungen dargestellt und analysiert werden.

Im Laufe der Forschung soll auch die Frage geklärt werden, wie bekannt die
deutschen Märchen der Brüder Grimm außerhalb des deutschsprachigen Raumes
sind. Kann man von der Annahme ausgehen, dass Märchen wie Schneewittchen,
Dornröschen oder Hänsel und Gretel überall auf der Welt bekannt sind? Mittels
einer quantitativen Befragung unter achtzig DaF-Lernenden soll dies überprüft
werden. Des Weiteren soll geklärt werden, auf welche Märchenliteratur
zurückgegriffen werden kann. Es kann davon ausgegangen werden, dass die
Sprache der originalen Grimm’schen Märchen antiquiert und deshalb schwer für
den Einsatz im DaF-Unterricht heranzuziehen ist. Wie sieht es aber mit
umgeschriebenen Märchen für Kinder aus? Eignen sich die sprachlich
überarbeiteten und für Kinder vereinfachten und angepassten Versionen auch für
den DaF-Unterricht? Dies sind zwei große Fragestellungen, die im Laufe der Arbeit
beantwortet werden sollen.

Schlussendlich dient die Beantwortung all der bisher gestellten Fragen vor allem
einem Zweck: der eigenständigen Didaktisierung zweier Grimm´scher Märchen.
Basierend auf dem erworbenen Wissen durch Literaturrecherche, Analyse bereits
didaktisierter Märchen (Kapitel 5), den Ergebnissen einer quantitativen Umfrage
unter DaF-Lernenden (Kapitel 6) und den Resultaten einer qualitativen Umfrage
unter zwölf DaF-Lehrenden (Kapitel 7), werden die beiden Grimm’schen Märchen
Schneewittchen und Schneeweißchen und Rosenrot für den B1-Unterricht
didaktisiert und auf ihre Lernziele hin überprüft. Dass die Auswahl der Märchen
nicht rein zufällig erfolgte, wird ebenfalls im Laufe der Arbeit ersichtlich.

6
Auch wenn dies eine wissenschaftliche Arbeit ist, lässt sich hier mit der
zauberhaften Wortwahl der Märchen der Inhalt dieser Forschung noch einmal kurz
zusammenfassen:

Es war einmal ein Versuch, darzustellen, dass sich Märchen auch für den DaF-
Unterricht mit Erwachsenen hervorragend eignen.

7
1 Literaturvermittlung

Unter dem Begriff Literaturvermittlung versteht man unter anderem „jede direkte
oder indirekte, zwischen Autor und Leser vermittelnde Einrichtung, Unternehmung
oder Instanz wie Veranstalter von Lesungen, Verlage (…), Buchhandel,
Bibliotheken, Literaturunterricht in den Schulen“ (Nünning, 2004, S. 404). Damit
Literaturvermittlung in Schulen, an der Universität oder sonstigen
Bildungseinrichtungen funktioniert, bedarf es einer Literaturdidaktik. Der Beginn
der Didaktik liegt in der frühen Aufklärung und gehört, je nach Literatur, mit der
sie sich befasst (Herkunft, Sprache, Kultur etc.), verschiedenen Fachrichtungen an
(vgl. Arnold/Roßa, 2012, S. 12). Hauptaufgabe ist der „Komplex von
Entscheidungen, Konzeptionen und Theorien über Literatur als Gegenstand
institutionalisierter Lernprozesse“ (Nünning, 2004, S. 394 ff.). Sie soll sich nicht
nur mit Lern-, sondern auch mit Lehrprozessen befassen, welche den Umgang mit
Literatur fördern (vgl. Leuber u. v. m., 2012, S. 10). Literatur soll nachhaltig
vermittelt, den/der Lernenden (dem Publikum) angepasst sein und wenn möglich
nicht nur sprachliche, sondern auch kulturelle Kompetenzen erweiterten. Der
Literaturunterricht an Schulen zielt „auf eine (…) Beteiligung an der literarischen
Kommunikation ab, die unterschiedliche Arten der Produktion und Rezeption
literarischer Texte umfasst. Insbesondere wird auf Verstehen des Textes
wertgelegt“ (ebd. S. 13).

Neue Konzepte von „cultural studies und intertextuelle Ansätze für didaktische
Überlegungen zum Fremdverstehen“ können für den Literaturunterricht „fruchtbar
gemacht werden“ (Nünning, 2004, S. 394 ff). So kann auch der
Fremdsprachenunterricht auf dieser Basis „als ‚Spiel der Texte und Kulturen‘
rekonzeptualisiert werden“ (ebd.).

Literaturvermittlung im DaF-Unterricht
Lange Zeit spielte Literatur vor allem als „übersetzende Lektüre“ eine wichtige
Rolle (Esselborn, 2010, S. 19). Das wichtigste Ziel des Unterrichts im 19.
Jahrhundert war die „allgemeine geistig-formale“ Schulung (Kim, 2010, S. 29).
Lernende einer Fremdsprache sollten ihren Verstand „anhand der Logik und

8
Systematik der Fremdsprache schulen“ (ebd.). Später legte die
Fremdsprachendidaktik vor allem Wert auf Pragmatik und Sprache als ein
Werkzeug sozialen Handelns (vgl. Helbig u. v. m., 2001, S. 1334). Erklärtes
Lernziel war es, sich in verschiedenen Situationen des Zielsprachlandes
zurechtzufinden und sich mitteilen zu können. Literarische Texte wurden
gemieden, da sie als zu kompliziert, schwierig und zu weit weg von alltäglicher
Kommunikation gesehen wurden (vgl. ebd.). Seit Mitte der 70iger Jahre erleben
literarische Texte jedoch wieder einen Aufschwung. Es wird argumentiert – etwa
in Artikeln von Piepho (1974) und Löschmann (1975) (vgl. ebd.) – dass das Lernen
einer Fremdsprache nicht nur mündlich, sondern parallel über Texte erfolgen sollte.
Literarische Texte können ebenfalls „soziale, emotionale, kognitive
Entwicklungen“ (ebd.) von Schülerinnen und Schülern fördern, und wurden aus
diesem Grund vor allem im schulischen Kontext von immer größerer Bedeutung.

Heute sollen literarische Texte – nach Löschmann und Schröder – dann im DaF-
Unterricht herangezogen werden, wenn sie „die angestrebten allgemein-
pädagogischen Funktionen“ eines Unterrichts erfüllen (Kim, 2010, S. 144). Des
Weiteren sind sie der Meinung, dass Literatur nicht nur bilden und erziehen kann,
sondern vor allem auch die einzelnen Persönlichkeitsqualitäten ausprägt (vgl. ebd.).
Zudem ist Literatur für den DaF-Unterricht geeignet, da sie als ein
„Reflexionsmedium kultureller Inhalte“ (Altmayer u. v. m., 2014, S. 7) gesehen
werden kann. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Lernende mit
unterschiedlicher sprachlicher und kultureller Herkunft (vgl. Helbig u. v. m., 2001,
S. 1339) Texte unterschiedlich lesen und verstehen.

Beim Textverstehen – und somit Lesen von (literarischen) Texten – handelt es sich
nicht um ein passives Aufnehmen von Informationen, sondern es geht um ein
aktives Verfahren, in dem das eigene Wissen und die (kulturell) erlernten
Lesestrategien eingesetzt werden (vgl. Meier, 2006, S. 194). Bereits beim Lesen
bringen die Lernenden ihre kulturellen Prägungen und Erfahrungen mit, weshalb
man beim Lesen literarischer Texte auch immer von interkultureller Entdeckung
spricht, bei der „eigene Erfahrungen und landeskundliche Information verknüpft
werden“ (ebd.). Die kulturräumliche Distanz zwischen einem deutschsprachigen
Text und einem nicht deutschsprachigen Leser/einer nicht deutschsprachigen

9
Leserin ist das Charakteristikum des fremdsprachigen Lesens/Verstehens. Im DaF-
Unterricht bilden deshalb „Kulturmündigkeit und das Geltenlassen kultureller
Andersartigkeit“ (Helbig u. v. m., 2001, S. 1339) die oberste Priorität.

Nicht Werk und Autor/Autorin sollen bei Verwendung literarischer Texte im DaF-
Unterricht im Vordergrund stehen, sondern der Rezipient/die Rezipientin und
seine/ihre Rezeptionsleistung (vgl. Esselborn, 2010, S. 22). Dieser Aspekt soll und
darf auch bei der Analyse und Didaktisierung von Märchen nicht außer Acht
gelassen werden.

Literatur im DaF-Unterricht – sinnvoll und oft verwendet?


Im Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht werden literarische Texte gerne
herangezogen, da sie als Konzept einer „interkulturellen Erziehung“ dienen (vgl.
Esselborn, 2010, S. 17) und ein „kulturelles Identitätswissen“ (Dohrn, 2007, S. 93)
fördern können – im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht sieht es jedoch etwas
anders aus. Auch wenn es eine Vielzahl an didaktisierten literarischen Texten gibt,
fehlen diese meist in Fachkursen für Deutsch als Fremdsprache. Der
fremdsprachige Literaturunterricht kann gemeinhin als ‚weicher Bereich‘
bezeichnet werden (vgl. Bracker, 2015, S. 11), da seine Wichtigkeit zunehmend in
den Hintergrund rückt. Der stets unter Zeitdruck stehende Deutschunterricht
„richtet sich immer stärker auf standardisierte Sprachprüfungen aus, bei denen (…)
Literatur keine Rolle spielt“ (ebd.). Auch die neuesten Sprachlehrwerke richten sich
nach dem Referenzrahmen des Europarats, „der erst auf der vierten Niveaustufe
(B2) nach 700 – 800 Unterrichtsstunden unter ‚Lesen‘ auch das Verstehen (…)
literarischer Prosatexte vorsieht (ebd.). Ab B2 scheint es angebracht, viel und oft
mit literarischen Texten zu arbeiten. So wird Beispielsweise in em B2 (Hueber
Verlag) bereits in Kapitel 1 zum Thema Menschen kanonisierte deutschsprachige
Literatur für die Übung der vier Fertigkeiten Hören (Bach und Goethe), Sprechen
(Charakterbeschreibung berühmter Persönlichkeiten), Schreiben (Personen
beschreiben) und Lesen (Gedicht: K. Tucholsky, Das Ideal) herangezogen. Auch
das Lehrwerk Mittelpunkt B2 (Klett) enthält eine Reihe von Gedichten und
Kurzgeschichten, u. a. von Krolow, Fried, Bichsel und Hohler (vgl. Esselborn,
2010, S. 27). Doch wie sinnvoll ist die Verwendung literarischer Texte im DaF-

10
Unterricht? Obwohl momentan eher als ,Stiefkind‘ des Unterrichts zu sehen, kann
man doch leichte Tendenzen bemerken, dass literarische Texte wieder mehr in den
DaF-Unterricht eingebunden werden. Warum dies auch gut ist, kann wie folgt
erklärt werden: Der bereits erwähnte Gemeinsame Europäische Referenzrahmen
für Sprachen des Europarats nennt die Ausbildung einer ,cultural awareness‘ als
eines der wichtigsten Ziele des Prozesses, eine Fremdsprache zu erwerben (vgl.
Bracker, 2015, S. 21). Literarische Texte können hier als interkulturelles Lernen
und „Förderung von cultural awareness aus unterschiedlichen Gründen“ (ebd.) sehr
gewinnbringend sein und unterstützend wirken, um Lernziele zu erreichen
beziehungsweise sie zu festigen.

Trotz geringerer Popularität gibt es einige vereinzelte didaktisierte Texte auf den
niedrigeren Niveaustufen (A1 – B1). Beispielhaft können hier die Publikationen des
Cideb-Verlags (Black Cat)1 genannt werden. Stefan Czarneckis Das geheimnisvolle
Foto soll bereits im A1-Unterricht verwendet werden können. Ab A2 kommen hier
Texte von literarischen Größen wie Adalbert Stifter (Brigitta), Joseph von
Eichendorff (Aus dem Leben eines Taugenichts), Theodor Fontane (Effi Briest) und
auch die Grimm’schen Märchen Der gestiefelte Kater und Das tapfere
Schneiderlein zum Einsatz. Auch der Hueber-Verlag kann mit literarischen
Didaktisierungen ab A2 dienen. Neben großen literarischen Werken wie Kleists
Der zerbrochene Krug (ab A2) oder die Adaptierung der Nibelungensaga (ebenfalls
A2) wurden auch Märchen der Brüder Grimm – wie Rumpelstilzchen – für das
Niveau A2 überarbeitet und didaktisiert. Aber nicht nur in ,literarischen
Sonderheftchen‘, sondern auch in Lehrwerken werden literarische Texte – vor
allem Märchen – bereits früher eingesetzt. In em B1+ werden die Bremer
Stadtmusikanten als Leseverstehen-Übung verwendet. In Achtung Deutsch A22
(Achtung Verlag) wird sogar ein ganzes Kapitel der literarischen Gattung der
Märchen gewidmet.

1
Übungsmaterialen sind ebenfalls für Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch didaktisiert.
(vgl. online unter: http://www.blackcat-cideb.com)
2
Eine genaue Analyse erfolgt in Kapitel 5.1
11
Warum literarische Texte bereits vor B2 in den DaF-Unterricht einfließen sollten
und sie von großer Wichtigkeit und auch von Nutzen für den DaF-Unterricht
beziehungsweise den Deutschlernenden/die Deutschlernende sein können, soll im
Laufe dieser wissenschaftlichen Arbeit am Beispiel der Grimm’schen Märchen
gezeigt werden. Vorab ist jedoch der literarische Gegenstand dieser Forschung zu
beleuchten: Die Gattung Märchen.

12
2 Das Märchen – eine Einführung

Um eine literaturdidaktische Überlegung mit dem Schwerpunkt auf Märchen im


DaF-Unterricht anstellen zu können, muss vorab die Gattung Märchen dargestellt
und analysiert werden. In den folgenden Kapiteln liegt das Hauptaugenmerk
demnach auf der Entstehungsgeschichte der (Grimm’schen) Märchen und ihrer
Funktion in der Vergangenheit und heute.3

Begriffs- und Wortdefinition


Im heutigen Sprachraum versteht man unter dem Begriff „Märchen“ eine „nach
dem auf Volksüberlieferungen beruhende, oft auch als literarisches Kunstwerk
gestaltete, kurze Erzählung, in der von wunderbaren und phantastischen
Begebenheiten berichtet wird“ (online: BBAW, 2015). Oftmals übernatürliche
Kräfte greifen in das Leben der Menschen der Erzählung ein und führen meist einen
Konflikt zwischen Gut und Böse herbei – wobei größtenteils das Gute über das
Böse siegt (vgl. Drosdowski, 1994, S. 2198). Dieses Spannungsverhältnis zwischen
Tatsächlichem und Phantastischem, zwischen Gut und Böse, sind „mit einer
dichterischen Phantasie entworfene Erzählungen“ (Ranke (b), 1999, S. 253).
Märchen üben ihre Faszination nicht nur an Kindern und Erwachsenen einer
Generation aus, sondern begeistern und prägen auch jede nachfolgende Generation
(vgl. Lüthi, 2005, S. 5).

Neben der phantastischen Erzählung kann das Wort Märchen allerdings auch als
Lüge definiert werden: „Erzähle mir doch kein Märchen!“ „Das Märchen soll ich
dir glauben?“ (Drosdowski, 1994, S. 2198). Dies hat ihren Ursprung in der
mittelhochdeutschen Bedeutung des Wortes.

Die erste belegte Ableitung und Definition des Wortes Märchen geht in das 8.
Jahrhundert auf das althochdeutsche Verb māren zurück und bedeutet so viel wie

3
Die folgenden Kapitel zum Thema Märchen können als kurzer literaturhistorisch-
gesellschaftlicher Überblick verstanden werden und sollen helfen, in die Welt der Märchen
einzutauchen. Hauptaugenmerk dieser wissenschaftlichen Arbeit soll aber auf der Verwendung von
Märchen im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht liegen. Damit jedoch die Wichtigkeit der
Märchen für unsere Kultur und Gesellschaft genauer verdeutlicht werden kann und Märchen als
Basis dieser Arbeit dienen, sind die folgenden Kapitel ausführlicher gestaltet.
13
„,verkünden‘, ,loben‘, ,preisen‘, ,bekannt und berühmt machen‘ und mit negativer
Konnotation ,berüchtigt sein´“ (Pöge-Alder, 2011, S. 24). Auch Verbindungen zu
dem griechischen marmāirein ,glänzen‘, ,flimmern‘ und dem lateinischen merus
(ursprünglich ,flimmern‘, ,funkeln‘) werden vermutet (vgl. Pfeifer, 2005, S. 837).

Das heute gebrauchte Wort Märchen ist die mittelhochdeutsche


Verkleinerungsform des Begriffes maere (vgl. Ranke (b), 1999, S. 250) und heißt
übersetzt so viel wie Geschichte, Quelle, Erzählung, Bericht (vgl. Hennig, 2001, S.
217). Vor allem im späten Mittelalter wurde damit eine Nachricht bezeichnet und
gelangte im Laufe der Zeit immer mehr zu der Bedeutung der ungesicherten – in
den meisten Fällen unwahren – Nachricht (vgl. ebd.). Der deutsche Publizist
Sebastian Franck (1499 – 1543) schrieb in seinem Weltbuch (1542): „mär sucht
man in Fabeln, die Wahrheit in hystorien“ (ebd.). Georg Gotthart spricht 1598 von
„ein andre zeit bringt andre mehr“ (Pöge-Alder, 2011, S. 25). In der Diminutivform
wird diese Bedeutung noch verstärkt. Martin Luther verwendet beispielsweise
,Märlein‘ in seiner Bibel als törichtes Geschwätz (vgl. Ranke (b), 1999, S. 250).
Die Bedeutung des unwahren Erzählens wurde vom 15. bis zum 17. Jahrhundert
distinguiert hervorgehoben (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 25). Bis Ende des 18.
Jahrhunderts kam das Wort ,Mär‘ in schriftsprachlicher Form außer Gebrauch. Erst
die Hainbuchdichter wie Klopstock, Heinrich Christian Boie, Johann Heinrich Voß
oder die Brüder Stolberg brachten das Wort wieder in den deutschen, schriftlichen
Sprachgebrauch (vgl. ebd.).

Die von ,Mär‘ stammende Diminutivform ,Märlein‘ wird in dieser Zeit von der
heute gebrauchten Diminutivform ,Märchen‘ ersetzt. Die Diminuierungssuffixe
sollen die angegebene Wortbildungsbedeutung stützen: „Es handelt sich um eine
kürzere Erzählform mit emotionaler Nähe, der aber auch das Element ,emotional
geringschätzig‘ nachkommen kann“ (ebd.).

In Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795) kommt in seiner


Schlusserzählung Mährchen explizit das zum Ausdruck, als was Märchen zu dieser
Zeit gesehen werden und was sie bedeuten: Eine Erzählung in einer surrealen
Landschaft mit surrealen Protagonisten und Protagonistinnen, einem Konflikt und
dem Sieg des Guten über das Böse. Bei Goethe nimmt ein tapferer Jüngling den

14
Tod in Kauf, um seine Geliebte Lilie zu retten und wird schlussendlich mit dem
Leben und einem Königreich belohnt. Das Märchen rund um den tapferen Jüngling
ist in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten eingebettet in eine
Rahmenerzählung rund um die Unterhaltung von vier Personen (Karl, Luise, der
Geistliche und die Baroness) (vgl. Goethe, 1991, S. 3 ff.). Das Märchen ist eine
erzählte Geschichte, die belehren soll und Moral vermittelt.4 Dies ist ein Beleg, wie
sich die Funktion von Märchen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts veränderte
und zu der uns vertrauten wurde.

Zusammenfassend ist zu sagen: „Die Etymologie des Begriffs ,Mär‘ begründete das
Oszillieren der Geschichten vom Pol des Realen im Sinne von Bericht hin zum
Irrealen im Sinne von Gerücht und Fiktion“ (Pöge-Alder, 2011, S. 26).

Gattung Märchen
Das Märchen wird als „eine der am wenigsten exklusiven, schichtspezifischen
Formen von Literatur“ (Habicht u. v. m., 1988, S. 560) gesehen. Es gilt als
„literarischer Sonderfall“ (ebd.), dessen „einheitliche, allgemein akzeptierte
Definition noch aussteht“ (Best, 2004, S. 323).

Der Begriff Märchen wird oftmals als Oberbegriff für Erzählungen verwendet, in
denen das Element des Wunderbaren vorkommt (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 48). In
vielen Nachschlagewerken (vgl. Ranke, von Wilpert, Habicht) werden die Märchen
strikt von Schwänken, Fabeln, Legenden und Mythen getrennt betrachtet.
Unterscheidungskriterien sind beispielsweise, dass im Gegensatz zu Märchen, im
Schwank nur der Dumme an die magische und übersinnliche Welt glaubt (vgl.
Ranke (b), 1999, S. 254). Vom Mythos unterscheidet sich, dass die Göttersphären
fehlen. Anders als bei der Sage gibt es im Märchen keine historische und graphische
Festlegung. Im Märchen wird das Religiöse ausgespart, wohingegen es in der
Legende meist eine wichtige Rolle spielt (vgl. von Wilpert, 2001, S. 494). Andere
Forschungsansätze (vgl. Pöge-Alder, Lüthi) gehen davon aus, dass sich die
einzelnen Gattungen nicht strikt voneinander trennen lassen, sondern

4
Ausgangspunkt in Goethes Märchen ist die Französische Revolution. Die beiden Liebenden sollen
als Symbol gesehen werden, der neuen Generation von Franzosen und Deutschen (vgl. Goethe,
1991, S. 129 ff.).
15
ineinanderfließend sind. Wie „überlappende Ringe“ (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 48)
vermischen sich die Elemente der angrenzenden Hauptgattungen.

Als große Gemeinsamkeit sind hier die Märchenmotive zu sehen. Der Unterschied
ist nur durch die Darstellung und Kombination anderer Motive festmachbar (vgl.
ebd.).

Abbildung 1: Überlappung der Gattungen

Kunstmärchen vs. Volksmärchen


Nicht nur die Definition der Gattung Märchen ist umstritten, sondern auch die große
Unterscheidung zwischen Kunstmärchen und Volksmärchen.

Der Duden definiert das Kunstmärchen als „von einem bestimmten Autor
erfundenes und gestaltetes Märchen (im Gegensatz zum überlieferten
Volksmärchen)“ (online: Duden, 2015). Es gilt als „geschichtlich eigenartige
Schöpfung“ (von Wilpert, 2001, S. 495), die „Erzählweise und Motive des
Volksmärchens übernimmt und mit bewußtem [sic] Kunstverstand gestaltet, dabei
jedoch teils das unbewusste Phantasiespiel durch allegorische Verkleidung von
Gedanken, Tendenzen und Meinungen zerbricht“ (ebd.). Im Gegensatz zum
Volksmärchen, das meist eine klar strukturierte einfache „schwarz-weiße
Weltordnung“ hat (ebd.), gibt es im Kunstmärchen diese strikte Trennung nicht.
Auch muss es in einem Kunstmärchen nicht zu einem Happy End kommen – was

16
im Volksmärchen hingegen meist der Fall ist. Als Beispiel hierfür ist Hans Christian
Andersens berühmtes Märchen Die kleine Meerjungfrau zu nennen, welches kein
gutes Ende hat. Obwohl der Prinz die Liebe der kleinen Meerjungfrau nicht
erwidern kann und sie sich somit unglücklich und mit gebrochenem Herzen in den
Tod stürzt, wird ihm vom Autor nicht die Rolle des Bösewichts zugeschrieben. In
den meisten Kunstmärchen – wie auch bei Die kleine Meerjungfrau – wird der
innere Konflikt des Haupthelden/der Hauptheldin thematisiert.
Der Höhepunkt der Kunstmärchen lässt sich in der Romantik finden. Als wichtige
Vertreter sind Clemens Brentano (Gockel, Hinkel und Gackeleia), E.T.A.
Hoffmann (Der goldene Topf, Der Sandmann), Ludwig Tieck (Der Runenberg, Der
blonde Eckbert) und Wilhelm Hauff (Das kalte Herz) zu nennen (vgl.
Brenner/Bortenschlager, 1999, S. 195 ff.). Mit Kunstmärchen wie Der kleine Prinz
(Antoine de Saint-Exupéry) aus dem Jahr 1943 oder bei Christian Peitz, Der
Märchenprinz im Märchenwald hört einen Schuss, der gar nicht knallt (2008), wird
erkennbar, dass diese Form der Märchen auch ihre Wichtigkeit in der neuen
deutschen Literatur haben (vgl. online: Lippert (a), 2015).

Im Gegensatz zu den vom Autor stark geprägten Kunstmärchen, stehen die


Volksmärchen, welche in ihrer Urversion „volksläufig und namenlos“ (Lüthi, 2005,
S. 5) sind.

Unter der Bezeichnung des Volksmärchens sind jene Märchen zu sehen, die lange
Zeit nur mündlich übertragen wurden (vgl. Lüthi, 1990, S. 8) und deshalb auch
einem ständigen Wandel unterworfen waren. Bereits Wilhelm Grimm war der
Meinung, „es sei nicht die Möglichkeit, in einzelnen Fällen nicht die
Wahrscheinlichkeit des Übergangs eines Märchens von einem Volk zum anderen
zu bezweifeln“ (Pöge-Alder, 2011, S. 85). Dieses Prinzip der „Monogenese und
Diffusion“ (ebd.) von Märchen ist bis heute anerkannt. Es bedeutet, dass sich
Märchen, einmal an einem Ort entstanden, über die Ländergrenzen hinweg
verbreitet und auch leicht verändert haben. Die Frage nach dem Ursprung der
Märchen wird immer neu gestellt und ist umstritten. Vieles lässt darauf schließen,
dass der Orient als Ursprungsland vieler Märchen gesehen werden kann (vgl. von
Wilpert, 2001, S. 495), insbesondere Indien und die buddhistischen Religionen (vgl.
Pöge-Alder, 2011, S. 86). Als wichtigste Quelle wird das im 3. Jh. n. Chr. in Indien

17
entstandene Pañcatantra und das auf ältere Überlieferungen zurückzuführende
Kathāsaritsāgara (Ozean der Märchenströme) gesehen (vgl. Habicht u. v. m., 1988,
S. 561). Durch Völkerwanderung erreichten die mündlichen Erzählungen bereits
vor den Kreuzzügen Europa. Im Mittelalter waren (Volks-) Märchen keine
selbstständige Gattung, sondern Teil anderer epischer Dichtung (z.B. Artussage,
Kaiserchronik) (vgl. von Wilpert, 2001, S. 495).

Die bis heute bekannteste und folgenreichste Märchensammlung (vgl.


Mayer/Tismar, 1997, S. 85) ist die der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm und
wurde zwischen den Jahren 1812 und 1858 mehrmals neu publiziert und
überarbeitet. Die Kinder- und Hausmärchen (kurz KHM) werden lange Zeit als
„Muster einer treuen Wiedergabe der Volksmärchen angesehen“ (ebd.).

Es ist unbestritten, dass die KHM „die durch das Versiegen der mündlichen
Überlieferung entstandene Lücke“ (Lüthi, 2005, S. 100) füllen. Sie dürfen jedoch
nicht als Repräsentation des Volksmärchens dienen (vgl. ebd., S. 101), da sich bei
vielen der gesammelten Werke, welche offenbar aus der reinen mündlichen
Überlieferung stammen sollen, literarische Quellen nachweisen lassen.

Die Grimm’sche Märchensammlung ist nicht nur eine Sammlung vieler


verschiedener Märchentypen (Kunstmärchen, Zaubermärchen, Kettenmärchen u. v.
m.) (vgl. Pöge-Adler, 2011, S. 50ff), sondern auch ein eigenständiges literarisches
Werk, da sich in einigen Märchen eindeutig die Handschrift der Redakteure
erkennen lässt (vgl. Mayer/Tismar, 1997, S. 85). Aus diesem Grund kann bei der
KHM-Sammlung nicht von einer reinen Volksmärchensammlung gesprochen
werden. Hermann Bausinger führt infolgedessen den Begriff des Buchmärchens
ein. Dieser Terminus inkludiert eine „grundsätzliche Transsubstantiation, eine
Verwandlungsform des Märchens“ (Blaha-Peillex, 2008, S. 46). Vor allem
Wilhelm Grimm hat versucht, durch stilistische Verfeinerung und dem Einfließen
lassen zeitgenössischer Ausdrucksformen des Bürgertums (Idylle, Schlichtheit im
Familienzirkel, Nationalbewusstsein) (vgl. Mayer/Tismar, 1997, S. 85) die
Märchen zu verwandeln. Er stilisierte die Märchen nach seinem „künstlerischem
Empfinden“ (Lüthi, 2005, S. 100). Geht es nach dem aus der Schweiz stammenden
Literaturwissenschaftler Max Lüthi (vgl. ebd.), wurde das Buchmärchen vollends

18
durch die stilistische Umformung Wilhelm Grimms geschaffen. Es ist ein
„gehobenes Volksmärchen, das sich von dem frei fabulierenden Kunstmärchen
deutlich unterscheidet“ (ebd.).

Ob nun als Buchmärchen, Volksmärchen oder einfach nur als Märchensammlung


bezeichnet – eines ist unumstritten: Die Märchensammlung der Brüder Grimm ist
bis heute eine der wichtigsten der europäischen Kultur und soll auch als Grundstein
dieser Forschungsarbeit dienen und in Kapitel 3 genauer betrachtet werden.

Zunächst soll jedoch untersucht werden, welche Funktion Märchen überhaupt


haben und wie sie inhaltlich strukturiert und aufgebaut sind.

Funktion der Märchen


Vorab soll geklärt werden, dass es nicht die eine richtige Interpretation der Funktion
von Märchen gibt. Geht es nach einem der Wegbereiter der Märchenforschung,
Kurt Ranke (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 190), haben Märchen die Funktion, „über
die Welt einer höheren Ordnung und Gerechtigkeit auszusagen, eine sublimierte
Welt also transparent zu machen, in der sich alle Sehnsüchte menschlichen Herzens
nach Glück und Erfüllung zu mythischer Vollendung gestalten“ (ebd.).

Es gibt viele verschiedene Arten, wie Märchen gedeutet werden können. Vor allem
im 19. Jahrhundert gebräuchlich war die naturmythologische Interpretation, aber
auch Märchen „allein von den Gesellschafts- und Glaubensformen einer
Vergangenheit zu verstehen5“ (Ranke (b), 1999DonDr, S. 262). Eine zweite Art der
Deutung (vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts) scheint
in den Märchen politische Konflikte und Lösungen zu finden (vgl. ebd.). Meist geht
es hier um „geheimnisvolle Aussagen und Prophezeiungen zu deutsch-
französischen Konflikten und natürlich zum schließlichen [sic] Triumph des
deutschen Aschenputtels“ (ebd.). Die dritte und wohl bekannteste Deutungsweise
ist die psychoanalytische Märchendeutung, deren erste Ansätze sich bei Sigmund
Freud (1856 – 1939) und Carl Gustav Jung (1875 –1961) finden lassen (vgl. Pöge-
Alder, 2011, S. 218). Heutzutage gibt es verschiedene psychologische Ansätze, wie

5
Gleichsetzung von Frau Holle mit einer Göttin des Matriarchats (Ranke, 1999, S. 262).
19
man Gestalten und Geschichten der Märchen deuten kann. Freud und seine
Anhänger/Anhängerinnen sahen die Märchen als Hilfe zur Erläuterung von
Träumen, C. G. Jung hingegen erkennt in den Märchen „das kollektive
Unbewusste“ wieder (vgl. ebd., S. 218 ff.). Die genaue Differenzierung dieser
Deutungsmuster sei der Psychologie überlassen. Dieses Kapitel soll nicht die
einzelnen und voneinander sehr unterschiedlichen Interpretationsmodelle der
Märchen darstellen, sondern kurz auf den Inhalt, die Kennzeichen und verwendeten
Symbole eingehen. Aufgezeigt werden sollte nur, dass es nicht die eine richtige
Deutung eines Märchens gibt.

Inhalt, Kennzeichen und Symbole

Der Inhalt eines Märchens lässt sich schnell zusammenfassen: Der Beginn eines
Märchens wird meist von einer problematischen Situation (u. a. „Kampf, Mord,
Tücke“, Not…) (Best, 2004, S. 323) geprägt, und im Laufe der Erzählung sieht
man, „wie mit dieser Situation umgegangen werden kann, welche Prozesse
durchlaufen werden müssen, damit diese Probleme überwachsen werden“ (Kast,
2006, S. 9) und das Ziel erreicht wird. Das große Thema der Märchen ist der „Weg
des Menschen, die Suche nach dem Glück, die Sehnsucht nach Erfüllung“ (Haas,
1997, S. 44). Existiert zu Beginn ein nicht vollkommener Zustand oder eine Not,
wird am Schluss jedoch die absolute Lebenserfüllung erreicht, die „einem
außergewöhnlichen Handeln oder Sich-verdienen verdankt wird“ (Zwilgmeyer,
1992, S. 42).

