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Elke Wild · Jens Möller Hrsg.

Pädagogische
Psychologie
2. Auflage
Springer-Lehrbuch
Elke Wild
Jens Möller
(Hrsg.)

Pädagogische
Psychologie
2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage
Mit 80 Abbildungen und 22 Tabellen
Herausgeber
Elke Wild
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft
Universität Bielefeld
Bielefeld, Deutschland

Jens Möller
Institut für Psychologie
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Kiel, Deutschland

ISBN 978-3-642-41290-5    ISBN 978-3-642-41291-2 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-642-41291-2

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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Springer-Verlag  Berlin Heidelberg 2009, 2015


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Planung: Joachim Coch, Heidelberg


Projektmanagement: Judith Danziger, Heidelberg
Lektorat: Sonja Hinte, Bremen
Projektkoordination: Michael Barton, Heidelberg
Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Fotonachweis Umschlag: © Ableimages/Getty Images
Fotonachweis der Kapitelfotos: Veit Mette, www.veitmette.de (außer Kap. 4, 6 und 16)
Herstellung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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V

Vorwort

Auf dem Büchermarkt mangelt es nicht an Enzyk- enzyklopädischer (und damit hoch verdichte-
lopädien, Handwörterbüchern und Einführungs- ter und partikularer) Weise zusammengetragen
bänden, in denen sachkundig über Forschungs- werden.
gebiete der Pädagogischen Psychologie informiert 3. Den spezifischen Anforderungen eines Lehr-
wird. Weil diese aber meist an ein spezielles Pub- buchs wird durch eine Vielzahl von didak-
likum – Experten, Nebenfachstudierende, Bache- tischen Elementen Rechnung getragen, um
lor- oder Master-Studierende – gerichtet sind, gab das Lesen und das Lernen mit diesem Buch
und gibt es aus unserer Sicht einen Bedarf für ein zu erleichtern. Beispielsweise werden durch-
Lehrbuch, auf das Studierende nutzbringend zu- gängig zentrale Fachbegriffe und Definitionen
rückgreifen können, wenn sie sich – an welchem herausgestellt, finden sich zahlreiche Abbil-
Punkt ihres Studiums auch immer – näher mit der dungen und Tabellen zur Illustration relevan-
Pädagogischen Psychologie befassen wollen. Und ter Sachverhalte, werden Fragen zur Selbstre-
damit das Lehrbuch nutzbringend bei der Vor- und flexion formuliert und Literaturhinweise zum
Nachbereitung universitärer Lehre im Fach ist, weiterführenden Selbststudium unterbreitet.
muss es nicht zuletzt Lehrende in fachlicher und Zudem bietet die Website, die über das interak-
didaktischer Hinsicht überzeugen, denn nur dann tive Lernportal (▶ www.lehrbuch-psychologie.
wird es als Grundlage für Lehrveranstaltungen und de) zu erreichen ist, Studierenden wie Dozen-
daran anschließende Prüfungen gewählt. ten eine Fülle an Materialien, die der Vor- und
Nachbereitung pädagogisch-psychologischer
Die von uns gewonnenen Autorinnen und Autoren Lehrveranstaltungen einschließlich der damit
sind daher nicht nur ausgewiesene Experten auf verbundenen Leistungsüberprüfungen dienen
ihrem Gebiet, sondern haben mit ihren Beiträgen sollen.
auch tatkräftig daran mitgewirkt, dass das Lehrbuch
drei übergeordneten Ansprüchen gerecht wird: Ganz wesentlich für die Einlösung dieser Ziele ist
die Auswahl und Bandbreite der behandelten The-
1. Um die Pädagogische Psychologie in ihrer gan- menschwerpunkte. Bereits bei der ersten Auflage
zen Breite dazustellen, werden über die klassi- haben wir diese bewusst an den Tätigkeiten orien-
schen Kernthemen des Lernens und Lehrens tiert, die in der pädagogischen Praxis dominieren:
hinaus Themenfelder behandelt, die in den Wo immer Entwicklungsprozesse in Gang gesetzt
immer breiter werdenden Gegenstandsbereich oder optimiert werden sollen, wird gelernt, gelehrt,
pädagogisch-psychologischer Forschung fallen motiviert, interagiert, diagnostiziert und interve-
und zum Wissenskanon von Absolventen zäh- niert. Diese thematische Ausrichtung und die damit
len sollten, die eine Tätigkeit in pädagogischen einhergehende Strukturierung des Lehrbuchs haben
Praxisfeldern anstreben. Entsprechend bündelt sich offenkundig bewährt. Neu konzipiert wurde
der Band wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Zuge der Überarbeitungen zur zweiten Auflage
für Studierende der Psychologie, für Lehr- der Bereich „Intervenieren“, um ausführlicher und
amtsstudierende und Studierende verwandter differenziert nach Altersstufen und Zielsetzungen
Fächer wie der Erziehungswissenschaft oder pädagogisch-psychologische Trainingsmaßnah-
der klinischen Linguistik berufsrelevant sind. men darstellen zu können. Die zuvor gesondert
2. Der Band führt ein in den Gegenstandsbereich behandelten Fragen zu beruflichen Einsatzfeldern
pädagogisch-psychologischer Forschung und und Tätigkeitsanforderungen werden nun in den
liefert einen gut verständlichen Überblick über Kapiteln in ihrem jeweiligen Sachzusammenhang
zentrale Konstrukte, Theorien und Befunde des behandelt. Ferner wurde die Binnenstruktur im
Fachs. In seinem Anspruch hebt er sich also zweiten Hauptteil („Lehren“) verändert, um die
bewusst ab von bereits vorliegenden, exzellent Klassenführung noch stärker als zentralen Teilas-
geschriebenen „Nachschlagewerken“, in de- pekt der Unterrichtsqualität herauszustellen.
nen pädagogisch-psychologische Erkenntnisse
entweder auszugsweise (z. B. mit Blick auf ihre Ungeachtet dieser Änderungen bleibt die klare
Relevanz für spezifische Berufsfelder) oder in Struktur erhalten – das Lehrbuch ist nach wie vor
VI Vorwort

in sechs Sektionen gegliedert, die jeweils drei Ka- stellt sich die Frage, wie Lernende zu motivieren
pitel enthalten. bzw. zu einer „eigenverantwortlichen“ Lernmoti-
vation hinzuführen sind. Die Beiträge der dritten
In der ersten Sektion des Buchs Lernen ist das Sektion Motivieren geben einen Überblick über
Hauptaugenmerk auf die Lernenden gerichtet. In Erkenntnisse, die in diesem Zusammenhang rele-
modernen Wissensgesellschaften gilt mehr denn vant sind. Die Ausführungen in ▶ Kap. 7 machen
je, dass immer und überall gelernt wird. Aber wie zunächst deutlich, dass Lernende nicht nur mehr
vollzieht sich Lernen und warum sind manche Ler- oder weniger stark motiviert sind, sondern sich
ner erfolgreicher als andere? Erste Antworten auf auch aus unterschiedlichen Motivlagen und Ziel-
diese Fragen werden in den ersten drei Beiträgen setzungen heraus mit Lerninhalten befassen. Dar-
gegeben, in denen erläutert wird, welche Besonder- auf aufbauend wird erläutert, wie eine zielführende
heiten die menschliche Informationsverarbeitung Motivförderung aussieht. An diese Darstellungen
kennzeichnen und wie diese bei der Optimie- schließt unmittelbar ▶ Kap. 8 zum Selbstkonzept
rung von Lernprozessen zu berücksichtigen sind an. Unter anderem wird dabei der spannenden
(▶ Kap. 1), warum für den Erwerb kumulativen Frage nachgegangen, welche Faktoren unsere ei-
Wissens nicht nur die Intelligenz, sondern vor al- genen Einschätzungen persönlicher Stärken und
lem auch das Vorwissen eines Lernenden entschei- Schwächen beeinflussen. ▶ Kap. 9 Emotionen
dend ist (▶ Kap. 2) und mit welchen Herausforde- schließlich fasst Erkenntnisse zu den Bedingungen
rungen Lernende konfrontiert sind, wenn sie „in und Folgen des emotionalen Erleben von Lernen-
Eigenregie“ lernen (▶ Kap. 3). den zusammen und zeigt u. a. auf, wie vielfaltig die
in Lernsituationen anzutreffenden Gefühle sind
Ein zentrales Element pädagogischer Tätigkeiten und warum emotionale Kompetenz ein wichtiges
ist das Lehren. Auch wenn Lernprozesse längst Bildungsziel darstellt.
nicht mehr nur in formalen Settings wie dem
Schulunterricht stattfinden, bleibt die systemati- Die vierte Sektion Interagieren widmet sich den
sche Vermittlung von relevanten Wissensbestän- Personengruppen, die einen Einfluss auf die Bil-
den und Fertigkeiten doch eine zentrale Aufgabe dungslaufbahn und die Persönlichkeitsentwicklung
aller Bildungseinrichtungen. Die ersten beiden Heranwachsender haben. Dies sind die Eltern, die
Beitrage der zweiten Sektion zeigen daher auf, was Lehrkräfte und die Gleichaltrigen In ▶ Kap. 10 wird
einen „guten“ Unterricht auszeichnet (▶ Kap. 4), zunächst die Familie als ein zentraler Entwicklungs-
und inwiefern eine effektive Klassenführung dazu und Lernkontext in den Blick genommen. Die Aus-
beiträgt, die verfügbare Lernzeit optimal zu nut- führungen beleuchten die Herausforderungen, die
zen (▶ Kap. 5). Die medienpsychologischen Aus- sich Eltern in verschiedenen Etappen der Familie-
führungen in ▶ Kap. 6 schließen hieran an, indem nentwicklung stellen und greifen dabei zahlreiche,
Gütekriterien für Lehrtexte und andere Lehrmate- in der Öffentlichkeit intensiv diskutierte Themen
rialien (Filme, Animationen etc.) sowie Chancen auf, darunter: Was zeichnet eine „gute“ Erziehung
und Herausforderungen der Gestaltung von Lehr- aus? Warum hängt der Bildungserfolg von Kindern
Lern-Prozessen mithilfe sogenannter Neuer Me- so stark von ihrer sozialen und ethnischen Herkunft
dien herausgearbeitet werden. Gleichzeitig lenken ab? Leidet die psychosoziale Entwicklung „automa-
sie mit der Betrachtung des Medienkonsums von tisch“, wenn sie mit der Trennung ihrer Eltern oder
Kindern und Jugendlichen die Aufmerksamkeit anderen kritischen Lebensereignissen konfrontiert
auf informelle und implizite Lernprozesse. Ge- werden? In ▶ Kap. 11 werden nicht minder brisante
meinsam ist allen drei Kapiteln, dass sie aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen behandelt, die
Diskussionen – beispielsweise zum Für und Wider um die Bedeutung und Funktion von Lehrkräften
des herkömmlichen Unterrichts oder zur Wirkung ranken. Beispielsweise wird der Frage nachgegan-
gewalthaltiger Fernsehsendungen – aufgreifen und gen, über welche Kompetenzen „gute“ Lehrkräfte
mit weit verbreiteten Mythen aufräumen. – möglichst bereits am Ende ihrer Ausbildung – ver-
fügen sollten, und was sie davor schützt, im Berufs-
Aus heutiger Sicht erschöpft sich Bildung nicht in alltag „auszubrennen“. Im Zentrum von ▶ Kap. 12.
der Vermittlung von Fachkenntnissen und traditi- stehen dann die Gleichaltrigen, die – entgegen
onellen Kulturtechniken wie dem Lesen, Schreiben weitläufiger Meinung – nicht erst in der Adoleszenz
und Rechnen. Sie schließt vielmehr auch die För- bedeutsam werden, sondern bereits lange zuvor ein
derung lernrelevanter Einstellungen ein, und daher spezifisches Lernumfeld bereitstellen.
VII
Vorwort

Für eine effektive Gestaltung von Lern- und Ent- dem ▶ generischen Maskulinum aber männliche
wicklungsprozessen – sei es auf der Ebene von Re- wie weibliche Personen gemeint!
formvorhaben im Bildungssystem, im Rahmen der
Schulentwicklung, einer einzelnen Bildungsein- Unter didaktischen Gesichtspunkten war uns als
richtung oder auch mit Blick auf die Begründung Herausgebern ein wichtiges Anliegen, dass jedes
einer Fördermaßnahme im individuellen Fall – ist Kapitel einen in sich geschlossenen Überblick über
es notwendig, zunächst die jeweiligen Lernstände das jeweilige Themengebiet bietet und die Lektüre
zu diagnostizieren und die Wirkung pädagogischer auch dann gewinnbringend ist, wenn nicht alle
Maßnahmen über den Abgleich von Eingangs- Beiträge (womöglich in der vorgesehenen Reihen-
und Ausgangskompetenzen zu evaluieren. Beide folge) gelesen werden. Gleichwohl haben sich alle
Tätigkeiten markieren von jeher zentrale Anfor- Autoren und Autorinnen bemüht, Querbezüge
derungen des Berufsalltags von Pädagogischen zwischen den in den einzelnen Kapiteln behandel-
Psychologen (etwa in der schulpsychologischen ten Ausführungen aufzuzeigen und Redundanzen
Beratung und Erziehungsberatung) und anderen zu vermeiden. Insofern sind wir überzeugt, dass die
pädagogischen Fachkräften. Infolge internationa- Lektüre „am Stück“ nicht nur zu einem umfassen-
ler Vergleichsstudien sind sie jedoch ins Zentrum deren, sondern auch zu einem tieferen Verständnis
der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Auf- der behandelten Inhalte und damit einer besseren
merksamkeit gerückt. Die Beiträge in der fünften Vorbereitung auf einschlägige Anforderungen im
Sektion des Buchs informieren den Leser deshalb späteren Beruf beiträgt.
über neuere Entwicklungen in der pädagogisch-
psychologischen Diagnostik (▶ Kap. 13) sowie der Damit die Lektüre des Lehrbuchs für Leser und
Evaluationsforschung (▶ Kap. 14) und vermitteln Leserinnen mit unterschiedlichem Hintergrund-
einen Eindruck vom Mehrwert nationaler und wissen gewinnbringend ist, beginnen alle Beiträge
internationaler Schulleistungsstudien (▶ Kap. 15), mit einer Übersicht über den Aufbau des Kapitels
ohne deren Grenzen auszublenden. (Trailer) und enden mit einem Fazit, in dem die
zentralen Aussagen rekapituliert werden. Wichtige
In der Praxis müssen mit Erziehungs- und Bil- Definitionen werden durchgängig hervorgehoben
dungsfragen betraute Fachkräfte fortlaufend ent- und am Ende eines jeden Kapitels finden sich wei-
scheiden, wie absehbaren Problemen vorgebeugt terführende Literaturtipps für eine eingehendere
werden oder bereits manifesten Problemen entge- Beschäftigung. Ein weiteres didaktisches Element
gengewirkt werden kann. Ihnen obliegt es somit, sind die vom Text abgehobenen Kästen. Hier wer-
gezielt zu intervenieren und dabei – aus fachli- den entweder theoretisch bzw. forschungsmetho-
chen wie ressourcenschonenden Gründen – auf disch weiterführende Aspekte behandelt (Exkurse)
bewährte Maßnahmen zur primären, sekundären oder ausgewählte Studien näher dargestellt, um
oder tertiären Prävention zurückzugreifen. Diese unterschiedliche empirische Zugangsweisen zu
werden im Überblick in der sechsten Sektion zu- illustrieren (Beispielkästen). Eine Fülle weiterer
sammengefasst. Bereits im Vorschulbereich ein- Lehr- und Lernmaterialien bietet schließlich die
setzbare Trainings zur Förderung sogenannter bereits erwähnte Webseite zum Buch: Hier wer-
Vorläuferfertigkeiten werden in (▶ Kap. 16) vorge- den englische Fachbegriffe übersetzt und erläu-
stellt, während Trainings, die vornehmlich Schüle- tert, Lernkarten mit Fragen und Antworten zur
rinnen und Schüler mit mehr oder weniger mani- eigenständigen Verständnisprüfung offeriert und
festen Lern- und Leistungsproblemen adressieren, Links zu interessanten Internet-Seiten geliefert. Für
in ▶ Kap. 17 behandelt werden. Bewährte Formen Dozenten besonders attraktiv dürften Foliensatze
des (präventiven und interventiven) Umgangs mit zu den einzelnen Kapiteln sein, die Abbildungen,
psychosozialen Herausforderungen und Risikola- Fotos, Merksätze und vieles mehr enthalten.
gen schließlich werden in ▶ Kap. 18 umrissen.
Ein gutes Lehrbuch entsteht, wenn viele versierte
Zu erwähnen ist, dass im Lehrbuch soweit wie Hände produktiv zusammenarbeiten. Wir als He-
möglich geschlechtsneutrale Formulierungen ge- rausgeber möchten uns daher bei allen Autorin-
wählt wurden, aus Gründen der besseren Lesbar- nen und Autoren bedanken, dass sie nicht nur ihr
keit aber bei Personenbezeichnungen auch „nur“ Know-how eingebracht, sondern die Überarbei-
die männliche Form verwendet wurde (z. B. Schü- tungen für die zweite Auflage genauso engagiert in
ler, Lehrer, Erzieher). Selbstverständlich sind mit Angriff genommen haben wie die Abfassung der
VIII Vorwort

Kapitel für die Erstauflage. Nicht minder zum Dank


verpflichtet sind wir dem Verlag, insbesondere Joa-
chim Coch, Judith Danziger, Sonja Hinte und Mi-
chael Barton, für ihre unermüdliche Unterstützung
in allen Phasen der Entstehung dieses Buchs und
für ihre Bereitschaft, unsere Wünsche und Vorstel-
lungen umzusetzen. Danken möchten wir schließ-
lich auch Veit Mette, dessen Fotos zu Beginn eines
jeden Beitrags weiter zum Betrachten, Verweilen
und Nachdenken anregen und hoffentlich zum
Lesevergnügen beitragen.

Elke Wild und Jens Möller


Bielefeld und Kiel im Juli 2014
IX

Autorinnen und Autoren

Holger Domsch
Diplom-Psychologe, Schulpsychologische Beratungsstelle der Stadt Münster
Promotion: 2012, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Entwicklung, ADHS, Stress bei Kinder und Jugendlichen

Barbara Drechsel
Professorin für Psychologie in Schule und Unterricht, Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Promotion: 2000, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schule, Unterricht, Vergleichsstudien

Marco Ennemoser
Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Gießen
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Pädagogisch-psychologische Interventionsforschung, Diagnostik und Intervention,
Prävention von Lernstörungen

Anne C. Frenzel
Professorin für Psychology in the Learning Sciences, Ludwig-Maximilians-Universität
München
Promotion: 2004, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Psychologie in den „Learning Sciences“, Emotionen und Motivation bei Schülern
und Lehrkräften

Stefan Fries
Professor für Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 2000, Universität Potsdam
Forschungsschwerpunkte
Motivation und Lernen, Selbstregulation und multiple Ziele
X Autorinnen und Autoren

Thomas Götz
Professur für Empirische Bildungsforschung, Universität Konstanz und Pädagogische
Hochschule Thurgau, Schweiz
Promotion: 2002, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Empirische Bildungsforschung, Emotionen, Selbstreguliertes Lernen

Hans Gruber
Professor für Pädagogik, Universität Regensburg
Promotion: 1991, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Expertise, Professional Learning, Lernen am Arbeitsplatz, Hochschuldidaktik

Bettina Hannover
Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 1987, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Mechanismen der Verarbeitung selbstbezogener Information,
Soziale und kulturelle Einflussfaktoren auf das Selbst

Holger Horz
Professor für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Instructional Design, Blended & Multimedia Learning, Bild- & Textverstehen,
Hochschuldidaktik

Ursula Kessels
Professorin für Bildungsforschung, Freie Universität Berlin
Promotion: 2001, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Heterogenität und Bildung, Geschlecht, Selbstkonzept und Identität,
Interesse und Motivation, Schul- und Unterrichtsforschung

Olaf Köller
Professor am Leibnitz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik,
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Promotion: 1997 zum Dr. phil. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsdiagnostik
XI
Autorinnen und Autoren

Kristin Krajewski
Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Gießen
Promotion: 2002, Universität Würzburg
Forschungsschwerpunkte
Entwicklungsorientierte Diagnostik und Lernförderung, Ressourcenorientierte Gestaltung
von Lernumgebungen, Mathematische Kompetenzentwicklung, Arbeitsgedächtnis,
Lern- und Leistungsstörungen

Olga Kunina-Habenicht
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2010, Humboldt-Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Mess- und Skalierungsmodelle in der Bildungsforschung,
Konstruktion und Evaluation von Leistungstests

Mareike Kunter
Professorin für Pädagogische Psychologie, Goethe-Universität Frankfurt
Promotion: 2004, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Lehrerforschung, Unterrichtsforschung, Motivation im Klassenzimmer

Meike Landmann
Landesschulamt und Lehrkräfteakademie - Abteilung III (Institut für Qualitätsentwicklung),
Wiesbaden seit März 2008
Promotion: 2004, TU Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Die Abteilung III des Landesschulamts unterstützt landesweit und auf allen Ebenen
die Qualitätsentwicklung im hessischen Bildungswesen. Schwerpunkt: Evaluationsstudien
und Wirkungsanalysen zur Wirksamkeit bildungspolitischer Maßnahmen.

Frank Lipowsky
Professor für Erziehungswissenschaften, Universität Kassel
Promotion: 2003, Pädagogische Hochschule Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Empirische Unterrichtsforschung, Lehrerforschung

Arnold Lohaus
Professor für Entwicklungspsychopathologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1982, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Forschungsschwerpunkte
Stress und Stressbewältigung im Kindes- und Jugendalter, Kognitive Entwicklung
im Säuglingsalter
XII Autorinnen und Autoren

Jens Möller
Professor für Pädagogische Psychologie, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Promotion: 1991, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Lehrkräfte, Fremdspracherwerb

Barbara Otto
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie, Goethe-
Universität Frankfurt
Promotion: 2007, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Selbstreguliertes Lernen, Lernmotivation, Determinanten akademischer Leistung, Nachhilfe

Reinhard Pekrun
Professor für Pädagogische Psychologie, Diagnostik und Evaluation, Ludwig-Maximilians-
Universität München
Promotion: 1982, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Emotionen, Pädagogische Psychologie

Franziska Perels
Professorin für Erziehungswissenschaften, Universität des Saarlandes
Promotion: 2002, Technische Universität Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Schulinspektion, Empirische Fundierung der Schulentwicklung und Qualitätssicherung
der Evaluation

Britta Pohlmann
Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung, Hamburg
Promotion: 2003, Universität Bielefeld
Forschungsschwerpunkte
Evaluation von Schulversuchen, Entwicklung von Instrumenten zur Kompetenzfeststellung

Manfred Prenzel
Professor für Empirische Bildungsforschung, Technische Universität München
Promotion: 1980, Ludwig-Maximilians-Universität München
Forschungsschwerpunkte
Schulleistungsstudien
XIII
Autorinnen und Autoren

Alexander Renkl
Professor für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie, Albert-Ludwigs-
Universität Freiburg
Promotion: 1991, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Forschungsschwerpunkte
Kognitive Lernprozesse und Lernstrategien, Beispielbasiertes Lernen und Lehren, Verhältnis
von instruktionalen Erklärungen und Selbsterklärungen, Lernen durch reflexives Schreiben,
Lernen mit multiplen Repräsentationen

Ellen Schaffner
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Potsdam
Promotion: 2009, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Lesemotivation, Lesekompetenz

Ulrich Schiefele
Professor für Pädagogische Psychologie, Universität Potsdam
Promotion: 1984, Universität Wien
Forschungsschwerpunkte
Pädagogische Psychologie, Auswirkungen von Motivation und Interesse auf Leseverstehen

Bernhard Schmitz
Professor für Pädagogische Psychologie, Technische Universität Darmstadt
Promotion: 1984, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Förderung von Selbstregulation und Problemlösen, Konzeption und Effektivität
von Trainings, Argumentation und Verhandlung, Beratungskompetenz von Lehrern,
Standardisierte Tagebücher

Kathleen Schnick-Vollmer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie, Technische Universität
Darmstadt
Forschungsschwerpunkte
Kompetenzmodellierung und -messung, Selbstregulatorisches Lernen

Tina Seidel
Professorin für Unterrichts- und Hochschulforschung, Technische Universität München
Promotion: 2002, Christian-Albrechts-Universität Kiel
Forschungsschwerpunkte
Unterrichtsforschung, Lehrerforschung, Hochschulforschung
XIV Autorinnen und Autoren

Elmar Souvignier
Professor für Diagnostik und Evaluation im schulischen Kontext, Westfälische Wilhelms-
Universität Münster
Promotion: 2000, Goethe-Universität Frankfurt
Forschungsschwerpunkte
Diagnose und Förderung des Leseverständnisses, Kooperatives Lernen

Elena Stamouli
Akademische Rätin, Universität Regensburg
Promotion: 2003, Universität Regensburg
Forschungsschwerpunkte
Emotionale Kompetenzen, Berufszufriedenheit, Professional Learning

Ulrich Trautwein
Professor für Empirische Bildungsforschung, Eberhard Karls Universität Tübingen
Promotion: 2002, Freie Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Selbstkonzept, Empirische Bildungsforschung, Lehr-Lern-Forschung

Sabine Walper
Professorin für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung, Ludwig-Maximilians-
Universität München; Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut e. V.
Promotion: 1986, Technische Universität Berlin
Forschungsschwerpunkte
Scheidungs- und Stieffamilien, Familien in Armut, Entwicklung im Jugendalter,
Förderung elterlicher Erziehungskompetenzen

Elke Wild
Professorin für Pädagogische Psychologie, Universität Bielefeld
Promotion: 1993, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Familienpsychologie, Motivationspsychologie, Beratung, Jugendforschung

Oliver Wilhelm
Professor für Differenzielle Psychologie und Psychologische Diagnostik, Universität Ulm
Promotion: 2000, Universität Mannheim
Forschungsschwerpunkte
Konstruktion und Evaluation von Leistungs- und Fähigkeitstests, Multivariate Untersuchung
von Fähigkeitskonstrukten, Innovative Messverfahren zur Erfassung von Schülerleistungen
Wild, Möller: Pädagogische Psychologie
Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch

• Der Wegweiser zu diesem Lehrbuch

Trailer: Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivatio-


Mit dieser Einleitung
1 nalen und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden be-
startet das Kapitel stimmt. Es verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen
2 Psychologie spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich
den Aufbau und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum

3 Ziel setzen. Von solchen Trainingsverfahren handelt dieses


Kapitel (. Abb. 17.1).
Stimmungsvoller
Einstieg ins Kapitel: 4
Foto vom Bielefelder 17.1 Was ist ein Training?
Begriffsbestimmung
Fotografen Veit Mette.
5 und Klassifikation

6 Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Interven-


tionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar. In
7 diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainingsver-
fahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch
relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen ge-
8 fördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert wer-
Glossar der wichtigsten
den, was ein ▶
9
können.
10 Definition
Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
11 begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter . Abb. 17.1

Ausübung von Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird,


12 Fertigkeiten und Fähigkeiten aufzubauen oder zu Beispiel | |
verbessern.
knapp erläutert
13 (Klauer, 1991)
-
14 heit, Verschiedenheit, Gleichheit und Verschiedenheit; Fa- Klaus hat verschiedene Lieblingszahlen:
484 – 55 – 1621 – 878 – 323
Welche dieser Zahlen gehört noch dazu? Begründe.
15 -
768 – 32 – 767 – 423 – 113
aufgabentypen des induktiven Denkens:
1. Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen) Aufgabe B
Wissen anwenden 16 2. Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) Im Geometrieunterricht hat euer Lehrer eine Folge von
mit den zahlreichen Figuren an die Tafel gezeichnet (. Abb. 17.2). Leider hat
3.
Beispielen
17 von Merkmalen) er einen Fehler gemacht. Findest Du ihn?
(Lösung Aufgabe A: 767; Lösung Aufgabe B: Parallelo-
4. Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen)
5. Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Re- gramm und Rechteck müssen getauscht werden.)
18 lationen)
6. Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von
19 Relationen). Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder Leser sich
schon einmal mit einem konkreten pädagogisch-psycho-
Übersichten: erleichtern
20
--
-
Vorteile Neuer Medien
das Lernen rung ein exemplarisches Trainingsprogramm im ▶ Exkurs
Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos

--
„Ein Training zur Förderung des induktiven Denkens“ kurz
21 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs
skizziert und ausführlicher im ▶ Abschn. 17.2.2 erklärt.
Zeitunabhängiges Lehren und Lernen
. Tab. 17.1 präsentiert exemplarisch die Kompe-
22 Ortsunabhängiges Lehren und Lernen
tenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz aus
Navigation: Mit Seiten-
zahl und Kapitelnummer

Exkurs | | Wenn Sie es genau


Ein Training zur Förderung des induktiven wissen wollen: Exkurse
Denkens vertiefen das Wissen
Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt das induktive
Denken dar. Induktives Denken liegt immer dann vor, wenn
wir aus konkreten Beobachtungen auf Regelhaftigkeiten
z. B. von Formen schließen. Der Aachener Erziehungswis-
senschaftler und Psychologe Karl Josef Klauer hat für Kinder
und Jugendliche Trainings zur Förderung dieser Denkkom-
petenz vorgelegt (Klauer, 1989, 1991, 1993). Die Trainings

Aufgabeninhalte und -formate kommen dabei zum Einsatz.


So müssen Reihen fortgesetzt, unpassende Elemente ent- Anschaulich:
deckt oder Objekte in ein System eingeordnet werden (für
Aufgabenbeispiele ▶ Aufgaben aus
80 Abbildungen
“ in ▶ Abschn. 17.2.2). Im Verlauf der
Trainingssitzungen erlernen die Trainingsteilnehmer, ver-
schiedene Typen von Aufgaben des induktiven Denkens zu
unterscheiden und bei der Lösung der Aufgaben nach einer
. Abb. 17.2 Das Verfahren zur Aufgabenentwicklung im Überblick speziellen Strategie vorzugehen. Hierdurch sollen die Trai-
nierten, auch über die konkreten Trainingsaufgaben hinaus,
all jene schulischen und außerschulischen Anforderungen
. Tab. 17.1 besser bewältigen, in denen Kompetenzen des induktiven
(1998) Denkens von Relevanz sind. Anschaulich: Mehr als
verdeckt 20 Tabellen

destruktiv - (heimliche) Zerstörung


nen (z. B. tätliche des Eigentums anderer Verständnisfragen
1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich Training
nicht oppositionelles Normverletzungen (z. B. aus? Was gelernt? Prüfen Sie
destruktiv Verhalten heimliche Regelverstöße) 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am besten Ihr Wissen anhand der
evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in den Evaluatio-
Verständnisfragen
- nen des Denktrainings zentrale Aspekte der Wirksamkeits-
nen, dass die Trainingsaufgaben (möglichst gleichmäßig) überprüfung von Trainingsverfahren realisiert?
3. Warum sollten vor dem Hintergrund des Selbstbewer-
anderen, dass die Trainingsteilnehmer beliebige Aufgaben tungsmodells der Leistungsmotivation nur solche Trai-
des induktiven Denkens den Kernaufgabentypen zuord-
führen, in denen alle drei Prozesskomponenten des Leis-
tungsmotivs trainiert werden?
1991) dargestellt. Wie wird der Zusammenhang zwischen 4.
der zur Förderung des Leseverstehens auf der einen und des
beschrieben? Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammen- Schreibens auf der anderen Seite?
5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich im Hin-
blick auf die Implementation von Trainingsprogrammen
nennen?
Fazit Fazit: Das Wichtigste
Zusammenfassend lässt sich zur Implementation von in Kürze
Vertiefende Literatur
Trainingsprogrammen feststellen, dass die Wirksamkeit Hartig, J., Klieme, E. & Leutner, D. (Hrsg.). (2008). Assessment of compe-
von Fördermaßnahmen maßgeblich von der Qualität tencies in educational contexts. Toronto: Hogrefe & Huber Publishers.
der Umsetzung bestimmt wird und dass eine syste- Pellegrino, J. W., Chudowsky, N. & Glaser, R. (Hrsg.). (2001). Knowing what
matische Erforschung von Implementationsprozessen students know. Washington, D.C.: National Academies Press.
Prenzel, M., Sälzer, Ch., Klieme, E. & Köller, O. (Hrsg.). (2013). -
zu den Desideraten der Trainings- und Unterrichtsfor-
schritte und Herausforderungen in Deutschland. Münster: Waxmann.
schung gehört (Beelmann, 2006; Gräsel & Parchmann, The
2004; Souvignier & Trenk-Hinterberger, 2010). Role of International Large-Scale Assessments: Perspectives from Noch nicht genug?
Technology, Economy, and Educational Research. New York: Springer. Tipps für die weiter-
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Inhaltsverzeichnis

I Lernen

1 Wissenserwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
Alexander Renkl
1.1 Wissenserwerb – Was wird da erworben?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.3 Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2 Intelligenz und Vorwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25


Hans Gruber, Eleni Stamouli
2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.3 Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie. . . . . . . . 36
2.4 Messung von Intelligenz und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.5 Intelligenter Wissenserwerb im Studium– Auch eine Frage der epistemologischen
Überzeugungen von Dozierenden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45


Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto, Kathleen Schnick-Vollmer, Bernhard Schmitz
3.1 Begriffsbestimmung „Selbstreguliertes Lernen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.2 Modelle der Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
3.3 Diagnostik von Selbstregulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
3.4 Förderung von Selbstregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
3.5 Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

II Lehren

4 Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
Frank Lipowsky
4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

5 Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
Tina Seidel
5.1 Klassenführung als zentrales Thema der Unterrichtsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
5.2 Begriffsklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114
5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
5.6 Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit von Lehrenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
XXI
Inhaltsverzeichnis

6 Medien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
Holger Horz
6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
6.2 Lernmedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
6.3 Medien in Bildungskontexten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
6.4 Medien in außerinstitutionellen Kontexten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

III Motivieren

7 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner
7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

8 Selbstkonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Jens Möller, Ulrich Trautwein
8.1 Schulisches Selbstkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung. . . . . . . . . . . . . . . . 179
8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
8.4 Determinanten des Selbstkonzepts: Welche Faktoren beeinflussen
die Höhe der fachbezogenen Selbstkonzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
8.6 Schulische und außerschulische Interventionsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

9 Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun
9.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
9.2 Erfassung von Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
9.3 Leistungsemotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

IV Interagieren

10 Familie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
Elke Wild, Sabine Walper
10.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
10.2 Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
10.3 Familien in der Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

11 Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Mareike Kunter, Britta Pohlmann
11.1 Merkmale des Lehrerberufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
11.2 Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
11.3 Motivationale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
XXII Inhaltsverzeichnis

11.4 Emotionale Merkmale: Beanspruchungserleben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274


11.5 Veränderung von Lehrermerkmalen in Ausbildung und Beruf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

12 Gleichaltrige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Ursula Kessels, Bettina Hannover
12.1 Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
12.2 Beliebtheit und Freundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
12.3 Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Peer-Status. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
12.4 Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
12.5 Miteinander und voneinander lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
12.6 Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: Aggression und Bullying . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300

V Diagnostizieren und Evaluieren

13 Pädagogisch-psychologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305


Oliver Wilhelm, Olga Kunina-Habenicht
13.1 Definition und Zielstellungen von Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
13.2 Beurteilung psychologischer Messverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
13.3 Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
13.4 Abschließende Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

14 Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329


Olaf Köller
14.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
14.2 Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
14.3 Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334
14.4 Methodische Probleme bei Evaluationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
14.5 Standards für Evaluationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
14.6 Beispiel für eine wissenschaftliche Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341

15 Nationale und internationale Schulleistungsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343


Barbara Drechsel, Manfred Prenzel, Tina Seidel
15.1 Was können Schüler? Das Interesse an Schülerleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
15.2 Klassifikation von Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
15.3 Drei beispielhafte Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
15.4 Vergleichsstudien – Von der Idee zur Testdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352
15.5 Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
15.6 Erweiterungen von Vergleichsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
15.7 Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
XXIII
Inhaltsverzeichnis

VI Intervenieren

16 Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter. 371


Marco Ennemoser, Kristin Krajewski
16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
16.2 Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
16.3 Förderung des induktiven Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379
16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
16.5 Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich. . . . . . . . 388
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395

17 Training. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
Stefan Fries, Elmar Souvignier
17.1 Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
17.2 Training kognitiver Grundfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404
17.3 Motivationstraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
17.4 Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens. . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
17.5 Implementation von Trainingsprogrammen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

18 Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421


Arnold Lohaus, Holger Domsch
18.1 Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422
18.2 Primärpräventive Förderkonzepte für Eltern als Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
18.3 Organisationsbezogene primärpräventive Förderkonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
18.4 Evaluation der Effekte von Programmen zur Förderung psychosozialer Kompetenzen. . . . . . . . . . . . . 436
18.5 Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Mitarbeiterverzeichnis

Holger Domsch, Dr. Bettina Hannover, Univ.-Prof. Dr.


Stadt Münster Freie Universität Berlin
Schulpsychologische Beratungsstelle Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Klosterstraße 33, 48143 Münster Arbeitsbereich Schul- und Unterrichtsforschung
E-Mail: Domsch@stadt-muenster.de Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin
E-Mail: bettina.hannover@fu-berlin.de
Barbara Drechsel, Prof. Dr.
Otto-Friedrich-Universität Bamberg Holger Horz, Prof. Dr.
Institut für Psychologie Goethe-Universität Frankfurt
Professur für Psychologische Grundlagen Institut für Psychologie
in Schule und Unterricht Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie
Kapuzinerstraße 16, 96047 Bamberg AE Psychologie des Lehrens und Lernens
E-Mail: barbara.drechsel@uni-bamberg.de im Erwachsenenalter &
IKH - Interdisziplinäres Kolleg Hochschuldidaktik
Marco Ennemoser, Prof. Dr. PEG-Gebäude (HP 71)
Justus-Liebig-Universität Gießen Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main
Fachbereich 06, Psychologie und Sportwissenschaft E-Mail: horz@psych.uni-frankfurt.de
Abteilung Pädagogische Psychologie
Schulische Prävention und Evaluation Ursula Kessels, Univ.-Prof. Dr.
Otto-Behaghel-Straße 10 F, 35394 Gießen Freie Universität Berlin
E-Mail: Marco.Ennemoser@psychol.uni-giessen.de Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie
Arbeitsbereich Bildungsforschung/Heterogenität
Anne C. Frenzel, Prof. Dr. und Bildung
Ludwig-Maximilians-Universität München Habelschwerdter Allee 45, 14195 Berlin
MCLS – Munich Center of the Learning Sciences E-Mail: ursula.kessels@fu-berlin.de
Leopoldstraße 13, 80802 München
E-Mail: frenzel@psy.lmu.de Olaf Köller, Prof. Dr.
Geschäftsführender Direktor des IPN – Leibniz-
Stefan Fries, Prof. Dr. Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften
Universität Bielefeld und Mathematik an der Universität Kiel
Abteilung Psychologie Olshausenstraße 62, 24118 Kiel
AE Psychologie der Bildung und Erziehung E-Mail: koeller@ipn.uni-kiel.de
Postfach 100131, 33501 Bielefeld
E-Mail: stefan.fries@uni-bielefeld.de Kristin Krajewski, Prof. Dr.
Justus-Liebig-Universität Gießen
Thomas Götz, Prof. Dr. Fachbereich 06, Psychologie und Sportwissenschaften
Universität Konstanz Abteilung Pädagogische Psychologie
Empirische Bildungsforschung Entwicklungsorientierte Lernförderung
Universitätsstraße 10/Fach 45, 78457 Konstanz Otto-Behaghel-Straße 10 F, 35394 Gießen
E-Mail: thomas.goetz@uni-konstanz.de E-Mail: Kristin.Krajewski@psychol.uni-giessen.de

Hans Gruber, Prof. Dr. Olga Kunina-Habenicht, Dr. 


Universität Regensburg Goethe-Universität Frankfurt
Institut für Pädagogik Institut für Psychologie
Universitätsstraße 31, 93053 Regensburg Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie
E-Mail: Hans.Gruber@ur.de AE Lehren und Lernen im schulischen Kontext
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main
E-Mail: kunina@paed.psych.uni-frankfurt.de
XXV
Mitarbeiterverzeichnis

Mareike Kunter, Prof. Dr. Franziska Perels, Prof. Dr.


Goethe-Universität Frankfurt Universität des Saarlandes
Institut für Psychologie Fachrichtung 5.1 Bildungswissenschaften
Abteilung für Pädagogische Psychologie Empirische Schul- und Unterrichtsforschung
AE Lehren und Lernen im schulischen Kontext Postfach 151150, 66041 Saarbrücken
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main E-Mail: f.perels@mx.uni-saarland.de
E-Mail: kunter@paed.psych.uni-frankfurt.de
Britta Pohlmann, Dr.
Meike Landmann, Dr. Institut für Bildungsmonitoring
Landesschulamt und Lehrkräfteakademie und Qualitätsentwicklung
Dezernat III.3/Wirksamkeitsanalysen Beltgens Garten 25, 20537 Hamburg
Walter-Hallstein-Straße 5–7, 65197 Wiesbaden E-Mail: Britta.Pohlmann@ifbq.hamburg.de
E-Mail: Meike.Landmann@lsa.hessen.de
Manfred Prenzel, Prof. Dr.
Frank Lipowsky, Prof. Dr. Technische Universität München
Universität Kassel TUM School of Education
Fachgebiet Empirische Schul- und Unterrichtsforschung Susanne Klatten-Stiftungslehrstuhl für Empirische
Nora-Platiel-Straße 1, 34109 Kassel Bildungsforschung
E-Mail: lipowsky@uni-kassel.de Arcisstraße 21, 80333 München
E-Mail: manfred.prenzel@tum.de
Arnold Lohaus, Univ.-Prof. Dr.
Universität Bielefeld Alexander Renkl, Prof. Dr.
Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Universität Freiburg
AE Entwicklungspsychologie Institut für Psychologie
Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld Abteilung Pädagogische Psychologie
E-Mail: arnold.lohaus@uni-bielefeld.de und Entwicklungspsychologie
Engelbergerstraße 41, 79085 Freiburg
Jens Möller, Prof. Dr. E-Mail: renkl@psychologie.uni-freiburg.de
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Institut für Psychologie – Psychologie für Pädagogen Ellen Schaffner, Dr.
Olshausenstraße 75, 24118 Kiel Universität Potsdam
E-Mail: jmoeller@psychologie.uni-kiel.de Department Psychologie
Pädagogische Psychologie
Barbara Otto, Dr. Karl-Liebknecht-Straße 24/25, 14476 Potsdam OT Golm
Goethe-Universität Frankfurt E-Mail: schaffn@uni-potsdam.de
Institut für Psychologie
Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie Ulrich Schiefele, Prof. Dr.
PEG-Gebäude, Raum 5.G128, HP 68 Universität Potsdam
Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt am Main Department Psychologie
E-Mail: b.otto@paed.psych.uni-frankfurt.de Abteilung für Pädagogische Psychologie
Karl-Liebknecht-Straße 24/25, 14476 Potsdam OT Golm
Reinhard Pekrun, Prof. Dr. E-Mail: ulrich.schiefele@uni-potsdam.de
Ludwig-Maximilians-Universität München
Fakultät für Psychologie und Pädagogik Kathleen Schnick-Vollmer, Dipl.-Psych.
Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie, Evaluation Technische Universität Darmstadt
& Diagnostik Institut für Psychologie
Leopoldstraße 13, 80802 München Arbeitsgruppe für Pädagogische Psychologie
E-Mail: pekrun@lmu.de Alexanderstraße 10, 64283 Darmstadt
E-Mail: schnick@psychologie.tu-darmstadt.de
XXVI Mitarbeiterverzeichnis

Bernhard Schmitz, Prof. Dr. Oliver Wilhelm, Prof. Dr.


Technische Universität Darmstadt Universität Ulm
Institut für Psychologie Institut für Psychologie und Pädagogik
Arbeitsgruppe für Pädagogische Psychologie Abteilung Differentielle Psychologie
Alexanderstraße 10, 64283 Darmstadt und Psychologische Diagnostik
E-Mail: schmitz@psychologie.tu-darmstadt.de Albert-Einstein-Allee 47
89081 Ulm
Tina Seidel, Prof. Dr. E-Mail: oliver.wilhelm@uni-ulm.de
Technische Universität München
TUM School of Education
Friedl Schöller-Stiftungslehrstuhl für Unterrichts-
und Hochschulforschung
Arcisstraße 21, 80333 München
E-Mail: tina.seidel@tum.de 

Elmar Souvignier, Prof. Dr.


Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Psychologie in Bildung und Erziehung
Fliednerstraße 21, 48149 Münster
E-Mail: elmar.souvignier@psy.uni-muenster.de

Eleni Stamouli, PD Dr.


Universität Regensburg
Institut für Pädagogik
Universitätsstraße 31, 93053 Regensburg
E-Mail: eleni.stamouli@paedagogik.
uni-regensburg.de

Ulrich Trautwein, Prof. Dr.


Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Erziehungswissenschaft
Europastraße 6, 72070 Tübingen
E-Mail: ulrich.trautwein@uni-tuebingen.de

Sabine Walper, Prof. Dr.


DJI München, Deutsches Jugendinstitut e. V.
Nockherstraße 2
81541 München
E-Mail: walper@dji.de

Elke Wild, Prof. Dr.


Universität Bielefeld
Fakultät für Psychologie
AE Pädagogische Psychologie
Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld
E-Mail: elke.wild@uni-bielefeld.de
1 I

Lernen
Kapitel 1 Wissenserwerb – 3
Alexander Renkl

Kapitel 2 Intelligenz und Vorwissen – 25


Hans Gruber, Eleni Stamouli

Kapitel 3 Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen  –  45


Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto,
Kathleen Schnick-Vollmer, Bernhard Schmitz
3 1

Wissenserwerb
Alexander Renkl

1.1 Wissenserwerb – Was wird da erworben?  –  4


1.2 Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?  –  6
1.2.1 Perspektive des aktiven Tuns  –  7
1.2.2 Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung  –  8
1.2.3 Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung  –  11
1.2.4 Wahl der Perspektive: Implikationen zur Gestaltung
von Lehr-Lern-Arrangements – 12

1.3 Wie kann Wissen erworben werden? –


Wichtige Lernformen – 13
1.3.1 Lernen aus Texten – 13
1.3.2 Lernen aus Beispielen und Modellen  –  15
1.3.3 Lernen durch Aufgabenbearbeiten  –  16
1.3.4 Lernen durch Erkunden  –  19
1.3.5 Lernen durch Gruppenarbeit  –  20

Literatur – 22

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
4 Kapitel 1 • Wissenserwerb

Der Erwerb von Wissen („knowledge acquisition“) ist wohl


1 die wichtigste Zieldimension der meisten Bildungsprozesse.
Wird im Kontext von Schule, Hochschule und Weiterbildung
2 der Begriff „Lernen“ gebraucht, so bezieht er sich typischer-
weise auf Wissenserwerb. Insofern wird im Folgenden Lernen
synonym mit Wissenserwerb gebraucht. Zu gelungenem
3 Wissenserwerb trägt eine Vielzahl von Faktoren bei. Dieser
Beitrag konzentriert sich auf das Was und Wie des Wissens-
4 erwerbs aus kognitiver Perspektive. Man kann sagen, nur die
proximal am Wissenserwerb beteiligten Faktoren und Pro-
5 zesse werden betrachtet. Für andere wichtige Faktoren, die
hier nur am Rande oder gar nicht behandelt werden können,
etwa Vorwissen und Intelligenz (▶ Kap. 2), Selbststeuerung
6 der Lernenden (▶ Kap. 3), Motivation (▶ Kap. 7 und ▶ Kap. 8)
oder Unterricht (▶ Kap. 4, ▶ Kap. 5 und ▶ Kap. 6), wird auf die
7 entsprechenden Kapitel dieses Lehrbuchs verwiesen. Im Fol-
genden wird zunächst die Frage geklärt, welche Wissensarten

8 in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind


(▶ Abschn. 1.1). In ▶ Abschn. 1.2 werden drei grundlegende
theoretische Perspektiven rekonstruiert und deren Implikati-
9 onen für die Analyse und Förderung des Wissenserwerbs dis-
kutiert. Wichtige Lernarten werden in ▶ Abschn. 1.3 bespro-
10 chen. Abschließend wird noch kurz das Verhältnis zwischen
Lernprozessen und Instruktion (Unterricht, instruktionales
Design von Lernmaterial und Lernumgebungen) erörtert
11 (. Abb. 1.1).

