DIE ÜBERSICHT
Die therapeutische
Günter Hole Hypnose
D Formen, Möglichkeiten und Grenzen
ie in den letzten Jahrzehnten
auch im deutschsprachigen
Raum zunehmend häufige-
re Anwendung hypnotischer Zur therapeutischen Anwendung hyp- traditionen primitiver Völker über-
Verfahren in der Therapie wirft ver- haupt (2).
mehrt Fragen nach dem Wesen und notischer Methoden bedarf es eines Die systematische beziehungs-
den Möglichkeiten dieser Methode vom Hypnotiseur strukturierten Ablaufs weise wissenschaftliche Erforschung
auf. Sie ist erfreulicherweise als soge- hypnotischer Phänomene kann, abge-
nanntes Zweitverfahren offiziell Be-
mit Einleitung und Rücknahme des sehen von verschiedenen Vorläufern,
standteil der Psychotherapie-Curricu- Zustandes. Die angestrebten Wirkun- ab F. A. Mesmer (1734 bis 1815) da-
la geworden. Dennoch bilden wir hier gen können auf psychischer, motori- tiert werden. Er war zwar der physio-
eher das Schlußlicht in einer Entwick- logischen Theorie eines kosmischen
lung, vor allem gegenüber dem eng- scher und auch psychosomatischer Sym- „Fluidums“ und „animalischen Ma-
lischsprachigen Ausland. ptomebene liegen. Die Einbettung in ei- gnetismus“ verhaftet, verhalf aber der
Diese Verzögerung hat sowohl Hypnose als Heilverfahren im dama-
historische als auch psychotherapie- nen psychotherapeutischen Gesamtrah- ligen Europa zum allgemeinen
ideologische Gründe. Die Öffnung men ist hierbei unbedingt notwendig. Durchbruch. Im 19. Jahrhundert gab
gegenüber diesem uralten heilkundli- vor allem die Rivalität zwischen dem
chen Erfahrungsgut war nicht nur archaischen Schichten und ist relativ physiologischen Erklärungsmuster
durch allgemeine Vorurteile und die leicht anstoßbar und aktivierbar. An- („Hysterie“) der Schule von Paris
Bühnen-Hypnosen, sondern auch ders wäre es nicht zu erklären, daß es (J.-M. Charcot) und dem psychologi-
durch die Dominanz der Schulmedi- auch eine Tierhypnose mit hochin- schen Erklärungsmuster („Suggesti-
zin und die der Psychoanalyse ver- teressanten Phänomenen gibt (5, 11) on“) der Schule von Nancy (H. Bern-
stellt. und daß es nicht nur bereits Anfän- heim) der Erforschung des Phäno-
gern in der Hypnose-Weiterbildung, mens Anschub.
sondern sogar dilettierenden Laien Bei beiden hatte S. Freud (1856
Grundlagen und Wesen gelingt, entsprechende Zustände zu bis 1939) Erfahrung in der Hypnose
der Hypnose erzeugen – bei letzteren freilich mit gesammelt und diese auch therapeu-
erhöhter Gefahr von Zwischenfällen. tisch ausgeübt. Er verließ diesen Weg
Das Phänomen Hypnose Das breite Übergangsfeld von der aber wieder aus verschiedenen Grün-
allgemein methodisch induzierten Hetero-Hyp- den und gab der Psychoanalyse den
nose bis zur Selbsthypnose, Spon- klaren Vorzug. Die späteren Vorbe-
Abgesehen von der Mischung tanhypnose, Meditation und den vie- halte der Psychoanalytiker gegen die
von Faszination und Unheimlichkeit, lerlei Trancezuständen und ekstati- Hypnose überhaupt haben unter
die das Stichwort „Hypnose“ bei vie- schen Ausnahmezuständen zeigt anderem hierin ihre Wurzel. Die
len Menschen auslöst, stehen wir hier ebenfalls, daß es sich hier um gene- europäische Hypnosetradition setzte
auch wissenschaftlich vor einem Vor- relle Reaktionsmuster der Psyche sich zu Beginn unseres Jahrhunderts
gang, dessen Wesen und innere De- handeln muß. vor allem über A. Forell und E. Bleu-
terminanten noch weithin unklar ler in Zürich und über O. Vogt und
sind. Dabei läßt sich die Wirksamkeit Zur Geschichte der Hypnose J. H. Schultz in Berlin fort. Das
hypnotischer Techniken auf vielen von letzterem entwickelte Autogene
Gebieten bis ins Detail beschreiben Hypnotische Verfahren gehören Training ist ein von der Hypnose ab-
und auch zielmäßig planen. Dies gilt zweifellos zu den ältesten psychi- geleitetes selbsthypnotisches Verfah-
nicht nur für die öffentlichen Schau- schen Heilmethoden der Menschheit. ren.