Der Erzählstil ist einfach und durch viele Wiederholungen geprägt. Die
Märchenwelt liegt abseits von allen Sprachverwirrungen und „garantiert (…) jenen
adamitischen Zustand, in dem alle die eine Sprache sprechen“ (Vogt, 1996, S. 165).
Wörtliche und wiederholende Reden prägen die Geschichte. Märchen begnügen
sich mit knappen Hinweisen, wenn es um Bestrafungen oder Konflikte geht. Als
Beispiel ist hier Dornröschen zu nennen. So werden bei dem populären Märchen
rund um die schlafende Prinzessin die zerfleischten Prinzen, welche sich auf den
Weg machten, um die Schönheit wach zu küssen, nicht genau beschrieben (vgl.
Lüthi, 1989, S. 19). Kein Märchenhörer/keine Märchenhörerin „stellt sich die
zerfetzten und allmählich verwesenden Leichen der Königssöhne im Dornenhag

20
plastisch vor“ (ebd.). Der Tod der Prinzen, welche zur falschen Zeit am falschen
Ort waren, soll nur als Zeichen gesehen werden, als Siegel des Misslingens (vgl.
ebd.). Es kann gesagt werden, dass das Märchen „seelische und geistige Vorgänge
ebenso wie Schicksalsabläufe ins optisch klar Sichtbare“ (ebd.) transportieren: „die
extremen Strafen und Belohnungen des Märchens sind ein Element des das ganze
Märchen durchdringenden Stils“ (ebd.).

Es arbeitet mit „starren Formeln“ (Lüthi, 2005, S. 33). Damit gemeint ist die oftmals
vorkommende Einzahl, Zweizahl, Dreizahl, Siebenzahl und Zwölfzahl (vgl. ebd.).
All diese Zahlen haben im Ursprung eine magische Bedeutung. Der Held oder die
Heldin sind zumeist allein oder das letzte Glied einer Dreieinheit oder
Siebeneinheit. Als Beispiel ist hier Der Wolf und die sieben Geißlein zu nennen.
Das einzige überlebende Geißlein ist das siebtgeborene und jüngste. Vorherrschend
ist vor allem die Dreiheit. Es werden drei Aufgaben nacheinander gelöst, dreimal
taucht ein Gegner auf, dreimal wird dem Held/der Heldin geholfen, drei Gaben
werden geschenkt. Ein Beispiel hierfür sind die drei Geschenke der Feen an
Dornröschen.

Als weitere typische Kennzeichen von Märchen sind die „Aufhebung der Natur-
und Kausalgesetze, Eingreifen übernatürlicher Gewalten ins Alltagsleben“ (von
Wilpert, 2001, S. 494) zu nennen. Ort und Zeit bleiben meist unbestimmt (vgl. Best,
2004, S. 323), spielen jedoch oft in einer (unbekannten) vergangenen Zeit (vgl.
Ranke (b), 1999, S. 261), erzählen aber nicht von realen historischen Ereignissen
oder Personen. Märchen spielen auf „einer anderen Ebene“ (vgl. Esselborn, 2010,
S. 198). Durch das „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“
gibt der Märchenerzähler/die Märchenerzählerin mit einem Augenzwinkern zu
verstehen, dass die erzählte Geschichte nicht von lebenden Protagonisten und
Protagonistinnen handelte (vgl. Lüthi, 1989, S. 5).

Neben der bereits erwähnten einfachen Sprache und Struktur eines Märchens, spielt
vor allem die Bildhaftigkeit eine essentielle Rolle (vgl. Esselborn, 2010, S. 206).
Märchen sind oftmals stark mit Bildern verknüpft. Denkt man an Märchen,
kommen automatisch eine Reihe von Bildern in unseren Kopf: Prinz und
Prinzessin, König und Königin, Schweinehirt und Gänsemagd, Wald, Pferd,

21
Drache, Wolf, Hexe, Schloss, (vgl. Lüthi, 1989, S. 7), Feen und Riesen (vgl. von
Wilpert, 2001, S. 495).

Die Figuren, die den Inhalt eines Märchens dominieren, leben – wie bereits erwähnt
– außerhalb von Zeit und Realität. Sie repräsentieren nicht die Zeit, sondern den
Menschen an sich und können somit ewig leben (vgl. Lüthi, 1989, S. 5). „Die
Handlung des Märchens spiegelt seelische und gesellschaftliche, innermenschliche
und zwischenmenschliche Vorgänge, die jeden von uns etwas angehen, heute wie
ehedem. Märchen geben ein Bild des Menschen und seiner Beziehung zu der Welt“
(ebd.). Der Märchenheld oder die Märchenheldin stehen als Symbol für eine
menschliche Haltung und zeigen auf, wie die auftretenden Konfliktsituationen und
Prüfungen angemessen zu lösen wären (vgl. Kast, 2006, S. 9).

Märchenexperte Max Lüthi hat sich im Rahmen seiner Märchenforschung immer


wieder mit den Symbolen und Personen in Märchen auseinandergesetzt und fand
heraus, dass Märchen auf der einen Seite durch Extreme (vgl. Lüthi, 2005, S. 34
ff.) leben. Gemeint sind vor allem die extremen Kontraste. Die Märchenfiguren sind
entweder vollkommen schön und gut oder vollkommen hässlich und böse; entweder
arm oder reich; sehr fleißig oder sehr faul (vgl. ebd.). Auf der anderen Seite sind
Märchen aber auch vor allem eines: ambivalent. So repräsentieren beispielsweise
der Prinz und Prinzessin den schönen Menschen, der aber in all seiner Schönheit
und Würde auch gefährlich sein kann. Der Prinz verwandelt sich oftmals in ein
schreckliches oder hässliches Tier (vgl. Der Froschkönig oder Schneeweißchen und
Rosenrot). Aber auch die schöne Prinzessin kann gefährlich sein: Passiv in
Dornröschen – schließlich werden mehrere Prinzen durch die Dornenmauer,
welche die schlafende Schönheit umgeben, umgebracht. Aktiv, wenn sie in
Märchen wie Meerhäschen die Köpfe ihrer Verehrer auf Spießen vor dem Schloss
aufstellen lässt, als diese die von ihr gestellten Aufgaben nicht erfüllen können (vgl.
Lüthi, 1989, S. 15ff). Man kann also nicht eindeutig sagen, dass der Prinz und die
Prinzessin immer nur gut, beziehungsweise dass Bären und Wölfe immer böse sind.
Manchmal werden Prinzessinnen zu Todesbringerinnen und wilde Bären zu Helfern
und Freunden (vgl. ebd.). Die Ambivalenz der Märchen lässt sich nicht nur an
Personen aufzeigen, sondern auch an Orten. So kann der Wald böse und bedrohlich
sein, wie bei Hänsel und Gretel, oder aber man trifft dort nette und liebenswerte

22
Personen, wie es bei Schneewittchen der Fall ist (ebd.). Bei Rapunzel ist der Turm
Schutz und Gefängnis zugleich. Infolgedessen kann gesagt werden, dass es nicht
ein richtiges und fertiges Deutungsschema von Figuren beziehungsweise Märchen
gibt (vgl. Esselborn, 2010, S. 204).

23
3 Die Märchen der Brüder Grimm

Die insgesamt 200 gesammelten Märchen und 10 Kinderlegenden der Brüder


Grimm gehören weltweit gesehen zu den verbreitetsten Erzählungen deutscher
Literatur (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 122) und sind neben der Luther-Bibel die
bekanntesten Werke der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte (vgl. online:
Schmiedekampf, 2012). Sie werden nicht nur in westlichen Ländern, sondern auch
weltweit gelesen. Die UNESCO erkennt die Kinder- und Hausmärchen als
Weltdokumentenerbe an (vgl. online: DMS, 2014). Die Sammlung wurde in mehr
als 160 Sprachen übersetzt (vgl. online: Bartlick/Stegemann, 2013). Als aktuelles
Beispiel hierfür ist die Übersetzung der Grimm’schen Märchen ins Afghanische
durch das Goethe-Institut im Jahr 2004 zu nennen (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 122).
Die Forschungsarbeit des Göttinger Erzählforschers Hans-Jörg Uther und des
Germanisten Heinz Rölleke bietet die wichtigste Grundlage des heutigen
Forschungsstandes (vgl. ebd.).

Dafür, dass das literarische Kulturerbe – die Kinder- und Hausmärchensammlung


der Brüder Grimm – nicht in Vergessenheit gerät, ist Sorge getragen. Dies haben
sich nämlich einige Vereine zur Aufgabe gemacht. Die Brüder-Grimm-Gesellschaft
(BGG)6, die erstmals 1897 und mit zeitbedingter Unterbrechung 1942 wieder
gegründet wurde (vgl. online: DMS, 2015), sieht in ihren Aufgaben „die Pflege des
persönlichen und wissenschaftlichen Erbe der Märchensammler“ (online: ebd.).
Dies soll „im Geiste der Brüder Grimm der Pflege und Förderung deutscher Kultur“
(online: BGG, 2015) dienen. Zu den Aufgaben der Gesellschaft zählen u. a. die
Bereitstellung von Primär- und Sekundärliteratur zum Thema, die Förderung des
1959 von ihnen mitgegründeten Brüder-Grimm-Museums in Kassel und die
Koordinierung der weltweiten Brüder-Grimm-Forschung (vgl. online: DMS,
2015.). Zu ihren Mitgliedern zählen beispielsweise die bereits genannten
Wissenschaftler Heinz Rölleke und Hans-Jörg Uther.

1975 wurde die „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Märchenstraße“ (online: DMS,


2014) gegründet. Um das romantische Bild von Deutschland, welches durch die

6
Online zu finden unter www.grimms.de
24
Märchen der Brüder Grimm in die Welt getragen wird – zumindest wenn es nach
2007 zum Verein gewordenen DMS geht – soll erhalten bleiben (vgl. online: ebd.).
Dieser Verein hat sich zum Ziel gesetzt, Orte, die sich mit den Brüdern verknüpfen
lassen, für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und historisch aufzubereiten.

Die Entstehung und Publikation der KHM


Die Entstehung der Märchen ist eng mit dem Leben der beiden Brüder verknüpft.
Jacob (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859) wurden in Hanau als
älteste von sechs Kinder einer Beamten- und Pastorenfamilie geboren (vgl. online:
Goethe-Institut (a), 2015). Während ihres Jus-Studiums in Marburg machte
Friedrich Carl von Savigny, einer ihrer Professoren, sie mit der Literatur der
Romantik, vor allem der Volkspoesie, vertraut (vgl. online: ebd.).

Obwohl nicht unmittelbar mit den Brüdern Grimm in Verbindung zu bringen, spielt
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803) in diesem Kontext für das Wirken der
beiden eine große Rolle, da er als Wegbereiter für die „Heidelberger Romantik“
und somit auch für die Brüder Grimm (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 123 ff.) gesehen
werden kann. Ende des 18. Jahrhunderts vollzog sich eine Aufwertung der
mittelalterlichen Literatur, an der Herder nicht unbeteiligt war. Er orientierte sich
an Vergangenem, um verstehen und erklären zu können, wie Volkspoesie, Sprache
und Sitten entstanden (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 124). Seine 1802 veröffentlichte
Sammlung „Stimmen der Völker in Liedern“ von 1778/79, deren Herkunft aus der
„Seele des Volkes“ entstanden ist, pries Jacob Grimm „als Weg zur rechten
Erkenntnis der alten Poesie“ (ebd.). Erst nach Herders Einsetzen und Aufwerten des
Volksmärchens, durch die „Erkenntnis vom Wert des Naiven“, Ursprünglichen und
seiner „magischen Wunderwelt als tiefste und reinste Poesie aus der Seele des
Volkes“ (von Wilpert, 2001, S. 496), wird das Märchen als Gattungsform von
großer Bedeutung für die Literatur der Romantik. Märchen sind nach Herder
„gewissermaßen Resultate des Volksglaubens, seiner sinnlichen Anschauung,
Kräfte und Triebe, wo man träumt, weil man nicht weiß, glaubt, weil man nicht
siehet und mit der ganzen (…) ungebildeten Seele würket: also ein großer
Gegenstand für die Geschichtsschreiber der Menschen, den Poeten (…) und
Philosophen“ (Pöge-Alder, 2011, S. 124). Herder nimmt an, dass in Märchen die

25
Weisheit und Erfahrungen der Völker ablesbar sind. Die Anschauung Herders
beeinflusst nicht nur J. W. von Goethe, sondern auch Clemens Brentano und Achim
von Arnim und lässt sich somit auch bei den Brüdern Grimm wiederfinden (vgl.
ebd., S. 125).

Die eben erwähnten Autoren von Armin und Brentano spielen bei der
Entstehungsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen ebenfalls eine Rolle. Die
beiden Romantiker hatten zwischen 1805 und 1808 die Liedersammlung Des
Knaben Wunderhorn publiziert (vgl. online: Stass, 2012). Als Fortsetzung ihres
Werkes war eine Märchensammlung geplant.

Bekanntgemacht durch Savigny lehrten die beiden Autoren der Romantik den
Brüdern Grimm, die zu dieser Zeit in der Bücherei in Kassel arbeiteten, die Praxis
des Sammelns und Bearbeitens von volkstümlichen und historischen Texten (vgl.
online: Goethe-Institut (a), 2015) und baten Jacob und Wilhelm Grimm 1806, ihnen
mit ihrer geplanten Märchensammlung zu helfen (vgl. online: Stass, 2012). Die
Brüder sollten „aus alten Büchern exzerpieren, die sie für Märchen hielten“ (ebd.).
Als Quellen wurden Hans Sachs, Luther oder Grimmelshausen herangezogen. „All
diese Autoren hatten Märchen in ihre Erzählungen einfließen lassen. 60 Texte
kamen so zusammen“ (ebd.). Brentano wies aber vor allem auf die Wichtigkeit
mündlicher Erzählungen hin.

1810 lieferten Jacob und Wilhelm Grimm Brentano 48 gesammelte Texte. Brentano
nutzte die Texte jedoch nicht und die Brüder Grimm beschlossen, auf eigene Faust
weiter zu sammeln und eine eigene Märchensammlung zu publizieren (vgl. Pöge-
Alder, 2011, S. 130 ff.). Die erste Auflage der Kinder- und Hausmärchen erschien
1812 und bestand aus nur 900 Exemplaren (vgl. online: Bartlick/Stegemann, 2013).
Erst die drauffolgende Überarbeitung (vor allem durch Wilhelm Grimm) machte
die Märchen für ein größeres Publikum attraktiv. Wilhelm Grimm übernahm das
Sammeln und Überarbeiten der Texte, der eher der Sprachwissenschaft zugeneigte
Jacob7 half jedoch nach wie vor bei der wissenschaftlichen Überarbeitung. 1817
erschien die zweite, stark überarbeite Auflage. Für die Popularität der

7
J. Grimm war maßgeblich an der Entwicklung der Rechtschreibreform (vgl. König, 2005, S. 108)
beteiligt.
26
Märchensammlung wichtig war vor allem die 1825 publizierte Kleine Ausgabe, für
die 50 Märchen (u. a. Hänsel und Gretel, Aschenputtel, Rotkäppchen, Dornröschen)
ausgewählt wurden, die noch heute zu den bekanntesten gehören (vgl. online:
Staatsbibliothek Berlin, 2015). Die vollständige Ausgabe, wie wir sie heute kennen,
erschien 1857 (7. Auflage) und enthält 200 Märchen und 10 Kinderlegenden (vgl.
Grimm, 1957, S. 7).

Quellen der Brüder Grimm


Über 50 „Märchenbeiträgerinnen und Märchenbeiträger“ (vgl. online: Goethe-
Institut (a), 2015), welche größtenteils aus Hessen und Westfalen stammten, waren
die Quellen für das Grimm’sche Märchenbuch. Ihre „mündlichen Gewährsleute“
(Mayer/Tismar, 1997, S. 86) stammten größtenteils aus dem gebildeten Bürgertum
und aus den Kreisen der vertriebenen Hugenotten – womit sich der starke
französische Einfluss in den KHM erklären lässt (vgl. ebd.). Germanist und
Märchen-Experte Heinz Rölleke weist in seinen Forschungen8 ebenfalls explizit auf
die hugenottische Abstammung der Erzähler/Erzählerinnen hin: „Die Grimms
waren nie Feldforscher. Sie wandten sich an ihre städtischen Freunde und
Bekannten in Kassel. Da waren zum Beispiel die drei Töchter der Familie Wild
(…), die waren zwischen 13 und 17 Jahre alt“ (online: Stass, 2012). Auch die
Adelsfamilien Droste-Hülshoff und Haxthausen aus Westfalen werden von Rölleke
erwähnt. Besonders hilfreiche Quellen für die erste Auflage sind die Töchter der
Familie Hassenpflug aus Kassel gewesen (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 138), da diese
die Feenmärchen des französischen Schriftstellers Charles Perraults (1628 – 1703)
wiedergeben konnten, sich jedoch nicht bewusst waren, dass es sich bei den
Märchen um französisches Gedankengut handelte. Nach Erscheinen der ersten
Auflage der Kinder- und Hausmärchen dürften die Brüder Grimm erkannt haben,
dass einige ihrer Märchen französische Wurzeln hatten – davon geht zumindest
Rölleke aus. Aber Jacob und Wilhelm hatten bereits eine neue Quelle: Dorothea
Viehmann, „die ihrer Vorstellung von einer perfekten Märchenerzählerin

8
Die Märchen der Brüder Grimm. Eine Einführung ... München [u. a.] 1985. Neuausgabe: Stuttgart
2004.
27
entsprach“ (online: Stass, 2012), wie auch in dem Vorwort der KHM von 1819
nachzulesen ist:

„Einer jener guten Zufälle war es, daß [sic] wir aus dem Kassel gelegenen
Dorfe Niederzwehrn eine Bäuerin kennenlernten, die uns die meisten und
schönsten Märchen des zweiten Bandes erzählte. Die Frau Viehmännin
war noch rüstig und nicht viel über fünfzig Jahre alt.(…) Sie bewahrte die
alten Sagen fest im Gedächtnis und sagte wohl selbst, daß [sic] diese Gabe
nicht jedem verliehen sei (…). Dabei erzählte sie bedächtig (…). Wer an
leichte Verfälschung der Überlieferung (…) glaubt, der hätte hören
müssen, wie genau sie bei der Erzählung blieb und ihrer Richtigkeit eifrig
war; sie änderte niemals bei einer Wiederholung etwas in der Sache und
besserte ein Versehen, sobald sie es bemerkte, mitten in der Rede gleich
selber.“ (Grimm, 1957, S. 11/12)

Dass Dorothea Viehmann ebenfalls hugenottische Wurzeln hatte (vgl. Pöge-Alder,


2011, S. 138), dürfte Jacob und Wilhelm Grimm nicht bekannt gewesen sein.

Warum die Grimm’schen Märchen nicht „Deutsch“ sind


„Die Chinesen lieben unsere Märchen“, ist sich Brigitte Buchholz-Blödow (vom
Verein Deutsche Märchenstraße) sicher (online: DMS, 2008). Dass man bei den
Grimm’schen Märchen nicht rein von „unseren“ Märchen sprechen kann, soll in
diesem Kapitel erläutert werden.

Zu Beginn ihrer Sammlung waren die Brüder Grimm noch überzeugt, dass Frau
Holle die germanische Totengöttin Hel darstellen sollte und es Ähnlichkeiten
zwischen Brünhild und Dornröschen gab (vgl. online: Stass, 2012). Im Vorwort der
ersten Fassung ist die Rede von Märchen, die „einen Blick in die Welt der deutschen
Volkssagen und Mythen“ (online: ebd.) geben. Die Brüder Grimm widerrufen diese
Behauptung nicht offiziell, erwähnen aber in keiner weiteren Auflage die deutsche
Herkunft der Märchen jemals wieder. Jedoch ist es – so steht es im Vorwort der 2.
Auflage – „noch einmal geprüft, was verdächtig schien, das heißt, was etwa hätte
fremden Ursprungs (...) sein können“ (Grimm, 1957, S. 13). Dies sei – nach Jacob
und Wilhelm Grimm – „ausgeschieden“ (ebd.). Um die Märchen ein wenig
„deutscher“ zu machen, wurden sie mit deutschklingenden Titeln oder deutschen
Namen versehen: König Drosselbart (KHM 52), Der alte Hildebrand (KHM 95),

28
Die sieben Schwaben (KHM 119), Der faule Heinz (KHM 164), Der starke Hans
(KHM 166), Das Meerhäschen9 (KHM 191) u. v. m. (vgl. Grimm, 1957, S. 609 ff.)

Dass die Grimm’schen Märchen eindeutig nicht von germanischen Sagen


abstammen, kann an mehreren Stellen bewiesen werden: Die Vorlage für KHM 50
(Dornröschen) bildet ein Märchen Perraults und dessen La belle au bois dormant
(vgl. Mayer/ Tismar, 1997, S. 85). Auch Märchen wie Der gestiefelte Kater (KHM
33) und Rotkäppchen (KHM 26) lassen sich auf Perraults Feenmärchen für die
Jugend (1697, dt. 1822) zurückführen (vgl. Habicht u. v. m., 1988, S. 561). Durch
die Bearbeitung des Persinette-Märchens der Mademoiselle de la Force entstand
das uns heute bekannte Rapunzel (KHM 12) (vgl. Mayer/Tismar, 1997, S. 85). Die
Tatsache, dass gerade viele französische Märchen als Vorlage dienten, ist besonders
ironisch, wenn man bedenkt, dass die Brüder Grimm die Motivation hatten,
deutsches Kulturgut und den deutschen Geist vor der „französischen
Überfremdung“ (online: Stass, 2012) zu retten.

Natürlich sind nicht alle der gesammelten Märchen französischen Ursprungs. Das
KHM 69 Jorinde und Joringel10, das KHM 83 Hans im Glück 11und das KHM 161
Schneeweißchen und Rosenrot12, sind beispielsweise deutschen Ursprungs.

Die KHM können also nicht – wie oftmals angenommen – als eine Sammlung
deutscher Märchen gesehen werden, sondern sind eine Sammlung europäischer
Märchen.

Sprache und Stil in Grimm’schen Märchen


Erst die Brüder Grimm gaben den Märchen den uns heute so geläufigen
„Märchenton“ und Stil. Die Bemühungen der „Wortschnüffler“13, die um jeden

9
Sächsisch für Kaninchen (vgl. Online: Peitsch/von Sonntag, 2011).
10
Das Märchen stammt aus Johann Heinrich Jung-Stillings Autobiographie Heinrich Stillings
Jugend von 1777 (vgl. online: Märchenlexikon, 2015).
11
Erstmals erschienen und publiziert von August Wernicke 1818 in der Zeitschrift Wünschelrute
(vgl. ebd.).
12
Es basiert auf Der undankbare Zwerg in Karoline Stahls Fabeln, Märchen und Erzählungen für
Kinder von 1818 (siehe auch Kapitel 8.3).
13
In „Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung“ von Günther Grass.
29
Buchstaben besorgt waren (vgl. online: Hage, 2010) und die akribische Arbeit am
Text durch Jacob und Wilhelm, brachte den Märchen der Grimm’schen Sammlung
die Berühmtheit ein, die sie heute genießen.

Als Gegensatz zur aufklärerischen Sprache des Sturm und Drangs und dem
klassischen Regelsystems sollten die Märchen besonderes durch eine weiche,
phantastische und magische Sprache bestimmt werden. Besonders typisch für
Märchen sind Diminutiv-Formen, die sich bereits in einigen Titeln finden lassen
(Bsp.: Der Wolf und die sieben Geißlein, Brüderchen und Schwesterchen,
Rotkäppchen, Schneewittchen, Dornröschen, Läuschen und Flöhchen, Einäuglein,
Zweiäuglein und Dreiäuglein u. v. m.)

Das bekannte „Es war einmal“ und „wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie
noch heute“, war in den Ursprungserzählungen in den Märchen ebenfalls nicht
vorhanden und trägt die Grimm’sche Handschrift. Sprachliche Ungereimtheiten
und „Holprigkeiten“ (Mayer/Tismar, 1997, S. 86) der gesammelten Märchen
wurden entfernt und Inhalte „idyllisiert und verbürgerlicht“ (ebd.), damit sie der
Idealvorstellung einer Volkspoesie entsprachen. So „erweist sich der sogenannte
Grimm’sche Märchenton als Ergebnis einer bewußten [sic] Arbeit am Text, die
gleichwohl am Ideal der vermeintlich authentischen Mündlichkeit orientiert bleibt,
sie aber mit romantisch-biedermeierlichem Firnes überzieht“ (ebd., S. 85). Nach
Rölleke (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 135) machen neben der Verwendung des
Diminutivs vor allem folgende Merkmale den Grimm’schen Märchenstil aus:

• Streben nach lakonischen Paratexten


• Einfügen wörtlicher Reden
• Freude an Wortwiederholung und drastischer Darstellung
• Einbindung von volkstümlichen Wendungen und Lautmalerei
• Vorliebe für Formelhaftes, für feste Farben und Konturen
• Bemühen um künstlerischen Aufbau
• Stringente Motivierung und Rundung der Erzählung

Die erste Fassung der Märchen war noch an ein erwachsenes Publikum gerichtet.
Dass Jacob Grimm aber bereits 1808 an eine kindliche Rezeption der Märchen
dachte, ist belegbar, da er 1808 sieben Märchen an sein Patenkind Bettine von
30
Savigny schickte (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 142). Als Beispiel können hier
Marienkind (KHM 3) und Rumpelstilzchen (KHM 55) genannt werden, welche sich
bereits in der ersten Fassung befanden (vgl. ebd.). Durch – dann vor allem Wilhelms
– Bearbeitungen ließen die Grimm „Märchen als Familien-, besonderes als
Kinderliteratur entstehen“ (ebd., S. 143).

Im Vorwort von 1819 schrieben die Brüder Grimm, dass sie die Märchen vor allem
aus einem Grund überarbeiteten: Sie haben „jeden für das Kinderalter nicht
passenden Ausdruck (…) sorgfältig gelöscht“ (Grimm, 1957, S. 10). Der Grund
ihrer Sammlung sei „nicht bloß der Geschichte der Poesie und Mythologie einen
Dienst zu erweisen (…) sondern es zugleich Absicht war, daß [sic] die Poesie selbst,
die darin lebendig ist, wirke und erfreue, wen sie erfreuen kann“, aber auch „als
Erziehungsbuch diene“ (ebd.). War die Grimm’sche Märchensammlung zu Beginn
ein reiner „Dienst an der Poesie“, wurde sie im Laufe der Jahre immer mehr und
mehr zu einem Kinder-, – einem Erziehungsbuch, mit dem auch die Kinder der
Grimm selbst aufwuchsen (vgl. Ranke, 1997, S. 30 ff.).

Märchen damals und heute


Zu Beginn war also das Hauptanliegen der Brüder Grimm unter dem Einfluss der
romantischen Bewegung die „Poesie des Volkes“ aufzusammeln und vor dem
Vergessen zu retten. Die Kinder- und Hausmärchen waren ursprünglich aus
wissenschaftlichem Interesse (vgl. Blaha-Peillex, 2008, S. 51) entstanden und an
ein erwachsenes Publikum14 gerichtet. Das Thema „Kinderbuch“ war nur marginal
präsent (vgl. Rölleke, 1997, S. 33). Wilhelm Grimm antwortete in einem Brief an
Achim von Arnim, der ihm in diesem vorwarf, dass einige Geschichten der KHM
nicht kindgerecht aufgearbeitet seien15: „Das Märchenbuch ist (…) nicht für Kinder
geschrieben, aber es kommt ihnen recht erwünscht und das freut mich sehr“
(Rölleke, 1997, S. 34). Zwei Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe ändern die
Brüder – vor allem Wilhelm – ihre Meinung. Geht es nach Wilhelm, hat das Buch

14
In Österreich wurden die KHM sogar zeitweise verboten, als „abergläubisch“ und „Gefahr für
Kinder“ eingestuft (vgl. Rölleke, 1997, S. 33).
15
Er bezieht sich auf für ein Kind nicht verständliche Redewendungen, die Brutalität und das
Abschlachten in einigen Märchen und Obszönität in den Märchen (vgl. Rölleke, 1997, S. 33).

31
selbstständig und autonom als Kinderbuch seinen Weg in die Gesellschaft
gefunden. Wilhelm erkannte, dass die Kinder „sich der Märchen mit eigenen Augen
bemächtigt“ (ebd., S. 31) hatten und bestand schlussendlich auch darauf, dass man
„sie gewähren lassen solle“ (ebd.). Vor allem die Kleine Ausgabe von 1825, mit
ausgewählten Texten, die für Kinder geeignet sind, unterstrich den Wandel vom
„Buch der Volkspoesie“ zum „Erziehungsbuch“ für Kinder. Ausgelöst wurde die
Entwicklung der KHM vom Lesestoff für Erwachsene seit Mitte des 19.
Jahrhunderts hin zur beliebten Lektüre bei Kindern auch – laut Pöge-Alder – durch
die „pädagogische gelenkte Kindererziehung in Familie und Schule und dem
zunehmenden Bedarf an Kinderliteratur“ (Pöge-Alder, 2011, S. 143).

Märchen im 19. Jahrhundert: Die KHM werden zum


Erziehungsbuch

Einige Märchen wurden durch „gezielte Umsetzung von Volkstümlichkeit und


seine Beachtung bürgerlicher Moralvorstellungen“ (Pöge-Alder, 2011, S. 143)
überarbeitet, damit sie als „Erziehungsbuch“ für Kinder (und im späteren Sinne
auch für deren Eltern und somit Erwachsene) verwendet werden konnten. Wilhelm
Grimm habe „verschönert und geändert, dazu moralisiert und sexuelle Sachverhalte
beseitigt“ (ebd.).

Als Beispiel ist hier Rapunzel (KHM 12) zu nennen. In der Fassung von 1819 steht
geschrieben:

„So lebten sie16 lustig und in Freuden eine geraume Zeit, und hatten sich
herzlich lieb, wie Mann und Frau. Die Zauberin aber kam nicht dahinter,
bis das Rapunzel anfing und zu ihr sagte: ,sag sie mir doch Frau Gothel,
sie wird mir viel schwerer heraufzuziehen als der junge König.‘ – ,Ach,
du gottloses Kind …‘“ (Rölleke, 1997, S. 36)

In der Fassung von 1857 heißt es:

„Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte, ob sie ihn zum
Manne nehmen wollte, und als sie sah, daß [sic] er jung und schön war,
so dachte sie: Der wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel, und
sagte ja, legte ihre Hand in seine Hand.“ (Grimm, 1957, S. 59)

16
Sie = Rapunzel und der Prinz
32
Von der Umtriebigkeit im Turm war keine Rede mehr. Wie von der damaligen
gesellschaftlichen Konvention eines frommen Mädchens erwartet, vollzog man
zuerst die Trauung, bevor man sich seinen körperlichen Gelüsten hingab. Dieselbe
Tendenz wird auch bei Froschkönig (KHM 1) sichtbar:

„Aber der Frosch fiel nicht todt [sic] herunter, sondern wie er herab auf
das Bett kam, da wars ein schöner junger Prinz (…) und sie schliefen
vergnügt zusammen.“ (1812) (Rölleke, 1997, S. 37)

„Als er aber herabfiel, war er kein Frosch, sondern ein Königssohn mit
schönen und freundlichen Augen. Der war nun nach ihres Vaters Willen
ihr lieber Geselle und Gemahl. “ (1857) (Grimm, 1957, S. 18)

Als weiteres Beispiel ist hier Dornröschen (KHM 50) zu nennen. In Perraults
Fassung heißt es, dass der Prinz und Dornröschen „wenig schliefen“ in ihrer ersten
Nacht. In einer anderen Fassung von Giambattista Basile17 schwängert der Prinz
das schlafende Dornröschen sogar und die Prinzessin erwacht erst kurz nach der
Geburt ihrer Zwillinge (vgl. Rölleke, 1997, S. 37). In der überarbeiteten
Grimm’schen Version heißt es:

„Da lag es und war so schön, daß [sic] er die Augen nicht abwenden
konnte, und er bückte sich und gab ihm einen Kuß[sic]. Wie er es mit dem
Kuß [sic] berührte, schlug Dornröschen die Augen auf und blickte ihn
freundlich an.“ (Grimm, 1957, S. 183)

Als weitere Überarbeitung, damit die Märchen als Erziehungsbuch dienen können,
wird die Entsexualisierung der Frau herangenommen. Wie an dem Beispiel
Dornröschen bereits gesehen, werden viele weibliche Märchenfiguren verkindlicht
– somit entsexualisiert – und aus „sie“ wird ein „es“ (vgl. Rölleke, 1997, S. 38).