12 .. Abb. 1.1
1.1 Wissenserwerb – Was wird
da erworben?
13 durales Wissen, das in der Schule erworben werden
soll, sind das Ausrechnen von Aufgaben aus der
In diesem Abschnitt soll näher auf den Begriff des Wissens Mathematik, der Physik oder der Chemie oder auch
14 eingegangen werden. Es werden die wichtigsten Wissens- das Schreiben einer Erörterung in Deutsch.
arten vorgestellt (zu umfassenden Systematiken siehe de 
15 Jong & Ferguson-Hessler, 1996; Alexander, Schallert &
Hare, 1991). Es gibt zwar weitestgehenden Konsens über die Unter-
In einer ersten groben Einteilung können zwei Arten scheidung zwischen ▶ deklarativem und prozeduralem
16 von Wissen unterschieden werden. Wissen, gleichwohl wird die Grenze zwischen beiden
Wissensarten unterschiedlich gezogen. In der promi-
17 Definition  nenten ACT-Theorie von Anderson (aktuell: ACT-R; z. B.
Deklaratives Wissen bezieht sich auf „Wissen, dass“. Anderson & Lebiere, 1998), auf die vielfach bei der Dif-
Dies kann sowohl einzelne Fakten umfassen (z. B. ferenzierung dieser Wissensarten referenziert wird, wird
18 ein Geschichtsdatum, eine Grammatikregel) als prozedurales Wissen in der Form von Wenn-Dann-Pro-
auch komplexes Zusammenhangswissen (z. B. Ver- duktionsregeln konzeptualisiert (▶ Kap. 2). Der Wenn-Teil
19 ständnis der Wechselwirkung von volkswirtschaft- definiert eine Bedingung, deren Zutreffen eine im Dann-
lichen Faktoren). Vielfach wird auch der Begriff des Teil beschriebene offene oder mentale Aktion aktiviert.
20 konzeptuellen Wissens verwendet, wenn deklara-
tives Wissen gemeint ist, das tieferes Verständnis
Ein menschliches Können (prozedurales Wissen) nachbil-
dendes System von solchen Bedingungs-Aktions-Paaren
konstituiert. wird Produktionssystem genannt. Während deklaratives
21 Prozedurales Wissen bezeichnet „Wissen, wie“, also Wissen verbalisiert werden kann, wird in der ACT-Theorie
etwas, das man in der deutschen Alltagssprache angenommen, dass prozedurales Wissen nicht (direkt) ver-
22 meist als Können bezeichnet. Beispiele für proze- balisierbar ist. Danach wäre beispielsweise eine verbale Be-
1.1  •  Wissenserwerb – Was wird da erworben?
5 1

schreibung eines Lösungswegs in der Mathematik deklara- In den letzten Jahren wird insbesondere eine Art von
tives Wissen, die Fertigkeit, es tatsächlich zu machen, wäre metakognitivem Wissen untersucht, das sich auf die sub-
der prozedurale Aspekt. Andere Autoren (z. B. de Jong & jektive Auffassung darüber, was Wissen eigentlich ist, be-
Ferguson-Hessler, 1996) bezeichnen auch das verbalisier- zieht. Man spricht in diesem Zusammenhang von episte-
bare Wissen über einen Lösungsweg als prozedurales Wis- mologischen Überzeugungen (z. B. Khine, 2008; ▶ Kap. 2).
sen. Ob dieser Unterschied in der genauen Grenzziehung Nach Kuhn (2005) sehen Lernende nur dann einen Sinn,
zwischen den Wissensarten immer von substanzieller Rele- sich mit komplexen Sachverhalten auseinanderzusetzen,
vanz ist (z. B. bei Überlegungen zur Förderung prozedura- zu denen es verschiedene Positionen gibt (z. B. Stamm-
len Wissens), mag dahingestellt sein. Bei der Diagnose der zellenforschung, Klimaerwärmung), wenn sie nicht mehr
Wissensarten spielt es aber natürlich eine große Rolle, ob an „einfaches“ absolutes Wissen bzw. Wahrheiten glauben
verbalisiertes Vorgehenswissen indikativ für prozedurales (Absolutismus) und auch nicht mehr alle Positionen als
Wissen ist oder eben nicht. willkürliche Meinungen ansehen (Multiplismus; oft im
Deklaratives und prozedurales Wissen kann sich auf Jugendalter anzutreffen). Sie sollten vielmehr die Über-
fachliches (domänenspezifisches) Wissen beziehen (z. B. zeugung gewonnen haben, dass es zwar verschiedene (im
Wissen über den Satz des Pythagoras oder Berechnenkön- Prinzip legitime) Positionen geben kann, diese aber un-
nen von Dreieckswinkeln) oder auf Inhalte oder Vorge- terschiedlich gut begründet sein können (Evaluatismus).
hensweisen (Strategien), die von fachübergreifender Re- In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass
levanz sind. Beispielsweise sollten Schüler im Unterricht es beim Wissenserwerb nicht nur darauf ankommt, mög-
idealiter Lernstrategien erwerben (z. B. hilfreiche Visua- lichst viel Wissen zu erwerben. Die Qualität des Wissens
lisierungen erstellen können) oder lernen, angemessen zu ist ebenfalls bedeutsam, wobei insbesondere der Grad der
argumentieren (z. B. nicht nur die eigene Position darzu- Vernetzung relevant ist. Dies soll an zwei Extrembeispie-
stellen, sondern auch auf Gegenargumente einzugehen). len verdeutlicht werden:
Solche Vorgehensweisen sind für mehrere Domänen bzw.
Schulfächer – wenn auch nicht für alle in gleichem Aus- Beispiel  |       | 
maß – relevant.
Als weitere wichtige Art von Wissen, die es zu erwer- Ein Schüler A hat in der Wahrscheinlichkeitsrechnung
ben gilt, sei metakognitives Wissen genannt (Hasselhorn, die wichtigen Formeln auswendig gelernt (z. B. Multi-
2010; Veenman, van Hout-Wolters & Afflerbach, 2006). plikationssatz) und kann ihm bekannte Aufgabentypen
mithilfe dieser Formeln lösen. Wenn eine Aufgabe ei-
Definition  nen modifizierten Lösungsweg erfordert (z. B. Aufgabe
„ohne Zurücklegen“, die zuvor noch nicht behandelt
Beim metakognitiven Wissen geht es um Wissen
wurde), scheitert der Schüler. Ein Schüler B kann nicht
über Wissen bzw. um eng mit Wissen verbundene
nur den Multiplikationssatz wiedergeben, sondern hat
Phänomene (z. B. Wissen über Wissenserwerb, Wissen
auch verstanden, warum man multipliziert, wie sich die
um den Sinn einer Lernstrategie oder das Planen des
Lösungswege für bestimmte Typen von Aufgaben mit
eigenen Vorgehens). Dabei können deklarative und
den zugrunde liegenden mathematischen Sätzen (z. B.
prozedurale Aspekte unterschieden werden.
Multiplikationssatz) begründen lassen, und welchen
Zweck einzelne Lösungsschritte jeweils erreichen (d. h.
Eine bekannte Einteilung deklarativen Metawissens prozedurales und konzeptuelles Wissen sind eng mit-
stammt von Flavell (1979): Wissen über Personenmerk- einander verknüpft). Bei modifizierten Aufgabenstel-
male (z. B. „Bei Textaufgaben neige ich dazu, die Auf- lungen ist Schüler B nicht wie Schüler A darauf ange-
gabenstellung nur oberflächlich zu lesen“), Aufgaben wiesen, einen fertigen Lösungsweg bereits zu kennen.
(„Wahrscheinlichkeitsaufgaben schauen oft leicht aus, aber Er kann aufgrund seines Verständnisses ihm bekannte
sie haben es dann doch oft in sich“) und Strategien („Sich Lösungswege so modifizieren, dass selbst veränderte
vor dem Lesen einen Überblick zu verschaffen, erleich- Aufgabenstellungen bewältigt werden können. Ziel
tert es oft das Kommende einzuordnen“). Prozedurales des Wissenserwerbs ist also nicht nur der Erwerb ein-
metakognitives Wissen umfasst vor allem das Planen zelner Wissenselemente, sondern vor allem auch eine
des eigenen Vorgehens, das Überwachen des eigenen vernetzte Wissensstruktur.
Verständnisses bzw. der eigenen Problemlösungen und
das „remediale“ Regulieren (wenn z. B. etwas noch nicht
verstanden wurde oder eine Lösung selbst als ungenügend Ein wichtiges Konzept vernetzter Wissensstrukturen ist der
erkannt wurde). Begriff ▶ Schema.
6 Kapitel 1 • Wissenserwerb

1 .. Tab. 1.1  Wichtige Lernziele, die bestimmten Wissensarten entsprechen, am Beispiel des Bereichs Schreiben im Deutschunterricht

Lernziel Wissensart
2 Kenntnis der Kommaregeln Domänenspezifisches deklaratives Wissen

Sätze korrekt niederschreiben Domänenspezifisches prozedurales Wissen


3 Wissen über argumentative Strukturen Domänenübergreifendes deklaratives Wissen

4 Argumentieren Domänenübergreifendes prozedurales Wissen

Wissen über den Nutzen von Planungsstrategien beim Schreiben Deklaratives metakognitives Wissen

5 Überwachung der Rechtschreibung und der Grammatik in einem Aufsatz Prozedurales metakognitives Wissen

Verallgemeinerte Vorstellung über Erörterungen und wie man diese ver- Schema

6 fasst, die die oben aufgelisteten Wissensarten umfassen kann

Schreiben als Mittel der Alltagsbewältigung erkennen und einsetzen Kompetenz


können
7
Definition 
sche, d. h. mehrere Wissensarten umfassende und auf die
8 Schemata beinhalten die Erfahrungen in bestimm- Funktionalität von Wissen bezogene Konzeption dar. Bei-
ten, wiederholt vorkommenden (Problem-)Situatio- spielsweise wird mathematische Kompetenz im Sinne ei-
9 nen in abstrahierter Weise (z. B. Dreisatzaufgaben). Sie ner mathematischen Grundfertigkeit verstanden, die sich
stellen skelettartige Wissensstrukturen dar, die mit auf die Fähigkeit bezieht, die Funktion von Mathematik in
den Spezifika einer aktuellen Problemstellung ange-
10 reichert werden, wenn die Person einem passenden
der Lebenswelt zu verstehen, fundierte mathematikbasierte
Urteile abgeben zu können und Mathematik als Werkzeug
Problemtyp begegnet (z. B. die abstrakten Variablen im Alltags- oder Berufsleben nutzen zu können. Obwohl
11 des Dreisatzes werden mit den konkreten Zahlen und mit dem Kompetenzbegriff und dessen Betonung der
Gegenständen ausgefüllt). Funktionalität von Wissen ein wichtiger und interessan-
12 ter Ansatz in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt
wurde, mangelt es derzeit noch an einer umfassenden the-
Die Einordnung eines Sachverhalts in ein Schema erlaubt, oretischen Konzeptualisierung und entsprechend fundier-
13 eine entsprechende Qualität des Schemas vorausgesetzt, ten Messinstrumenten.
Verständnis und Reproduktion (Erinnern) desselben. Da- In . Tab. 1.1 findet sich eine Zusammenstellung der
14 rüber hinaus können Vorhersagen und Problemlösungen wichtigsten Wissensarten. Diese werden am Beispiel des
geleistet werden. In Schemata können deklaratives Wissen Schreibens exemplifiziert.
15 und prozedurales Wissen integriert sein. Die Expertisefor-
schung verdeutlicht dabei (Ericsson, Charness, Hoffman
& Feltovich, 2006), dass für effektives Problemlösen eine 1.2 Was sind bedeutende
16 hierarchische, durch Schemata geordnete Wissensstruktur theoretische Perspektiven?
von Bedeutung ist. Diese ermöglicht nicht nur eine hand-
17 habbare Organisation des Wissens, sondern erlaubt es auch, Es gibt derzeit unterschiedliche Auffassungen darüber, wie
die Verbindungen zwischen episodischen, konkreten Sach- Wissenserwerb abläuft und welche Prozesse besonders
verhalten einschließlich problemlöserelevanter Informatio- lernförderlich sind. Diese lassen sich drei prototypischen

-
18 nen (z. B. Wissen über geeignete Operatoren bei bestimm- Positionen zuordnen:
ten Problemen) und abstrakteren Domänenprinzipien zu Die Perspektive des aktiven Tuns misst vor allem
19 repräsentieren. Dies ist eine Voraussetzung für kompeten- aktivem Problemlösen und aktivem Diskurs eine

20
tes, prinzipiengesteuertes Problemlösen (Alexander, 1997).
Um die Anwendungsqualität von Wissen geht es
auch beim Begriff der Kompetenz, der in neuerer Zeit
insbesondere durch die von PISA (z. B. Deutsches PISA-
- besondere Bedeutung beim Erwerb von Wissen zu.
Bei der Perspektive der aktiven Informationsver-
arbeitung wird argumentiert, dass nicht unbedingt
sichtbares aktives Tun ausschlaggebend ist, sondern
21 Konsortium, 2001; PISA-Konsortium Deutschland, 2007) die aktive mentale Auseinandersetzung mit dem
angestoßene Diskussion zur Bildungsqualität in deutschen Lerngegenstand. Diese beiden Perspektiven wurden
22 Schulen zunehmend Beachtung erfährt (▶ Kap. 15; auch von Mayer und Kollegen als grundlegende Orientie-
Klieme & Leutner, 2006). Dieser stellt eine eher holisti- rungen identifiziert (z. B. Robbins & Mayer, 1993).
1.2  •  Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?
7 1

- Die Perspektive der fokussierten Informationsver-


arbeitung (Renkl & Atkinson, 2007; Renkl, 2011a)
differenziert die Perspektive der aktiven Informa-
tuativen Kontexten in den Köpfen abgespeichert ist, wird
von Vertretern des Situiertheitsansatzes nicht zuletzt
mit dem vielfach anzutreffenden Phänomen des „trägen
tionsverarbeitung insofern aus, als sie betont, dass Wissens“ begründet (Renkl, 1996b). Dieser Begriff kenn-
nicht mentale Aktivität an sich zu gelungenem zeichnet Wissen, das Lernende z. B. in Prüfungen wie-
Wissenserwerb führt, sondern mentale Aktivität, die dergeben können, das sie aber nicht verwenden, wenn es
die zentralen Konzepte (z. B. Begriffe) und Prinzipien gilt, komplexe Probleme des Berufs- oder Alltagslebens zu
(z. B. Gesetze, mathematische Sätze) in einem Lern- lösen; es findet kein Transfer statt. Insofern wurde argu-
bereich fokussiert. mentiert, dass Wissen nicht eine Entität im Kopf ist, die
in einem Kontext (z. B. Unterricht) erworben und dann in
Diese Perspektiven werden im Folgenden diskutiert. Dabei einem anderen Kontext (z. B. Arbeitsstelle) genutzt wer-
wird die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung den kann. Es wird vielmehr insofern als kontextgebun-
am ausführlichsten dargestellt, da sie die derzeit dominante den angesehen, als es sich immer aus der Relation oder
Orientierung ist. Interaktion zwischen einer Person und einer Situation
konstituiert. Beispielsweise konstituiert sich Wissen beim
Kooperieren mit anderen Lernenden, wobei die Art der
1.2.1 Perspektive des aktiven Tuns Interaktion bestimmt, welches Wissen dabei entsteht. Aus
dieser Wissensauffassung folgt, dass auch Kognition und
Die Perspektive des aktiven Tuns betrachtet sichtbare, of- Lernen als kontextgebunden bzw. situiert zu konzipieren
fene Lernaktivitäten als notwendige Bedingung gelungenen ist. Wissen ist gleichsam in Aktivitätsmuster „eingebaut“,
Wissenserwerbs. Ein klassisches Beispiel für diese Position die zu bestimmten Situationen bzw. Kontexten passen. Um
ist das Modell des operanten Konditionierens von Skin- Wissen zu erwerben, müssen Lernende also aktiv an Dis-
ner (1954). Dabei wird betont, dass Schüler Gelegenheit kursen und Problemlöseprozessen teilnehmen, um so die
bekommen müssen, Verhalten zu zeigen, das, wenn er- entsprechenden Aktivitätsmuster zu erwerben.
wünscht, sogleich bekräftigt wird. Dies kann sehr gut über Eine umfassende Diskussion der Vorzüge und Be-
Lernmaschinen – in der Art moderner computerbasierter schränkungen der situierten Perspektive kann hier aus
Drill-and-Pratice-Lernprogramme – erfolgen, in denen der Platzgründen nicht erfolgen (z. B. Renkl, 2001). Es soll
Lernstoff in kleine Einheiten unterteilt und in Aufgaben hier primär die Annahme, dass das aktive, offene Tun für
„gegossen“ wird. Die Aufgaben sollten von den Lernenden erfolgreiches Lernen ausschlaggebend ist, kritisch beleuch-
zumeist richtig gelöst werden können, sodass korrektes Ver- tet werden. Lernen ist letztendlich ein Prozess, der sich
halten bekräftigt werden kann. Die Lernmaschinen erlauben im Kopf (Gehirn) vollzieht. Vor diesem Hintergrund ist
zudem eine individuelle Anpassung des Lerntempos. es problematisch, Kriterien darüber, ob effektives Lernen
Diese Perspektive mag veraltet anmuten, da in moder- stattfindet, primär an offenen Aktivitäten festzumachen.
nen instruktionalen („unterrichtlichen“) Ansätzen weniger Tut man dies dennoch, so entspricht dies vielfach der nai-
die Einübung einzelner Antworten im Vordergrund steht, ven Annahme einer 1 : 1-Korrepondenz zwischen äußerlich
als vielmehr vernetzte, Verständnis konstituierende und sichtbaren Lernaktivitäten und dem, was internal, also im
Transfer erlaubende Wissensstrukturen. Es gibt allerdings Kopf der Lernenden passiert. Dass dem nicht so ist, zeigen
auch moderne Versionen dieser Perspektive. Unter Schlag- beispielsweise die Befunde von Fischer und Mandl (2005)
wörtern wie Konstruktivismus (im Sinne Piagets) oder sowie Renkl (1997b): In kooperativen Lernarrangements,
Sozialkonstruktivismus (unter Bezug auf Vygotsky) gibt in denen ja auf der sozialen/offenen Ebene auf den ersten
es eine Vielzahl von Ansätzen, die als Voraussetzung ge- Blick für alle Vergleichbares passiert, können die Koope-
lungenen Wissenserwerbs offenes Verhalten betonen, wie rationspartner dennoch sehr verschiedenartige Erfahrun-
etwa Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames gen machen und unterschiedliches Wissen erwerben (dazu
Problemlösen oder aktive Teilnahme an fachlichem Dis- auch Weinberger, Stegmann & Fischer, 2007).
kurs (z. B. Stahl, Koshmann & Suthers, 2006). Nach Barab Es seien drei weitere Beispiele für empirische Befunde
et al. (2008) z. B. sind Konzepte keine für sich stehenden genannt, die eine eher kritische Sicht auf die Position des
Entitäten im Kopf von Lernenden, sondern Werkzeuge, die aktiven Tuns implizieren. Pauli und Lipowsky (2007) un-
immer mit Aktivitäten verbunden sind. Da Kognition da- tersuchten die verbale Beteiligung der Schüler am Unter-
mit an Aktivitäten in konkreten Situationen gebunden ist, richt, welche man als prototypisches aktives Lernverhalten
spricht man hier auch von der Perspektive der situierten ansehen kann. Sie fanden nicht, dass aktive Schüler mehr
Kognition (Greeno, 2006). lernen. Ein zweites Beispiel stammt von Renkl (1997b).
Die Ablehnung der Annahme, dass Wissen („know- Er fand, dass Lernen durch Lehren – vielfach ein „Para-
ledge“) als etwas zu betrachten ist, das unabhängig von si- debeispiel“ für aktives Lernen – die Lernenden in Stress
8 Kapitel 1 • Wissenserwerb

Exkurs  |       | 
1
Was ist das Arbeitsgedächtnis?
2 Wie das Arbeitsgedächtnis zu konzipie- werden als Alternative prozessorientierte men (zu prinzipiellen Schwierigkeiten der
ren ist, ist seit langer Zeit Gegenstand Modelle vorschlagen. Beispielsweise theoretischen Erklärung von Arbeitsge-
einer in der Gedächtnisforschung kont- nimmt Cowan (2000) keine temporäre dächtnisphänomenen s. Cowan, 2000).
3 rovers geführten Debatte. Die klassische Speicherung an, sondern er konzipiert Für spezielle Problemstellungen kann es
Auffassung, die meist in der Pädagogi- das Arbeitsgedächtnis – etwas verein- jedoch wichtig sein, dass die Pädagogi-

4 schen Psychologie zugrunde gelegt wird,


nimmt einen „separaten“ Speicher an.
facht gesprochen – als den aktivierten Teil
des Langzeitgedächtnisses, auf dem der
sche Psychologie den aktuellen Stand der
Gedächtnisforschung berücksichtigt. Dies
Diese Auffassung ist eng mit dem Namen Aufmerksamkeitsfokus liegt; dieser Fokus zeigen z. B. Rummer, Schweppe, Scheiter

5 Baddeley verbunden, der dabei mehrere


Subkomponenten annimmt, die jeweils
ist wiederum auf wenige Informationsein-
heiten beschränkt.
und Gerjets (2008) im Zusammenhang
mit der Erklärung des sog. Modalitätsef-
der Speicherung von visueller, akustischer Für die meisten Problemstellungen, mit fekts (Bild und gesprochener Text führen
6 und episodischer Information sowie der
exekutiven Kontrolle dienen (Baddeley,
denen sich die Pädagogische Psychologie
beschäftigt, dürfte die Frage sekundär
zu besserem Wissenserwerb als Bild und
geschriebener Text) auf (▶ Kap. 5).
2001). Diese Auffassung wird immer sein, wie genau die Kapazitätsgrenzen
7 wieder heftiger Kritik unterworfen und es des Arbeitsgedächtnisses zustande kom-

8 versetzen und sie überfordern kann, wenn sie sich in ei- Es wird nicht angenommen, dass den Lernenden das Wis-
nem Lernbereich noch in anfänglichen Lernstadien be- sen direkt vermittelt werden kann, vielmehr müssen sie ak-
9 finden. Diejenigen, die nach einer ersten Selbstlernphase tiv Information interpretieren und daraus Wissen aufbauen.
den Stoff anderen erklärten, die dieselbe Selbstlernphase Es ist wichtig anzumerken, dass die Perspektiven der
10 gerade hinter sich gebracht hatten, lernten sogar weniger aktiven Informationsverarbeitung und des aktiven Tuns
als die Zuhörenden. Die vermeintlich passiven Zuhören- nicht immer zu unterschiedlichen Vorhersagen über effek-
den erwarben also mehr Wissen. Das dritte Beispiel bezieht tiven Wissenserwerb kommen. Auch wenn man die aktive
11 sich auf Befunde zu Lösungsbeispielen beim anfänglichen Informationsverarbeitung als für effektiven Wissenserwerb
Erwerb kognitiver Fertigkeiten (z. B. Renkl, 2011b; ▶ Ab- ausschlaggebend sieht, kann die Annahme gemacht wer-
12 schn. 1.3.2). Es ist lernförderlicher, mehrere Lösungsbei- den, dass eine offene Aktivität (z. B. „Experimentieren“
spiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem Beispiel) mit der Simulation eines ökologischen Systems) sinnvoll
zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen. Dies gilt sogar ist. Eine Begründung dafür bestünde aber immer in der
13 dann, wenn das Lernen durch Aufgabenbearbeiten in „aus- Annahme, dass man dadurch mentale Verarbeitungspro-
gefeilter“ Weise unterstützt wird (z. B. Schwonke, Renkl, zesse, etwa des Hypothesenbildens und -testens, aktiviert.
14 Krieg, Wittwer, Aleven & Salden, 2009). Das scheinbar Zugleich wird aber die Möglichkeit in Betracht gezogen,
passive Studium von Lösungsbeispielen ist also die bes- dass offene Aktivität der mentalen lernstoffbezogenen Ak-
15 sere Alternative. Zugleich zeigen Untersuchungen, dass die tivität abträglich sein kann – wie dies mit den Befunden zu
mentalen Lernaktivitäten beim Beispielstudium von ganz Lösungsbeispielen und zum Lernen durch Zuhörer exem-
entscheidender Bedeutung für den Lernerfolg sind (Renkl, plarisch aufgezeigt wurde.
16 2011b; ▶ Abschn. 1.3.2). Diese Art der Aktivität wird in der
Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung betont. Gedächtnisstrukturen und Wissenserwerb
17 In der Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung
wird angenommen, dass die lernrelevante Informations-
1.2.2 Perspektive der aktiven verarbeitung im Arbeitsgedächtnis (auch Arbeitsspeicher
18 Informationsverarbeitung genannt) vollzogen wird. Dieser Speicher enthält das, was
uns gerade bewusst ist, an was wir gerade denken (▶ Exkurs
19 Die Perspektive der aktiven Verarbeitung ist mit den im „Was ist das Arbeitsgedächtnis?“). Dass dabei der Umfang
vorstehenden Abschnitt genannten Befunden (z. B. Zu- an Informationen, die wir gleichzeitig beachten können,
20 hören kann besser als Erklären sein) vereinbar. Es kommt begrenzt ist, ist uns allen aus der Alltagserfahrung bekannt
nicht auf die offen sichtbare Aktivität an, sondern auf die (wir können an einem Tisch z. B. nicht zwei komplexen
mentale stoffbezogene Aktivität. Diese Position wird von Konversationen zugleich folgen). Die potenziell von außen
21 den meisten kognitiv orientierten Lehr-Lern-Forschern ins Arbeitsgedächtnis kommenden Daten werden zunächst
eingenommen (Robbins & Mayer, 1993; vgl. auch den Be- in einem Ultrakurzzeitgedächtnis im Millisekundenbereich
22 griff der kognitiven Aktivierung; ▶ Kap. 2). Auch hierbei festgehalten (neuronale Muster, die durch akustische oder
liegt meist eine konstruktivistische Grundauffassung vor: optische Signale ausgelöst werden). Aus der Vielzahl der
1.2  •  Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?
9 1

einströmenden Reize werden nur sehr wenige bewusst be- hen. Daneben können wir Informationen aus unserem
achtet, indem sie in das Arbeitsgedächtnis aufgenommen Langzeitgedächtnis in den Arbeitsspeicher holen: Wir erin-
und verarbeitet werden. Insofern eine konstruktivistische nern uns an etwas. Diese beiden Prozesse – Interpretation
Grundauffassung eingenommen wird – was inzwischen und Gedächtnisabruf – sind vielfach eng verwoben. Wenn
der typische Fall ist –, ist dabei vor allem zu beachten, dass uns im Italienischkurs eine Vergangenheitsregel an eine
die ins Arbeitsgedächtnis aufgenommenen Daten erst da- analoge Regel im Französischen erinnert, dann rufen wir
durch zur Information werden, dass sie auf der Basis des zum einen Gedächtnisinhalte ab, zum anderen hilft dies
Vorwissens des Einzelnen (aus dem Langzeitspeicher) in- uns die italienische Regel zu verstehen (sinnvoll zu inter-
terpretiert werden, ihnen also Bedeutung verliehen wird pretieren; ▶ Exkurs „Cognitive-Load-Theorie“).
(Aamodt & Nygård, 1995). Sehen sich beispielsweise ein Die Interpretation von einkommenden Daten hilft aber
Patient und ein Arzt eine Röntgenaufnahme vom Brust- nicht nur dargebotenen Texten, mündlichen Erklärungen
korb an, so ist die Information, die im Arbeitsgedächtnis oder Schaubildern Sinn zu verleihen, sie hilft auch, trotz
entsteht, jeweils deutlich verschieden. Der Patient „be- der engen Kapazitätsgrenzen des Arbeitsgedächtnisses
staunt“ seine Rippen – das trifft zumindest bei mir zu –, mit komplexem Stoff und dessen Verarbeitung zurecht-
während der Arzt nach Anzeichen von Lungenerkrankun- zukommen. Wenn wir unser Vorwissen nutzen, können
gen sucht, die dem Laien völlig unbekannt sind (Lesgold wir – etwas vereinfacht gesprochen – aus vielen Informa-
et  al., 1998). Die Interpretation des Wahrgenommenen tionseinheiten eine einzige machen („Chunking“). Schü-
bzw. die Information, die entsteht, ist also fundamental ler müssen z. B. beim Lesen unbekannter Wörter, diese aus
vom Vorwissen abhängig. Dies entspricht einer konstruk- Einzelbuchstaben oder -silben zusammensetzten. Mit der
tivistischen Kernannahme, nämlich dem Postulat, dass wir Zeit werden sie als eine Einheit erkannt. Ein weiteres Bei-
die Dinge nicht „so wie sie sind“ (was das auch immer sein spiel ist, dass Nicht-Schachspieler in einer Schachstellung
mag) wahrnehmen, sondern dass wir sie immer interpre- nur eine Ansammlung einzelner Figuren sehen; sie kön-
tieren und damit erst mit Bedeutung belegen. nen sich die Stellung auch nur so merken. Schachexperten
fassen Figurengruppen zu einzelnen sinnvollen Einheiten
Beispiel  |       |  zusammen; sie können quasi in größeren Einheiten denken
(Chi, 1978; Gruber, Renkl & Schneider, 1994). Das sinn-
Die Ihnen möglicherweise ungewöhnlich erscheinende volle Zusammenfassen von Einzelheiten zu einer umfas-
Annahme, dass Information nicht direkt in unser „Be- senden Informationseinheit („Chunk“), für das im Übrigen
wusstsein“ dringen kann, sondern die Information insbesondere komplexe Schemata hilfreich sein können
von den Wahrnehmenden jeweils erst in Abhängigkeit (▶ Abschn. 1.1), ist deshalb so bedeutsam, da im Arbeits-
vom Vorwissen erzeugt wird, soll an einem plakativen gedächtnis nur wenige Informationseinheiten gehalten und
Beispiel weiter erläutert werden. Denken Sie an Ihre verarbeitet werden können. Wenn komplexe Informations-
letzte Vorlesungssitzung zurück. Sicherlich würden verarbeitung gefordert ist, mögen nur zwei, drei oder vier
Sie zustimmen, dass Sie Informationen aus der Vorle- Informationseinheiten zugleich gehalten werden können.
sung ziehen konnten. Bedenken Sie aber, dass für die Je umfassender nun einzelne Informationseinheiten sind –
allermeisten Personen dieser Welt das in der Vorlesung wie dies etwa bei den Schachexperten und den Schachstel-
mündlich Präsentierte keinerlei Informationswert ge- lungen der Fall ist –, desto mehr Gesamtinformation kann
habt hätte, da sie nicht Deutsch sprechen. Die meisten im Arbeitsgedächtnis gehalten und verarbeitet werden.
Personen hätten „akustische Signale“ in einer ihnen Aus der Perspektive der aktiven Informationsverarbei-
fremden Sprache wahrgenommen, die für sie keiner- tung wird Wissen im Langzeitgedächtnis abgelegt. Eine
lei Bedeutung gehabt hätten. Sie selbst konnten aus Annahme ist dabei, dass Wissen im Langzeitspeicher
der Vorlesung nur deshalb „Informationen ziehen“, da eine überdauernde, wenngleich unter Umständen schwa-
Sie des Deutschen mächtig sind und zudem weiteres che Spur hinterlässt. Das „Vergessen“ von Information, die
sprachliches und fachbezogenes Vorwissen haben schon mal gewusst wurde, ist damit primär ein Problem
(auch ein deutscher Zweitklässler hätte von der Vorle- des Nicht-mehr-Auffindens (ähnlich wie bei einem in einer
sung wohl kaum etwas verstanden). Im Übrigen hätten Bibliothek verstellten Buch). Damit auf bestimmtes Wissen
– aus den genannten Gründen – auch die Schriftzei- wieder zugegriffen werden kann, sollte es möglichst mit
chen dieses Buchs für die allermeisten Personen kei- zahlreichen anderen Wissenselementen in Verbindung
nerlei Bedeutung. stehen. Damit ergeben sich viele „Zugangswege“ zu die-
sem Wissen. Lernen bedeutet letztendlich, Informationen
mit bereits vorhandenen Wissenselementen zu vernetzen
Im Arbeitsspeicher sind also Informationen, die aus der (Elaboration), und seien sie ebenfalls erst kürzlich konstru-
aktiven Interpretation von einkommenden Daten entste- iert worden. Man könnte auch sagen, Lernen ist Andocken
10 Kapitel 1 • Wissenserwerb

Exkurs  |       | 
1
Cognitive-Load-Theorie
2 Die ▶ Cognitive-Load-Theorie von unnötige Belastung wird als extrinsisch zusammenfassen können, eine geringe
Sweller und Kollegen ist die zurzeit wohl („extraneous“) bezeichnet. Daneben ist Komplexität aufweisen. Insbesondere
bekannteste Theorie zum Wissenserwerb, die Belastung des Arbeitsgedächtnisses die Kombination aus hoher intrinsischer
3 die die Struktur des Arbeitsgedächtnisses durch die Stoffkomplexität (z. B. komplexe und extrinsischer Belastung kann zu einer
ins Zentrum stellt (Paas, Sweller & Renkl, ökologische Zusammenhänge) zu beach- kognitiven Überforderung („overload“)

4 2003; Sweller, van Merriënboer & Paas,


1998). Die grundlegende Annahme ist
ten. Wenn Lernende mehrere Aspekte
gleichzeitig beachten müssen, wird von
führen, die den Wissenserwerb beein-
trächtigt oder gar unmöglich macht.
dabei, dass der Wissenserwerb in vielen hoher intrinsischer Belastung gesprochen Die Relevanz der mentalen Aktivitäten

5 Lernsituationen dadurch beeinträch-


tigt wird, dass das Arbeitsgedächtnis
(„intrinsic load“). Diese Belastung ist
natürlich immer auch vom Vorwissen der
der Lernenden kommt insbesondere im
Konstrukt der lernbezogenen Belastung
unnötig belastet wird (z. B. Lernende Lernenden abhängig: Was für einen Laien („germane load“) zum Ausdruck. Diese
6 haben Probleme, eine Abbildung und
deren Details dem entsprechenden Text
komplex ist, mag für Experten, die mit-
hilfe ihrer gut entwickelten Schemata Ein-
Belastungsart beschreibt die Arbeitsge-
dächtnisbelastung, die aus Wissenskonst-
zuzuordnen; „Split-Attention“-Effekt). Die zelinformationen zu größeren Einheiten ruktionsprozessen resultiert.
7
neuer Information an das Vorwissen. Lernen ist insofern sible Schlussfolgerungen zu ergänzende kurze Geschichte
8 ein konstruktiver Prozess, als die Verbindungen zwischen auffassen oder als „Übung“, bei der es einfach nur gilt, die
dem Neuen und dem Alten hergestellt (konstruiert) wer- Zahlen herauszusuchen und eine naheliegende Rechen-
9 den müssen. operation mit ihnen durchzuführen (Verschaffel, Greer
& de Corte, 2000). Zu beachten ist dabei, dass relevantes
Prozesse des Wissenserwerbs
10 Vorwissen, das helfen würde, einkommende Daten mit Be-
Im Verlauf eines Lernprozesses wird Information im Lang- deutung zu versehen, nicht immer automatisch aktiviert
zeitspeicher abgelegt, sie wird zu Wissen (Aamodt & Ny- wird. Dies muss vielmehr oft absichtsvoll und insofern
11 gård, 1995). Der eigentliche Lernprozess findet aber im strategisch erfolgen oder von außen, etwa von einem Leh-
Arbeitsgedächtnis statt. Im Folgenden wird eine Taxono- rer, angestoßen werden (Krause & Stark, 2006).
12 mie lernbezogener Funktionen der Informationsverarbei-
tung im Arbeitsgedächtnis vorgestellt (Renkl, 2008b; auch Selegieren.  Lernende sollten aus den zahlreichen auf un-
Weinstein & Mayer; 1986). sere Sinnesorgane einströmenden Reizen die wichtigsten
13 Für effektiven Wissenserwerb sollen die Informations- selegieren, um sie im Arbeitsgedächtnis weiter zu verar-
verarbeitungsprozesse im Arbeitsgedächtnis insbesondere beiten. Beispielsweise beinhaltet effektiver Wissenserwerb,

--
14 die folgenden Funktionen erfüllen: dass aus einer Pro-und-Contra-Diskussion die zentralen
Interpretieren Argumente beachtet werden und nicht etwa die „komi-
15
-- Selegieren
Organisieren
sche“ Ausdrucksweise eines Diskussionsteilnehmers.

16
--
Elaborieren
Stärken
Organisieren.  Lernende sollten sich die Zusammenhänge
zwischen einzelnen Informationen bewusst machen und

17
18
-
Generieren
metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren.

Interpretieren.  Wie bereits erwähnt, nehmen wir aus kon-


bestimmen, was über- und untergeordnete Punkte oder
Hauptpunkte sind (z. B. Identifizieren der zentralen Aus-
sage eines Textabschnittes). Unterstreichen von Hauptaus-
sagen oder das Anfertigen von Schaubildern sind Aktivitä-
struktivistischer Sicht Dinge nicht einfach wahr, sondern ten, die der Funktion der Organisation dienen.
wir interpretieren einkommende Daten. Erst so entsteht
19 Information. Die Art der Interpretation ist vom Vorwis- Elaborieren.  Diese Funktion bezieht sich darauf, dass neue
sen und dessen Aktivierung abhängig. Um auf ein bereits Information mit vorhandenem Vorwissen in Verbindung
20 genanntes Beispiel zurückzukommen: Ob man auf einem gebracht, in dieses integriert wird. Dabei kann die neue
Röntgenbild überhaupt Zeichen einer bestimmten Erkran- Information sowohl mit bereits vorhandenem fachlichem
kung sehen kann, hängt vom medizinischen Fachwissen Wissen als auch mit abgespeicherten Erfahrungen aus der
21 ab. Die Qualität der Interpretation einer Problemstellung Alltagswelt erfolgen (z. B. ein Schüler bezieht Wissen aus der
(Problemrepräsentation) ist in vielen Fällen für weitere Wahrscheinlichkeitsrechnung auf seine Erfahrungen mit
22 Lern- und Problemlöseprozesse entscheidend. So können Würfelspielen). Folgende typische Lernaktivitäten erfüllen
Schüler Textaufgaben als zu verstehende und durch plau- diese Funktion: sich ein eigenes Beispiel überlegen, Analo-
1.2  •  Was sind bedeutende theoretische Perspektiven?
11 1

gien ziehen, etwas in eigene Worte fassen oder etwas kritisch ben (überwachen) und ergreifen ggf. Maßnahmen, um
vor dem Hintergrund des eigenen Vorwissens bewerten. Verständnislücken oder Schwierigkeiten bei einer Prob-
lembearbeitung zu überwinden (remediales Regulieren).
Stärken.  Wiederholungen – gleich, ob im Kontext eines An der vorstehenden Nennung wichtiger Prozesse des
„einfachen“ Wiederholens (z. B. nochmaliges Lesen) oder Wissenserwerbs ist zu beachten, dass hier bewusst nicht,
im Kontext anspruchsvollerer Lernaktivitäten, in denen wie sonst in diesem Zusammenhang üblich, von Lernstra-
bestimmte Inhalte immer wieder vorkommen – können tegien oder Lernaktivitäten (Mandl & Friedrich, 2006),
Gedächtnisinhalte und deren Assoziationen zu anderen sondern eben von Funktionen gesprochen wurde. Dies ist
Gedächtnisinhalten stärken. Man kann dadurch die Verfüg- insofern bedeutsam, als bei der üblichen Einteilung von
barkeit bestimmten deklarativen Wissens erhöhen. Ebenso Lernstrategien das Problem der eindeutigen Zuordnung
kann die wiederholte Ausführung prozeduralen Wissens entsteht: Wenn ein Lernender sich ein eigenes Beispiel für
bedeutsame Lerneffekte nach sich ziehen. Zum einen kann etwas überlegt, um zu sehen, ob er einen Sachverhalt auch
eine wiederholte Ausführung deren Durchführung über- richtig verstanden hat, dann ist nicht klar, ob man dieses
flüssig machen, da das Endergebnis als deklaratives Wissen Vorgehen als Elaborations- oder als Metakognitionsstra-
aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. Dies ist zum tegie bezeichnen soll. Wenn jemand versucht, den Haupt-
Beispiel der Fall, wenn Erstklässler immer wieder „4 + 3“ punkt einer Darstellung in eigenen Worten zu formulieren,
über verschiedene Strategien des Fingerzählens bestimmen. handelt es sich dann um eine Elaborations- oder Organi-
Sie werden mit der Zeit direkt „7“ als Lösung aus dem Ge- sationsstrategie? Dieses Problem ergibt sich nicht, wenn
dächtnis abrufen können (Siegler & Jenkins, 1989). Zum man von Funktionen spricht. Eine Lernstrategie kann eben
anderen können durch die Ausführung von Fertigkeiten verschiedene Funktionen erfüllen.
spezialisierte Produktionsregeln generiert werden und es Zusammenfassend betont die Perspektive der aktiven
können sich damit automatisierte Routinen bilden. Die Informationsverarbeitung, dass für effektives Lernen Wis-
Ausführung einer Fertigkeit nimmt damit weniger Auf- senskonstruktionsprozesse im Arbeitsgedächtnis stattfin-
merksamkeitsressourcen in Anspruch und erfolgt schneller. den müssen. Eingehende Daten sollten aktiv mithilfe des
Vorwissens interpretiert, selegiert, organisiert und elabo-
Generieren.  Lernende „schaffen“ neue Information bzw. riert werden. Wichtige weitere Lernprozesse beziehen sich
Wissen. Beim entdeckenden oder erforschenden („in- auf die Stärkung des Wissens, das Generieren neuer In-
quiry“) Lernen (z. B. Loyens & Rikers, 2011) steht diese formation und die metakognitive Steuerung des Lernens.
Funktion im Vordergrund. Die Lernenden sollen beim Derartige Prozesse können – müssen aber nicht – durch
Erkunden und Erforschen eines Gegenstandsbereichs offene Lernaktivitäten, wie sie die Perspektive des aktiven
Schlussfolgerungen (Inferenzen) ziehen und damit Wissen Tuns betont, angeregt werden. Eine kritische Frage, die hier
generieren. Aber auch bei „rezeptiven“ Lernformen, etwa gestellt werden kann, ist, ob ein Mehr an lernstoff- bzw.
beim Lesen, erfordert ein wirkliches Textverstehen und lernmaterialbezogenen Aktivitäten immer besser ist. Dies
Lernen immer auch Inferenzen (Schlüsse) auf der Basis wird im nächsten Abschnitt diskutiert.
von Textvorlagen und Vorwissen (z. B. Kintsch & Kintsch,
1996). Ein für den Wissenserwerb sehr wichtiger genera-
tiver Aspekt ist die Konstruktion abstrahierter Wissens- 1.2.3 Perspektive der fokussierten
strukturen, z. B. wenn aus mehreren Beispielen zu einem Informationsverarbeitung
bestimmten Problemtyp ein Schema für eben diesen Typ
konstruiert wird. Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbei-
tung widerspricht der Perspektive der aktiven Informati-
Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren. Die onsverarbeitung nicht grundsätzlich, sondern baut auf ihr
vorgenannten kognitiven Funktionen beziehen sich mehr auf und differenziert sie. Der basale Unterschied besteht
oder weniger direkt auf den Erwerb oder die Stärkung de- darin, dass die in diesem Abschnitt vorgestellte Auffassung
klarativen oder prozeduralen Wissens. Metakognitionen postuliert, dass Lernende nicht nur den Lernstoff und die
betreffen hingegen, wie bereits erwähnt, die Steuerung Lernmaterialen aktiv verarbeiten, sondern vor allem auf
und Überwachung der kognitiven Prozesse. Während die die zentralen Konzepte und Prinzipien fokussieren sollen
Ausführungen in ▶ Abschn. 1.1 darauf fokussiert waren, (Renkl & Atkinson, 2007; Renkl, 2011a). Warum dies ein
dass Lernende metakognitives Wissen erwerben sollen (als relevanter Unterschied ist, soll im Folgenden anhand von
Lernziel), geht es hier um dessen Einsatz in einer aktuel- vier Beispielen aufgezeigt werden.
len Lernsituation. Idealiter planen Lernende ihr Vorgehen Bei computerbasierten Lernumgebungen wird Inter-
beim Lernen oder beim Bearbeiten von Lernaufgaben; sie aktivität – die Möglichkeit, dass Lernende aktiv Eingaben
fragen sich selbst, ob sie den Stoff korrekt verstanden ha- machen oder eine Auswahl treffen können und die Lern-
12 Kapitel 1 • Wissenserwerb

umgebung darauf reagiert – vielfach als ein wichtiges Krite- tive Effekte auf den Lernerfolg, etwa im Sinne der Identifi-
1 rium gesehen, das Lernen fördert (z. B. Renkl & Atkinson, zierung der Hauptideen eines Textes (z. B. Lehman, Shraw,
2007). Neben Begründungen, die aus einer Perspektive des McCrudden & Hartley, 2007). Auch dies ist ein Fall, in
2 aktiven Tuns heraus erfolgen, wird Interaktivität meist als dem Lernstoff einschließlich randständiger Aspekte, aber
ein Mittel gesehen, die kognitive Aktivität der Lernenden nicht die zentralen Konzepte und Prinzipien tief verarbei-
anzuregen (Perspektive der aktiven Informationsverarbei- tet werden. Dies ist letztendlich dem Lernen abträglich.
3 tung). So schreiben Moreno und Mayer (2007, S. 312) „we Das vierte Beispiel ist ein „Positivbeispiel“, bei dem
are interested in whether interactivity is a feature that can eine vorausgehende Fokussierung der Aufmerksamkeit
4 be used to promote deep cognitive processing in the lear- der Lernenden produktive Auswirkungen hat. Schmidt, de
ner … Deep learning depends on cognitive activity“. Es Grave, de Volder, Moust und Patel (1989) gaben Kleingrup-
5 zeigt sich empirisch jedoch, dass Interaktivität, auch wenn pen von Schülern das Problem zur Diskussion, dass eine
sie auf aktive Informationsverarbeitung abzielt, vielfach Blutzelle in reines Wasser eingetaucht anschwillt und dann
nicht den Lernerfolg fördert. Einen in dieser Hinsicht in- zerplatzt, während eine Blutzelle in Salzwasser schrumpft.
6 teressanten Befund fanden Berthold und Renkl (2009). Sie Zunächst sollten die Schüler versuchen, dies zu erklären.
setzten eine computerbasierte Lernumgebung ein, die u. a. Diese Diskussion erhöhte den Lernerfolg aus einem nach-
7 Lösungsbeispiele mit zwei Lösungswegen (Wahrschein- folgenden Lehrtext über Osmose in bedeutsamer Weise.
lichkeitsrechnung) darbot. Als interaktives Element wur- Interessanterweise profitierten gerade auch Lernende mit
den einem Teil der Lernenden anspruchsvolle Leitfragen weniger Vorwissen, die zum Teil vor dem Textlesen fal-
8 gestellt (sog. „Selbsterklärungs-Prompts“). Diese führen sche Erklärungen gaben, von der Fokussierung durch die
nicht nur zu mehr Aussagen über wahrscheinlichkeitsthe- vorausgehende Diskussion. Dieses Beispiel zeigt, dass eine
9 oretische Prinzipien, die konzeptuell damit auch besser zunächst unfokussierte Aktivierung durchaus sinnvoll sein
verstanden wurden, sondern teils auch zu falschen Aus- kann, aber nur wenn sie einen sinnvollen Fokus für die
10 sagen, die zu vermindertem prozeduralen Wissenserwerb Hauptphase des Lernens (hier: Textlesen) induziert.
führten. Die Leitfragen führten also zu vermehrter aktiver Zusammengefasst besagt die Perspektive der fokussier-
Stoffverarbeitung, hatten aber im Endeffekt negative Fol- ten Verarbeitung, dass man Lernprozesse in ihrer Aktivität
11 gen für das „Wissen, wie“. nicht allein danach beurteilen kann, ob eine mehr oder
Als zweites Beispiel sollen fehlpriorisierte Konzepte weniger aktive Verarbeitung des Lernstoffes und der Lern-
12 dienen. Mandl, Gruber und Renkl (1993) fanden, dass materialien erfolgt. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die
Auszubildende einer kaufmännischen Berufsschule fehl- zentralen Konzepte und Prinzipien fokussiert und in kor-
priorisierte Konzepte erwerben können, d. h., sie weisen be- rekter Weise erworben werden.
13 stimmten Aspekten des Lernstoffes eine viel höhere Bedeu-
tung als angemessen zu. Im vorliegenden Fall arbeiteten die
14 Lernenden mit einer computerbasierten Simulation einer 1.2.4 Wahl der Perspektive: Implikationen
Jeans-Fabrik, um sich zunächst ökonomische Zusammen- zur Gestaltung von Lehr-Lern-
Arrangements
15 hänge zu verdeutlichen und dann das erworbene Wissen
anzuwenden, um den Gewinn der Fabrik zu maximieren.
Viele Lernende richteten ihr Augenmerk in dieser Lern- Welche der drei diskutierten Perspektiven zum Wissenser-
16 umgebung vor allem darauf, ja nicht zu viele Bestände an- werb am angemessensten ist, mag zunächst als akademische
zuhäufen und ihr Lager möglichst leer zu halten; andere Frage anmuten. Die vorstehend berichteten Befunde dürften
17 Aspekte, etwa was die Konkurrenz am Markt macht oder aber aufgezeigt haben, dass die grundlegende Auffassung
ob man weitere Werbemaßnahmen treffen sollte, wurden Konsequenzen dafür hat, wie man Lehr-Lern-Umgebungen
kaum mehr beachtet. An Ende waren diese Lernenden auch gestaltet: Setzt man auf Problemlösen oder auf Beispiele bei
18 nicht gut darin, den Gewinn zu maximieren. Das subopti- anfänglichem Fertigkeitserwerb (aktives Tun oder aktive
male Lernen lag nicht an der fehlenden aktiven Verarbei- Verarbeitung)? Versucht man die Lernenden z. B. durch
19 tung, sondern an einer suboptimalen Verteilung des Fokus. computerbasierte Simulationen zum Nachdenken über wirt-
Ein drittes Beispiel sind verführerische Details, die schaftliche Zusammenhänge anzuregen oder muss man ihre
20 in Texte oftmals integriert werden, damit die Leser inte- Aufmerksamkeit auf die wichtigen Aspekte lenken (aktive
ressiert werden und den Text aktiv verarbeiten (Garner, Informationsverarbeitung versus fokussierte Verarbeitung)?
Gillingham & White, 1989). Sie werden aber deshalb als Vor dem Hintergrund, dass hier die Perspektive der
21 verführerisch bezeichnet, da die Leser sie zwar als hoch fokussierten Verarbeitung als am erklärungsmächtigsten
interessant einstufen, sie aber unwichtig sind und nicht in angesehen wird, ist es problematisch, dass nicht nur in der
22 direktem Bezug zu den Hauptideen des Textes stehen. Tat- wissenschaftlichen Diskussion, sondern auch in der brei-
sächlich haben solche verführerischen Details meist nega- ten „Bildungsöffentlichkeit“ (z. B. Lehrer, Dozenten, Bil-
1.3  •  Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen
13 1

dungspolitiker) insbesondere Begriffe wie „aktives Lernen“ Im Folgenden werden die drei Ebenen näher beschrieben.
betont werden und „aktiv“ in Zusammenhang mit Lernen
als besonders wichtig erachtet wird (zu dem entsprechen- Textoberfläche
den Dogma s. Renkl, 2008b). Aus dieser Einstellung heraus Die Textoberfläche ist meist nicht das Lernziel, wenn es
kann man jedoch, wie im vorstehenden Abschnitt aufge- um Verstehen geht. Es ist dann von untergeordneter Be-
zeigt, suboptimale Entscheidungen bei der Gestaltung von deutung, mit welchen spezifischen Formulierungen ein
Lehr-Lern-Arrangements treffen. Sachverhalt ausgedrückt wird. Auch im Alltag merken
Als Fazit kann festgehalten werden, dass die grund- wir uns nicht die Textoberfläche, wenn wir z. B. einen
legende theoretische Perspektive wichtige Implikationen Zeitungsartikel lesen, sondern „lediglich“ die (Kern-)Aus-
hat, wie Unterricht bzw. Lehr-Lern-Arrangements gestaltet sagen und ggf. weiterführende Gedanken, die uns dabei
werden. Es wird dafür plädiert, künftig explizit die Pers- in den Sinn kommen (Ausnahme: Ein Lernender versteht
pektive der fokussierten Verarbeitung einzunehmen. den Prüfungstext nicht und hofft mit wörtlicher Wieder-
gabe einzelner Passagen in der Prüfung durchzukommen).
Dennoch gibt es Situationen, in denen ein Erlernen der
1.3 Wie kann Wissen erworben werden? Textoberfläche das primäre Lernziel ist, etwa wenn man
– Wichtige Lernformen ein klassisches Gedicht, ein griffiges Zitat oder den Text
einer Schauspielrolle auswendig lernen will. Gleichwohl ist
1.3.1 Lernen aus Texten die Textoberfläche in den meisten Lehr-Lern-Situationen
von untergeordneter Bedeutung.
Sei es im traditionellen Schulunterricht (z. B. Schüler lesen
im Biologiebuch), sei es in einem projektorientierten Se- Textbasis
minar im Studium (z. B. Studierende lesen etwas in einem Die Textbasis beinhaltet die Aussagen, die die Leser in ei-
Buch aus der Bibliothek nach) oder sei es beim autodidak- nem ersten Schritt aus einem Text entnehmen sollen. Diese
tischen Lernen (z. B. jemand liest einen Artikel aus dem von der konkreten Formulierung unabhängig zu denken-
Internet) – man könnte hier sicherlich noch viele weitere den Aussagen werden Propositionen genannt. Beispiels-
Lehr-Lern-Arrangements aufführen –, das Lernen aus Tex- weise enthalten die beiden Sätze „Deutschland griff Polen
ten spielt immer eine bedeutsame Rolle. Zudem kann man an“ und „Polen wurde vom Deutschen Reich angegriffen“
eine Vorlesung als Text ansehen, sodass Grundlegendes dieselbe Proposition. Verschiedene Propositionen können
zum Lernen aus schriftlichen Texten auch für mündlich nun in einem Netzwerk organisiert werden, wenn sie sich
Präsentiertes gilt. Insofern kommt dieser Lernart sicherlich überlappen, so etwa bei den Sätzen „Hitler verfolgte eine
eine besondere Bedeutung zu. sog. Endlösung der Judenfrage. Er wollte alle Juden ver-
Die Inhalte eines Textes können von den Lernenden auf nichten“. „Er“ und „Hitler“ überlagern sich beispielsweise
unterschiedlichen Ebenen repräsentiert werden. Die drei in den vorstehenden Sätzen. Dabei wird klar, dass Lesen

--
wichtigsten Ebenen sind (van Dijk & Kintsch, 1983) die
der Textoberfläche,
eine aktiv-konstruktive Tätigkeit ist, da die Lernenden den
Zusammenhang zwischen „Er“ und „Hitler“ herstellen

- der Textbasis und


des Situationsmodells.