Hypnosen, die besonders den Laien Sie sind aus dem alten Ägypten, dem
ansprechen, sondern gerade auch für Asklepioskult (Tempelschlaf) bei Wirkungstheorien und
die therapeutischen Hypnosefor- den Griechen und einer Vielzahl ana- Hypnotisierbarkeit
men. loger Praktiken bis in die Neuzeit be-
Unabhängig von den verschie- kannt. Ebenso finden sie sich in ande- Es gibt bis heute keine befrie-
denen gängigen Theorien der Hyp- ren Kulturen, im Schamanentum, bei digende oder umgreifende Theorie
nose beim Menschen handelt es sich den Medizinmännern und Heilungs- der Hypnose, trotz der erwiesenen
hier zweifellos um eine Fähigkeit Wirksamkeit. Das gängigste derzei-
biologischer Systeme überhaupt. Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, tige Modell ist die sogenannte Disso-
Diese ruht offenbar in gemeinsamen Psychotherapie, Ravensburg ziations- beziehungsweise Neodisso-
noseeffekten auf der Bühne und im geblich „einzige Hilfe“), bereits eine stellationen in der Medizin über-
Fernsehen. Hypnotischen Naturta- relative Kontraindikation darstellen, haupt. Jedoch kann hier speziell die
lenten gelingen, was nicht verwun- sowohl wegen der starken regressiven Situation der psychischen Nähe und
dert, oft sensationelle Phänomene, Wünsche als auch wegen der Überer- des psychischen Ausgeliefertseins,
besonders durch gekonntes Heraus- wartung, die hier meistens bestehen. mit Verringerung der individuellen
filtern hoch suggestibler Personen aus Als relative Kontraindikation gelten Kontrollmechanismen, die Versu-
der Menge. Ebenso können dilettan- auch stärkere hysterische Akzentu- chung steigern.
tisch vorgehende Laien, die Hypnose ierungen. Abgesehen von der ge- Die Möglichkeit hingegen, je-
einfach „ausprobieren“ wollen, oft nannten strittigen Indikation bei psy- manden in der Hypnose zur Aus-
unerwartete oder sogar unerkannte chotischen Zuständen an sich erfor- führung eines Verbrechens zu verlei-
hypnotische Zustände erzeugen. Die dern schließlich besonders paranoide ten – ein oft wiederkehrendes Thema
Gefahren, vor allem durch ausblei- Syndrome eine kritische Abwägung; in den Medien – besteht nur in
bendes oder mangelhaftes Zurück- ein Behandlungsversuch muß hier ei- äußerst geringem Umfang.
nehmen, liegen auf der Hand. Es nem hocherfahrenen Hypnosethera- Die Experten sind sich weithin
gehört zu den wichtigen Aufklärun- peuten vorbehalten bleiben. darin einig, daß es praktisch kaum
gen der Patienten im Vorfeld, die gelingt, einen Menschen in Hypnose
großen Unterschiede zur therapeuti- Gefahrenbereiche zu Handlungen entgegen seinem ei-
schen Hypnose möglichst deutlich zu und Zwischenfälle genen persönlichen Wertsystem zu
machen, vor allem auch die häufige nötigen, soweit keine sonstige soziale
Angst vor Kontrollverlust zu bespre- Die überwiegende Zahl negati- Druck- oder Abhängigkeitssituation
chen. ver Vorkommnisse beruht auf fehlen- des Patienten besteht (6, 7).
der oder unvollständiger Rücknahme
Therapeutische Begrenzungen der Hypnose, beziehungsweise der
und Kontraindikationen mangelhaften Vergewisserung über Schlußbemerkungen
eventuell persistierende psychische
Hypnose ist ein psychisch enorm oder körperliche Restphänomene. Die therapeutisch eingesetzte
invasives Verfahren, und seine ver- Sowohl verbleibende Ich-Dissoziatio- Hypnose ist ein Verfahren mit ver-
antwortliche Anwendung ist ohne nen, Affektregungen oder Bildvor- gleichsweise hoher Effizienz und
sorgfältige Vordiagnostik und ohne stellungen als auch Dösigkeit, Ver- gleichzeitig guter Steuerungsfähig-
Einbettung in einen psychotherapeu- schiebungen im Körperschema, keit. Durch ihren psychisch stark in-
tischen Gesamtprozeß nicht denkbar. Schweregefühl oder veränderte Sin- vasiven Charakter bietet sie die Mög-
Andererseits besteht, wie dargelegt, neswahrnehmungen können gefah- lichkeit zur Mobilisierung oft unge-
eine große Breite möglicher Indika- renträchtig werden, besonders im ahnter Heilungspotentiale und Res-
tionen, innerhalb derer durch das In- Straßenverkehr. sourcen, freilich auch manchmal mit
strument der kontrollierten Rücknah- Als nächstes sind die Folgen un- der Entbindung unerwarteter Reak-
me auch noch so intensive Effekte kritischer Indikationsstellung und tionen. Mit beidem in für den Patien-
und Erlebnisse rasch wieder auf den forsch angestoßener, aber nicht mehr ten fruchtbarer und beschützender
Normalzustand zurückgeführt wer- beherrschbarer psychischer Prozesse Weise umzugehen, bedarf einer über-
den können – meist besser als bei son- zu nennen, wie akute Angst- oder greifenden Kompetenz und Erfah-
stigen belastenden Psychotherapie- Entladungsreaktionen, Selbstwertkri- rung mit psychodynamisch-psycho-
methoden. sen, Orientierungsverlust, depressive therapeutischen Prozessen über-
Begrenzungen bestehen einmal oder psychotische Attacken. haupt.