Auch Wilhelm Grimms Auffassung des Erziehungsideals für Töchter zu dieser Zeit
spiegelt sich in einem von ihm selbst geschriebenen Beginn des KHM 161
Schneeweißchen und Rosenrot:

Eine arme Witwe, die lebte einsam in einem Hüttchen (…) und sie hatte
zwei Kinder, (…) das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenrot.
Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je

17
In seiner Märchensammlung ‚Das Pentameron‘, (1634 – 1636), welches er in der bildreichen
neapolitanischen Sprache seiner Heimat verfasste, lässt sich eine Version von Dornröschen finden
(vgl. online: Projekt Gutenberg, 2015).
33
zwei Kinder auf der Welt gewesen sind; Schneeweißchen war nur stiller
und sanfter als Rosenrot. Rosenrot sprang lieber in den Wiesen und
Feldern umher, suchte Blumen und fing Sommervögel; Schneeweißchen
aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen oder las ihr vor,
wenn nichts zu tun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, dass
sie sich immer an den Händen fassten, so oft sie zusammen ausgingen;
und wenn Schneeweißchen sagte; ,Wir wollen uns nicht verlassen‘, so
antwortete Rosenrot; ,Solange wir leben, nicht‘, und die Mutter setzte
hinzu; ,Was das eine hat, soll‘s mit dem andern teilen.‘ (Grimm, 1957, S.
488 ff.)

Wie ernst ihm die Meinung dieser richtigen Erziehung von Mädchen war,
verdeutlich sich darin, dass er den Text 1826 auf Wilhelms Hauffs Bestellung für
dessen „Märchen-Almanach für Söhne und Töchter gebildeter Stände“ verfasste
(vgl. Rölleke, 1997, S. 40). Geht es nach dem weiblichen Rollenbild des 19.
Jahrhunderts, so waren Charaktereigenschaften wie Tugend, Sittsamkeit und Fleiß
natürliche Geschlechtereigenschaften einer Frau (vgl. online: Vahsen, 2008). Die
Märchen bestärkten durch Protagonistinnen wie Schneeweißchen und Rosenrot
dieses Bild stark. Können Frauen neben ihrer Frommheit und Sittsamkeit auch ihre
haushaltlichen Tugenden beweisen, ist der „Heldinnen“ der Prinz sicher (vgl. Tatar,
1990, S. 168 ff.).

Durch das Umschreiben der Märchen passt sie Wilhelm Grimm dem Zeitgeist des
19. Jahrhunderts an: Frommheit und Reinheit stehen im Vordergrund.

In diesem Zusammenhang darf jedoch auch nicht vergessen werden, dass die
Grimm in einer Zeit lebten, in der der christliche Glaube das Leben der Menschen
noch stark beeinflusste. Märchen werden ebenfalls im Sinn einer christlichen Ethik
stilisiert (vgl. Fischer, 2011, S. 232). In Der Gevatter Tod (KHM 44) bietet sich im
Originaltext von 1812 Gott dem Armen, der einen Paten sucht, an. Dieser verwehrt
sich ihm aber: „ ,Ich begehr` dich nicht zum Gevatter‘, sagte der Mann, ,du gibst
dem Reichen und lässt den Armen hungern‘; damit ließ er ihn stehen und ging
weiter“ (Rölleke, 1997, S. 40). In der Fassung von 1857 wurde ergänzt: „Da sprach
der Mann, weil er nicht wußte[sic], wie weislich Gott Armut und Reichtum verteilt“
(Grimm, 1957, S. 159). Das Schicksal wird durch Gott bestimmt und darf vom
Menschen nicht in Frage gestellt werden.

34
Rölleke weist ebenfalls auf Wilhelms christliche Version von Aschenputtel hin. In
der genuin animistischen tradierten Ursprungserzählung wird die verstorbene
Mutter Aschenputtels als Helferin, in Form eines Baumes, der auf dem Grab steht,
wiederverkörpert (vgl. Rölleke, 1997, S. 41). Jedoch wird von Wilhelm die
Sterbeszene ergänzt, in der die Mutter Aschenputtel sagt: „Liebes Kind, bleib
fromm und gut, so wird der liebe Gott dir beistehen, und ich will vom Himmel auf
dich herabblicken“ (Grimm, 1957, S. 93).

Die wohlmeinenden Erziehungszitate können jedoch aus logischer Sicht ein wenig
angezweifelt werden. Obwohl Aschenputtel fromm ist, wiederfährt ihr viel Leid.
Im Froschkönig muss die Prinzessin den Frosch in ihr Gemach nehmen, denn „Was
du versprochen, das mußt [sic] du auch halten!“ (Grimm, 1957, S. 17). Der König
hat keinerlei Verständnis für das Leiden seiner Tochter. Wichtiger ist hier das
Einhalten des christlichen oder bürgerlichen Moralprinzips (vgl. Rölleke, 1997, S.
40). Die Absurdität an diesem Märchen besteht darin, dass es erst, als die Tochter
sich gegen das gängige Moralprinzip stellt und den Frosch ermordet, zum
märchenhaften Ende kommt.

„Geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab“ heißt es im KHM 26 Rotkäppchen
(Grimm, 1957, S. 108). Das Mädchen macht es trotzdem und wird vom Wolf
gefressen, kurze Zeit später jedoch vom Jäger gerettet. Durch die Umarbeitung
Wilhelms verliert das Märchen seine eigentliche Moral, was es bei Perraults
Originalversion jedoch behält, wo die Großmutter und Rotkäppchen verschlungen
bleiben (vgl. Kast, 2006, S. 23). Trotz dieser Widersprüche in einigen Märchen wird
deutlich, dass die Märchen im 19. Jahrhundert vor allem deshalb von großer
Popularität waren, weil sie sich auf die „Diskurse der zeitgenössischen
Gesellschaft“ (Matuschek, 2014, S. 13) einstellten. Die Grimm´schen Märchen
zeugen von „literarischer Lebendigkeit und Aktualität“ (ebd.) und konnten somit
als Unterhaltungs- vor allem aber Erziehungsbuch dienen. Ob sie diese Funktion
auch noch im 21. Jahrhundert haben, wo die Rolle der Frau klar eine andere ist und
in der westlichen Welt die Kirche immer mehr an Anhängern/Anhängerinnen
verliert, soll in den folgenden Kapiteln 3.5.2 und 3.5.3 geklärt werden.

35
Zusammenfassend ist zu sagen, dass Märchen als ein Spiegel der europäischen
Gesellschaft gesehen werden konnten (und immer noch können), da sich die
europäische Geschichte der damaligen Zeit „in den geschilderten feudalen oder
bürgerlichen Lebensverhältnissen der Figuren“ (Esselborn, 2010, S. 202)
widerspiegelt.

Märchen nach der Zeit der Brüder Grimm

Nach ihrem triumphalen Einzug in die Häuser der Menschen im 19. Jahrhundert
flachte die Begeisterung für Märchen um die Jahrhundertwende wieder ab. Zur Zeit
des politischen Umbruchs um 1918 waren es eher Märchenparodien und -travestien,
die den Literaturbetrieb beherrschten (vgl. Esselborn, 2010, S. 207). Nach 1945 gab
es von Seiten der alliierten Siegermächte Vorbehalte gegen die Grimm’schen
Märchen (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 234). Es wurde vermutet, dass die „grausamen“
KHM die Gräueltaten der Nazis mitverantworteten und die psychologische
Voraussetzung für ein Terrorregime waren (ebd.). Die 1968er-Bewegung war nicht
ganz so radikal wie die Alliierten, betrachtete die Märchen jedoch als „veraltet“ und
„unmenschlich (vgl. ebd.). Erst in den 1970iger Jahren kam es zu einer
Neuaufnahme der Märchentradition – einer „Wiederkehr des Märchens“
(Esselborn, 2010, S. 197). In Kinder brauchen Märchen (1975) deutet Bruno
Bettelheim Märchen in Bezug zur „Arbeit mit gestörten Kindern“ (Pöge-Alder,
2011, S. 234 ff.) und „ihre Symbole mit Freud’scher Interpretation“ (ebd.).
Märchen werden wieder populärer.

Die Märchen- und Mythenkonjunktur der 70iger und 80iger Jahre (vgl. Esselborn,
2010, S. 208) „arbeitete“ ähnlich wie Wilhelm Grimm damals. Märchen wurden
adaptiert, abgeändert und der modernen Gesellschaft angepasst. Die traditionelle
Moral der KHM wurde durch neue politische und sozialkritische Inhalte ersetzt18
(vgl. Esselborn, 2010, S. 208). Märchen wurden umgeschrieben, um „die wahre
Menschheitsgeschichte“19 zu erzählen (ebd.). Die Motive (z.B. Gut vs. Böse)

18
Als Beispiel ist hier „Janosch erzählt Grimms Märchen“ zu nennen.
19
Günther Grass´ Roman Der Butt (1977) versucht dies mit Hilfe des (durch einen Rollentausch von
Mann und Frau korrigierten) Märchens vom Fischer und seiner Frau zu machen (vgl. Esselborn,
2010, S. 209).
36
blieben jedoch erhalten. Öffentliche Konjunktur hatten Märchenmotive und
Märchenelemente in der unmittelbaren Vergangenheit vor allem in
„populärkulturellen und multimedialen Formen märchenartiger Fantasy-, Science
Fiction- oder Comic-Literatur, speziell in phantastischen Märchenromanen mit
globaler Resonanz wie Joanne K. Rowlings Harry Potter (1997 – 2007) oder
Cornelia Funkes Tintenherz-Trilogie. (2003 ff.)“ (ebd., S. 197 ff.).

Wie stark und wichtig die Märchen für die europäische Kultur nach wie vor sind,
zeigen auch die vielen Märchenfestivals heutzutage. Beispielsweise sind hier die
„Brüder Grimm Märchenfestspiele“ in Hanau, die Berliner „Märchentage“,
„fabelhaft“ in Niederösterreich oder das „Festival der besten deutschsprachigen
Märchen- und Geschichtenerzähler“ in Neukirchen zu nennen (vgl. ebd., S. 210).

Märchen im 21. Jahrhundert: Die Beliebtheit der Märchen


nimmt wieder zu

Für viele ist das Märchen ein „Glasperlenspiel vergangener Zeiten“ (vgl. Lüthi,
2005, S. 96). Ein Grund dafür könnte die vermeintliche Einfältigkeit sein. Das
Märchen „umfasst unsere Welt nicht mehr in allen ihren Gehalten. (…) Es zeigt den
Menschen als Begnadeten, dem selbst die Möglichkeiten geschenkt werden. Der
moderne Mensch aber erstrebt Möglichkeiten und Weltgestaltung“ (ebd.). Obwohl
dies eine Tatsache ist, darf man jedoch den pädagogischen Wert eines Märchens
nicht außer Acht lassen. Herrschen nun zwar beispielsweise andere
Geschlechterrollen vor, so bleibt doch eine wichtige Essenz im Märchen gleich:
„das Gute siegt über das Böse“ – eine Moral, die nach wie vor aktuell ist und
Kindern und Erwachsenen gelehrt wird. Die allgegenwärtige Präsenz des Märchens
in der multimedialen Umwelt beweist, dass Märchen kein „Glasperlenspiel
vergangener Zeiten“ sind, sondern es scheint, als ob das öffentliche Interesse für
märchenhafte und phantastische Geschichten im 21. Jahrhundert größer ist denn je
(vgl. Esselborn, 2010, S. 210). Viele der Grimm’schen Kinder- und Hausmärchen
sind heute Teil einer multimedialen Realität geworden (vgl. Weinrebe, 1997, S. 147
ff.) und werden nicht nur durch Bücher, sondern auch durch das Fernsehen, Radio

37
und vor allem das Internet vermittelt – nicht nur im deutschsprachigen Raum20. Vor
allem die von Hollywood adaptierten Märchen werden weltweit gesehen und
können (zumeist) eine hohe Besucher/Besucherinnen-Anzahl verbuchen. Das
KHM 53 Schneewittchen und die sieben Zwerge wurde 2012 in den Filmen
Spieglein Spieglein – Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen (Mirror
Mirror) und Snow White and the Huntsman gleich zweimal adaptiert. Dornröschen
(KHM 50) wurde in Maleficent – Die dunkle Fee 2014 neu erzählt und auch
Aschenputtel (KHM 21) schaffte es mit Cinderella 2015 auf die Kino-Leinwand.
Auch Animations- und Zeichentrickfilme wie Küss den Frosch (The Princess and
the Frog) aus dem Jahr 2009 oder das 2010 erschienene Rapunzel – neu verföhnt
(Tangled)21, hauchen den Märchen der Brüder Grimm neues Leben ein (vgl. online:
movieplot, 2015).

Doch warum werden Märchen heute wieder so populär? Geht es nach Rölleke,
treffen die Äußerungen Wilhelm Grimms zu Märchen auch heute zu, wenn er
„nämlich nicht etwa von pragmatischen, christlichen, gutbürgerlichen oder sonst
wie positiven, sondern allgemein von ,goldenen Lehren‘ spricht: ,Märchen geben
jedem, der sie in der Kindheit angehört, eine goldene Lehre, durchs ganze Leben
mit auf den Weg‘“ (Rölleke, 1997, S. 42/43). Und diese goldene Lehre macht die
Märchen beliebter denn je. Erzählforscher Hans-Jörg Uther ist sich ebenfalls der
Aktualität der Märchen bewusst, schließlich beinhalten sie eine „ganze Palette des
Alltagslebens. Ob es Probleme mit Geschwistern gibt oder mit der Patchwork
Familie: Jeder Einzelne kann sich in den Geschichten wiederfinden“ (online:
Schmiedekampf, 2012). Die zeitlosen, meist ernsthaften Konfliktsituationen „in
den zwischenmenschlichen Beziehungen, die Generationen- oder
Familienprobleme und andere, von allgemein menschlicher Bedeutung“
(Esselborn, 2010, S. 203) sind ein Grund, warum Märchen nie vergehen werden.
Jedoch nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene, weil sie „auf
einzigartige und unnachahmliche Art in Bilder- und Symbolsprache so Manches
und so Wichtiges lehren“ (Rölleke, 1997, S. 42). Sie lehren, wie Menschen mit ihrer

20
Seit 2008 werden jährlich zur Weihnachtszeit einstündige deutsche Märchenfilme im Das Erste
gezeigt. Die Reihe trägt den Titel Sechs auf einen Streich (vgl. online: Das Erste, 2015).
21
Basierend auf KHM 1 und KHM 12.
38
Welt zurechtkommen können und wie man durch Reifungsprozesse und Reflexion
sein Leben bewältigen kann (vgl. ebd.).

Märchen sind schon immer von den Menschen gemacht – sie sind also auch für die
Gegenwart des 21. Jahrhunderts „machbar oder (…) veränderbar“ (Borg u. a., 1986,
S. 6). Im Laufe dieses Kapitels wurde aufgezeigt, dass Märchen – ihre Themen und
Motive – nicht nur im 19. Jahrhundert, sondern auch im 21. Jahrhundert in der
literarischen und medialen Gesellschaft eine Rolle spielen. Märchen sind nach wie
vor bekannt und zumeist auch beliebt.

39
4 Märchen in pädagogischen Bereichen

Märchen gelten als eine „volkstümliche literarische Gattung, die (…) in elementarer
bildhafter Gestaltung Alltagswissen, Lebenserfahrungen, Regeln sozialen
Zusammenlebens (…) und eine optimistische Hoffnung auf Weltveränderung (…)
weitergeben“ (Esselborn, 2010, S. 197). Vor allem die im vorangegangenen Kapitel
erwähnte Nähe zu den Problemfeldern der Umwelt und die Reflektion der
Wirklichkeitsbezüge (vgl. Pöge-Alder, 2011, S. 233) macht das Märchen für den
Bereich der (Förder-)Pädagogik – für die Arbeit mit Kindern, aber auch mit
Erwachsenen – so interessant. Nicht nur im Bereich der Förderpädagogik, sondern
auch in Sucht- und Gewaltprävention werden Märchen eingesetzt. Als Beispiel
hierfür kann die Arbeit mit dem Märchen Die Bremer Stadtmusikanten (KHM 27)
genannt werden, welches die Basis einer psychodramatischen Arbeit mit
Suchtpatienten/Suchtpatientinnen ist. Psychotherapeutin Dorothea Ensel
beispielsweise ist der Meinung, dass die Bremer Stadtmusikanten zeigen, dass wenn
man sich von alten Strukturen lösen und „die eigenen Fähigkeiten, obwohl von
außen oft abgewertet“, wieder selbst erkennt, zum Erfolg kommen kann. Vor allem
wenn man die neuen Strukturen gemeinsam mit anderen zielorientiert einsetzt
(Ensel, 2013, S. 156). Auch Universitätsprofessorin und Psychotherapeutin Verena
Kast setzt bei ihrer Arbeit mit Klienten und Klientinnen auf die Verwendung von
Märchen, indem sie auf den großen Symbolgehalt der Märchen zurückgreift und
damit arbeitet. Sie bezieht sich auf Märchen in der Kindheit ihrer Klienten und
Klientinnen und erarbeitet mit ihnen gemeinsam die bewusste Offenlegung
erlernter (Verhaltens-)Muster. Ein Märchen, welches oft zum Einsatz kommt, ist
Rotkäppchen und wird entweder als Lieblingsmärchen – wenn die Identifikation
mit Rotkäppchen im Wald erfolgt, welches fröhlich Blumen pflückt – oder als
Angstmärchen – wenn der Aspekt des bösen Wolfes und des Verschlungenwerdens
beziehungsweise die Dunkelheit und Enge im Bauch des Wolfes im Vordergrund
steht – assoziiert (vgl. Kast, 2006, S. 22).

Weiteren sinnvollen Einsatz finden die Märchen vor allem im Unterricht – auf
dessen Thema auch das Hauptaugenmerk des folgenden Kapitels liegen soll.

40
Märchen im Unterricht
Bereits im 19. Jahrhundert erkannten die Brüder Grimm das pädagogische Potential
der Märchen und publizierten eine gekürzte und bearbeitete Sammlung.22 Die
Brüder hatten auf die „subtile Vorbildwirkung der Märchen und auf die
Entwicklung der Bewusstseinskräfte vertraut“ (Esselborn, 2010, S. 211). Ende des
19. Jahrhunderts wurden die Märchen erstmals als Schullektüre verwendet (vgl.
ebd.). Zu Beginn wurden die Märchen für einen „Gesinnungsunterricht“ (ebd.)
eingesetzt. Nach 1900 propagierte die pädagogische Reformbewegung der
Kunsterziehung „eine mehr ästhetische, auf Verinnerlichung setzende Rezeption“
(ebd., S. 212). Ähnlich wurde es in den 1950iger Jahren gehandhabt. In den Jahren
davor wurden die Märchen nationalsozialistisch instrumentalisiert und als
„Ausdruck deutschen Volkstums und Gemüts in einem ideologischen
Gesinnungsunterricht“ (ebd.) didaktisiert. In den 60iger und frühen 70iger Jahren
des 21. Jahrhunderts wurden den Märchen schwerste Bedenken entgegengebracht.
Die Märchen seien ein „Relikt einer feudalistischen Epoche, die von hierarchischen
Strukturen geprägt war“ (Dinges u. v. m., 1986, S. 5). Des Weiteren wurden
Märchen als eine Flucht vor der Wirklichkeit gesehen, die die Sinne vernebeln und
aus diesem Grund (vor allem) nicht einmal Kindern zugänglich gemacht werden
sollten.

Erst in der Reformdiskussion der 1970iger Jahre wurden Märchen neu entdeckt
(vgl. Esselborn, 2010, S. 212). Statt der wunderbaren und harmonisierenden Züge
wurden jedoch die realistischen zeit-sozialgeschichtlichen Aspekte ins Zentrum
gerückt (vgl. ebd.). Neben der neuentfachten Popularität im privaten Bereich in den
späten 70igern und 80igern, wurden Märchen auch immer beliebter im
Schulbetrieb. Unzählige Märchenhefte wie Praxis Deutsch von 1981 und 1990 oder
die Publikation Werkstatt Literatur 1988 durch den Klett Verlag (vgl. Haas, 1997,
S. 56) beschäftigen sich mit der Thematik der Märchen im Unterricht.

Märchen sind heute ein wichtiger Bestandteil im Unterricht und werden bereits ab
der Volkschule beispielsweise für Leseübungen verwendet. Auf www.schule.at

22
Vgl. Kapitel 3.5.1.
41
finden sich viele Links, welche bereits didaktisierte Märchen wie Dornröschen oder
Die Bremer Stadtmusikanten anbieten. Vor allem auf http://vs-
material.wegerer.at/23 gibt es eine Reihe von didaktisierten Märchen, welche nicht
nur für den Deutschunterricht geeignet sind, sondern auch für andere Bereiche wie
Mathematik oder Musik konzipiert wurden. Auch deutsche Onlineseiten
ermöglichen den Zugriff auf bereits didaktisierte Märchen (www.onilo.de).

Bisher haben sich Märchen als hilfreich für den Unterricht erwiesen. Sie werden
auch von der heutigen Literaturdidaktik befürwortetet (vgl. Mattenklott, 2005, S.
100 ff.) und ebenfalls von bifie (Bundesinstitut für Bildungsforschung, Innovation
und Entwicklung des österreichischen Schulwesens) für den Deutschunterricht
empfohlen. Beispielsweise in dem 2012 erschienenen „Themenheft für den
Kompetenzbereich „Verfassen von Texten“. Deutsch, Lesen, Schreiben.
Volksschule Grundstufe I + II“ (bifie, 2012). Vor allem beim Bereich des kreativen
Schreibens (Schreib dein eigenes Märchen, S. 27) können Märchen in den
Unterricht einfließen und gut verankert werden.

Zumeist – wie man an den genannten Beispielen erkennen kann – werden Märchen
als „klassisches Thema für den Unterricht“ (Drieschner, 2009, S. 97) im Kindesalter
eingesetzt. Märchen sind die literarische Gattung, mit der viele als erstes in
Berührung kommen (sei es zu Beginn eher nur passiv) und dann auch in der Volks-
und Grundschule viele Kompetenzen (Lesen, Schreiben) über die Märchen
erarbeiten und festigen. Es ist belegt, dass die kognitive Entwicklung, das
psychomotorische und soziale Lernen mit Märchen besonders nachhaltig ist (vgl.
Pöge-Alder, 2011, S. 236). Doch Märchen sind mehr als eine Kinderlektüre. In
Märchen versteckt sich nicht nur Moral, sondern sie sind auch oftmals der Spiegel
unserer Kultur und unseres Menschseins. Aus diesem Grund sind Märchen nicht
nur für Kinder im Unterricht geeignet, sondern auch für erwachsene Lerner und
Lernerinnen.

23
http://vs-material.wegerer.at/deutsch/d_lesen_maerchen_grimm.htm
42
Märchen im DaF-Unterricht
Nicht nur im erstsprachigen Unterricht erfreuen sich Märchen wachsender
Beliebtheit – parallel dazu werden Märchen auch für den Deutsch-als-
Fremdsprache-Unterricht immer wieder eingesetzt (vgl. Esselborn, 2010, S. 188).
Seit den 1980iger Jahren werden u. a. Arbeitsbücher des Goethe-Instituts Märchen
(1985 von Karlhans Frank) und Märchen, Aufgaben und Übungen (1986 von
Diethelm Kaminski), ein didaktisches Ergänzungsheft, erstmal im Deutsch-als
Fremdsprache-Unterricht eingesetzt (vgl. ebd.). Nun stellt sich jedoch die Frage,
warum die Verwendung von Märchen im DaF-Unterricht als sinnvoll erachtet
wird? Neben dem belegten positiven kognitiven und sozialen Effekt bei der Arbeit
mit Märchen, sind Märchen vor allem aus mehreren Gründen als literarische Texte
im DaF-Unterricht geeignet: der kulturellen Überlappung in vielen Ländern und der
bildhaften und einfach strukturierten Erzählweise. Infolgedessen sind sie
hervorragend für einen kulturellen Austausch geeignet.

Ein Problem bei der Verwendung von Märchen im DaF-Unterricht ist hingegen die
Annahme vieler (vor allem unerfahrener) Lehrender, dass Märchen bereits zu
Beginn des Sprachlernens (ab Niveau A1) angewendet werden können. Märchen
gelten im Erstsprachengebrauch vor allem als Literatur für Kinder,
dementsprechend (so die Hypothese) sind die Texte leicht und auch für den Einstieg
auf niedrigem Niveau geeignet. Dass diese Annahme problematisch ist, soll im
Laufe dieser Arbeit genauer in Kapitel 8 analysiert werden, da hier für Kinder
didaktisierte Märchentexte herangezogen und im DaF-Unterricht auf ihre
Verständlichkeit hin überprüft werden.

Warum funktionieren Märchen im DaF-Unterricht?


Zum einen lassen sich Märchen und Märchenmotive in unterschiedlichen Ländern
finden und scheinen auch für „fremdsprachige Hörer und Leser ein leicht
zugängliches, mit eigenen Erfahrungen vergleichbares Genre zu sein“ (Esselborn,
2010, S. 197). Märchen sind kulturell überlappend. Viele DaF-Lernende kennen die
Gattung Märchen aus ihren Herkunftsländern und haben dort auch ein ähnliches
Repertoire an vorkommenden Märchenfiguren, wie beispielsweise Hexen,
Zauberer, Feen oder Zwerge. Neben den Figuren ähneln sich in vielen Kulturen

43
auch die Märchenhandlungen (vgl. online, Lundquist-Mog, 2012, S. 5). Als ein
konkretes Beispiel der Überlappung ist das Ablegen der Tierhaut zu nennen, ein
Motiv, welches sowohl in vielen Erzählungen afrikanischer Naturvölker, als auch
bei KHM 108 Hans mein Igel, KHM 144 Das Eselein und KHM 161
Schneeweißchen und Rosenrot zu finden ist (vgl. online: Petzold, 1982/83).

Auch wenn es keine direkten Überschneidungen gibt, können Märchen dank ihres
einfachen Aufbaus auch außerhalb der europäischen Kultur verstanden werden.
Märchen beinhalten eine bildhafte und klare Erzählform, die Wunderelemente
miteinbezieht. Aus diesem Grund kommen Märchen der „geschehensorientierten
Denkweise von Kindern entgegen“ und können so leichter verstanden werden
(Zhang, 2011, S. 45).

Zum anderen kann das Märchen als „ein Feld des Austausches verschiedener
Kulturen“ gesehen werden (ebd., S. 14).24 Des Weiteren können deutschsprachige
Märchen als „literarische wie als kulturhistorische Zeugnisse für die Geschichte der
deutschen Literatur ebenso wie für die Landeskunde von Interesse sein“,
(Esselborn, 2010, S. 197) da sie als „kollektives Gedächtnis“ (ebd., S. 198) gesehen
werden können. Obwohl die Geschichten der Märchen fernab jeglicher Realität zu
spielen scheinen, kann man doch viele reale Traditionen und Eigenheiten der
europäischen Kultur finden. Erzählforscher Lutz Röhrich spricht in diesem
Zusammenhang von „lokalen Färbungen, die von Essen und Trinken über
Ortsnamen, landschaftliche Eigenarten, soziales Milieu, ethische Einstellung bis zu
religiösen Eigenheiten reicht“ (ebd., S. 202). Es gibt einige Charakteristika, die
deutsche Märchen von südamerikanischen, japanischen oder afrikanischen
Märchen unterscheiden. In vielen Märchen der Brüder Grimm spiegelt sich das
„ärmliche Leben der Unterschicht, der Bauern, Müller, Taglöhner, Holzfäller,
Handwerksburschen, ehemaligen Soldaten usw. im Deutschland des 15. – 18.
Jahrhunderts. Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen verweisen auf
das feudale Zeitalter, bürgerliche Aufsteiger auf die gesellschaftliche Veränderung
der Neuzeit“ (ebd., S. 202 ff.). Als kulturelles Gedächtnis ist das Märchen eng an

24
Grimm´sche Märchen sind beispielsweise bei asiatischen Kindern sehr beliebt. Gleichzeitig
werden ,Märchen der Völker‘ seit dem 19. Jahrhundert in der westlichen Welt gern gelesen (vgl.
Zhang, 2011, S. 14).
44
seine Gruppenidentität gebunden, aber auch zeitgleich mit einer aktuellen Situation
verbunden (vgl. ebd., S. 205).

Da die Strukturen von Märchen oftmals nicht völlig fremd sind und eine einfache
Handlung haben, können sie (an das jeweilige Sprachniveau angepasst) didaktisiert,
nicht nur als eine kulturelle Vermittlungsinstanz verwendet werden, sondern auch
zur Erarbeitung oder Festigung verschiedener Grammatikstrukturen herangezogen
werden. Als Beispiel hierfür kann unter anderem Margit V. Zinggelers Grimmatik
(2007) genannt werden, welche die Grimm’schen Märchen und die deutsche
Grammatik miteinander verbindet (vgl. Zinggeler, 2007).

Was man beim Einsatz von Märchen beachten sollte


Trotz der durchwegs positiven Betrachtung des Einsatzes der Märchen im DaF-
Unterricht dürfen jedoch einige etwaige Problemstellungen nicht außer Acht
gelassen werden: Die kulturelle und sprachliche Problematik, auf die man bei der
Arbeit mit Märchen stoßen kann.

Kulturelle Problematik

Neben den eingeschränkten Sprachkenntnissen kann vor allem die fehlende


Vertrautheit mit dem fremdkulturellen Kontext der Märchen zur Schwierigkeit
werden (vgl. Esselborn, 2010, S. 213). Problematisch wird es dann, wenn die
Distanz sich nicht durch vertraute literarische Rezeptionsweisen überbrücken lässt
(ebd.). Eine Aufgabe fremdkultureller Literaturvermittlung ist es hier,
herauszufinden, welche kulturspezifischen Lektüre- und Rezeptionsbedingungen es
gibt und wie die Entfernungen zwischen Eigenem und Fremden durch
Vermittlungsarbeit überwunden werden können. Nur der Leser/die Leserin kann
eine Verbindung zwischen den verschiedenen Wirklichkeitsebenen, auf welche
literarische Texte Bezug nehmen, herstellen (vgl. Helbig u. v. m., 2001, S. 1339).
Voraussetzung für diesen Prozess ist das „Schlussfolgernde Lesen“ (Pflugmacher,
2015, S. 142). Der/Die DaF-Lehrende muss jedoch als Vermittlungsinstanz helfend,
unterstützend und erklärend wirken und sollte sich dieser „Fremdartigkeit“ für
manchen Lernenden/manche Lernende bewusst sein. Oftmals braucht es bei der
Arbeit mit Märchen im DaF-Unterricht deshalb zusätzliche, historisch, sozial-,

45
kultur- und mentalitätsgeschichtliche Informationen und einer fremdkulturellen
Hermeneutik, „die das Fremde nicht vorschnell als Allgemeinmenschliches und
Bekanntes vereinnahmt“ (Esselborn, 2010, S. 213).

Wesentlich hilfreich bei der Arbeit mit Märchen im DaF-Unterricht ist der
Vergleich deutschsprachiger Märchen mit Märchentraditionen der jeweiligen
Herkunftsländer der DaF-Lernenden. Primär gemeint ist hier die „Reflexion von
Ähnlichkeiten und Unterscheidungen im interkulturellen Lesergespräch“ (ebd., S.
214). In japanischen Märchen fehlen beispielsweise oft König und Königin, Prinz
und Prinzessin oder der Erlöser/die Erlöserin und der verzauberte Mensch. In
indonesischen, wie auch afrikanischen Märchen fehlen neben dem Happy End auch
der/die souveräne, weltverändernde, altruistische Held/Heldin und der invariable
Zustand, dass es eine strikte Trennung zwischen Gut und Böse gibt (vgl. ebd., S.
216). In europäischen Märchen stehen die Protagonisten/Protagonistinnen – seien
es Menschen oder Tiere – im Vordergrund und leben „wenn sie nicht gestorben sind
noch heute.“ Chinesische Märchen hingegen verweisen auf die Vergänglichkeit und
Nichtigkeit des Daseins nach chinesischer Tradition (ebd.). Des Weiteren werden
in europäischen Märchen meistens die bösen Widersacher/Widersacherinnen
erbarmungslos beseitigt, in außereuropäischen Märchen ist es oftmals ausreichend,
wenn man den Bösewicht unterwirft oder einfach nur lächerlich macht (vgl. ebd. S.
217).