Definition 
müssen (auch wenn dies in diesem Beispiel recht einfach
ist). Diese Art der lokalen Kohärenzbildung gelingt den
Lernenden zumeist weitgehend automatisch. Die globale
Kohärenzbildung, also eine sinnvolle Organisation der ein-
Die Textoberfläche bezieht sich auf die sprachli- zelnen Textaussagen, die es etwa erlaubt den „roten Faden“
chen Details, d. h. auf das wörtliche „Abbild“. Wenn einer komplexen Argumentation nachzuvollziehen, gelingt
Lernende einen Text (z. B. volkswirtschaftliche Lernenden hingegen nicht immer. Dies kann am wenig le-
Zusammenhänge) lesen, um einen Gegenstandbe- serfreundlichen Text liegen, an der geringen Motivation
reich zu verstehen, wird in der Regel allerdings keine der Lernenden oder an ihrem unzureichenden Vorwissen
wörtliche Repräsentation angestrebt. (Schnotz, 2010).
Die Textbasis beinhaltet die gegebenen Textaus- Die globale Kohärenzbildung beinhaltet typischer-
sagen – unabhängig davon, ob etwas z. B. in einem weise die Konstruktion von sog. Makropropositionen, die
Passiv- oder Aktivsatz gesagt wurde, eins von zwei umgangssprachlich den Kern von Textabschnitten reprä-
möglichen Synonymen verwendet wurde etc. sentieren. Sie werden aus den Einzelpropositionen „ver-
Das eigentliche (tiefere) Verstehen des Textes, das z. B. dichtet“ durch
Implikationen des Gesagten umfassen kann, wird im a) Auslassung unwichtiger Propositionen,
Situationsmodell repräsentiert. b) Verallgemeinerung von Einzelpropositionen auf einem
höheren Abstraktionsgrad (beispielsweise wird statt ei-
14 Kapitel 1 • Wissenserwerb

ner detaillierten Beschreibung von Gegenständen eines


1 Vertrages zur Beendigung eines Krieges repräsentiert, Ein anderes Beispiel wäre die folgende Schlagzeile:
„Usain Bolt mit 9,69 Sekunden Olympiasieger“. Stellen
dass zwei Staaten einen Friedensvertrag abgeschlossen
Sie sich eine Person vor, die sich nicht für Sport
2 haben) oder
interessiert; diese mag der Schlagzeile nur die direkt
c) Konstruktion einer neuen Proposition für eine Kette
gegebene propositionale Bedeutung entnehmen
von Propositionen (das Ausdehnen und Zusammenzie-
3 hen des Herzmuskels wird als Pumpen repräsentiert). können, sie hat aber nicht viel verstanden (u. a. bleiben
die Disziplin und die Einordnung der Zeit unklar). Eine
4 Bei der vorstehenden Darstellung der Prozesse des Verste- sportinteressierte Person kann eine situationale Reprä-
sentation des (kurzen) Textes aufbauen, die vergleichs-
hens von Texten wird bereits klar, dass ein gutes Textver-
weise reichhaltig sein kann, nämlich wer von den ihr
5 ständnis über die direkt im Text explizierten Propositionen
bekannten Sprintern den 100-Meter-Lauf gewonnen
hinausgeht und erfordert, dass Leser ihr Vorwissen nutzen,
hat, ob dies der Favorit war, dass Jamaika damit eine
um aktiv weitergehende Informationselemente zu konstru-
6 ieren. Dies ist notwendig, da Texte nie vollständig das ex- Goldmedaille errungen hat, dass die Zeit sehr gut war,
ja sogar den Weltrekord brach etc.
plizieren, was man, wenn man den Text gut verstanden hat,
7 intern repräsentiert. Warum tun sie das nicht? Texte würden
ansonsten so lang, dass sie kaum mehr lesbar wären und für
die meisten Leser viele „Trivialitäten“ beinhalten würden, die Die situationale Repräsentation beinhaltet aber nicht nur
8 das Lesen des Textes nicht nur langweilig, sondern auch in- ein „Mehr“ an Information und Verständnis, sondern
effizient machen würden (vgl. den lernabträglichen Redun- erlaubt es die Textinformation zu nutzen, um Schlussfol-
9 danzeffekt der Cognitive-Load-Theorie; Sweller et al., 1998). gerungen für neue Kontexte zu ziehen und Probleme zu
lösen (etwa in einem problemorientierten Lehr-Lern-Ar-
Situationsmodell
10 rangement). Vielfach wird das Ausmaß einer situationalen
Van Dijk und Kintsch (1983) bezeichnen eine substanziell Repräsentation sogar darüber gemessen, ob die Lernenden
mit Vorwissen angereicherte, reichhaltige Repräsentation gültige von ungültigen Schlussfolgerungen unterscheiden
11 eines Textes als Situationsmodell. Kintsch und Kintsch können (z. B. Schaffner & Schiefele, 2007). Weiterhin ist
(1996) sprechen sogar erst dann von bedeutungshaltigem zu beachten, dass eine situationale Repräsentation der ge-
12 Lernen („deep learning“), wenn ein Situationsmodell auf- ringsten Vergessenrate unterliegt, während die Textober-
gebaut wird. Dieses entspricht einer ganzheitlichen Reprä- fläche am schnellsten vergessen wird (Schnotz, 2010).
sentation des Textes, die über den propositionalen Gehalt
13 hinausgeht und z. B. auch Vorstellungsbilder (also „Ana- Was beeinflusst die Qualität
loges“) beinhaltet. des Textlernens?
14 Welche Art der Repräsentation aufgebaut wird, hängt von

15
Beispiel  |       | 
--
verschiedenen Faktoren ab, vor allem von
der Qualität des Textes,

-
Um den Unterschied zwischen einer „nur“ propositio-
dem Vorwissen der Lernenden und
nalen Repräsentation und einem Situationsmodel in
den mentalen Aktivitäten der Lernenden (hier spezi-
16 einer Lernsituation zu verdeutlichen, sei die folgende
ell: Lesestrategien; Kintsch & Kintsch, 1996).
Textaufgabe angeführt: „Die beste 100-Meter-Zeit von

17 Hans beträgt 13,0 Sekunden. Wie lange braucht er für


1.000 Meter?“ Viele Schüler lösen diese Aufgabe schnell
Relevante Textmerkmale sind z. B. Einführungen zur
Aktivierung relevanten Vorwissens (vgl. die Studie zum
und „subjektiv problemlos“: „130 Sekunden“ (Verschaf-
Osmose-Text; ▶ Abschn. 1.2.3), Länge und Einfachheit der
18 fel et al., 2000). Diese Antwort dürfte vielfach darauf
Sätze, Hervorhebung zentraler Begriffe oder Aussagen.
zurückgehen, dass nur der propositionale Gehalt
Zudem ist die semantische Kohärenz bedeutsam, also bei-
19 repräsentiert wurde und dann eine passende Rechen-
spielsweise, ob es eine explizite Argumentüberlappung gibt
operation gesucht wurde. Würden Schüler jedoch auf
(„Hitler verfolgte eine sog. Endlösung der Judenfragen.
ihr Vorwissen zurückgreifen und ein Situationsmodell
20 aufbauen, würde ihnen schnell klar, dass man nicht
Hitler wollte alle Juden vernichten“ statt der vorstehenden
Formulierung). Dabei zeigt sich allerdings, dass Lernende
immer Bestzeit läuft und vor allem, dass Hans sein
mit niedrigem Vorwissen vor allem von kohärenten Tex-
21 100-Meter-Tempo nicht 10-mal hintereinander durch-
ten profitieren, während Lernende mit höherem Vorwissen
halten kann. Sie würden dann die Aufgabe nicht so
mehr aus „suboptimalen“ Texten lernen, da sie angeregt
22 „sinnentleert“ lösen.
werden, aktiv ihr Vorwissen einzubringen, um temporäre
Verstehensprobleme zu überwinden. Neuere Befunde wei-
1.3  •  Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen
15 1

sen darauf hin, dass dies aber nur für Leser mit hohem nen Designer-Stil enthält natürlich keine Lösungsschritte,
Vorwissen gilt, die nicht von sich aus schon gute Lernstra- wie dies bei mathematischen Beispielen der Fall ist. Man-
tegien einsetzen (O’Reilly & McNamara, 2007). che Beispiele können sehr komplex werden, etwa wenn sie
Sieht man sich aktuelle Schulbücher, Lehrbücher für aufzeigen, wie man gut interdisziplinär kooperiert (z. B.
den universitären Kontext oder Weiterbildungsliteratur an, Rummel & Spada, 2005). Diese komplexen Beispiele wer-
so fällt auf, dass sehr oft Text mit Bildinformation kom- den zum Teil auch als Modelle bezeichnet (Bandura, 1986;
biniert wird. Ob und unter welchen Umständen Bilder Collins, Brown & Newman, 1989). Im Folgenden wird für
in Texten lernförderlich sind und welche Verarbeitungs- das Lernen aus Beispielen und das ▶ Lernen von Modellen
prozesse hier zu beachten sind, kann an dieser Stelle nicht auch der Begriff des beispielbasierten Lernens gebraucht.
ausgeführt werden (▶ Kap. 5; Schnotz, 2005). Ein Missverständnis, das sich bisweilen ergibt, ist, dass
Inhaltliches Vorwissen interagiert nicht nur mit der mit Lernen aus Beispielen das übliche Vorgehen gemeint
Textkohärenz, sondern hat auch an sich einen positiven Ein- ist, bei dem nach der Einführung eines Prinzips (z. B. Satz
fluss auf das Textlernen – wie dies bei jeder anderen Lern- des Pythagoras) ein Beispiel gezeigt wird und dann die Ler-
art der Fall ist (▶ Kap. 2). Je mehr Vorwissen vorhanden ist, nenden Aufgaben bearbeiten.
umso mehr wird aus Texten gelernt – bis zu dem Punkt, an
dem die Leser kaum mehr neue Informationen aus einem Definition 
Text ziehen können. Das Vorwissen ist auch deshalb von so Beispielbasiertes Lernen meint jedoch, dass mehrere
großer Relevanz, da es „hochwertigen“ Lernstrategieein- Beispiele bearbeitet werden, um so Verstehen herzu-
satz ermöglicht, wie etwa ein Netzwerk-Diagramm („con- stellen, bevor die Lernenden dann „verstehensorien-
cept map“) zeichnen (Organisation), sich selbst den Kern ei- tiert“ selbstständig Aufgaben bearbeiten.
nes Abschnittes erklären oder Fragen zum Text formulieren.
Vorwissen ermöglicht stimmige (und nicht fehlerbehaftete)
Concept Maps anzufertigen, sich Textteile korrekt und weit- Dies ist in aller Regel effektiver und effizienter als das eben
gehend vollständig (statt lückenhaft und teilweise falsch) beschriebene übliche Vorgehen (typische Kontrollbedin-
zu erklären und Fragen zu formulieren, die auf den „Kern“ gung in entsprechenden Studien zum beispielbasierten
(und nicht auf irrelevante, „verführerische“ Details) zielen. Lernen).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein Die Erklärung für die Effektivität des beispielbasierten
wirkliches Verstehen von Texten erfordert, dass die Ler- Lernens ergibt sich daraus, dass Lernende erst dann Auf-
nenden aktiv den Text verarbeiten. Dies ermöglicht eine gaben bearbeiten sollten, wenn sie ein grundlegendes Ver-
Repräsentation der Textinhalte auf der Ebene des situatio- ständnis der zugrunde liegenden Prinzipien (z. B. physika-
nalen Modells. Erst dies erlaubt es, mit dem aus dem Text lisches Gesetz) und deren Anwendung erworben haben.
Gelernten „etwas anzufangen“ (z. B. Schlussfolgerungen Wenn sie mit Aufgaben konfrontiert werden und dabei
ziehen, Probleme lösen). Zudem kann das Erlernte dann z. B. die zugrunde liegende Physik noch nicht verstanden
längerfristig behalten werden. haben, nehmen sie keinen Bezug auf Physik, sondern ver-
suchen, die Aufgaben „irgendwie“ zu lösen (z. B. Auspro-
bieren möglicher relevanter Formeln). Sie „wurschteln“
1.3.2 Lernen aus Beispielen und Modellen sich mit oberflächlichen Strategien zur numerischen Lö-
sung durch. Dieses „Durchwurschteln“ stellt aus der Sicht
Das ▶  Lernen aus Lösungsbeispielen beim anfängli- der Cognitive-Load-Theorie, über die der Lösungsbeispiel­
chen Erwerb von kognitiven Fertigkeiten ist, wie bereits effekt meist erklärt wird, extrinsische Belastung dar. Erst
erwähnt, eine sehr effektive und effiziente Lernart. Dies wenn die Lernenden sich über Beispiele ein grundlegendes
wird als Lösungsbeispieleffekt („Worked-Example“-Effekt) Verständnis erarbeitet haben, sollen sie „verstehensorien-
bezeichnet. Typisch sind Lösungsbeispiele für Bereiche, in tiert“ Aufgaben bearbeiten.
denen gelernt werden soll, algorithmische Lösungen zu Lernen aus Beispielen kann – wie jede Lehr-Lern-Form,
verstehen und anzuwenden (z. B. Mathematik, Physik). Sie wenn sie schlecht implementiert wird – ineffektiv sein. Dies
bestehen dann aus einer Problemstellung, Lösungsschrit- ist z. B. der Fall, wenn Lösungsbeispiele grafische und tex-
ten und der endgültigen Lösung selbst. Inzwischen gibt tuelle Informationen enthalten, die Lernende nur schwer
es aber auch zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass zuordnen können (z. B. Tarmizi & Sweller, 1988: „Split-
das Lernen aus Beispielen aus nicht algorithmischen Lern- Attention“-Effekt). Der Abgleich, der notwendig ist, um
bereichen ebenfalls sehr effektiv ist. Rourke und Sweller die beiden Informationsquellen zu integrieren, nimmt so
(2009) zeigten beispielsweise, dass Wissen über die Stile viel kognitive Kapazität ein, dass der beschriebene Vorteil
renommierter Designer (z. B. Stühle, Lampen etc.) gut über von Beispielen (wenig extrinsische Belastung) verschwin-
Beispiele erworben werden kann. Solch ein Beispiel für ei- det. Es ist dann sinnvoll, die beiden Arten der Information
16 Kapitel 1 • Wissenserwerb

Exkurs  |       | 
1
Selbsterklärungen
2 Der Begriff der ▶ Selbsterklärungen nichtalgorithmischen Inhaltsgebieten ist (entspricht in etwa dem Situationsmo-
wurde von Chi et al. (1989) im Kontext diese Art der Selbsterklärung besonders dells, ▶ Abschn. 1.3.1; Chi, 2000). Aleven
des Lernens aus Lösungsbeispielen wichtig. Studierende erlernen insbeson- und Koedinger (2002) zeigten, dass es
3 (Newton’sche Gesetze) eingeführt. Es dere dann Argumentationsstrukturen aus auch sinnvoll ist, beim Problemlösen
zeigt sich, dass insbesondere diejenigen dialogischen Videobeispielen in eigene Selbsterklärungen vorzunehmen. Ains-

4 Lernenden viel aus Lösungsbeispielen,


welche ja nie alle möglichen Begründun-
Argumentationen zu übernehmen, wenn
sie angehalten werden, prinzipienbasierte
worth und Loizou (2003) fanden, dass Dia-
gramme viele Selbsterklärungen auslösen
gen enthalten, lernten, die die Begrün- Erklärungen zu geben (Schworm & Renkl, können, und Roy und Chi (2005) sehen

5 dungslücken über Schlussfolgerungen


füllten. Beispielsweise begründeten
2007). Das heißt in diesem Fall, dass sie
aus einer Beispielargumentation über
Selbsterklärungen als probates Mittel an,
um unterschiedliche Darstellungsformen
erfolgreich Lernende Lösungsschritte un- Stammzellenforschung nicht nur die (z. B. Text und Diagramme) zu integrie-
6 ter Bezug auf Newton’sche Gesetze. Renkl
(1997a) nannte diese Begründungen prin-
„offen“ ersichtlichen medizinischen oder
ethischen Inhalte fokussieren, sondern
ren. Diese Ausweitungen unterstreichen
einerseits die Nützlichkeit des Konzepts
zipienbasierte Erklärungen. Sie sind des- sich erklären, welche argumentativen der Selbsterklärung, andererseits verliert
7 halb von Bedeutung, weil Lernende damit
ein tieferes Verständnis von Lösungspro-
Strukturen jeweils zum Einsatz kommen.
Inzwischen wurde das Konzept der
es aber seine spezifische Bedeutung.
Die Grenzen zwischen Selbsterklärung
zeduren erwerben, d. h., sie wissen, wie Selbsterklärung auf andere Lernarten, und anderen in der Literatur beschrie-
8 die Lösungsschritte mit den grundlegen- etwa dem Lernen aus Texten, ange- benen Lernstrategien sind inzwischen
den Prinzipien eines Inhaltsgebiets in wandt. Damit wurden diesem Konstrukt verschwommen.
Zusammenhang stehen (prinzipienbasier- zusätzliche Aspekte zugeordnet, etwa das
9 tes Verständnis). Auch bei Beispielen aus Revidieren des eigenen mentalen Modells

10
über unterschiedliche Modi (z. B. Grafik visuell und Text Man kann aber z. B. kein versierter Programmierer wer-
akustisch; Modalitätseffekt) darzubieten (Mousavi, Low & den, wenn man nur Programmierbeispiele studiert. Insbe-
11 Sweller, 1995), sodass sowohl der visuelle als auch der akus- sondere, wenn es um die (teilweise) Automatisierung von
tische Verarbeitungskanal genutzt und damit eine Über- Fertigkeiten und deren Feinabstimmung geht, sollten Ler-
12 lastung vermieden werden kann. Eine weitere Möglichkeit nende selbst Aufgaben bearbeiten. Um einen fließenden
zur Abhilfe ist die Wahl eines integrierten Formats, bei dem Übergang zum Aufgabenbearbeiten zu bewerkstelligen,
die Beschriftung in die Grafik integriert wird (nebenbei sei haben Renkl und Atkinson (2003) folgendes Rational ent-
13 erwähnt, dass auch beim Lernen aus Texten mit Abbildun- wickelt, das sich inzwischen vielfach bewährt hat: Zunächst
gen der „Split-Attention“-Effekt auftreten kann, wenn Ler- werden vollständige Beispiele präsentiert, in die dann all-
14 nenden die Zuordnung schwerfällt). Neben den genannten mählich immer mehr Lücken und damit Anforderungen
Aspekten der Beispielgestaltung gibt es eine Anzahl weiterer der Aufgabenbearbeitung integriert werden – bis am Ende
15 wichtiger Faktoren (dazu Renkl, 2011b, Renkl, 2014). die Lernenden die Aufgaben komplett selbstständig lösen.
Zu beachten ist, dass nicht alle Lernenden die Arbeits- Diese Ausblendprozedur ist besonders effektiv, wenn sie an
gedächtniskapazität, die beim beispielbasierten Lernen den individuellen Lernfortschritt der einzelnen Lernenden
16 durch die Reduktion der extrinsischen Belastung frei wird, angepasst wird (Kalyuga & Sweller, 2004; Salden, Aleven,
produktiv für lernbezogene Belastung nutzen. Viele Ler- Renkl & Schwonke, 2009).
17 nende lesen Beispiele nur oberflächlich durch, ohne sich Zusammenfassend kann man festhalten, dass beim
die Logik der Lösung klar zu machen. Um ein Verstehen anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten das Lernen
der Beispiele weitgehend sicherzustellen, ist es sinnvoll, die aus Lösungsbeispielen besonders effektiv ist, insbesondere
18 Lernenden mit sog. Prompts (Leitfragen, Aufforderungen) wenn die Lernenden sich die Logik der Beispiele selbst er-
aufzufordern, sich die Logik der Beispiellösung bewusst zu klären. Die Beispiele können dann allmählich ausgeblendet
19 machen (Atkinson, Renkl & Merrill, 2003). Man bezeich- werden, um so den Übergang zum selbstständigen Aufga-
net es üblicherweise als Selbsterklärung, wenn Lernende benbearbeiten zu ebnen.
20 sich die Logik von Beispielen bewusst machen (Chi, Bas-
sok, Lewis, Reinmann & Glaser, 1989: „Self-Explanation“-
Effekt; ▶ Exkurs „Selbsterklärungen“). Alternativ kann man 1.3.3 Lernen durch Aufgabenbearbeiten
21 Lernende darin trainieren, Beispiele sich selbst gut zu er-
klären (Renkl, Stark, Gruber & Mandl, 1998): Wie bereits im letzten Absatz erwähnt, gehen Lehrer im
22 Die Effektivität beispielbasierten Lernens beschränkt Unterricht – suboptimaler Weise – sehr oft so vor, dass
sich auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fertigkeiten. sie zunächst ein Prinzip einführen, ggf. ein Beispiel prä-
1.3  •  Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen
17 1

sentieren und dann Aufgaben bearbeiten lassen (▶ Lernen beinhaltet. Vor dem Hintergrund dieser „Folie“ können
durch Tun). Dieses Vorgehen kann effektiv sein, sofern die die Aktionen der Lernenden bewertet werden, d. h., das
Lernenden beim Problemlösen soweit unterstützt werden, System macht sich ein Bild, welche Produktionsregeln ein
dass sie sich nicht mit oberflächlichen und nicht fachbe- Schüler verwendet. Bei falschen, aber typischen Eingaben
zogenen Strategien zur Lösung „durchwurschteln“ müssen. kann nicht nur ein Fehler angezeigt werden, sondern es
Werden beispielsweise Lernende beim Bearbeiten von Auf- können sogleich „maßgeschneiderte“ Hilfen gegeben
gaben durch Selbsterklärungs-Prompts dazu aufgefordert, werden. Knowledge Tracing sorgt dafür, dass Wahr-
die zugrunde liegenden Prinzipien zu beachten, führt dies scheinlichkeitsschätzungen vorgenommen werden, ob ein
zu besserem Verständnis (Aleven & Koedinger, 2002). Lernender eine Produktionsregel bereits erlernt hat. Diese
Umso bedauerlicher ist, dass Lehrer ein solches Vorge- Wahrscheinlichkeit wird bei jedem Aufgabenschritt, bei
hen typischerweise nicht realisieren (Renkl, Schworm & dem eine Regel relevant wäre, aktualisiert. Damit kann den
Hilbert, 2004). Im folgenden Abschnitt wird auf ein Posi- Lernenden ihr aktueller Wissensstand und Lernfortschrift
tivbeispiel einer sinnvollen Implementierung des Lernens mit sog. „skill bars“ rückgemeldet werden. Noch bedeut-
durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eingegangen. samer ist, dass das System den Lernenden (zusätzliche)
Sodann wird das Aufgabenbearbeiten in späteren Stadien Aufgaben vorgeben kann, die den Erwerb von noch nicht
des Fertigkeitserwerbs besprochen, in denen weitreichende beherrschten Regeln fördern – bis das Lernziel erreicht ist
Unterstützung nicht mehr notwendig ist und es in erster („Mastery“-Prinzip).
Linie um Stärkung, Automatisierung und ggf. noch um . Abb. 1.2 zeigt einen Ausschnitt aus einer Cognitive-
Feinabstimmung geht. Tutor-Lektion, die ins Deutsche übersetzt wurde. Darin
sind weitere Elemente zu sehen, mit denen Schüler unter-
Lernen durch unterstütztes stützt werden. Im Feld „Übersicht über Lösungsweg“ wird
Aufgabenbearbeiten bereits eine Subzielstruktur, also ein Wegweiser für die
Eine technisch zwar aufwändige, aber durchaus bewährte einzelnen zu erreichenden Schritte vorgegeben. Im Feld
Möglichkeit, Lernen durch Aufgabenbearbeiten zu unter- „Grund“ wird nach dem zugrunde liegenden Prinzip eines
stützen, besteht darin, computerbasierte intelligente tutori- Lösungsschrittes gefragt; dies stellt somit einen prinzipien-
elle Systeme einzusetzen (z. B. Aroyo, Graesser & Johnson, basierten Selbsterklärungs-Prompt dar. Das in . Abb. 1.2
2007). Das Beispiel der Cognitive Tutors (z. B. Koedinger zu sehende Glossar wird nur auf Anfrage der Lernenden
& Corbett, 2006) soll hier näher beleuchtet werden. Diese geöffnet. Sie können dort, z. B. wenn sie bestimmte Prin-
Konzeption von intelligentem Tutoring ist nicht nur sehr zipien nicht mehr genau erinnern, nachschlagen und ggf.
effektiv, sondern inzwischen auch in der Praxis weit ver- mit Doppelklick ein Prinzip auswählen, das in das Feld
breitet. Zurzeit arbeiten damit ca. 2.500 Schulen und an- „Grund“ eingetragen wird.
nähernd eine halbe Million Schüler in unterschiedlichen Zu beachten ist, dass Cogntive Tutors keine „Stand-
Regionen der USA (s. auch ▶ http://www.carnegielearning. alone“-Anwendungen sind. Die Arbeit mit dem Cognitive
com). Tutor muss im Unterricht angemessen vorbereitet werden.
Cognitive Tutors wurden auf der Grundlage der bereits Ein derartiger Einsatz fördert sowohl Verstehen (konzep-
genannten ACT-Theorie von Anderson (z. B. Anderson & tuelles Wissen) als auch prozedurales Wissen effektiver als
Lebiere, 1998) konstruiert. Diese Theorie konzipiert – wie traditioneller Unterricht.
bereits erwähnt – kognitive Fertigkeiten (prozedurales
Wissen) als eine Menge von Produktionsregeln (sog. Pro- Üben
duktionssystem), die einen Wenn-Teil (Bedingung für eine Mit ▶  Üben sind hier Lernaktivitäten gemeint, die ein-
Aktion) und einen Dann-Teil (Aktion) beinhalten. Diese setzen, wenn der anfängliche Erwerb von Fertigkeiten
bilden sozusagen, die Wissenseinheiten, die im Cognitive schon erfolgt ist und es um Stärkung, Automatisierung
Tutor betrachtet werden. Auf dieser theoretischen Grund- und ggf. noch um die Feinabstimmung geht. Durch die
lage wurden Cognitive Tutoren, insbesondere für verschie- (teilweise) Automatisierung können Aufgaben ohne grö-
dene Bereiche der Mathematik, daneben aber z. B. auch für ßere mentale Anstrengung (Arbeitsgedächtnisbelastung)
Chemie, erstellt. Die Intelligenz dieses Systems besteht vor und schnell erledigt werden. Sie befreien das Arbeits-

--
allem aus zwei Mechanismen:
„model tracing“ und
„knowledge tracing“.
gedächtnis von Routineaufgaben, sodass mehr mentale
Kapazitäten für das Erreichen anspruchvollerer Lernziele
zur Verfügung stehen. Man kann z. B. einfacher Wahr-
scheinlichkeitsrechnung erlernen, wenn man nicht immer
Für das Model Tracing wurde auf der Basis der ACT- wieder mit den Regeln des Bruchrechnens kämpft. Letzte-
Theorie ein System von Produktionsregeln erstellt, das res wäre in Bezug auf das eigentliche Lernziel extrinsische
korrektes Aufgabenbearbeiten, aber auch typische Fehler Belastung.
18 Kapitel 1 • Wissenserwerb

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
.. Abb. 1.2  Screenshot aus einer deutschen Version einer Cognitive-Tutor-Lektion zur Kreisgeometrie (Bildrechte: Carnegie Learning, Inc.)
13
35
„glatte“ Kurve ergibt. Es können sich z. B. vorübergehende
14
Fertigkeitsniveau

30
Leistungsplateaus bilden, die erst überwunden werden,
25
wenn eine aktuelle Strategie zugunsten eines optimierten
20
15 15
Vorgehens aufgegeben wird.
Effektive Übung zeichnet sich mindestens durch die

--
10
folgenden vier Prinzipien aus:
16 5
Überlernen,

--
0
verteilte Übung,
1 2 3 4 5 6
17 Übungseinheiten Übung im Kontext des „Ganzen“,
reflektierte Übung.
.. Abb. 1.3  Schematische Darstellung des Potenzgesetzes der Übung
18 Überlernen. Das Üben sollte nicht eingestellt werden,
Eine grundlegende Gesetzmäßigkeit besagt zu wenn die Lernenden das erwünschte Niveau erreicht ha-
19 Übungseffekten (z. B. Zuwachs der Geschwindigkeit ben. Wird nicht mehr geübt, fällt das Fertigkeitsniveau na-
korrekter Ausführung), dass sie zu Beginn sehr stark sind türlich wieder ab. Soll ein bestimmtes Niveau mittelfristig
20 und mit der Zeit immer schwächer werden; die Fertigkeit sichergestellt werden, muss über das „Ziel“ hinaus geübt,
strebt dabei einer Leistungsobergrenze zu. Dies wird im also überlernt werden. Nur in diesem Fall kann erwartet
Potenzgesetz der Übung („power law of practice“) wieder- werden, dass die Leistung auch nach einiger Zeit nicht unter
21 gegeben (Newell & Rosenbloom, 1981), das in . Abb. 1.3 das gewünschte Niveau fällt (z. B. Driskell, Willis & Cooper,
schematisch dargestellt wird. Individuelle Lernzuwächse 1992). Allerdings gibt es auch Befunde, die den Nutzen von
22 lassen sich meist gut mit dem Potenzgesetz beschreiben, Überlernen nicht belegen können (Rohrer & Taylor, 2006;
wenngleich sich im konkreten Falle nicht immer eine so ▶ Kap. 4). Zu beachten ist dabei, dass auch aus dem Po-
1.3  •  Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen
19 1

tenzgesetz der Übung vorhergesagt werden kann, dass ein dingbar, wenn es um die Ziele der Stärkung und Automa-
zu langes Einüben keine substanziellen Effekte mehr hat. tisierung geht. Für die Feinabstimmung sollte die Übung
in reflektierter Weise erfolgen.
Verteilte Übung.  Diese Alternative bezieht sich auf die
Frage, ob man eher in größeren Zeitblöcken (massierte
Übung, z. B. 2  Stunden Klavier einmal in der Woche) 1.3.4 Lernen durch Erkunden
oder kleineren Einheiten (verteilte Übung, z. B. 4-mal eine
halbe Stunde Klavier in der Woche) üben soll. Vergleicht Dieser Abschnitt befasst sich mit Lernformen, in denen das
man bei konstanter Gesamtübungszeit den Lernerfolg bei Erkunden von Gegenstandsbereichen in den Mittelpunkt
wenigen größeren Blöcken mit demjenigen bei mehreren gestellt wird (z. B. entdeckendes Lernen, erforschendes
kleineren Einheiten, erweist sich verteilte Übung als effek- Lernen). Die Lernenden haben dabei die Aufgabe, sich
tiver (Rohrer & Taylor, 2006). Auch hier gilt natürlich, dass die zentralen Konzepte und Prinzipien selbst zu generie-
ein zu „kleinteiliges“ Üben wiederum abträglich werden ren (▶ Abschn. 1.2.2). Damit soll erreicht werden, dass das
kann. „neue“ Wissen gut in der Wissensbasis der Lernenden
verankert ist. Zudem können z. B. beim erkundenden Ex-
Übung im Kontext des „Ganzen“.  Es ist eingeschränkt sinn- perimentieren den Schülern eigene Fehlvorstellungen und
voll, einzelne Teilfertigkeiten einzuüben, die für die Ler- deren Defizite bewusst werden. Darüber hinaus werden
nenden keinen Sinn ergeben. Dies kann nicht nur massive vielfach noch weitere Ziele verfolgt, etwa die Erhöhung
motivationale Probleme, sondern auch Verständnisschwie- der Lernmotivation, Förderung von Wissenserwerbsstra-
rigkeiten bewirken. Insofern ist es wichtig, dass Lernende tegien (Lernen lernen) und Metakognition sowie der Er-
ein Bild der Gesamtaufgabe bzw. des Gesamtvorgehens werb fachspezifischer wissenschaftlicher Vorgehensweisen,
haben. Ist dies vorhanden, ist es sinnvoll, einzelne Teilab- wie etwa sinnvolles Experimentieren in der Physik (Tamir,
läufe, wenn diese z. B. besondere Schwierigkeiten bereiten, 1996; van Joolingen, de Jong & Dimitrakopoulou, 2007).
separat und damit gezielt zu üben (z. B. van Merriënboer Auch epistemologische Überzeugungen (▶ Abschn. 1.1)
& Kester, 2005). können durch den Nachvollzug des Erkenntnisprozesses
in einem Fachgebiet ausdifferenziert werden (Kuhn, 2005).
Reflektierte Übung.  Pures Einüben, das ein Bewältigen Lernen durch Erkunden wird oftmals „rezeptivem“
von Routineaufgaben sicherstellt, kann den Nachteil ha- Lernen gegenübergestellt, bei dem die wichtigsten Infor-
ben, dass die konzeptuellen Grundlagen vergessen werden. mationen den Lernenden präsentiert werden (bemerke:
Selbst wenn z. B. ein Schüler nach einer Erklärung im Un- hier wird Information insofern anders verstanden als in
terricht die Logik der schriftlichen Subtraktion verstanden ▶ Abschn. 1.2.2, als Daten und Information nicht differen-
hat, vergisst er sie wahrscheinlich wieder, wenn es später ziert werden). Die klassische Bezeichnung für diese Lern-
nur noch um das Einüben geht. Idealiter sollten Schüler art ist ▶ entdeckendes Lernen (Bruner, 1961). Allerdings
zwar Algorithmen korrekt und schnell, d. h. ohne großes wurde dieses „Label“ inzwischen für vergleichsweise un-
Nachdenken, ausführen, sich aber zugleich bei besonde- terschiedliche Lehr-Lern-Arrangements verwendet (vom
ren Fällen, bei denen das Vorgehen modifiziert werden Hofe, 2001). Zugleich gibt es eine Reihe von Lehr-Lern-
muss, wieder die dahinter liegende Logik bewusst machen Konzeptionen, die schwierig vom entdeckenden Lernen
können. Insofern ist es sinnvoll, beim Einüben von Vor- abzugrenzen sind, so etwa projektorientiertes Lernen, pro-
gehensweisen immer wieder auf die zugrunde liegenden blembasiertes Lernen oder erforschendes Lernen („inquiry
Prinzipien einzugehen. Neben Phasen des reinen Einübens learning“; Loyens & Rikers, 2011). Weitgehender Konsens
sollten also Elemente reflektierter Übung („deliberate herrscht zwischen den Vertretern dieser Ansätze jedoch
practice“) eingesetzt werden (Ericsson, Krampe & Tesch- bezüglich der Überzeugung, dass ein direktes Vermitteln
Römer, 1993). Diese Art der Übung ist auch dann von („rezeptives Lernen“) bei den Lernenden in sehr vielen Fäl-
besonderer Bedeutung, wenn die Lernenden bewusst auf len nur zu oberflächlichem Wissen führt und es deshalb
Verbesserung, auf Feinabstimmung abzielen. Suboptimali- besser ist, die Lernenden die zentralen Konzepte und Prin-
täten im Violinspiel werden meist nicht dadurch, dass man zipien selbst generieren zu lassen (▶  Exkurs „Erkundendes
die holprigen Stellen einfach immer wieder spielt („übt“) Lernen und rezeptives Lernen“). In diesem Kapitel wurde
ausgemerzt, sondern dadurch, dass man gezielt und reflek- für die genannte Gruppe verwandter Lernarten der Begriff
tiert an den Schwachstellen arbeitet. Lernen durch Erkunden gewählt.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass Lernen Es gilt inzwischen als unstrittig, dass unangeleitetes Er-
durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eine effektive Me- kunden kein effektives Lernen bewirkt (Mayer, 2004; Alfi-
thode sein kann, Verstehen und prozedurales Wissen zu eri, Brooks, Aldrich & Tenenbaum, 2011). Auch Vertreter
fördern. Lernen durch Aufgabenbearbeiten ist sogar unab- von Lehr-Lern-Konzeptionen, die dem Erkunden große
20 Kapitel 1 • Wissenserwerb

Exkurs  |       | 
1
Erkundendes Lernen und rezeptives Lernen
2 Vielfach werden erkundendes Ler- eingebaut sind. Andererseits sollte die Nach Koedinger und Aleven (2007) ist
nen und rezeptives Lernen dichotom Diskussion des Lernens aus Texten – einer es für effektives Lernen zentral, auf der

3
gegenübergestellt. Dabei dürfte es sich prototypisch rezeptiven Lernart – gezeigt Dimension Informationsvorgabe versus
hierbei eher um ein Kontinuum handeln, haben (▶ Abschn. 1.3.1), dass die alleinige Informationszurückhaltung (Generie-
bei dem eine Reinform die absolute Verarbeitung der direkt vorgegebenen rungsanforderung) die richtige Mixtur zu
finden („assistance dilemma“) (▶ Kap. 2,
4 Ausnahme ist. Beispielsweise kann es
beim erforschenden Lernen vorkommen,
Propositionen nur ganz oberflächlichem
Lernen entspricht. Wenn Lernende letzter Abschnitt). Die Vertreter erkunden-
dass die Lernenden im Internet oder in substanziell etwas aus Texten gelernt den Lernens setzen dabei das Optimum

5 Hilfesystemen von computerbasierten


Simulationen etwas nachlesen und damit
haben, so haben sie sich eine situationale
Repräsentation erarbeitet und vielfach
eher auf der Seite der Informationszu-
rückhaltung an.
„rezeptive“ Phasen des Lernens quasi Wissenselemente generiert.
6
7 Bedeutung beimessen, sprechen der Strukturierung des ihrer subjektiven Erfahrungswelt in Verbindung bringen
Lernens, also der Unterstützung der Lernenden, maßgeb- können. Im Schulkontext werden mit Gruppenarbeiten
liche Bedeutung zu (z. B. Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, zudem vielfach Ziele verfolgt, die jenseits des Wissenser-
8 2007). Welche Probleme beim entdeckenden Lernen auf- werbs liegen, wie etwa die Stärkung des Selbstkonzepts,
treten können, wenn dieses nicht unterstützt wird, analy- der Erwerb sozialer Fertigkeiten oder die Integration von
9 sierten de Jong und van Joolingen (1998) für den Fall des Minderheiten (z. B. Aronson, Blaney, Sikes, Stephan &
Erkundens computerbasierter Simulationen. Bei freier Ex- Snapp, 1978). Dieser Abschnitt konzentriert sich auf den
10 ploration formulieren Lernende oft keine Hypothesen oder Wissenserwerb.
sie können diese, wenn sie welche aufstellen, nicht adäquat Gruppenarbeit per se – etwa in dem Sinne „Schüler
überprüfen; zudem bereitet es ihnen Probleme, Evidenzen halt mal Aufgaben nicht alleine, sondern in der Klein-
11 stringent auf Hypothesen zu beziehen und Experiment­ gruppe bearbeiten lassen“ – ist nicht unbedingt effektiv. Es
serien so aufzustellen, dass systematisch Wissen über den kommt vor allem auf eine lernzielangemessene Aufgabe
12 relevanten Inhaltsbereich gewonnen werden kann. Um an, bei der die Gruppe einen echten Mehrwert hat (z. B.
effektiv zu lernen, muss Unterstützung gegeben werden, Einbringen unterschiedlicher Perspektiven). Wenn Grup-
sodass sinnvolle Hypothesen aufgestellt werden, diese an- penarbeit angemessen implementiert wird, kann sie aber
13 gemessen überprüft werden etc. Vor dem Hintergrund der sehr effektiv sein (Renkl, 2008a). Es wurden inzwischen
Bedeutung der Unterstützung beim entdeckenden bzw. er- zahlreiche empirisch bewährte Ablaufskripte zur Gruppen-
14 kundenden Lernen wird inzwischen meist eine Konzeption arbeit entwickelt, die bei einer angemessenen Implementa-
des „Lernens durch gelenktes Erkunden“ vertreten (vgl. de tion helfen (zu einer Skriptsammlung s. Renkl & Beisiegel,
15 Jong, 2005: „guided discovery principle“). 2003; zu Skripts für computerunterstütztes Lernen s. Fi-
scher, Mandl, Haake & Kollar, 2007)
Aus kognitiver Perspektive können für erfolgreiches
16 1.3.5 Lernen durch Gruppenarbeit Lernen in Gruppen folgende wichtige Faktoren verant-
wortlich gemacht werden, die jeweils einer theoretischen
17 Lernen durch Gruppenarbeit – auch ▶ kooperatives Ler- Perspektive entsprechen:
nen oder kollaboratives Lernen genannt – bezeichnet die Soziokognitive Konflikte (Neo-Piaget’sche Perspek-
Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen, um tive) können durch sich widersprechende Sichtweisen, die
18 Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht (alleine) während einer Kooperation auftreten können, entstehen
die Qualität eines „Produktes“ oder einer Problemlösung (z. B. Doise, 1990). Diese können eine Umstrukturierung
19 im Vordergrund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im von Wissensstrukturen initiieren, wenn der kognitive Kon-
Arbeitskontext, sondern das Lernen eines jeden einzelnen flikt produktiv aufgelöst werden kann.
20 Gruppenmitglieds. Gruppenarbeit erfolgt in diesem Kon- Aus Neo-Vygotsky’scher Perspektive (Vygotsky, 1978)
text also im Dienste des Lernens. ist Gruppenarbeit dann erfolgreich, wenn durch die Zu-
Der Einsatz von Gruppenarbeit wird vor allem da- sammenarbeit ein Agieren (z. B. Problemlösen oder Ar-
21 mit begründet, dass man eine aktivere Verarbeitung des gumentieren) auf höherem Niveau gelingt, als dies den
Lernstoffes induzieren will, als dies typischerweise bei re- Lernenden alleine möglich wäre. Die Lernenden bewegen
22 zeptiven Lernformen der Fall ist. Es wird Raum gegeben, sich dann in der Zone der nächsthöheren Entwicklung,
dass die Lernenden neue Inhalte mit ihrem Vorwissen und die dann allmählich zur Zone der aktuellen Entwicklung
1.3  •  Wie kann Wissen erworben werden? – Wichtige Lernformen
21 1

wird (d. h. die Lernenden können dann auch alleine auf


spontan keine Selbsterklärungen zeigen, so sollte das
diesem Niveau agieren).
Instruktionsdesign „Prompts“ im Lernmaterial vorse-
Die Perspektive der kognitiven Elaboration und Me-
hen, die sie dazu auffordern; oder der Lehrer sollte im
takognition (vgl. Perspektive der aktiven Informationsver-
Unterricht Selbsterklärungen trainieren. Unterricht
arbeitung) sieht kooperative Lernformen dann als effektiv
und Instruktionsdesign haben also die Aufgabe, die
an, wenn kognitive und metakognitive Lernaktivitäten
lernrelevanten Prozesse zu trainieren und auszulösen,
ausgelöst werden. Die soziale Situation kann eine aktive
die von den Lernenden spontan nicht gezeigt werden
Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand anregen,
(können). Das Wissen, das Sie aus diesem Kapitel (hof-
da sie es gewissermaßen erzwingt, die eigene Sichtweise
fentlich) konstruieren konnten, bietet Ihnen eine gute
zu explizieren und zu rechtfertigen (Brown & Palincsar,
Grundlage, Lehr-Lern-Arrangements und Unterrichts-
1989). In etlichen kooperativen Arrangements geben sich
stile in einem ersten Schritt auf theoretischer Ebene
die Lernenden gegenseitig Erklärungen (Renkl, 1997b).
zu beurteilen: Beinhalten sie Elemente, die wichtige
Dazu müssen sie ihr Wissen organisieren oder sogar reor-
kognitive Lernprozesse fördern und die Aufmerksam-
ganisieren, und es kann notwendig werden, bislang nicht
keit der Lernenden auf die zentralen Konzepte und
verbundene Wissensteile zu integrieren. Zudem können
Prinzipien lenken?
beim Erklären Verständnislücken sowie Inkonsistenzen im
eigenen Wissen auffallen (metakognitive Funktion).
Nach der Perspektive des argumentativen Diskurses
(Fischer, 2002) kann Gruppenarbeit zum Erwerb diffe- Verständnisfragen
renzierten Wissens führen, wenn die Lernpartner nach 1. In der öffentlichen Diskussion zum Lernen kann man im
Evidenz und Gegenevidenz für die im Raum stehenden Internet zahlreiche Diskussionsbeiträge finden. Ein typi-
Behauptungen suchen, Letztgenannte hinsichtlich der po- scher Beitrag lautet in etwa wie folgt: „Konstruktivismus
sitiven und negativen Evidenz gewichten und die eigenen bedeutet aktives Lernen. Dies kann z. B. über das Anferti-
Sichtweisen entsprechend ausdifferenzieren (Derry, 1999). gen von Zeichnungen oder aktives Diskutieren erfolgen.
Zudem wird in einigen Ansätzen die Vermittlung von Ar- Wenn man etwas durch selbständiges Erarbeiten lernt,
gumentationsfertigkeiten angestrebt. ist es viel tiefer im Gedächtnis verankert als etwas, was
Die unterschiedlichen Sichtweisen zum kooperativen einem eine Lehrkraft erklärt hat.“ – Welcher grundlegen-
Lernen widersprechen sich im Übrigen nicht. Alle genann- den Perspektive des Wissenserwerbs entspricht so ein
ten Prozesse können bei der Gruppenarbeit produktive Statement?
Lernprozesse auslösen. 2. Stellen Sie sich vor, ein Schüler der 5. Klasse bearbeitet die
folgende Textaufgabe: „Michael hat eine Sammlung von
Seilen mit einem Meter Länge. Er hätte gerne ein zwölf
Fazit
Meter langes Seil. Wie viele Seile mit einem Meter Länge
In diesem Beitrag wurde Wissenserwerb insbesondere
muss er aneinanderknoten, um ein 12 Meter langes Seil zu
in Hinblick darauf diskutiert, welche Prozesse zum
bekommen?“ Die Antwort kommt schnell: „Ist ja einfach:
Aufbau von Wissensstrukturen führen. Es dürfte deut-
12“. Wie könnte man diese Antwort aus der Sicht der Text-
lich geworden sein, dass diese Prozesse nicht immer
verstehensforschung interpretieren?
und von allen Lernenden in optimaler Weise gezeigt
3. Stellen Sie sich zwei fortgeschrittene Gitarrenschüler vor.
werden. Dazu müssten diese als wichtigste Vorausset-
Schüler A hat bereits eine Gesamtübungszeit von 6 Stun-
zung ausreichendes Vorwissen haben (▶ Kap. 2), über
den in ein schwieriges Jazz-Stück investiert, Schüler B erst
geeignete Lernstrategien verfügen, Selbststeuerungs-
3 Stunden. Wenn beide 2 zusätzliche Übungsstunden in-
kompetenzen aufweisen, um den Lernstrategieeinsatz
vestieren, wer macht dann aller Wahrscheinlichkeit nach
zu koordinieren (▶ Kap. 3), und sie müssten schließlich
die größeren Fortschritte (z. B. in dem Sinne, wie viele
ausreichend motiviert sein, um die kognitive An-
Takte nun durchgespielt werden können, bevor wieder
strengung der aktiven Auseinandersetzung mit dem
ein „Stolperer“ passiert)? Warum?
Lernstoff auf sich zu nehmen (▶ Kap. 7). Immer wenn
4. Was spricht dafür, Schüler nach der Einführung eines
diese (und ggf. weitere) Voraussetzungen nicht in
Prinzips, z. B. eines Satzes in der Mathematik, mehrere Bei-
hinreichendem Maße erfüllt sind – was eher die Regel
spiele zur Anwendung dieses Prinzips studieren zu lassen,
als die Ausnahme ist –, kommt dem Unterricht bzw.
statt ihnen Aufgaben zum Bearbeiten vorzugeben?
dem instruktionalen Design von Lernumgebungen be-
5. Warum ist es nicht sinnvoll, traditionelle Unterrichtsfor-
sondere Bedeutung zu (▶ Kap. 4). Wenn, um ein bereits
men, wie etwa eine Vorlesung an der Universität, mit
genanntes Beispiel nochmals aufzugreifen, Lernende
passiv-rezeptivem Lernen gleichzusetzen?
22 Kapitel 1 • Wissenserwerb

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21
22
25 2

Intelligenz und Vorwissen


Hans Gruber, Eleni Stamouli

2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache:


epistemologische Überzeugungen – 26
2.1.1 Über die Relevanz epistemologischer Überzeugungen
im schulischen Kontext  –  26

2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien – 28


2.2.1 Grundlegendes zur Intelligenzforschung  –  29
2.2.2 Grundlegendes zur Wissenspsychologie – 32

2.3 Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als


Gegenstand der Pädagogischen Psychologie  –  36
2.3.1 Intelligentes Wissen – Franz Weinerts Sicht auf das
Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen  –  36
2.3.2 Ability Determinants of Skilled Performance – Philip Ackermans
Sicht auf das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen  –  37
2.3.3 Triarchische Theorie der Intelligenz und praktische
Intelligenz – Robert Sternbergs Sicht auf
das Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen  –  38

2.4 Messung von Intelligenz und Wissen  –  39


2.4.1 Messung von Intelligenz mit psychometrischer Tradition  –  39
2.4.2 Messung von praktischer Intelligenz  –  39
2.4.3 Messung von Wissen – 40

2.5 Intelligenter Wissenserwerb im Studium– Auch


eine Frage der epistemologischen Überzeugungen
von Dozierenden? – 41
Literatur – 42

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
26 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

Thema dieses Kapitels ist das Zusammenspiel von Intelligenz


1 und Wissen. Beide Begriffe spielen in der Pädagogischen Psy-
chologie eine wichtige Rolle – aber unglücklicherweise wer-
2 den sie in der Forschung oft voneinander getrennt betrachtet.
Dies hat mit den unterschiedlichen wissenschaftstheoreti-
schen Perspektiven und mit der wissenschaftsgeschichtlichen
3 Entwicklung zu tun. Die wichtigsten Forschungsrichtungen
werden wir in ▶ Abschn. 2.2 besprechen, um die Grundlagen
4 für das Verständnis der Ideen einiger moderner Forscher zu
legen, die sich um die Erklärung des Zusammenspiels von In-
5 telligenz und Wissen bemüht haben (▶ Abschn. 2.3). Verfah-
ren zur Messung von Intelligenz und Wissen (▶ Abschn. 2.4)
nehmen im Studium der Pädagogischen Psychologie einen
6 wichtigen Platz ein. Anschließend wird dargestellt, wie intel- .. Abb. 2.1
ligenter Wissenserwerb im Studium aussehen kann (▶ Ab-
7 schn. 2.5) (. Abb. 2.1). beeinflussen Informationsverarbeitung, Lernverhalten,
Lernmotivation und Lernleistung. Sie spielen sowohl im
Alltagsleben als auch in Studium und Beruf eine wichtige
8 2.1 Eine geheimnisvolle, aber wichtige Rolle. Menschen mit ausgefeilteren epistemologischen
Sache: epistemologische Überzeugungen gehen überlegter an den Erwerb und die
9 Überzeugungen Nutzung ihres Wissens heran, sie schöpfen das Potenzial
besser aus, das Lerngelegenheiten bieten, sie beteiligen sich
10 Befragen Sie sich einmal selbst! Wie sehr können Sie den aktiver am eigenen Lernprozess (▶ Kap. 1). Kurzum: Sie
folgenden Aussagen zustimmen? Geben Sie Ihre Antwort gehen intelligenter mit ihrem Wissen um.
auf einer Skala von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft

-
11 voll und ganz zu). Definition 
„Einige Personen können von Natur aus gut lernen,

-
Unter epistemologischen Überzeugungen („episte-
12 andere haben damit Schwierigkeiten.“ mological beliefs“) werden die Annahmen einer Per-
„Genialität hat mehr mit harter Arbeit als mit Intelli-

-
son über die Natur des Wissens verstanden. Epistemo-
genz zu tun.“
13 „Wenn Wissen einmal erworben ist, bleibt es unver-
logische Überzeugungen bezeichnen also subjektive

--
Vorstellungen über die Objektivität, die Richtigkeit,
ändert.“ die Aussagekraft oder die Herkunft von Wissen.
14 „Es gibt unumstößliche Wahrheiten.“

15 - „Menschen lernen auf der ganzen Welt gleich.“


„Wer sein Wissen nicht zeigt, weiß auch nichts.“

Können Sie sich vorstellen, dass andere Menschen diese


Um die Sache vollends kompliziert zu machen, aber auch,
um Sie zur vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten
des Kapitels anzuregen, bringen wir zum Schluss noch den
16 Fragen ganz anders beantworten als Sie? Weshalb ist dies Gedanken ins Spiel, dass natürlich auch Lehrende episte-
so? Weil diese Menschen ein anderes Fach studieren? Weil mologische Überzeugungen besitzen. Diese können gro-
17 sie mehr wissen? Weil sie älter sind? Weil sie von einem an- ßen Einfluss darauf nehmen, wie sie das Lernen ihrer Stu-
deren Teil der Erde kommen? Weil sie andere Erfahrungen dierenden in Gang setzen wollen – überlegen Sie selbst, ob
gemacht haben? Weil sie weniger intelligent sind? die epistemologischen Überzeugungen von Studierenden
18 Wenn Sie sich mit diesen Fragen gründlich auseinan- und ihren Dozierenden immer (oder auch nur manchmal)
dergesetzt haben, sind Sie schon weiter als die meisten Ih- Hand in Hand gehen!
19 rer Mitmenschen – Sie haben schon eine Ahnung, dass die
Vorstellungen von Menschen über die Natur von ▶ Wissen
(man nennt solche Vorstellungen ▶  epistemologische 2.1.1 Über die Relevanz
20 epistemologischer Überzeugungen
Überzeugungen; Schommer, 1990) sehr unterschiedlich
sein können und dass sie eng damit zusammenhängen, wie im schulischen Kontext
21 man neuem Wissen begegnet, aber auch damit, wie man
sich den Zusammenhang von ▶  Intelligenz und Wissen Die ersten Forschungsergebnisse zu epistemologischen
22 vorstellt. Diese subjektiven Vorstellungen über die Objek- Überzeugungen entstanden Mitte der 1950er-Jahre. Seit-
tivität, die Richtigkeit oder die Aussagekraft von Wissen dem gewannen epistemologische Überzeugungen im Kon-
2.1  •  Eine geheimnisvolle, aber wichtige Sache: epistemologische Überzeugungen
27 2

text von Wissenserwerb und -vermittlung in der psycholo- Pate, der sich bereits seit Anfang der 1920er-Jahre mit der
gischen und pädagogischen Forschung an Bedeutung, vor Entwicklung von Erkenntnisstrukturen beschäftigt hatte
allem im Bereich der Unterrichtsforschung und Lehrer- (Piaget, 1936). Sein genetisches Modell der intellektuellen
professionalisierung. Entwicklung sieht eine ständige kognitive Höherentwick-
Köller, Baumert und Neubrand definieren epistemo- lung im Kindesalter vor. Piaget ging von einer Aufeinan-
logische Überzeugungen als Vorstellungen, „die Personen derfolge von Entwicklungsstufen aus, die jeweils durch eine
über das Wissen und den Wissenserwerb generell oder spezifische Denkstruktur gekennzeichnet sind. Auf dieser
in spezifischen Domänen entwickeln“ (Hofer & Pintrich, Grundlage formulierte Piagets Schüler Perry (1970) den
zitiert nach Köller, Baumert & Neubrand, 2000, S. 230). ersten großen Forschungsansatz über epistemologische
Diese Definition verdeutlicht, dass epistemologische Über- Überzeugungen. Die in der Folgezeit entstandenen Kon-
zeugungen zunächst unabhängig von den Inhalten sind zeptionen über epistemologische Überzeugungen wurden
und allgemein in einzelnen Wissenschaftsdisziplinen ge- durch Perrys Arbeit inspiriert, sei es, dass sie seine Auffas-
bildet werden können. sung weiter entwickelten, sei es, dass sie sich kritisch von
Hinter dem Konzept der epistemologischen Überzeu- ihm absetzten. Der von Perry erhobene allgemeine Gültig-
gung steht die Vorstellung, dass jede Person Annahmen über keitsanspruch wurde in Frage gestellt; dies führte zu einer
das Verhalten anderer entwickelt – was diese wahrnehmen, konstruktiven Fortentwicklung der theoretischen Grund-
denken, fühlen und warum und mit welchen Konsequenzen lagen zu epistemologischen Überzeugungen. Im Folgen-
sie es tun (Dann, 1994). Im Gegensatz zu subjektiven The- den wird zunächst der Ansatz von Perry umrissen, der
orien, die eher allgemeine Überzeugungssysteme erfassen, anschließend mit einem neueren Zugang von Schommer
betreffen epistemologische Überzeugungen die Vorstellung (1990) kontrastiert wird.
des Menschen über die Struktur des Wissens und Lernens,
beispielsweise über die Veränderbarkeit von Intelligenz. Es Perrys Modell der intellektuellen
ist also nicht nur das Wissen, das epistemologische Über- und ethischen Entwicklung
zeugungen ausmacht, sondern auch der Umgang damit Der amerikanische Psychologe Perry war ursprünglich
(Kuhn, Cheney & Weinstock, 2000; ▶ Abschn. 1.1). an Fragen von Autoritätshörigkeit und Persönlichkeit in-
Die subjektiven Lernkonzepte lassen sich von den epis- teressiert. Dies umschloss auch das Phänomen, dass das,
temologischen Überzeugungen insofern abgrenzen, als sie was Autoritäten sagen, als richtig anerkannt wird, als gül-
eine Spezifizierung auf das Lernen vornehmen und sich tiges Wissen. Perry (1970) meinte, die Entwicklung von
nicht allgemein auf das Wissen beziehen. Zwar können epistemologischen Überzeugungen hänge weniger von
epistemologische Überzeugungen Konzepte über das ei- allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen ab als vielmehr
gene Lernen mit einbeziehen, beschränken sich aber nicht von der Ausprägung intraindividueller kognitiver Pro-
darauf, sondern berücksichtigen einen umfangreichen Rah- zesse. Zur Überprüfung seiner Überlegungen entwickelte
men von Einflussfaktoren. Eine Vielzahl von Faktoren kann er die „Checklist of Educational Values“ (CLEV), die in
im schulischen Kontext exemplarisch genannt werden: der Untersuchungen bei amerikanischen College-Studieren-
Einfluss individueller Überzeugungen von Lehrenden auf den eingesetzt wurde. Spätere Instrumente zur Erhebung
das Verständnis von Lehr-Lern-Prozessen, die Wahrneh- epistemologischer Überzeugungen bauen zum Teil auf der
mung von und der Umgang mit Differenzen von Kindern CLEV auf. Mit ausgewählten Versuchspersonen führte
und Jugendlichen oder wie ihre individuellen Überzeugun- Perry (1970) nach der Bearbeitung der CLEV ausführli-
gen die Bewertung von Leistungen beeinflussen. Zahlrei- che Interviews durch. Basierend auf diesen Daten nahm
che empirische Studien lassen auf einen Zusammenhang er in seinem Stufenmodell an, der Mensch entwickle stetig
zwischen den epistemologischen Überzeugungen der neue qualitative Vorstellungen von der Organisation des
Lehrenden und ihrem pädagogischen Handeln schließen Wissens. Er formulierte ein Entwicklungsschema, in dem
(Hofer, 2001). Das Lehrerhandeln beeinflusst wiederum die neun Elemente in vier Kategorien zusammengefasst sind.
epistemologischen Überzeugungen zu Wissen bei den Ler-

-
nenden (Buelens, Clement & Clarebout, 2002; Hofer, 2004)
Epistemologische Kategorien nach Perry
und wirkt somit auf die Wahl der Lernstrategien (Köller,
Dualism: Es wird von einer absoluten Wahrheit aus-
Baumert & Neubrand, 2000), den Lernerfolg (Urhahne &
gegangen, Dinge gelten als entweder richtig oder

-
Hopf, 2004) und die Motivation (Urhahne, 2006).
falsch, gut oder schlecht (Schwarz-Weiß-Position).
Als Rüstzeug für diese Überlegungen präsentieren wir
Multiplicity: Es wird von drei möglichen Katego-
nun einen Überblick über die wichtigsten Arbeiten zum
rien ausgegangen: richtig, falsch oder noch nicht
Konzept der epistemologischen Überzeugungen (für aus-
bekannt. Unsicherheiten werden akzeptiert, aber es
führliche und sehr lesenswerte Darstellungen s. Hofer &
Pintrich, 1997, 2002). Zu dieser Forschung stand Piaget
28 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

1 wird angenommen, dass sich diese Unsicherheiten


- Certain Knowledge: Wissen ist sicher oder unsicher.