und natürlicherweise durch geringes Zwischenfälle und unvorherseh- Damit ist auch eine Aussage
Ansprechen auf die Methode an bare Reaktionen kann es freilich auch über den für dieses Verfahren über-
sich, dann durch hirnorganische bei sachgerechter Durchführung der haupt akzeptierbaren fachlichen und
Störungen, Konzentrations- und Ko- Hypnose geben. beruflichen Hintergrund gemacht: Es
operationsmangel (Kleinkinder), In- Doch in der Hand von Unkundi- muß außer der speziellen Hypnose-
toxikationen (Alkohol), stärkere af- gen und Unbefugten sind die be- Ausbildung auch eine psychothera-
fektive Störungen (schwere Depres- schriebenen Gefahren unvergleich- peutische Aus- beziehungsweise Wei-
sion); sie gelten auch für deutlichen lich größer. Dies gilt vor allem dann, terbildung vorliegen. Hierdurch
Widerstand gegen die Hypnose wenn das gesamttherapeutische grenzen sich auch die in Frage kom-
überhaupt. Der alte Rat von J. H. Rüstzeug fehlt oder wenn – wie menden Berufsgruppen generell ein,
Schultz (9), man solle zwei Gruppen meist nach Schau-Hypnosen – die nämlich auf Ärzte und klinische Psy-
von Menschen nicht hypnotisieren: Betroffenen sich selbst überlassen chologen mit solcher Qualifikation,
solche, die unbedingt, und solche, bleiben. abgesehen von der Sondersituation
die auf keinen Fall hypnotisiert wer- Auch die oft diskutierte Gefahr bei hypnotisch arbeitenden Zahnärz-
den wollen, ist nach wie vor sehr be- des sexuellen Mißbrauchs in der Hyp- ten. Alles andere muß eine personen-
herzigenswert. nose ist zweifellos gegeben und be- bezogene und qualitativ vergleichba-
So können Patienten, die sich re- legt. Sie liegt aber wohl kaum höher re und kontrollierbare Ausnahme
gelrecht zur Hypnose drängen (als an- als bei anderen begünstigenden Kon- bleiben.
Bedenkt man daher die für eine 7. Revenstorf D (Hrsg): Klinische Hypnose.
Zitierweise dieses Beitrags: Berlin, Heidelberg, New York: Springer-
verantwortbar durchgeführte Hyp- Dt Ärztebl 1997; 94: A-3351–3356 Verlag, 1990.
nosebehandlung notwendigen Rah- [Heft 49] 8. Schäfgen E: Hypnosetherapie. Köln:
menbedingungen einschließlich des Deutscher Ärzte-Verlag, 1992.
9. Schultz JH: Hypnosetechnik. 9. Aufl.
jeweiligen Vor- und Nachgesprächs, Stuttgart, Jena, New York: Gustav Fi-
Literatur scher-Verlag, 1994.
so kann in der derzeitigen Vergü-
1. Bongartz W: Der Einfluß von Hypnose 10. Thomas K: Praxis des Autogenen Trai-
tungssituation*) nur eine offzielle und Streß auf das Blutbild. Frankfurt: Ver- nings/Selbsthypnose nach J.H. Schultz.
Geringschätzung des Werts einer sol- lag Peter Lang, 1996. Stuttgart: Thieme, 1989.
chen Leistung gesehen werden. Um 2. Ellenberger HF: Die Entdeckung des Un- 11. Völgyesi FA: Menschen- und Tierhypno-
bewußten. Bern: Hans Huber, 1985. se. Zürich: Orell Füssli Verlag, 1963.
so mehr verdient Anerkennung, wer 3. Erickson MH: Advanced techniques of
sich wegen seiner persönlichen Affi- hypnosis and therapy (edit J Haley). New
York, London: Grune and Stratton, 1967. Anschrift des Verfassers
nität zu diesem Verfahren und wegen 4. Hilgard ER: The problem of divided con-
seiner Überzeugung von dessen the- sciousness: a neodissociation interpreta- Prof. Dr. med. Günter Hole
rapeutischen Möglichkeiten dennoch tion. Ann New York Acad of Science 1977; Facharzt für
296: 48–59.
nicht abhalten läßt, es anzuwenden. 5. Jovanovic UJ: Methodik und Theorie der Psychiatrie und Neurologie,
Hypnose. Stuttgart: Gustav Fischer-Ver- Psychotherapie
lag, 1988.
*) EBM Nr. 858 = 375 Punkte, GOÄ Nr. 845 = 6. Kossak HC: Hypnose. 2 Aufl. München: Kantstraße 5/3
17,10 DM Psychologie Verlags Union, 1993. 88213 Ravensburg