Es darf also keinesfalls angenommen werden, dass die europäische


Märchenstruktur universell ist und von jedem/jeder sofort verstanden wird. Es ist
zu beachten, dass unterschiedliche Kulturen und Erfahrungen im Unterricht eine
unterschiedliche Werteordnung mit sich bringen (vgl. Erciyes, 2012, S. 95).

Sprachliche Problematik

Neben den kulturellen Missverständnissen, die in Märchen versteckt sind, befinden


sich die zentralen und primären Probleme jedoch auf der sprachlichen und
grammatikalischen Ebene. Viele (vor allem) Nicht-Experten und -Expertinnen25
nehmen an, dass Märchen für einen Deutschlernenden/eine Deutschlernende ideal

25
Experten/Expertinnen sind hier Lehrende für Deutsch als Fremdsprache.
46
sind, da es sich um Kinderlektüre handelt. Dies ist jedoch oftmals eine
Fehlannahme. Märchen enthalten neben den vielen unbekannten Wörtern vor allem
auch komplexe grammatikalische Strukturen. Als Beispiel kann der Beginn des
KHM 55 Rumpelstilzchen angeführt werden, welches aus dem 2012 publizierten
Märchenbuch für Kinder (!) Mein großer Märchenschatz (Wiencirz, 2012, S. 81)
entnommen ist:

Es war einmal ein armer Müller, der hatte eine schöne Tochter. Als er
einmal dem König begegnete, prahlte er: „Ich habe eine Tochter, die kann
Stroh zu Gold spinnen.“ Der König sprach: „Das gefällt mir. Bring deine
Tochter morgen in mein Schloss.“ Als nun das Mädchen zu ihm gebracht
wurde, führte er es in eine Kammer voll Stroh. Er gab ihm ein Spinnrad
und eine Spule und sagte: „Jetzt zeig, was du kannst. Wenn das Stroh bis
morgen früh nicht zu Gold gesponnen ist, musst du sterben.“

Allein in dieser Anfangspassage der Geschichte lassen sich komplexe


grammatikalische Strukturen finden, die meist erst auf höheren Sprachniveaus
(B1/B2) – frühestens Ende A2 – angewendet werden können. Einige Beispiele
hierfür sind:

Präteritum war, hatte, begegnete, prahlte, führte, sagte,


(regelmäßig / unregelmäßig) sprach, gab …
Imperativ Bring deine Tochter morgen in mein Schloss.
Passiv (Präteritum) Als nun das Mädchen zu ihm gebracht wurde.
zu + Infinitiv Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold
spinnen.
Temporaler Nebensatz Als er einmal dem König begegnete, …
Konditionalsatz Wenn das Stroh bis morgen früh nicht zu Gold
gesponnen ist, musst du sterben.
Adjektivdeklination Es war einmal ein armer Müller, der hatte eine
schöne Tochter.
Neben der grammatikalisch komplexen Struktur stellt sich vor allem der
Wortschatz als prekär dar. Nomen wie der Müller, das Stroh, das Spinnrad, die
Spule oder die Kammer kommen im täglich gebrauchten Wortschatz nicht häufig
vor und lassen sich auch nicht auf Profile Deutsch26 finden. Dasselbe gilt für Verben
wie spinnen oder prahlen.

26
Profile deutsch beschreibt die Niveaustufen von A1 bis C2 des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens für Sprachen und macht damit Sprachkompetenz messbar.
47
Am Beispiel von Rumpelstilzchen konnte dargestellt werden, dass es nicht
unproblematisch ist, mit Märchen im Fremdsprachenunterricht zu arbeiten und
der/die Lehrende genau überlegen muss, wie und wann er/sie Märchen zum Einsatz
bringt. An dem Beispiel konnte kurz aufgezeigt werden, was bei der Arbeit mit
Märchen zu beachten ist. Vor allem die Arbeit mit Märchentexten aus
Kinderbüchern stellt sich zumeist als problematisch heraus, da diese Textsorte nicht
für den Einsatz im DaF-Unterricht geeignet scheint. In Kapitel 8 (Vorschläge für
Märchendidaktisierungen im DaF-Unterricht) soll diese These auf ihre Richtigkeit
hin überprüft werden.

Der Schwerpunkt beim Einsatz von Märchen im Bereich DaF liegt


traditionellerweise „auf der Erweiterung der sprachlichen Kenntnisse und
Fertigkeiten anhand literarischer Texte“ (Esselborn, 2010, S. 218), soll und kann
aber auch traditionelle Sichtweisen und kulturspezifische Eigenarten
veranschaulichen und wiedergeben. Wenn man die sprachliche und
grammatikalische Komponente beachtet, beziehungsweise sie dem sprachlichen
Niveau der Kursteilnehmer/ Kursteilnehmerinnen anpasst und auch nicht vergisst,
dass Märchen nicht immer kulturell überlappend sind und sich zudem bewusst ist,
dass je nach Kultur Deutschlernende ihren eigenen Zugang zu Märchen haben,
können Märchen gut in den Unterricht integriert werden. Wie dies funktionieren
kann, soll vor allem in Kapitel 8 veranschaulicht werden.

48
5 Märchen im DaF-Unterricht: Untersuchung bereits
didaktisierter Unterrichtsmaterialen

Im vorherigen Kapitel wurde aufgezeigt, dass die Arbeit mit Märchen sehr
bereichernd für den Unterricht sein kann, es jedoch auch besonderer Vorsicht
bedarf, da sich sonst der/die Lernende schnell überfordert fühlt. In diesem Kapitel
sollen bereits didaktisierte Unterrichtsmaterialen zum Thema Märchen untersucht
werden. Auf der einen Seite wird ein Lehrwerk (Achtung Deutsch A2) für das
Niveau A2, auf der anderen Seite Teile des im Internet zugänglichen
Märchenkalenders des Goethe-Instituts (ab Niveau A2/B1) genauer betrachtet.
Vorab ist zu klären, dass dies nicht ein Vergleich zwischen der Didaktisierung von
Achtung Deutsch und dem Goethe-Institut sein soll, sondern die beiden
Didaktisierungen unabhängig voneinander betrachtet werden.

Bei der Betrachtung spielen u. a. die eigenen Erfahrungen27 als Lehrende, die
vorangegangenen Kapitel dieser Forschung, aber auch die Kann-Beschreibungen
nach Profile Deutsch eine gewichtige Rolle.

Definition nach Profile Deutsch:

Wort: das Märchen,- (rezeptiv B1, produktiv B2)

Detaillierte Kann-Beschreibungen:

A2: Kann als Zuhörer/in ein Märchens in groben Zügen verstehen, an


welchem Ort die Geschichte gerade spielt und was passiert.

B1: Kann verschiedene Handlungsstränge in einem Märchen und die


Moral am Schluss des Märchens verstehen.

B2: Kann für ein „Kurs-Märchenbuch“ ein typisches Märchen aus


seiner/ihrer Kultur aufschreiben.

27
Die aus der eigenen Erfahrung abgeleiteten Schlussfolgerungen erheben keinen Anspruch auf
allgemeine Gültigkeit.

49
Achtung Deutsch A2: Kapitel 7 Märchen
In dem Lehrwerk Achtung Deutsch A228 (publiziert im Hochachtungverlag) wird
den Märchen ein ganzes Kapitel gewidmet. In der Lektion 7 sollen das Perfekt
wiederholt werden sowie regelmäßige, unregelmäßige als auch Mischverben des
Präteritums eingeführt werden. Sprachliches Ziel ist es, über Märchen sprechen zu
können, Redemittel für Märchen und Geschichten zu erlernen und selbstständig
Geschichten erzählen zu können. Das Kapitel soll nun auf niveauentsprechenden
Wortschatz und Grammatik untersucht werden.

Wortschatz

Da sich die meisten der für Märchen elementaren Wörter, welche auch auf der
Vokabelliste auf Seite 133 aufgelistet sind, nicht in Profile Deutsch finden lassen,
ist es schwer, die Frage zu beantworten, welcher Wortschatz zum Themenbereich
Märchen auf A2 produktiv und rezeptiv angemessen wäre.

Profile Deutsch
das Märchen, - B1 (rezeptiv) / B2 (produktiv)
der König, -e A2
die Königin, -nen A2
der Prinz, -en Wortfeld Politik und Staatsformen
K. N.*
die Prinzessin, -nen Wortfeld Politik und Staatsformen
K. N.*
der Drache, -n K.N.
der Geist, -er K.N.
der Schatz, ..e K.N.
die Burg, -en A2 (rezeptiv) / B1 (produktiv)
der Zauberwald, ..er der Zauber: K.N.
der Wald: A1
die Nixe, -n K.N.
das fliegende Pferd, -e A2 (rezeptiv) / B1 (produktiv)
die Fee, -n K.N.
der Zwerg, -e K.N.
der Zaubertrank, ..e K.N.
der Bart, ..e A2
beschreiben A2 (rezeptiv) / B1 (produktiv)
verwandeln K.N.

28
Das folgende Kapitel bezieht sich auf die Seiten 120 – 133 von Bauer, Babara (2010) (Hg.):
Achtung Deutsch! Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache. Niveau A2 (Europäischer
Referenzrahmen für Sprachen). Zürich: Hochachtung Verlag GmbH.
50
verzaubern K.N.
belohnen K.N.
verhexen K.N.
erlösen K.N.
schnarchen K.N.
ledig A2
schlau K.N.
böse A2
*K.N.: keine Niveauangabe

Da es keine eindeutige Vorgabe gibt, auf welchem Niveau welche Wörter zum
Einsatz kommen, muss der/die Lehrende eigenständig entscheiden, ob er/sie dieses
Kapitel für adäquat hält und damit arbeiten will. Entscheidet er/sie sich für die
Arbeit mit Märchen, sind im Bereich Wortschatz einige Dinge zu beachten:

Auch wenn nicht eindeutig gesagt werden kann, ob Wörter wie Nixe oder Fee für
den A2-Unterricht passend sind, ist es von elementarer Wichtigkeit, dass der
Wortschatz im Unterricht vor Bearbeitung eines konkreten Märchens erarbeitet
wird, da viele Wörter unbekannt sind und so der Zugang zu einem Märchen
erleichtert wird. Auch Achtung Deutsch A2 führt auf den Seiten 121 – 125 zuerst
den wichtigsten Themenwortschatz ein.

Hilfreich ist die erste Übung der Lektion auf Seite 122, da hier im Rahmen einer
Leseübung die deutschen Titel der Märchen wie Der Froschkönig, Rotkäppchen,
Rapunzel oder Hänsel und Gretel indirekt erarbeitet werden. So kann der/die
Lehrende schnell erkennen, ob die Kursteilnehmer/ Kursteilnehmerinnen mit den
Inhalten der deutschen Märchen vertraut sind.

Abbildung 2: Welche Märchenfigur ist gesucht?

Oft sind Inhalte der deutschen Märchen (zumindest bei Deutschlernenden aus
Europa29) bekannt, werden jedoch nicht am Titel erkannt, da sich die

29
Vergleiche Ergebnisse aus der Befragung unter DaF-Lernenden in Kapitel 6.
51
muttersprachlichen Titel stark von den deutschen unterscheiden30. Beispielsweise
ist der deutsche Titel Aschenputtel31 besser bekannt unter dem englischen
Cinderella. Im Französischen nennt man es Cendrillon, auf Italienisch spricht man
von Cenerentola und im Kroatischen heißt die Protagonistin des KHM 21
Pepeljuga.

Übung 6 auf den Seiten 124 und 125 kann als Beispiel für zumeist positiv
aufgenommene Wortschatzerarbeitung herangezogen werden. Positiv anzumerken
ist hier, dass bei den zu erarbeitenden Substantiven sowohl Artikel als auch
Pluralformen der einzelnen Substantive gebraucht werden.

Abbildung 3: Achtung Deutsch Wortschatz

Unter Zuhilfenahme der Bilder ist es bereits auf der Lernstufe A2 möglich, den
gesuchten Wortschatz auszuarbeiten und funktioniert meistens im Unterricht. Vor
allem bei schwächeren Klassen ist zu empfehlen, die Wörter im Plenum gemeinsam
zu erarbeiten und als Lehrperson aktive Hilfestellung zu leisten und Tipps zu geben
(z.B. Ausschlussverfahren).

Auf Seite 126 findet sich eine didaktisierte Form des Märchens Rotkäppchen.
Vergleicht man es mit dem Text aus dem Kinderbuch Mein großer Märchenschatz
(vgl. Wiencirz, 2012, S. 51 – 55), ist bereits in der Anfangspassage erkennbar, wie

30
Siehe auch Umfrage „Bekanntheit der Grimm’schen Märchen“ auf Seite 71ff.

52
das Märchen für den Deutsch-als-Fremdspracheunterricht durch Verkürzung und
Vereinfachung angepasst wird:

Mein großer Märchenschatz Achtung Deutsch A2

Es war einmal ein hübsches kleines Es war einmal ein kleines Mädchen
Mädchen, das hatte jeder lieb, am namens Rotkäppchen. Es hieß so,
allerliebsten aber hatte es seine weil es immer eine rote Mütze trug.
Großmutter. Einmal schenkte sie
dem Kind eine Kappe aus rotem
Samt. Und weil es darin besonderes
hübsch aussah, wollte es keine
andere Mütze mehr tragen. Da
nannten es alle nur noch
Rotkäppchen.

Eines Tages sagte die Mutter zu ihm: Eines Tages sagte die Mutter zu
„Großmutter ist krank und schwach. Rotkäppchen: „Deine Großmutter ist
Bring ihr ein Stück Kuchen und eine krank und liegt im Bett. Kannst du
Flasche Wein, das wird ihr guttun, ihr bitte einen Kuchen und eine
Aber lauf nicht vom Weg ab, sonst Flasche Wein in ihr Haus bringen?
fällst du noch, und die Flasche Aber bleib immer auf dem Weg und
zerbricht und die kranke Großmutter pass gut auf dich auf!“
hat nichts davon.“

Wiencirz, 2012, S. 51 Bauer, 2010, S. 126

Je nachdem, ob der Inhalt des Märchens bereits bekannt ist oder nicht, sollte man
vorab einige unbekannte Wörter wie Mütze, Jäger, fressen oder schnarchen
erarbeiten. Hat man die wichtigsten unbekannten Wörter geklärt, ist es möglich, mit
diesem Text auf A2 zu arbeiten. Auch die darauffolgende Übung 9 wird zumeist
gut von den Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen gelöst:

53
Abbildung 4: Lesetext vestehen

Da bei Übung 8 ff. der Inhalt des Märchens jedoch nicht primäres Ziel ist, sondern
hier vor allem die grammatikalische Funktion des Präteritums erarbeitet werden
soll, wird in Kapitel 5.1.2 genauer auf die Übungen eingegangen.

Mit Übung 7 auf Seite 126 kann ein Beispiel genannt werden, das weniger gut
funktioniert. Die Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen müssen die richtigen
Wörter finden.

Abbildung 5: Wörter finden

Geht es nach den Kann-Beschreibungen des Europäischen Referenzrahmens,


spricht man bei dem Sprachniveau A2 noch von einem Niveau elementarer
Sprachverwendung. Der/Die Lernende „kann Sätze und häufig gebrauchte
Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz unmittelbarer Bedeutung
zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie, Einkaufen,
Arbeit, nähere Umgebung)“ (online: GER, 2015). Wörter wie verwandeln, befreien
oder verzaubern können nicht zu diesem elementaren Wortschatz gezählt werden.
Aus diesem Grund ist diese Aufgabe für Lernende auf A2 fast unmöglich zu lösen
und sollte frühestens auf B1 zum Einsatz kommen, wenn die Kursteilnehmer und

54
Kursteilnehmerinnen bereits in der Lage sind, sprachlich selbstständiger zu
arbeiten.

Zu einer ähnlichen Überforderung kann es bei Übung 18 (S. 132) kommen.


Aufgabe ist es hier, auf Probleme einzelner Märchenfiguren einzugehen und
Lösungen zu finden, welche in der vorangegangenen Übung 17 thematisiert
werden, wie beispielsweise die des Zwergs Zacharias:

Abbildung 6: Probleme der Märchenfiguren

In Übung 18 sollen die DaF-Lernenden auf A2 Zacharias nun helfen:

Abbildung 7: Probleme lösen

Diese Übung kann aus mehreren Gründen oftmals nicht funktionieren. Wie bereits
in vorangegangen Kapiteln mehrmals erwähnt, ist es bei der Arbeit mit Texten im
DaF-Unterricht auch immer von großer Wichtigkeit, auf kulturelle Unterschiede
einzugehen und zu bedenken, dass Texte unterschiedlich verstanden werden
können. Passagen wie „Alle lachen mich aus, weil ich so groß wie ein Hobbit bin“
oder „Ich sehe aus wie Leonardo di Caprio und nicht wie ZZ Top“ könnten sich als
problematisch erweisen, da nicht angenommen werden kann, dass Tolkiens Hobbit
oder Prominente wie Di Caprio oder ZZ Top weltweit bekannt sind. Des Weiteren
ist zu bemerken, dass die Anforderung „kurze Begründungen oder Erklärungen“
(online, GER 2015) zu geben, erst in den Kann-Beschreibungen auf B1 vorkommt.
Ratschläge geben zu müssen, könnte viele A2 Lernende sprachlich, als auch

55
grammatikalisch überfordern (vor allem, da das Thema rund um den Konjunktiv 2,
wie Ratschläge zu geben, erst in Lektion 10 dieses Buches eingeführt wird).

Grammatik

Kapitel 7 in Achtung Deutsch soll vorrangig dazu dienen, die Deutschlernenden mit
der Vergangenheitsform des Präteritums bekannt zu machen.32 Dies soll
vorwiegend über den didaktisierten Text Rotkäppchen geschehen.

Da das Präteritum von haben, sein und den Modalverben bereits bekannt ist,
gestaltet sich die Übung als lösbar und die Kursteilnehmer und
Kursteilnehmerinnen haben die Möglichkeit, sich langsam mit dem
Grammatikphänomen des Präteritums auseinanderzusetzen. Auch der zur
Wiederholung dienende Überblick auf Seite 127 des Präteritums von haben und
sein wird zumeist gut aufgenommen. Da aber bereits auf der Folgeseite das bisher
unbekannte Präteritum der regelmäßigen, unregelmäßigen Verben und
Mischverben unmittelbar nacheinander bearbeitet wird, fühlen sich viele
Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen schnell überfordert. Dieser schnelle
Übergang von regelmäßigen zu unregelmäßigen Verben könnte besser für den
frühen B1-Unterricht geeignet sein, da auf diesem Niveau zumeist einige Formen
des regelmäßigen Präteritums bekannt sind. Wenn man unregelmäßige Wörter auf
A2 einführen will, sollte man sich auf häufig vorkommende wie kommen, essen
oder heißen beschränken und auf (wie in Übung 14 ff. verwendete Wörter)
verbrennen, verbinden und frieren verzichten (siehe Abbildung 8).

32
Anmerkung: Das Präteritum von „haben“ und „sein“, so wie das Präteritum der Modalverben
wurde bereits in Kapitel 1 (Seite 10 – 25) erarbeitet.
56
Abbildung 8: Gegensätze finden, Präteritum bilden

Des Weiteren wird bei der Übung 5 „Eine Märchenfigur beschreiben“ auf Seite 124
die Bekanntheit von Adjektivdeklination vorausgesetzt. Diese wird – zumindest in
Achtung Deutsch A2 – erst zwei Kapitel später, in Kapitel 9 eingeführt, wodurch
sich das Lösen dieser Aufgabe schwierig gestalten könnte.

Abbildung 9: Eine Märchenfigur beschreiben

Conclusio

Obwohl die gewünschten Lernziele erreicht werden können, gibt es einige Punkte,
die hier erwähnt werden sollen:

Zusammenfassend ist zu sagen, dass es sowohl auf Wortschatz- als auch


Grammatikebene einige Übungen gibt, die bereits auf A2 erarbeitet werden können.
Viele der Übungen sind jedoch für den Unterricht auf A2 nicht geeignet, da sowohl
der Wortschatz, als auch die grammatikalischen Kompetenzen
(Adjektivdeklination, Konjunktiv 2, unregelmäßige Formen des Präteritums) zu
diesem Zeitpunkt bei einigen DaF-Lernenden noch nicht vorhanden sind. Viele der
gewählten Beispiele lassen sich jedoch hervorragend in den B1-Unterricht

57
eingliedern und dienen nicht nur als gute Wiederholung und Festigung der bereits
erwähnten grammatikalischen Funktionen, sondern auch als gute Basis kulturell
interessanter Diskussion. So könnten beispielsweise Fragen wie von Übung 4 (Seite
124) „Glauben Sie, dass Märchen für Kinder gut sind? Nennen sie Gründe dafür
und dagegen.“ von großem Nutzen sein und die Sprachkompetenz auf B1 fördern
und festigen.

Des Weitern können Lernende auf A2 als Zuhörer/Zuhörerin nach Profile Deutsch
ein Märchen in groben Zügen verstehen, erkennen, an welchem Ort die Geschichte
gerade spielt und was passiert, müssen jedoch nicht in der Lage sein, eigenständig
ein Märchen zu produzieren. Das wird jedoch in Übung 19 (Seite 132) gefordert:

Abbildung: 10 Ein Märchen schreiben

Diese Übung eignet sich als gute Schreibübung – jedoch auch erst ab B1.

Auf A2 können viele der erforderlichen sprachlichen und grammatikalischen


Kompetenzen von den Kursteilnehmern und Kursteilnehmerinnen noch nicht
vorausgesetzt werden. Die Auseinandersetzung mit Kapitel 7 von Achtung Deutsch
A2 hat ergeben, dass durchaus interessante und gute Übungen geboten werden,
jedoch besser im (frühen) B1-Unterricht zum Einsatz kommen sollten, damit die
Deutschlernenden nicht überfordert werden und die Übungen auch gut erarbeitet
und gelöst werden können.

58
Märchenhaft 2012
200 Jahre nach der ersten Publikation der Kinder- und Hausmärchen veröffentlichte
das Goethe-Institut im Jubiläumsjahr 2012 einen Kalender mit zwölf Grimm-
Märchen in einer neuen Bearbeitung (vgl. online: Lundquist-Mog, 2012, S. 5).
Jeder Monat ist einem Märchen gewidmet, wobei alle Märchentexte gekürzt,
bearbeitet und den heute gültigen Rechtschreibregeln angepasst wurden (vgl.
online, ebd., S. 4). Den Märchenkalender sowie eine Vielzahl an allgemeinen
Informationen und interaktiver Spiele und Übungen zu den Grimm’schen Märchen
findet man online unter der eigens vom Goethe-Institut gestalteten Webseite
Märchen: http://www.goethe.de/lrn/prj/mlg/deindex.htm.

Der Märchenkalender setzt sich wie folgend zusammen:

Monat Märchen Vorgeschlagene


Zielgruppe
Januar/Jänner Frau Holle ab Sek II***./
Erwachsene ab B1
Februar/Feber Der Froschkönig Primar* ab Klasse 4/
Sek. I ab A2
März Aschenputtel ab Sek. I**ab A2
April Sterntaler Vor- und Grundschule
(5-8 Jahre) ab A1
Mai Dornröschen ab Sek. I ab A2/B1
(einzelne Aufgaben und
Stationen schon ab
Primar A1, z.B. Aufgabe
2, Station 1 und 2)
Juni Rotkäppchen Sek. I ab A2
Juli Rapunzel Primar 4. Schuljahr/Sek.
I ab A1/A2
August Tischchen deck dich, ab Sek. I, ab A2/B1
Goldesel und Knüppel
aus dem Sack
September Schneewittchen alle Zielgruppen (außer
Vor- und Primarschule)
Oktober Rumpelstilzchen ab Primar (ca. 10 Jahre),
ab A2
November Die Bremer Sek. I/Sek. II ab A2/B1
Stadtmusikanten
Dezember Hänsel und Gretel Sek. II/Erwachsene ab
B1
In Österreich: *Volksschule (Schulstufe 1-4); **Unterstufe, Neue Mittelschule (Schulstufen 5-8); *** Oberstufe AHS, BMS,
BHS (Schulstufe 9-12 beziehungsweise 13)

59
Unterrichtsvorschläge rund um das Thema Märchen

Ebenfalls auf der Webseite befindet sich eine vorgeschlagene Didaktisierung der
zwölf Märchen. In Märchenhaft. Ein Kalender – viele Möglichkeiten und
Unterrichtsvorschläge rund um das Thema Märchen werden auf 126 Seiten
Didaktisierungsmöglichkeiten zu den im Kalender verwendeten Märchen gegeben:
„Die Didaktisierung zum Märchenkalender enthält Übungen für
Lerner/Lernerinnen aller Sprachniveaus im DaF-Unterricht von der Vorschule bis
zum Erwachsenenunterricht und kann auch unabhängig vom Kalender eingesetzt
werden“ (online: Goethe-Institut (b), 2015). Neben Methoden der Didaktisierung
für den Kalender Märchenhaft 2012 (Teil 1, S. 7 – 23), werden ebenfalls
Kopiervorlagen, Quartettkarten und Wort-Bild-Karten zu den Märchen (Teil 2, S.
24 – 33) und Unterrichtsvorschläge sowie Arbeitsblätter zu den 12 Märchentexten
aus dem Kalender (Teil 3, S. 34 – 92) geboten (vgl. ebd., S. 3).

Abbildung 11: Beispiel für Quartettkarten.

Es wird betont, dass es wichtig ist, die Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen


langsam in die Märchenwelt einzuführen, bevor genauer auf einzelnen Märchen
eingegangen wird. Als Vorentlastung wird beispielsweise die Arbeit mit Bildern
empfohlen (online: Lundquist-Mog, 2012, S. 8) und die Erarbeitung des
Wortschatzes durch Wort-Bild-Karten (siehe Abbildung 12).

60
Abbildung 12: Beispiel für Wort-Bild-Karte

Problematisch erweist sich hier, dass mehrmals erwähnt wird, mit den
Kalenderbildern zu arbeiten – diese sind jedoch nicht online zugänglich,
beziehungsweise nicht in ausreichender Qualität vorhanden.

In den Didaktisierungsvorschlägen wird nicht explizit auf Übungen zur Grammatik


eingegangen, da diese hier eine untergeordnete Funktion haben. Im Vordergrund
stehen das produktive Sprechen und kreative Schreiben. Der Sprech- und
Schreibanlass bestimmt, welche Grammatikthemen in den Unterricht eingebaut
werden können (vgl. online, ebd., S. 6).

Frau Holle – ein Beispiel

Da das erste Beispiel aus diesem Kapitel (vgl. 5.1 Achtung Deutsch) sich an
erwachsene Lernende richtet, soll nun auch in diesem Fall ein Beispiel betrachtet
werden, welches ein erwachsenes Lern-/Zielpublikum haben kann. Aus diesem
Grund wird das Märchen Frau Holle (vgl. Lundquist-Mog, 2012, S. 34 – 38) für
den Kalendermonat Januar für eine genauere Untersuchung herangezogen. Wie
auch in Kapitel 5.1 werden hier nur Ausschnitte und nicht die gesamte
Didaktisierung aufgezeigt.

Die klar definierten Lernziele sind: Lese- und Hörstrategien anwenden, eine
Geschichte erzählen, Wortschatzerweiterung (Charaktereigenschaften),
produktives Sprechen (Rollenspiele), kreatives Schreiben, welches in 3 – 4
Unterrichtseinheiten zu je 50 Minuten erarbeitet werden soll. Acht vorgeschlagene
Übungen sollen dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen (vgl. online, Lundquist-Mog,
2012, S. 34).

61
Zu Beginn wird – wie auch bei Achtung Deutsch – das Hauptaugenmerk auf die
Erarbeitung des Wortschatzes gerichtet (Aufgabe 2), was nicht nur auf einem
Niveau A2, sondern auch auf B1 (und höher) unabdingbar ist. Die Erarbeitung
erfolgt durch Wort-Bild-Karten, welche vorab in Gruppen zugeordnet werden
sollen und danach spielerisch mit Memory gefestigt werden (vgl. online, ebd. S.
35).

Abbildung 13: Beispiel für Wort-Bild-Karte Frau Holle

Ist der Wortschatz erworben, haben Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen die


Möglichkeit, den Inhalt des Märchens selbstständig zu erarbeiten (Aufgabe 3). Ist
dieser einigen schon bekannt, so sollen sie den anderen Kursteilnehmern und
Kursteilnehmerinnen, welchen das Märchen unbekannt ist, das Märchen
wiedergeben. Als Hilfestellung können hier die Quartettkarten herangezogen
werden.

Abbildung 14: Quartett Frau Holle

Da es laut den Kann-Beschreibungen des Europäischen Referenzrahmens auf B1


möglich sein sollte, sich zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche
Interessengebiete zu äußern (vgl. GER, 2015), ist diese Aufgabe bereits auf B1
möglich. Diese Annahme kann auch durch die Definition nach Profile Deutsch
bestätigt werden, da Lernende, die sich auf dem Sprachniveau B1 befinden,

62
verschiedene Handlungsstränge in einem Märchen und die Moral am Schluss des
Märchens verstehen können sollten. Zu beachten ist jedoch, dass es sich um eine
bereits fortgeschrittene B1-Klasse handeln sollte, da ein größerer Wortschatz für
das Erzählen einer Geschichte erforderlich ist. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass
Frau Holle international gesehen zu einem der unbekannteren Märchen zählt (vgl.
Ergebnisse aus der empirischen Untersuchung über Bekanntheit von Märchen in
Kapitel 6). Man darf deshalb nicht vorrausetzen, dass der Inhalt bekannt ist und
muss dies in der Arbeit berücksichtigen.

Wenn der für das Märchen essentielle Wortschatz wie Spule, Brunnen, Ofen, Baum,
Tor, Kissen/Polster, Pech oder Glück geklärt ist, ist es möglich, das Märchen zu
verstehen.

Nach Erarbeitung des Inhaltes soll das Originalmärchen der Brüder Grimm gelesen
werden (Aufgabe 4). „Die Abschnitte sind jedoch in den Brunnen gefallen und jetzt
in falscher Reihenfolge“ und die Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen sollen
sie ordnen, um ein Lösungswort (Frau Holle) zu erhalten (Online: Lundquist-Mog,
2012, S. 35). Mehrere Versuche33 das Märchen vor der Erarbeitung des Inhaltes zu
lesen sind gescheitert, da der Inhalt zu komplex ist und zu viele Wörter nicht
bekannt sind. Aber auch wenn der Inhalt des Märchens vorab erarbeitet wird, ist es
auf niedrigem B1-Niveau schwer, diese Aufgabe zu lösen, da der Text im Hinblick
auf Grammatik und Wortschatz zu komplex scheint (siehe Abbildung 15).

33
Im Rahmen des dreiwöchigen Märchenworkshops im Sommer 2015 an der Alpen-Adria-
Universität Klagenfurt (genauere Informationen siehe auch Seite 86) konnte dies überprüft werden.
63
Abbildung 15: Textpuzzle Frau Holle

Wenn man den Text mit dem des Kinderbuches Mein großer Märchenschatz
(Wiencirz, 2012, S. 85 – 88) vergleicht, kann – im Gegensatz zu der Didaktisierung
im Lehrwerk Achtung Deutsch A2 – festgestellt werden, dass sich nur noch geringe
Abweichungen erkennen lassen:

Mein großer Märchenschatz Märchenkalender (Goethe) Absatz E

Frau Holle führte sie auch hinaus zu Die Frau Holle führte sich auch zu
dem großen Tor, aber als sie dem Tor, als sie aber darunter stand,
hindurchschritt, ward statt des Goldes wurde statt des Goldes ein großer
ein großer Kessel voll Pech über ihr Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das
ausgeschüttet. „Das ist die Belohnung ist zur Belohnung deiner Dienste“,
für deine Dienste“, sagte Frau Holle sagte die Frau Holle und schloss das
und schloss das Tor hinter ihr zu. Tor zu.

So kam die Faule heim, ganz mit Da kam die Faule heim, aber sie war
Pech bedeckt, und der Hahn auf dem ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn
Brunnen schrie, als er sie sah: auf dem Brunnen, als er sie sah, rief:
Kikeriki, Kikeriki, unsere faule „Kikeriki, unsere schmutzige
Jungfrau ist wieder hie!“ Jungfrau ist wieder hie.“

Das Pech blieb an ihr hängen und Das Pech aber blieb fest an ihr hängen
sollte ihr Leben lang kleben bleiben. und wollte, so lange sie lebte nicht
abgehen.