2 - im Prinzip in Zukunft auflösen lassen.


Contextual Relativism: Wissen wird als relativ und
kontextbezogen angesehen. Es wird anerkannt,
dass nur Weniges eindeutig richtig oder falsch ist,
- Beispielitem: „Wahrheit ändert sich nicht.“
Source of Knowledge: Wissen wird von Autoritäten
vermittelt oder selbst aktiv konstruiert.
Beispielitem: „Bei schwierigen Entscheidungen
3 und dass die Aneignung von Wissen ein aktiv-konst- würde ich es am liebsten haben, wenn jemand mir

4 - ruktiver Prozess ist.


Commitment within Relativism: Es wird Verantwor-
tung für die eigene Konstruktion von Wissensaneig-
nungs- und Lernprozessen übernommen, die indi-
sagen könnte, was richtig ist.“

5 viduelle Annahme der Richtigkeit oder Wichtigkeit


Aktuelle Entwicklungen in der Forschung zu epistemolo-
gischen Überzeugungen basieren fast ausschließlich auf
von Wissen wird moralisch-ethisch begründet.
Schommers Annahme, dass es sich hierbei um ein Kons-
6 trukt handelt, das aus einer Reihe verschiedener Facetten
zusammengesetzt ist. Aus pädagogisch-psychologischer
7 Perry (1970) nahm an, dass ein Übergang zu einer höhe- Sicht ist dies einleuchtend, denn im Gegensatz zu Rei-
ren Kategorie durch ein kognitives Ungleichgewicht als fungs- und Entwicklungsprozessen, wie sie bei Perry an-
Reaktion auf Umwelteinflüsse ausgelöst werde. Er postu- genommen werden, kann die Veränderung dieser Facetten
8 lierte eine fortlaufende Höherentwicklung hin zu reiferen gelernt, geübt und verbessert werden.
epistemologischen Überzeugungen. Ausgehend von der Die hier angesprochene generelle Frage nach den Spiel-
9 Annahme absoluter Wahrheiten gelange der Mensch über räumen für Veränderung durch Erziehung (Gruber, Pren-
die Akzeptanz vielfältiger Vorstellungen hin zu der Kon- zel & Schiefele, in Druck) ist vielschichtig. Die Anlage-Um-
10 zeption einer kontextabhängigen Wahrheit, die in relativen welt-Debatte findet, soweit es um die Förderung komplexer
Wissensbegriffen und schließlich in der Verantwortungs- intellektueller Fähigkeiten geht, vor allem zwischen der
übernahme für diese relative Position mündet. (Hoch-)Begabungsforschung und der Expertiseforschung
11 statt als zwei unterschiedlichen, aber doch eng aufeinander
Schommers Modell unabhängiger bezogenen Forschungstraditionen in der Pädagogischen
12 Dimensionen Psychologie. Beide verbindet das Interesse an der Beschrei-
Schommer (1990) entwickelte einen völlig neuartigen bung, Erklärung und Förderung hervorragender mensch-
Ansatz zur Analyse epistemologischer Überzeugungen, licher Leistung in komplexen, anspruchsvollen Bereichen
13 der sich von der Vorstellung einer klaren Abgrenzung in (Gruber, 2007). Die Begabungsforschung ist vor allem
verschiedene Entwicklungsphasen löste. Sie entwarf ein an grundlegenden, oft angeborenen Fähigkeiten – etwa
14 System von fünf relativ unabhängigen Dimensionen, die der Intelligenz – interessiert, die schon im Kindes- und
sie mithilfe eines Fragebogens („Epistemological Question- Jugendalter beobachtbar sind. Dagegen beschäftigt sich die
15 naire“) untersuchte. Die Dimensionen dieses Fragebogens Expertiseforschung vorrangig mit fortgeschrittenen Leis-
sind mit Beispielitems im folgenden Kasten aufgeführt. tungen Erwachsener in beruflichen oder künstlerischen
Domänen. Entsprechend wird Lern- und Übungsprozessen
16

-
sowie dem Aufbau einer umfangreichen, gut organisierten
Epistemologische Dimensionen nach Schommer
Wissensbasis die größte Aufmerksamkeit geschenkt.
17 Quick Learning: Lernen erfolgt schnell oder schritt-
weise.
Zwar wird in diesem Kapitel die Anlage-Umwelt-Dis-
kussion nicht explizit aufgegriffen, aber das Zusammen-
Beispielitem: „Ein schwieriges Kapitel immer und

-
spiel beider Aspekte in der Beschreibung und Förderung
18 immer wieder zu lesen, hilft wenig, es zu verstehen.“
von Lernprozessen, das mit dem Begriff des „Dreiecks
Fixed Ability: Lernfähigkeit ist angeboren oder
von Begabung, Wissen und Lernen“ (Waldmann, Renkl
19 veränderbar.
& Gruber, 2003) gekennzeichnet werden kann, spielt in
Beispielitem: „Unterschiede in der Lernfähigkeit sind
▶ Abschn. 2.3 eine große Rolle.
20
21
- angeboren.“
Simple Knowledge: Wissen besteht aus isolierten,
einfachen Fakten oder aus einem komplexen, ver-
netzten System.
2.2 Grundlegendes: Intelligenztheorien,
Wissenstheorien
Beispielitem: „Die meisten Wörter haben eine klare

22 Bedeutung.“
Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern sowohl
den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intelligen-
2.2 • Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien
29 2

Exkurs  |       | 

„Smart is fast!“ – Überall auf der Welt?


Sternberg, Conway, Ketron und Bernstein sung der befragten US-Bürger teilen. Es vielmehr, dass die Abhängigkeit dieser
(1981) untersuchten, welche Auffassun- gibt eine Reihe von Intelligenztheorien, Annahme vom Kontext, in dem eine
gen Menschen vom Wesen und von der in denen Geschwindigkeit eine große intelligente Leistung zu erbringen ist,
Natur von Intelligenz haben. Sie fanden, Rolle spielt – sei es als grundlegende nicht thematisiert wird. Die Grenzen der
dass in den USA die Auffassung „Smart is Reaktionsgeschwindigkeit, sei es als Tauglichkeit einer theoretischen Auffas-
fast!“ sehr verbreitet war – hohe Werte in Geschwindigkeit der Mustererkennung sung von Intelligenz zeigen sich dann
den Attributen „Lernt schnell“, „Handelt und -differenzierung, sei es in der Form manchmal dramatisch, wenn hoch intel-
rasch“ oder „Trifft rasch Entscheidungen“ schneller Entscheidungen. Dies spiegelt ligente Personen in einen ungewohnten
wurden oft als Kennzeichen intelligen- sich in der Operationalisierung von Kontext kommen. Die Bewältigung
ter Personen genannt. Aber: In vielen Intelligenz wider, wenn etwa im „Choice- selbst elementarer, überlebenswichtiger
südamerikanischen Ländern wurden Reaction-Time-Paradigma“ eine möglichst Anforderungen fällt einem intelligenten
intelligente Leute fast nie mit solchen große Anzahl einfacher Entscheidungen Westeuropäer oder Nordamerikaner oft
Attributen in Verbindung gebracht. möglichst rasch getroffen werden soll. schwer, wenn er sich unversehens im
Sternberg, Kaufman und Grigorenko Das Problem ist nicht so sehr, dass es südostasiatischen Dschungel wieder
(2008) wiesen eindringlich darauf hin, keine guten Gründe (und empirischen findet.
dass viele Intelligenztheorien die Auffas- Belege) für „Smart is fast!“ gibt, sondern

ter Problemlöseverfahren. Intelligenz und Wissen sind genz?“ gegeben. Und das ist gut so, denn eine so komplexe
methodisch voneinander zu trennen, aber inhaltlich aufs menschliche Angelegenheit wie Intelligenz hat so viele Fa-
Engste verbunden. Da in der Psychologie die beiden Be- cetten, wird von so vielen Faktoren beeinflusst und zieht so
griffe Gegenstand zweier unterschiedlicher Forschungst- viele Auswirkungen nach sich, dass unterschiedliche theo-
raditionen sind, wurden sie dennoch separat voneinander retische Ansätze natürlich unterschiedliche Schwerpunkte
analysiert; die empirischen Designs sahen es sogar oft vor, setzen. Wer aus der Unterschiedlichkeit der Definitionen
dass man den Einfluss des jeweils anderen Konstrukts als folgert, eine müsse „richtig“ sein, die anderen hingegen
Störung auffasste und auszuschalten oder zumindest zu „falsch“, belegt, dass er kein ausgereiftes Verständnis von
kontrollieren versuchte. So wird in wissenspsychologi- Wissen und Wissenschaft hat, also keine weit entwickelten
schen Arbeiten oft auf die Verwendung innovativer oder epistemologischen Überzeugungen (▶ Exkurs „‚Smart is fast‘
schlecht definierter Aufgaben verzichtet, in der ▶ Intelli- – Überall auf der Welt?“). Bevor eine solche Schlussfolgerung
genzforschung werden oft möglichst inhaltsfreie – bzw. gezogen wird, in der scheinbar unterschiedliche Antworten
gar „kulturfaire“ – Aufgaben verwendet (Gruber, Mack auf dieselbe Forschungsfrage bewertet werden, sollte man
& Ziegler, 1999). Der ▶ Wissenspsychologie geht es bei- genau überprüfen, ob es nicht vielmehr so ist, dass die For-
spielsweise darum, wie Sachverhalte im Gedächtnis or- scher unterschiedliche Fragen gestellt haben!
ganisiert und repräsentiert sind (man spricht dann von
deklarativem Wissen) oder wie Handlungswissen (proze- Definition 
durales Wissen) entsteht und angewandt wird (Mandl & Intelligenz ist die Fähigkeit eines Menschen zur An-
Spada, 1988). In der Intelligenzforschung wird oft thema- passung an neuartige Bedingungen und zur Lösung
tisiert, wie sich Personen rasch mit neuartigen Denkauf- neuer Probleme auf der Grundlage vorangehender
gaben zurechtfinden, welche Fähigkeiten sie also bezüglich Erfahrungen im gesellschaftlichen Kontext.
intellektueller Operationen wie Analysieren, Synthetisie-
ren, Generalisieren, Induzieren, Deduzieren, Abduzieren
oder Abstrahieren besitzen. Die weitaus meisten Forschungsarbeiten zur Intelligenz
Bevor wir uns damit beschäftigen, wie beide Herange- beschäftigten sich damit, die Struktur dieser Fähigkeit ge-
hensweisen miteinander verschränkt werden können, wol- nauer aufzuschlüsseln; solche Arbeiten werden der psy-
len wir die Grundzüge und die wichtigsten Begriffe der In- chometrischen Forschung zugeordnet. Die Suche nach
telligenzforschung und der Wissensforschung behandeln. der Struktur der Intelligenz erfolgt zumeist mithilfe fak-
torenanalytischer Methoden, mit denen Gemeinsamkei-
ten der Anforderungen unterschiedlicher Indikatoren für
2.2.1 Grundlegendes intelligentes Handeln herausgeschält werden. Oft handelt
zur Intelligenzforschung es sich bei diesen Indikatoren um Denk- oder Problem-
löseaufgaben; solche Aufgaben wurden in der kognitiven
Im Verlauf einer über 100-jährigen Forschung wurden Psychologie dazu verwendet, um die Informationsverar-
verschiedene Antworten auf die Frage „Was ist Intelli- beitungsprozesse von Menschen bei ihrer Bearbeitung
30 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

zu analysieren. Es ist erstaunlich, wie wenig Berührungs-


1 punkte die psychometrische und die kognitionspsycho-
s1

logische Forschung haben. In ▶ Abschn. 2.3 werden wir


2 uns mit einigen Versuchen auseinandersetzen, die beide s7 s2
Richtungen verknüpfen. Da aber die psychometrische For-
schung die Auffassung von der Natur der Intelligenz am
3 stärksten beeinflusste und noch immer beeinflusst, rich- g
ten wir unser Augenmerk in den nächsten Abschnitten s6 s3
4 zunächst hierauf.
Eine der grundlegenden Fragestellungen der psycho-
5 metrischen Intelligenzforschung ist, ob und in welchem
s5 s4
Maße sich Intelligenz als einheitliche Fähigkeit darstellt
oder ob sie aus mehreren Faktoren besteht. In der For-
6 schung findet man eine Klassifikation in ▶ globale Intel-
ligenzmodelle, ▶ Strukturmodelle und ▶ hierarchische Anmerkung zu den Abkürzungen:
7 Intelligenzmodelle. g = g-Faktor (Generalfaktor);
S1 – S7 = Spezialfaktoren
Globale Intelligenzmodelle
8 Binet und Simon (1905) gelten als die Urväter der psycho-
.. Abb. 2.2  Das Zwei-Faktoren-Modell von Spearman. (Modifiziert
nach Asendorpf & Neyer, 2012, S. 149)
metrischen Intelligenzforschung. Sie sahen Intelligenz als
9 eine ganzheitliche und homogene Fähigkeit an. Ihr Stu-
fenmodell geht davon aus, dass normal intelligente Kinder Strukturmodelle der Intelligenz
10 ihrer Altersstufe entsprechende Aufgaben mit hoher Wahr- Strukturmodelle der Intelligenz stellen Intelligenz als eine
scheinlichkeit lösen können. Sie setzen also das Intelligenz- Fähigkeit dar, die sich aus mehreren Komponenten zusam-
alter (IA) der Kinder mit ihrem Lebensalter (LA) in Bezug. mensetzt (Süß, 2003).
11 Übertreffen Kinder die altersgemäßen Anforderungen, ist Das bereits 1904 von Spearman entwickelte Zwei-Fak-
ihr IA größer als ihr LA; werden altersgemäße Aufgaben toren-Modell lehnt sich an die Idee eines globalen Intelli-
12 nicht gelöst, ist das IA kleiner als das LA. Dieses Verfah- genzmodells an, da es auf der Vorstellung eines Generalfak-
ren hat einen Nachteil: Es zeigte sich, dass Unterschiede tors (g-Faktors) als Ausdruck der allgemeinen Intelligenz
zwischen LA und IA umso stärker ins Gewicht fallen, je beruht. Zudem gibt es aber, wie in . Abb. 2.2 symbolisch
13 jünger das Kind ist. angedeutet wird, Spezialfaktoren (s-Faktoren) wie z. B.
Um diesem Problem entgegenzuwirken, entwickelte „sprachliches Können“ oder „mathematische Begabung“
14 William Stern (1911, 1912) den Klassiker der Intelligenz- neben dem g-Faktor, die faktorenanalytisch identifiziert
forschung, den Intelligenzquotienten (IQ). Er bezeichnet wurden. An jeder intelligenten Aufgabenlösung sind nach
15 den Quotient aus IA und LA einer Person. dem Zwei-Faktoren-Modell der g-Faktor und mindestens
ein s-Faktor beteiligt.
Definition  Die Existenz eines Generalfaktors wurde – wenngleich
16 Intelligenzquotient (IQ) einer Testperson: Quotient etwas widerwillig – von Thurstone (1938; Thurstone &
aus dem Intelligenzalter (IA) und dem Lebensalter Thurstone, 1941) in seinem Primärfaktorenmodell über-
17 nommen. Er vermutete, dass mehrere voneinander unab-

--
(LA) der Testperson.
Intelligenzalter (IA) einer Testperson: Lebensalter der- hängige Fähigkeiten identifizierbar seien:
Sprachverständnis

--
18 jenigen Altersgruppe, die im Durchschnitt die gleiche
Zahl und Art von Aufgaben löst wie die Testperson. Wortflüssigkeit
Rechenfertigkeit

--
Abkömmlinge des klassischen IQ werden auch heute
19 noch verwendet. Aus theoretischen Gründen wird Raumvorstellung
mechanisches Gedächtnis

-
der Wert jedoch in der Regel standardisiert, also auf
20 Standardnormen bezogen. Der Intelligenzquotient Wahrnehmungsgeschwindigkeit
bezeichnet dann einen an Mittelwert und Standard- Induktion, Schlussfolgern
abweichung einer repräsentativen Bezugsgruppe
21 standardisierten Wert. Am häufigsten werden ein Diese Fähigkeiten sind mittlerweile als Primärfaktoren be-
Mittelwert von 100 Punkten und eine Standardabwei- kannt. Ihre Unabhängigkeit konnte jedoch nicht empirisch
22 chung von 15 Punkten gewählt. abgesichert werden; die Korrelationen zwischen ihnen
waren stets von bedeutsamer Größe. Wurden die Primär-
2.2 • Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien
31 2

faktoren selbst einer Faktorenanalyse unterzogen, schälte


sich ein übergeordneter gemeinsamer Faktor heraus – eben
jener von Spearman postulierte g-Faktor.
Ein eigenständiges Strukturmodell ist das „Structure-
of-Intellect“-Modell von Guilford (1967), in dem versucht
wird, eine systematische Ordnung zwischen einer Vielzahl
von Einzelfaktoren herzustellen. Dabei wird zwischen fünf
Operationen (Kognition, Gedächtnis, divergierendes Den-
ken, konvergierendes Denken, Evaluation), sechs Produk-
ten (Einheiten, Klassen, Relationen, Systeme, Transforma-
tionen, Implikationen) und vier Inhalten unterschieden
(figürlich, symbolisch, semantisch, behavioral). Da diese
Komponenten beliebig kombinierbar sind, ergeben sich
5 × 6 × 4 = 120 verschiedene mentale Fähigkeiten. Die empi-
rische Separierbarkeit der theoretisch postulierten 120 In-
telligenzkomponenten stellt natürlich ein fast unlösbares
Problem dar.

Hierarchische Modelle
Aufbauend auf dem in den Strukturmodellen deutlich
.. Abb. 2.3  Berliner Intelligenzstruktur-Modell. (Jäger et al., 1997, S. 5,
gewordenen Verhältnis zwischen Generalfaktor und Ein-
mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)
zelfaktoren wurde eine Reihe von Intelligenzmodellen
entwickelt, denen eine hierarchische Ordnung von Intelli-
genzkomponenten zugrunde liegt. Auf der obersten Ebene
steht der Generalfaktor, der die allgemeine Intelligenz er-
fasst. Dieser wird in Teilkomponenten aufgespalten. Bei-
- Fähigkeitskonstrukte sind hierarchisch strukturiert,
d. h., sie lassen sich unterschiedlichen Generalitätse-
benen zuordnen.
spielsweise unterscheidet Cattell (1963, 1971) zwischen der
fluiden und kristallinen Intelligenz. Die fluide Intelligenz Wie . Abb. 2.3 zeigt, geht das BIS-Modell von zwei Moda-
bezieht sich auf die Basisprozesse des Denkens sowie an- litäten aus (Jäger, Süß & Beauducel, 1997), der Modalität
derer mentaler Aktivitäten und ist überwiegend genetisch des Aufgabenmaterials und der Modalität der kognitiven
determiniert. Die kristalline (bzw. kristallisierte) Intelli- Prozesse (Operationen).
genz dagegen bringt die Bedeutung der bisherigen Lerner-
fahrungen für das intellektuelle Handeln eines Menschen Eine Erweiterung der herkömmlichen
zum Ausdruck und ist überwiegend kulturabhängig. psychometrischen Intelligenzmodelle:
Recht bekannt ist auch die von Wechsler (1958) vor- Emotionale Intelligenz
geschlagene Differenzierung zwischen sprachlicher In- Der Fokus der herkömmlichen psychometrischen Intelli-
telligenz (verbale Intelligenz) und Handlungsintelligenz genzforschung auf kognitive Leistungen provozierte eine
(▶ praktische Intelligenz). Sie liegt den wohl in Deutsch- Reihe von Forschern, auch andere Komponenten in Intel-
land populärsten Intelligenztests zugrunde (▶ Abschn. 2.4), ligenzmodelle zu integrieren. Salovey und Mayer (1990)
nämlich dem Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kin- stellten ein Konzept der emotionalen Intelligenz vor, in
der (HAWIK) sowie für Erwachsene (HAWIE). Beides sind dem postuliert wird, dass der intelligente Umgang mit den
Adaptationen der von Wechsler in den USA entwickelten eigenen Emotionen und mit den Emotionen anderer Men-
WISC- bzw. WAIS-Tests. schen in vielen Lebensbereichen – sowohl privater als auch
Exemplarisch für ein neueres hierarchisches Modell beruflicher Art, etwa in der Arzt-Patient-Kommunikation
sei das Berliner Intelligenzstrukturmodell (BIS-Modell) – von hoher Bedeutung ist. Sie initiierten damit eine For-

-
vorgestellt, dem drei Kernannahmen zugrunde liegen:
An jeder Intelligenzleistung sind, neben anderen Be-
dingungen, alle intellektuellen Fähigkeiten beteiligt,
allerdings deutlich unterschiedlich gewichtet. Die
schungsrichtung, die sich einer beträchtlichen Dynamik
erfreut, zahlreiche Polemiken auslöst (Asendorpf, 2002;
Schuler, 2002), theoretische und methodische Fragen auf-
wirft und – Wissenschaftler wie Laien – zur Suche nach
Varianz jeder Leistung lässt sich in entsprechende neuen konzeptionellen Lösungen und Anwendungsmög-

- Komponenten zerlegen.
Intelligenz- und Fähigkeitskonstrukte lassen sich unter
verschiedenen Aspekten (Modalitäten) klassifizieren.
lichkeiten inspiriert (Bar-On, 2000; Petrides, Frederickson
& Furnham, 2004; ▶ Kap. 9).
32 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

Multiple Intelligenzen: Gardners einfachere von beiden ist, dass man weiß, was zu tun ist.
1 Intelligenzkonzeption Die schwierigere Methode ist, in der Situation neue Wege
Die Theorie emotionaler Intelligenz nimmt eine inhaltlich zu finden, den Ansprüchen zu begegnen“ (Gruber, 1999b,
2 eng umrissene Neukonzeption des Intelligenzbegriffs vor. S. 94).
Unter anderen Versuchen, den Begriff der Intelligenz aus- Die meisten anspruchsvollen Aufgaben erfordern so-
zuweiten, erlangte vor allem die „Theorie der multiplen In- wohl den Rückgriff auf Wissen als auch den Einsatz intel-
3 telligenzen“ (Gardner, 1983) große Bekanntheit. Gardner ligenter Problemlöseverfahren. „Intelligenz“ und „Wissen“
postulierte acht Typen von Intelligenz, die jeweils vonein- sind methodisch voneinander zu trennen, dagegen inhalt-
4 ander unabhängig sein sollen und sich zu einem modula- lich aufs Engste verbunden. Da aber in der Psychologie

5 --
ren Gesamtkonzept von Intelligenz verknüpfen:
linguistische Intelligenz
die beiden Begriffe Gegenstand zweier unterschiedlicher
Forschungstraditionen sind, wurden sie separat vonein-

-- logisch-mathematische Intelligenz
visuell-räumliche Intelligenz
ander analysiert.

--
6 musikalische Intelligenz Definition 
körperlich-kinästhetische Intelligenz

--
Wissen stellt einen relativ dauerhaften Inhalt des
7 interpersonale Intelligenz Gedächtnisses dar, dessen Bedeutung durch soziale
intrapersonale Intelligenz Übereinkunft festgelegt ist. Vom Wissen eines
naturalistische Intelligenz
8 bestimmten Menschen ist in der Regel nur die Rede,
wenn er Überzeugung von der Gültigkeit dieses
In manchen Publikationen wurden auch existenzielle und Wissens hat.
9 spirituelle Intelligenz genannt (Gardner, 2006). Gardners
Konzeption beruht weitgehend auf theoretischen Überle-
10 gungen; überzeugende Versuche einer empirischen Bestä- Wissen wird als eine Menge mentaler Repräsentationen
tigung liegen nicht vor, weder in Bezug auf die Entwick- aufgefasst, die Menschen in Zusammenhang mit geeigne-
lung hinreichender diagnostischer Verfahren noch auf ten Denkprozessen zur Bewältigung von Aufgaben befä-
11 den Nachweis der postulierten Unabhängigkeit der Typen higt. „Allgemeiner gesagt, ist Wissen gewissermaßen der
(Rost, 2008). Seine berufsbezogenen Typisierungen (etwa: Inhalt und Denken gewissermaßen die Form eines kogni-
12 Dichter benötigen vor allem linguistische Intelligenz, Bild- tiven Prozesses“ (Gruber et al., 1999, S. 2).
hauer benötigen vor allem visuell-räumliche Intelligenz) In der Wissenspsychologie (Mandl & Spada, 1988) wer-
13 ähneln eher Populäraussagen als wissenschaftlichen An-
nahmen.
Das größte Problem an Gardners Konzeption multipler --
den vier zentrale Themenbereiche untersucht:
Erwerb von Wissen
Repräsentation und Organisation von Wissen im

--
14 Intelligenzen ist die Verwendung des Begriffs Intelligenz Gedächtnis
an Stellen, an denen viel besser von Fähigkeit oder gar Prozesse des Abrufs von Wissen
15 Fertigkeit die Rede wäre. Dies verweist auf ein ganz an- Anwendung des Wissens beim Denken und Handeln
deres Problem der Intelligenzforschung, das oben bereits
angesprochen wurde, nämlich dass der psychometrische Die enge Verknüpfung des Wissens mit dem Denken und
16 Ansatz und der kognitive Informationsverarbeitungsansatz dem Handeln macht es für die Pädagogische Psychologie
bislang nur wenig verknüpft wurden. Bevor Verbindungen relevant. Zugleich legt diese Verbindung nahe, dass Wissen
17 zwischen beiden Bereichen in ▶ Abschn. 2.3 thematisiert und Intelligenz eng miteinander in Bezug stehen. Wie oben
werden, sollen die Grundlagen des Informationsverarbei- bereits angedeutet, wurde dieser Bezug in der Forschung
tungsansatzes illustriert werden. Hierzu wird das Konzept aber lange Zeit nicht hergestellt, da sich Intelligenzfor-
18 des Vorwissens einer genaueren Analyse unterzogen. schung und Wissenspsychologie auf der Grundlage un-
terschiedlicher Paradigmen entwickelten. Erst neuerdings
19 werden Arbeiten zur Intelligenz enger an die Analyse von
2.2.2 Grundlegendes zur Informationsverarbeitungsprozessen angelehnt, in denen
20 Wissenspsychologie Wissen eine wichtige Rolle spielt (Mack, 1996).
Der Informationsverarbeitungsansatz wurde in den
Ist Intelligenz von Wissen abhängig oder hängt Wissen 1950er Jahren seit der „kognitiven Wende“ entwickelt und
21 von Intelligenz ab? Sind Wissen und Intelligenz divergie- erlebte in den 1970er Jahren einen großen Aufschwung. In
rende oder korrespondierende Begriffe? Die Antwort ist ihm werden jene kognitiven Prozesse, die für Lernen, Wis-
22 ambivalent. „Es gibt zwei Möglichkeiten, mit den täglichen senserwerb und Leistungsverbesserung wesentlich sind, als
Anforderungen des Lebens erfolgreich umzugehen. Die Prozesse der Verarbeitung von Information beschrieben:
2.2 • Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien
33 2

Exkurs  |       | 

Zur Bedeutung von Vorwissen


Chi (1978) führte eine Studie durch, die terlegen. Umgekehrt waren selbst solche Erwachsene – daher verglich Chi (1978)
große Wellen schlug. Ihre Idee war es, Erwachsene, bei denen die Anwendung Kinder-Schachexperten und erwachsene
in einer entwicklungspsychologischen von Gedächtnisstrategien experimentell Schachnovizen sowohl beim freien Erin-
Gedächtnisuntersuchung die Bedeutung verhindert wurde, noch immer besser als nern von Zahlenreihen als auch bei der
des Vorwissens plakativ zu demonstrie- Kinder. Angeregt durch die in Pittsburgh Rekonstruktion kurzzeitig präsentierter
ren. Bis dahin war es unbestrittener „State entstandene Arbeit von Chase und Simon Schachstellungen. Die Ergebnisse zeigten,
of the Art“, dass sich das Gedächtnis bis (1973) griff Chi (1978) die Idee auf, dass dass Wissen einen gewichtigen Einfluss
zum Erreichen des Erwachsenenalters Expertise beim Schachspielen eng mit auf die Gedächtnisleistung hatte und
stets verbessert. Diese Überlegenheit dem bereichsspezifischen Vorwissen zu- die Alterseffekte ins Gegenteil verkehrte:
Erwachsener schien eher etwas mit sammenhängt. Sie überprüfte, ob dieser Kinder-Experten erinnerten die Schach-
Reifungs- und Entwicklungsprozessen zu Vorwissenseffekt stark genug war, um stellungen viel besser als erwachsene
tun zu haben als damit, dass Erwachsene die entwicklungsgemäße Überlegenheit Anfänger! Beim Erinnern der Zahlenrei-
womöglich bessere Erinnernsstrategien Erwachsener in der Gedächtnisleistung hen schnitten die Erwachsenen hingegen
besitzen – denn auch Kinder, denen die zu übertrumpfen. Beim Schachspiel ist wie üblich besser ab.
Strategien von Erwachsenen vermittelt es möglich, Kinder zu finden, die mehr
wurden, waren Erwachsenen noch un- Vorwissen besitzen als gewöhnliche

Der Mensch ist permanent über seine Sinnesorgane neu Die Bedeutung des Vorwissens wurde zunächst in gut
eintreffender Information ausgesetzt, er nimmt sie wahr strukturierten Domänen wie Physik und Schach unter-
und selegiert sie, er behält Teile davon kurz im Gedächtnis, sucht; z. B. wurden im Bereich der Physik Probleme mit
andere Teile längerfristig, er wendet sie bei späteren Gele- eindeutiger Lösung vorgelegt, bei deren Bearbeitung die
genheiten wieder an usw. Gegenstand der ▶ Informations- Versuchspersonen „laut denken“ sollten (zur Methode des
verarbeitungstheorie sind also die Arten von Informa- „lauten Denkens“ s. Ericsson & Simon, 1993). Dadurch
tion, die sich im Gedächtnis befinden, sowie die Prozesse, konnte der Zusammenhang zwischen Problemlösestrate-
die sich auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden gien und Vorwissen analysiert werden – und es zeigte sich,
solcher Information beziehen (Gruber, 1999a). Zunächst dass sich die Art und Weise, wie das Wissen von Experten
wurden Informationsverarbeitungsprozesse vor allem in in Strategien zum Lösen von Problemen umgesetzt wurde,
der Kognitiven Psychologie thematisiert (z. B. Newell & von der von Anfängern erheblich unterschied. Experten
Simon, 1972), seit einiger Zeit nehmen sie aber auch in verwendeten häufiger eine Vorwärtssuchstrategie, Anfän-
der Pädagogischen Psychologie breiten Raum ein, was sich ger hingegen häufiger eine Rückwärtssuchstrategie. Offen-
beispielsweise in Lehrbüchern zeigt (z. B. Slavin, 1988). bar antizipieren Experten aufgrund ihres Vorwissens die
Richtung der korrekten Lösung und können daher Prob-
Vorwissen leme oft von der Aufgabenstellung ausgehend („vorwärts“)
Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass die Bewältigung lösen. Anfänger hingegen müssen permanent Vergleiche
komplexer, authentischer Probleme ohne umfangreiches zwischen Aufgabenstellung und Lösungsvorschlag durch-
Vorwissen nicht möglich ist (▶ Exkurs „Zur Bedeutung von führen und von einer Lösungsidee „rückwärts“ arbeiten,
Vorwissen“). Lernen wurde daher zunehmend als Prozess um zu erkennen, ob damit überhaupt das Ausgangspro-
gesehen, der mit dem Erwerb großer Wissensmengen ein- blem bearbeitet werden kann.
hergeht und sich über einen langen Zeitraum erstreckt. Ein weiterer Befund, der die Bedeutung des Vorwis-
Zwischen der Art der Wissensstruktur und den beim Ler- sens unterstreicht, steht in Zusammenhang mit der immer
nen und Problemlösen ablaufenden kognitiven Prozessen wieder gefundenen Fähigkeit von Experten, Information
wurden enge Verbindungen identifiziert, denn Lernen ist aus ihrer Domäne sehr gut und schnell zu erinnern: Ein
ein ständiges Wechselspiel des Rückgriffs auf Bekanntes Schachmeister kann eine Schachposition, die er nur für
und der Bewältigung neuer Situationen. Daraus wurde ge- wenige Sekunden gesehen hat, meist perfekt aus dem Ge-
folgert, dass es wichtig sei, bereits früh im Lernprozess den dächtnis rekonstruieren, wohingegen sich ein Anfänger
Aufbau von Wissensstrukturen zu fokussieren und dann nur an wenige Figuren erinnern kann. Experten können
kontinuierlich an ihrer Entwicklung zu arbeiten, indem in der präsentierten Information rasch bedeutsame Mus-
beispielsweise das Vorwissen infrage gestellt, mit Beispie- ter erkennen, die in Bezug zu schon vorhandenem Wissen
len belegt oder falsifiziert wird. Dies hilft, im Verlauf des stehen, sodass es bereits bei der Wahrnehmung von Infor-
Lernens eine erfahrungsbasierte Wissensorganisation zu mation zu einem Zusammenspiel von Gedächtnis, Wis-
erstellen (Gruber, 1999b). sen und Erfahrung kommt (Gruber, 1999a). Dabei spielen
34 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

1
„Chunking-Prozesse“ zur semantischen Verknüpfung von
Informationseinheiten eine große Rolle. - Stufe des Tuning: Prozedurales Wissen wird in der
Praxis fein abgestimmt, indem erfolgreiche Regeln
gestärkt und erfolglose Regeln getilgt werden.
2 Definition 
▶ Chunking ist der Prozess des Bildens bedeutungs- Mit der Unterscheidung von deklarativem und prozedu-
ralem Wissen wird nicht angestrebt, die eine oder andere
3 tragender Informationseinheiten im Arbeits- oder
Kurzzeitgedächtnis, mit dessen Hilfe erklärt wer- Form als besser oder besonders wertvoll zu bezeichnen. Sie
den kann, weshalb Menschen trotz vergleichbarer ist aber wichtig, um eine differenzierte Analyse von Stär-
4 Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern ken und Defiziten im Handeln von Individuen vornehmen
können. Durch Chunking wird Information verdichtet, zu können – und damit eine Voraussetzung dafür, ein ge-
5 indem ursprünglich separate Informationseinheiten naueres Verständnis angestrebter Lehr-Lern-Prozesse zu
durch allgemeine Ordnungsprinzipien oder durch erwerben, denn unterschiedliche Wege des Lehrens und
das Einbeziehen von Vorwissen rekodiert und zu Lernens sind vonnöten, um den Erwerb verschiedener
6 größeren Informationseinheiten (die dann „Chunks“ Wissensarten zu fördern. Der differenzierten Unterschei-
genannt werden) zusammengefasst werden. dung verschiedener Wissensformen kommt daher gerade
7 in der Pädagogischen Psychologie große Bedeutung zu.

Chunking Wissensformen
8 Chase und Simon (1973) thematisierten die Unterschiede De Jong und Ferguson-Hessler (1996) klassifizierten
von Chunking-Prozessen von Experten und Novizen 20 Wissensformen in einer 4×5-Matrix mit den beiden Di-
9 beim Schachspielen. In ihrer „Pattern-Recognition- mensionen Wissensart und Wissensmerkmal (▶ Übersicht).
Theorie“ postulierten sie, dass ein Schachmeister viele
10 Chunks aufgrund seiner Erfahrung mit gespielten Par-
Darstellung von Wissensformen nach De Jong
tien verfügbar habe – in einer Computersimulation ge-
und Ferguson-Hessler (1996)
langten Simon und Gilmartin (1973) zur Schätzung von
11 etwa 50.000 Chunks –, die gut strukturiert im Gedächtnis Wissensarten
1. Situationales Wissen ist Wissen über Situationen,
abgelegt und mit Handlungsvorschlägen eng assoziiert
12 seien. die in bestimmten Domänen typischerweise auftau-
chen, sowie über darin üblicherweise zu beach-
Prozedualisierung von Wissen tende Information.
13 Damit Wissen anwendbar wird, ist die Umwandlung 2. Konzeptuelles Wissen ist statisches Wissen über
Fakten, Begriffe und Prinzipien.
von Faktenwissen (deklaratives Wissen) in prozedurales
14 Wissen notwendig. Der Prozess der Prozeduralisierung 3. Prozedurales Wissen ist Wissen über Handlungen,
die zum gewünschten Erfolg führen.
von Wissen ist das Kernstück der ACT*-Theorie (gespro-
4. Strategisches Wissen ist metakognitives Wissen
15 chen: ACT-Star-Theorie, „Adaptive Control of Thought
über die Gestaltung des eigenen Problemlösever-
Theory“), in der die weitgehende Automatisierung von
haltens und über Handlungspläne.
Fertigkeiten modelliert wird (Anderson, 1982). Mit der
16 Umwandlung deklarativen Wissens in prozedurales wird Wissensmerkmale
1. Der hierarchische Status von Wissen hat die Ext-
die kapazitäts- und zeitaufwendige Bearbeitung von Fak-
17 tenwissen (Aufnahme, Speicherung, Abruf und Nutzung) remwerte „oberflächlich“ vs. „tief verarbeitet“.
2. Die innere Struktur von Wissen hat die Extremwerte
durch automatisierte Prozeduren ersetzt. Diese Prozeduren
„isolierte Wissenseinheiten“ vs. „vernetztes Wissen“.
entstehen aufgrund erfolgreich bewältigter Lernsituatio-
18 nen und laufen ohne weitere bewusste Planung ab; sie stel- 3. Der Automatisierungsgrad ist der Anteil intentio-
naler, angestrengter Informationsverarbeitung mit
len somit sehr schnelle und wenig aufwendige Reaktionen
19 dar. Prozedurales Wissen ist in der ACT*-Theorie in Form den Extremwerten „deklarativ“ (explizites Fakten-
wissen) und „kompiliert“ (routiniertes, automatisier-
von Wenn-dann-Regeln (Produktionsregeln) modelliert,
tes Prozedurenwissen).
20 die zu unmittelbarer Handlungsinitiierung führen. Fertig-
4. Die Modalität von Wissen deutet an, ob Wissen
keitserwerb und Lernen finden im ACT*-Modell in drei

-
vorteilhafter als „bildlich“ oder als „propositional-
Stufen statt:
21 Deklarative Stufe: Deklaratives Wissen wird (auf- analytisch“ dargestellt wird.

-
5. Der „Allgemeinheitsgrad“ beschreibt, ob Wissen
wendig) erworben.
22 Stufe der Kompilation: Deklaratives Wissen wird in eher „generell“ oder eher „domänenspezifisch“ ist.
leistungsstarkes prozedurales Wissen umgewandelt.
2.2 • Grundlegendes: Intelligenztheorien, Wissenstheorien
35 2

Darstellung von Wissensformen nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996, S. 111) als Matrix, in der Wissensmerk-
male und Wissensarten aufeinander bezogen sind (modifiziert mit freundlicher Genehmigung von Taylor & Francis Ltd.,
▶ http://www.informaworld.com)
Wissensarten
Wissensmerkmale Situationales Konzeptuelles Prozedurales Strategisches
Wissen Wissen Wissen Wissen
Hierarchischer Status
Innere Struktur
Automatisierungsgrad
Modalität
Allgemeinheitsgrad

Als Beispiel für die Verwendbarkeit des Klassifikations- Definition 


modells nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996) soll Problemlösen: Dörner (1979) spricht vom Vorliegen
der Umgang mit Texten dienen. Es gibt Belege dafür, dass eines Problems, wenn ein Individuum ein Ziel ver-
das Textverständnis besonders hoch ist, wenn reichhalti- folgt, aber eine Barriere den Weg dorthin blockiert.
ges konzeptuelles Wissen (Wissen über Fakten, Begriffe Eine wichtige Unterscheidung ist die zwischen wohl
und Prinzipien) vorliegt, dessen hierarchischer Status als definierten Problemen und schlecht definierten
„tief verarbeitet“ bezeichnet werden kann und dessen in- Problemen.
nere Struktur sich mit „vernetztes Wissen“ beschreiben Wohl definierte Probleme: Es existieren klare Auf-
lässt. gabenanforderungen, so dass Ziele und Barrieren
Auch wenn dieses Klassifikationsmodell das bislang eindeutig definiert werden können. Solche Probleme
umfassendste Ordnungssystem von Wissensformen dar- finden sich häufig in Gegenstandsbereichen, in denen
stellt, kann es doch nicht den Anspruch auf Vollständig- es klare Regeln, Ziele und Richtlinien gibt.
keit erheben. Gerade im beruflichen Bereich, in dem so- Schlecht definierte Probleme: Die Aufgabenanfor-
ziale, organisationale und ökonomische Kontextvariablen derungen sind nicht eindeutig, Ziele und Barrieren
bedeutsam sind, lassen sich viele weitere Wissensformen können nicht eindeutig definiert werden.
unterscheiden, die teils „geheimnisvoll“ anmuten (Gruber
& Sand, 2007), weil sie vom einfachen Konzept des Fak-
tenwissens weit abrücken. Leider ist oft festzustellen, dass Ob ein Problem wohl definiert oder schlecht definiert ist,
alltägliche epistemologische Überzeugungen der Vielfalt hängt auch vom Vorwissensstand und von anderen indi-
des Wissensbegriffs nicht gerecht werden (▶ Exkurs „Welche viduellen Voraussetzungen des Problemlösers ab; daher
epistemologischen Überzeugungen herrschen vor?“). spielt die subjektive Beurteilung dessen, wie Aufgaben,
Barrieren und Ziele beschaffen sind, eine große Rolle.
Problemlösen Dies verweist auf die Rolle epistemologischer Überzeu-
Bei Experten ist die Verknüpfung zwischen kognitiven gungen.
Strukturen (Gedächtnis und Wissen) und kognitiven Der Umgang mit schlecht definierten Problemen ist
Prozessen (Problemlösen und Entscheiden) selbstver- in der Ökonomie oder der Politik der Normalfall (Voss,
ständlich: Expertenwissen umfasst Auskunft über seine 1990). Der Einsatz computersimulierter Szenarien zur
Anwendungsbedingungen, da es sich in der permanenten Analyse solcher Prozesse ist seit den bekannt gewordenen
professionellen Tätigkeit entwickelte. Dabei ist es inter- Arbeiten der Gruppe um Dörner prominent; in „Lohhau-
essant, dass professionelles Handeln in vielerlei Hinsicht sen“ (Dörner, Kreuzig, Reither & Stäudel, 1983) agieren
wegen der komplexen Aufgabenstellungen schlecht defi- Problemlöser als Bürgermeister einer fiktiven Stadt und
niert ist. Die Anforderungen sind oft nicht eindeutig, es versuchen, deren wirtschaftliche Entwicklung zu verbes-
gibt keine „beste“ Lösung, der Einfluss von Kontextvaria- sern. Das Problemlösen in solchen komplexen Realitätsbe-
blen ist selten überschaubar. Professionelles Handeln kann
daher durchaus als ständiges Problemlösen beschrieben
werden. --
reichen zeichnet sich durch eine Reihe von Merkmalen aus:
Vernetztheit von Variablen
Eigendynamik des Systems (oft verbunden mit Zeit-

- druck)
Intransparenz bezüglich der Variablen und ihrer
Vernetzung
36 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

Exkurs  |       | 
1
Welche epistemologischen Überzeugungen herrschen vor?
2 Wissen wird im Alltag meist mit Zusammenspiel dieser beiden Wissens- wissenschaftlichen Auffassung von Wis-
deklarativem Wissen (Faktenwissen, formen und ihre Umwandlung im Verlauf sen sowie in der pädagogisch-psycholo-
„Wissen, dass“) gleichgesetzt – während von Lernprozessen – geschweige denn gischen Praxis nur selten eine Rolle. Allzu
3 das ebenso bekannte „Know-how“ das Zusammenspiel noch weiterer, oft scheinen primitive epistemologische
(prozedurales Wissen, „Wissen, wie“) eher komplexerer Wissensformen – spielt in Überzeugungen das Bild zu bestimmen

4 unter die Rubrik Fertigkeiten fällt. Das der alltäglichen und leider auch in der (Gruber, 2008).

5 -- Irreversibilität von Entscheidungen


Informationsflut – auch irrelevante Information
2.3.1 Intelligentes Wissen – Franz
Weinerts Sicht auf das

- betreffend Zusammenspiel von Intelligenz


6 Nebenwirkungen von Entscheidungen. und Wissen

7 Experten sind flexibler bei komplexen Problemlöseprozes- Weinert (1996) resümierte die Befunde über die Rolle des
sen als Novizen, was sich in dreierlei Fähigkeiten nieder- Denkens beim Wissenserwerb und die Bedeutung des Wis-
8
-
schlägt:
Fähigkeit, mentale Repräsentationen von Problemen
zu variieren und somit zu verschiedenen Hypothesen
sens für Intelligenz und Denkleistung in einer modellhaf-
ten Darstellung (. Abb. 2.4), die die enge Verknüpfung der
Themen illustriert.
9
10 - zu gelangen
Fähigkeit, die Analyseebenen situativ zu verändern,
also etwa oberflächlich versus prinzipienorientiert zu
Nach Weinert (1996, S. 96) zeigt dies,

» dass das Niveau der Intelligenz auch das kognitive Ler-

11 - argumentieren
Fähigkeit, Verarbeitungsstrategien zu wechseln
und damit Aufgaben schneller und erfolgreicher zu
lösen.
nen beeinflusst, so dass sich mehr oder minder intelli-
gente Lernprozesse ergeben. Deren Ertrag besteht im
Erwerb eines intelligenteren oder weniger intelligenten
Wissens. Dieses ist neben der allgemeinen Intelligenz
12 wiederum die Grundlage des Denkens, dessen kumu-
Forschungsansätze, die Intelligenz und Wissen in ihrem lativer Niederschlag schließlich auf das nachfolgende
Zusammenhang betrachten, werden im folgenden Ab-
13 schnitt präsentiert.
Lernen zurückwirkt.