Wiencirz, 2012, S. 88 Lundquist-Mog, 2012, S. 35

64
Minimale Vereinfachungen wie das Ersetzen veralteter Formen (beispielsweise
hindurchschreiten durch unter dem Tor stehen oder ward statt des Goldes durch
wurde statt des Goldes) soll das Lesen des Textes erleichtern. Vergleicht man beide
Versionen mit der Version der Brüder Grimm (Grimm, 1957, S. 105), so hält sich
die Version des Goethe-Instituts sogar stärker an das Original. Mehr Abweichungen
lassen sich bei der Überarbeitung für das Kinderbuch finden (z.B. kleben statt
abgehen). Als Grund dafür könnte das Anliegen des Goethe-Instituts sein, „die
narrative Struktur und spezifische Literarizität der Märchen zu wahren“ (online:
Lundquist-Mog, 2012, S. 5). Die Frage, welche der beiden Varianten besser für den
DaF-Unterricht auf B1 geeignet ist, kann hier nicht beantwortet werden.

Die Aufgaben 5 – 8 setzen auf einen kommunikativ-kreativen Schwerpunkt. Nach


Erarbeitung der Charakteristika der Protagonistinnen (Aufgabe 5), sollen
Sprechaufgaben wie „So geht´s weiter“ (Aufgabe 6), „beim Psychologen/bei der
Psychologin“ (Aufgabe 7) und eine szenische Darstellung des Alltages ein Jahr
nach den Ereignissen erarbeitet werden. Alle drei Aufgaben sind nach denn Kann-
Beschreibung des GER zu lösen. Auch die grammatikalischen Voraussetzungen
(z.B. Adjektivdeklination, Futur, Konjunktiv 2) sind auf diesem Niveau bereits
erworben und können mit den vorgeschlagenen Übungen gefestigt werden.
Vorsicht ist allerdings auch hier wieder bei verschiedener kultureller Herkunft
geboten: Welche Bedeutung hat beispielsweise ein Psychologe/eine Psychologin in
Nigeria? Wie sieht ein Alltag in China aus? Wie handhaben die einzelnen Kulturen
zweite Chancen? Dies sind nur einige wenige der Fragen, mit denen man sich bei
der Arbeit mit diesem Didaktisierungsvorschlag auseinandersetzen muss.

Conclusio

Es ist möglich, die gewünschten Lernziele zu erreichen. Nach den Kann-


Beschreibungen des GER sind die vorgeschlagenen und didaktisierten Aufgaben
ebenfalls erfüllbar und eignen sich zumeist gut, um bereits vorhandene
grammatikalische (z.B. Konjunktiv 2, Adjektivdeklination) und sprachliche
Kompetenzen (z.B. Sprechen über Charakteristika) zu festigen. Auch D-A-CH
Varianten (Bsp.: Kissen oder Polster) könnten in den Unterricht eingebaut werden.

65
Was jedoch bei der Arbeit im Unterricht zu beachten ist, ist die internationale
Bekanntheit des Märchens. Geht es nach der empirischen Erhebung aus Kapitel 6
gehört Frau Holle zu einem der unbekannteren Märchen der Brüder Grimm. Dies
sollte bei der Didaktisierung berücksichtigt werden, da man nicht annehmen kann,
dass der Inhalt des Märchens bekannt ist. Die Arbeit mit Bildern beziehungsweise
Bildergeschichten (wie auch vom Goethe-Institut vorgeschlagen) erweist sich hier
als hilfreich. Ist das Märchen jedoch gänzlich unbekannt, könnten die
Informationen, welche auf den Bildern des Quartetts zu finden sind, nicht
ausreichen. Es bietet sich an, umfangreichere Bildgeschichten des Märchens zu
wählen, wie beispielsweise Abbildung 16.

Abbildung 16: Bildgeschichte Frau Holle

Des Weiteren sollte die (hier doppelte) Bedeutung von „Pech“ ebenfalls geklärt
werden und nicht als bereits vorhandenes Wissen vorausgesetzt werden. Das Wort
Pech selbst sollte, nach Profile Deutsch, rezeptiv ab B1gebraucht werden können.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Beispiel der Didaktisierung des Märchens
Frau Holle aufzeigt, dass man ab dem Niveau B1 bereits gut mit Märchen im DaF-
Unterricht arbeiten kann.

66
6 Erkenntnisse aus der empirischen Erhebung über die
Bekanntheit von Märchen unter DaF-Lernenden

Obwohl die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm zu einem der
meistübersetzten Werke deutschsprachiger Literatur zählen, kann nicht
angenommen werden, dass die meisten Märchen über die Grenzen des
deutschsprachigen Raums hinaus bekannt sind. Im Rahmen dieser empirischen
Studie soll nun der Bekanntheitsgrad von 25 Märchen der Brüder Grimm untersucht
werden. Dieses Kapitel liefert eine deskriptive Beschreibung der Ergebnisse.

Sowohl die Ergebnisse dieses Kapitels, als auch die Resultate des folgenden
Kapitels (Wie arbeiten DaF-Lehrende mit Märchen? Ergebnisse einer qualitativen
Umfrage.), bilden die Grundlage einer eigenständigen Didaktisierung von Märchen
(siehe Kapitel 8).

Eckdaten
Im Zeitraum von Juli bis Oktober 2015 wurden insgesamt 81 Kursteilnehmer und
Kursteilnehmerinnen befragt. Knapp die Hälfte der Befragten (49,4 %) nahm an
einem dreiwöchigen Sommerintensivkurs des Sprachenzentrums Deutsch in
Österreich an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt teil. Bei den anderen 50,6 %
handelt es sich um Studierende des ULG DaF (Universitätslehrgang Deutsch als
Fremdsprache der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt)34 des Wintersemesters
2015/2016. Alle 81 Befragten besuchten zum Zeitpunkt der Befragung Kurse auf
dem Niveau B1.

Die Durchführung der Befragung erfolgte schriftlich mit Hilfe eines Fragebogens.
Je nach Bekanntheit des Märchens gab es die Möglichkeit, zwischen „kenne ich
gut“, „ich kenne den Titel“ oder „ich kenne den Titel nicht“ zu wählen. Mit Hilfe
von Bildern und Erklärungen der/des Lehrenden wurden die zumeist unbekannten
deutschen Titel der Märchen vorab erklärt und gegebenenfalls übersetzt (siehe

34
Genauere Informationen zu den Kursen findet man auf der Webseite des Sprachenzentrums
Deutsch in Österreich: http://dia.aau.at
67
Anhang). Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen hatten 10 bis 15 Minuten Zeit, den
Fragebogen auszufüllen.

Die Befragung war anonym. Einzig zu Alter und Herkunft wurden Informationen
gesammelt, da diese für eine differenzierte Analyse des Ergebnisses erforderlich
waren.

Herkunft und Alter der Befragten

Insgesamt stammten die Befragten aus 30 Nationen (5 ohne Meldung). Die


Auswertung ergab somit ein sehr heterogenes Feld bezüglich der Herkunftsländer.
Ausnahmen mit einem Anteil über 10% sind Italien (19,8 %) und Bosnien und
Herzegowina (12,3 %).

Zur Veranschaulichung wurden die Herkunftsländer den Kontinenten35 zugeordnet,


was folgendes Ergebnis brachte:

Abbildung 17: Herkunft der Teilnehmer und Teilnehmerinnen

35
Bei Ländern wie Russland oder der Türkei, welche sich jeweils auf zwei Kontinenten befinden,
wurde die Zuordnung nach flächenmäßiger Größe auf den Kontinenten bestimmt. Aus diesem Grund
werden die Antworten der russischen und türkischen Befragten zu Asien gezählt.
68
Tabelle 1: Einteilung nach Kontinenten

Die Darstellung zeigt, dass Deutschlernende aus europäischen Ländern den größten
Teil des Zielpublikums bei Deutsch in Österreich ausmachen.

74 von 81 Befragten haben Angaben zu ihrem Alter gemacht – daraus lässt sich ein
Durchschnittsalter von ca. 28 Jahren ableiten (Standardabweichung 9,1 Jahre). Bei
Bildung von vier Altersklassen (Teenager bis 20 Jahre, junge Erwachsene von 21
bis 25 Jahren, Erwachsene von 26 bis 35 Jahren und ältere Erwachsene ab 36
Jahren) ergibt sich folgende Verteilung:

Tabelle 2: Einteilung der Altersklassen

Ergebnis: Bekanntheit der Märchen


Die Bekanntheit der 25 Märchen wurde nach folgendem Bewertungsschema
analysiert:

0 = kenne ich nicht


1 = kenne ich den Titel
2 = kenne ich gut

Auf Basis dieser Definition ergibt sich folgende Auswertung der Fragebögen:

69
Tabelle 3: Bekanntheit der Märchen nach eigenem Bewertungsschema

Die Spalte „Mittelwert“ gibt den Bekanntheitsgrad der Märchen bei den Befragten
wieder. Der höchstmögliche Wert von 2 würde bedeuten, dass alle Befragten das
Märchen mit „kenne ich gut“ bewertet haben. Es zeigt sich, dass keines der
angeführten Märchen bei allen Befragten bekannt war. Die fünf bekanntesten
Märchen sind Rotkäppchen, Schneewittchen, Aschenputtel, Rapunzel und Hänsel
und Gretel. Ein Grund für die Popularität dieser Märchen könnte sein, dass diese
allesamt in Hollywood für verschiedene Filmadaptionen herangezogen wurden.
Der Großteil der Befragten stammt aus Europa, wo Hollywoodverfilmungen einen
großen Stellenwert in der Medienlandschaft haben. Namhafte Verfilmungen sind
beispielsweise Red Riding Hood – Unter dem Wolfsmond (2011, Adaption des
Rotkäppchen-Motives), Hänsel und Gretel – die Hexenjäger (2013) sowie die

70
Disney-Verfilmungen Schneewittchen (1938), Cinderella (1950) und Rapunzel –
Neu verföhnt (2010).36

Aus dem Ergebnis lässt sich ableiten, dass der Inhalt dieser fünf Märchen im DaF-
Unterricht zumeist bekannt ist und deshalb oftmals nicht neu erarbeitet werden
muss. Im Gegensatz dazu kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhalt
der Märchen Der süße Brei, Jorinde und Joringel oder Die Sterntaler den DaF-
Lernenden bekannt ist. Dies sollte bei der Didaktisierung von Märchen beachtet
werden, da sie dementsprechend aufbereitet werden müssen.

Prüfung möglicher Determinanten für den Bekanntheitsgrad

In der weiteren Folge soll nun geprüft werden, ob es einen Zusammenhang


zwischen der Bekanntheit der Märchen und der Herkunftsregion (Abschnitt 6.2.2)
einerseits und der Altersgruppe (Abschnitt 6.2.3) andererseits gibt. Untersucht
werden ein – laut der Ergebnisse der Befragung – sehr bekanntes und mäßig
bekanntes Märchen. Eine weitere Analyse der unbekannten Märchen
(Bekanntheitsgrad-Mittelwert unter 0,5) wird im Rahmen dieser Untersuchung
nicht durchgeführt. Schneewittchen dient als Beispiel für ein bekanntes Märchen
(Bekanntheitsgrad-Mittelwert 1,66); Schneeweißchen und Rosenrot
(Bekanntheitsgrad-Mittelwert 0,67) soll als Beispiel für ein mäßig bekanntes
Märchen herangezogen werden.

Zusammenhang: Bekanntheit und Herkunft

Es soll überprüft werden, ob zwischen Bekanntheit eines Märchens und der


Herkunftsregion der Befragten ein nicht nur zufälliger Zusammenhang besteht.
Dazu wird der Chi-Quadrat-Test nach Spearman verwendet. Das Ergebnis des Tests
wird durch den Signifikanzwert ausgedrückt. Üblicherweise wird ein
Signifikanzniveau von 5% herangezogen. Das heißt, dass bei einem Wert < 0,05
von einem signifikanten Zusammenhang gesprochen werden kann. Dies bedeutet
im vorliegenden Fall, dass mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von weniger als fünf

36
Erscheinungsjahr und Filminformationen unter www.imbd.com.
71
Prozent eine Abhängigkeit zwischen der Bekanntheit eines Märchens und der
Herkunft der Befragten besteht.

Dem Test soll folgende Nullhypothese zugrunde liegen: „Es gibt keinen
Zusammenhang zwischen der Herkunftsregion (Kontinent) und der Bekanntheit des
Märchens.“ Das heißt, die Bekanntheit der Märchen und die Herkunftsregion der
Befragten sind voneinander stochastisch unabhängig.

Als erstes wird die Bekanntheit des Märchens Schneewittchen analysiert.

Tabelle 4: Chi-Quadrat-Test: Bekanntheit und Herkunft bei Schneewittchen

Die Prüfung ergibt eine deutliche Signifikanz von 0,000 - daher ist die
Nullhypothese zu verwerfen und es kann ein Zusammenhang zwischen Bekanntheit
und Herkunft angenommen werden. Aus der Kreuztabelle (siehe Tabelle 4) wird
sichtbar, dass den aus Afrika stammenden Befragten das Märchen gänzlich

72
unbekannt war. Alle vier afrikanischen Befragten gaben an, es nicht zu kennen
(Kategorie 0 im Bewertungsschema, vgl. Abschnitt 6.2), während alle Befragten
aus Nord- und Südamerika Schneewittchen (gut) kannten. Auch in Asien und
Europa ist Schneewittchen den meisten DaF-Lernenden bekannt (49 von 52
Befragten kannten zumindest den Titel). Dies zeigt, dass nicht angenommen
werden darf, dass ein scheinbar weltweit populäres Märchen Lernenden aus allen
Kontinenten bekannt ist.

Die gleiche Überprüfung wird für das Märchen Schneeweißchen und Rosenrot
durchgeführt.

Tabelle 5: Chi-Quadrat-Test: Bekanntheit und Herkunft bei Schneeweißchen und Rosenrot

In diesem Fall ergibt die Prüfung mit dem Chi-Quadrat-Test eine Signifikanz von
0,239. Bei einem Signifikanzniveau > 0,05 ist die Nullhypothese beizubehalten.
Daher gilt: Es kann kein Zusammenhang zwischen der Herkunftsregion und der
Bekanntheit des Märchens Schneeweißchen und Rosenrot angenommen werden.

73
Im DaF-Unterricht muss beachtet werden, dass der Inhalt eines mäßig bekannten
Märchens neu erarbeitet werden muss und die Kenntnis des Inhalts nicht
vorausgesetzt werden darf – egal, von welchem Kontinent die DaF-Lernenden
stammen.

Zusammenhang: Bekanntheit und Alter

Im zweiten Schritt wird überprüft, ob eine Abhängigkeit der Bekanntheit vom Alter
vorliegt.

Tabelle 6: Chi-Quadrat-Test: Bekanntheit und Alter bei Schneewittchen

74
Tabelle 7: Chi-Quadrat-Test: Bekanntheit und Alter bei Schneeweißchen und Rosenrot

Sowohl für Schneewittchen als auch für Schneeweißchen und Rosenrot gilt, dass
beim Chi-Quadrat-Test das Signifikanzniveau von 0,05 deutlich überschritten wird.
Das bedeutet, dass in keinem der beiden Fälle ein Zusammenhang zwischen
Bekanntheit und Alter gegeben ist.

Conclusio
Zusammenfassend ist zu bemerken, dass man bei der Bekanntheit von Märchen im
DaF-Unterricht stark differenzieren muss, (a) welches Märchen herangezogen wird
und (b) aus welchem Land, beziehungsweise von welchem Kontinent die
Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen stammen. Das Alter scheint bei der
Bekanntheit der Märchen keine Rolle zu spielen. 9 von 25 Märchen hatten im
Bewertungsschema einen Mittelwert >1, woraus man schließen kann, dass die
meisten der Grimm’schen Märchen den DaF-Lernenden kaum bekannt sind.

Es kann angenommen werden, dass Märchen wie Schneewittchen oder


Aschenputtel, welche beispielsweise als Vorlage für etliche Hollywood Adaptionen
dienten, in vielen Ländern Europas, Süd- und Nordamerikas und Asiens bekannt
sind. In Afrika sind die meisten Märchen nicht bekannt. Betrachtet man mäßig
bekannte Märchen (Mittelwert unter 1) wie Schneeweißchen und Rosenrot, so kann

75
gezeigt werden, dass der Zusammenhang zwischen Herkunftsland und Bekanntheit
des Märchens nur sehr schwach ist.

Das Ergebnis lässt darauf schließen, dass man je nach Märchen und Herkunft der
Kursteilnehmer und Kursteilnehmerinnen unterschiedlich mit Märchen arbeiten
muss. Wie dies vonstattengehen kann, soll in Kapitel 8 erläutert werden, in
welchem Didaktisierungsvorschläge und Erfahrungsberichte zu den empirisch
untersuchten Märchen Schneewittchen und Schneeweißchen und Rosenrot geliefert
werden. Zuerst soll jedoch im folgenden Kapitel geklärt werden, wie bekannt
Märchen unter DaF-Lehrenden sind und wie sie von den Befragten im Unterricht
eingesetzt werden.

76
7 Wie arbeiten DaF-Lehrende mit Märchen? Ergebnisse
einer qualitativen Umfrage.

Im Rahmen der Online-Umfrage Märchen im DaF-Unterricht37 sollten folgende


Fragen geklärt werden: Wie bekannt sind Grimm’sche Märchen unter DaF-
Lehrenden und lassen sich Parallelen zu der Bekanntheit von Märchen unter DaF-
Lernenden feststellen? Wie können Märchen laut Ihrer Meinung den Unterricht
unterstützen? Wie würden Sie auf der Niveaustufe B1 mit Märchen arbeiten?
Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Arbeit mit Märchen?

Ausgewertet wurden die zumeist offenen Fragen unter Zuhilfenahme der


qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring/Brunner, 2009, S. 669 – 680).

Eckdaten
Die Online-Umfrage wurde im Mai 2015 unter Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen
des Sprachenzentrums Deutsch in Österreich, des Universitätslehrgang „Deutsch
als Fremd- und Zweitsprache“ an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und des
ÖSD Klagenfurt durchgeführt. Insgesamt nahmen 12 DaF-Lehrende an der
qualitativen Forschung teil. Der überwiegend weibliche Anteil lag bei 75 %. Die
Befragten waren im Alter zwischen 24 und 60 Jahren. Der Mittelwert ergab ein
Alter von knapp 40 Jahren. Durchschnittlich arbeiteten die Befragten seit 15 Jahren
im DaF-Bereich.

Bekanntheit und Bedeutung von Märchen bei Lehrenden im


DaF-Unterricht
Zur Bestimmung der Bekanntheit wurde den Teilnehmern und Teilnehmerinnen der
Umfrage zunächst die nicht gelenkte Frage „Welche deutschsprachigen Märchen
fallen Ihnen spontan ein?“ gestellt. Dabei ergab sich die in Abbildung 18
dargestellte Häufigkeitsverteilung. Jene Märchen, die nicht Teil der Untersuchung
bei den Lernenden (siehe Kapitel 6) waren, sind hellblau dargestellt.

37
Durchgeführt mit dem Umfrage Tool (google Formulare) auf google drive.
77
Abbildung 18: Bekanntheit der Märchen bei DaF-Lehrenden (nicht gelenkt)

Als nächstes wurde die Bekanntheit der 25 Märchen aus der Untersuchung bei den
DaF-Lernenden (vgl. Kapitel 6) durch eine gelenkte Befragung erhoben. Die
Befragten mussten in einer Multiple-Choice-Befragung bewerten, wie vertraut sie
mit dem Inhalt einzelner Märchen sind oder ob sie diesen überhaupt nicht kennen.
Nur 9 der vorgegebenen 25 Märchen wurden von allen 12 Befragten mit „kenne ich
vom Inhalt her“ oder „kann ich auch nacherzählen“ eingeschätzt. Dies waren
Rapunzel, Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel, Aschenputtel, Schneeweißchen und
Rosenrot, Schneewittchen, Dornröschen, Der Froschkönig und Der Wolf und die
sieben Geißlein.

Zieht man die Ergebnisse beider Fragen (gelenkt und nicht gelenkt) heran, ergibt
sich folgendes Bild:

78
Abbildung 19: Bekanntheit der Märchen bei DaF-Lehrenden (Summe aus gelenkter und nicht gelenkter Frage)

Wie auch bei der Umfrage unter DaF-Lernenden zählten Rotkäppchen,


Dornröschen, Aschenputtel und Hänsel und Gretel zu den häufig genannten
Märchen. Abbildung 19 zeigt, dass Schneewittchen als das bekannteste Märchen
angesehen werden kann. Die Summe der Nennungen aus erster und zweiter Frage
beträgt hier 22. Erwähnenswert ist, dass bei dem Bekanntheitsgrad des Märchens
Schneeweißchen und Rosenrot ein großer Unterschied zwischen den Lehrenden und
Lernenden deutlich wurde. War Schneeweißchen und Rosenrot bei den Lernenden
im schwachen Mittelfeld eingeordnet, wurde es bei den Lehrenden am
dritthäufigsten genannt.

Geht es nach diesem Ergebnis, so kann gesagt werden, dass „Klassiker“ wie
Schneewittchen oder Rotkäppchen sowohl unter Lehrenden, als auch Lernenden
bekannt sind, Schneeweißchen und Rosenrot hingegen „nur“ eine große
Bekanntheit unter Lehrenden genießt.

Wie setzen DaF-Lehrende Märchen im Unterricht ein?


Nachdem der Bekanntheitsgrad der Märchen eruiert wurde, sollte herausgefunden
werden, wie Lehrende Märchen im Unterricht einsetzen. Zwei große Bereiche
standen zur Untersuchung: Tragen Märchen zu einem europäischen
Kulturverständnis bei? Welche Lernerziele können mit Märchen erreicht werden?

79
Um darzustellen, ob Märchen – laut DaF-Lehrenden – helfen, die europäische
Kultur zu verstehen, wurde auf die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse
zurückgegriffen. Die Antworten der Befragten wurden analysiert und kategorisiert.
Insgesamt ließen sich die Antworten drei Kategorien zuordnen. Dabei ergab sich
folgendes Bild:

Beitrag der Märchen zum europäischen Nennungen Nennungen


Kulturverständnis (in Prozent)

Vermittlung von Werten, Moral und Erziehung 9 75 %


des 19. Jahrhunderts
Moralisches Denken und kulturelle Bilder: Was 5 42 %
ist gut? Was böse?
Projektion von Ängsten 1 8%
Tabelle 8: Beitrag der Märchen zum europäischen Kulturverständnis

Geht es nach den Befragten, vermitteln Märchen vor allem ein „altes Bild von
Europa“ und können somit als Spiegel einer vergangenen Zeit gesehen werden. Des
Weiteren nannten 42% der Befragten, dass die moralischen Gepflogenheiten
Europas sich in Märchen wiederfinden lassen. Infolgedessen kann gesagt werden,
dass die Mehrheit der Befragten der Meinung ist, dass Märchen bei der Vermittlung
des europäischen Kulturverständnisses hilfreich sein können.

Die Antworten auf die zweite Frage, in welchen Bereichen Märchen den Lernerfolg
fördern, konnten in folgenden Kategorien zusammengefasst werden:

Bereich Nennungen Nennungen (in %)

Grammatik 9 75%
Lesekompetenz und Textverständnis 5 42%
Wortschatzerweiterung 4 33%
Schreibkompetenz 3 25%
Freies Sprechen 3 25%
Hörverständnis 2 17%
Landeskunde 1 8%
Demonstration von antiquierten 1 8%
Sprachformen
Tabelle 9: Lernerfolg durch Märchen

80
Hier wird ersichtlich, dass Märchen vor allem zur Vermittlung grammatikalischer
Phänomene herangezogen werden (9 Nennungen). Dies wird auch bei den
Antworten der nächsten Frage bestätigt.

Im nächsten Schritt sollte eruiert werden, welche Märchen als erste, zweite oder
dritte Wahl im DaF-Unterricht auf dem Niveau B1 eingesetzt würden und zu
welchem Zweck. 38

Die Nennung der Märchen ergab folgendes Ergebnis:

Nennungen

Märchen 1. Wahl 2. Wahl 3. Wahl Gesamt

Rotkäppchen 3 1 2 6
Aschenputtel 2 0 0 2
Frau Holle 2 0 0 2
Die Sterntaler 1 2 1 4
Hans im Glück 1 0 1 2
Froschkönig 1 0 0 1
Schneeweißchen und Rosenrot 1 0 0 1
Von dem Fischer und seiner Frau 1 0 0 1
Hänsel und Gretel 0 2 1 3
Rapunzel 0 1 1 2
Schneewittchen 0 1 1 2
Dornröschen 0 1 0 1
Das tapfere Schneiderlein 0 1 0 1
Tischlein deck dich … 0 1 0 1
Die Bremer Stadtmusikanten 0 0 2 2
Rumpelstilzchen 0 0 1 1
Tabelle 10: Mit welchem Märchen DaF-Lehrende am liebsten arbeiten

Zu beobachten ist, dass sich die Wahl der Märchen für den Unterricht nicht aus dem
Bekanntheitsgrad herleiten lässt. So erhielt Die Sterntaler beispielsweise 6
Nennungen bei der Verwendung, ist bei den Ergebnissen der Nennungen der
Bekanntheit von Märchen jedoch im schwächeren Mittelfeld angesiedelt. Im

38
Folgende Märchen, die zur Auswahl angeboten wurden, fanden keine Erwähnung: Der süße Brei,
Der Wolf und die sieben Geißlein, Die sieben Raben, Der goldene Schlüssel, Jorinde und Joringel,
Der gestiefelte Kater, Brüderchen und Schwesterchen, Die zwölf Brüder, König Drosselbart.
81
Gegensatz dazu steht Schneeweißchen und Rosenrot, welches unter den Lehrenden
zu einem des bekanntesten Märchens zählt, jedoch von nur einem/einer Befragten
im Unterricht eingesetzt würde.

In weiterer Folge wurden die Schwerpunkte abgefragt, zu denen die angeführten


Märchen eingesetzt werden können. Auch hier wurden die Antworten der Befragten
einzelnen Kategorien zugeteilt. Dabei wurde abermals ersichtlich, dass Märchen
besonders im Zusammenhang mit dem Grammatikschwerpunkt im Unterricht
verwendet werden (siehe Tabelle 11).

82
ROL
SPR

SPA
KW
GR

KV

HV
TV

LV
CB
BT
SC

A
L
Rotkäppchen 6 2 1 2 1 1 1
Aschenputtel 2 1 2 1
Frau Holle 1 1 1 1
Die Sterntaler 3 1 3 2 1 1
Hans im Glück 2 1 1 1 1
Froschkönig 1
Schneeweißchen und
1 1
Rosenrot
Von dem Fischer und seiner
1
Frau
Hänsel und Gretel 3 2 1 1 1 1
Rapunzel 1 1 1 1
Schneewittchen 2 2 1
Dornröschen 1 1
Das tapfere Schneiderlein 1 1
Tischlein deck dich … 1
Die Bremer
1 1 1 1 1 1
Stadtmusikanten
Rumpelstilzchen 1 1
Summe 23 9 8 7 7 5 5 4 2 2 1 1 1 1
Tabelle 11: Zu welchem Zweck werden Märchen eingesetzt?

GR Grammatik
KW Kulturelle Werte
L Lexik
BT Brauchtum und Tradition
SC Schreiben
SPR Sprechen
ROL Rollenspiele
A Aktuelle Themen
KV Kulturelle Vergleiche
TV Textvergleiche
CB Charakterbeschreibung
LV Leseverstehen
HV Hörverstehen
SP Spaß

Mit 23 Nennungen hebt sich „die Grammatik“ deutlich ab. Anzumerken ist, dass
von den DaF-Lehrenden Märchen am häufigsten Verwendung finden, um das

83
Präteritum (6 Nennungen) zu festigen oder einzuführen. Aber auch
Adjektivdeklination (2 Nennungen) und Syntax (eine Nennung) wurden konkret
genannt. Neben der Erweiterung des Wortschatzes (8 Nennungen), werden
Märchen gerne als Vermittlungsinstanz unserer Kultur herangezogen. Geht es nach
den Befragten, werden Märchen vor allem eingesetzt, um kulturelle Werte (9
Nennungen) und Brauchtum und Tradition zu vermitteln (7 Nennungen).

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die befragten DaF-Lehrenden Märchen nicht


nur verwenden, um sprachliche Phänomene (vor allem Grammatik) zu bearbeiten,
sondern auch die Vermittlung unserer Bräuche und Traditionen von Bedeutung
sind.

Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Märchen


Am Ende der Befragung wurden die Teilnehmer und Teilnehmerinnen gebeten,
mögliche Schwierigkeiten bei der Verwendung von Märchen im Unterricht
aufzuzeigen. Die Freitext-Antworten wurden in folgenden Kategorien
zusammengefasst:

Mögliche Schwierigkeiten Nennungen Nennungen


(in Prozent)

Sprache veraltet und schwierig 11 92 %


Zu kindisch/langweilig 4 33 %
Kulturelle Unterschiede 4 33 %
Grammatik zu komplex 3 24 %
Zu brutal 1 8%
Tabelle 12: Mögliche Schwierigkeiten bei der Arbeit mit Märchen im DaF-Unterricht

Conclusio für eigenständige Didaktisierung


Die Befragung hat gezeigt, dass alle 12 Befragten dem Einsatz mit Märchen nicht
abgeneigt gegenüberstehen und Märchen auf verschiedene Weisen in den
Unterricht integrieren. Wie dies konkret für die Niveaustufe B1 funktionieren
könnte, soll im folgenden Kapitel aufgezeigt werden.

Die Didaktisierung der Märchen Schneewittchen und Schneeweißchen und


Rosenrot wird auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Befragung der DaF-
84
Lernenden, der Auswertungen der Befragung von DaF-Lehrenden aus diesem
Kapitel, sowie erworbenes Wissen aus Literaturrecherche und eigener Erfahrungen
erstellt.

Um die möglichen Schwierigkeiten der veralteten Sprache zu umgehen, werden


nicht die Originaltexte der Brüder Grimm, sondern Märchentexte aus
Kinderbüchern gewählt. Ob die Sprache in den Kindermärchenbüchern für
Lernende auf B1 ebenfalls zu schwierig ist, wird sich im Laufe des folgenden
Kapitels zeigen. Des Weiteren wird beachtet, dass der Unterricht nicht zu kindisch
oder langweilig ist. So wird bei der Didaktisierung bewusst auf
„Märchenrollenspiele“ verzichtet und versucht, einen Bezug zum Alltagsleben
herzustellen. Auch kulturelle Unterschiede sollen beachtet werden, indem
beispielsweise nicht angenommen wird, dass Schneewittchen universell bekannt ist.

Da „Grammatik“ mit Abstand am häufigsten im Unterricht der Befragten zum


Einsatz kommt, soll sie auch in der Didaktisierung von Schneewittchen und
Schneeweißchen und Rosenrot eine übergeordnete Rolle bekommen. So werden
unter anderem Präteritum, Adjektivdeklination und Konjunktiv 2 (explizit) und
Syntax (implizit im Schreiben und Sprechen) eine wichtige Rolle spielen. Des
Weiteren soll anhand der beiden Märchen versucht werden, die europäische Kultur
von damals (z.B. Typus der idealen Tochter) und heute (Märchen in der heutigen
Zeit) zu vermitteln.

Obwohl die Stärkung der Lesekompetenz bei den Lehrenden nicht oft genannt
wurde, soll sie in die Didaktisierung eingebaut werden. Ziel soll es sein, dass alle
vier Sprachkompetenzen (Schreiben, Sprechen, Hören, Lesen) zur Anwendung
kommen und verbessert werden können. Wie und ob dies passiert, soll nun im
folgenden Kapitel überprüft werden.

85
8 Arbeiten mit Märchen im DaF-Unterricht – Ein
Didaktisierungsvorschlag für Schneewittchen und
Schneeweißchen und Rosenrot

Die empirische Befragung aus Kapitel 6 ergab, dass nicht davon ausgegangen
werden kann, dass alle uns bekannten Grimm´schen Märchen auch weltweit
bekannt sind. Es ließ sich jedoch feststellen, dass es Märchen gibt (Rotkäppchen,
Schneewittchen, Aschenputtel, Hänsel und Gretel und Rapunzel) die (auch
weltweit) sehr bekannt scheinen. Es soll von der Hypothese ausgegangen werden,
dass Märchen – je nach ihrem Bekanntheitsgrad unter DaF-Lernenden –
verschieden didaktisiert werden müssen. Aus diesem Grund wurden die Märchen
Schneewittchen (sehr bekannt) und Schneeweißchen und Rosenrot (mäßig bekannt)
gewählt, um die unterschiedliche Herangehensweise bei der Arbeit mit
unterschiedlich bekannten Märchen besser darstellen zu können.

Nach der Unterrichtsplanung im Juni 2015 – basierend auf den Ergebnissen der
empirischen Befragung (Kapitel 6) und den Resultaten der qualitativen Umfrage
unter DaF-Lehrenden (Kapitel 7) sowie eigener Recherchen im Rahmen dieser
Arbeit – konnten die didaktisierten Märchen von Juli bis September 2015 im
Unterricht eingesetzt und überprüft werden.