Beachtung fand Weinerts Position vor allem, weil sie auf


14 einer reichhaltigen Forschungstätigkeit in unterschiedli-
2.3 Zusammenspiel von Intelligenz chen pädagogisch-psychologischen Feldern beruhte. Bei
und Wissen als Gegenstand
15 der Pädagogischen Psychologie
der Herleitung seines theoretischen Modells berief er sich
explizit auf die Expertiseforschung (Schneider, Körkel &
Weinert, 1989), aber auch auf längsschnittliche Analysen
16 Möglichkeiten des Zusammenspiels von Intelligenz und der schulischen Leistungsentwicklung und ihrer Deter-
Wissen werden exemplarisch anhand der Arbeiten dreier minanten (Weinert & Schneider, 1999). In verschiedenen
17 Forscher dargestellt und diskutiert, die sich darin einig Kontexten fand er Bestätigung für die Annahme, dass
sind, dass Wissen allein einem Menschen nicht viel nützt, erworbenes Wissen die bedeutsamste Voraussetzung des
wenn er nicht die Intelligenz besitzt, es weise einzusetzen, Erwerbs neuen Wissens ist – je mehr Anknüpfungspunkte
18 und dass ihm Intelligenz ebenso wenig nützt, wenn er sich im vorhandenen Wissen finden, umso leichter kann
nicht über das Wissen verfügt, wie er Nutzen daraus ziehen neuer Lernstoff in bedeutungsvoller Weise in die vorhan-
19 kann. Franz Weinert prägte den Begriff des „intelligenten denen Strukturen integriert werden.
Wissens“; Philip Ackerman beschrieb in seinem Ansatz der In Studien, in denen Intelligenz und Wissen simultan
20 „ability determinants of skilled performance“, wie sich als Prädiktoren für schulische und berufliche Leistungen
im Verlauf des Kompetenzerwerbs die Bedeutung von In- verwendet wurden, erwies sich bereichsspezifisches Vor-
telligenz und Vorwissen wandelt; Robert Sternberg weitete wissen als der bessere Prädiktor, um Leistungen in der
21 das Konzept der Intelligenz zu seiner triarchischen Theorie gleichen Domäne vorherzusagen (Ceci & Liker, 1986;
der Intelligenz aus und brachte die Idee einer „praktischen Schneider & Bjorklund, 1992). In Arbeiten im schulischen
22 Intelligenz“ ins Spiel. Kontext zeigte sich, dass den größten Einfluss auf den
Lernfortschritt das zu Beginn eines Schuljahres verfügbare
2.3  •  Zusammenspiel von Intelligenz und Wissen als Gegenstand der Pädagogischen Psychologie
37 2

Wissen besitzt. Stern (1997) zeigte, dass die Mathematik­ Intelligenz Lernen
leistung in der 11. Klasse eng mit der Mathematikleistung
in der Grundschule zusammenhängt, enger als mit der
Intelligenz der Schüler. Offenbar muss man sich über ei-
nen längeren Zeitraum mit mathematischen Problemen Intelligentes Lernen
auseinandersetzen, wenn man gut in Mathematik werden
möchte. Dass aber in frühen Lernphasen die Intelligenz
eine große Rolle für den Lernfortschritt spielt, ist damit
nicht in Abrede gestellt.
Die Beziehungen zwischen Intelligenz und/oder Bega- Intelligentes Wissen
bung, Wissen und Lernen spielen in vielen Arbeiten Wei-
nerts eine zentrale Rolle (z. B. Weinert, 1984). Als Pädago-
gischer Psychologe postulierte er, dass man mehr über das
Wissen wissen müsse, um das Denken fördern zu können. Denken durch intelligentes Wissen
An der epistemologischen Überzeugung, dass diese drei
Komponenten zusammengehören, hielt Weinert auch zu .. Abb. 2.4  Zusammenhang von Intelligenz und Wissen beim Lernen.
(Modifiziert nach Weinert, 1996, S. 96, mit freundlicher Genehmigung
Zeiten fest, in denen in der Forschung versucht wurde, die
der Bayerischen Akademie der Wissenschaften)
Komponenten zu separieren und die Bedeutung der jeweils
anderen Teile zu leugnen (Waldmann et al., 2003).
Früher als die meisten anderen Lehr-Lern-Forscher er- Komponenten Verarbeitungskapazität, Wahrnehmungsge-
kannte Weinert, dass hohe Intelligenz nur von Vorteil ist, schwindigkeit, Gedächtnisspanne und räumliche Rotation
wenn sie in bereichsspezifisches Wissen umgesetzt wird. besteht und mit dem Aufbau von Wissen zu tun hat. Wis-
Alles, was Menschen wissen und können, muss zuerst sen wird ähnlich wie die kristalline Intelligenz bei Cattell
gelernt werden. Das Lernen kann aber durch genetische (1971) verstanden und in berufsspezifisches und unspezi-
Ausstattung und durch frühe Lernerfahrungen erschwert fisches (Allgemein-)Wissen unterschieden. Die Entwick-
oder erleichtert werden. lung des Wissens orientiert sich an der Investmenttheorie
Eine spezifischere Modellierung der unterschiedlichen von Cattell (1971); das individuelle Kompetenzprofil hängt
Rolle von Intelligenz und Wissen während verschiedener davon ab, wie ein Individuum seine Ressourcen über ver-
Phasen des Kompetenzerwerbs liefert die Theorie der Abi- schiedene Bereiche verteilt oder, anders ausgedrückt, wie
lity Determinants of Skilled Performance von Ackerman. groß der Anteil der verfügbaren Ressourcen ist, der in das
jeweilige Gebiet investiert wird. Ackerman nimmt an, dass
die wichtigste Ressource für den Aufbau gegenstandsbezo-
2.3.2 Ability Determinants of Skilled gener Kenntnisse die individuelle Informationsverarbei-
Performance – Philip Ackermans tungskapazität bzw. die generelle kognitive Fähigkeit ist. In
Sicht auf das Zusammenspiel Anlehnung an Cattell (1963) bezeichnet Ackerman diese
von Intelligenz und Wissen intellektuellen Fähigkeiten als „Intelligenz als Prozess“.
Fähigkeiten und Wissen entwickeln sich gemeinsam. Die
In seiner PPIK-Theorie (PPIK = „process, personality, in- Entwicklung spezifischer Kompetenzen, die von Ackerman
terests, and knowledge“) geht Ackerman (1996) den Grün- unter dem Begriff „Intelligenz als Wissen“ subsumiert wer-
den für interindividuelle Differenzen in der Kompetenz in den, kann demnach nur mithilfe der unter „Intelligenz als
einzelnen Inhaltsbereichen nach. Dabei verknüpft er eine Prozess“ zusammengefassten Fähigkeit zur Informations-
Vielzahl an theoretischen Ansätzen zur Erklärung der in- verarbeitung geschehen.
tellektuellen Entwicklung. In unserem Zusammenhang ist In seiner Theorie der Ability Determinants of Skilled
vor allem interessant, dass er drei Komponenten von In- Performance hatte Ackerman (1987, 1992) bereits vorher

--
telligenz unterscheidet:
Intelligenz als Prozesskonstrukt
ein dreiphasiges Modell des Kompetenzerwerbs vorge-
stellt, in dem individuelle Differenzen in der Intelligenz

- Intelligenz als Interessenskonstrukt


Intelligenz als Persönlichkeitskonstrukt.

Die beiden ersten beziehen sich in informationsverar-


und im Vorwissen kombiniert und zudem mit typischen
Anforderungen im Verlauf der Entwicklung verbunden
werden.

beitungstheoretischer Fassung auf das Intelligenzmodell Kognitive Phase.  Die kognitive Phase zeichnet sich durch
von Cattell (1971). Intelligenz als Prozesskonstrukt wird hohe kognitive Belastung aus: Das Individuum muss die
als Informationsverarbeitung verstanden, die aus den vier Aufgabeninstruktion verstehen, mit den Zielen vertraut
38 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

Exkurs  |       | 
1
O-Ton Sternberg (1986, S. 223)
2 The triarchic theory comprises three learning how to do things, (b) planning roles of novelty and of automatization
subtheories. The first subtheory relates what things to do and how to do them, in exceptional intelligence. The third
intelligence to the internal world of the and (c) actually doing the things. The subtheory relates intelligence to the ex-
3 individual, specifying the mental mecha- second subtheory specifies those points ternal world of the individual, specifying
nisms that lead to more and less intelli- along the continuum of one’s experi- three classes of acts – environmental

4 gent behaviour. This subtheory specifies


three kinds of information-processing
ence with tasks or situations that most
critically involve the use of intelligence.
adaptation, selection, and shaping – that
characterize intelligent behaviour in the
components that are instrumental in (a) In particular, the account emphasizes the everyday world.

5
werden und Strategien formulieren. Weitere Entwicklung metrischen Intelligenzkonzept zu verknüpfen, formulierte
6 in den beiden nächsten Phasen ist nur möglich, wenn kon- Sternberg in den vergangenen Jahrzehnten verschiedene
sistente Aufgabenanforderungen vorliegen. Während der Facetten einer neuen Intelligenztheorie. Er postuliert, dass
7 kognitiven Phase spielt Intelligenz eine große Rolle; mit erst die Verbindung unterschiedlicher wissenschaftlicher
dem Entstehen konsistenten prozeduralen Wissens ver- Perspektiven der Komplexität des Konstrukts Intelligenz
ringert sich allerdings der Einfluss allgemeiner Fähigkei- gerecht werde, insbesondere die Verknüpfung der struktu-
8 ten zunehmend, ihre Korrelationen mit Leistungsmaßen rellen Modelle der psychometrischen Intelligenzforschung
sinken. mit den Prozessmodellen der kognitionspsychologischen
9 Ansätze. Die Besonderheit seiner Theorie ist, dass er in ihr
Assoziative Phase.  In der assoziativen Phase werden Stra- auch über die genannten Perspektiven hinausgeht und das
10 tegien eingeübt, die Leistung wird schneller und fehler- Zusammenspiel von Fähigkeiten, Kompetenzen und Ex-
freier. Die Wahrnehmungsgeschwindigkeit wird trainiert pertise (Sternberg & Grigorenko, 2003) thematisiert.
und verbessert; in der assoziativen Phase geht es daher vor Sternberg beschäftigt sich daher mit der praktischen
11 allem um die Kompilation von Wissen und die Schnellig- Relevanz von Intelligenz und weist anhand verschiedener
keit seiner Anwendung. Beispiele darauf hin, dass kognitive Intelligenz allein nicht
12 ausreicht, um Erfolg im Leben zu haben und alltägliche
Autonome Phase.  In der autonomen Phase werden die Herausforderungen des Lebens effektiv zu meistern (Stern-
Fertigkeiten automatisiert, die Tätigkeiten benötigen nur berg, 1985, 1998). Seine Vorstellung von einer „Erfolgsin-
13 noch wenig Aufmerksamkeit oder überhaupt keine mehr, telligenz“ umfasst drei Aspekte, die in einem ausgegliche-

14
sie werden extrem schnell und präzise.
In Ackermans Theorie der Ability Determinants of
--
nen Verhältnis zueinander stehen sollten:
analytische Intelligenz

15
Skilled Performance wird also beschrieben, dass die Rolle
der Intelligenz zu Beginn des Kompetenzerwerbs eminent
ist, dann aber zugunsten der Bedeutung des Wissens –
insbesondere des prozeduralen Wissens – zurücktritt. Die
- kreative Intelligenz
praktische Intelligenz (▶ Exkurs „O-Ton Sternberg
(1986, S. 223)“).

16 Bewährungsprobe für ein Gelingen des Zusammenspiels Mit dieser triarchischen Theorie versteht er Intelligenz als
von Intelligenz und Wissen erfolgt nach Ackerman in kom- dynamisches Konstrukt und berücksichtigt Kontextein-
17 plexen, praktischen Situationen – eine Annahme, die sich flüsse. Praktische Intelligenz wird als die Fähigkeit ver-
analog auch in Sternbergs triarchischer Theorie der Intel- standen, mit realen Problemen erfolgreich umzugehen.
ligenz mit der Betonung des Konzepts der „praktischen Sternberg (1988) unterscheidet dabei akademisches und
18 Intelligenz“ findet. praktisches Wissen. Praktisches Wissen (von Sternberg als
„tacit knowledge“ deklariert) ist erfahrungsabhängiges, an
19 einen bestimmten Kontext gebundenes prozedurales Wis-
2.3.3 Triarchische Theorie der Intelligenz sen, das oftmals nicht verbalisiert werden kann, das zu-
20 und praktische Intelligenz – meist ohne explizite instruktionale Unterstützung aus dem
Robert Sternbergs Sicht auf sozialen Umfeld angeeignet wird, und das einen Menschen
das Zusammenspiel von Intelligenz befähigt, situationsabhängig „richtig“ zu handeln.
21 und Wissen Nach Sternberg (1998, S. 157) sind

22 Mit dem expliziten Anliegen, den Informationsverarbei- » … Menschen mit der höchsten Erfolgsintelligenz nicht
tungsansatz kognitiver Intelligenztheorien mit dem psycho- notwendigerweise jene mit der höchsten Intelligenz
2.4  •  Messung von Intelligenz und Wissen
39 2

Aufgaben zu bearbeiten sind. Die häufigsten Aufgabenty-

--
in allen drei Formen. Vielmehr sind sie – in Schule und
Beruf – in der Lage, ihre Stärken optimal zu nutzen, ihre pen sind:
Sätze ergänzen

--
Schwächen zu kompensieren und aus ihren Fähigkei-
ten das Beste zu machen. Analogien bilden
Gemeinsamkeiten finden
Das heißt, dass man dann hohe Erfolgsintelligenz besitzt,
wenn man weiß, wann und wie verfügbare Ressourcen
-
Zahlenreihen fortsetzen
Figuren auswählen, die zu einer Reihe vorgegebener
effektiv einzusetzen sind. Praktische Intelligenz wird
dementsprechend nicht über Testverfahren mit Aufgaben
--Figuren passen
mentale Rotation
erfasst, die wohl definiert, linear und nicht in spezifische
Kontexte eingebettet sind, sondern über Verfahren, die die
--
Rechenaufgaben ohne verbalen Anteil
Vorzeichenaufgaben
Fähigkeit testen sollen, Wissen in relevanten Situationen
anzuwenden. Dabei sind zumeist Probleme zu bearbeiten,
die schlecht definiert, nicht linear und in spezifische situ-
ationale Kontexte eingebettet sind. Natürlich gab es gute
--
Vokabularkenntnis
Sprachverständnis
logische Schlussfolgerung.

Gründe, weshalb solche Aufgaben in der Intelligenzfor- In der Praxis lassen sich Intelligenztests in Tests für Kinder
schung vermieden wurden. Kessels und Korthagen (1996) und Jugendliche sowie für Erwachsene unterteilen. Es gibt
führten die Debatte auf die epistemologische Überzeugung Tests, die vorwiegend auf sprachabhängige Leistungen ab-
in großen Teilen der Wissenschaft zurück, abstraktes Wis- zielen, und Tests, die relativ sprachfern sind, Tests, die nur
sen als höherwertig anzusehen als konkrete Fertigkeiten einen Intelligenzaspekt abdecken, und Tests, die verschie-
oder „tacit knowledge of good performance“. Dies verweist dene Aspekte messen, Tests, die in Gruppen durchgeführt
auf interessante Folgerungen für die Messung von Intelli- werden können, und Tests, die einzeln angewandt werden.
genz und Wissen. Die Vielzahl der vorhandenen Tests macht eine voll-
ständige Aufzählung unmöglich. Trotzdem werden in
. Tab. 2.1 exemplarisch einige häufig eingesetzte Intelli-
2.4 Messung von Intelligenz und Wissen genztests genannt und kurz erläutert. Eine vollständige,
stets aktualisierte Darstellung ist unter ▶ http://www.test-
In diesem Abschnitt wollen wir grundlegende Möglich- zentrale.de abrufbar.
keiten und Unterschiede in der Messung von Intelligenz
und Wissen ansprechen, die das in den vorausgehenden
Abschnitten aufgezeigte Spannungsfeld zwischen beiden 2.4.2 Messung von praktischer Intelligenz
Themen widerspiegeln. Es geht also eher um Überblicks-
wissen über Standardverfahren und innovative Ansätze in Die am weitesten reichenden Vorstellungen über die em-
der Intelligenzmessung sowie um einen Überblick über pirische Erfassung von praktischer Intelligenz fokussieren
Methoden der Wissensdiagnostik als um eine umfangrei- Wege zur Messung von Tacit Knowledge – womit diese
che Abhandlung der pädagogisch-psychologischen Diag- Verfahren bereits im Grenzbereich zur Messung von Wis-
nostik (▶ Kap. 13).
Das Bonmot, Intelligenz sei das, was der Intelligenztest
-
sen liegen. Die Verfahren fokussieren folgende Aspekte:
Konstruktion konzeptueller Modelle über Interviews
messe, verweist auf ein ernstes wissenschaftliches Phäno-
men, dass nämlich die Messung theoretischer Konstrukte
- und Protokolle lauten Denkens
Durchführung qualitativer Interviews mit erfolgrei-
eng mit ihrer theoretischen Konzeption zusammenhängt.
Führen wir uns die geschilderte Dominanz psychometri-
- chen Berufstätigen
Einschätzung arbeitsverbundener Situationen und
scher Intelligenztheorien vor Augen, ist es nicht erstaun-
lich, dass die Mehrzahl der Messverfahren für Intelligenz
auf psychometrischen Annahmen beruht. - ihrer Relevanz durch erfolgreiche Berufstätige
Beschreibung der Gestaltung einer idealen statt der
eigenen tatsächlichen Arbeitsumgebung.

Eteläpelto (1993) plädiert insbesondere für die Methode


2.4.1 Messung von Intelligenz mit der Konstruktion konzeptueller Modelle, da mit ihnen
psychometrischer Tradition die subjektive Natur praktischer Intelligenz erfasst wer-
den kann. Beim Einsatz von Strukturlegetechniken und
Bei Intelligenzverfahren, die auf einer psychometrischen Mapping-Techniken sind dann nicht alle Begriffe vom
Theorie gründen, handelt es sich in der Regel um Tests, Versuchsleiter vorzugeben, sondern die Versuchspersonen
bei denen – meist unter Zeitbeschränkung – relativ kurze erhalten Freiraum zur eigenen Gestaltung von Begriffen.
40 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

1 .. Tab. 2.1  Überblick über häufig eingesetzte psychometrische Intelligenztests im deutschsprachigen Raum

Test Abkürzung Kurzbeschreibung


2 Raven-Matrizen-Test: Advanced APM Zweifaktorenmodell von Spearman, sprachfreie Erfassung des Intelligenzpotenzials
Progressive Matrices
3 Berliner Intelligenzstruktur-Test BIS Vielfalt und Breite von Intelligenzleistungen (45 Aufgabentypen)

Hannover-Wechsler-Intelligenz- HAWIVA Intelligenzmodell von Wechsler. Erfassung allgemeiner und spezifischer Fähigkei-
4 test für das Vorschulalter ten bei Kindern im Vorschulalter

Hamburg-Wechsler-Intelligenz- HAWIK Nach Intelligenzmodell und WISC-Test von Wechsler: Je fünf Untertests zum

5 test für Kinder „Handlungsteil“ (Bilderergänzen, Zahlen-Symbol-Test, Bilderordnen, Mosaiktest,


Figurenlegen) und zum „Verbalteil“ (allgemeines Wissen, Gemeinsamkeiten finden,
rechnerisches Denken, Wortschatztest, allgemeines Verständnis). Ferner Untertests
6 Zahlennachsprechen, Symboltest, Labyrinthtest

Hamburg-Wechsler-Intelligenz- HAWIE Intelligenzmodell von Wechsler, Messung der allgemeinen, der sprachlichen und

7 test für Erwachsene Handlungsintelligenz; Profilanalyse

Intelligenz-Struktur-Test 70 IST-70 Intelligenzstruktur als Gefüge aus sprachlichen und rechnerischen Fähigkeiten,
räumlichem Vorstellungsvermögen und Merkfähigkeit; Profilanalyse vor allem für
8 Eignungsdiagnostik

Kognitiver Fähigkeits-Test KFT Kognitive Fähigkeiten (vor allem für schulisches Lernen) in den Bereichen sprach-
9 liches Denken, quantitative (numerische) Fähigkeiten und anschauungsgebun-
denes (figurales) Denken; Fokus auf Verarbeitungskapazität im Sinne des Berliner
Intelligenzstrukturmodells
10 Leistungsprüfsystem LPS Intelligenzmodell von Thurstone, Analyse der Intelligenzarten, Ermittlung der
Begabungsstruktur

11 Raven Matrizen Test: Standard SPM Zweifaktorenmodell von Spearman, Erfassung des g-Faktors
Progressive Matrices

12
Zur Erfassung von Tacit Knowledge setzten Wagner Interviews.  Als eine auch bei Kindern im Grundschulal-
und Sternberg (1986) qualitative Interviews erfolgreicher ter verwendbare Methode, um konzeptuelles Wissen zu
13 Berufstätiger sowie ein Verfahren ein, bei dem kompe- erheben, beschreibt Vosniadou (1994) mündliche Inter-
tente Versuchspersonen eine Einschätzung arbeitsrele- views. Sie plädiert für möglichst offene Transferfragen und
14 vanter Situationen vornehmen mussten. Zu einer Reihe schlägt vor, dass die Interviews nicht auf verbale Daten be-
von Situationen gab es jeweils zwischen 6 und 20 vorge- schränkt bleiben, sondern dass beispielsweise auch Zeich-
15 gebene Antwortmöglichkeiten unterschiedlicher Qua- nungen oder Diagramme erfasst werden sollten. Interviews
lität. Jede Antwortmöglichkeit musste auf einer Skala wurden und werden jedoch in der Forschung nur selten
eingeschätzt werden, die von „vollkommen unwichtig“ verwendet. Dies liegt u. a. daran, dass die Durchführung,
16 bis „extrem wichtig“ reichte. Analog sollte in derselben die qualitative Auswertung und die quantitative Kodierung
Studie in einem weiteren Verfahren eine Einschätzung für der Antworten aufwendig sind. Außerdem ist die Objek-
17 eine ideale statt der eigenen Arbeitsumgebung abgegeben tivität durch die direkte Interaktion zwischen Interviewer
werden. und Interviewtem sowie die notwendige Kodierung der
Antworten in der Regel niedriger als bei Fragebogen.
18
2.4.3 Messung von Wissen Concept Maps.  Concept Maps greifen die oben genannte
19 Idee der grafischen Erfassung von Wissen auf. Sie werden
Die klassische Form der Wissensdiagnostik besteht in der häufig in Form von Netzwerkdarstellungen eingesetzt.
20 Ermittlung des Faktenwissens durch – oft über Multiple- Die einfachste Möglichkeit besteht darin, Probanden
Choice-Fragen gestaltete – Wissenstests. Die Darstellung selbstständig ein konzeptuelles Netzwerk zeichnen oder
der Verfahren zur Messung von praktischer Intelligenz ein teilweise vorgegebenes vervollständigen zu lassen.
21 deutete bereits an, dass mit der Differenzierung des Wis- Komplexere Formen basieren auf computerunterstützten
sensbegriffs eine nahezu unbegrenzte Vielfalt von Messver- Verfahren und haben sich in der Erfassung und Diagnose
22 fahren entwickelt werden kann. Die folgende Darstellung komplexer Wissensstrukturen bewährt (Eckert, 2000).
kann nur eine Ahnung dieser Vielfalt vermitteln. Mapping-Verfahren werden zunehmend auch zur Simula-
2.5  •  Intelligenter Wissenserwerb im Studium
41 2

tion und Vorhersage hypothetisch angenommen Wissens Interaktionen zeigt, ob als wichtig angenommene Verhal-
eingesetzt, etwa im Verfahren des „knowledge tracking“ tensweisen sich tatsächlich in der professionellen Tätigkeit
(Janetzko & Strube, 2000). bewähren.

Netzwerkanalysen.  Der Einsatz von Netzwerktechniken


liegt insbesondere dann nahe, wenn die Verbreitung von 2.5 Intelligenter Wissenserwerb
Wissen in sozialen Strukturen (beispielsweise in Teams, im Studium– Auch eine Frage
in Unternehmen oder in Staaten) analysiert werden soll. der epistemologischen
Mithilfe „sozialer Netzwerkanalysen“ werden Relationen Überzeugungen von Dozierenden?
zwischen allen Akteuren der untersuchten Strukturen er-
fasst, sodass die Position eines Individuums in der Struk- In diesem Kapitel wurden einerseits grundlegende Unter-
tur analysiert werden kann. Da in der Expertiseforschung schiede in der Forschung zu Intelligenz und zu Vorwissen
das Entstehen von hohem Expertisegrad zunehmend als skizziert, andererseits wurde nachgezeichnet, wie in eini-
Kombination individueller Exzellenz und sozialer Aner- gen Theorien versucht wird, einen Zusammenhang zwi-
kennung gesehen wird, gewinnen Netzwerkanalysen als schen beiden Forschungsbereichen herzustellen. Ein sol-
diagnostische Verfahren rasch an Bedeutung (Rehrl & ches Zusammenspiel ist zwangsläufig, soll es die Potenziale
Gruber, 2007). beider Gebiete nutzen, komplex und anspruchsvoll. Die
Anforderungen, die an den Erwerb „intelligenten Wissens“
Komplexe Simulationen.  Der Einsatz komplexer Simulati- gestellt werden, sind hoch, und leider ist die pädagogisch-
onen zur Erfassung prozeduralen Wissens ist im Fall der psychologische Praxis voll von misslungenen Versuchen.
Pilotenausbildung allgemein bekannt; Flugsimulatoren Dies gilt selbst für jene Lehr-Lern-Orte, an denen beson-
sollen die Authentizität realer Situationen herstellen, so- ders intelligente und wissensreiche Diskussionen geführt
dass – ohne objektives Risiko – die Fähigkeiten und Fer- werden sollten, für Universitäten. Die Arbeitsgruppe um
tigkeiten der angehenden Piloten getestet werden können. Mandl (Mandl, Gruber & Renkl, 1994) lieferte empirische
Simulationen finden in der Messung von Wissen in solchen Belege dafür, dass auch Studierende das Wissen, das sie
Bereichen besonderen Zuspruch, die ein erhebliches Risiko in bestimmten Kontexten in der Universität erwarben, oft
mit sich bringen (z. B. in der medizinischen Ausbildung) nicht in anderen Situationen oder bei anderen Problem-
oder die motorische Komponenten beinhalten (z. B. Fuß- stellungen anwenden können, weil ihr erworbenes Wis-
ball; Ward, Williams & Hancock, 2006). Sie werden jedoch sen „träge“ bleibt, also an die Lernsituation gebunden und
zunehmend auch zur Erfassung konzeptuellen Wissens nicht flexibel einsetzbar ist. Eine denkbare Abhilfe verhei-
eingesetzt, etwa im betriebswirtschaftlichen Bereich bei ßen konstruktivistisch orientierte Lehr-Lern-Konzepte, in
der Leitung von Unternehmen. denen auf Authentizität, auf Aktivierung der Lernenden,
auf das Erwecken von Interesse und auf Lernprozesse in
Lautes Denken.  Eine der bevorzugten wissensdiagnosti- anwendungsnahen Situationen Wert gelegt wird (▶ Kap. 1).
schen Analysemethoden im Informationsverarbeitungsan- Abschließend wollen wir ein mögliches Hindernis „in-
satz besteht in der Erhebung und Analyse von Protokollen telligenten Wissenserwerbs“ erwähnen. Wie wir zeigten,
lauten Denkens. Dass diese zunächst als introspektiv be- gewann die Forschung über epistemologische Überzeu-
zeichnete Methode unter bestimmten Bedingungen zu- gungen in den letzten Jahren enorm an Bedeutung, weil
verlässige Ergebnisse liefert, wiesen Ericsson und Simon die individuelle Epistemologie als eine wichtige Grundlage
(1993) nach. Sie zeigten, dass simultane, untergeordnete der Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen
und unspezifische Verbalisierung den besten Schutz vor erkannt wurde. Die Relevanz epistemologischer Über-
introspektiver Verzerrung bietet. Verbale Berichte erteilen zeugungen zeigt sich aber nicht nur bei den Lernenden,
dann genügend zuverlässige Auskunft über kognitive Pro- sondern auch bei denen, die das Lernen in Gang setzen
zesse und Strukturen. sollen, bei den Lehrenden. Lehrende, die anerkennen, dass
In einer Übersicht über die Entwicklung wissensdi- Lernende über bestimmte epistemologische Überzeugun-
agnostischer Methoden plädieren Hoffman und Lintern gen verfügen und diese zur Grundlage von Lernentschei-
(2006) dafür, Mut zum Einsatz neuer, bislang ungewohn- dungen machen, sehen die Lernenden mit anderen Augen
ter Verfahren zu besitzen. Karriere-Tiefeninterviews ver- (Hasanbegovic, Gruber, Rehrl & Bauer, 2006). Es gelingt
sprechen ihrer Ansicht nach wichtige Auskunft über die ihnen einfacher, Stärken und Schwächen und damit den
Breite und Tiefe der Erfahrung einer Person, die Untersu- Förderungsbedarf der Lernenden zu erkennen und die
chung von „professional standards“ gewährt eine Einsicht Lernsituation angemessen zu gestalten. Die epistemologi-
darüber, was zum Erreichen einer beruflichen (Spitzen-) schen Überzeugungen von Lehrenden beeinflussen zudem
Position notwendig ist, die Analyse beruflicher sozialer die Ausgestaltung ihrer Lehrangebote (Gruber, Harteis,
42 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

Hasanbegovic & Lehner, 2007; Tenenbaum, Naidu, Jegede Vertiefende Literatur


1 & Austin, 2001). Anderson, J. R. (1996). Kognitive Psychologie (2. Aufl.). Heidelberg: Spek-
trum.
Die Einführung von E-Learning und virtuellen Lern-
Gruber, H., Mack, W. & Ziegler, A. (Hrsg.). (1999). Wissen und Denken.
2 plattformen in der Hochschullehre verändert im Prinzip Beiträge aus Problemlösepsychologie und Wissenspsychologie. Wies-
radikal die damit implizierte Art des Lernens Studie- baden: Deutscher Universitäts-Verlag.
render, etwa in Richtung einer größeren Bedeutung von
3 Selbststeuerungsaktivitäten. Inwiefern sich aber die epi-
Sternberg, R. J., Kaufman, J. C. & Grigorenko, E. L. (2008). Applied intelli-
gence. Cambridge: Cambridge University Press.
stemologischen Überzeugungen von Lehrenden bereits
4 entsprechend geändert haben, wurde bislang noch kaum
untersucht; sollte dies nicht der Fall sein, wird das Poten- Literatur

5 zial von E-Learning wahrscheinlich nicht überzeugend


Ackerman, P. L. (1987). Individual differences in skill learning: An inte-
genutzt. Bislang jedenfalls wird die Diskussion über den
gration of psychometric and information processing perspectives.
Einsatz von E-Learning zur Lösung von Problemen der
6 Hochschullehre vornehmlich aus technologischer Perspek-
Psychological Bulletin, 102, 3–27.
Ackerman, P. L. (1992). Predicting individual differences in complex skill
tive geführt, Analysen über die pädagogische und didakti- acquisition: Dynamics of ability determinants. Journal of Applied
7 sche Integration sowie über die veränderte Rolle Lehrender Psychology, 77, 598–614.
Ackerman, P. L. (1996). Theory of adult intellectual development: Pro-
sind rar. Gerade in der Praxis der virtuellen Hochschul-
cess, personality, interests, and knowledge. Intelligence, 22, 227–
lehre ist oft zu beobachten, dass traditionelle Lehr-Lern-
8 Modelle weitgehend unverändert auf E-Learning übertra-
257.
Anderson, J. R. (1982). Acquisition of cognitive skill. Psychological Review,
gen werden (Astleitner, 2000). 89, 369–406.
9 „Intelligenter Wissenserwerb“ – ein anspruchsvolles Asendorpf, J. B. (2002). Emotionale Intelligenz nein, emotionale Kompe-
Vorhaben nicht nur für Lernende, sondern auch für ihre tenzen ja. Zeitschrift für Personalpsychologie, 1, 180–181.
Asendorpf, J. B., & Neyer, F. J. (2012). Psychologie der Persönlichkeit (5.
10 Lehrenden!
Aufl.). Berlin Heidelberg: Springer.
Astleitner, H. (2000). Qualität von web‐basierter Instruktion: Was wissen

11
wir aus der experimentellen Forschung? In F. Scheuermann (Hrsg.),
Fazit Campus 2000. Lernen in neuen Organisationsformen (S. 15–39).
Mit den Ausführungen in diesem Kapitel wurde aufge- Münster: Waxmann.

12 zeigt, dass die Unterstützung intelligenten Wissenser-


werbs es voraussetzt, dass zum einen Lernprozesse neu
Bar-On, R. (2000). Emotional and social intelligence. Insights from the
Emotional Quotient Inventory. In R. Bar-On, & J. D. A. Parker (Hrsg.),
The handbook of emotional intelligence. Theory, development, as-
konzipiert werden und zum anderen auch die Ziele des
13 Lernens zu verändern sind. Der Erwerb von Faktenwis-
sessment, and application at home, school, and in the workplace (S.
363–388). San Francisco: Jossey‐Bass.
sen kann nicht mehr vorrangiges Ziel sein, wenn die Binet, A., & Simon, T. (1905). Methodes nouvelles pour la diagnostic
14 Wissensvielfalt angestrebt wird, die zur Beschreibung du niveau intellectuel des anormeaux. Année Psychologique, 11,
191–244.
von Expertenhandeln identifiziert wurde. Allerdings
Buelens, H., Clement, M., & Clarebout, G. (2002). University assistants’
müssen pädagogisch-psychologische Instruktionsan-
15 sätze auch anerkennen, dass der Erwerb (umfangrei-
conceptions of knowledge, learning and instruction. Research in
Education, 67, 44–57.
chen) deklarativen Faktenwissens eine notwendige Cattell, R. B. (1963). Theory of fluid and crystallized intelligence: A critical
16 Voraussetzung für erfolgreiche Prozeduralisierungspro- experiment. Journal of Educational Psychology, 54, 1–22.
zesse darstellt – aber eben nicht das Ende der Wissens- Cattell, R. B. (1971). Abilities: Their structure, growth, and action. Boston:
Houghton Mifflin.
17 erwerbsfahnenstange!
Ceci, S. J., & Liker, J. K. (1986). A day at the races: A study of IQ, exper-
tise, and cognitive complexity. Journal of Experimental Psychology:
General, 115, 255–266.
18 Verständnisfragen
Chase, W. G., & Simon, H. A. (1973). Perception in chess. Cognitive Psy-
chology, 4, 55–81.
1. Warum ist umfangreiches Vorwissen bei der Bewältigung
19
Chi, M. T. H. (1978). Knowledge structures and memory development.
komplexer, authentischer Probleme von Bedeutung? In R. S. Siegler (Hrsg.), Children’s thinking: What develops? (S. 73–96).
2. Welcher ist der Gegenstand der Informationsverarbei- Hillsdale: Erlbaum.

20 tungstheorie? Dann, H.-D. (1994). Pädagogisches Verstehen: Subjektive Theorien und


erfolgreiches Handeln von Lehrkräften. In K. Reusser, & M. Reusser-
3. Was wird in Ackermans Theorie der „ability determinants
Weyeneth (Hrsg.), Verstehen. Psychologischer Prozess und didaktische
of skilled performance“ beschrieben?
21 4. Wie wird praktische Intelligenz nach Sternberg definiert?
Aufgabe (S. 163–183). Bern: Huber.
De Jong, T., & Ferguson-Hessler, M. G. M. (1996). Types and qualities of
5. Warum spielen epistemologische Überzeugungen von knowledge. Educational Psychologist, 31, 105–113.
22 Lernenden eine wichtige Rolle bei der Ausübung der Tä- Dörner, D. (1979). Problemlösen als Informationsverarbeitung. Stuttgart:
Kohlhammer.
tigkeit von Lehrenden?
Literatur
43 2
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Umgang mit Unbestimmtheit und Komplexität. Bern: Huber. chology of beliefs about knowledge and knowing. Mahwah: Erlbaum.
Eckert, A. (2000). Die Netzwerk‐Elaborierungs‐Technik (NET). Ein compu- Hoffman, R. R., & Lintern, G. (2006). Eliciting and representing the know-
terunterstütztes Verfahren zur Diagnose komplexer Wissensstruk- ledge of experts. In K. A. Ericsson, N. Charness, P. J. Feltovich, & R. R.
turen. In H. Mandl, & F. Fischer (Hrsg.), Wissen sichtbar machen. Wis- Hoffman (Hrsg.), Handbook on expertise and expert performance (S.
sensmanagement mit Mapping‐Techniken (S. 137–157). Göttingen: 203–222). Cambridge: Cambridge University Press.
Hogrefe. Jäger, A. O., Süß, H.-M., & Beauducel, A. (1997). Der Berliner Intelligenz-
Ericsson, K. A., & Simon, H. A. (1993). Protocol analysis. Verbal reports as struktur Test (BIS‐Test; Form 4). Göttingen: Hogrefe.
data. Cambridge: MIT Press. rev. edn. Janetzko, D., & Strube, G. (2000). Knowledge Tracking. Eine neue Me-
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44 Kapitel 2 • Intelligenz und Vorwissen

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45 3

Selbstregulation
und selbstreguliertes Lernen
Meike Landmann, Franziska Perels, Barbara Otto,
Kathleen Schnick-Vollmer, Bernhard Schmitz

3.1 Begriffsbestimmung „Selbstreguliertes Lernen“ – 46


3.2 Modelle der Selbstregulation  –  46
3.2.1 Prozessorientierte Modelle der Selbstregulation  –  47
3.2.2 Schichtenmodelle der Selbstregulation  –  50

3.3 Diagnostik von Selbstregulation  –  52


3.3.1 Fragebogen – 52
3.3.2 Lerntagebücher – 54
3.3.3 Interviews – 54
3.3.4 Beobachtungsverfahren – 55
3.3.5 Denkprotokolle – 57

3.4 Förderung von Selbstregulation  –  57


3.4.1 Gestaltung und Optimierung von Trainingsmaßnahmen
zur Förderung von Selbstregulation  –  58
3.4.2 Exemplarische Beschreibung von Trainingsmaßnahmen  –  60

3.5 Ausblick – 63
Literatur – 64

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
46 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gedan-


1 ken, Emotionen und Handlungen zielgerichtet zu steuern (vgl.
Zimmerman, 2000). Sie ist Grundvoraussetzung, um sich Ziele
2 setzen und erreichen zu können. Dies gilt für alle Lebensbe-
reiche; für den Sport gleichermaßen wie für das Berufsleben,

3 für die Freizeit ebenso wie für Schule und Studium. Unerläss-
lich sind selbstregulative Kompetenzen auch im schulischen
Alltag. In diesem Zusammenhang sprechen wir von selbstre-
4 guliertem Lernen. Die Entwicklung der Fähigkeit zum eigen-
verantwortlichen, selbstregulierten Lernen wird neben der
5 Vermittlung von Fachwissen als eine der Hauptaufgaben der
Bildung und Erziehung junger Menschen gesehen. Aufgrund
schnell veraltenden Wissens (z. B. Informationstechnik) und
6 einer durch die Globalisierung bedingten Wissensexplosion
ist es wichtig, dass Schüler lernen, wie sie sich neues Wissen
7 selbstständig aneignen können. Vor allem Lernsituationen
jenseits formaler Unterrichtssequenzen (wie z. B. das Lernen

8 für eine Klassenarbeit) erfordern von Schülern Lernkompeten-


zen, die es möglich machen, den Lernprozess selbstständig
zu strukturieren und zu reflektieren. Zahlreiche empirische
9 Studien (z. B. Zimmerman, 1994; Schmitz, 2001c; Otto, 2007a;
Souvignier, Streblow, Holodynski & Schiefele, 2007; Perels,
10 2007), die darauf abzielen, selbstreguliertes Lernen zu för-
dern, zeigen, dass der Selbstregulation als Schlüsselkompe-
tenz eine bedeutende Rolle in allen Lernsituationen zukommt.
11 Die theoretische Modellierung des Konstrukts Selbstregula- .. Abb. 3.1 
tion ist Grundvoraussetzung für die Diagnostik der Selbstre-
12 gulation und entsprechende Interventionen. Infolgedessen 1. kognitive Komponenten: betreffen die Informati-
stellt das vorliegende Kapitel zunächst ausgewählte Modelle onsverarbeitung, das konzeptionelle und strategische
Wissen sowie die Fähigkeit, entsprechende Strategien
13 der Selbstregulation und des selbstregulierten Lernens vor.
Es folgt eine Darstellung von Verfahren zur Diagnostik von (z. B. kognitive ▶  Lernstrategien; vgl. ▶ Abschn. 3.2,
Selbstregulation und daran anschließend von Ansätzen zur ▶ Exkurs „Lernstrategien“) anzuwenden;
14 Förderung selbstregulierten Lernens. Das Kapitel endet mit 2. motivationale Komponenten: Aktivitäten, die der In-
einem Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder und prakti- itiierung (z. B. Selbstmotivierung) und dem Aufrecht-
15 sche Herausforderungen (. Abb. 3.1). erhalten (volitionale Steuerung) des Lernens dienen,
sowie handlungsfördernde Attributionen von Erfolgen
und Misserfolgen und Selbstwirksamkeitsüberzeu-
16 3.1 Begriffsbestimmung gung;
„Selbstreguliertes Lernen“ 3. metakognitive Komponenten: Planung, Selbstbeob-
17 achtung, Reflexion und adaptive Anpassung des Lern-
Der Begriff des selbstregulierten Lernens („self-regulated verhaltens in Bezug auf das angestrebte Lernziel.
learning“) wird in der Literatur bereits seit einigen Jahr-
18 zehnten diskutiert. Er wird häufig synonym mit Begriffen
wie selbstgesteuertes Lernen („self-directed learning“), 3.2 Modelle der Selbstregulation
19 selbstbestimmtes Lernen („self-determined learning“),
selbstorganisiertes Lernen oder autonomes Lernen ver- In den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Modelle zur
20 wendet. Diese Begrifflichkeiten bezeichnen letztendlich alle Selbstregulation entwickelt. Diese Modelle werden benö-
das vom Lernenden aktiv initiierte Vorgehen, das eigene tigt, um in einem weiteren Schritt den theoretischen Hin-
Lernverhalten unter Einsatz von verschiedenen Strategien tergrund sowohl für die Diagnostik als auch die Förderung
21 zu steuern und zu regulieren. Den zahlreichen Definitionen selbstregulatorischer Kompetenzen (▶ Abschn. 3.3 und
(z. B. Friedrich & Mandl, 1997; Schiefele & Pekrun, 1996; ▶ Abschn. 3.4) zu bilden (vgl. Wirth & Leutner, 2008). Sie
22 Zimmerman, 2000) ist gemeinsam, dass drei Komponenten lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen: Zum einen die
selbstregulierten Lernens unterschieden werden: sogenannten Prozessmodelle (z. B. Pintrich, 2000; Schmitz,
3.2  •  Modelle der Selbstregulation
47 3

Exkurs  |       | 

Lernstrategien
Der Einsatz verschiedener Lernstrate- Prüfen) unterscheiden. Während der gesamten Lernprozess zu überwachen.
gien ist der Kern des selbstregulierten Einsatz der Oberflächenstrategien ledig- Hierunter werden z. B. die Selbstreflexion
Lernens. Im Wesentlichen werden drei lich dem Faktenlernen dient, führt der und Selbstbewertung gefasst.
Arten von Lernstrategien unterschieden: Einsatz von Tiefenstrategien zu einem gut Ressourcenorientierte Lernstrate-
kognitive, metakognitive und ressour- verankerten Wissen. Hier wird versucht gien bilden – wie der Name schließen
cenorientierte Lernstrategien. Die ersten Lerninhalte zu verstehen, indem sie bei- lässt – die Ressourcen ab, auf die der
beiden werden auch als Primär-, letztere spielsweise strukturiert oder an bereits Lernende zugreifen kann. Hier werden
als Sekundärstrategien bezeichnet (vgl. bestehendes Vorwissen angeknüpft internale Strategien wie Anstrengung,
Wild, 2000). Die kognitiven Strategien werden. Aufmerksamkeit und Konzentration und
beschreiben den Umgang mit einem Metakognitive Strategien lassen sich als externale Ressourcen wie eine geeignete
einzelnen Lerninhalt. Sie lassen sich in sogenannte Kontrollstrategien bezeich- Lernumgebung, soziale Unterstützung
sogenannte Oberflächen- (Wiederho- nen. Sie zielen in erster Linie darauf ab, oder beispielsweise das Vorhandensein
lungsstrategien) und Tiefenstrategien die Richtigkeit und den Einsatz der kog- von Literatur differenziert (s. auch ▶ Ab-
(organisieren, elaborieren und kritisches nitiven Strategien zu überprüfen und den schn. 3.3.1).

2001; Zimmerman, 2000) und zum anderen die Schich- Temperatur eingestellt (Soll-Wert) und misst fortwährend
tenmodelle (z. B. Boekaerts, 1999; Landmann & Schmitz, (Zustandsmonitoring) die aktuelle Raumtemperatur (Ist-
2007a; Boekaerts & Niemivirta, 2000). Erstere fokussieren Zustand). Im Falle einer negativen Diskrepanz (d. h. zu
den phasen- oder prozessbezogenen Charakter der Selbst- kühler Raumtemperatur) wird geheizt. Bei Erreichen der
regulation. Letztere betonen die verschiedenen (Selbst-) gewünschten Temperatur wird die Wärmezufuhr einge-
Regulationsebenen. Gemeinsamkeiten und Unterschiede stellt, da keine Differenz zwischen Ist-Zustand und Soll-
zwischen diesen Zugangsweisen werden im Folgenden Wert mehr vorliegt.
anhand ausgewählter Modelle illustriert. Um die Modelle Der hier beschriebene Zyklus lässt sich leicht auf
verständlicher und greifbarer zu machen, unterstützt an menschliches Verhalten – so auch auf die Selbstregulation
dieser Stelle der ▶ Exkurs über die Bedeutung verschiedener – übertragen. Die in den letzten beiden Jahrzehnten her-
Lernstrategien. vorgebrachten Prozessmodelle der Selbstregulation bauten
aufeinander auf und wurden durch die Berücksichtigung
weiterer Annahmen und Konstrukte zunehmend differen-
3.2.1 Prozessorientierte Modelle zierter. Beispielsweise griff Zimmerman (2000) in seinem
der Selbstregulation Modell grundlegende Überlegungen von Bandura (1991)
auf, betonte jedoch stärker als dieser den kreisförmigen
Das allgemeine Prozessmodell und adaptiven Charakter von Selbstregulation.
Prozess- oder phasenbezogene Modelle betrachten die
Selbstregulation als einen iterativen, also schrittweisen, Beispiel  |       | 
regelkreisähnlichen Prozess. Dieser Prozess lässt sich in
verschiedene Etappen gliedern. Er folgt letztlich einem Da selbstreguliertes Verhalten zahlreiche Aspekte
Grundmuster, das bereits Mitte des letzten Jahrhunderts menschlichen Handelns betrifft (z. B. die Aneignung
im allgemeinen ▶  kybernetischen Modell von Wiener gesundheitsförderlichen Verhaltens, die Einübung
(1948) beschrieben wurde. In dessen einfachem Regel- motorischer Handlungsabläufe, die Optimierung des
kreismodell wird ein aktueller Ist-Zustand mit einem Arbeits- und Lernverhaltens usw.), gibt es Modelle, die
angestrebten Soll-Wert verglichen. Eine Feedbackschleife Selbstregulation im Zusammenhang mit einem spezi-
meldet das Ergebnis an das System zurück. Im Falle einer ellen Kontext beschreiben. Das selbstregulierte Lernen
Übereinstimmung der beiden Werte erfolgt keine regu- nimmt hierbei eine besondere Wichtigkeit ein: Lernen
lierende Aktion. Im Falle einer Diskrepanz zwischen den bezieht sich bei Weitem nicht nur auf Schule und Stu-
beiden Werten werden regulative Handlungen ergriffen, dium; der Mensch lernt von der ersten Minute an sein
mit dem Ziel, den Ist-Zustand an den Soll-Wert anzu- ganzes Leben lang. Zudem ist menschliches Lernen
gleichen. Erst bei der Übereinstimmung des Ist-Zustands so lebensbereichsübergreifend wie kaum ein anderes
mit dem Soll-Wert werden die Regulationsmaßnahmen Verhalten.
eingestellt.
Ein häufig zitiertes Beispiel für diesen Mechanismus ist
der Heizungsthermostat. Dieser wird auf eine gewünschte
48 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

1
2
3
4
5
6
7
8
9
.. Abb. 3.2  Komponenten der Selbstregulation in der präaktionalen, der aktionalen und der postaktionalen Phase. (Nach Schmitz, B. & Schmidt,
M. (2007). Einführung in die Selbstregulation. In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.) Selbstregulation erfolgreich fördern. Praxisnahe Trainingspro-
10 gramme für effektives Lernen (S. 9–18). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags)

11 Prozessmodelle der Selbstregulation werden. Relevant für die Entscheidung sind Merkmale der
im Kontext des Lernens Aufgabe (interessant, aufwändig), der Situation (Antizipa-
12 Eine geeignete Darstellung, um Selbstregulation in den tion möglicher Störungen) und personelle Faktoren (z. B.
Kontext des Lernens zu stellen, bietet das Prozessmodell verfügbare Zeit, Befindlichkeit, Anstrengungsbereitschaft).
der Selbstregulation von Schmitz (Schmitz, Landmann & Nachfolgend werden die drei Phasen im Zusammen-
13 Perels, 2007; . Abb. 3.2). In diesem Modell werden drei hang mit dem selbstregulierten Lernen erläutert:
Phasen differenziert, die Schmitz in Anlehnung an Heck- 1. Die präaktionale Phase („forethought phase“) dient der
14 hausen (1989) und Gollwitzer (1990) als präaktional, Handlungsplanung bzw. der Lernvorbereitung. Ausge-
aktional und postaktional bezeichnet. Diese Phasen sind hend von der gegebenen Aufgabe, den Bedingungen der
15 letztlich als Bestandteil eines iterativen Prozesses zu sehen: Situation, den individuellen Überzeugungen des Lerners

-
Adaptives Handeln findet immer dann statt, wenn
präaktional Ziele gesetzt werden, deren Erreichung
und seinen emotionalen und motivationalen Vorausset-
zungen werden in dieser Phase Ziele definiert, Strategien

-
16 durch entsprechende Strategien in der zur Umsetzung der Ziele ausgewählt und entsprechende
aktionalen Phase angestrebt wird, und deren Bewer- Handlungen geplant. Grundlegende Aspekte dieser
17
18
- tungsprozesse in der
postaktionalen Phase zu eventuellen Modifikationen
führen (▶ Beispiel „Selbstreguliertes Lernen“).
Phase sind also die Aufgabenanalyse, die Zielsetzung
und -formulierung und das Herausbilden selbstmoti-
vierender Überzeugungen für die bevorstehende Lern-
handlung (etwa im Sinne von ▶  Selbstwirksamkeit).
Das Modell basiert auf den Überlegungen von Zimmer- Der resultierende Soll-Wert wird als Referenzgröße für
19 man (2000), führt diese jedoch in verschiedener Hinsicht zukünftiges Regulationsverhalten herangezogen.
weiter und trägt insbesondere der Beobachtung Rechnung, 2. Die sich anschließende aktionale Phase („performance
20 dass nicht bei jeder Aufgabenstellung (z. B. bei sehr einfa- or volitional control phase“) entspricht der eigentlichen
chen Aufgaben) explizite Selbstregulation notwendig ist Lernhandlung. Hier werden die ausgewählten Strategien
und die Vollständigkeit der Bearbeitung von Aufgaben va- umgesetzt und das Handeln überwacht und kontrolliert.
21 riiert. In dem Modell wird postuliert, dass Filter in der prä- Kernaspekte dieser Phase sind volitionale (also willent-
aktionalen Phase zu diesen Unterschieden führen. Diese liche) Prozesse, die der Aufrechterhaltung und Opti-
22 bilden implizite und explizite Entscheidungen ab, die vom mierung der Handlungsausführung dienen (z. B. An-
Lerner im Hinblick auf die Aufgabenbearbeitung getroffen strengungs- oder Konzentrationskontrolle). Weiterhin
3.2  •  Modelle der Selbstregulation
49 3

kommt der Selbstbeobachtung ein besonderer Stellen-


beginnt sie mit dem Lernen und setzt die geplanten
wert zu. Diese ermöglicht es, wesentliche Einflussgrößen
kognitiven Strategien ein. Sie liest die Strophe mehr-
und Wirkungen des eigenen Handelns zu beobachten
fach laut. Dann überprüft sie, ob sie an ihrem ursprüng-
und als Information für weitere Regulationsprozesse be-
lichen Plan festhält (Self-Monitoring): Sie erinnert sich,
reitzustellen. Erfolgreiches Lernen kann in dieser Phase
dass sie nach mehrfachem Ablesen das Buch seltener
an einer ausreichenden und effektiv genutzten Lernzeit
zur Hilfe nehmen wollte. So sieht Mia immer seltener in
sowie an einem situationsangemessenen Einsatz von all-
das Buch.
gemeinen (z. B. volitionalen) und aufgabenspezifischen
Postaktionale Phase: Nach einiger Zeit stellt sie fest,
(z. B. mathematischen) Strategien festgemacht werden.
dass sie noch nicht sehr viel auswendig gelernt hat. Sie
3. Die abschließende postaktionale Phase („self-reflec-
ist traurig (emotionale Reaktion, vgl. auch ▶ Kap. 9), ist
tion phase“) dient zum einen der Einschätzung der
aber auch angespornt, ihre Aufgabe zu beenden. An
Handlungsergebnisse und zum anderen dem Bilden
dieser Stelle hat sie die Möglichkeit, ihr Ziel oder ihre
von Schlussfolgerungen für zukünftiges Handeln.
Strategie zu modifizieren. Zweite präaktionale Phase:
Hauptkomponenten dieser Phase sind also die Be-
Mia merkt, dass das Gedicht einige Fremdwörter
wertung der erbrachten Leistung und der Abgleich
enthält, die es vorher zu klären gilt (Strategiemodifi-
mit dem in der Planungsphase gesetzten Ziel (Ist-Soll-
kation: erneute Planung kognitiver Lernstrategien).
Vergleich), die Reflexion über Ergebnisursachen und
Zweite aktionale Phase: Mia informiert sich über die
den gesamten Handlungsverlauf (z. B. Umgang mit
Bedeutung der Wörter, die ihr nicht klar sind. Da sie
Hindernissen, erfolgreiche Strategien) sowie das Bil-
den Zusammenhang des Gedichts nun besser versteht,
den von Schlussfolgerungen und Vorsätzen (im Sinne
kann sie die Strophe bald auswendig aufsagen. Mia
der Strategie- oder Zielmodifikation) im Hinblick auf
klappt das Buch zu und trägt die Strophe noch zweimal
die nächste Handlungsphase bzw. Lernsequenz. Reflek-
vor. Zweite postaktionale Phase: Sie stellt fest, dass sie
tionen in der postaktionalen Phase beeinflussen also
ihr Ziel erreicht hat. Sie attribuiert ihren Erfolg auf ihre
unmittelbar den Planungsprozess in der präaktionalen
Anstrengung und ist von daher sehr stolz. Das Errei-
Phase des folgenden Lernzyklus. Eine anschauliche Be-
chen dieses Ziels wiederum beeinflusst ihre Selbstwirk-
schreibung der drei Phasen bietet folgendes Beispiel:
samkeitserwartung bzgl. des nächsten Lernprozesses.

Beispiel  |       | 
Selbstreguliertes Lernen
Das Modell ist konform mit den Ergebnissen von Sitzmann
Mias Hausaufgabe besteht darin, innerhalb von drei
und Ely (2011), die im Rahmen ihrer Metaanalyse die Er-
Tagen ein Gedicht auswendig zu lernen. Präaktio-
folgsfaktoren selbstgesteuerten Lernens herauskristallisie-
nale Phase: Sie schlägt das Buch auf, analysiert die
ren konnten: Zielsetzung, Selbstwirksamkeit, Ausdauer
Aufgabe (Lernen eines Gedichts mit drei Strophen)
und Anstrengung.
und formuliert ihr Ziel (im Idealfall SMART: spezifisch,
Ein weiteres Modell, das geeignet ist, um Selbstregu-
messbar, angemessen, realistisch, terminiert; vgl. auch
lation im Kontext von Lernen darzustellen, stammt von
▶ Kap. 17): „Ich möchte jeden Tag neben den übrigen Pintrich (2000). Es unterscheidet sich von den bisher dar-
Hausaufgaben eine Strophe des Gedichts lernen.“
gestellten Modellen insofern, dass zum einen vier statt drei
Danach plant Mia, welche Vorgehensweise zum Erfolg
Phasen differenziert werden, da der Selbstüberwachung
führen könnte (Planung der kognitiven Lernstrategien):
bzw. Selbstbeobachtung eine separate Phase gewidmet ist:
„Dazu werde ich die Strophe mehrmals betont lesen
die Überwachungs- oder Monitoringphase. Somit besteht
und dann versuchen, während des Aufsagens immer
das Modell aus folgenden Phasen:
weniger in das Buch zu schauen.“ Mia ruft sich in Erin-
1. Planungs- und Aktivationsphase
nerung, dass sie, wenn sie ihre Aufgaben erledigt hat,
2. Überwachungs- oder Monitoringphase
ihre Freundin besuchen kann (Motivation, vgl. auch
3. Kontrollphase
▶ Kap. 7). Aus vorherigen Erfahrungen weiß sie, dass 4. Reaktions- und Reflexionsphase.
sie gut auswendig lernen kann (hohe Selbstwirksam-
keitserwartung, vgl. auch ▶ Kap. 8).
Zum anderen werden, bezogen auf jede der vier Phasen,
Während der aktionalen Phase verhält sich Mia ent-
vier Regulationsaspekte bzw. -bereiche unterschieden:
sprechend ihres Plans. Vorab prüft sie, ob ihr Schreib-
1. Kognition
tisch aufgeräumt und das Handy ausgeschaltet ist
2. Motivation/Affekt
(externale Ressource: geeignete Lernumgebung). Dann
3. Verhalten
4. Kontext.
50 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

1 .. Tab. 3.1  Phasen und Bereiche der Selbstregulation. (Modifiziert nach Pintrich, 2000, with permission from Elsevier)

A B C D
2 Phasen der Bereiche der Regulation
Regulation
3 Kognition Motivation/Affekt Verhalten Kontext

1 Voraussicht, – Ziele setzen – Zielorientierung – Planung von Zeit und – Wahrnehmung der
4 Planung,
Aktivierung
– Wissensaktivierung – Selbstwirksamkeitsein-
schätzung
Anstrengung
– Planung von Selbstbeob-
Aufgabe
– Wahrnehmung des
– Aktivierung metakog-
– Wahrnehmung der achtung des Verhaltens Kontextes
5 nitiven Wissens
Aufgabenschwierigkeit
– Aktivierung von Aufga-
benwert und Interesse
6 2 Monitoring – Metakognitive – Bewusstheit für und – Bewusstheit für und – Monitoring von
Bewusstheit Monitoring von Moti- Monitoring von An- sich ändernden
7 – Monitoring der
Kognitionen
vation und Affekt strengung, Zeitbedarf,
Hilfebedarf
Aufgaben und Kon-
textbedingungen
– Selbstbeobachtung des
8 Verhaltens

3 Kontrolle – Selektion und An- – Selektion und Anpas- – Anstrengung erhöhen/ – Aufgaben ändern/

9 passung kognitiver
Strategien für Lernen
sung von Strategien
für Motivations- und
reduzieren
– Durchhalten, Aufgeben
beibehalten
– Kontext ändern/
und Denken Affektregulation – Hilfe suchendes Verhalten verlassen
10 4 Reaktion, – Kognitive Beurteilung – Affektive Reaktionen – Wahlverhalten – Evaluation der Ziele
Reflexion – Attributionen – Attributionen und des Kontextes

11
Aus diesen vier Phasen/Regulationsbereichen ergibt sich lassen sich für jede Zelle bestimmte Vorgehensweisen
12 ein 16-zelliges Kategorisierungsschema, das zur Einord- schematisieren.
nung spezifischer Regulationsstrategien dient (. Tab. 3.1).
Anhand dieser Matrix können spezifische Regu-
13 lationsstrategien eingeordnet werden. Betrachten wir 3.2.2 Schichtenmodelle
beispielsweise den kognitiven Regulationsbereich (A), der Selbstregulation
14 also den Bereich des Denkens, Wissens und der Infor-
mationsverarbeitung. In der Planungsphase (A1) findet Den bisher vorgestellten Prozess- und Phasenmodellen der
15 die Aktivierung von Wissen statt, die Faktenanalyse, die Selbstregulation lassen sich Schichtenmodelle gegenüber-
Analyse dessen, was der Lerner (noch nicht) weiß, welche stellen. Diese fokussieren nicht den zeitlichen Verlauf der
Informationen vorhanden sind, welche benötigt werden Regulation, sondern betrachten die verschiedenen Ebenen.
16 etc. Im Rahmen des Monitorings (A2), das während der Unter den vorliegenden Schichtenmodellen hat das
Aufgabenbearbeitung benötigt wird, geht es hingegen be- Drei-Schichten-Modell von Boekaerts (1999) besondere
17 reits um die Überwachung, hier speziell der kognitiven Aufmerksamkeit erfahren. Boekaerts definiert selbstre-
Vorgänge (z. B. werden in B2 Motivation und Emotion guliertes Lernen als eine komplexe Interaktion zwischen
überwacht). Bezüglich der 3. Phase, also der Kontroll- kognitiven und motivationalen Regulationsprozessen, die
18 phase (A3) des Lernprozesses (Inwiefern wurde das Ziel sich jeweils auf drei unterschiedliche Regulationsgegen-
erreicht?) muss der Lernende, insofern der Lernprozess stände beziehen können. Diese werden in ihrem Modell
19 nicht zielführend war, ggf. andere kognitive Strategien als drei konzentrische Ellipsen bzw. Schichten dargestellt
auswählen und einsetzen (wenn der Lernprozess erfolg- (. Abb. 3.3).
20 reich war, müssen die Lernstrategien dementsprechend Der Regulationsgegenstand der inneren – kognitiven
nicht geändert werden). In der Phase der Reaktion und – Ellipse ist der Informationsverarbeitungsprozess. Hier
Reflexion (A4) erfolgt die kognitive Beurteilung („Das gilt es zu regulieren, wie mit Informationen, in diesem Fall
21 habe ich gut gemacht, weil ich die richtigen Strategien Lerninhalten, umgegangen wird. Im Rahmen dessen wählt
eingesetzt habe“) und Attribution („Ich habe die Aufgabe der Lerner kognitive Primärstrategien (vgl. Wild, 2000)
22 gelöst, weil ich mich angestrengt habe“ oder auch „Ich für die Bearbeitung einer Aufgabe aus. Der Lerner stellt sich
habe die Aufgabe gelöst, weil sie sehr leicht war“). Somit also Fragen über einen einzelnen Lerngegenstand (z. B. über
3.2  •  Modelle der Selbstregulation
51 3
.. Abb. 3.3  Die drei Schichten des selbst-
regulierten Lernens. (Modifiziert nach Boe­
kaerts, 1999, with permission from Elsevier)

eine Mathematikaufgabe) und die geeignete Herangehens- lernens eines Gedichts zu bleiben (s. o.), wäre dies der
weise. In der mittleren – metakognitiven – Schicht werden Fall, wenn Mia das Gedicht tatsächlich nur laut gele-
die Wahl und der Einsatz dieser kognitiven Strategien über- sen, sich aber nicht gleichzeitig darauf konzentriert
wacht. Diese Überwachung erfolgt, indem metakognitives hätte, es auch auswendig zu lernen. Das bedeutet,
Wissen und metakognitive Strategien eingesetzt werden. dass die Strategie zwar richtig gewählt, jedoch nicht
Der Lerner beobachtet also, ob er die Aufgabe auch tatsäch-
lich so bearbeitet, wie in der inneren Schicht geplant. In
der äußeren, dritten Ellipse findet nun die den bisherigen
Ebenen übergeordnete Regulation des Selbst statt. Dazu
- richtig ausgeführt worden wäre.
Führt dies nicht zum Erfolg (in diesem Fall zur Erle-
digung der Aufgabe), kann auf nächsthöherer Ebene
die Strategieauswahl beobachtet bzw. reguliert und
zählen insbesondere motivationale und volitionale Aspekte. ein Strategiewechsel vollzogen werden (2. Strategie-
Hier werden zum einen Ziele formuliert und zum anderen regulation). Beispielsweise könnte sich ein Schüler
die entsprechenden ▶  Ressourcen (Zeit, Ruhe), die zur entscheiden, auf Lernkarten oder Gedächtnisstrate-
Zielerreichung notwendig sind, überprüft. gien (sog. Mnemotechniken) zurückzugreifen. In un-
Auch in dem Hierarchiemodell von Landmann und
Schmitz (2007a) werden verschiedene, aufeinander auf-
bauende Ebenen der Regulation unterschieden. Es be-
inhaltet bei genauerer Betrachtung allerdings auch pro-
- serem Beispiel könnte Mia das Gedicht abschreiben.
Führt das korrekte Ausführen der neuen Strategie
zum Erfolg, ist mit der Zielerreichung die Lernepi-
sode abgeschlossen. Ist jedoch weiterhin kein Erfolg
zessuale Elemente. Dies ist dadurch bedingt, dass dem zu verzeichnen, würden weitere verfügbare Strategien
Self-Monitoring eine besondere Rolle zugewiesen wird.
Wie bereits aus den Prozessmodellen hervorgegangen ist,
führt Selbstregulation i. S. eines Soll-Ist-Vergleichs dazu,
dass der Lernprozess im Falle eines nicht erreichten Ziels
- (z. B. Lernen mit Klassenkameraden) ausprobiert.
Sollte es trotz der Strategieregulation nicht möglich
sein, die Aufgabe zu bewältigen, ist es funktional, die
Beobachtungsebenen erneut zu wechseln (3. Zielre-
wieder von Neuem beginnt. Dieses prozessuale Prinzip gulation) und das Ziel zu regulieren (d. h. in diesem
wird im beschriebenen Modell nun in mehrere Schichten Fall z. B. das eigene Anspruchsniveau herabzusetzen
„verpackt“: In diesem Ansatz wird der Gegenstand der und vielleicht drei statt zwei Tage für das Lernen
Selbstbeobachtung sukzessive erweitert, wobei jeder Ebene einzuplanen).
ein spezifischer Beobachtungsgegenstand zugeordnet wird.
Die verschiedenen Ebenen des Self-Monitoring bzw. der Prinzipiell kann – anders als in dem gerade beschriebe-

-
Regulation sind in . Abb. 3.4 ersichtlich.
Auf der untersten Ebene wird die Ausführung einer
ausgewählten Strategie (z. B. einer Lernstrategie wie
Auswendiglernen) in Bezug auf die zuvor definierte
nen Beispiel – auf die Ebene der Zielregulation auch im
Falle eines Erfolgs gewechselt werden. So könnte sich der
Lernende beispielsweise in Bezug auf die nächste Lernse-
quenz anspruchsvollere Ziele setzen und sein Aufgabenni-
Aufgabe überwacht (1. Ausführungsregulation). veau langfristig anheben. Das Modell lässt klar Elemente
Wird die ausgewählte Strategie nicht korrekt ausge- „klassischer“ Schichtenmodelle erkennen, die jedoch mit
führt, erfolgt eine Ausführungsregulation (Leutner & prozessualen Komponenten (Zielsetzung, Handlungsaus-
Leopold, 2005). Um bei dem Beispiel des Auswendig- führung, Kontrolle, ggf. neue Zielsetzung) verbunden sind.
52 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 .. Abb. 3.4  Hierarchieebenen des Self-Monitoring und der Selbstregulation. (Modifiziert nach Landmann, M. & Schmitz, B. (2007a). Welche Rolle
spielt Self-Monitoring bei der Selbstregulation und wie kann man mit Hilfe von Tagebüchern die Selbstregulation fördern? In M. Gläser-Zikuda &
T. Hascher (Hrsg.), Lernprozesse dokumentieren, reflektieren und beurteilen. Lerntagebuch & Portfolio in Forschung und Praxis (S. 149–169). Bad
11 Heilbrunn: Klinkhardt-Verlag. Mit freundlicher Genehmigung der Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung KG)

Exkurs  |       | 
12
Effekte von Interventionen zur Förderung von selbstreguliertem Lernen
13 In ihrer Metaanalyse untersuchten Dig- den sie sowohl hinsichtlich des Anstiegs fektiv trainiert werden kann und dass die
nath, Büttner & Langfeldt (2008) die Ef- der Selbstregulationskompetenz als auch Interventionsprogramme insbesondere

14
fektivität von Interventionsprogrammen, hinsichtlich der Lernleistung vergleichs- dann erfolgreich waren, wenn sie nicht
die darauf abzielen, das selbstregulierte weise hohe Effektstärken. Weitere Analy- von der regulären Lehrkraft, sondern von
Lernen in der Grundschule zu fördern. Auf sen zeigten, dass Selbstregulation bereits Forschern durchgeführt wurden.

15 der Basis von insgesamt 48 Studien fan- in den unteren Klassenstufen (1 bis 3) ef-

16 3.3 Diagnostik von Selbstregulation Denkprotokollen unterschieden (s. auch Spörer & Brun-
stein, 2006).
17 Wie bereits erläutert, sind theoretische Modelle selbst-
regulierten Verhaltens notwendig, um Instrumente zur
Diagnostik zu entwickeln. Das bedeutet, dass zunächst 3.3.1 Fragebogen
18 festgelegt werden muss, aus welchen Komponenten Selbst-
regulation oder selbstreguliertes Lernen bestehen könnte Die gängigen Fragebögen zur Selbstregulation unter-
19 und welche Beziehung die einzelnen Elemente vermutlich scheiden sich hinsichtlich der von ihnen erfassten Kom-
zueinander haben. Erst danach kann mit der Entwicklung ponenten. In fast allen Fragebögen werden kognitive und
20 eines Instruments zur Messung selbstregulatorischer Fä- metakognitive Strategien abgefragt, in einigen auch Stra-
higkeiten begonnen werden (▶  Exkurs „Effekte von Inter- tegien zum Umgang mit inneren und äußeren Ressourcen
ventionen zur Förderung von selbstreguliertem Lernen“). Im oder der Motivation. Weit verbreitete englischsprachige
21 Folgenden werden verschiedene Verfahren zur Erfassung Fragebögen zur Erfassung von Lernstrategien sind z. B.
von Selbstregulation im Kontext des Lernens vorgestellt der „Motivated Strategies for Learning Questionnaire“
22 und diskutiert. Hierbei wird zwischen Fragebögen, ▶ Lern- (MSLQ; Pintrich, Smith, Garcia & McKeachie, 1991) und
tagebüchern, Beobachtungsverfahren, Interviews sowie das „Learning and Study Strategies Inventory“ (LASSI;
3.3  •  Diagnostik von Selbstregulation
53 3

.. Tab. 3.2  Differenzierung von Lernstrategien gemäß LIST. (Nach Wild, K. P. & Schiefele, U. (1994). Lernstrategien im Studium. Ergebnisse
zur Faktorstruktur und Reliabilität eines neuen Fragebogens. Zeitschrift für Differentielle und Diagnostische Psychologie, 15, 185–200. Mit
freundlicher Genehmigung des Verlags Hans Huber, Hogrefe AG)

Lernstrategien Erläuterung Beispiele für Mathematik (Flä- Beispielitem aus dem LIST
chenberechnungen) und Englisch
(Vokabellernen)

Kognitive Lernstrategien

Wiederho- Lerntätigkeiten, die durch das aktive Mathematik: Das Auswendiglernen Ich lerne Regeln, Fachbegriffe
lungsstrategien Wiederholen einzelner Fakten eine der Formel zur Berechnung der oder Formeln auswendig
feste Verankerung im Langzeitge- Fläche eines Rechtecks
dächtnis zu erreichen versuchen Englisch: Vokabeln werden auswen-
dig gelernt

Elaborations- Integration von neu aufgenom- Mathematik: alltägliche Beispiele Zu neuen Konzepten stelle ich
strategien menem Wissen in die bestehende (z. B. Wie groß ist der Fußballplatz, mir praktische Anwendungen
Wissensstruktur, z. B. durch verbale auf dem ich jede Woche spiele?) vor
oder bildliche Anreicherung, werden herangezogen
Verknüpfung mit Alltagsbeispielen Englisch: Die Bedeutungen von Wör-
und persönlichen Erlebnissen oder tern werden mit Hilfe von Merksät-
Bildung von Analogien zen gemerkt (z. B. Unterscheidung
„much“ und „many“: Matsch kann
man nicht zählen; „he, she, it – das
„s“ muss mit“)

Organisations- Lerntätigkeiten, die dazu geeignet Mathematik: Die Angaben aus Ich stelle wichtige Fachausdrü-
strategien sind, die vorliegenden Informatio- einer Textaufgabe zur Flächenbe- cke und Definitionen in eigenen
nen in eine leichter zu verarbeitende rechnung werden in eine Skizze Listen zusammen
Form zu transformieren, wie z. B. übertragen
durch das Anfertigen von Diagram- Englisch: Erstellung eines Karteikas-
men und Skizzen tens für Vokabeln

Metakognitive Lernstrategien

Planung Der Lernende überlegt, wie er bei Vor dem Lernen eines Stoffge-
der Aufgabenbearbeitung vorgehen biets überlege ich mir, wie ich
wird am effektivsten vorgehen kann

Monitoring/ Der Lernende überprüft kontinuier- Um Wissenslücken festzustellen,


Überwachung lich seinen Lernerfolg rekapituliere ich die wichtigsten
Inhalte, ohne meine Unterlagen
zu Hilfe zu nehmen

Regulation Bei auftretenden Schwierigkeiten Wenn mir eine bestimmte


passt der Lernende seine Lerntech- Textstelle verworren und unklar
nik an erscheint, gehe ich sie noch
einmal langsam durch

Ressourcenbezogene Lernstrategien

Bereitstellung Die Bereitstellung interner Ressour- Wenn ich lerne, bin ich leicht
interner Res- cen bezieht sich auf das Manage- abzulenken
sourcen ment der eigenen Anstrengung, die
Investition von Aufmerksamkeit und
Konzentration sowie das Manage-
ment des eigenen Zeitbudgets

Bereitstellen Die Bereitstellung externer Ressour- Ich suche nach weiterführender


externer Res- cen kann durch die Gestaltung einer Literatur, wenn mir bestimmte
sourcen günstigen Lernumgebung, das Hin- Inhalte noch nicht ganz klar
zuziehen zusätzlicher Literatur sowie sind
durch die Nutzung der Möglichkeiten
von Arbeitsgruppen geschehen
54 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

Weinstein, Zimmerman & Palmer, 1988). Im deutsch- Internale Ressourcen betreffende Fragen sind z. B. „Ich
1 sprachigen Raum haben sich in diesem Zusammenhang konnte mich bei den Hausaufgaben heute gut konzentrie-
der Fragebogen „Lernstrategien im Studium“ (LIST; ren“ (Konzentration) und „Welche der folgenden Übung
2 Wild & Schiefele, 1994) und das „Kieler Lernstrategien- hast du heute gemacht?“. Der Einsatz externaler Ressour-
Inventar“ (KSI; Baumert, 1993) etabliert. Dabei wird bei- cen hingegen lässt sich anhand von Fragen wie „Meine
spielsweise im LIST zwischen kognitiven, metakognitiven Eltern haben heute kontrolliert …“ und „Ich wurde heute
3 und ressourcenbezogenen Lernstrategien unterschieden bei meinen Hausaufgaben gestört“ überprüfen. Ziel der Ta-
(▶  Exkurs „Lernstrategien“). In . Tab. 3.2 werden die ver- gebuchstudie ist es letztendlich, zu überprüfen, ob, wann
4 schiedenen Strategien mit Itembeispielen aus dem LIST und inwiefern eine Intervention zu erhöhtem Einsatz von
dargestellt. Zudem wird die Anwendung kognitiver Lern- Lernstrategien und somit zur Verbesserung selbstregulato-
5 strategien anhand von Beispielen zum Mathematik- und rischer Kompetenzen beigetragen hat.
Englischlernen erläutert. Mit dem Einsatz standardisierter Lerntagebücher als
Evaluationsinstrumente sind bestimmte prozessbezogene
6 Auswertungsmethoden verbunden, die im Sinne zeitrei-
3.3.2 Lerntagebücher henanalytischer Verfahren durchgeführt werden (▶ Exkurs
7 „Zeitreihenanalytische Auswertungen“; z. B. Perels, Otto &
Eine weitere Möglichkeit selbstregulierte Lernstrategien Schmitz, 2008).
zu erfassen, liegt im Einsatz von (Lern-)Tagebüchern. Im Die Zuverlässigkeit der mittels Lerntagebüchern er-
8 Unterschied zu den im vorherigen Abschnitt beschriebe- hobenen Daten hängt von zahlreichen Faktoren ab (z. B.
nen Fragebögen wird mit Tagebüchern der momentane Landmann & Schmitz, 2007a, b). Da der Lernende das Ta-
9 Zustand bzw. der aktuelle Strategieeinsatz und kein ge- gebuch über einen festgelegten Zeitraum regelmäßig aus-
nerelles Lernverhalten abgefragt. Bei der Erfassung der füllen muss, hängt das Ausfüllverhalten in starkem Maße
10 Selbstregulation durch Tagebücher werden von den Teil- von der Motivation des Lernenden ab. Daher ist es wich-
nehmern über einen bestimmten Zeitraum mehrfach (z. B. tig, das Tagebuch so zu gestalten, dass es für die entspre-
täglich) Fragen zu den einzelnen Komponenten beantwor- chende Zielgruppe ansprechend ist und deren Motivation
11 tet. Lerntagebücher erlauben so eine kontinuierliche und zur Durchführung erhöht.
zeitnahe Erhebung der eingesetzten Strategien und der den
12 Lernprozess begleitenden Emotionen. Besonders gut ist im
Rahmen einer Tagebuchstudie nicht nur zu beobachten, ob 3.3.3 Interviews
eine Veränderung bezüglich des selbstregulierten Lernens
13 stattgefunden hat, sondern ggf. auch wann. Zumeist sind Interviews bieten die Möglichkeit, sowohl prospektiv den
die eingesetzten Tagebücher standardisiert (Abfolge sowohl geplanten Einsatz der Strategien zu erfragen, als auch re-
14 identischer Fragen als auch identischer Antwortmöglich- trospektiv über eingesetzte Strategien berichten zu lassen.
keiten), um Mehrfachdeutungen im Rahmen der Auswer- Die Fragen können in Interviews sowohl offen als auch ge-
15 tung zu vermeiden und somit möglichst hohe Objektivität schlossen gestellt werden („Welche Lernstrategie wurde ein-
zu erreichen. Beispielhaft ist in . Abb. 3.5 ein Tagebuch gesetzt?“ vs. „Wurden Lernstrategien eingesetzt?“). Weiter-
aus einer Studie zur Förderung selbstregulierten Lernens hin können dem Lernenden auch Lernszenarien vorgegeben
16 in der vierten Grundschulklasse dargestellt (Otto, 2007a). werden. Hierbei wird der Lernende aufgefordert, sein Vor-
Dieses Tagebuch kam in einer Studie zum Einsatz, in der gehen in einer solchen Situation zu erläutern (offenes Fra-
17 Schüler einer vierten Grundschulklasse über 7 Wochen genformat). Diese offenen Fragen haben den Vorteil, dass
ein Training in Selbstregulation erhielten. Während die- sie es dem Lernenden nicht nur ermöglichen, vorgegebene
ses Zeitraums füllten sie vor und nach den Hausaufgaben Strategien als hilfreich für diese Situation zu beurteilen, son-
18 bzw. dem außerschulischen Lernen das Tagebuch aus. Das dern er kann durch die Beschreibung seines eigenen Vor-
Tagebuch basierte inhaltlich auf dem Prozessmodell der gehens deutlich machen, über welches Strategierepertoire
19 Selbstregulation von Schmitz et al. 2007 (▶ Abschn. 3.2.1). er verfügt. Ein deutschsprachiges Interview für Schüler zur
Items, die sich auf die präaktionale Phase dieses Modells Erfassung von Merkmalen selbstregulierten Lernens stammt
20 bezogen, wurden vor dem Lernen bearbeitet und Items, von Spörer (2004). Bei diesem Verfahren erfolgt die Befra-
die sich auf die aktionale bzw. postaktionale Phase bezo- gung individuell und in vertraulicher Atmosphäre. Der Ab-
gen, nach dem Lernen erfragt. So wird beispielsweise der lauf des Interviews lässt sich in vier Bestandteile unterteilen:
21 Einsatz der metakognitiven Lernstrategien mit Fragen wie 1. Einführung: Der Schüler wird von dem Interviewer
„Was davon willst du heute erledigen?“ (Zielsetzung) oder über das Vorgehen und die Art des Interviews infor-
22 „Die Hausaufgaben, die ich mir für heute vorgenommen miert. Es erfolgt ein Hinweis auf die Vertraulichkeit des
habe, habe ich alle geschafft“ (Monitoring) kontrolliert. Verfahrens.
3.3  •  Diagnostik von Selbstregulation
55 3

Präaktionale Phase Aktionale Phase Postaktionale Phase

.. Abb. 3.5  Lerntagebuch. (Nach Otto, 2007a. Mit freundlicher Genehmigung des Logos-Verlags)

2. Der Interviewer liest die erste Situation vor und fragt 3. Unbewertete schriftliche Dokumentation der Schü-
den Schüler, wie er üblicherweise in einer solchen Si- lerantworten.
tuation vorgeht. Folgende Situationen werden im Rah- 4. Bewertung der angegebenen Strategien: Auf einer
men des Interviews thematisiert: vierstufigen Skala (von „sehr selten“ bis „immer“) soll
a) Anfertigen von Deutsch-Hausaufgaben: Vorgehen der Schüler einschätzen, wie häufig er ein bestimmtes
bei der Verfassung eines Deutschaufsatzes; Verhalten zeigt bzw. eine bestimmte Strategie anwen-
b) Anfertigen von Mathematik-Hausaufgaben; det.
c) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in
Biologie;
d) Vorbereitung und Lernen für eine Klassenarbeit in 3.3.4 Beobachtungsverfahren
Physik;
e) geringe Motivation: Vorgehen, wenn man keine Die bisher beschriebenen Verfahren setzen entweder vor-
Lust hat zu lernen oder sich nicht auf Schulaufga- aus, dass die Probanden lesen und schreiben (Fragebogen
ben konzentrieren kann; und Tagebuch) oder aber ihr Vorgehen adäquat in Worte
f) schlechte Noten: Umgang mit schlechten Noten; fassen können (Interview). Zur Diagnose selbstregulier-
g) Hobbys: Umgang mit Misserfolgen/Schwierigkei- ten Lernens können sie daher z. T. erst ab dem Ende der
ten beim Hobby; Grundschule eingesetzt werden. Zudem werden mit diesen
h) Freundschaften: Umgang mit Streit mit Freunden. Methoden ausschließlich Selbstauskünfte der Teilnehmer
i) Bei den Fragen zu den Situationen wird zunächst über präferierte Strategien erfasst. Diese Präferenzen kön-
gefragt, wie der Schüler anfängt. Es folgt dann eine nen jedoch vom tatsächlichen Strategieeinsatz deutlich ab-
Frage dazu, wie er weiter vorgeht. Er wird nach weichen (▶  Exkurs „Warum gibt es nur geringe Zusammen-
Strategien gefragt, die er einsetzt, wenn er auf hänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung
Schwierigkeiten/Probleme stößt. des selbstregulierten Lernens?“).
56 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

Exkurs  |       | 
1
Zeitreihenanalytische Auswertungen
2 Der Einsatz von standardisierten Perels (2011) im Rahmen einer Zeitrei- für eine Gruppe (z. B. für eine Schulklasse)
Lerntagebüchern ermöglicht es, ein henanalyse einen positiven Trend bzgl. als auch der Verlauf für eine einzelne
Merkmal über einen längeren Zeitraum des selbstregulierten Lernens durch den Person (z. B. Schüler) betrachtet werden.
3 zu beobachten, sodass eine Vielzahl von Einsatz eines Tagebuchs nachweisen. Mithilfe einer Interventionsanalyse wird
Messungen vorliegt. Durch die Anwen- Weiterhin ermöglichen zeitreihenana- untersucht, ob eine bestimmte Interven-

4 dung zeitreihenanalytischer Auswertun-


gen können Veränderungen gemessen
lytische Verfahren neben der Analyse
von Gruppendaten auch idiografische
tion (z. B. ein Lernstrategietraining) eine
Wirkung hat und wie diese Intervention
werden, indem der Verlauf der Verände- Analysen, d. h. einzelfallanalytische Unter- wirkt. Dazu wird die entsprechende

5 rung näher betrachtet wird. Eine Zeitreihe


wird in diesem Zusammenhang als eine
suchungen (s. dazu Perels, Löb & Schmitz,
2007). Zur Veränderungsmessung mithilfe
Variable sowohl in einer Baseline- (Phase
ohne Training) als auch in einer Interven-
zeitliche Folge von Zustandserhebungen von Verlaufs- oder auch Prozessdaten tionsphase (Phase mit Training) erhoben.
6 (States) zu aufeinander folgenden Zeit-
punkten beschrieben. Mithilfe zeitrei-
(z. B. zur Evaluation von Interventionen)
stehen innerhalb der Zeitreihenanalysen
Es wird dann statistisch geprüft, inwiefern
diese Intervention zu einem signifikan-
henanalytischer Verfahren ist es möglich, vor allem zwei Verfahren zur Verfügung: ten Unterschied des Niveaus der beiden
7 über eine genügend genaue Messung
dieser Verläufe, nicht nur Änderungen im
die Trendanalyse und die Interventions-
analyse. Mithilfe von Trendanalysen wird
Phasen beigetragen hat. Über eine solche
Untersuchung der Zeitreihe kann die Wir-
Lernverhalten (Vorher-Nachher-Vergleich) überprüft, ob der Verlauf einer bestimm- kung der Intervention genauer analysiert
8 festzustellen, sondern auch Annahmen ten Variable durch eine (z. B. lineare oder werden.
über die Form des Verlaufs zu testen. quadratische) Funktion beschrieben wer-
Beispielsweise konnten Schmitz und den kann. Dabei kann sowohl der Verlauf
9
|       | 
10 Exkurs 

Warum gibt es nur geringe Zusammenhänge zwischen verschiedenen Instrumenten zur Erfassung
11 des selbstregulierten Lernens?
Spörer und Brunstein (2006) diskutieren daten zu korrelieren (s. auch Winne & eine Strategie in dieser Situation von

12 eingehend die Frage, warum die Zusam-


menhänge zwischen den verschiedenen
Perry, 2000).
2. Mit Beobachtungsverfahren wird
Nutzen ist, diese Strategie einsetzen
wird oder nicht.
Instrumenten zur Erfassung des selbst- kein Strategiewissen erhoben: Die 4. Erfassung einer unterschiedlichen
13 regulierten Lernens zumeist sehr gering
ausfallen und Selbstauskünfte häufig
Schwierigkeit bei Beobachtungsda-
ten liegt häufig darin, dass Schüler
Strategiereife: Mit den verschiede-
nen Instrumenten könnte mögli-
nicht oder schwach mit Leistungsmaßen durchaus eine Strategie kennen und cherweise eine unterschiedliche
14 korrelieren.
1. Globalität des erfassten Merkmals:
diese ggf. auch in ihrem Lernalltag
einsetzen, dass sie jedoch in der
Strategiereife (vgl. Hasselhorn, 1996)
erfasst werden. Während Selbstbe-
Der Grad der Spezifität bei Selbstbe- spezifischen Beobachtungssitua- richtsverfahren hauptsächlich die
15 richts- und Beobachtungsdaten ist tion nicht eingesetzt wird, weil sie Strategiekenntnis erfassen, auch
häufig nicht derselbe. Während in Be- beispielsweise nicht erforderlich wenn die erworbenen Strategien
obachtungssituationen in der Regel erscheint. noch nicht effizient eingesetzt
16 vorgegebene Situationen definiert 3. Selbstberichte erfassen kein werden können, werden durch Be-
sind, in denen die Probanden ein konditionales Wissen: Selbstbe- obachtungen Daten gewonnen, die
Verhalten zeigen können oder nicht, richtsverfahren erfragen zumeist belegen, ob Lernstrategien effektiv
17 wird bei Lernstrategieinventaren und nur, ob Schüler eine bestimmte eingesetzt werden. In ▶ Abschn. 3.4.1
-interviews häufig globaler danach Strategie kennen bzw. ob sie diese findet sich eine detaillierte Beschrei-
gefragt, was ein Schüler macht, wenn auch anwenden. Sie erfragen aber bung der verschiedenen Entwick-
18 er lernt. Zur Erhöhung der gemeinsa- nicht, ob der Schüler einzuschätzen lungsstufen der Strategiereife.
men Varianz zwischen Instrumenten weiß, bei welcher Aufgabe und in Insgesamt ziehen Spörer und Brun­

19 wäre es daher möglich, entweder die


Fragen in Selbstberichtsverfahren
welcher Situation welche Strategie
am besten eingesetzt werden sollte
stein (2006) den Schluss, dass es für die
Prognose von Verhalten und Leistung von
spezifischer zu formulieren (z. B. (konditionales Wissen). Bei der Erfas- Vorteil ist, gerade wegen der geringen

20 durch Vorgabe von Aufgabengebie-


ten) oder mehrere Beobachtungen in
sung des selbstregulierten Lernens
durch Beobachtungen wird dieses
gemeinsamen Varianz der Instrumente
diese kombiniert einzusetzen, um die
verschiedenen Situationen durchzu- konditionale Wissen jedoch indirekt verschiedenen Varianzanteile des vorher-
21 führen und die Selbstberichtsdaten
mit den aggregierten Beobachtungs-
miterfasst, da der Schüler in Abhän-
gigkeit von seiner Entscheidung, ob
zusagenden Kriteriums zu erklären.

22
3.4  •  Förderung von Selbstregulation
57 3

Exkurs  |       | 

Entwicklung von selbstreguliertem Lernen


Rheinberg, Vollmeyer und Rollett (2000) Gold (2006) beschreiben verschiedene werden. Dass der spontane Strategieein-
zufolge wird die Fähigkeit zum selbstre- entwicklungspsychologische Phasen, satz nicht zum gewünschten Erfolg führt,
gulierten Lernen wichtiger, je älter der die bei dem Erwerb von Lernstrategien kann zum einen daran liegen, dass Lerner
Lernende wird, da sich ältere Schüler oder durchlaufen werden müssen. Jede Phase auf dieser Stufe noch nicht entscheiden
auch Studierende zunehmend komple- lässt sich durch ein Problem charakterisie- können, wann eine bestimmte Stra-
xeres Material selbstständig aneignen ren, das es zu überwinden gilt. tegie am wirkungsvollsten eingesetzt
müssen. Daher liegen auch verschiedene Auf der ersten Stufe steht das Media- wird. Zum anderen kann das Problem
Interventionsprogramme zur Förderung tionsdefizit im Vordergrund. Damit ist darin liegen, dass Strategien noch nicht
von Selbstregulation vor, die sich an Per- gemeint, dass Kinder selbst dann, wenn hinreichend automatisiert sind und
sonen fast aller Altersstufen (Vorschule, sie gezeigt bekommen, wie eine Lernstra- der Strategieeinsatz zu viel kognitive
unterschiedliche Jahrgangsstufen in der tegie eingesetzt wird und aufgefordert Kapazität bindet, worunter die inhaltliche
Schulzeit, Studium und Berufsleben; auch werden, diese selbst auszuführen, nicht Bearbeitung der Aufgabe leidet.
▶ Abschn. 3.5) richten. Allerdings sollte dazu in der Lage sind. Geht man davon aus, dass Schüler erst
selbstreguliertes Lernen möglichst früh In der zweiten Stufe (Produktionsdefizit) ab dem Alter von 15–16 Jahren über
gefördert werden, um günstige Lernge- können Kinder bestimmte Lernstrategien ein breiteres Repertoire an differenziert
wohnheiten zu etablieren und dysfunktio- zwar produzieren, benötigen dazu aber einsetzbaren Lernstrategien verfügen, ist
nale Lerngewohnheiten zu vermeiden. explizite Nutzungshinweise, da die Stra- ein effizienter Einsatz von Lernstrategien
Die Frage, ab welchem Alter komplexe tegien noch nicht in das spontane Verhal- also frühestens bei Schülern ab dem Ende
Lernstrategien und Selbstregulation tensrepertoire integriert worden sind. der Sekundarstufe erwartbar.
erworben werden können, ist nicht Auf der nächsten Entwicklungsstufe muss
abschließend geklärt. Hasselhorn und das sog. Nutzungsdefizit überwunden

Aus den genannten Gründen werden Beobachtungs- 3.3.5 Denkprotokolle


verfahren zur Erfassung selbstregulativer Kompetenzen
vor allem in Untersuchungen mit jüngeren Kindern ein- Eine weitere Methode zur Erfassung des selbstregulierten
gesetzt (z. B. für den schulischen Kontext: Veenman & Lernens wird von Winne und Perry (2000) vorgestellt. Bei
Beems, 1999). Im CINDLE-Projekt (Anderson, Coltman, sog. Denkprotokollen werden die Teilnehmer der Studie
Page & Whitebread, 2003) wird ein Beobachtungsinstru- aufgefordert, alle Gedanken auszusprechen, die sie wäh-
ment für Erzieherinnen entwickelt, das der Erfassung des rend der Bearbeitung einer Aufgabe beschäftigen. Diese
„independent learning“ dient. Die CHILD-Checklist be- Dokumentationen werden dann differenziert ausgewertet
steht aus insgesamt 22 Items, die von dem Beobachter auf und bieten eine gute Möglichkeit, Einblicke in die spezifi-
einer vierstufigen Skala dahingehend einzuschätzen sind, schen, spontanen Strategieanwendungen der Versuchsper-
wie häufig die beschriebenen Strategien angewendet wer- sonen zu erhalten. Eine Einschränkung dieses Verfahrens
den. Zusätzlich besteht für die Beobachter die Möglichkeit, besteht jedoch darin, dass die statistische Auswertung re-
Kommentare einzutragen. Bei diesem Instrument beziehen lativ schwierig ist.
sich die Autoren auf die Bereiche selbstregulierten Lernens, Sobald selbstreguliertes Lernen mithilfe entsprechen-
wie sie Bronson (2000) postuliert: emotionale, prosoziale, der Instrumente erfasst wurde, können entsprechende
kognitive und motivationale Selbstregulation. Zu diesen Interventionen angesetzt werden, um die gewünschten
Bereichen wurden jeweils mehrere Items formuliert, mit Fähigkeiten zu fördern. Im Anschluss an eine Interven-
deren Hilfe das Verhalten von Kindern in Lernsituationen tionsmaßnahme kommt das Instrument wiederum zum
eingeschätzt werden kann. Hinsichtlich der emotionalen Einsatz, um Fortschritte der Fähigkeit des selbstregulierten
Selbstregulation soll beispielsweise beurteilt werden, ob Lernens zu überprüfen. Im Folgenden werden exempla-
das Kind über sein oder das Verhalten anderer und die risch solche Fördermaßnahmen beschrieben.
damit verbundenen Konsequenzen sprechen kann. Wei-
terhin wird diesbezüglich erfragt, ob das Kind auch bei
auftretenden Schwierigkeiten nicht aufgibt. 3.4 Förderung von Selbstregulation
Beobachtungsverfahren werden häufig mit Videoana-
lysen verknüpft. Dabei wird die zu beobachtende Sequenz Selbstreguliert lernen zu können, stellt eine wesentliche Vo-
videografiert und im Nachhinein von verschiedenen Beur- raussetzung für den Lernerfolg dar. Dass dennoch nicht alle
teilern unabhängig voneinander bewertet. Schüler im Verlauf der Schulzeit zu kompetenten selbstre-
gulierten Lernern werden (z. B. De Jager, Jansen & Reezigt,
58 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

2005), kann verschiedene Gründe haben: Manchen fehlt die durch ein Training der Eltern im Sinne einer förderlichen
1 Praxis, andere wurden nie richtig angeleitet. In den letzten Hausaufgabenunterstützung oder die Schulung der Lehr-
Jahren entstand eine große Anzahl von Interventionen zur kräfte zur Integration selbstregulativer Aspekte in den
2 Verbesserung des selbstregulierten Lernens und Handelns Fachunterricht geschehen (Perels, Dignath & Schmitz,
von Schülern, Studierenden und Erwachsenen (z. B. Land- 2009). In solchen Förderprogrammen geht es demnach
mann, Pöhnl & Schmitz, 2005; Otto, 2007a). Stöger und vor allem darum, dass die zentralen Gestalter der Lernum-
3 Ziegler (2010) konnten in diesem Zusammenhang zeigen, welt (Otto, 2007a) Methoden erlernen, wie sie einen posi-
dass die Wirksamkeit von Selbstregulationstrainings unab- tiven Einfluss auf das Lernverhalten der Schüler ausüben
4 hängig von den kognitiven Voraussetzungen von Schülern und somit das selbstregulierte Lernverhalten von Schü-
ist. Im folgenden Abschnitt werden einige Gesichtspunkte lern unterstützen können. Studien, in denen beispiels-
5 benannt, nach denen vorliegende Interventionsprogramme weise Lehrkräfte entsprechende Trainingsprogramme zur
eingeordnet werden können. Förderung des selbstregulierten Lernens in ihren Klassen
durchgeführt haben, zeigen, dass dies prinzipiell möglich
6 ist (z. B. Souvignier & Mokhlesgerami, 2006). Der Meta-
3.4.1 Gestaltung und Optimierung analyse von Dignath, Büttner & Langfeldt (2008) zufolge
7 von Trainingsmaßnahmen zur sind Interventionen durch externe Trainer allerdings ef-
Förderung von Selbstregulation fektiver als Trainings, die durch die regulären Lehrkräfte
durchgeführt werden. Die Effektivität sowohl direkter als
8 Trainings zur Förderung von Selbstregulation unterschei- auch indirekter Interventionen lässt sich durch günstige
den sich durch viele Aspekte. Dies betrifft in erster Linie Trainingsbedingungen steigern. Einige dieser günstigen
9 den Inhalt der Maßnahme und das methodische Vorgehen. Trainingsbedingungen werden im Folgenden näher erläu-
Letzteres bezieht sich insbesondere darauf, ob die Vermitt- tert. Weitere Punkte finden sich in ▶ Abschn. 17.5 (Imple-
10 lung der Inhalte direkt oder indirekt erfolgt. Auch bzgl. mentation von Trainingsprogrammen).
der Zielgruppe, für die ein Training konzipiert werden soll,
unterscheiden sich die Interventionen. Hier gilt es unter Optimierung hinsichtlich direkter Förderung
11 anderem, das Alter der Adressaten zu berücksichtigen Kombination der selbstregulativen Strategien mit fachspe-
(▶ Exkurs „Entwicklung von selbstreguliertem Lernen“). zifischen Inhalten.   Die Vermittlung selbstregulatorischer
12 Strategien ist dann besonders wirksam, wenn nicht nur
Inhalte der Maßnahme.  Vorliegende Interventionen lassen Selbstregulation an sich vermittelt wird, sondern wenn
sich danach unterscheiden, ob eine ganzheitliche Förde- diese mit fachspezifischen Inhalten verknüpft wird (Klauer,
13 rung im Vordergrund steht und somit alle Regulationspha- 2000; Perels, 2007; Perels, Gürtler & Schmitz, 2005; Sou-
sen betrachtet werden oder ob ausgewählte kognitive, mo- vignier & Mokhlesgerami, 2006). So zeigte sich beispiels-
14 tivationale oder metakognitive Aspekte einzelner Phasen weise in der Studie von Perels et al. (2005), dass Schüler,
(z. B. Zielsetzung, Attribution) trainiert werden. Das vor- die neben Selbstregulationsstrategien auch mathematische
15 liegende Kapitel beschränkt sich auf die ganzheitliche För- Problemlösestrategien vermittelt bekamen, bessere Trai-
derung selbstregulatorischer Kompetenzen; das ▶ Kap. 17 ningseffekte erzielten als Schüler, die lediglich Selbstregu-
stellt hingegen eine Maßnahme vor, die ausschließlich mo- lationsstrategien vermittelt bekamen. Somit scheint der
16 tivationale Aspekte thematisiert. inhaltliche Bezug der fächerübergreifenden Selbstregula-
tionsstrategien zu einem bestimmten Unterrichtsfach (z. B.
17 Direkte vs. indirekte Maßnahmen.  Grundsätzlich können Mathematik) den Trainingserfolg zu steigern.
direkte von indirekten Maßnahmen unterschieden wer-
den (Friedrich & Mandl, 1997). Eine direkte Förderung Selbstbeobachtung.  Ein zentrales Element des selbstre-
18 setzt beim Lernenden selbst an, um eine Optimierung des gulierten Lernens ist die Selbstbeobachtung (Self-Moni-
Lernverhaltens zu erzielen. Dieses ist zumeist bei Schü- toring; Landmann & Schmitz, 2007a). Schon die alleinige
19 lertrainings der Fall (z. B. Perels, 2007). Die Schüler wer- kontinuierliche Selbstbeobachtung kann zu ▶ Reaktivität
den beispielsweise darin geschult, wie sie sich Ziele für ihr führen, d. h., das Verhalten kann sich bereits durch die
20 Lernen setzen können, sich motivieren können oder wie bloße Selbstbeobachtung in die gewünschte Richtung ver-
sie mit Ablenkungen oder Misserfolgen umgehen können. ändern (z. B. Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2000). Man
Bei der indirekten Förderung des selbstregulierten spricht in diesem Zusammenhang vom Monitoring-Effekt.
21 Lernens geht es in der Regel darum, dass durch eine ge- Dass die Wirksamkeit der Selbstbeobachtung etwa über
zielte (Um-)Gestaltung der Lernumgebung selbstregulier- den Einsatz von Lerntagebüchern gefördert wird, konnte
22 tes Lernen ermöglicht und angeregt wird (vgl. z. B. Deci in verschiedenen Studien nachgewiesen werden (z. B.
& Ryan, 2000; Friedrich & Mandl, 1997). Dies kann etwa Schmitz, 2001).
3.4  •  Förderung von Selbstregulation
59 3

Transfersicherung.  Ebenso wichtig wie ein gut konzipiertes haben, sondern auch spüren, dass sie fähig sind, die ge-
Training ist die Sicherung des Transfers der vermittelten stellten Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können. Zur
Inhalte; also die Sicherstellung der Anwendung der erlern- erfolgreichen Kompetenzunterstützung im schulischen
ten Fertigkeiten auch nach Ende der Intervention. Somit Alltag ist vor allem das informative und motivationsför-
ist es nicht ausreichend, ausschließlich selbstregulatorische derliche Feedback geeignet. Erhalten Schüler regelmäßig
Inhalte zu vermitteln; auch die Fähigkeit der Probanden, Rückmeldung über ihr Lernen und die angewendeten Stra-
diese Inhalte in verschiedenen Situationen anwenden zu tegien, so können sie ihr Lernverhalten entsprechend an-
können, muss im Rahmen einer Intervention geschult passen. Dabei ist es wichtig, dass nicht nur die Bewertung
werden. Dieses kann erreicht werden, indem verschiedene des Lernergebnisses kommuniziert wird, sondern auch
Anwendungskontexte für die Strategien thematisiert und Lernprozesse und Lernergebnisse mit den positiven wie
deren Gebrauch in diesen Bereichen eingeübt werden. Je verbesserungswürdigen Anteilen thematisiert werden. Bei
mehr die Schüler die Anwendungsbreite einer erlernten solchen Rückmeldungen ist zudem von Bedeutung, dass
Strategie erkennen, desto eher erfolgt der Transfer auch in günstige Attributionen nahegelegt werden (Möller, 2001).
andere Themenfelder. Eine ausführliche Darstellung zum Dieses bedeutet insbesondere, dass vor allem Misserfolge
Thema Transfer von Selbstregulationsinhalten findet sich nicht auf (unveränderliche) mangelnde Fähigkeiten oder
bei Pickl (2004). auf Faktoren zurückgeführt werden sollten, die außerhalb
der Kontrolle des Schülers liegen. Idealerweise werden hier
Optimierung hinsichtlich indirekter veränderbare Ursachen wie z. B. mangelnde Anstrengung
Förderung oder falscher Strategiegebrauch zur Erklärung eines Miss-
Otto (2007a, b) postuliert, dass die zentralen Gestalter der erfolges herangezogen.
Lernumwelt insgesamt drei verschiedene Möglichkeiten
haben, wie sie auf das selbstregulierte Lernen der Schüler Kombination mit direkter Strategievermittlung.  Neben der
Einfluss nehmen können: Schaffung günstiger Lernbedingungen können Lehrkräfte
und Eltern zusätzlich auf direktem Weg Strategien zur
Schaffung günstiger Lernbedingungen.  Aufbauend auf den Selbstregulation vermitteln. Sie können die Schüler z. B. in
theoretischen Überlegungen und empirischen Belegen im effektiver Zeitnutzung schulen, oder hinsichtlich dessen,
Rahmen der Forschung zur Selbstbestimmungstheorie wie sie sich bei Unlust oder Ablenkung für ihre Hausaufga-
(Deci & Ryan, 2000) lassen sich Schlussfolgerungen für ben motivieren können. Im Grunde können die zentralen
den schulischen Alltag ziehen, wie der Unterricht bzw. Gestalter der Lernumwelt (Lehrkräfte, Eltern) somit die
die Hausaufgabenhilfe gestaltet sein sollte, um motiviertes gleichen Strategien vermitteln, die externe Trainer in den
selbstreguliertes Lernen zu ermöglichen. So können Lehr- direkten Förderprogrammen für Schüler als Trainingsin-
kräfte und Eltern beispielsweise günstige (motivationsför- halte thematisieren. Insofern müssen sie im Rahmen der
derliche) Lernbedingungen schaffen, indem sie Aufgaben indirekten Förderprogramme mit den Selbstregulations-
stellen, die sich an den Interessen der Schüler orientie- strategien vertraut gemacht werden, um diese weiterver-
ren und die Schüler bei einer autonomen Aufgabenbear- mitteln zu können.
beitung unterstützen. Im schulischen Kontext kann dem
Instruktionsprinzip der Autonomieunterstützung Rech- Modellverhalten.  Lehrkräfte und Eltern können auch über
nung getragen werden, indem den Schülern Wahlmöglich- ihr eigenes Modellverhalten (Bandura, 1991) Einfluss auf
keiten gegeben werden, wodurch das selbstständige und das selbstregulierte Lernverhalten der Schüler nehmen.
selbstgesteuerte Erkunden, Planen, Handeln und Lernen Schüler können ein günstiges Lernverhalten erlernen, in-
ermöglicht und gefördert werden. Hierbei sind entspre- dem sie dieses zunächst an einem positiven Modell beob-
chend angemessene Unterrichtsmethoden von Bedeutung. achten und später imitieren. Lehrkräfte oder Eltern können
So bieten sich beispielsweise Projektarbeiten oder Wochen- solche Modelle darstellen (Otto, Perels & Schmitz, 2008). Im
pläne zur Autonomieunterstützung an. Ebenso fördern das Unterrichtsalltag sollte die Lehrkraft daher die Selbstregula-
Gruppenpuzzle oder das Stationenlernen die Autonomie tionsstrategien, die sie bei den Schülern gerne sehen würde,
des Schülers beim Erlernen neuer Unterrichtsinhalte. Wer- auch selbst zeigen. Dazu kann z. B. die regelmäßige Angabe
den Schüler hingegen stark kontrollierend, d. h. mit vielen von Lernzielen am Anfang des Unterrichts, die demonstra-
engen Vorgaben unterrichtet, so führt dieses nicht nur zu tive Verwendung einer Lernstrategie wie das Unterstreichen
einer Verringerung von Initiative beim Lernen, sondern von wichtigen Textpassagen sowie die Reflexion und Evalu-
auch zu weniger effektivem Lernen (z. B. Utman, 1997). ation am Ende der Unterrichtsstunde gehören.
Neben der Autonomieunterstützung ist auch die Kompe- Es liegen mehrere empirische Studien dazu vor, dass
tenzunterstützung von Bedeutung. Das heißt, die Schü- Trainingsprogramme für Eltern (z. B. Lund, Rheinberg &
ler sollten nicht nur das Gefühl der Wahlmöglichkeiten Gladasch, 2001) und Lehrkräfte (z. B. De Jager, Jansen &
60 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