Im Rahmen der dreiwöchigen Sommerkurse am Sprachenzentrum Deutsch in


Österreich an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt haben die DaF-Lernenden
die Möglichkeit, ihre Sprachkurse/Workshops am Nachmittag je nach
Sprachniveau und Interesse frei zu wählen. Je nach Teilnehmer- und
Teilnehmerinnenanzahl bietet das Sprachenzentrum unterschiedlich viele
Workshops mit verschiedenen Schwerpunkten wie u. a. Grammatik,
Österreichische Landeskunde, Phonetik, Literatur oder Schauspiel an. Im Sommer
2015 hatten die Lernenden die Möglichkeit, an (m)einem Märchenworkshop
teilzunehmen. In 10 Unterrichtseinheiten zu je 45 Minuten konnten Lernende auf
dem Niveau B1 in die Welt der Märchen eintauchen. Der Workshop wurde in allen

86
drei Sommerkursen39 angeboten. In jedem der 3 Kurse befanden sich zwischen 9 –
15 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus (größtenteils) Europa, Asien und Afrika.

Es wurde ein Überblick über einige Bekannte Grimm’sche Märchen geliefert und
die vier Märchen Schneewittchen, Rumpelstilzchen, Frau Holle und
Schneeweißchen und Rosenrot behandelt. Die Auswahl der Märchen setzte sich aus
einer schnellen Analyse der Fragebögen unter den DaF-Lernenden zusammen. Es
wurde ein bekanntes (Schneewittchen), zwei mäßig bekannte (Rumpelstilzchen,
Schneeweißchen und Rosenrot) und ein wenig bekanntes Märchen (Frau Holle)
herangezogen.

Im Laufe dieses Kapitel wird nun die Arbeit im DaF-Unterricht mit Schneewittchen
und Schneeweißchen und Rosenrot einer genaueren Betrachtung unterzogen.
Folgende Fragen sollen geklärt werden: Welche Lernziele sind zu erreichen? Wie
wurden die Märchen didaktisiert? Welche Übungen funktionierten gut, welche
weniger? Um den Erfolg oder Misserfolg einzelner Übungen besser darzustellen,
wird nach jeder didaktisierten Übung eine kurze Schlussfolgerung (Conclusio)
gezogen, wie (und ob) die Didaktisierung im Workshop funktionierte. Neben den
Schlussfolgerungen sollen zudem etwaige Verbesserungsvorschläge geliefert
werden.

Zur Vereinfachung werden folgende (gendergerechte) Abkürzungen verwendet:

L: DaF-Lernende
UE: Unterrichtseinheiten

Einstieg in die „Märchenwelt“


Bei der Arbeit mit Märchen ist zu beachten, dass die Gruppe langsam in die
Thematik des Stoffes eingeführt werden muss, bevor mit einem konkreten Märchen
gearbeitet werden kann. Bereits in Kapitel 5 konnte aufgezeigt werden, dass sowohl
bei Achtung Deutsch A2 als auch bei Märchenhaft 2012 vorab einige Wörter und
Thematiken erarbeitetet werden. Bevor mit Schneewittchen und Schneeweißchen

39
Sommerkurs 1: 06.07. – 24.07. / Sommerkurs 2: 27.07. – 14.08. / Sommerkurs 3: 17.07. – 04.09.
87
und Rosenrot gearbeitet werden kann, sollte sich die Lehrperson deshalb bewusst
sein, dass vorweg der wichtigste Wortschatz und die eventuelle Bekanntheit von
Märchen in der L-Gruppe geklärt werden sollte. Die Didaktisierungsvorschläge in
8.2 und 8.3 sind auf dieser Vorarbeit aufgebaut. Aus diesem Grund wurden die
ersten beiden UE des Märchenworkshops (insgesamt 90 Minuten) zu diesem Zweck
herangezogen und sollen nun kurz dargestellt werden.

Wortschatz

Viele der befragten Lehrpersonen (siehe auch Kapitel 7) nannten als größte
Problematik bei der Arbeit mit Märchen den veralteten und zu schwierigen
Wortschatz. Wie auch bereits an den Beispielen in Kapitel 5 (Untersuchung bereits
didaktisierter Unterrichtsmaterialen) deutlich wird und richtig von den Befragten
erkannt wurde, ist eine Arbeit mit Märchen erst möglich, wenn der wichtigste
Wortschatz vorab erworben wird. Empfohlen kann hier die Arbeit mit Bildern
werden. Da der Wortschatz, der zu
erarbeiten ist, sehr umfangreich ist, hat es
sich von Vorteil erwiesen, diesen
spielerisch und aktiv aufzubereiten.

Didaktisierungsvorschlag (a): Eine


Möglichkeit ist es, die Klasse in kleine
Gruppen (max. 4 Personen) zu teilen. Jede
Gruppe erhält ein Bild mit mehreren
Märchenfiguren (z.B. siehe Abbildung
20). Die L haben 10 – 15 Minuten Zeit, so
viele Begriffe wie möglich zu den
einzelnen Bildern zu sammeln. Erlaubt
Abbildung 20: Märchenfiguren sind Nomen, Verben und Adjektive. Jedes
Wort darf jedoch nur einmal verwendet
werden. Am Ende werden die Begriffe im Plenum mit der Lehrperson besprochen.
Die Gruppe mit den meisten Begriffen gewinnt. Vorteil dieser Übung ist, dass nicht
nur wichtige Wörter, welche in Märchen vorkommen, wie Zwerg, Wolf, Spinnrad
oder Drache eingeführt werden, sondern auch der Wortschatz des A-Niveaus wie

88
Farben (rot, grün, blau …), Personen (Schwester, Frau, Mädchen, Baby …) oder
Tiere (Pferd, Wolf, Frosch ...) wiederholt und gefestigt werden können.

Zur Festigung des Märchen-Wortschatzes wird empfohlen, diesen ständig zu


wiederholen. Als dafür besonderes geeignet hat sich das HABA-Spiel Ratz Fatz in
das Märchenland erwiesen (siehe
Abbildung 21). Das Spiel bietet
mehrere Möglichkeiten, mit dem
Wortschatz zu arbeiten und ist nicht
nur für Kinder geeignet. Es besteht
Abbildung 21: Ratz Fatz aus zwölf Kärtchen mit
Märchensymbolen, drei Märchenfiguren, einem Symbolwürfel und einem 22-
seitigen Spielheft mit verschiedenen Spielideen. Der Wortschatz kann sowohl
rezeptiv als auch produktiv erarbeitet werden. Als Beispiel kann die Arbeit mit
einem Gedicht genannt werden: Alle Figuren und Karten liegen in der Tischmitte.
L stehen um den Tisch herum. Die Lehrperson liest das Gedicht laut und deutlich
vor (Spielheft, S. 19, Strophe 1):

In einem schönen Schloss am Berg


wohnt Leopold, der kleine Zwerg.
Er lädt oft seine Freunde ein
Und jeder will gern bei ihm sein.

Wenn der gesuchte Begriff genannt wird, müssen L diesen so schnell wie möglich
auf dem Tisch finden.

Deutsche Titel und Inhalt der Märchen

Um herauszufinden, welche der Grimm´schen Märchen bekannt sind


beziehungsweise um die deutschen Titel der Märchen einzuführen, hat sich
folgende Übung nachweislich als hilfreich erwiesen:

Didaktisierungsvorschlag (b): Die Klasse wird in 3 – 4 Gruppen geteilt und erhält


je 50 Kärtchen, wobei auf 25 Kärtchen Bilder von Märchen sind, auf den anderen
25 die passenden deutschen Titel. Ziel ist es, in 15 – 20 Minuten die passenden Titel
den Bildern zuzuordnen. Gewählt wurden hier die 25 Grimm´schen Märchen,
welche auch bei der empirischen Erhebung aus Kapitel 6 und 7 abgefragt und auf

89
ihre Bekanntheit hin überprüft wurden. Obwohl viele Märchen nicht bekannt sind,
kann diese Übung gemeistert werden, da L es zumeist schaffen, die Wörter mit den
Bildern zu verknüpfen. So wurde beispielsweise das inhaltlich unbekannte Märchen
Der goldene Schlüssel dem richtigen Bild zugeordnet (siehe Abbildung 22).

Der goldene
Schlüssel

Abbildung 22: Deutsche Märchentitel

Bei gemeinsamer Besprechung im Plenum wird zu jedem der 25 Märchen von den
L ein assoziiertes Wort genannt. Beispielsweise wurde hier bei Aschenputtel Schuh,
bei Schneewittchen giftig(er Apfel) und bei Dornröschen schlafen genannt. Die 25
Wörter, welche aus Nomen, Verben und Adjektiven bestehen können, können an
der Tafel gesammelt werden. In den letzten 15 Minuten der UE sollen die L aus
diesen 25 Wörtern ein eigenes Märchen erfinden und erzählen. Diese Übung hat
den Vorteil, dass nicht nur der bereits erarbeitete (Märchen-)Wortschatz gefestigt
werden kann, sondern ebenfalls die Zeitformen Perfekt und Präteritum angewendet
werden müssen. So sieht der/die Lehrende bereits in der ersten Einheit, welche
(etwaige) Schwächen es auf diesem Gebiet gibt.

Didaktisierungsvorschlag (c): Sind einige der Grimm´schen Märchen bekannt –


was bei dem Großteil der aus Europa und Asien stammenden Teilnehmer und
Teilnehmerinnen des Workshops beispielsweise der Fall war – kann bereits in der
ersten Einheit über den Inhalt einiger Märchen diskutiert werden. Vorab kann eine
Mindmap an der Tafel erstellt werden, was für die L typisch für Märchen ist. Neben
genannten Begriffen wie Prinz/Prinzessin, Zauberei oder sprechende Tiere, wurden
vor allem auch typische inhaltliche Schemata (siehe Lüthi Kapitel 2.4), wie Gut
siegt über Böse, ein glückliches Ende und Vermittlung von Moral genannt. Wie
bereits in Kapitel 4.3 beschrieben, kann hier aufgezeigt werden, dass der Inhalt von
Märchen länderübergreifend sehr ähnlich ist und viele L mit der Symbolik und dem

90
inhaltlichen Aufbau der Märchen vertraut sind. Im Workshop stellte sich heraus,
dass L aus Afrika oder Asien die Märchen nicht bekannt waren.

Didaktisierungsvorschlag (d): Arbeitet man mit einer Gruppe, in welcher Märchen


bekannt zu sein scheinen, hat sich das Märchenrätsel40 als brauchbar erwiesen. Zehn
(Zeitungs-) Überschriften werden ausgehändigt. In der Gruppe soll nun erarbeitet
werden, welches Märchen gesucht ist und kurz – falls einem Gruppenmitglied
unbekannt – der Inhalt erzählt werden. Ist ein Märchen völlig unbekannt, so wird
es weggelassen und später im Plenum erläutert. Beispiele für Überschriften sind:
Mörder im Haus der Großmutter, Grüner Herrscher bittet um Asyl oder Zum
Liebesglück mit einem Schuh41. Um diese Aufgabe lösen zu können, müssen
vorab die deutschen Titel erarbeitet und überprüft werden, ob Märchen in der
Gruppe bekannt sind (Didaktisierungsvorschlag b und c). Es wird empfohlen, den
L eine Kopie der Bild/Titel-Kärtchen (siehe Anhang) auszuhändigen, da die
deutschen Titel sonst zumeist nicht mehr genannt werden können. Des Weiteren
erwiesen sich die Bilder ebenfalls als hilfreich, um bei manchen L die Erinnerungen
an den Inhalt aufzufrischen.

Arbeitet man mit einer Gruppe von L, welchen der Inhalt der populäreren
Grimm´schen Märchen nicht bekannt ist, so könnte dieses Spiel nach dem
Erarbeiten einzelner Märchen zum Einsatz kommen.

Conclusio

Die Vorarbeit und Erarbeitung des Wortschatzes hat sich als unabdingbar erwiesen.
Erst der langsame Einstieg und das Vertrautmachen der L mit dem wichtigsten
Wortschatz macht die Arbeit mit Märchen möglich. Es sollte nicht davon
ausgegangen werden, dass der sehr spezifische Märchenwortschatz auf dem Niveau
B1 bekannt ist. Des Weiteren bietet diese Arbeit eine Möglichkeit, sich als
Lehrperson einen Überblick zu verschaffen, wie bekannt die Grimm´schen
Märchen unter den L wirklich sind und welche Bezüge sie zu diesen herstellen.

40
Siehe Anhang Märchenrätsel.
41
Lösungen: Rotkäppchen, Der Froschkönig und Aschenputtel.
91
Im Rahmen der Wortschatzerarbeitung stellte sich die Frage, wie gebräuchlich die
neu erlernten Vokabeln auch im Alltag sind. Auf den zwölf Symbolkarten des Ratz
Fatz Spieles beispielsweise sieht man folgende Begriffe abgebildet: Krone,
(goldene) Kugel, Besen, Spiegel, Schuh, Gold (Münzen), (Lebkuchen-)Haus,
Kutsche, Schloss, Zaubertrank, Zauberstab und Spinnrad. Bis auf die letzten drei
genannten Wörter können alle im Alltag eingebaut werden – manche häufiger (z.B.
Spiegel, Schuh), manche weniger häufig (z.B. Kutsche, Krone). Da die
Didaktisierung im Rahmen eines Märchenworkshops überprüft wurde, ist es schwer
zu sagen, welche Motivation L im Regelunterricht haben könnten, Wörter wie
„Zwerg“, „Hexe“ oder „Zauberei“ zu lernen. Die L im Workshop waren alle sehr
daran interessiert, „Märchenwörter“ auf Deutsch zu lernen, um beispielsweise
selbst deutsche Märchen lesen zu können oder über die Märchen aus ihren
Heimatländern auf Deutsch erzählen zu können. Aus diesem Grund wurde die
Erarbeitung des Wortschatzes gut aufgenommen.

Es kann ein durchwegs positives Fazit gezogen werden. Alle beschriebenen


Übungen haben in allen drei Workshop-Gruppen funktioniert und wurden von den
L auch positiv bewertet. Viele L assoziierten positive Kindheitserinnerungen mit
den Märchen und nahmen auch (vielleicht aus diesem Grund) die Übungen sehr
positiv auf. Es hat sich ebenfalls herausgestellt, dass viele Märchenfiguren und
Motive in Geschichten weltweit vorkommen und der logisch-stringente Aufbau für
viele nachvollziehbar war. So kannten beispielsweise L aus Afrika die
Grimm´schen Märchen nicht, jedoch Motive, die darin vorkommen. Beispielsweise
kann hier das Motiv der bösen Stiefmutter genannt werden, welches ihnen aus
Erzählungen aus ihrer Kindheit bekannt war. Und genau diese spielt auch im
folgenden Kapitel und der Didaktisierung des ersten Märchens eine große Rolle:
Schneewittchen.

Schneewittchen
Bevor die Arbeit mit Schneewittchen im DaF-Unterricht dargestellt wird, soll vorab
kurz auf die Entstehungsgeschichte und Inhalt des Märchens eingegangen werden.

Schneewittchen wird von den Brüdern Grimm 1812 an Stelle 53 erstmals in den
Kinder- und Hausmärchen veröffentlicht (vgl. Grimm, 1957, S. 189 – 196). Davor

92
gab es bereits andere Buchversionen (vgl. Hintereder-Emde, 2015, S. 426). Sechs
Versionen sollen die Grimm selbst gekannt haben (vgl. Lüthi, 1989, S. 57) – eine
davon hatte ihr Bruder Ferdinand 1808 niedergeschrieben (vgl. Uther, 2008, S.
125). Es ist nicht geklärt, ob dieser das Märchen selbst erfunden oder nacherzählt
hat. Eine seiner Quelle könnte beispielsweise Marie Hassenpflug gewesen sein (vgl.
Dekker, 2013, S. 66). Was als Ursprungsversion des Märchens gilt, ist jedoch bis
heute nicht geklärt.

In den Fassungen der Kinder- und Hausmärchen trug die Protagonistin den Namen
„Sneewittchen, was die plattdeutsche Form von Schneeweißchen ist“ (online:
Lippert (b), 2015). Im Laufe der Zeit entstand schlussendlich der heute geltende
Name mit der heute bekannten Schreibweise „Schneewittchen“. Trotz des
anfänglich gleichen Namens, hat Schneewittchen nichts mit dem KHM 161
Schneeweißchen und Rosenrot gemein und darf auch nicht verwechselt werden. Da
beispielsweise im Englischen „Schneewittchen“ und „Schneeweißchen“ beide mit
„Snow White“ übersetzt werden, kann es immer wieder zu Missverständnissen
kommen.

Das Märchen Schneewittchen wurde – vor allem durch Wilhelm Grimm – mehrmals
überarbeitet und der damaligen Biedermeier Zeit angepasst (vgl. auch Kapitel
3.5.1). In der Grimm’schen Version herrschen „Ordnung und Reinlichkeit,
behagliche Häuslichkeit, Geborgenheit und Wärme, Vermenschlichung der Natur
und Dinge“ vor (Lüthi, 2008, S. 181). Schneewittchen verkörpert die ideale Frau
der damaligen Zeit: Sie ist schön, freundlich, naiv-unschuldig, hilfsbereit, fleißig,
häuslich und „bestimmt von göttlichem Glauben“ (Uther, 2008, S. 127). Ihr
Gegenbild ist die Stiefmutter, deren Rolle ebenfalls der damaligen Zeit angepasst
wurde. Neben Charakterzügen wie Neid, Hochmut und Boshaftigkeit ist vor allem
eines wichtig: Sie ist nicht die leibliche Mutter von Schneewittchen. War es in der
ersten Fassung von 1812 noch die leibliche Mutter, welche die schöne, aber böse
Königin verkörperte, wurde sie in den darauffolgenden Fassungen mit der Figur der
Stiefmutter ersetzt (vgl. Gutjahr, 2014, S. 14). Die gleiche Änderung wurde
beispielsweise ebenfalls bei Hänsel und Gretel vollzogen (vgl. Petersen, 2012, S.
142). Dies musste geschehen, da es die Konventionen der damaligen Zeit vorsahen,
dass die Mutter nicht böse sein kann/darf (vgl. ebd.).

93
Die Hervorhebung klassischer Märchenmotive lässt Schneewittchen zu einem
Märchen mit logisch heranschreitender Erzählung werden. Es arbeitet
beispielsweise mit starren Formeln (vgl. Lüthi, 2005, S. 33) und Zahlenmystik.
Sieben und Drei werden zu wichtigen Komponenten: Schneewittchen ist (in der
Zweitausgabe) sieben Jahre alt, als sie zu den sieben Zwergen, hinter den sieben
Bergen kommt und wohnt dort weitere sieben Jahre, bevor die Königin sie findet.
Im Haushalt muss sie sieben Pflichten nachgehen und der magische Spiegel wird
von der bösen Königin siebenmal befragt (vgl. Petersen, 2012, S. 151). Des
Weiteren braucht die Königin drei Versuche, bevor sie Schneewittchen
(vermeintlich) umbringt.

Es lassen sich viele Parallelen zu anderen Grimm´schen Märchen finden, wodurch


der Leser/die Leserin „den Eindruck gewinnt, weiter in eine halbwegs bekannte
magische Welt vorzudringen“ (ebd., S. 161). Ähnliche Motive lassen sich unter
anderem in Aschenputtel (böse Stiefmutter), Dornröschen (tödlicher Schlaf, der
durch das Auftreten eines Prinzen beendet wird), Frau Holle (Schnee fällt wie
Federn vom Himmel), Hänsel und Gretel (im Wald zurückgelassene Kinder) oder
Die Sieben Raben (Platzierung des gläsernen Sarges auf einem Berggipfel) finden.

Lernziele

Die heute bekannte Version stammt aus der Kinder- und Hausmärchen Auflage von
1857. Mit einem Mittelwert von 1,66 in der empirischen Studie unter den DaF-
Lernenden und einer 100% Bekanntheit unter den DaF-Lehrenden, kann davon
ausgegangen werden, dass Schneewittchen eines der populärsten Märchen der
Brüder Grimm ist. Die Lernziele für die Arbeit mit dem Märchen Schneewittchen
sind wie folgt definiert:

94
Lernziele:

Zielgruppe: ab Niveau B1

Zeit: 2 – 3 UE

Gruppengröße: min. 6 – max.15 L

Lernziele: Freies Sprechen (über Wünsche und Träume sprechen können,


Personen beschreiben und Unterschiede feststellen); Kreatives Schreiben
(über Irreales schreiben können); Leseverstehen (literarische Texte verstehen);
Wortschatz (Märchen)
Grammatikschwerpunkte: Adjektivdeklination; Komparation; Anwendung
von Konjunktiv 2 in Sprache und Schrift

Textvorlage: Wiencirz, Gerlinde (2012) (Hg.): Mein großer Märchenschatz.


München: arsEdition GmbH., S.39 – 46.
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 8 – 10 Jahre

Es hält sich das Gerücht, dass sich Märchenbücher für Kinder auch für die Arbeit
im DaF-Unterricht eignen. Ob dies auch wirklich der Fall ist, soll ebenfalls
überprüft werden, indem der 2012 in Mein großer Märchenschatz erschienene
Schneewittchen-Text unverändert als Vorlage herangezogen wird. Es wird hier von
der Annahme ausgegangen, dass dieser Text nicht für die Arbeit auf dem Niveau
B1 geeignet ist.

Einstieg

Bevor der eigentliche Inhalt des Märchens


betrachtet wird, gibt es die Möglichkeit,
mit Bildimpulsen zu arbeiten. Das KHM
53 hat als Protagonistin eine populäre
Märchenfigur mit Namen wie Snow
White, Snow Drop oder Blanche-Neige
(vgl. online: Lippert (b), 2015). Um zu
sehen, wie bekannt die Figur des
Schneewittchens wirklich ist, können Bilder Abbildung 23: Die verschiedenen Gesichter des
Schneewittchens
der verschiedenen Protagonistinnen
herangenommen werden und auf ihre Bekanntheit hin abgefragt werden (siehe

95
Abbildung 23). Auch über bekannte Verfilmungen und Serien kann hier gesprochen
werden.

Wie bereits erwähnt, zählt Schneewittchen zu einem der populäreren Märchen der
Brüder Grimm. Es darf jedoch nicht angenommen werden, dass dieses Märchen
weltweit bekannt ist – wie auch die empirische Untersuchung in Kapitel 6 ergab.
Aus diesem Grund ist es von großer Wichtigkeit, den Inhalt – trotz großer
Bekanntheit – kurz zu erläutern. Mit Hilfe der Illustration in Mein großer
Märchenschatz (Wiencirz, 2012, S. 39 – 46) können die L, welchen das Märchen
bekannt ist, Schneewittchen – mit Unterstützung der/des Lehrenden – kurz
nacherzählen.

Bei fortgeschritteneren Gruppen (hohes B1-Niveau) kann auch das vom Goethe-
Institut vorgeschlagene „Verwandelte Märchen“ zum Einsatz kommen, was in
leicht abgeänderten Form wie folgt funktioniert: Zwei bis drei L (L 1, L 2, L 3),
welchen das Märchen nicht (!) bekannt ist, gehen vor die Tür. Das Märchen wird
kurz von der Lehrperson den im Raum verbleibenden L als Auffrischung erzählt. L
1 kommt wieder in den Raum. Ein/eine L (oder mehrere) erzählt L 1 das Märchen
nach. Danach kommt auch L 2 wieder in den Raum. Nun versucht L 1 L 2 das
Märchen zu gut wie möglich zu erzählen usw. Die übrige Gruppe hört gut zu und
notiert, wenn es Abweichungen von der ursprünglichen Erzählung gibt. Am Ende
berichten die beobachtenden Zuhörer und Zuhörerinnen, was sich im Laufe der
Erzählung verändert hat (vgl. Lundquist-Mog, 2012, S. 13).

Fazit

Die Übung mit Bildern der einzelnen Schneewittchen-Protagonistinnen wurde in


allen drei Workshops gut aufgenommen. Die L erzählten viel über ihre eigenen
Bezüge und Erinnerungen mit dem Märchen. Als Lehrperson ist es wichtig, sich
hier in den ersten paar Minuten einen Überblick zu verschaffen, wie vielen L das
Märchen bekannt ist, um die weitere Vorgehensweise festzulegen. 80 – 90 % der L
waren mit dem Inhalt des Märchens grob vertraut und so konnten alle Übungen
durchgeführt werden. Der Einstieg über Bilder hat sich in der Arbeit mit Märchen
als positiv erwiesen.

96
Der Didaktisierungsvorschlag des Goethe-Instituts „Verwandelte Märchen“
funktionierte in nur einer von drei Klassen, da das Märchen möglicherweise für
diese Übung zu lang ist. In der Klasse, in welcher die Übung funktionierte, war nur
einem L das Märchen unbekannt. Aus diesem Grund war die Übung wesentlich
kürzer, aber trotzdem effektiv. In den anderen beiden Klassen, mit je 2 – 3 Personen,
welche das Märchen nacherzählen mussten, verloren viele L mit der Zeit das
Interesse. Es kann vermutet werden, dass sich kürzere Märchen besser für diese
Übung eignen. Dies ist jedoch nur eine Annahme und kann im Rahmen dieser
Arbeit nicht belegt werden.

Arbeit mit dem Inhalt

Problematisch erweist sich hier auf der einen Seite die Länge des Märchens, da
Schneewittchen zu einer der längeren Erzählungen der Brüder Grimm zählt. So ist
es beispielsweise in Mein großer Märchenschatz neben Hänsel und Gretel das
seitenreichste Märchen und auch in der didaktisierten Version des Goethe-
Instituts42 fünf DIN A4 Seiten lang. Auf der anderen Seite zeigte sich, dass die
verwendete Sprache (lexikalisch wie grammatikalisch) des Märchens für ein B1-
Niveau zu schwierig ist. Beispielweise können folgende Passagen genannt werden:

• „Neid und Hochmut wuchsen in ihrem Herzen“ (Wiencirz, 2012, S. 39);


• „schnitten sie den Riemen entzwei“ (ebd. S. 42)
• „erschrak sie bis aufs Blut“ (ebd. S. 43)
• „Jetzt ist´s um dich geschehen“ (ebd. S. 43)
• „ob sie etwas Giftiges fänden“ (ebd. S. 44)
• „eiserne Pantoffel über einem Kohlefeuer“ (ebd. S. 45)

Sie durchdringen den ganzen Text und sind für ein B1-Publikum nicht tauglich.
Beide genannten Versionen erwiesen sich für den Märchenworkshop als nicht
anwendbar, da die Länge und Komplexität der Texte schnell zur Überforderung
führte.

42
Vgl. Märchenhaft 2012 Kapitel 5.2.
97
Der folgende Inhalt ist dementsprechend eine vereinfachte, nacherzählte Version
nach Grimm, 1957, S. 189 – 196 und kann deshalb nicht als getreue Wiedergabe
von Stil und Wort gesehen werden. Des Weiteren wird hier bereits versucht, das
Märchen sprachlich und grammatikalisch für B143 anzupassen und ist auch
beträchtlich in der Länge gekürzt. Die unterstrichenen Wörter sollten vorab erklärt,
als Vokabeln vermerkt oder bildlich dargestellt werden, da sie nicht durch ein B1-
adäquates Vokabular ersetzt werden können. Darüber hinaus wird ebenfalls darauf
geachtet, einige wenige wörtliche Reden und Zitate aus dem Originaltext in den
didaktisierten Text einzubauen, um ihn – trotz großer Abweichungen – so
authentisch wie möglich zu gestalten. Da der folgende Inhalt erst nach Abhalten des
Märchenworkshops entstanden ist, ist er nur als Didaktisierungsvorschlag zu sehen,
konnte jedoch im Rahmen dieser Arbeit im Unterricht noch nicht überprüft werden.

Es war einmal eine schöne Prinzessin, die eine Haut so weiß wie Schnee, Lippen
rot wie Blut und Haare schwarz wie Ebenholz hatte. Darum hieß sie
Schneewittchen. Da die Mutter der kleinen Prinzessin bei ihrer Geburt starb, nahm
sich der König eine neue Frau. Die neue Königin war sehr schön, aber leider auch
sehr eitel und böse. Niemand durfte schöner sein als sie. Sie hatte einen magischen
Spiegel und fragte ihn oft: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste
im ganzen Land?“ Der Spiegel antwortete ihr: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste
im Land.“
Als Schneewittchen älter wurde, wurde sie immer schöner – schöner als die böse
Königin. Das sah auch der Spiegel und sprach: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste
hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ Da befahl sie einem Jäger
Schneewittchen in den Wald zu bringen und dort zu töten. Der Jäger hatte aber ein
gutes Herz und lies Schneewittchen im Wald frei. Die Königin aber dachte, dass
Schneewittchen tot war.
Schneewittchen war allein im Wald und fürchtete sich sehr. Sie fand schließlich ein
kleines Häuschen und trat ein. Nachdem sie von den sieben Tellerchen gegessen
hatte, schlief sie ein. Das Haus gehörte den sieben Zwergen, die den ganzen Tag in
den Bergen nach Erz hackten und gruben. Als die Zwerge das Mädchen in ihrem
Haus fanden und seine Geschichte hörten, hatten sie Mitleid mit ihm und sagten:
„Willst du unseren Haushalt machen, kochen, beten, waschen, nähen und stricken,
und willst du alles ordentlich und sauber halten, so kannst du bei uns bleiben und
dir wird es gut gehen.“
Der magische Spiegel aber wusste, dass Schneewittchen nicht tot war und sagte der
Königin: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier. Aber Schneewittchen über den
Bergen, bei den sieben Zwergen, ist tausendmal schöner als Ihr.“ Die Königin
wurde gelb und grün vor Neid. Es gab nur eine Lösung: Sie musste Schneewittchen
selbst töten.

43
unter Zuhilfenahme von Profile Deutsch und dem GER.
98
So machte sie sich – verzaubert als alte Krämerin – auf den Weg, Schneewittchen
hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen zu finden und zu töten. Den Tag
über war das Mädchen allein. Die Zwerge warnten sie, niemanden ins Haus zu
lassen. Trotzdem ließ sie die alte Krämerin, die ihr einen hübschen Schnurriemen
verkaufen wollte, herein. Sobald Schneewittchen den Schnurriemen angezogen
hatte, zog ihn die böse Königin so fest zusammen, dass Schneewittchen nicht mehr
atmen konnte und zu Boden fiel. Die Zwerge aber kamen rechtzeitig nachhause und
konnten Schneewittchen retten.
Kurze Zeit später verzauberte sich die Königin in eine alte Frau und verkaufte
Schneewittchen einen giftigen Kamm. Sobald sich Schneewittchen den Kamm ins
Haar steckte, fiel sie wieder um. Aber auch hier kamen die Zwerge rechtzeitig in
ihr Häuschen zurück und befreiten Schneewittchen von dem Kamm.
Die Königin verwandelte sich noch einmal – diesmal in eine Bäuerin. Sie bot
Schneewittchen einen schönen, roten – aber giftigen – Apfel an. Als diese von ihm
abbiss, fiel sie tot zu Boden. Diesmal konnten die Zwerge Schneewittchen nicht
retten. Schneewittchen war tot. Die Königin war zufrieden.
Da die Zwerge es aber nicht über das Herz brachten, sie zu begraben, bauten sie
einen Sarg aus Glas. Als ein Prinz, der im Wald unterwegs war, Schneewittchen
sah, verliebte er sich sofort in die tote Schönheit. Als der Sarg von Dienern in sein
Schloss transportiert wurde, stolperte ein Diener. Der giftige Apfel sprang aus
dem Hals und Schneewittchen erwachte wieder zum Leben.
Der Prinz und Schneewittchen heirateten und waren glücklich. Die böse Königin
wurde zur Hochzeit eingeladen. Dort standen schon eiserne Schuhe bereit, welche
über das Feuer gehalten wurden. Die Königin musste die heißen Schuhe anziehen
und tanzen, bis sie tot umfiel.
Schneewittchen und der Prinz lebten glücklich im Schloss. Und wenn sie nicht
gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Fazit

Da das Märchen bei den L zum größten Teil bekannt war, musste der Inhalt nicht
erst über den Text erarbeitet werden, sondern konnte mündlich nacherzählt und
wiedergegeben werden. Trotzdem wurde das Märchen in geschriebener Form
(Wiencirz, 2012, S. 39 – 46) zusätzlich ausgeteilt. Da der Text zu lang und die Zeit
begrenzt war, konnte er nicht in den UE gelesen werden. Die L hatten jedoch die
Möglichkeit, diesen zu Hause zu lesen. Ein junger, interessierter Iraner, dem der
Text unbekannt war, versuchte die Version des Märchens zu lesen, war aber bald
überfordert und bat um eine leichtere Ausgabe. Dasselbe geschah bei drei weiteren
L aus Nigeria und China. Die meisten schreckte bereits die Länge des Textes ab,
welche (vor allem) für ein niedriges B1-Niveau nicht geeignet zu sein scheint.