Reezigt, 2005; Perels, Dignath & Schmitz, 2009; Souvig- Problemlösestrategien werden ebenfalls den drei Phasen
1 nier & Mokhlesgerami, 2006) als indirekte Intervention des Modells zugeordnet. So werden in Bezug auf die präak-
durchaus erfolgreich sein können, um das selbstregulierte tionale Phase innerhalb von 3 Sitzungen sowohl die Selbst-
2 Lernen von Schülern zu optimieren. Trotzdem wird im- regulationsstrategien Zielsetzung und Planung als auch die
mer wieder ersichtlich, dass direkte Trainingsangebote an handlungsvorbereitenden Strategien des mathematischen
Schüler effektiver sind als indirekte Interventionen (Otto, Problemlösens Skizze, Selektion und Überschlag vermit-
3 2007a). Insofern wäre es optimal, eine kombinierte Inter- telt. Bezüglich der aktionalen Phase werden in 2 Sitzungen
vention für die Schüler selbst sowie für die Gestalter der einerseits Strategien zur Förderung von Konzentration,
4 Lernumwelt durchzuführen. Motivation und Willensstrategien trainiert; andererseits
Nachdem die voranstehenden Abschnitte zunächst die wird auf die Zerlegung beim Problemlösen eingegangen.
5 Diagnostik selbstregulierten Lernens und anschließend Zwei Sitzungen widmen sich den postaktionalen Strategien
allgemeine Hinweise zur Gestaltung entsprechender In- und vermitteln die Reflexion und den Umgang mit Feh-
terventionen beschreiben, stellt das nachfolgende Kapitel lern. In . Tab. 3.3 sind die Inhalte des Schülertrainings pro
6 bereits etablierte Maßnahmen zur Steigerung selbstregu- Sitzung detailliert aufgeführt.
latorischer Kompetenzen (überwiegend, aber nicht aus- Das Training wird von zwei externen Trainern nach-
7 schließlich) im Kontext des Lernens vor. mittags in den Räumen der Schule durchgeführt. Die
Gruppengröße besteht jeweils aus maximal 15 Schülern.
Die einzelnen Inhalte werden in der Regel zweimal wie-
8 3.4.2 Exemplarische Beschreibung derholt. Im Verlauf des Trainings werden alle Strategien
von Trainingsmaßnahmen auf einer persönlichen Schreibtischunterlage festgehalten.
9 Weiterhin füllen die Schüler täglich über den gesamten
Die Förderung von Selbstregulation kann sich bezüglich Zeitraum hinweg ein standardisiertes Lerntagebuch (▶ Ab-
10 der geförderten Aspekte der Selbstregulation, der ver- schn. 3.3.2) aus. Zielsetzung des Lerntagebuchs ist es zum
wendeten Methode oder hinsichtlich der Zielgruppe einen, die strukturierte Selbstbeobachtung im Hinblick auf
unterscheiden. Im Folgenden werden exemplarisch ein das individuelle Lernverhalten zu fördern und Reflexions-
11 Schülertraining zur Vermittlung mathematischer Problem- und Regulationsprozesse anzuregen. Zum anderen sollen
lösestrategien, ein computerbasiertes Training zur Förde- auf diese Weise die Inhalte des Trainings systematisch in
12 rung einzelner kognitiver Lernstrategien, ein webbasiertes die Hausaufgabenbearbeitung integriert werden. Die Aus-
Training zur Vermittlung metakognitiver Lernstrategien wahl der Trainingsmethoden zeichnet sich durch Variation
mit einem Tagebuch und ein Training zur Förderung von und Aktivierung aus. So werden neben direkter Instruktion
13 Selbstregulation bei Erwachsenen vorgestellt. auch Gruppenarbeiten und Spiele integriert und Frontal-
unterricht durch Übungsphasen aufgelockert. Weiterhin
14 Förderung von mathematischen fungieren die Trainer und der Trainingsaufbau explizit als
Problemlösestrategien bei Schülern Modell für selbstregulatives Vorgehen.
15 Nachfolgend wird exemplarisch eine direkte Intervention Der Aufbau der einzelnen Sitzungen ist identisch: Zu
in Form eines Schülertrainings skizziert, welches vertiefend Beginn des Trainings findet ein Stuhlkreis statt. Hier wird
bei Perels (2007) nachgelesen werden kann. Dieses Training über die Erfahrungen und Probleme bezüglich der Um-
16 kombiniert fachliche mit fachübergreifenden Inhalten und setzung der neuen Strategien, die in den letzten Sitzungen
wurde in der 5. gymnasialen Jahrgangsstufe durchgeführt. eingeübt wurden, und beim Ausfüllen des Tagebuchs ge-
17 Zielsetzung ist es, die Selbstregulationsfähigkeit der Schü- sprochen. Dann findet der inhaltliche Teil der aktuellen
ler zu verbessern. Das Training basiert auf dem Prozess- Sitzung statt. Nach Abschluss der Inhalte jeder Trainings-
modell der Selbstregulation (Schmitz & Wiese, 2006) und phase wird eine 10-minütige Wissensabfrage durchgeführt
18 besteht aus insgesamt 10 wöchentlichen Trainingssitzun- und in der jeweils folgenden Sitzung korrigiert an die Teil-
gen im Umfang von jeweils 2 Schulstunden. Da im Sinne nehmer zurückgegeben. Am Ende jeder Sitzung erfolgt die
19 der Optimierung von Trainingseffekten (▶ Abschn. 3.4.2) schriftliche Evaluation der Stunde, ein Abschlussstuhlkreis
überfachliche Strategien mit fachspezifischen Inhalten ge- und eine mündliche Rückmeldung in Form eines Blitz-
20 koppelt werden sollten, wurden den Schülern zusätzlich lichts (kurze Aussage eines jeden Teilnehmers, welche nicht
zu Selbstregulationsstrategien mathematische Problem- weiter kommentiert oder diskutiert wird). Zur Transferför-
lösestrategien vermittelt. Die 1., 9. und 10. Stunde dienen derung werden Hausaufgaben aufgegeben. Diese werden
21 dem Kennenlernen und der Wiederholung der Inhalte. Die eingesammelt, mit schriftlichem, informativem Feedback
verbleibenden 7  Sitzungen werden den drei Phasen der angereichert und in der folgenden Woche zurückgegeben.
22 Selbstregulation zugeordnet; dabei werden chronologisch Vorteile dieses Trainings sind die massierte (in kurzer
entsprechende Strategien vermittelt. Die mathematischen Zeit sehr intensive) Förderung ganzheitlicher Selbstregu-
3.4  •  Förderung von Selbstregulation
61 3

.. Tab. 3.3  Inhalte des Schülertrainings. (Nach Perels, F. (2007). Hausaufgabentraining für Schüler der Sekundarstufe I: Förderung selbst-
regulierten Lernens in Kombination mit mathematischem Problemlösen bei der Bearbeitung von Textaufgaben. In M. Landmann & B.
Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 33–51). Stuttgart: Kohlhammer. Mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-
Verlags)

1. Sitzung 2. Sitzung 3. Sitzung 4. Sitzung 5. Sitzung


Basics „Vor dem Lernen“ „Vor dem Lernen“ „Vor dem Lernen“ „Während des Lernens“

– Erwartungen – Einstellung zu Mathe- – Zielsetzung – Einstellung – Konzentration


– Regeln matik – Selektion – Ziele – Motivation
– Überblick – Selektion – Skizze – Selektion – Zerlegung
– Einstieg – Überschlag – Planung – Überschlag
– Skizze

6. Sitzung 7. Sitzung 8. Sitzung 9. Sitzung 10. Sitzung


„Während des Lernens“ „Nach dem Lernen“ „Nach dem Lernen“ Selbstregulation Problemlösen

– Umgang mit störenden – Wiederholung – Individuelle Bezugs- – Wiederholung – Abschluss


Gedanken – Motivation norm
– Zerlegung – Volition – Umgang mit Fehlern
– Umgang mit Ablenkern – Probe – Probe
– Umgang mit Fehlern

lationsstrategien und deren Kombination mit fachspezifi- und sich selbst beim Strategieeinsatz beobachten, einschät-
schen Inhalten. Als nachteilig könnten sich die zeitlichen zen und angemessen reagieren kann. Vergleichsstandard
und personellen Kosten des Trainings erweisen, die durch bei der Selbstregulation ist in diesem Fall also nicht das Ge-
die 10  außercurricularen Sitzungen, die Leitung durch samtziel, sondern die Erreichung zuvor festgelegter Quali-
zwei Trainer, die relativ kleinen Gruppengrößen und das tätsanforderungen bei der Strategieumsetzung. Didaktisch
begleitende Lerntagebuch bedingt sind. Die Evaluationser- unterteilt sich das Training in drei Teile:
gebnisse bestätigen jedoch die Wirksamkeit des Trainings 1. Fallbeispiel
und rechtfertigen den Aufwand. Sowohl die selbstregulato- 2. Lernstrategieteil
rischen Fähigkeiten als auch das mathematische Problem- 3. Selbstregulationsteil.
lösen konnten durch das Training gefördert werden. Auch
seitens der Schüler fiel die Einschätzung des Trainings – Alle drei Teile beinhalten geschriebene Textabschnitte,
trotz der zeitlichen Belastung – sehr positiv aus. Grafiken und verbale Beschreibungen, die z. T. gesprochen
werden. Weiterhin sind im Selbstregulationsteil Übungs-
Förderung kognitiver Lernstrategien aufgaben integriert. Die Bearbeitungszeit kann individu-
mit einem computerbasierten Training ell variieren, ist jedoch auf 90 Minuten ausgerichtet. Die
Selbstregulationstrainings finden nicht zwangsläufig im Wirksamkeit des computerbasierten Trainings konnte in
Rahmen von Präsenzlernen statt; immer häufiger wird Trainingsexperimenten in Bezug auf das Lernverhalten
selbstreguliertes Lernen auch im Zusammenhang mit und den Lernerfolg beim Lesen von Sachtexten belegt
Blended-Learning (vgl. Spiel et  al., 2007) oder der aus- werden.
schließlichen Verwendung von elektronischen Medien (Weitere Interventionen zur Trainierbarkeit kognitiver
gefördert. Der folgende Abschnitt stellt ein computerba- Grundfunktionen – jedoch ohne den Aspekt der selbstre-
siertes Trainingsprogramm für die 10. Jahrgangsstufe von gulatorischen Kompetenzen – finden sich in ▶ Kap. 17.)
Elzen-Rump und Leutner (2007) vor. Zielsetzung dieses
Programms ist es, den Einsatz einer Mapping-Strategie Vermittlung metakognitiver Strategien
(globales Organisieren und sprachliches Integrieren ge- mit einem webbasierten Lerntagebuch
lesener Information) im Kontext naturwissenschaftlicher Winter (2007; Winter & Hofer, 2007) konzipierte ein web-
Sachtexte zu optimieren. Die Besonderheit besteht darin, basiertes Lerntagebuch, das Studierende bei der Planung
dass der qualitätsvolle Einsatz dieser Lernstrategien regu- und Regulation des universitären Lernverhaltens unter-
liert werden soll. Basierend auf dem EPOS-Modell (Es- stützen soll. Dieses Programm ist prinzipiell unabhängig
sener prozessorientiertes Selbstregulationsmodell nach von den Inhalten einzelner Lehrveranstaltungen oder un-
Leutner & Leopold, 2005) wird damit vor allem auf die terschiedlichen Lehrplänen und zielt auf die Förderung
Mikro­ebene der Lernprozessregulation fokussiert. Der Ler- metakognitiver und ressourcenbezogener Regulations-
nende bekommt Wissen darüber vermittelt, warum und strategien ab. Der Lernende wird durch dieses Tool über
wie er einzelne Schritte der Mapping-Strategie einbringen einen längeren Zeitraum (z. B. ein Semester oder mehrere
62 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

Wochen während der Prüfungsvorbereitung) angehalten,


1 sein Lernverhalten in regelmäßigen Zeitabständen zu pla-
.. Tab. 3.4  Struktur und Inhalte des Trainings zur beruflichen
Zielerreichung. (Modifiziert nach Landmann, 2005, mit freundli-
nen, zu beobachten, zu protokollieren und zu reflektieren. cher Genehmigung des Shaker-Verlags, Aachen)
2 Dies geschieht anhand von Leitfragen, die sich entweder
Einheit Inhalte
auf einen einzelnen Lerntag oder eine ganze Lernwoche
beziehen. Darüber hinaus hat er die Möglichkeit, die Ent-
3 wicklung seines Lernverhaltens über die Zeit grafisch dar-
1. Termin Kennenlernen, Struktur des Trainings
– Kennenlernen der Teilnehmer untereinander
stellen zu lassen. Dieses elektronische Lerntagebuch wurde – Vorstellen von Gruppenregeln
4 an der Universität Mannheim erprobt und die Ergebnisse – Abgleich von Zielen und Erwartungen
– Trainingsüberblick, Modell
zeigen, dass eine sorgfältige und kontinuierliche Nutzung – Hausaufgabe
5 die Selbstregulation beim Lernen (z. B. Zeit zur Prüfungs-
2. Termin Postaktionale Motivationsphase: Ziele I, Um-
vorbereitung, Wissenstest) verbessert.
gang mit Erfolg und Misserfolg

6 Förderung von Selbstregulation


– Sinn von Zielen und Zielbindung, Verträge,
Trainingsziel, Zielvereinbarung
bei Erwachsenen – Strategien zum Umgang mit Erfolg und
7 Dass Selbstregulation auch im Erwachsenenalter erfolg- Misserfolg
– Nutzenfokussierung, realistische Interpreta-
reich gefördert werden kann und die beschriebenen Stra-
tion von Ereignissen
tegien auch für den beruflichen Kontext hilfreich sein
8 könnten, zeigt das im Folgenden beschriebene Training
– Auswirkungen von günstigem und ungünsti-
gem Umgang mit Ergebnissen
von Landmann (2005; Landmann, Pöhnl & Schmitz, 2005). – Hausaufgabe
9 Es richtet sich an Personen, die sich in Phasen beruflicher 3. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele II,
Neuorientierung oder des beruflichen Wiedereinstiegs Stärken
10 befinden. Das Training besteht aus 7 wöchentlichen Trai- – Herausfordernde/realistische Zielsetzung,
ningssitzungen von jeweils 2,5 Stunden. Die Strukturie- Zielanpassung
rung und Auswahl der vermittelten Inhalte orientiert sich – Zusammenhang zwischen Zielsetzung und
11 am ▶ Handlungsphasenmodell (Gollwitzer, 1990; Heck-
Ergebnis
– Stärkenanalyse
hausen, 1989). Es werden wesentliche Strategien jeder – Hausaufgabe
12 einzelnen Handlungsphase (prädezisionale, präaktionale,
4. Termin Prädezisionale Motivationsphase: Ziele III
aktionale, postaktionale Phase) vermittelt, um hierdurch – Strukturierung und Formulierung von Zielen
einen vollständigen Handlungsablauf zu fördern und so-
13 mit die Zielerreichung zu ermöglichen. Die vermittelten
– Zielformulierung

--
– Hausaufgabe
Strategien sind:
14 Zielsetzung
5. Termin Präaktionale Volitionsphase: Handlungspla-

--
nung
Handlungsplanung – Nutzen konkreter, schriftlicher Planung

15 Selbstmotivierung – Umgang mit Handlungs- und Wochenplänen

--
– Erstellen eines Handlungsplanes
Selbstbeobachtung
– Vorausschauende Problemanalyse
Handlungsregulation

--
16 Volition
– Problemlösen/allg. Problemlöseleitfaden
(Rückfallpräventionsmodell)
Attribution – Hausaufgabe
17 Reflexion. 6. Termin Aktionale Volitionsphase: Selbstregulations-
zyklus
In . Tab. 3.4 sind die Inhalte des Trainings entsprechend
18 den einzelnen Sitzungen dargestellt.
– Selbstregulationszyklus: Selbstbeobachtung,
-bewertung, -reaktion
– Nutzen und Anwendung von Verstärkern
Die einzelnen Sitzungen folgen einem ähnlichen Ablauf.
19 Zu Beginn werden in der Gruppe die Erfahrungen mit dem
– Zusammenhang von Emotionen, Kognitio-
nen, Verhalten
Tagebuch und bei der Umsetzung der Inhalte seit der letzten – Kognitions- und Emotionssteuerung
20 Trainingssitzung besprochen. Anschließend werden die In- – Hausaufgabe
halte der jeweiligen Stunde in eine vereinfachte Darstellung 7. Termin Wiederholung, Abschluss, Evaluation
des Handlungsphasenmodells eingeordnet, das als Rahmen-
21 modell für das gesamte Training dient und die kognitive
– Wiederholung der zentralen Inhalte des
Trainings
Strukturierung der vermittelten Inhalte seitens der Teil- – Rückblick/persönliches Resümee, Trainingser-

22 nehmer erleichtert. Bevor neue Inhalte vermittelt werden,


innerer
– Evaluationsfragebogen
erfolgt die Aktivierung von Vorwissen. Theoretische Inhalte
3.5 • Ausblick
63 3

werden in kurzen, interaktiven Vortragssequenzen dargebo- zwischen den verschiedenen Möglichkeiten zur För-
ten und in anschließenden Einzel- oder Gruppenübungen derung selbstregulierten Lernens von wissenschaftli-
vertieft. Zum Ende jeder Sitzung werden die Inhalte der
Sitzung von den Teilnehmern zusammengefasst; außerdem
wird eine Hausaufgabe aufgegeben. Das Training wird in
Kleingruppen von maximal 15 Personen durchgeführt.
- chem Interesse.
Bezogen auf die unterstützenden Maßnahmen zur
Förderung selbstregulierten Lernens bildet die Kon-
zeption und Evaluation von Selbstbeobachtungstage-
Wesentliche weitere konzeptionelle Bestandteile des büchern, die der Förderung von Selbstbeobachtung
Trainings sind dienen, einen weiteren Themenschwerpunkt. Da das
a) ein Trainingsprojekt (in der Regel das berufliche Ziel) Self-Monitoring eine wesentliche Voraussetzung für
der Teilnehmer, das zu Beginn des Trainings gesetzt gelungenes Regulationsverhalten darstellt, ist die
und an dem sukzessive die vermittelten Strategien um- Identifikation von Maßnahmen zur Unterstützung
gesetzt/erprobt werden, der Selbstbeobachtung von hoher Relevanz. Selbstre-
b) ein Trainingsvertrag zwischen den Teilnehmern und gulationstagebücher konnten zwar bei unterschied-
dem Trainer und lichen Zielgruppen erfolgreich zur Förderung von
c) ein Selbstbeobachtungstagebuch, das täglich ausgefüllt Selbstregulation eingesetzt werden, sie sind aber noch
wird und das der strukturierten Umsetzung und Be-
obachtung der im Training vermittelten Strategien im
Alltag dient. - vergleichsweise aufwändig und wenig alltagstauglich.
Generell gilt es schließlich auch näher zu analysieren,
ab welchem Alter welche Selbstregulationskompeten-
zen gefördert werden können.
Die Ergebnisse belegen die Wirksamkeit des Trainings
sowohl im Hinblick auf die Vermittlung von Selbstregula-
Fazit
tionsstrategien als auch in Bezug auf die berufliche Zieler-
Insgesamt sollte mit diesem Kapitel deutlich gemacht
reichung (Landmann, Pöhnl & Schmitz, 2005), wobei sich
werden, dass Selbstregulationskompetenzen für erfolg-
das Tagebuch als besonders wirkungsvolle Trainingskom-
reiches Lernen und Studieren entscheidend sind. Die
ponente erwiesen hat.
vielfältigen Forschungsaktivitäten in diesem Bereich
haben zur Entwicklung zunehmend differenzierter
3.5 Ausblick Modelle der Selbstregulation geführt, die Ausgangs-
punkt von Fördermaßnahmen wurden. Ungeachtet des
umfangreichen Kenntnisstands und der Tatsache, dass
Ungeachtet der intensiv betriebenen Forschungs- und Ent-
selbstreguliertes Lernen als ein wichtiges Qualitätskri-
wicklungsarbeit in den letzten Jahren lässt sich eine Reihe
terium von Schulqualität angesehen wird, ist jedoch
von Fragestellungen nennen, denen es zukünftig nachzu-
die Vermittlung von Selbstregulationsstrategien weder
gehen gilt. Exemplarisch seien abschließend ausgewählte

-
in der Schule, noch im Studium oder im Berufsleben
Forschungsthemen skizziert:
selbstverständlich. Dieses Ungleichgewicht verweist
Derzeit existiert eine Reihe von Selbstregulations-
letztlich auf allgemeine Probleme der praktischen
modellen, die sich trotz unterschiedlicher Schwer-
Umsetzung von Forschungsergebnissen, die (auch) in
punktsetzungen mehr oder weniger stark überlappen.
der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und Hoch-
Eine Herausforderung für die weitere Forschung wird
schullehrern zu verorten sind (▶ Kap. 18).
darin bestehen, vorliegende Modellvorstellungen

- stärker zu integrieren.
Eine weitere offene Forschungsfrage zielt auf das Ver-
hältnis zwischen Fremd- und Selbststeuerung, das in

-
Verständnisfragen
den wenigsten Theorien Berücksichtigung findet, ab. 1. Warum ist selbstreguliertes Lernen wichtig für den Lerner-
Auch die Frage, welche Rolle das soziale Umfeld und folg?
Peergruppen bei der Unterstützung von Selbstregula-

-
2. Welche Phasen werden bei den neueren prozessorientier-
tion spielen, ist bisher wenig erforscht. ten Modellen der Selbstregulation unterschieden und was
In Bezug auf die Messung von Selbstregulations- beinhalten die einzelnen Phasen?
kompetenz besteht Forschungsbedarf hinsichtlich 3. Welche Verfahren zur Erfassung selbstregulierten Lernens
der Frage, worauf die eher geringen Korrelationen werden unterschieden?
zwischen der im Fragenbogen erhobenen Selbstre- 4. Beschreiben Sie die Inhalte des LIST!
gulationskompetenz und dem tatsächlich gezeigten 5. Wie lauten die allgemeinen Prinzipien, die bei der Wis-
Regulationsverhalten zurückzuführen sind. In diesem sensvermittlung zum selbstregulierten Lernen beachtet
Zusammenhang ist auch die Analyse der Beziehung werden sollten?
64 Kapitel 3  •  Selbstregulation und selbstreguliertes Lernen

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67 II

Lehren
Kapitel 4 Unterricht – 69
Frank Lipowsky

Kapitel 5 Klassenführung – 107
Tina Seidel

Kapitel 6 Medien – 121
Holger Horz
69 4

Unterricht
Frank Lipowsky

4.1 Begriffliche und theoretische Grundlagen  –  70


4.1.1 Didaktische Theorien – Modelle für die Planung
und Analyse von Unterricht  –  70
4.1.2 Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Didaktik  –  71
4.1.3 Instructional-Design-Modelle – 71
4.1.4 Angebots-Nutzungs-Modell – 75

4.2 Merkmale und Merkmalskonfigurationen


erfolgreichen Unterrichts – 77
4.2.1 Strukturiertheit des Unterrichts  –  78
4.2.2 Inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unterrichts  –  81
4.2.3 Feedback – 82
4.2.4 Kooperatives Lernen – 85
4.2.5 Üben – 88
4.2.6 Kognitive Aktivierung – 89
4.2.7 Metakognitive Förderung – 91
4.2.8 Unterstützendes Unterrichtsklima – 92
4.2.9 Innere Differenzierung, Individualisierung und Scaffolding
als Formen adaptiven Unterrichts   –  93
4.2.10 Zusammenfassung und Einbettung der Befunde  –  95
4.2.11 Grenzen – 96

Literatur – 98

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
70 Kapitel 4 • Unterricht

Dieses Kapitel beleuchtet theoretische Grundlagen unter-


1 richtlichen Lehrens und Lernens und gibt einen Überblick
über wichtige Ergebnisse der Unterrichtsforschung. Dabei
2 wird sowohl auf kognitive als auch auf affektiv-motivationale
Merkmale von Schulerfolg Bezug genommen (. Abb. 4.1).

3
4.1 Begriffliche und theoretische
4 Grundlagen

5 Dieser Abschnitt setzt sich mit begrifflichen und theoreti-


schen Grundlagen unterrichtlichen Lehrens und Lernens
auseinander. Wenn hier von ▶ Unterricht oder unterricht-
6 lichem Lehren und Lernen die Rede ist, dann ist primär der
Unterricht in der Schule gemeint, obgleich der Terminus
7 „Unterricht“ auch Prozesse in Institutionen der Erwachse- .. Abb. 4.1  (© Digital Vision/Thinkstock)
nenbildung, wie z. B. in der Hochschule oder in der priva-
ten oder betrieblichen Weiterbildung, umfasst. terentwickelten Konzeption die Auswahl und Begründung
8 von Unterrichtsinhalten. Dem Bedeutungsgehalt eines
Definition  Themas misst Klafki die zentrale Rolle für die Bildung der
9 Unterricht kann als langfristig organisierte Abfolge Lernenden bei. Da nicht jeder Inhalt nach Ansicht Klafkis
von Lehr- und Lernsituationen verstanden werden, die bildungsbedeutsam ist, hat die Lehrperson vorrangig die
10 von ausgebildeten Lehrpersonen absichtsvoll geplant Aufgabe, die Inhalte auf ihren gegenwärtigen und zukünf-
und initiiert werden und die dem Aufbau von Wissen tigen Bedeutungsgehalt zu analysieren. Hierzu entwickelt
sowie dem Erwerb von Fertigkeiten und Fähigkeiten Klafki die sog. didaktische Analyse, die der Lehrperson
11 der Lernenden dienen. Sie finden in der Regel in Leitfragen zur Vorbereitung ihres Unterrichts an die Hand
bestimmten dafür vorgesehenen Institutionen unter gibt.
12 regelhaften Bedingungen statt (Terhart, 1994). In ihrer Berliner Didaktik unterscheiden Heimann,
Otto und Schulz (1965) vier Entscheidungsfelder (Ziele,
Inhalte, Verfahren und Medien des Unterrichts) und zwei
13 Im Folgenden werden zunächst theoretische Ansätze vor- Bedingungsfelder (anthroprogene und soziokulturelle
gestellt, die seitens der Schulpädagogik (▶ Abschn. 4.1.1) Lernvoraussetzungen der Lernenden) und betonen deren
14 und der Unterrichtsforschung (▶ Abschn. 4.1.3) zur Ana- Interdependenz. Beispielsweise lassen sich ohne Kenntnis
lyse von Lehr- und Lernprozessen und zur Erklärung von der Lerngruppe und ihrer spezifischen Voraussetzungen
15 Schulerfolg entwickelt wurden. Daran anschließend wird didaktische Entscheidungen nicht begründet treffen. Das
ein Überblick über den Forschungsstand zu Unterrichts- Berliner Modell hatte großen Einfluss auf die Ausbildung
merkmalen gegeben, die die kognitive und die affektiv- ganzer Lehrergenerationen und akzentuiert vor allem die
16 motivationale Entwicklung der Lernenden beeinflussen Frage nach der sinnvollen und kohärenten Beziehung zwi-
(▶ Abschn. 4.2). schen Zielen, Inhalten und Methoden des Unterrichts. Von
17 Schulz (1980) wurde es zur Hamburger Didaktik weiter-
entwickelt, wobei er vor allem an den wissenschaftsthe-
4.1.1 Didaktische Theorien – Modelle oretischen Prämissen des Berliner Modells Änderungen
18 für die Planung und Analyse vornahm.
von Unterricht Obgleich seit einigen Jahren zunehmende Kritik an
19 den Modellen und Theorien der allgemeinen Didaktik laut
Die allgemeine Didaktik hat eine Vielzahl von didaktischen wird, die sich vor allem an der mangelnden Integration
20 Theorien entwickelt, die sich vor allem als Modelle für die empirischer Forschungsbefunde und an der Abstraktheit
Planung und Analyse von Unterricht verstehen. Bekannt der Modelle entzündet, sind sie auch heute noch für die
geworden sind vor allem die didaktischen Modelle von Ausbildung von Lehrpersonen von Bedeutung. Sie ge-
21 Klafki (1963, 1996) und Heimann et al. (1965), auf die hier ben der Lehrperson wichtige Leitfragen zur Planung von
kurz eingegangen werden soll. Unterricht an die Hand, sensibilisieren für bestehende
22 Klafki (1963, 1996) akzentuiert in seiner bildungstheo- Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Entschei-
retischen, später zur kritisch-konstruktiven Didaktik wei- dungsfeldern, regen zur Reduzierung und Strukturierung
4.1  •  Begriffliche und theoretische Grundlagen
71 4

des Unterrichtsgegenstands an und bilden damit ein Ge- neue Einsichten hervorzuheben, darüber zu wachen, dass
rüst für die Planung und Analyse von Unterricht. Zum der Überblick über das Ganze nicht verloren geht, und den
„Ausfüllen“ dieses Rahmens ist es jedoch auch notwendig, Blick immer wieder auf die ursprüngliche Fragestellung
Erkenntnisse aus der empirischen Unterrichtsforschung zu lenken.
und den Fachdidaktiken heranzuziehen. Übungs- und Wiederholungsphasen dienen der Au-
tomatisierung und Konsolidierung des Gelernten. Aebli
(1976, S. 238ff.) verweist bei der Gestaltung der Übungs-
4.1.2 Aeblis Entwurf phasen auf die Erkenntnisse der Lernpsychologie. Er
einer kognitionspsychologischen erinnert z. B. an das Gesetz des verteilten Übens (▶ Ab-
Didaktik schn. 4.2.5) und fordert, erst dann auswendig zu lernen,
wenn eine ausreichende Durcharbeitung stattgefunden hat.
Einen ganz anderen Weg der Theoriebildung beschritt der Nach der Konsolidierung des Gelernten sollen Hand-
Schweizer Hans Aebli. Als Schüler Piagets entwickelt er lungen, Operationen und Begriffe in vielfältiger Weise an-
eine stark auf kognitionspsychologischen Erkenntnissen gewendet werden, um sie transferierbar für neue Kontexte
beruhende Didaktik und legt den Schwerpunkt auf die und Situationen zu machen. Anwendungen stehen jedoch
Lern- und Verstehensprozesse der Lernenden, indem er nicht ausschließlich am Schluss einer Unterrichtseinheit,
nach den allgemeingültigen Strukturmerkmalen der Ope- sondern erfolgen auch bei der Bearbeitung und Lösung
rations- und Begriffsbildung fragt und damit die „kog- neuer Probleme.
nitive Tiefengrammatik“ (Messner & Reusser, 2006) des Aeblis Entwurf einer kognitionspsychologischen Di-
Unterrichts akzentuiert. daktik erfreut sich in Deutschland in jüngster Zeit wach-
Aebli geht – und das kennzeichnet seine Nähe zu kog­ sender Beliebtheit. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum
nitionspsychologischen und konstruktivistischen Posi- einen gilt sein Entwurf als anschlussfähig an die aktuelle
tionen (▶ Abschn. 4.1.3) – davon aus, dass Lernende ihr Unterrichtsforschung, und zum zweiten richtet Aebli sei-
Wissen selbst aufbauen müssen und dass die Auseinander- nen Fokus nicht, wie die meisten didaktischen Theorien,
setzung mit Problemen besonders geeignet ist, diesen Wis- auf Oberflächenmerkmale von Unterricht, sondern eher
sensaufbau zu befördern. Die Lernprozesse im Unterricht auf die konkreten Lern- und Verstehensprozesse der Ler-

--
sollten nach Aebli (1983) bestimmte Schritte durchlaufen:
problemlösendes Aufbauen
nenden.

-- Durcharbeiten
Üben
Anwenden
4.1.3 Instructional-Design-Modelle

Die angloamerikanische Lehr- und Lernforschung fasst


Den Ausgangspunkt einer Unterrichtseinheit bildet ein Modelle zur Planung und Gestaltung von Unterricht häu-
Problem, das die Lernenden zu den geforderten Opera- fig unter dem Begriff „instructional design“ zusammen
tionen führen soll und das geeignet sein muss, die sachli- (Niegemann, 2001). Im Gegensatz zu den didaktischen
chen Beziehungen und Strukturen zu verdeutlichen. Das Modellen deutscher Provenienz (s. o.) fokussieren die In-
Problem, das in der Regel von der Lehrperson eingebracht struktionsdesignmodelle konkreter auf die eigentlichen
wird, sollte in lebenspraktische Zusammenhänge eingeklei- Lehr- und Lernprozesse und beschäftigen sich intensiver
det sein. Zunächst entwickeln die Lernenden eine Lösung mit der Frage nach deren Wirksamkeit. Insofern wundert
für das gestellte Problem und bauen dabei neue Operati- es nicht, dass die entwickelten Ansätze sehr eng mit den je-
onen auf. Die bei der Problembearbeitung gewonnenen weils vorherrschenden lerntheoretischen Annahmen ihrer
Einsichten sind jedoch noch sehr am spezifischen Problem Zeit korrespondieren. Im Folgenden werden exemplarisch
verhaftet. Modelle vorgestellt, die sich auf behavioristische Ansätze
Um ein vertieftes Verständnis der Zusammenhänge stützen, eine deutliche Affinität zu kognitiven Theorien
zu erreichen und bewegliches Denken zu fördern, ist es aufweisen oder an konstruktivistischen Grundannahmen
daher notwendig, Handlungen, Begriffe und Operatio- orientiert sind.
nen durchzuarbeiten, d. h. vielfältigen Transformationen Kritisch angemerkt werden muss, dass vor allem die
zu unterwerfen und sie aus verschiedenen Perspektiven frühen Instructional-Design-Modelle den Unterricht sehr
zu beleuchten. „Im Zuge eines solchen Durcharbeitens technologisch betrachteten, indem sie unterrichtliche Pro-
reinigen wir … den Begriff von den Schlacken, die ihm zesse auf rationale, vollständig zu planende Teilschritte re-
von der ersten Erarbeitung her anhaften. Die wesentlichen duzierten und ein aus heutiger Sicht vergleichsweise naives
Zusammenhänge treten in Klarheit hervor“ (Aebli, 1976, mechanistisches Verständnis des Lehrens und Lernens ver-
S. 206). Der Lehrperson kommt dabei u. a. die Aufgabe zu, traten (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001).
72 Kapitel 4 • Unterricht

Behavioristisch orientierte Instructional- durch die zahlreichen remedialen Schleifen in ihrer Ent-
1 Design-Modelle wicklung eher gehemmt werden (Arlin, 1984).
Im Mittelpunkt des einflussreichen Modells von Carroll Unterrichtspraktisch erwiesen sich die Zergliederung
2 (1963) steht die Lernzeit. Carroll betrachtet den Lerner- des Lernstoffs in kleine „Häppchen“, die passive Rolle der
folg eines Schülers als eine Funktion des Verhältnisses von Lernenden und die großen zeitlichen Beanspruchungen,
tatsächlich aufgewendeter aktiver Lernzeit und benötigter die durch die remediale Instruktionen entstanden, als pro-
3 Lernzeit (Lernerfolg = aktive Lernzeit / benötigte Lern- blematisch.
zeit). Die benötigte Lernzeit wird aufseiten der Lernenden
4 beeinflusst von deren Lernvoraussetzungen, genauer von Kognitionspsychologisch fundierte
den aufgabenspezifischen und den allgemeinen kognitiven Instructional-Design-Modelle
5 Fähigkeiten, von der Fähigkeit, dem Unterricht zu folgen Die kognitive Struktur des Menschen ist nach Ansicht von
und von der Qualität des Unterrichts (. Abb. 4.2). Die Ausubel (1974) hierarchisch geordnet. Sie umfasst auf ei-
aufgabenspezifischen und allgemeinen kognitiven Vor- ner höheren Ebene allgemeinere Begriffe und Konzepte,
6 aussetzungen beeinflussen wiederum die Fähigkeit, dem die sich nach unten in spezifischere Begriffe und Konzepte
Unterricht zu folgen, auf die sich auch die Qualität des Un- auffalten. Damit es Lernern gelingt, neue Wissenselemente
7 terrichts auswirkt: Ist die Qualität des Unterrichts gering, in ihre bestehende kognitive Struktur zu integrieren, sollte
benötigt der Lernende mehr Zeit und günstigere kognitive die Darbietung des Unterrichtsgegenstands (Exposition)
8
9
Lernvoraussetzungen, um dem Unterricht zu folgen. Als
Merkmale guten Unterrichts nennt Carroll Aspekte wie
die Klarheit der Begriffe und Erklärungen, die vernünftige
Anordnung der Inhalte, das Ausmaß an Wiederholungen
-
bestimmten Prinzipien genügen:
Zu Beginn einer Unterrichtssequenz sollten Advance
Organizer als Strukturierungshinweise eingesetzt
werden. Sie geben einen Überblick über den Unter-
und Anwendungen, die Klarheit der Anforderungen sowie richtsgegenstand, bieten gedankliche Verankerungs-
10 die Bekräftigungen, Verstärkungen und Rückmeldungen möglichkeiten und erleichtern die Einordnung neuer

11
seitens der Lehrperson.
Ähnlich wie Carroll räumt Bloom (1976) der Lern-
zeit eine bedeutsame Rolle ein: 90 % der Lernenden einer
Klasse können gute Leistungen erreichen, wenn ihnen aus-
- Ideen, Gedanken und Konzepte (▶ Abschn. 4.2.1).
Der Unterricht sollte von allgemeinen Begriffen
zu spezifischen Details voranschreiten, da es dem
Lernenden so leichter gelingt, neues Wissen in seine
12 reichend Zeit zum zielerreichenden Lernen („mastery lear- kognitive Struktur zu integrieren. Dies entspricht

13
ning“) zugestanden wird und wenn sich der Unterricht an
den speziellen Lernbedürfnissen und Lernvoraussetzungen
der Lernenden orientiert.
Ein qualitativ hochwertiger Unterricht zeichnet sich
- einem eher deduktiven Vorgehen.
Unter integrativer Aussöhnung versteht Ausubel,
Beziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede
zwischen inhaltlichen Aspekten zu verdeutlichen und
14 nach Bloom dadurch aus, dass die Lehrkraft den Unter- herauszustellen (vgl. auch „Training zum induktiven

15
richtsstoff schrittweise darbietet und nach jeder Unter-
richtssequenz den Lernenden Rückmeldungen gibt, ob
diese die Leistungsanforderungen erfüllt haben oder nicht.
Für diejenigen Schüler, die die Lernziele nicht erreicht ha-
- Denken“ in ▶ Kap. 17 und ▶ Abschn. 4.2.5).
Sequenzielle Organisation bezieht sich auf die
Kohärenz des unterrichtlichen Stoffs. Lernen und
Behalten werden befördert, wenn die Lehrperson die
16 ben, stellt die Lehrperson zusätzliche Instruktionen und dem Stoff innewohnenden Abhängigkeiten beachtet

17
18
Übungen bereit, bis die Lernenden die Ziele erfüllen. Zu
den weiteren Komponenten der Unterrichtsqualität gehö-
ren für Bloom die Bekräftigung der Lernenden und ein ef-
fektives Unterrichtsmanagement, das sich in einem hohen
- und den Stoff entsprechend sequenziert.
Mit Verfestigung sind vor allem Übungen und
Wiederholungen mit fortschreitenden Variationen
gemeint.
Anteil aktiv genutzter Lernzeit widerspiegelt.
In Blooms Verständnis von Unterrichtsqualität kommt Diese Prinzipien verdeutlichen die zentrale Rolle, die Au-
19 deutlich das Konzept des zielerreichenden Lernens zum subel den Lehrenden zuordnet. Insbesondere schwächere
Ausdruck (Bloom, 1971). Diese Form individualisierten Schüler bedürfen aus seiner Sicht darbietender Verfahren
20 Unterrichts, die vor allem die den Lernenden zur Verfü- und einer Vorstrukturierung des Unterrichtsgegenstands
gung gestellte Lernzeit variierte, erwies sich zwar einer- durch die Lehrperson.
seits als wirksam (Kulik, Kulik, & Bangert-Drowns, 1990; Im Unterschied zu Ausubel hält Bruner (1961) es für
21 Hattie, 2009). Andererseits zeigte sich jedoch, dass die Ef- erfolgversprechender, wenn die Lernenden zunächst mit
fekte in erheblichem Ausmaß mit der Qualität des Lehrer- Einzelfällen bzw. bestimmten Problemen konfrontiert
22 feedbacks, den spezifischen Leistungsanforderungen und werden, um daraus auf übergreifende gesetzmäßige Zu-
den eingesetzten Tests variieren und dass stärkere Schüler sammenhänge zu schließen. Die Lernenden sollen sich
4.1  •  Begriffliche und theoretische Grundlagen
73 4
.. Abb. 4.2  Das Modell von Caroll (1963.
Republished with permission of Teachers
College Record, © 1963; permission con-
veyed through Copyright Clearance Center,
Inc.) in Anlehnung an Harnischfeger und
Wiley (1977, mit freundlicher Genehmigung
von Hogrefe, Göttingen)

dabei aktiv und selbstständig mit den Lernaufgaben aus- dass entdeckendes Lernen insbesondere dann, wenn es
einandersetzen und so zu Konstrukteuren ihres eigenen mit Merkmalen wirksamen Unterrichts kombiniert wird,
Lernprozesses werden. Den Lehrenden versteht Bruner an Effektivität gewinnt. So stellen die Autoren fest, dass
als zurückhaltenden Moderator, der für die Auswahl ge- entdeckendes Lernen effektiv ist, wenn der Unterrichts-
eigneter Probleme und Aufgabenstellungen sorgt und die stoff angemessen strukturiert ist, die Schüler aufgefordert
Lernenden zum Entdecken anleitet. werden, die erarbeiteten Sachverhalte und Lösungswege
Zwischen Bruner und Ausubel entspann sich seiner- sich oder Mitschülern zu erklären, wenn sie Feedback
zeit eine anhaltende Kontroverse, die letztlich – wenn- erhalten und ihnen Lösungsbeispiele angeboten werden
gleich unter Verwendung unterschiedlicher Termini (Alfieri et al., 2011). Alle diese Punkte sind bereits für
– bis heute andauert. So diskutierten Verfechter der sich genommen Merkmale lernwirksamen Unterrichts
Cognitive-Load-Theorie (▶ Kap. 1) und Anhänger pro- (▶ Abschn. 4.2.1, ▶ Abschn. 4.2.2, ▶ Abschn. 4.2.3, ▶ Ab-
blemorientierten Lernens, wie viel Lehrerlenkung und schn. 4.2.7).
Strukturierung für die Lernenden förderlich sind (vgl.
Hmelo-Silver, Duncan & Chinn, 2007, Kirschner, Sweller Konstruktivistische Ansätze
& Clark, 2006; Schmidt, Loyens, Van Gog & Paas, 2007). Seit einigen Jahren stoßen gemäßigt konstruktivistische
Die Forschung zeigt zusammenfassend, dass entdeckende Positionen auf eine breite Resonanz in der Lehr- und Lern-
Lernumgebungen lehrergelenkten Settings nicht zwangs- forschung und in der Schulpädagogik. Aus konstruktivisti-
läufig unter- oder überlegen sind, sondern dass es auf die scher Sicht wird Lernen als ein konstruktiver, kumulativer,
Lernvoraussetzungen der Lernenden, auf Merkmale der selbstgesteuerter, situativer, individuell unterschiedlicher,
Lernumgebung und ihrer Implementierung und dabei gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen angewiesener
insbesondere auf den Grad der Strukturierung und auf Prozess des Aufbaus von Wissen und der Konstruktion von
die intendierten Kompetenzen ankommt (Hasselhorn Bedeutung verstanden (De Corte, 2000).
& Gold, 2013). So ergab eine aktuelle Metaanalyse, dass Die auf konstruktivistischen Annahmen beruhenden
die Leistungen von Schülern beim entdeckenden Lernen Lernumgebungen werden häufig unter dem Begriff des
mit nur geringer Lehrerlenkung geringer ausfallen als situierten oder problemorientierten Lernens zusam-
im Rahmen von lehrergelenkten Unterrichtsverfahren mengefasst. Dem situierten Lernen liegt die Annahme
(direkte Instruktion), während demgegenüber entde- zugrunde, dass das Lernen kontextgebunden, d. h. situiert
ckendes Lernen mit einer stärkeren Lehrerlenkung und erfolge. Gerade diese Annahme der Situiertheit des Ler-
Strukturierung zu besseren Leistungen führt als andere nens wird jedoch nicht vorbehaltlos geteilt, denn schließ-
Unterrichtsformen (Alfieri, Brooks, Aldrich & Tenen- lich gibt es zahlreiche Beispiele, in denen die Übertragung
baum, 2011). Vertiefte Analysen lassen den Schluss zu, erworbenen Wissens gelingt.
74 Kapitel 4 • Unterricht

1
Situierte Lernumgebungen konfrontieren die Lernen-
den in der Regel mit komplexen Aufgaben und authen-
tischen Problemen und setzen bei der Bearbeitung auf
- Gleichwohl lassen sich diese Selbstregulationsfähig-
keiten, wie die Forschung zum selbstgesteuerten Ler-
nen zeigt, mit Trainingsmaßnahmen gezielt fördern.
2 ein hohes Maß der Selbststeuerung. Sie intendieren, den Diese Trainings fokussieren in der Regel auf den
Aufbau tragfähigen und flexiblen Wissens zu unterstützen, systematischen domänenspezifischen Erwerb und die
das Verständnis für neue Lerninhalte zu erleichtern und reflexive Anwendung von Lernstrategien (▶ Kap. 3)
3 die Anwendbarkeit sowie den Transfer erworbener Kennt- und wirken sich nicht nur positiv auf den Erwerb
nisse und Fertigkeiten zu fördern (Reinmann-Rothmeier von kognitiven und metakognitiven Lernstrategien
4 & Mandl, 2001). und den Erwerb affektiv-motivationaler Aspekte des
Zu den bekanntesten konstruktivistisch-orientierten Lernens, sondern auch auf die Schulleistungen von
5 Instruktionsmodellen zählen das Modell der „anchored in- Lernenden aus (vgl. u. a. Dignath, Büttner & Lang-
struction“ und der Ansatz des „cognitive apprenticechip“ feldt, 2008; Hattie, 2009, 2012; auch: ▶ Abschn. 4.2.7).
(▶  Exkurs „Anchored Instruction und Cognitive Apprentice- Hattie (2012) ermittelt für alle ausgewertete Metaana-
6 ship“). lysen, welche die Förderung kognitiver und meta-
Mitunter werden auch offene Unterrichtsformen als kognitiver Strategien sowie affektiv-motivationaler
7 eine Form konstruktivistisch orientierten Unterrichts be- Komponenten des Lernens intendierten („meta-
trachtet, da man in den Wahlfreiheiten des Unterrichts cognitive strategies“,„study skills“, „self-verbalisation
wesentliche Elemente eines konstruktivistisch geprägten & self questioning“), eine mittlere Effektstärke von

-
8 Lernverständnisses berücksichtigt sieht (s. o.). Dabei wird d = 0.64.
jedoch übersehen, dass sich aus konstruktivistischen Po- Studienergebnisse verweisen darauf, dass sich die
9 sitionen keine direkten Schlussfolgerungen für konkretes Art und Weise, wie konstruktivistisch orientierte
didaktisches Handeln ableiten lassen (s. u.; auch Reusser, Lernumgebungen realisiert werden, erheblich un-
10 2006; Mayer, 2009). terscheiden kann und dass die Unterschiede in der
Die bislang vorliegenden Studien, die sich mit der Wirk- Implementierung auch die Stärke der Effekte der
samkeit konstruktivistisch orientierter, problemorientierter Lernumgebungen beeinflussen (Cognition and Tech-
11 und offener Lernumgebungen beschäftigten, zeichnen ins- nology Group at Vanderbilt, 1997; Hickey, Moore, &

12
gesamt ein uneinheitliches Bild. Dies dürfte teilweise Unter-
schieden in der Operationalisierung der Lernumgebungen
geschuldet sein, teilweise aber auch auf eine unzureichende
Erfassung und Kontrolle wichtiger Merkmale des Unter-
- Pellegrino, 2001).
Offenere Lernumgebungen sind offenbar vor allem
dann lernwirksam, wenn die Lehrperson den Un-
terrichtsgegenstand strukturiert und die Lernenden

-
13 richts und der Lernenden zurückzuführen sein. kognitiv aktiviert, sodass es den Lernenden gelingt,
Dochy et al. (2003) gelangen in ihrer Metaanalyse zu neue Wissenselemente und Informationen mit bereits
14 dem Fazit, dass problemorientierte Lernumgebungen bestehenden zu verknüpfen und ihre vorhandenen
höhere Lernerfolge nach sich ziehen, wenn es um den Konzepte zu erweitern, umzustrukturieren und ggf.
15 Erwerb von Problemlöse- und Anwendungsfähig- weiterzuentwickeln (Hardy, Jonen, Möller & Stern,
keiten geht. Gemessen am Erwerb von deklarativem 2006; Lipowsky, 2002). Somit erweist es sich ähn-
und konzeptuellem Wissen fallen die Ergebnisse lich wie beim entdeckenden Lernen (s. o.) auch für
16 jedoch inkonsistent aus und offenbaren teilweise offenere Lernumgebungen als vorteilhaft, wenn sich
Einbußen. Giaconia und Hedges (1982) fassen den diese durch Merkmale lernwirksamen Unterrichts
17 Forschungsstand zum offenen Unterricht zusam- auszeichnen.
men und machen hinsichtlich leistungsbezogener
Kriteriumsvariablen kaum Unterschiede zwischen Die Diskussion über das Für und Wider von Lernumge-
18 geöffneten und lehrergelenkten Unterrichtsformen bungen, die sich explizit auf konstruktivistische Ansätze
aus (vgl. auch Hattie, 2009). Über alle Studien hinweg und Theorien berufen, spiegelt sich auch in der Diskussion
19 ist ein Unterricht mit mehr Wahlfreiheiten für die über Vor- und Nachteile direkter und indirekter Instruk-
Schüler damit nicht zwingend lernwirksamer als ein tion wider, zwei Begriffe, die vor allem in der angloameri-
20 Unterricht, in dem die wesentlichen Entscheidungen kanischen Literatur Verwendung zu finden sind. Direkte

21 - von der Lehrperson getroffen werden.