Aber auch kürzere Texte aus dem Märchenbuch erwiesen sich als untauglich. So
wurden beispielsweise Rumpelstilzchen (ebd., S. 81 – 84) oder Frau Holle (ebd. S.

99
85 – 88) im Unterricht gelesen. Obwohl der wichtigste Wortschatz vorab
besprochen wurde, war das Leseverstehen nicht gegeben. Die Einzelarbeiten
mussten in beiden Fällen abgebrochen werden und die Texte wurden schlussendlich
gemeinsam mit der Lehrenden im Plenum erarbeitet. Anzumerken ist hier, dass es
jedoch einen großen Unterschied gab, auf welchem B1-Level sich die L befanden,
welchen Bildungshintergrund sie hatten und wie viele Fremdsprachen sie schon
erlernt hatten. Waren L bereits auf einem hohen B1-Niveau, war die Arbeit mit den
erwähnten Texten möglich – ging jedoch nach wie vor sehr langsam und
schleppend voran. Je mehr sich die L im Vorhinein mit Literatur und
Fremdsprachen beschäftigt hatten, desto besser schienen die Mechanismen zu sein,
schwere Passagen zu „überlesen“. Dies ist jedoch nur eine Vermutung und kann
wissenschaftlich im Rahmen dieser Arbeit weder bestätigt noch widerlegt werden.

Gesagt werden kann jedoch, dass sich Texte aus Mein großer Märchenschatz für
den B1-Unterricht nicht eignen. Dies führt zu dem Schluss, dass davon abzuraten
ist, mit diesen Märchentexten – didaktisiert für Kinder von 8 bis 10 Jahren – zu
arbeiten.

Freies Sprechen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten finden

Die Klasse soll in drei Gruppen eingeteilt werden. Jede Gruppe erhält Bilder von
Personen, die in dem Märchen eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise: Gruppe
1 erhält zwei verschiedene Abbildungen von Schneewittchen (siehe
Abbildung 24), Gruppe 2 zwei verschiedene Abbildungen von der bösen Königin
und Gruppe 3 ein Bild der sieben Zwerge44.

44
Siehe Anhang.
100
Abbildung 24: Beispiel für Schneewittchen

Die L haben nun die Aufgabe, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der


Abbildungen zu finden, indem sie auf Aussehen und Charakter der abgebildeten
Figuren eingehen. Geübt werden hier nicht nur der Wortschatz zu Personen- und
Charakterbeschreibung, sondern vor allem auch die Grammatikphänomene der
Adjektivdeklination und Komparation.

Beispiel: Schneewittchen auf Bild 1 hat kurze, schwarze Haare. Schneewittchen auf
Bild 2 hat lange Haare. // Schneewittchen 1 hat kürzere Haare als Schneewittchen
2. // Schneewittchen 1 ist glücklicher als Schneewittchen 2.

Nach zehn Minuten präsentieren die Gruppen ihre Ergebnisse im Plenum. Alle
Bilder sollten hier allen L zugänglich gemacht werden – entweder als Handout oder
im Rahmen einer Power-Point-Präsentation – da die L so die Möglichkeit
bekommen, auch die anderen Bilder zu betrachten und eventuell weitere
Unterschiede und/oder Gemeinsamkeiten finden.

Basierend auf der Idee des Goethe-Instituts (vgl. Lundquist-Mog, 2012, S. 36),
müssen die L nun als zweite Übung die passenden Adjektive den einzelnen
Personen zuordnen. Die Charaktereigenschaften sind dem Wortschatz nach Profile
Deutsch für B1 angepasst. Einzig „selbstverliebt“ lässt sich nicht in Profile Deutsch
finden. Im Plenum werden dann die einzelnen Personen vorgestellt und gemeinsam
besprochen, wie die Figuren gesehen werden.

101
Person treu selbst- neugierig fleißig mutig beliebt
verliebt
Schnee-
wittchen
Königin

Jäger

Prinz

Fazit

Sowohl die erste, als auch die zweite Übung wurde durchwegs positiv
aufgenommen. Vor allem L, die nicht primär an dem Märchentext selbst interessiert
waren, zeigten positive Reaktionen, da sie die Grammatikübungen als sehr hilfreich
für ihren Lernprozess empfanden. Je nach Niveau (niedriges, mittleres, hohes B1)
konnten die Vergleiche und Gemeinsamkeiten unterschiedlich komplex aufgezählt
werden. Da oftmals leichte Defizite bei der Adjektivdeklination auftraten, kann hier
empfohlen werden (vor allem für schwächere Gruppen), Tabellen zur
Adjektivdeklination vorzubereiten45. Des Weiteren könnten kurze Textpassagen
aus Schneewittchen bearbeitet werden, anhand welcher die Adjektivdeklination
auch schriftlich wiederholt werden kann. Als Beispiel können hier Passagen des
Inhaltes von Kapitel 8.2.3 herangezogen werden. Aufgabe der L ist es, die richtigen
Endungen – wenn nötig – zu ergänzen:

Es war einmal eine schön__ Prinzessin, die eine Haut so weiß wie Schnee, Lippen
rot wie Blut und Haare schwarz wie Ebenholz hatte. Darum hieß sie
Schneewittchen. Da die Mutter der klein__ Prinzessin bei ihrer Geburt starb,
nahm sich der König eine neu__ Frau zur Braut. Die neu__ Königin war sehr
schön__, aber leider auch sehr eitel__ und böse__ . (…) Sie hatte einen
magisch__ Spiegel …

45
Bsp. für Grammatikübersichten im Internet: www.achtung-deutsch.com. Im Anhang findet sich
ein Beispiel (Adjektivdeklination).
102
Freies Sprechen: Über Wünsche und Träume sprechen können.

Als Einstieg bietet es sich an, das Lied aus der Disney-Verfilmung „Ich wünsch
mir…“ heranzuziehen.46 Da der Gesang nicht leicht verständlich ist, empfiehlt es
sich, hier den L den Liedtext vorab auszuhändigen. Es sollen folgende Fragen
geklärt werden: Was ist Schneewittchens größter Wunsch? An wen richtet sich ihr
Wunsch? Was wünscht sich der Prinz? Gemeinsam im Plenum sollen diese Fragen
nach Hören des Liedes beantwortet werden. Hier können vor allem auch kulturelle
Eigenheiten – wie etwa die Funktion eines Wunschbrunnens – besprochen werden
und kulturell miteinander verglichen werden. Für höhere Niveaus (ab B1+) lässt
sich hier ebenfalls eine Diskussion über die Darstellung von Mann und Frau
herleiten. Nachdem geklärt ist, welches der größte Wunsch Schneewittchens ist –
nämlich einen Prinzen zu finden – kann kurz auf die grammatikalische Form des
Konjunktiv 2, mit welchem Wünsche ausgedrückt werden können, eingegangen
werden. Da der Konjunktiv 2 als Wunsch bekannt sein sollte, dient dies nur als
kurze Wiederholung.

Für die zweite Übung werden die L wieder in Gruppen (zu maximal drei L pro
Gruppe) geteilt. Jede Gruppe erhält ein anderes Zitat, über welches sie diskutieren
muss. Zitate wie „wäre ich nur öfter meinen Träumen gefolgt“, „wenn du im Leben
nur einen Menschen küssen könntest, wer wäre es?“ oder „mir reicht, wenn ich
weiß, dass ich könnte, wenn ich wollte“ können beispielsweise herangezogen
werden. Die L diskutieren ca. zehn Minuten in der Kleingruppe über das Zitat. Im
Plenum soll dann kurz präsentiert werden, was besprochen wurde. Ziel dieser
Übung ist die aktive Anwendung des Konjunktivs 2, da sich alle Zitate mit
Wünschen, Träumen und Irrealem befassen.

Als abschließende Übungen sollen die L mit folgenden vier Fragen durch den Raum
gehen und vier verschiedene Personen je eine Frage beantworten lassen: Was
hättest du gern? Wo wärst du gern? Was wüsstest du am liebsten? Was könntest du
gern? Nach 5 – 10 Minuten wird im Plenum über die interessanteste Antwort, die
jeder/jede Einzelne bekommen hat, diskutiert.

46
Link siehe Literaturverzeichnis Video.
103
Fazit

Da vor allem in der zweiten Übung nur indirekt mit dem Märchen Schneewittchen
gearbeitet wurde, empfanden viele L die Übung als gute Wiederholung und
Festigung bereits erworbener grammatikalischer Kompetenzen. Auch hier
empfiehlt es sich, ein Handout mit einer kurzen Übersicht des Konjunktivs 2
mitzubringen, um die Arbeit mit dem grammatikalischen Phänomen zu
unterstützen. In allen drei Gruppen wurden die Übungen zu Konjunktiv 2 gut
angenommen. Einzig die Version des Liedes sollte ausgetauscht werden. Es wird
hier empfohlen, eine neuere Version des Liedes zu wählen, da YouTube-Videos mit
besserer Tonqualität verfügbar sind.

Kreatives Schreiben: Was wäre wenn …

Um die grammatikalische Fertigkeit des Konjunktivs 2 auch im Schreiben festigen


zu können, bietet es sich an, einen Text (ca. 50 Wörter) zu verfassen, in welchem
Konjunktiv 2-Formen und/oder Konditional(Bedingungs)-sätze geübt werden
können. Thema des kurzen Textes ist
„Schneewittchen 2.0 – Was wäre, wenn
Schneewittchen und die Königin im 21.
Jahrhundert leben würden?“ Auch hier kann
empfohlen werden, mit Bildimpulsen zu arbeiten
(siehe Abbildung 25).

Bei weniger kreativen Gruppen kann man etwaige


Abbildung 25: Die böse Königin – Selfie Satzanfänge und Ideen vorgeben. Des Weiteren
kann im Plenum gemeinsam eine Mind-Map erstellt werden und Begriffe
gesammelt werden, die typisch für das 21. Jahrhundert in Europa sind. Je nach
verbleibender Zeit kann der Text entweder als Hausübung oder während des
Unterrichts geschrieben werden.

Fazit

Vorab sind hier wichtige Begriffe des 21. Jahrhunderts – vor allem der Wortschatz
rund um die neuen Medien, wie Facebook, Tinder oder Selfie – einzuführen. L aus
Nigeria konnten beispielsweise mit dem Foto und dem Begriff Selfie nicht viel

104
assoziieren und konnten diese Aufgabe schwer bis gar nicht erfüllen. Es ist hier
wichtig, dass man sich als Lehrperson den Interessen und verschiedenen Kulturen
der Gruppe anpasst und für Begriffe des 21. Jahrhunderts nicht nur „Facebook“,
„Tinder“ oder „Selfie“ zulässt.

Diese Übung eignet sich (trotzdem) gut als Schreibübung, um den Konjunktiv 2
und die Bedingungssätze zu wiederholen und zu festigen – vorausgesetzt, die L sind
kreativ. Es wird empfohlen, diese Aufgabe sowohl nicht gelenkt (wie beschrieben),
als auch gelenkt (Vorgaben wie „Wenn die Königin im 21. Jahrhundert leben
würde, (dann) hätte sie viele Fotos auf Instagram“) einzusetzen. In einer der drei
Gruppen führte diese Übung zu einer Diskussion über Schönheit. Was gilt im 21.
Jahrhundert als schön? Wie ist das Schönheitsideal in D-A-CH, wie ist es in ihrem
Heimatland? Wie war es im 19. Jahrhundert? Welche kulturellen Unterschiede gibt
es? Die Diskussion eignete sich sehr gut, um kulturelle Gemeinsamkeiten und
Unterschiede festzustellen.

Diese Übung kann demzufolge – neben der Übung der grammatikalischen


Fertigkeiten – auch als Betrachtungsmöglichkeit kultureller Vergleiche eingesetzt
werden.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Arbeit mit Schneewittchen gut funktioniert
hat. Ein detailliertes Fazit soll jedoch erst in Conclusio am Ende des Kapitels 8
folgen. Zuerst wird im nächsten Kapitel noch die Didaktisierung von
Schneeweißchen und Rosenrot betrachtet.

105
Schneeweißchen und Rosenrot
Wie bereits in Kapitel 8.2 Schneewittchen, soll auch in diesem Kapitel vorab kurz
auf die Entstehungsgeschichte, die Lernziele und den Inhalt des Märchens
Schneeweißchen und Rosenrot eingegangen werden, welches – geht es nach dem
Märchenexperten Heinz Rölleke – bis heute zu den zehn populärsten aus der
Grimm’schen Sammlung zählt (vgl. Rölleke, 2000, S. 286).

Das KHM 161 Schneeweißchen und Rosenrot ist – im Gegensatz zu Schneewittchen


– kein Märchen, das es in die erste Auflage der Kinder- und Hausmärchen schaffte.
Es wurde erst 1833 der Kleinen Ausgabe und 1837 der dritten Auflage der KHM
hinzugefügt (vgl. Uther, 2008, S. 333). Als literarische Vorlage diente das Märchen
von Caroline Stahl Der undankbare Zwerg, der 1818 in ihren Fabeln, Märchen und
Erzählungen erstmals publiziert wurde (vgl. Ranke (a), 1999, S. 1350). Im
Gegensatz zu vielen anderen Märchen der Grimm´schen Sammlung, wo „der Anteil
der Beiträger und der bewußten [sic] sprachlichen Umformungen durch Wilhelm
und Jacob Grimm im dunkeln [sic] bleibt (…) lässt KHM 161 durchgängig
Wilhelms Diktion erkennen, der das Märchen (…), benutzt, aber nach meiner
Weise erzählt hat“ (Uther, 2008, S. 335)47. Die Abänderungen waren so stark, dass
Schneeweißchen und Rosenrot als einziges Kunstmärchen der Märchensammlung
gesehen werden kann (vgl. Ranke (a), 1999, S. 1351). Vor allem der erste Teil des
Märchens ist gänzlich von Wilhelm Grimm verfasst (vgl. Rölleke, 2000, S. 120).
Neue inhaltlich hinzugefügte Charakteristika sind u. a. „die ausgedehnte
Schilderung eines biedermeierlichen Familienlebens und die gleichberechtige
Hereinnahme der Tierbräutigam-Thematik, die bei Karoline Stahl völlig (…)
fehlen“ (Uther, 2008, S. 333). Des Weiteren werden hier ebenfalls durch das
hinzugefügte Auftreten eines Schutzengels die „in geradezu nazarenischer Manier
christliche Bilder in die (…) fremde oder geradezu widersprechende Märchenwelt“
von Wilhelm Grimm eingebracht (Rölleke, 2004, S. 101). Die Boshaftigkeit der
Figur des bösen Zwerges wird ebenfalls „breiter ausgeschmückt“ (Uther, 2008, S.
333), was durch die Verwendung vieler Schimpfwörter (u. a. „wahnsinnige
Schafsköpfe“) zum Ausdruck kommt – eine eher untypische „Grimm’sche“

47
Siehe auch Kapitel 3.5.1.
106
Sprachwahl (vgl. ebd.). Abgesehen davon ist das Märchen aber von der typischen
Grimm’schen Sprache durchzogen, was sich vor allem in der Tendenz zur
Diminuierung niederschlägt (vgl. Rölleke, 2000, S. 120).

Im Mittelpunkt der Erzählung stehen die beiden Schwestern. Schneeweißchen und


Rosenrot bilden gemeinsam ein Ideal des Frauenbildes der damaligen Zeit: Mit
ihrer Verbundenheit zu Natur und Familie sollen die Schwestern, als eine
Versinnbildlichung der reinen Seele, in der Himmel und Erde noch eins sind,
gesehen werden (Uther, 2008, S. 335). Die Farbe Rot – und somit Rosenrot – steht
farbsymbolisch für „kraftvolle Vitalität und lebhafte Unternehmungsfreude“,
wohingegen die Farbe Weiß des Schneeweißchens für Wille nach Reinheit und
Zurückhaltung steht (Drewermann/Neuhaus, 1984, S. 25). Beide Kontraste müssen
erst zusammenkommen – wie es in dem Märchen der Fall ist – um den „ganzen
Menschen zu verwirklichen“ (ebd.). Sie sind nicht nur vollkommen, sondern
entsprechen außerdem dem Erziehungsideal deutscher Töchter der damaligen Zeit
(vgl. Rölleke, 2000, S. 286).

Das harmonische Familienbild wird von Wilhelm Grimm besonders


ausgeschmückt. Neben dem Idealbild deutscher Töchter soll vor allem eines
vermittelt werden: Bravheit und Häuslichkeit. Die Kinder sind lieb und hold, die
Mutter gütig, das Haus ist rein und ordentlich und das Verhältnis zur Natur ist
ungetrübt (vgl. Uther, 2008. S. 335). Dieser harmonische Zustand wird auch nicht
gestört, als ein – vermeintlich – wildes Tier (der Bär) in das Haus der Familie
kommt. Dieser ist jedoch nicht gefährlich, sondern passt sich mit seiner Art des
„gutmütigen Spielgefährten“ der harmonischen Welt an (ebd.). Das
Aufeinandertreffen mit dem bösen Zwerg – der den Schwestern trotz ihrer
uneigennützigen Hilfe nichts als Böses wünscht – stören diese Idylle ebenfalls
nicht, da der Zwerg von dem Bär am Ende der Geschichte getötet wird. Dies führt
wiederrum zur Erlösung des Bären, der sich in einen schönen Prinzen
zurückverwandelt und Schneeweißchen heiratet. Um das Happy End vollkommen
zu machen, heiratet Rosenrot dessen Bruder und alle (inklusive der Mutter) leben
glücklich im Schloss.

107
Lernziele

Mit einem Mittelwert von 0,67 laut der empirischen Studie unter L (vgl. Kapitel 6),
zählt Schneeweißchen und Rosenrot zu einem der weniger bekannten Märchen der
Brüder Grimm – zumindest unter L. Den DaF-Experten und Expertinnen war der
Inhalt des Märchens – wie auch schon bei Schneewittchen – zu 100% bekannt und
wurde sogar unter den 25 befragten Märchen am dritthäufigsten genannt (vgl.
Kapitel 7).

Da man jedoch davon ausgehen sollte, dass das KHM 161 unabhängig von Alter
und Herkunft unter L, nicht bekannt ist, muss es auch dementsprechend aufbereitet
werden, indem spezifischer auf den Inhalt eingegangen wird. Die Lernziele sind
wie folgt definiert:

Lernziele:

Zielgruppe: ab Niveau B1 +

Zeit: 4 UE

Gruppengröße: min. 6 – max.15 L

Lernziele: Sprechen (Bildbeschreibung; eine Geschichte erzählen können);


Lesen (Märchentexte lesen und verstehen), Hörstrategie verbessern; Schreiben
(einen Brief schreiben); Leseverstehen (literarische Texte verstehen);
Wortschatz (Märchen)
Grammatikschwerpunkte: Zeiten des Deutschen (Präsens, Perfekt und Futur in
Wort und Schrift)

Textvorlage: Don Bosco (Hg.) (2015): Schneeweißchen und Rosenrot. Ein


Märchen aus der der Sammlung der Brüder Grimm. Mit Bildern von Petra
Lefin. München: Don Bosco Medien GmbH.
Vom Hersteller empfohlenes Alter: 4 – 8 Jahre

Da sich der Schneewittchen-Text, welcher für Kinder im Alter von 8 – 10 Jahren


empfohlen wurde, als im DaF-Unterricht schwer einsetzbar erwies, wurde diesmal
bewusst auf einen Text für ein jüngeres Zielpublikum zurückgegriffen. Es soll
überprüft werden, ob sich dieser besser für den DaF-Unterricht eignet. Die
herangezogene Version von Schneeweißchen und Rosenrot ist für Kinder im Alter

108
von 4 – 8 Jahren empfohlen – ein deutlich jüngeres Zielpublikum als bei Mein
großer Märchenschatz.

Arbeit mit dem Inhalt

DaF-Lehrende sollten sich vor Unterrichtsbeginn mit dem Inhalt des KHM 161
vertraut machen. Vorab soll aus diesem Grund der Inhalt frei und stark verkürzt
nach Grimm, 1957, S. 488 – 493 nacherzählt werden:

Eine Witwe lebte mit ihren zwei Töchtern Schneeweißchen und Rosenrot in einer
Hütte im Wald. Vor dem Haus standen zwei Rosenbäumchen, eines mit weißen,
das andere mit roten Rosen, die den beiden Mädchen ähnlich waren. Eines Tages
im Winter stand ein Bär vor der Tür. Die Familie gab ihm Schutz vor der Kälte und
er blieb den Winter über bei der Witwe und den beiden Schwestern. Im Frühling
musste er die Familie wieder verlassen, um seine Schätze vor dem bösen Zwerg zu
beschützen. Vor allem Schneeweißchen fiel der Abschied schwer.
Einige Zeit später trafen die Schwestern zum ersten Mal auf den bösen Zwerg. Sein
langer Bart war in der Spalte eines Baums eingeklemmt. Die Schwestern halfen
ihm, indem sie den Bart abschnitten. Der Zwerg war wütend und beschimpfte sie.
Kurze Zeit später trafen die Schwestern abermals auf den Zwerg. Diesmal hatte sich
sein Bart mit einer Angelschnur verflochten. Auch hier befreiten die Schwestern
ihn und wurden von ihm beschimpft. Bei der dritten Begegnung mit dem Zwerg
hatte ein Adler den Zwerg gepackt. Abermals retteten die Schwestern den Zwerg
und wurden zum Dank wieder beschimpft. Als sie den Zwerg erneut trafen, sahen
sie, dass er einen Schatz bei sich hatte. Als er abermals begann, sie zu beschimpfen,
stand plötzlich ihr Bär vor ihnen. Der Bär tötete den Zwerg und verwandelte sich
in einen Prinzen. Er war vom bösen Zwerg verwünscht worden, da dieser seine
Schätze haben wollte. Schneeweißchen und der Prinz feierten Hochzeit. Rosenrot
heiratete dessen Bruder. Auch die alte Mutter und die beiden Rosenbäumchen
fanden im Schloss ein neues zuhause.
Im Gegensatz zu Schneewittchen, dessen Inhalt vielen L bekannt ist, ist im Fall von
Schneeweißchen und Rosenrot nicht davon auszugehen, dass der Inhalt den L
geläufig ist. Mit verschiedenen Übungen (Lesen, Hören, Schreiben und Sprechen)
wird der Inhalt gemeinsam erarbeitet. Aus diesem Grund liefert diese
wissenschaftliche Arbeit keine Überarbeitung und Anpassungen des gesamten
Märchens für B1 – einzelne Passagen (siehe auch Fazit Kapitel 8.3.4) werden
jedoch überarbeitet und dem Niveau entsprechend angepasst.

109
Einstieg: Arbeit mit Bildimpuls

Der Einstieg soll – wie es bereits bei


Schneewittchen der Fall war – über
einen Bildimpuls erfolgen. Zu
sehen ist eine Szene aus dem
Märchen Schneeweißchen und
Rosenrot. Wann diese Szene im
Märchen vorkommt, ist für diese
Übung nicht relevant48. Die L
werden in Gruppen zu je 4 – 5
Personen geteilt. Die Aufgabe
besteht darin, Begriffe zu sammeln,
welche auf dem Bild vorkommen.
Dies können Nomen (Zwerg,
Mädchen, Bär, Schloss …), Verben
(töten, verstecken, springen …)
oder Adjektive (ängstlich, böse,
grün, groß …) sein. Die Gruppe mit Abbildung 26: Einstiegbild Schneeweißchen und Rosenrot

den meisten Begriffen gewinnt. Die Lehrperson sammelt die Begriffe an der Tafel
und ergänzt diese notfalls mit für die folgende Bildbeschreibung essentiellen
Begriffe. Es geht in dieser Übung nur darum, Begriffe/Wörter zu sammeln, nicht
jedoch darum, das Bild zu beschreiben. Dies geschieht erst im nächsten Schritt.

Als Hilfestellung für die nächste Übung (Bildbeschreibung) sollte ein Handout mit
einem Überblick der wichtigsten Redemittel ausgeteilt werden (siehe Tabelle 13):

48
Es handelt sich um eine der letzten Szenen, als der Bär den bösen Zwerg angreift und tötet.
110
Bildbeschreibung Auf dem Bild sieht man ...
Man sieht hier ...
Das Bild zeigt ...
Das Bild stellt ... dar.
Es erinnert mich an ...,
Auf den ersten Blick ...,
Es scheint ... zu sein.
... sieht aus wie / als ob ...

Vermutung äußern vielleicht


möglicherweise
vermutlich
Das könnte ... sein.

Meinung äußern Ich denke, dass ...


Ich glaube, dass ...
Meinem Eindruck nach ...
Ich habe den Eindruck, dass ...
Es scheint ... zu sein.
... sieht aus wie / als ob ...

Wie sind die abgebildeten skeptisch, nachdenklich, zufrieden, glücklich,


Personen/Tiere? heiter, aufmerksam, traurig, müde, erstaunt,
Wie fühlen sie sich? fröhlich, überrascht ...

Tabelle 13: Bildbeschreibung

Im Plenum oder in Kleingruppen kann das Bild unter Zuhilfenahme der Redemittel
beschrieben werden. Die L müssen eine Geschichte rund um das Bild kreieren.
Diese Aufgabe kann entweder schriftlich oder mündlich gelöst werden. Folgende
Fragen müssen (basierend auf dem Bild) beantwortet werden:

• Präsens: Was passiert gerade auf dem Bild49?


• Perfekt: Was ist davor passiert?
• Futur: Was wird passieren?

Fazit

Bevor auf die Reaktion der L eingegangen wird, soll kurz festgehalten werden,
warum die Arbeit mit Bildimpulsen empfehlenswert ist.

49
= eigentliche Bildbeschreibung
111
Da Bildbeschreibungen Teil vieler offizieller Deutschprüfungen sind, fiel die Wahl
für den Einstieg auf die Arbeit mit einem Bildimpuls. Als Beispiel50 für Zertifikate,
die mit Bildimpulsen arbeiten, können der Test für Zuwanderer A2 – B1 (Goethe-
Institut) und das Zertifikat B2 Mittelstufe Deutsch (ÖSD) herangezogen werden:

Im zweiten Teil der mündlichen Prüfung des Deutsch-Tests für Zuwanderer A2 –


B1 geht es darum, auf Basis eines Fotos (Teilnehmende erhalten einen Bildimpuls)
über ein Alltagsthema zu sprechen (vgl. online: Perlmann-Balme u. v. m., 2009, S.
62). Dies sollte geschehen, indem die Migrationssituation reflektiert wird und die
„Gepflogenheiten des Herkunftslandes und Deutschlands in Bezug zueinander“
gesetzt werden (ebd.). Aufgabe ist es, kurz zu beschreiben, was die Teilnehmenden
auf dem Foto sehen und was für eine Situation dieses Bild zeigt. Nach
monologischem Sprechen der Teilnehmenden stellt der/die Prüfende noch
Anschlussfragen, welche dem „vorgefundenen sprachlichen Niveau A2 oder B1
angepasst werden“ (ebd.).

Bei dem Österreichischen Sprachdiplom (kurz ÖSD) wird erst in der Prüfung B2
Mittelstufe Deutsch mit Bildimpulsen gearbeitet. Den Teilnehmenden werden drei
Bilder vorgelegt. Nachdem sie ein Bild ausgewählt haben, müssen sie es
beschreiben und über das Thema des Bildes sprechen. Sie müssen in der Lage sein,
ihre Meinung zu äußern und Vermutungen anzustellen (vgl. ÖSD, 2013, S. 19ff).

Obwohl in beiden Fällen die Bilder Situationen aus dem realen Leben darstellen –
ganz im Gegensatz zu dem Bild bei Schneeweißchen und Rosenrot – kann diese
Übung als (indirekte) Vorbereitung für die beiden Prüfungen gesehen werden, da
Redemittel zum Thema Bildbeschreibung geübt und gefestigt werden können. Ein
Wissen, auf welches auch bei den Zertifikatsprüfungen zurückgegriffen werden
kann.

Des Weiteren wird bereits hier (gemeinsam) der benötigte Wortschatz für das
Märchen eingeführt und erarbeitet. Als Beispiel können Wörter wie Schwestern,
Schatz, Schloss, Bär und Zwerg genannt werden.

50
Weitere Beispiel sind Kid A1 und Kid A2 (ebenfalls ÖSD).
112
Da es bei der Bildbeschreibung mehrheitlich um subjektive Wahrnehmung und
Meinungsäußerung geht, könnten vorab mehrere Redemittel zu „eine Meinung
äußern“ erarbeitet werden51, welche noch einmal in der später vorkommenden
Übung „Vermutungen äußern/Meinung sagen“52 geübt und gefestigt werden.

Der gewählte Einstieg wurde von den L durchwegs positiv aufgenommen. Mit Hilfe
dieser Übung kann sich auch die Lehrperson einen raschen Überblick verschaffen,
ob die Zeiten des Deutschen von den L beherrscht werden.

Anzumerken ist hier, dass sich bereits bei dieser Übung herausstellte, dass
Schneeweißchen und Rosenrot – obwohl in der empirischen Forschung im
Mittelfeld – keinem der über 30 L inhaltlich bekannt war. Was sich jedoch bei
dieser Übung gezeigt hat ist, dass sich Bildimpulse gut für den Einstieg eignen,
gleichgültig, ob das Märchen unter den L bekannt (Schneewittchen) oder unbekannt
(Schneeweißchen und Rosenrot) ist.

Märchen lesen: Präteritum ergänzen und Inhalt verstehen

Als Ausgangstext werden die ersten beiden Seiten des Kindertextes herangezogen.
Eine Kopie des Textes wird ausgeteilt, wobei die L erst die richtige Form des
Präteritums ergänzen müssen. Die L sollten auch darauf aufmerksam gemacht
werden, auf die Person (Einzahl, Mehrzahl) zu achten:

51
Erarbeitung mit Hilfe von Unterlagen von Schubert Verlag. Siehe Anhang.
52
Siehe Seite 117 ff.
113
Eine arme Witwe ………………… (leben) einsam in einem Hüttchen im Garten,
darin ………………… (stehen) zwei Rosenbäumchen, eines mit weißen, das
andere mit roten Rosen. Ihre zwei Töchter, die den Rosenbäumchen
…………………(gleichen), ………………… (heißen) Schneeweißchen und
Rosenrot. Rosenrot …………………(springen) am liebsten in den Wiesen
umher, ………………… (suchen) Blumen und ………………… (fangen)
Sommervögel. Schneeweißchen aber ………………… (sitzen) daheim bei der
Mutter, ………………… (helfen) ihr oder ………………… ihr ……..
(vorlesen). Die beiden Kinder ………………… (haben) einander lieb.
Schneeweißchen ………………… (sagen) oft: „Wir wollen uns nicht verlassen.“
Im Winter ………………… Schneeweißchen das Feuer im Haus ……..
(anzünden) und ………………… (hängen) den Kessel an den Feuerhaken.
Abends, wenn die Flocken ………………… (fallen), ………………… (sagen)
die Mutter: „Geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor“, und dann
………………… (setzen) sie sich an den Herd, und die Mutter …………………
(lesen) aus einem großen Buche vor. Eines Abends, als sie so vertraulich
………………… (beisammensitzen), ………………… (klopfen) jemand an die
Türe. Die Mutter………………… (sprechen): „Geschwind, Rosenrot, mach auf,
es wird ein Wanderer sein, der Obdach sucht.“ Rosenrot …………………(gehen)
und ………………… den Riegel …….. (wegschieben). Vor der Tür
………………… ein Bär, der seinen dicken braunen Kopf zur Tür
………………… (hereinstrecken).

Nachdem die Lösung53 (die richtige Form des Präteritums) im Plenum besprochen
und etwaige unbekannte Wörter geklärt wurden, bekommen die L ihre zweite
Aufgabe, welche darin besteht, folgende Fragen – entweder allein oder zu zweit –
zu beantworten:

• Welche Personen kommen in dem Text vor?


• Beschreiben Sie kurz Aussehen und Charakter der Schwestern.
• Was macht die Familie im Winter?
• Wer klopft an die Tür?

53
Siehe Anhang.
114
Fazit

Ob die Wiederholung des Präteritums funktioniert, hängt stark von dem B1-Niveau
der L ab54. Stärkere L konnten die Übungen gut lösen. Neben den richtigen Formen
des Präteritums konnten auch trennbare Verben wiederholt werden. Auch hier
empfiehlt es sich, einige Wörter und/oder Passagen des Kindertextes entweder
wegzulassen oder umzuschreiben (siehe Tabelle 14). Es ist beispielsweise zu
beachten, wie das Verb „hängen“ im Kindertext gebraucht wird: Im Winter zündete
Schneeweißchen das Feuer im Haus an und hing den Kessel an den Feuerhaken.
Im Originaltext der Grimm (vgl. Grimm, 1957, S. 448) wird ebenfalls „hing“
verwendet. Ein möglicher Grund könnte sein, dass das Verb „hängen“ lange Zeit
nur als starkes Verb gebraucht wurde (vgl. Pfeifer, 2005, S. 506). Das Verb kann
heute jedoch transitiv oder intransitiv gebraucht werden. Verwendet man es nach
heute geltenden Regeln, so hieße der Satz korrekt: Im Winter zündete
Schneeweißchen das Feuer im Haus an und hängte den Kessel an den Feuerhaken.
Dies sollte die Lehrperson unbedingt beachten, falls er/sie beschließt, mit diesem
Text zu arbeiten.

Passt man folgende Passagen des Textes dem Niveau entsprechend an, kann die
Übung für den Unterricht auf B1 verwendet werden:

54
Da die Arbeit mit Schneeweißchen und Rosenrot für ein B1+ Niveau didaktisiert wurde, ist
Vorsicht geboten, falls man es doch bereits auf einem schwachen B1-Niveau anwenden will, da
wahrscheinlich einige L mit unregelmäßigen Formen des Präteritums noch nicht vertraut sind. Mit
Hilfe dieser Übung können einige Wörter jedoch neu erarbeitet werden.
115
Original Alternative

Ihre zwei Töchter, die den Ihre zwei Töchter sahen den beiden
Rosenbäumchen glichen, hießen Rosenbäumchen sehr ähnlich.
Schneeweißchen und Rosenrot. Deshalb hießen sie Schneeweißchen
und Rosenrot.

Im Winter zündete Schneeweißchen Im Winter zündete Schneeweißchen


das Feuer im Haus an und hing den das Feuer im Haus an.
Kessel an den Feuerhaken.

Abends, wenn die Flocken fielen, Abends, wenn es schneite, sagte die
sagte die Mutter: „Geh, Mutter:„Geh, Schneeweißchen und
Schneeweißchen, und schieb den schließ die Tür ab“, und dann setzten
Riegel vor, “ und dann setzten sie sich sie sich an den Herd, und die Mutter
an den Herd, und die Mutter las aus las aus einem großen Buch vor.
einem großen Buche vor.

Eines Abends, als sie so vertraulich Eines Abends klopfte jemand an die
beisammensaßen, klopfte jemand an Tür.
die Tür.

Die Mutter sprach: „Geschwind, Die Mutter sprach: „Schnell,


Rosenrot, mach auf, es wird ein Rosenrot, es wird ein Wanderer sein,
Wanderer sein, der Obdach sucht.“ der eine Unterkunft sucht.“

Rosenrot schob den Riegel weg. Rosenrot öffnete die Tür.

Tabelle 14: Abänderung und Anpassung nach Profile Deutsch

Auch die anschließende Diskussion über den Inhalt des gelesenen Textes
funktionierte gut. Teilweise (in 2 von 3 Gruppen) konnte herausgearbeitet werden,
wie das Idealbild von Töchtern im 19. Jahrhundert dargestellt wurde und ein
Vergleich zu heute geltenden Regeln und Konventionen in der Erziehung gezogen
werden. Auch hier konnten interkulturelle Vergleiche zwischen der „idealen
Erziehung von Töchtern“ heutzutage in D-A-CH und den einzelnen Zielländern
gezogen werden.

Vermutungen aufstellen/Meinung äußern: Wie geht es weiter?

Die L haben nun die Möglichkeit (in Gruppen oder Einzelarbeit), sich kurz in 2 – 3
Sätzen zu überlegen, wie es weitergeht. Was passiert, nachdem Rosenrot die Tür
öffnete? Wie ist der Bär?

116
Mit Hilfe von Bildern (siehe auch Abbildung 27) löst die Lehrperson auf, was
passiert: Der Bär merkte, dass die beiden Schwestern Angst hatten und sagte:
„Fürchtet euch nicht, ich tue euch nichts zuleid, ich bin halb erfroren, und will mich
nur ein wenig bei euch wärmen“ (Grimm, 1957, S. 490). Die Witwe und ihre
Töchter hatten Mitleid und ließen den Bären den ganzen Winter bei sich wohnen.

Fazit

Die Übung eignete sich gut, um Redemittel zum Thema Meinungsäußerung weiter
zu festigen. Interessanterweise waren unter den L zwei katholische Priester aus
Nigeria. Diese konnten – nachdem die Lehrperson die kurze Textpassage „Fürchtet
euch nicht, ich tue euch nichts zuleid“ vorgelesen hatte – Parallelen zu Stellen aus
der Bibel finden. So beginnt auch der Engel, der nach Jesus Geburt zu den Hirten
spricht, mit denselben Worten. Da auch hier die Erzählung der Märchenlogik folgt,
konnten die L erahnen, dass es sich bei dem Bären um kein wildes und böses Tier
handelt und er eine wichtige Rolle in der Geschichte spielt.

Hörstrategie: Eine filmische Szene ansehen und verstehen

Herangezogen wird eine kurze Passage aus der Zeichentrickserie Grimms Märchen:
Schneeweißchen und Rosenrot, welche aus der Anime-Reihe Grimms Märchen,
ursprünglich aus Japan, stammt und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. In den
1990iger Jahren wurde die Serie im deutschsprachigen Raum ausgestrahlt. Online
findet man die meisten der 47 Folgen, wie auch Schneeweißchen und Rosenrot55
auf www.youtube.com.

Gezeigt wird die Passage (Minute 05:08 – 08:25), welche nach dem Winter einsetzt,
in dem der Bär bei den Schwestern Unterschlupf sucht. Es ist Frühling und der Bär
verabschiedet sich von Schneeweißchen. Kurze Zeit später treffen Schneeweißchen
und Rosenrot das erste Mal auf den Zwerg.

L haben die Möglichkeit, die Passage zweimal anzusehen und sollen dann (allein
oder in der Gruppe) folgende Fragen beantworten, welche sie vorab als Handout
ausgeteilt bekommen:

55
Der Link für Schneeweißchen und Rosenrot findet sich im Literaturverzeichnis (Video).
117
• Warum verlässt der Bär das Haus?
• Welche Beziehung haben Schneeweißchen und der Bär?
• Was passiert, als der Bär sich an der Tür verletzt?
• Was ist dem Zwerg passiert?
• Wie lösen Schneeweißchen und Rosenrot das Problem?
• Wie würden Sie den Charakter des Zwerges beschreiben?

Fazit

Diese Übung hat sich für den Einsatz auf dem Niveau B1 als ungeeignet erwiesen.
Alle drei Workshop-Gruppen waren mit der Redegeschwindigkeit, als auch dem
verwendeten Wortschatz überfordert. Einige der Fragen konnten zwar grob
beantwortet werden, was jedoch nicht daran lag, dass der Text richtig verstanden
wurde – sondern eher daran, dass die Bilder des Filmes richtig gedeutet wurden.
Die L konnten beispielsweise sehen, dass der Bart des Zwerges im Baumstamm
eingeklemmt war und Schneeweißchen ihn mit der Schere durchschnitt. Des
Weiteren konnten dem Zwerg negative Charaktereigenschaften zugeschrieben
werden, was allerdings auf die Darstellung seiner Gesichtszüge und Intonation der
Stimme zurückgeführt werden kann. Passagen, in denen der Zwerg die Schwestern
beschimpft, wurden zwar richtig als Beschimpfung gedeutet, jedoch nicht wörtlich
verstanden, was bei der Wahl der Vokabeln auch nachvollziehbar ist. So sollen die
Schwestern ab Minute 07:34, als sie helfen wollen, „lieber ihren Grips anstrengen“
und werden in Minute 07:56 mit weiteren Beschimpfungen konfrontiert: „Ihr habt
meinen schönen Bart ruiniert, ihr Spatzenhirne!“ Obwohl die Sprachhandlung vom
Original und dem Kindertext abweichen, sind sie immer noch für B1-L schwer
verständlich, was vor allem auf die Redegeschwindigkeit zurückzuführen ist. Das
Video wurde in zwei von drei Gruppen erprobt. In Gruppe 3, dessen L sich
größtenteils auf einem niedrigen B1-Niveau befanden, wurde auf den Einsatz des
Videos verzichtet und die restliche Geschichte mit Hilfe einer Bildgeschichte
erzählt. Infolgedessen lässt sich sagen, dass vom Einsatz von der Zeichentrickserien
Grimms Märchen im B1-Unterricht abzuraten ist.

118
Freies Sprechen: Eine (Bild-)Geschichte erzählen können

Die erste Hälfte des Inhalts ist zu diesem Zeitpunkt durch die gemeinsame
Erarbeitung bekannt. Die zweite Hälfte des Inhalts soll nun von L mit Hilfe einer
Bildgeschichte erzählt werden. Dies soll in Gruppen zu max. fünf L mündlich oder
schriftlich erfolgen. Herangezogen werden die Bilder des Kinderbuches, welches
auch als Textvorlage dient. Die
Lehrperson teilt die 11 Bilder aus
(Beispiel siehe Abbildung 27), welche in
der richtigen Reihenfolge nummeriert
sind. Der Inhalt von Bild 1 – 5 ist bereits
bekannt und kann als Wiederholung des
Präteritums von den L noch einmal
nacherzählt werden. Die Bilder 6 – 11
handeln von den erneuten
Abbildung 27: Beispielbild aus Schneeweißchen
und Rosenrot (Bild 8) Aufeinandertreffen des Zwerges mit den
beiden Schwestern, dem Tod des Zwerges und der Verwandlung des Bären zum
Prinzen. Auch hier kann der bereits erarbeitete Wortschatz für Bildbeschreibungen
erneut verwendet und gefestigt werden.

Nachdem die Geschichte rekonstruiert wurde, kann noch einmal das Bild von
Beginn der UE (siehe Kapitel 8.3.3 Einstieg mit Bildimpuls) gezeigt werden, um zu
sehen, ob die L es richtig einordnen können.

Fazit

Die Arbeit mit Bildern war auch in diesem Fall erfolgreich. Vorab sollten vielleicht
noch zu jedem Bild unbekannte Vokabeln im Plenum besprochen werden, wie
beispielsweise Angel (Bild 7), Adler (Bild 8) oder Fell (Bild 11). Jede Gruppe sollte
zu jedem Bild 1 – 2 Sätze schreiben, die dann auf Fehler korrigiert wurden. Die
einzelnen Gruppen waren in ihren Nacherzählungen sehr nah am richtigen Inhalt,
obwohl manche der Bilder etwas undeutlich waren. Dies ist auf die bereits
mehrmals erwähnte logische Erzählweise bei Märchen zurückzuführen. Viele L
waren vertraut damit, dass drei Aufgaben erfüllt werden müssen, bevor der
Märchenheld/die Märchenheldin zum Ziel kommt. So mussten Schneeweißchen

119
und Rosenrot den Zwerg dreimal retten, bevor sie ihre Hochzeit(en) hatten. Des
Weiteren siegt das Gute über das Böse, was die L erahnen ließ, dass der Bär den
Zwerg tötete und so erlöst wurde. Das Motiv der „Tierhaut ablegen“ war den
meisten jedoch nicht bekannt – außer einigen L aus Afrika. Die meisten L aus
Europa, Amerika und Asien vermuteten, dass der Prinz sich nur verkleidet und
unter dem Fell versteckt hatte. Dass der Prinz eine der beiden Schwestern heiraten
würde und auch die andere Schwester am Hof einen netten Bräutigam finden würde,
wurde ebenfalls mehrmals vermutet. Obwohl das Märchen allen L nicht bekannt
war, waren sie doch in der Lage, den logisch-stringenten Aufbau des Märchens
beinahe korrekt nachzuerzählen, was für die Theorie spricht, dass sich Märchen im
DaF-Unterricht gut einsetzen lassen.

Schreiben: Einen (märchenhaften) Brief schreiben können …

Die Situation: Es ist die Zeit nach der Hochzeit. Die beiden Schwestern leben
bereits am Hof. Eine der beiden Schwestern schreibt der Mutter einen Brief und
erzählt ihr von dem Umzug / einer Reise / einem Fest etc. Das Format und die
Aufgabenstellung wurden auf Grundlage der Prüfung „Zertifikat B1 Schreiben
Aufgabe 1“ gewählt.
Das hier gewählte Beispiel ist auf Basis des Modelsatzes56 entstanden und wurde
durch leichte Abänderungen dem Märchen angepasst.

Aufgabe Arbeitszeit: 20 Minuten


Sie haben vor einer Woche Ihren Geburtstag gefeiert. Ihre Mutter konnte nicht
zu Ihrer Feier kommen, weil sie krank war. – Beschreiben Sie: Wie war die
Feier? – Begründen Sie: Welches Geschenk finden Sie besonders toll und
warum? – Machen Sie einen Vorschlag für ein Treffen.
Schreiben Sie einen Brief (circa 80 Wörter). Schreiben Sie etwas zu allen drei
Punkten. Achten Sie auf den Textaufbau (Anrede, Einleitung, Reihenfolge der
Inhaltspunkte, Schluss).

56
Online unter: http://www.osd.at/default.aspx?SIid=17&LAid=1&ARid=351
120
Fazit

Anzumerken ist, dass sich die Situation (nur die beiden Schwestern leben am Hof)
nach dem Inhalt des Kinderbuches Don Bosco richtet. In der Originalversion der
Brüder Grimm wohnt die Mutter ebenfalls am Hof und die Aufgabe müsste ein
wenig umformuliert werden. Da sowohl die Fragen, als auch der Aufbau der
Angabe aus dem Modellsatz des Zertifikat B1 übernommen wurden, eignet sich die
Aufgabe sehr gut für eine Schreibaufgabe auf B1. Die L konnten frei wählen, ob sie
in der Märchenwelt bleiben wollten und dementsprechend ihren erworbenen
Wortschatz anwenden konnten oder den Brief nach einer „realen Situation“
außerhalb der Märchenwelt verfassen wollten, wie es im Modellsatz der Fall ist.
Vor allem für L, die sich auf das ÖSD- oder Goethe-Zertifikat vorbereiten wollten,
eignete sich diese Übung besonders gut und wurde positiv aufgenommen.

121
Conclusio
Die Arbeit mit Schneewittchen und Schneeweißchen und Rosenrot hat in allen drei
Gruppen sehr gut funktioniert und es konnten alle Lernziele – mit Ausnahme der
Verbesserung der Hörstrategie bei Schneeweißchen und Rosenrot – erreicht
werden. Die Märchen eigneten sich nicht nur gut, um das Leseverstehen zu fördern,
sondern auch, um freies Sprechen und Schreiben zu üben. Des Weiteren konnten
wichtige Grammatikphänomene wie Adjektivdeklination, Konjunktiv 2 oder
Präteritum behandelt werden. Einige der Übungen können verfeinert und verbessert
werden, um den Lernerfolg noch mehr zu steigern. Die Didaktisierung
Schneewittchens funktionierte sowohl auf schwächeren B1-Niveaus, als auch mit L
auf sehr hohen B1-/Anfang B2-Niveau. Schneeweißchen und Rosenrot eignet sich
besser für die Arbeit ab B1+.

Eine Feedbackrunde am Ende jedes dreiwöchigen Workshops ergab, dass in allen


drei Gruppen die Arbeit mit Schneewittchen am positivsten aufgenommen wurde.
Andere Märchen die behandelt wurden – wie Rumpelstilzchen, Frau Holle oder
Schneeweißchen und Rosenrot – waren weniger populär unter den L. Vor allem L,
denen das Märchen aus der Kindheit bekannt war, hatten viel Freude daran, mit
dem Märchen zu arbeiten. Bei L, denen das Märchen Schneewittchen unbekannt
war, fielen die Reaktionen neutraler aus. Auch hier können nur Vermutungen
angestellt werden. Warum dies so ist, kann im Rahmen dieser Forschung aber nicht
empirisch unterlegt werden. Eine Vermutung ist, dass viele L Schönes und Positives
mit dem Märchen verbinden. Viele L hatten durchwegs positive Assoziationen mit
ihrer Kindheit und Jugend oder sogar mit ihrer Rolle als Vater/Mutter, da sie
Schneewittchen auch ihren Kindern vorlesen. Infolge dieser positiven Assoziation
wurde auch die Arbeit mit dem Märchen sehr positiv aufgenommen. Die L
stammten überwiegend aus dem europäischen und amerikanischen Raum.

Schneeweißchen und Rosenrot wurde weder positiv noch negativ bewertet. Die
Reaktionen waren neutral. Viele L gaben an, dass sie die Übungen rund um das
Märchen (vor allem Präteritum, Redemittel festigen und Schreibübung) als hilfreich
empfanden, der Inhalt ihnen jedoch ein wenig zu langweilig sei. Auch die
Darstellung der braven und lieben Schwestern war für – vor allem weibliche L im

122
Alter von 18 bis 25 – nicht ansprechend. Interessanterweise störte sie die
Darstellung des häuslichen und braven Mädchens bei Schneewittchen keineswegs.

Im Laufe der Unterrichtseinheiten stellte sich die Frage, inwieweit die L den neu
erlernten Wortschatz auch im Alltagsleben verwenden könnten. Welche Begriffe
und Figuren sind aktuell und auch heute noch gebräuchlich? Wörter wie Schloss,
Prinz/Prinzessin, König/Königin oder Witwe sind Nomen, welche auch außerhalb
von Märchen noch Bedeutung haben, auch wenn sie nicht (all)täglich gebraucht
werden. Da alle L den Märchenworkshop freiwillig besuchten, waren sie
dementsprechend motiviert, den Wortschatz rund um Märchen zu lernen (vgl. auch
die Conclusio der Wortschatzerarbeitung in Kapitel 8.1.3). Im Regelunterricht
könnte man bei der Arbeit von Märchen den Fokus der L nicht auf den Wortschatz
selbst, sondern auf den Unterhaltungswert der Märchen legen und sie somit
motivieren und für das Thema begeistern. Dies sind jedoch nur Vermutungen und
konnten im Rahmen dieser Arbeit weder bestätigt noch widerlegt werden.

Während der Arbeit mit den beiden Märchen tauchte auch die Frage nach dem
landeskundlichen und dem interkulturellen Aspekt der beiden Märchen auf. Für
beide Märchen wurde festgestellt, dass Themen angesprochen werden, die in D-A-
CH eine hohe Aktualität haben und, dass DaF-Lernenden daher etwas über D-A-
CH lernen können. In Schneewittchen beispielsweise kommt das in den drei
deutschsprachigen Ländern sehr aktuelle Thema der Patchwork-Familie vor. Da
etwa in Österreich jede zweite Ehe geschieden wird, ist dieses Thema (Problem
zwischen neuem Partner/neuer Partnerin und eigenen Kindern) sehr aktuell. Des
Weiteren erfahren die L, dass Verstorbene eine Zeit lang in Särgen aufgebahrt
werden, was auch heute häufig noch der Fall ist. Auch heutzutage in den D-A-CH-
Ländern geltende moralische Vorstellungen werden bei Schneewittchen
aufgegriffen. Das Märchen zeigt, dass man die Hoffnung nie aufgeben sollte, auch
wenn die Situation hoffnungslos erscheint. Außerdem wird das Thema der Eitelkeit
angesprochen. Mit der Übung „Was wäre wenn …“ hatten die L die Möglichkeit,
in die „Eitelkeit des 21. Jahrhunderts“ einzutauchen. Nach dem Motto „Selfie,
Selfie in der Hand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ kann diese Thematik in
das 21. Jahrhundert projiziert werden.

123
Bei Schneewittchen und Schneeweißchen und Rosenrot erfahren die L viel über
landschaftliche und klimatische Verhältnisse in D-A-CH: Es gibt viele Berge,
Wälder und Schnee. Die drei Länder befinden sich in einer klimatischen Zone, in
der es Frühling, Sommer, Herbst und Winter gibt. Auch die in den Wäldern
lebenden Tiere werden hervorgehoben: Bären, Wildschweine, Hasen um nur einige
zu nennen. Wie bereits bei Schneewittchen werden auch bei Schneeweißchen und
Rosenrot noch heute geltende moralische Aspekte wie Familienzusammenhalt und
Hilfsbereitschaft aufgegriffen.

Des Weiteren hat sich die Annahme bestätigt, dass sich sowohl der Märchentext
aus Mein großer Märchenschatz, empfohlen für Kinder von 8 – 10 Jahren, als auch
der für 4 – 8jährige Kinder umgeschriebene Text von Schneeweißchen und
Rosenrot, nicht für den DaF-Unterricht auf dem Niveau B1 eignet. Vom Einsatz
von Kinderbüchern im DaF-Unterricht auf B1 kann dementsprechend abgeraten
werden.

Darüber hinaus ist bei der Bearbeitung (vor allem für jüngere Kinder) zu beachten,
dass die Originalmärchen der Grimm oft stark umgeschrieben werden und viele
Passagen (eventuell um sie kindergerechter zu machen) ausgespart werden. Der
Anfang des KHM 161 Schneeweißchen und Rosenrot in der Grimm’schen
Originalfassung zeichnet sich vor allem durch eine detaillierte Beschreibung des
idyllischen Lebens der kleinen Familie aus. So wird beispielsweise auf die
Darstellung der harmonischen Beziehung zu den Tieren („Oft liefen sie im Walde
allein umher und sammelten roten Beeren, aber kein Tier tat ihnen etwas zuleid,
sondern sie kamen vertraulich herbei. (…) Kein Unfall traf sie (…) und die Mutter
wußte [sic] das und hatte ihretwegen keine Sorge.“), das Erscheinen des
Schutzengels („Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten und das Morgenrot sie
aufweckte, da sahen sie ein schönes Kinde in einem weißen glänzenden Kleid neben
ihrem Lager sitzen. (…) Die Mutter (…) sagte ihnen, das müßte [sic] ein Engel
gewesen sein, der gute Kinder bewache.“) und die Reinlichkeit des Hauses
(„Schneeweißchen und Rosenrot hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß
[sic] es eine Freude war, hinzuschauen.“) besonders eingegangen (Grimm, 1957, S.
489). In der Don Bosco-Version (2015) wird darauf gänzlich verzichtet. Da gerade
diese Passagen von Wilhelm Grimm hinzugefügt wurden, sollten sie – um die

124
Ansichten und Werte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum zu
verdeutlichen – im DaF-Unterricht eingesetzt und nicht ausgespart werden.

Im Gegensatz dazu hält sich die Version in Mein großer Märchenschatz stark an
die Grimm’sche Fassung. Der Text wird nur an einigen Stellen gekürzt, verändert
sich sinngemäß und inhaltlich dadurch jedoch nicht, was folgendes Beispiel
verdeutlicht:

Original Mein großer Märchenschatz

Die Zwerglein, wie sie abends nach Abends fanden die Zwerge
Hause kamen, fanden Schneewittchen Schneewittchen tot auf der Erde
auf der Erde liegen, und es ging kein liegen.
Atem mehr aus seinem Mund, und es
war tot.

Sie hoben es auf, suchten, ob sie was Sie hoben es auf und suchten, ob sie
Giftiges fänden, schnürten es auf, etwas Giftiges fänden, sie schnürten
kämmten ihm die Haare, wuschen es es auf und kämmten es, sie wuschen
mit Wasser und Wein, aber es half es, aber ihr liebes Schneewittchen
nichts; das liebe Kind war tot und blieb tot.
blieb tot.

Grimm, 1957, S. 194 Wiencirz, 2012, S. 44

Obwohl sich dieser Text sehr an das Original hält, ist trotzdem (wie bereits
mehrmals erwähnt) von einer Anwendung im DaF-Unterricht abzuraten.

Je nach Intention der Lehrperson – was sie/er mit der Arbeit mit Märchen
bezwecken will – sollte auf die unterschiedlichen vorhandenen Versionen geachtet
werden. Werden Märchentexte niveauentsprechend didaktisiert, sollten die
Lehrpersonen auf den Text der Originalversion zurückgreifen, um die
Didaktisierung so authentisch wie möglich halten zu können. Infolgedessen kann
gesagt werden: Wird der Text dem Niveau der jeweiligen Gruppe angepasst, kann
inhaltlich gut mit Märchen gearbeitet werden, da sich neben neuen Vokabeln und
Grammatikstrukturen viele interessante Aspekte der deutschsprachigen Kultur,
Tradition und Literatur finden lassen.

125
Da Schneewittchen ein unter L bekannteres Märchen war, konnten die Übungen um
den Inhalt herum aufgebaut werden. Der Inhalt des Märchens spielte hier eine
untergeordnete Rolle. Bei Schneeweißchen und Rosenrot – wo der Inhalt gänzlich
unbekannt war – spielte der Inhalt eine übergeordnete Rolle. Ziel war es hier, mit
Hilfe verschiedener Übungen den Inhalt gemeinsam zu erarbeiten. An den beiden
Beispielen kann man gut erkennen, wie unterschiedlich ein bekanntes und mäßig
bekanntes Märchen aufbereitet werden könnte/müsste.

Was leider im Rahmen der Didaktisierung der beiden Märchen zu kurz kam, sind
die interkulturellen Facetten, die Märchen zu bieten haben. Arbeiten DaF-Lehrende
mit Märchen, könnten diese wie folgt erarbeitet und eingefügt werden: Jeder/Jede
L erzählt oder schreibt ein Märchen seines/ihres Herkunftslandes. Gemeinsam in
der Gruppe werden die Märchen thematisiert und besprochen. Welche Figuren und
Motive lassen sich in den einzelnen Märchen finden? Bei Erarbeitung des
Wortschatzes und der deutschen Titel (siehe auch Kapitel 8.1) konnte im Workshop
kurz aufgezeigt werden, dass sich viele Figuren und Motive (wie Prinz/Prinzessin,
Zwerge, ein gutes Ende, böse Stiefmütter) auch in Märchen anderer (vor allem
westlicher) Länder wiederfinden lassen. Mit Hilfe der erzählten/geschriebenen
Märchen der L könnte nun auf noch mehr Parallelen oder auch Gegensätze
eingegangen werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Schneewittchen und Schneeweißchen


und Rosenrot sich gut in den DaF-Unterricht integrieren lassen und auch
(größtenteils) positiv von den L aufgenommen wurden. Trotz großer Bekanntheit
sollten aber auch populärere Märchen für den DaF-Unterricht niveauentsprechend
umgeschrieben und didaktisiert werden. Erfolgt dies, sind viele Möglichkeiten
geboten, wie man das Märchen im Unterricht präsentieren kann, um verschiedenste
Lernerfolge zu erzielen.

126
Resümee

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Obwohl die beiden
Sammler der Kinder- und Hausmärchen schon längst verstorben sind, leben ihre
Märchen heute noch. Sie leben in unseren Erinnerungen an die Kindheit, die
Schulzeit. Sie leben in unseren Moral- und Wertvorstellungen. Sie leben in der
deutschsprachigen Kultur, aber auch in vielen anderen Kulturen weltweit. Und sie
können auch im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht leben: Die Märchen der
Brüder Grimm.

Wie im Laufe dieser wissenschaftlichen Arbeit belegt werden konnte, sind Märchen
nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein
Spiegel unseres heutigen Moralverständnisses. Sie sind ein Teil unserer Kultur und
prägen – bewusst wie unbewusst – unsere Kindheit und unsere Erinnerungen.
Märchen rufen oftmals positive Assoziationen mit einem (kindlichen) Leben von
früher herauf. Und daran kann man im DaF-Unterricht ansetzen.

Vor über 200 Jahren erscheint die erste Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen der
Brüder Grimm – seitdem ist viel mit ihnen passiert. Sind sie zuerst eine Sammlung
von Volksgut, werden sie dank Jakob Grimm schlussendlich zu einem
Erziehungsbuch. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden sie
instrumentalisiert, für Propaganda-Zwecke verwendet, zeitweise sogar verboten
oder strikt abgelehnt. Erst in den 1970iger Jahren erholt sich der Ruf der
Grimm´schen Märchen wieder und sie spielen – langsam aber doch – in den
Kinderzimmern vieler deutschsprachiger Kinder eine Rolle, wenn es kurz vor dem
Schlafen gehen heißt: Es war einmal …

Dank neuer Reformdiskussionen schaffen es Märchen zeitgleich in den Unterricht


und werden seitdem auf verschiedene Weisen didaktisiert. Ab den 1980iger Jahren
werden Märchen schlussendlich auch für den DaF-Unterricht entdeckt. Der logisch-
stringente Aufbau der Erzählweise sowie kulturelle Überlappungen der Figuren und
Motive sprechen FÜR den Einsatz im Unterricht. Dagegen sprechen jedoch der sehr
spezifische und veraltete Wortschatz und die zu komplexe Grammatik in den
Märchentexten. Es stellt sich also die Frage, ob das Positive oder Negative

127
überwiegt und Märchen im DaF-Unterricht eingesetzt werden sollten. Diese
wissenschaftliche Arbeit bietet eine eindeutige Antwort: JA, Märchen können im
DaF-Unterricht gut integriert werden. Anhand der Beispiele Achtung Deutsch A2
und Märchenhaft 2012 wurde gezeigt, wie Märchenmaterialen didaktisiert wurden.
Die Lernziele werden bei beiden Lehrmaterialen erfüllt.

Es müssen jedoch einige wichtige Punkte beachtet werden, um Märchen erfolgreich


in den DaF-Unterricht integrieren zu können. Neben der komplexen Sprache und
Grammatik, darf auch die (Un-)Bekanntheit der Märchen nicht außer Acht gelassen
werden. Es kann nicht angenommen werden, dass Grimm´sche Märchen überall auf
der Welt bekannt sind. Wie also müssen Märchen aufbereitet werden, dass sie auch
verstanden werden und „funktionieren“? Unter Zuhilfenahme der Daten aus der
empirischen Untersuchung unter DaF-Lernenden, in der die Bekanntheit der
Märchen abgefragt wurde, und den Ergebnissen der Umfrage unter DaF-Lehrenden,
wie sie mit Märchen arbeiten würden, konnten zwei Märchen eigenständig
didaktisiert und überprüft werden.

Die empirische Erhebung unter den Lernenden hat ergeben, dass sich einige
Märchen in vielen verschiedenen Ländern großer Popularität erfreuen. Zu den
„Klassikern“ unter den Grimm´schen Märchen, welche vor allem unter aus Europa
und Amerika stammenden DaF-Lernenden bekannt und beliebt sind, zählen
Schneewittchen, Hänsel und Gretel, Aschenputtel oder Rotkäppchen. Die
empirischen Daten belegen jedoch auch, dass die Märchen der Brüder Grimm nicht
weltweit bekannt sind.

Auch wenn die Märchen nicht allen und überall bekannt sind, so sind viele DaF-
Lernende doch mit Märchen in ihren Kulturen in Berührung gekommen und können
dank der starren Formeln und des einfachen Aufbaus oftmals einen Kontext zu den
europäischen Märchen herstellen – was die Arbeit mit Märchen erleichtert.

In der Folge der Untersuchung der Umfrage unter DaF-Lehrenden hat sich ergeben,
dass Märchen vor allem zur Vermittlung von Grammatik und (vergangenen)
kulturellen Traditionen herangezogen werden können. Märchen sind nicht als
Ersatz anderer wichtiger Themengebiete im DaF-Unterricht zu sehen. Sie können
jedoch unterstützend eingesetzt werden, um eben beispielsweise das Verständnis

128
grammatikalischer Phänomene zu festigen – wie auch im Laufe dieser Arbeit
dargestellt.

Des Weiteren konnte aufgezeigt werden, dass Märchen in allen vier Teilbereichen
des Unterrichts – Hören, Lesen, Schreiben und Sprechen – eine Bereicherung und
Unterstützung für DaF-Lernende sein können.

Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung hat deutlich ergeben, dass sich Märchen
aus Kinderbüchern NICHT für den Einsatz im DaF-Unterricht (auf B1 oder früher)
eignen. Die Annahme, Märchen wären leicht, weil sie für Kinder geschrieben sind/
wurden, ist (absolut) falsch und Märchentexte sollten für den Einsatz im Unterricht
mit DaF-Lernenden unbedingt neu konzipiert werden. Darüber hinaus kann gesagt
werden, dass Märchen am besten ab dem Niveau B1 einzusetzen sind. Diese aus
den erhobenen Daten abgeleitete Empfehlung stellt jedoch keinen Anspruch auf
allgemeine Gültigkeit.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Ergebnisse dieser Arbeit


deutlich zeigen, DASS und WIE mit Märchen im DaF-Unterricht gearbeitet werden
kann und dass diese besondere Form der Literaturvermittlung eine Bereicherung
für den Unterricht darstellen kann.

Abschließend bleibt über die Märchen der Brüder Grimm wohl nur noch eines zu
sagen:

Und wenn sich nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

129
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