Offene Lernumgebungen erfordern ein Mindestmaß
an Selbstregulationskompetenzen, weshalb Lernende
mit günstigeren Voraussetzungen stärker von diesen
Instruktion beschreibt einen lehrergelenkten Unterricht,
der durch klare Zielvorgaben, die verständliche Darstellung
von Inhalten, ein schrittweises Vorgehen, Lehrerfragen mit
unterschiedlicher Schwierigkeit, Phasen angeleiteten und
22 Ansätzen profitieren dürften als Schüler mit ungüns- selbstständigen Übens, häufiges Lehrerfeedback und eine
tigeren Voraussetzungen (Lipowsky, 2002). regelmäßige Überprüfung der Lernfortschritte der Ler-
4.1  •  Begriffliche und theoretische Grundlagen
75 4

Exkurs  |       | 

-
Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship
Der Anchored-Instruction-Ansatz wurde Fähigkeiten übertragen werden. Im „Coaching“ umfasst die Begleitung
von einer Gruppe an der Vanderbilt-Uni- Unterschied zum Anchored-Instruction- der Lernenden während der Problem-
versität in Nashville, USA (Cognition and
Technology Group at Vanderbilt – CTGV)
entwickelt. Die zentrale Komponente der
von dieser Gruppe entwickelten Lern-
Ansatz fordert der Cognitive-Appren-
ticeship-Ansatz eine aktivere Rolle der
Lehrperson und eine stärkere Anleitung
der Lernenden, da insbesondere bei
- bearbeitung.
„Scaffolding“ beschreibt die „Vermitt-
lungsbemühungen“ der Lehrperson
im Sinne minimaler didaktischer
umgebungen sind sogenannte narrative komplexeren Problemen die Gefahr der Hilfe, um eine Brücke zu schlagen
„Anker“, komplexe Geschichten, die den Überforderung besteht. Im Laufe einer zwischen dem bestehenden Wissen
Lernenden z. B. mittels Videofilm präsen- Unterrichtseinheit wird das Ausmaß an der Lernenden und den Anforderun-
tiert werden. An einer bestimmten Stelle
bricht der Film ab. Die Lernenden sollen
das Problem zunächst entdecken und
Lehrersteuerung jedoch immer weiter zu-
rückgefahren. Ein weiteres Kernelement
dieses Ansatzes ist, dass Lehrende – ana- - gen der Aufgabensituation.
„Fading“ meint, dass die Lehrperson
nach und nach ihre Unterstützung
mithilfe der im Film enthaltenen Infor-
mationen selbstständig und kooperativ
lösen. Die Lehrkraft hält sich dabei zurück
und übernimmt in diesen Lernumge-
log zu Handwerksmeistern – ihr Wissen
durch „lautes Denken“ verbal explizieren.
Zur Gestaltung des Unterrichts nach den
Grundsätzen des „cognitive apprentice-
- zurückfährt.
„Articulation“ bedeutet, dass die
Lernenden angeregt werden, ihre
Gedanken, Ideen und Lösungen
bungen die Rolle eines Moderators und
zurückhaltenden Betreuers.
Der Cognitive-Apprenticeship-Ansatz
ship“ werden verschiedene Strategien

-
empfohlen:
„Modeling“ meint das Vorzeigen und - wiederzugeben.
„Cooperation“ umfasst die koopera-
tive Bearbeitung von Aufgaben und
(kognitive Meisterlehre) geht auf Collins,
Brown und Newman (1989) zurück.
Ausgangspunkt sind Prinzipien der Hand-
werkslehre, die auf den Erwerb kognitiver
Vormachen und das laute Denken
der Lehrperson.
- Problemen.
„Reflection“ impliziert den Vergleich
von Lösungen und Strategien im
Austausch mit anderen.

nenden charakterisiert ist (Rosenshine & Stevens, 1986). Betrachtet man affektiv-motivationale Zielkriterien, so
Diese Erläuterung verdeutlicht, dass direkte Instruktion muss lehrergelenkter Unterricht nicht zwangsläufig mit ei-
keinesfalls mit einem die Schüler über- oder unterfordern- ner Belastung der Schülermotivation einhergehen, genauso
den fragend-entwickelnden Frontalunterricht gleichgesetzt wenig wie objektiv vorhandene Handlungsoptionen immer
werden kann. Indirekte Instruktion wird als Sammelbe- mit dem Erleben von Selbstbestimmung und intrinsischer
griff für unterschiedliche Ansätze und Konzepte benutzt, Motivation verbunden sein müssen (▶  Exkurs „Motivati-
wobei die Lernenden den Unterrichtsgegenstand und das onsförderung durch offenen Unterricht?“). Fokussiert man
Lernmaterial partiell selbst strukturieren, transformieren auf kognitive Zielkriterien, so können sich innere mentale
oder konstruieren (Borich, 2007) und die demzufolge mit Konstruktionsvorgänge grundsätzlich in jeder Art von Un-
einem geringeren Ausmaß an Lehrerlenkung verbunden terricht vollziehen. Hinzu kommt, dass eine hohe Aktivität
sind. Hierzu zählen u. a. das entdeckende Lernen („disco- der Lernenden auf der Verhaltensebene, wie sie z. B. im ge-
very learning“), das forschende Lernen („inquiry based öffneten Unterricht häufig zu beobachten ist, nicht zwangs-
learning“), das problemorientierte Lernen, offene Unter- läufig mit kognitiver Aktivität, mit dem Aufbau tragfähigen
richtsformen und konstruktivistisch-orientierte Lernum- Wissens bzw. der Umstrukturierung von Wissensbestän-
gebungen (Borich, 2007). den einhergehen muss (vgl. auch Chi, 2009; Mayer, 2004;
Zusammenfassend kommt die Forschung zu dem Renkl, 2011). Umgekehrt kann auch ein lehrerzentriertes
Ergebnis, dass Formen direkter Instruktion häufig lern- Vorgehen, bei dem die Lernenden äußerlich passiv wirken,
wirksamer und ökonomischer sind als Formen indirek- dazu führen, dass diese neues Wissen aufbauen oder altes
ter Instruktion, insbesondere dann, wenn die Lernenden Wissen um- bzw. restrukturieren.
über geringere Lernvoraussetzungen verfügen (z. B. Hattie,
2009; Klahr & Nigam, 2004; Schwerdt & Wuppermann,
2011). Gleichzeitig zeigt die Forschung aber auch, dass For- 4.1.4 Angebots-Nutzungs-Modell
men indirekter Instruktion wirksam sein können, wenn
sie mit Merkmalen lernwirksamen Unterrichts kombiniert In der deutschen Unterrichtsforschung hat sich in den
werden (s. o.). So setzt sich gegenwärtig immer stärker die letzten Jahren ein integratives systemisches Modell zur
Auffassung durch, dass Formen indirekter Instruktion auf Erklärung von Schulerfolg etabliert, das vor allem auf die
der einen Seite und Formen direkter Instruktion auf der Arbeiten von Fend (1981) und Helmke (2012) zurückgeht
anderen Seite komplementäre Ansätze sind, die es zu ver- (. Abb. 4.3). Das sog. ▶  Angebots-Nutzungs-Modell
binden gilt (Lipowsky, 2006; Gräsel & Parchmann, 2004). unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von den oben
76 Kapitel 4 • Unterricht

Exkurs  |       | 
1
Motivationsförderung durch offenen Unterricht?
2 Als besonderer Vorteil des offenen Unter- ▶ Kap. 10). Zwar deuten einige Befunde Unterricht, desto motivierter sind die Ler-
richts oder konstruktivistisch orientierter auf einen Zusammenhang zwischen nenden“ ist weder empirisch haltbar noch
Lernumgebungen wird immer wieder Wahlfreiheiten im Unterricht und dem Au- theoretisch zu erwarten, denn ein hohes
3 deren motivierendes Potenzial genannt, tonomieerleben bzw. der Ausbildung von Maß an Wahlfreiheiten kann im Sinne
das auf den hohen Grad an Selbstbestim- Interesse hin (Hartinger, 2005; Grolnick & der Choice-Overload-Hypothese auch zu

4 mung der Schüler zurückgeführt wird.


Nach bislang vorliegenden Befunden
Ryan, 1987). Allerdings spielt offenbar die
Wahlfreiheit nur dann eine Rolle, wenn
Überforderung, Frustration, Unzufrieden-
heit und Lernabbrüchen führen (Iyengar
greift aber die Annahme, dass mit die zur Auswahl stehenden Lernangebote & Lepper, 2000) und muss demzufolge

5 dem Ausmaß an Wahlfreiheiten auch


das Autonomieerleben und als Folge
das Interesse der Lernenden ansprechen
und sich in ihrer Attraktivität unter-
nicht zwingend mit einem höheren
Autonomie- und Kompetenzerleben der
die intrinsische Motivation und das scheiden (Meyer-Ahrens & Wilde, 2013). Lernenden einhergehen (Wijnia, Loyens &
6 Interesse linear zunehmen, zu kurz (auch Die Schlussfolgerung „Je offener der Derous, 2011).

7 dargestellten Modellen und Ansätzen. So werden im An- nales Vorgehen darstellt, sondern wechselseitige Inter-
gebots-Nutzungs-Modell schulische und außerschulische aktionen und Beeinflussungen beinhaltet: Nicht nur die
Determinanten des Schulerfolgs zu komplexen Variablen- Lernangebote des Lehrers wirken auf die Schüler, son-
8 gruppen auf einem höheren Abstraktionsniveau gebündelt. dern auch die Schüler einer Klasse beeinflussen mit ihren
Dadurch entsteht eine Art Metamodell, das aufgrund sei- Voraussetzungen und ihrem Verhalten die Qualität und
9 nes hohen Abstraktionsniveaus als Rahmenmodell verstan- Quantität der Lernangebote, die eine Lehrperson unter-
den werden kann, welches mit spezifischeren Konstrukten breitet.
10 und theoriegeleiteten Hypothesen „gefüllt“ werden muss.
Lehrer.  Das Angebots-Nutzungs-Modell konzeptualisiert
Schulerfolg.  Schulerfolg wird in diesem Modell als Er- Lehrerkompetenzen und Lehrermerkmale als wesentliche
11 gebnis des Zusammenspiels unterschiedlicher Faktoren Determinanten für die Qualität und Quantität unterricht-
betrachtet und umfasst dabei nicht nur die Lern- und licher Angebote. Fokussiert man auf die Lehrerkompe-
12 Leistungsentwicklung, sondern auch die affektiv-moti- tenzen, rücken kognitive, motivationale und persönlich-
vationale und persönlichkeitsbezogene Entwicklung der keitsbezogene Dimensionen der Lehrpersonen in den
Lernenden. Mittelpunkt (▶ Kap. 11). Zusammenfassend stützen aktuel-
13 lere empirische Arbeiten die These, dass sich das fachliche
Unterricht.  Das Modell unterscheidet zwischen dem Bil- und fachdidaktische Wissen und die Überzeugungen von
14 dungsangebot und der Nutzung dieses Angebots durch Lehrpersonen positiv auf die Qualität und Quantität der
die Lernenden. Im Mittelpunkt des Modells steht der Un- Lerngelegenheiten und auch positiv auf den Schulerfolg
15 terricht, der als Angebot an Lerngelegenheiten betrachtet auswirken können (Baumert & Kunter, 2006; Kunter et al.,
wird, die von den Lernenden in unterschiedlicher Weise 2011; Lipowsky, 2006; Reusser, Pauli & Elmer, 2011). Mit
wahrgenommen und genutzt werden können. Entspre- Blick auf motivationale und persönlichkeitsbezogene As-
16 chend werden Quantität und Qualität unterrichtlicher pekte der Lehrperson geht man heute eher von indirekten
Lerngelegenheiten nicht nur in ihren direkten Wirkungen Effekten der beruflichen Motivation, der Persönlichkeit,
17 auf den Schulerfolg untersucht, sondern auch in ihren in- des Belastungserlebens und der beruflichen Zufriedenheit
direkt vermittelten Wirkungen über die Wahrnehmung auf den Schulerfolg der Lernenden aus (Klusmann, Kunter,
und Nutzung unterrichtlicher Lerngelegenheiten, die sich Trautwein & Baumert, 2006).
18 z. B. im Erleben des Unterrichts, in der Anstrengungsbe-
reitschaft oder in der Mitarbeit der Lernenden ausdrücken. Lernende.  Die Entwicklung der Lernenden wird, wie viele
19 Diese Wahrnehmung und Nutzung unterrichtlicher Lern- Untersuchungen zeigen, in erster Linie von deren spezi-
gelegenheiten wird wiederum in Abhängigkeit von den fischen Voraussetzungen determiniert (Hattie, 2009).
20 Voraussetzungen und Merkmalen der Lernenden konzep- Während sich die affektiv-motivationale Entwicklung vor
tualisiert, die als mitverantwortliche Konstrukteure ihres allem durch die affektiv-motivationalen Voraussetzungen
eigenen Wissens betrachtet werden. Hierin drücken sich der Lernenden vorhersagen lässt, spielen für die kognitive
21 auch konstruktivistische Anleihen des Angebots-Nut- Entwicklung vor allem das Vorwissen und die Intelligenz
zungs-Modells aus. der Lernenden eine entscheidende Rolle. Darüber hinaus
22 Der beidseitige Pfeil im Unterrichtsrechteck in belegt eine Vielzahl von Studien die Bedeutung der sozia-
. Abb. 4.3 drückt aus, dass Unterricht kein eindirektio- len Herkunft der Lernenden für den Schulerfolg.
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
77 4
.. Abb. 4.3  Vereinfachtes Angebots-Nut-
zungs-Modell. (Modifiziert nach Fend, 1981,
mit freundlicher Genehmigung von Elsevier;
Helmke, 2012, mit freundlicher Genehmi-
gung des Friedrich-Verlags, Seelze)

Klassenzusammensetzung.  Auch die mittlere Leistungsfä- eine effektive und verantwortungsvolle Schulleitung mit
higkeit einer Klasse beeinflusst die Leistungsentwicklung einem Fokus auf das Kerngeschäft des Unterrichts, durch
eines Lernenden, und zwar unabhängig davon, über welche Konsens und Kooperation innerhalb des Kollegiums,
individuellen Voraussetzungen der einzelne Lernende ver- durch ein positives, störungsarmes Schulklima, durch die
fügt. Das heißt, mit einem Anstieg der Leistungsfähigkeit systematische Überprüfung und Bewertung von Lern-
einer Klasse sind bessere individuelle Leistungen der Ler- fortschritten der Lernenden und durch eine intensive
nenden verbunden (z. B. Rindermann, 2007; Tiedemann Zusammenarbeit mit den Eltern auszeichnen (Robinson,
& Billmann-Mahecha, 2004). Mögliche Erklärungen für Hohepa & Lloyd, 2009; Scheerens & Bosker, 1997; Teddlie
diesen Effekt sind, dass sich die Lernenden in leistungsfä- & Reynolds, 2001).
higeren Klassen stärker gegenseitig anregen und dass die In den folgenden Abschnitten wird das Feld „Qualität
Lehrpersonen in leistungsstärkeren Klassen einen fach- und Quantität von Lerngelegenheiten“ im Angebots-Nut-
lich anspruchsvolleren Unterricht halten, schneller voran- zungs-Modell weiter ausdifferenziert.
schreiten und höhere Erwartungen an die Lernenden stel-
len, was sich insgesamt positiv auf die Verarbeitungstiefe
auswirkt. Außerdem kann angenommen werden, dass die 4.2 Merkmale und
günstigere Klassenzusammensetzung in leistungsstärkeren Merkmalskonfigurationen
Klassen einen effektiveren und reibungsloseren Unterricht erfolgreichen Unterrichts
erleichtert. Gleichzeitig zeigt sich jedoch, dass ein Anstieg
in der mittleren Leistungsfähigkeit der Klasse aufgrund Als Zielvariablen von Schulerfolg werden in den folgenden
sozialer Vergleichsprozesse zu einem geringeren Fähig- Abschnitten die kognitive und die affektiv-motivationale
keitsselbstkonzept der einzelnen Lernenden führen kann Entwicklung der Lernenden untersucht. Grundsätzlich
(▶ Kap. 8). ist dabei zu beachten, dass die motivationale Entwicklung
deutlich stärker durch individuelle Determinanten der
Merkmale der Schule.  Merkmalen der Schule kommt im Lernenden bestimmt wird als die kognitive Entwicklung
Vergleich zu Merkmalen des Unterrichts eine geringere (Kunter, 2005; Van Landeghem, Van Damme, Opdenak-
Bedeutung für die Entwicklung der Lernenden zu (▶ Ex- ker, De Fraine, & Onghena, 2002). Das bedeutet, dass der
kurs „Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und Schulebene“). Spielraum unterrichtlicher Einflussmöglichkeiten für die
Die Schuleffektivitätsforschung gelangt zusammenfassend affektiv-motivationale Entwicklung geringer ist als für ko-
zu dem Ergebnis, dass sich lernwirksame Schulen durch gnitive Zielvariablen.
hohe Leistungserwartungen an die Lernenden, durch
78 Kapitel 4 • Unterricht

Exkurs  |       | 
1
Die Bedeutung der Schüler-, Klassen- und Schulebene
2 Mehrebenenanalytische Auswertungs- der Klassenzugehörigkeit eines Schülers Die Ergebnisse amerikanischer „Value-
verfahren ermöglichen es, jene Anteile zusammenhängen, an dritter Stelle Merk- added“-Studien deuten darauf hin, dass

3
am Schulerfolg (Leistung, Motivation etc.) male, in denen sich Schulen voneinander der Klassenebene, d. h. Merkmalen der
eines Lernenden zu bestimmen, die auf unterscheiden. Während die Rangfolge Klasse, des Lehrers und des Unterrichts,
Unterschiede zwischen einzelnen Schü- dieser drei Ebenen in ihrer Bedeutung eine größere Bedeutung eingeräumt wer-

4 lern (Schülerebene), zwischen Klassen


(Klassenebene) und zwischen Schulen
für die Erklärung von Schulleistungs-
unterschieden weitgehend unstrittig
den muss als bislang angenommen, wenn
man nicht den Leistungsstand, sondern
(Schulebene) zurückzuführen sind. Das ist und in zahlreichen Studien bestätigt die Leistungsentwicklung untersucht,

5 Verfahren der Mehrebenenanalyse


erlaubt es, Einflüsse von Faktoren dieser
wurde (Hattie, 2009), unterscheiden sich
die ermittelten Varianzanteile teilweise
und dass demgegenüber die Bedeutung
der individuellen Lernvoraussetzun-
drei Ebenen gleichzeitig zu modellieren beträchtlich. Die kognitiven, motivatio- gen eher abnimmt (Lanahan, McGrath,
6 und zu analysieren (Hartig & Rakoczy,
2010).
nalen und sozialen Lernvoraussetzungen
der Schüler (Individualebene) erklären
McLaughlin, Burian-Fitzgerald, & Salganik,
2005; Schacter & Thum, 2003). Darüber
Die Schul- und Unterrichtsforschung hat je nach Studie zwischen 50 % und 70 % hinaus konnte mehrfach nachgewiesen
7 in zahlreichen Studien die Bedeutung
dieser drei Einflussebenen vor allem für
der Leistungsunterschiede, auf Merkmale
des Unterrichts, der Lehrperson und der
werden, dass Merkmale von Schule und
Unterricht für Schüler mit ungünstigen
die Leistungsentwicklung untersucht. Es Klassenzusammensetzung (Klassenebene) Startvoraussetzungen eine größere
8 zeigt sich, dass sich der größte Teil der entfallen Anteile von ca. 10–30 % und Bedeutung haben als für Lernende mit
Schulleistungsvarianz mit individuellen auf Merkmale der Schule (Schulebene) günstigeren Startvoraussetzungen (z. B.
Schülermerkmalen erklären lässt. An Anteile von ca. 5–14 %. Babu & Mendro, 2003).
9 zweiter Stelle folgen Merkmale, die mit

10 4.2.1 Strukturiertheit des Unterrichts denen Aspekten des Unterrichtsinhalts hergestellt


werden, indem die Übersicht und Einordnung neuer
11 Die ▶  Strukturiertheit des Unterrichts – einige Autoren Informationen z. B. mittels Advance Organizers er-
sprechen auch von Strukturierung – gilt als zentrales Merk- leichtert wird und indem wichtige Unterrichtsergeb-
12 mal effektiven Unterrichts. Bei näherer Betrachtung zeigt nisse zusammengefasst werden. Auch Lehrerfragen
sich jedoch, dass dieses Merkmal in der Unterrichtsfor- können zur Strukturierung des Unterrichts beitragen
schung teilweise sehr unterschiedlich operationalisiert und (s. u.).
13 verwendet wird.
Grundsätzlich lassen sich mehrere Bedeutungsfacetten Kognitive Zielvariablen

-
14 von Strukturiertheit unterscheiden. Wie lassen sich positive Effekte der Strukturiertheit des
Zum einen kann Strukturiertheit eine klare erkenn- Unterrichts theoretisch erklären? Die drei Bedeutungs-
15 bare Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen facetten implizieren unterschiedliche Annahmen über
und Abschnitte und die Zerlegung des Unterrichts- die angenommenen Wirkmechanismen. Die didaktische
inhalts in einzelne Komponenten bedeuten. Diese Strukturierung des Unterrichts setzt einen sorgfältig ge-
16 Bedeutung von Strukturiertheit bezieht sich also vor planten Unterricht voraus und kann somit als wichtige

17
18
- allem auf didaktische Aspekte des Unterrichts.
Zum zweiten wird Strukturiertheit häufig als Konsis-
tenz von Regeln, Erwartungen und Grenzen inter-
pretiert. Diese Facette von Strukturiertheit fokussiert
Voraussetzung für angemessene Anforderungen an die
Lernenden begriffen werden. Eine Strukturierung auf der
Verhaltensebene begünstigt eine störungsfreie Lernum-
gebung, fördert die Aufmerksamkeit der Lernenden und
eher auf das Verhalten der Lernenden und auf die sorgt dafür, dass mehr Unterrichtszeit für die Auseinander-

19
20
- Aufrechterhaltung der Disziplin im Klassenzimmer.
Zum dritten kann Strukturiertheit von Unterricht
stärker kognitionspsychologisch verstanden werden.
Darunter werden Maßnahmen und Handlungen
setzung mit den Unterrichtsthemen zur Verfügung steht.
Auf der Basis einer kognitionspsychologisch verstande-
nen Strukturiertheit lässt sich annehmen, dass Fragen,
Strukturierungshinweise und -hilfen der Lehrperson die
subsumiert, die geeignet sind, eine Verbindung Aufmerksamkeit der Schüler auf die relevanten Aspekte
zwischen dem Vorwissen der Lernenden und neuen des Unterrichtsgegenstands lenken, einen Überblick über
21 Wissenselementen herzustellen und den Aufbau einer den Unterrichtsgegenstand erleichtern, Relationen zwi-
komplexen und geordneten Wissensstruktur beim schen Teilaspekten des Unterrichtsgegenstands verdeutli-
22 Lernenden zu erleichtern. Dies lässt sich z. B. anbah- chen und gedankliche Verankerungsmöglichkeiten schaf-
nen, indem Zusammenhänge zwischen verschie- fen, sodass es den Lernenden leichter gelingt, ihr neues
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
79 4

Wissen zu organisieren und mit bereits vorhandenem zu Borich, 2007; Hardy et al., 2006; Marzano, Gaddy & Dean,
verbinden (Einsiedler & Hardy, 2010; Schnotz, 2006). 2000).
Die Forschungslage hat sich in zahlreichen Studien
mit diesen unterschiedlichen Facetten von Strukturierung Affektiv-motivationale Aspekte des Lernens
beschäftigt. Die didaktische Strukturierung, also die Glie- In diesem Abschnitt wird der Frage nachgegangen, ob und
derung und Sequenzierung des Unterrichts, hat sich in Stu- inwiefern die Strukturierung des Unterrichts mit positiven
dien zum „mastery learning“ und zur „direkten Instruk- Effekten für die affektiv-motivationale Entwicklung der
tion“ als lernförderlich erwiesen (Rosenshine & Stevens, Lernenden einhergeht. Im ersten Teil wird dabei auf die
1986; Fraser, Walberg, Welch & Hattie, 1987). Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (▶ Kap. 7)
Beleuchtet man Strukturierung auf der Verhaltens­ fokussiert und als Zielvariablen das Autonomie- und Kom-
ebene und fragt nach deren Bedeutung, so lässt sich eine petenzerleben der Lernenden in den Blick genommen.
Reihe von Studien heranziehen, die zeigen können, dass Im zweiten Teil werden Studienergebnisse berichtet, die
ein störungsarmer, reibungsloser Unterricht und ein funk- die Vorhersage anderer affektiv-motivationaler Variablen
tionierendes – bereits zu Beginn des Schuljahres einge- durch Merkmale wie Klassenführung und Strukturiertheit
führtes – Regelsystem mit einem höheren Lernerfolg der des Unterrichts untersuchten.
Lernenden einhergehen (Campbell et al., 2004; Helmke, Nach den Ergebnissen aktueller Studien zeigt sich,
Schneider & Weinert, 1986). Häufig werden die beschrie- dass eine effektive Klassenführung und ein störungsar-
benen Merkmale mit dem Begriff der effektiven Klassen- mer, disziplinierter Unterricht positive Wirkungen auf das
führung überschrieben (▶ Kap. 5). Die Metaanalyse von Autonomieerleben und auf das Kompetenzerleben der
Seidel und Shavelson (2007) bestätigt die bedeutende Rolle Lernenden haben. Rakoczy (2007) untersuchte im Rah-
einer effektiven Unterrichts- und Klassenführung für die men der deutsch-schweizerischen Studie „Unterrichts-
kognitive Entwicklung der Lernenden. Eine effektive Klas- qualität, Lernverhalten und mathematisches Verständnis“
senführung geht mit einem aufgabenbezogeneren Verhal- die Auswirkungen einer effektiven Klassenführung auf die
ten der Lernenden und einem Mehr an inhaltsbezogenen drei sog. „basic needs“ nach Deci und Ryan. Sie wies nach,
Lerngelegenheiten – „opportunity to learn“ – einher. Eine dass je disziplinierter und störungsfreier der Unterricht
Reihe von Forschungsarbeiten weist nach, dass sich „time verlief, desto stärker fühlten sich die Lernenden in ihrem
on task“, also die aufgabenbezogene Nutzung der Lernzeit Streben nach Kompetenz und Autonomie unterstützt. In
positiv auf den Lernerfolg auswirkt (z. B. Fredrick & Wal- einer vertiefenden Analyse können Rakoczy et al. (2007)
berg, 1980; Hattie, 2009; Rowe & Rowe, 1999). Ähnliches zeigen, dass dieser Effekt möglicherweise auch darauf
gilt für das Ausmaß an inhaltlichen Lerngelegenheiten, zurückzuführen ist, dass Schüler in störungsfreien und
also für die Zeit, die für die Behandlung eines Unterrichts- strukturierten Lernumgebungen über eine höhere Inten-
gegenstands zur Verfügung gestellt und genutzt wird (Hie- sität kognitiver Aktivitäten und über positivere emotio-
bert & Grouws, 2007; Walberg & Paik, 2000). nale Erfahrungen berichten als Lernende in Klassen mit
Fokussiert man auf die dritte Bedeutung von Struktu- einem höheren Ausmaß an Störungen und einem gerin-
rierung, so lassen sich z. B. Studien heranziehen, die Effekte geren Ausmaß an Disziplin. Auch Kunter (2005) weist
von Strukturierungshilfen, wie z. B. Advance Organizers nach, dass der effektive Umgang mit Störungen und eine
untersucht haben (▶ Abschn. 4.1.3). Hattie (2009) identifi- klare didaktische Strukturierung des Unterrichts von den
ziert für seine Meta-Metaanalyse „Visible learning“ sieben Lernenden als kompetenzunterstützend wahrgenommen
Metaanalysen, die die Wirkungen von Advance Organi- werden. Auch eine kognitionspsychologisch orientierte
zern untersucht haben. Für diese sieben Studien ermit- Strukturiertheit wirkt sich offenbar positiv auf motivati-
telt er eine mittlere Effektstärke von d = 0.53, was einem onale Aspekte des Lernens aus, wie die Studie von Blum-
durchaus beachtlichen Effekt entspricht. Preiss und Gayle berg et al. (2004) für das Kompetenzerleben und die Er-
(2006) zeigen in ihrer Metaanalyse, dass die Effektstärken folgszuversicht von schwächeren Schülern nachweisen
abhängig vom Alter der Lernenden und dem untersuchten kann.
Fach variieren. Demnach profitieren jüngere Lernende und Nimmt man weitere affektiv-motivationale Variablen
Lernende in sozialwissenschaftlichen Fächern stärker von in den Blick, so zeigt z. B. die längsschnittliche Studie von
Advance Organizers als Lernende in naturwissenschaftli- Kunter und Baumert (2006), dass sich ein geringes Aus-
chen und sprachlichen Domänen. maß an Unterrichtsstörungen positiv auf die von Schülern
In zahlreichen Einzelstudien und einschlägigen Zu- erlebte Herausforderung auswirkt, die wiederum positive
sammenfassungen des Forschungsstands finden sich Effekte auf die Interessensentwicklung hat. Im Rahmen
Hinweise auf die Bedeutung der Strukturierung des Un- der Münchener Hauptschulstudie konnte mittels Pfadana-
terrichts durch Lehrerfragen (▶  Exkurs „Lehrerfragen“), lysen und unter Kontrolle von kognitiven und affektiven
Zusammenfassungen und verbale Hervorhebungen (z. B. Lernvoraussetzungen der Lernenden nachgewiesen wer-
80 Kapitel 4 • Unterricht

Exkurs  |       | 
1
Lehrerfragen
2 Lehrerfragen dienen dazu, den Unterricht von Lehrerfragen ist jedoch insgesamt Zeitraum in Betracht, der den Lernenden
zu strukturieren und zu steuern, die uneinheitlich. Zwar kann mehrheitlich zum Nachdenken nach einer gestellten
Aufmerksamkeit der Lernenden auf rele- nachgewiesen werden, dass kognitiv Lehrerfrage eingeräumt wird. Studien zei-
3 vante Aspekte des Unterrichts zu lenken, anspruchsvollere Lehrerfragen kognitiv gen, dass es einer bestimmten Wartezeit
das Vorwissen zu aktivieren, die Lernen- anspruchsvollere Schülerantworten nach zwischen der Lehrerfrage und dem Auf-

4 den anzuregen und herauszufordern,


Lernwege, (Miss-)Konzepte und (Fehl-)
sich ziehen und insofern zu einer tieferen
Verarbeitung und Elaboration des
rufen eines Schülers (Wartezeit) bedarf,
damit die Frage ihr Potenzial entfalten
Vorstellungen offenzulegen, den Wis- Unterrichtsinhalts durch die Lernenden kann. Als optimal wird eine Wartezeit von

5 sensstand der Lernenden zu ermitteln,


Unterrichtsergebnisse zu sichern, oder
beitragen (Gayle, Preiss & Allen, 2006).
Ob mit dem Anteil kognitiv anspruchs-
3–5 Sekunden betrachtet. In vielen
Studien stellte sich jedoch heraus, dass
manchmal auch dazu, die Lernenden zu voller Fragen aber auch der Lernerfolg die tatsächliche Wartezeit im Unterricht
6 disziplinieren. Lehrerfragen lassen sich
nach unterschiedlichen Kriterien, so z. B.
der Schüler linear zunimmt, ist um-
stritten (Mills, Rice, Berliner & Rosseau,
deutlich kürzer ist. Wird die Wartezeit
auf 3–5 Sekunden verlängert, führt dies
nach ihrem kognitiven Niveau und nach 1980; Samson, Strykowski, Weinstein & in der Regel zu elaborierteren Schüler-
7 ihrer Offenheit ordnen. Was das kognitive
Niveau von Lehrerfragen anbelangt, wird
Walberg, 1987; Winne, 1979). Mögliche
Erklärungen für die uneinheitlichen
beiträgen, zu einer höheren Anzahl von
Meldungen, zu häufigeren Schülerfragen
häufig zwischen „low-level-questions“ Ergebnisse sind die unterschiedlichen und insgesamt zu einer aktiveren und
8 und „high-level-questions“ unterschie- Operationalisierungen des Begriffs „high- niveauvolleren Beteiligung von Schülern
den, wobei sich „level“ meist auf die level question“, die unterschiedlichen am Unterricht (Rowe, 1974; Tobin, 1987).
Lernzielebenen – Wissen, Verstehen, Stichproben und curricularen Kontexte, Studien über den Zusammenhang zwi-
9 Anwenden, Analysieren, Synthetisieren die untersucht wurden, und der Um- schen Wartezeiten und Lernzuwachs sind
und Bewerten – nach Bloom (1974) stand, dass es keine 1 : 1-Korrespondenz auch international selten und kommen
bezieht. Unter Low-Level-Fragen werden zwischen dem kognitiven Niveau der nicht zu einheitlichen Ergebnissen (Tobin,
10 Fragen verstanden, deren Beantwortung Lehrerfragen und dem kognitiven Niveau 1987).
auf die Wiedergabe von Informationen, der dadurch angestoßenen Schülerak- Schülerfragen sind im Unterschied
zu Lehrerfragen ein vergleichsweise
11
Faktenwissen, Prozeduren und Definitio- tivitäten gibt (Dillon, 1982; Mills et al.,
nen abzielen, sich also im Wesentlichen 1980). Einige Studien verweisen darauf, seltenes Ereignis, erfüllen jedoch eine
auf die Ebene des Wissens beziehen, dass es auch auf die Passung zwischen wichtige Funktion beim Wissensaufbau

12 während man unter High-Level-Fragen


Denkfragen versteht, die die Verknüp-
Frageniveau und dem Vorkenntnisstand
der Klasse ankommt: Sind die Lehrerfra-
(Niegemann, 2004; Wuttke, 2005). In
Trainingsprogrammen zum selbstgesteu-
fung von Informationen, Konzepten, gen zu anspruchsvoll und kann somit erten Lernen und zum reziproken Lehren

13 Wissensbausteinen etc. erfordern und die


Lernenden anregen, Vorgehensweisen
ein beträchtlicher Teil der Lehrerfragen
nicht beantwortet werden, so hat dies
(reciprocal teaching) werden Schüler
systematisch dazu angeleitet, sich selbst
und Gedankengänge zu erläutern und zu ebenso negative Auswirkungen auf Fragen zu stellen und hierüber ihren
14 begründen.
Die vorliegenden Studien beziffern den
den Lernerfolg der Schüler wie ein zu
geringes Niveau der Lehrerfragen. Die
Lernprozess zu strukturieren, zu begleiten
und ihr Verständnis zu vertiefen. Entspre-
Anteil an High-Level-Fragen, je nach entsprechende Schwelle beträgt nach chende Forschungsbefunde zeigen, dass
15 Definition, auf 4–20 %, während sich
demgegenüber der Anteil an Low-
den Ergebnissen dieser – allerdings
schon älteren – Studien in etwa zwischen
diese Anleitung zum „self-questioning“
eine wirksame Strategie darstellt, um das
Level-Fragen zwischen 40 % und 90 % ca. 70 % und 80 % beantworteter Fragen Verständnis gelesener Texte zu fördern
16 bewegt (Niegemann & Stadler, 2001; (Brophy & Evertson, 1980; Rosenshine & (King, 1991, 1994; Kramarski & Mevarech,
Wilen, 1991). Dieser hohe Anteil an Low- Stevens, 1986). 2003; Rosenshine, Meister & Chapman,
Level-Fragen wird allgemein als kritisch Als eine weitere moderierende Drittvari- 1996).
17 betrachtet. Die Forschungslage zu den able für den Zusammenhang zwischen
Wirkungen des kognitiven Niveaus Fragenniveau und Lernerfolg kommt der

18
den, dass eine effektive Klassenführung einen positiven Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass ein
19 Einfluss auf das Engagement der Lernenden ausübte, das strukturierter, störungsarmer und effektiv geführter Un-
wiederum mit günstigeren Einstellungen der Lernenden terricht die affektiv-motivationale Entwicklung der Ler-
20 zum Fach Mathematik und mit einem günstigeren ma- nenden befördern kann. Es kann angenommen werden,
thematischen Selbstkonzept der Lernenden einherging dass ein Mindestmaß an didaktischer Strukturierung eine
(Helmke et al., 1986). Auch international lassen sich em- notwendige Voraussetzung für eine wirksame Klassenfüh-
21 pirische Evidenzen für Effekte eines störungsarmen und rung darstellt, die wiederum als wichtige Voraussetzung
strukturierten Unterrichts auf Einstellungsveränderungen dafür angesehen werden kann, dass inhaltsbezogene
22 der Lernenden nachweisen (Campbell et al., 2004). Strukturierungen und Hinweise Wirkungen entfalten
können.
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
81 4
4.2.2 Inhaltliche Klarheit und Kohärenz Warum wirkt sich die inhaltliche Klarheit des Unter-
des Unterrichts richts positiv auf den Lernerfolg aus? Die inhaltliche Klar-
heit des Unterrichts – so lässt sich annehmen – sorgt dafür,
Kognitive Zielvariablen dass die wichtigsten inhaltlichen Aspekte klar und deutlich
Inhaltliche Klarheit beschreibt einen Unterricht, in dem hervortreten und als kennzeichnende Elemente von den
die inhaltlichen Aspekte des Unterrichtsgegenstandes Lernenden identifiziert, diskriminiert und verarbeitet wer-
sprachlich prägnant und verständlich, fachlich korrekt den. Auf der Basis der Cognitive-Load-Theorie lässt sich
und inhaltlich kohärent dargestellt und/oder entwickelt argumentieren, dass die Betonung relevanter Informatio-
werden. Dabei übernehmen variantenreiche Erklärungen nen, der Verzicht auf irrelevante und überflüssige Informa-
und Erläuterungen unter Verwendung von Veranschauli- tionen, die didaktische Reduktion der Komplexität des In-
chungen, Abbildungen, Beispielen, Analogien und Meta- halts sowie die angemessene Verbindung unterschiedlicher
phern, die Hervorhebung und Zusammenfassung zentraler Repräsentationsformen das Arbeitsgedächtnis entlasten
inhaltlicher Punkte, die Herausarbeitung von Gemeinsam- und die Informationsverarbeitung erleichtern (Chandler
keiten und Unterschieden in Konzepten, die Verwendung & Sweller, 1991; Mayer & Moreno, 2003).
und Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen Aktuellere Ansätze in der Unterrichtsforschung ver-
sowie das wiederholte Aufgreifen von schwierigen Sachver- weisen mit Begriffen wie „attending to concepts“, „oppor-
halten und Aspekten eine wichtige verständnisfördernde tunities to learn“, „inhaltlich fokussierte Informationsverar-
Funktion (Cruickshank, 1985; Helmke, 2007). beitung“ oder „Verstehenselemente“ auf die Bereitstellung
Die Forschungslage ist trotz der weiten Bedeutung des fachlich relevanter Lerngelegenheiten. Letztlich sind
Begriffs ▶  inhaltliche Klarheit relativ konsistent. Die in- hiermit curriculare Entscheidungen der Lehrpersonen
haltliche Klarheit des Unterrichts hat positive Effekte auf angesprochen, im Unterricht fachlich zentrale Themen,
das Lernen der Schüler, unabhängig vom Alter der Ler- Konzepte und Ideen zu behandeln (vgl. Drollinger-Vetter
nenden, unabhängig davon, ob die Klarheit mittels nied- & Lipowsky, 2006; Hiebert & Grouws, 2007; Learning Ma-
rig- oder hochinferenter Verfahren erfasst wird, unabhän- thematics for Teaching Project, 2010; Renkl, 2011; Schmidt
gig davon, welche Dimensionen von Klarheit tatsächlich & Maier, 2009). Diese curricularen Aspekte gehen über die
untersucht werden und unabhängig davon, ob es sich um inhaltliche klare und verständnisvolle Präsentation vorge-
experimentelle oder quasi-experimentelle Studien handelt gebener Inhalte hinaus. Sie dürften vor dem Hintergrund
(z. B. Chesebro, 2003; Hattie, 2009; Hines et al., 1985; Rod- aktueller Anforderungen an die Entwicklung schulspezi-
ger, Murray, & Cummings, 2007). fischer Curricula künftig weiter an Bedeutung gewinnen.
Stellvertretend für die Vielzahl an Studien wird hier Mit Begriffen wie „strukturelle Klarheit“, „making connec-
eine Studie näher vorgestellt. Hines et al. (1985) ließen tions“, „links made between multiple models“ und „cohe-
32 angehende Lehrpersonen die gleiche 25-minütige Un- rent content“ wird herausgestellt, dass es wichtig ist, die
terrichtssequenz unterrichten. Die Lerngruppen bestan- Beziehungen und Verknüpfungen zwischen diesen (Teil-)
den aus 4–6 Schülern. Die Unterrichtsstunden wurden Konzepten und Ideen explizit unterrichtlich zu behandeln
auf Video gezeichnet. Die Klarheit des Unterrichts wurde (vgl. Brophy, 2000). Im sogenannten Pythagorasprojekt
mit 29 Items durch Lehrpersonen, Lernende und zwei un- wurde u. a. untersucht, inwieweit im Unterricht der betei-
abhängige Beobachter niedriginferent erfasst. Zusätzlich ligten Klassen jene „(Verstehens)-Elemente“ und ihre Be-
wurden hochinferente Ratings durch zwei Beobachter ziehungen behandelt wurden, von denen man annehmen
vorgenommen. Als Zielkriterien wurden der Lern­erfolg kann, dass sie für den Aufbau eines inhaltlich vertieften
und die Zufriedenheit der Lernenden untersucht. Die Er- und elaborierten Verständnisses des Satzes von Pythagoras
gebnisse zeigten, dass die Klarheit des Unterrichts, unab- fundamental sind. Hierzu gehören z. B. die geometrische
hängig von dem Verfahren der Erfassung, positive Effekte Bedeutung des Satzes von Pythagoras, die deutliche Her-
auf den Lernerfolg und die Zufriedenheit der Lernenden ausstellung und Erarbeitung, dass der Satz nur im recht-
hatte. winkligen Dreieck gilt oder das Verstehenselement, dass
Zu den Lehrstrategien, die zur inhaltlichen Klarheit der Satz Aussagen über die Beziehungen zwischen den Sei-
des Unterrichts beitragen, zählen auch der Einsatz und ten im rechtwinkligen Dreieck formuliert. In dieser Studie
die Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen erwiesen sich das Vorkommen, die Qualität und die Struk-
(s.  oben). So ergab die Metaanalyse von Marzano und turierung dieser Verstehenselemente als prädiktiv für den
Kollegen (2000), dass der Einsatz „nichtsprachlicher Re- Lernerfolg der Schüler (Drollinger-Vetter, 2011).
präsentationsformen“ deutliche leistungssteigernde Effekte Auch das Lernen mit Lösungsbeispielen lässt sich
hat, und zwar vor allem dann, wenn sprachliche und nicht- als eine unterrichtliche Strategie begreifen, den relevan-
sprachliche Repräsentationsformen miteinander verknüpft ten Inhalt klarer und verständnisorientierter zu präsen-
wurden (zur Bedeutung des Medieneinsatzes ▶ Kap. 6). tieren. Insbesondere für das Lernen von mathematischen
82 Kapitel 4 • Unterricht

und naturwissenschaftlichen Inhalten hat sich das Lernen in denen diese beiden Merkmale vergleichsweise gering
1 mit Lösungsbeispielen als wirksames Verfahren erwiesen. ausgeprägt waren.
Während die Schüler im herkömmlichen Mathematik- In die gleiche Richtung weisen die Befunde von Schra-
2 unterricht z. B. nach der Einführung eines Prinzips oder der, Helmke und Dotzler (1997) aus der SCHOLASTIK-
eines Verfahrens und einer Beispielaufgabe in der Regel Studie. Auch hier zeigte die eingeschätzte Klarheit des
damit konfrontiert werden, mehrere Aufgaben zu lösen, Unterrichts einen positiven Zusammenhang mit der af-
3 erfolgt bei der Arbeit mit Lösungsbeispielen nach einer ers- fektiven Entwicklung der Lernenden.
ten Einführung des Themas ein vergleichsweise ausführ-
4 liches Studium von Aufgabenbeispielen, die bereits ganz
oder teilweise gelöst sind. Die Lernenden werden also mit 4.2.3 Feedback
5 mehreren Lösungsbeispielen konfrontiert, die das zugrun-
Kognitive Zielvariablen
deliegende Prinzip, Verfahren oder Lösungsschemata an
mehreren Aufgaben und nicht – wie in vielen einführen-
6 den Abschnitten von Schulbüchern – an einer Aufgabe Definition 
darstellen. Diese Arbeit mit Lösungsbeispielen basiert auf Feedback wird als jede Art von Rückmeldung ver-
7 Annahmen der Cognitive-Load-Theorie, wonach eigene standen, die sich auf die Leistung oder das Verständ-
Lösungsversuche das Arbeitsgedächtnis so stark belasten, nis des Lernenden bezieht, diesen über die Rich-
dass nur geringe Kapazitäten für das Ausbilden von Lö-
8 sungsschemata verbleiben, während demgegenüber die
tigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung
informiert (Mory, 2004) oder ihm inhaltliche und/oder
Auseinandersetzung mit komplett oder partiell gelösten strategische Hilfen und Informationen zu seinem Be-
9 Aufgabenbeispielen das Augenmerk des Lernenden auf arbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Das Feedback
das Verstehen der Lösungsschritte und -verfahren lenken. kann von der Lehrperson, einem Mitschüler, dem
10 Die Forschung zeigt: Das Studieren und Analysieren von Schüler selbst oder einem Medium gegeben werden.
Lösungsbeispielen ist insbesondere dann effektiv, wenn die
Lernenden über wenig Vorwissen verfügen, wenn sie mit
11 Fragen und Prompts zur Reflexion und Selbsterklärungen Bloße Bekräftigungen (Belohnungen, Lob, Tadel) ohne Be-
angeregt werden, die Lösungsbeispiele variiert werden zug auf die erbrachte Leistung werden in der Regel nicht
12 und die Lernenden nach und nach einzelne Lösungs- zum Feedback gezählt (Jacobs, 2002; Mory, 2004) und
schritte selbst übernehmen, also Lücken im Lösungspro- daher bei der folgenden Zusammenfassung nicht berück-
zess selbst füllen müssen (▶ Kap. 1; Atkinson, Derry, Renkl sichtigt.
13 & Wortham, 2000; Chi, Bassok, Lewis, Reimann & Glaser, ▶  Feedback gilt als zentrale Komponente im Lehr-
1989, Paas & Van Merrienboer, 1994; Renkl, Stark, Gruber und Lernprozess. Aus kognitionspsychologischer Sicht hat
14 & Mandl, 1998; Renkl, Atkinson, Maier & Staley, 2002). Feedback eine informierende Funktion und soll dem Ler-
nenden Fehler und Misskonzepte bewusst machen sowie
Motivational-affektive Zielvariablen
15 Diskrepanzen zwischen aktueller Leistung und aktuellem
Die Forschungslage zu den Effekten des Lernens mit Verständnis auf der einen Seite und dem zu erreichenden
Lösungsbeispielen auf affektiv-motivationale Variablen Zielzustand auf der anderen Seite reduzieren (Hattie &
16 ist dünn (Stark, 1999), sodass ein einheitlicher Trend Timperley, 2007). Hierzu ist es erforderlich, dass für die
derzeit nicht auszumachen ist. Hinsichtlich der inhalt- Lehrperson und den Lernenden der Zielzustand (feed-up)
17 lichen Klarheit des Unterrichts ist der Forschungsstand klar ist und dass das Feedback Antworten darauf gibt, wo
vergleichsweise konsistent. Hines et al. (1985) konnten in man im Hinblick auf das angestrebte Lernziel steht (feed-
ihrer Studie z. B. nachweisen, dass eine höhere Klarheit back) und welche weiteren Schritte erforderlich sind, um
18 des Unterrichts mit einer höheren Zufriedenheit der Ler- dem angestrebten Ziel näher zu kommen (feed-forward).
nenden einhergeht. Rodger et al. (2007) zeigten in ihrer Wenn man sich dem Forschungsstand zunächst un-
19 experimentellen Studie, dass Studierende stärker motiviert ter Heranziehung der großen Metaanalysen nähert, dann
sind, wenn die Klarheit des (Hochschul-)Unterrichts aus- kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass „Feed-
20 geprägter ist. back geben“ per se positive Auswirkungen auf kognitive
Die Studie von Seidel, Rimmele und Prenzel (2005) und motivationale Zielvariablen hat, so bedeutsam fallen
konnte ebenfalls positive Effekte auf die Motivationsent- die ermittelten mittleren Effektstärken aus (Hattie, 2009;
21 wicklung feststellen: Lernende in Klassen, in denen die Hattie & Timperley, 2007; Lysakowski & Walberg, 1982;
Zielklarheit und die Kohärenz des Physikunterrichts be- Scheerens & Bosker, 1997). Doch der erste Eindruck
22 sonders deutlich ausgeprägt waren, berichteten über eine täuscht. Bei näherer Betrachtung ergibt sich ein recht un-
höhere intrinsische Motivation als Lernende in Klassen, einheitliches Bild (Kluger & DeNisi, 1996; Shute, 2008),
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
83 4

das die Notwendigkeit einer weiteren Differenzierung So zeigte sich in einigen Studien, dass bei einfachen
aufzeigt und die Frage aufwirft, welche Merkmale von Aufgabenstellungen, die lediglich die Wiedergabe von
Feedback, aber auch welche Merkmale des Kontexts und Fakten erfordern, elaboriertes und komplexes Feedback
des Lernenden dazu beitragen, dass sich Rückmeldungen eher schädlich sein kann (Mory, 2004), da es mehr Infor-
lernförderlich auswirken. mationen enthält als zur Korrektur eigentlich notwendig
Die Feedbackforschung beschäftigt sich vor allem mit sind, wodurch das Arbeitsgedächtnis der Lernenden un-
dem Lehrerfeedback auf Aufgaben, bei denen es eine rich- nötig belastet und wertvolle Lernzeit mit vergleichsweise
tige Antwort bzw. Lösung gibt. In Abhängigkeit von der irrelevanten Hinweisen gebunden wird. Elabarorierteres
Komplexität und der Elaboriertheit des Feedbacks werden Feedback scheint vor allem bei Aufgabenstellungen, die
verschiedene Formen unterschieden. Die einfachen Rück- den Erwerb von Regeln und Konzepten intendieren und
meldungen informieren den Lernenden, ob seine Lösung komplexeres Denken erfordern, wirksamer zu sein als
bzw. seine Antwort richtig oder falsch war („knowledge wenig informatives Feedback (Huth, 2004; Krause, Stark
of results“, KOR) und ggf. noch darüber, wie die richtige & Mandl, 2004; Moreno, 2004).
Antwort lautet („knowledge of correct results“, KCR). Zu Was Merkmale der Lernenden anbelangt, verdeutli-
den komplexen und elaborierteren Rückmeldeformen chen verschiedene Studien, dass der Lernerfolg als Folge
werden in der Regel Hinweise gezählt, die über die Nen- von Feedback abhängig ist vom Vorwissensstand des Ler-
nung des richtigen Ergebnisses hinausgehen und weitere nenden. Insbesondere bei geringerem Vorwissen sind hö-
Informationen und Erklärungen beinhalten, die für das here Effekte von Feedback zu erwarten (Jacobs, 2002). Für
Verständnis der Aufgabe von Bedeutung sind und die leistungsstärkere Schüler kann unvollständiges Feedback
Lösung bzw. richtige Antwort verständlich machen (vgl. effektiver sein kann als für leistungsschwächere, die dem-
Jacobs, 2002; Kulhavy & Stock, 1989). gegenüber eher von vollständigem Feedback profitieren
Fasst man die Vielzahl von Studien zusammen und (Mory, 2004). Van den Boom, Paas und Van Merriënboer
differenziert zusätzlich nach den Formen des Feedbacks, (2007) berichten über positive Effekte eines sogenannten
so zeigt sich ein etwas einheitlicheres Bild. Demzufolge ha- suggestiven Feedbacks, das Hinweise auf Fehler und Pro-
ben Rückmeldungen, die lediglich darüber informieren, bleme enthält, ohne dass jedoch direkte Hinweise gege-
ob eine Antwort bzw. ein Ergebnis falsch oder richtig ist, ben werden, worin das Problem bzw. der Fehler besteht.
in der Regel keinen Effekt auf die Lernleistung (Kluger & Auch Hattie und Timperley (2007) verweisen in ihrem
DeNisi, 1996; Mory, 2004). Sind mit der Rückmeldung da- Forschungsüberblick auf die Wirksamkeit von Feedback,
gegen Informationen verbunden, wie die korrekte Lösung das sich auf den Prozess der Bearbeitung und auf die An-
lautet bzw. ist mit der Rückmeldung eine Fehlerkorrektur wendung von Strategien bezieht. Nach den Ergebnissen
verbunden, so sind eher Effekte auf den Lernerfolg zu be- von Vollmeyer und Rheinberg (2005) kann sogar schon
obachten (z. B. Bangert-Drowns et al., 1991; Heubusch & die Ankündigung von Feedback ausreichen, um Lernende
Lloyd, 1998). zu einer systematischeren Anwendung von Strategien an-
Formen elaborierten Feedbacks gelten einfacheren For- zuregen und damit zu besseren Leistungen zu bewegen.
men des Feedbacks grundsätzlich zwar als überlegen (Ban- Aus einer konstruktivistischen Perspektive sind der
gert-Drowns et al., 1991; Kluger & DeNisi, 1996), doch Umgang mit und die Nutzung von Feedback relevante
geht man heute davon aus, dass für die positiven Effekte mediierende Faktoren für die Wirkungen von Feedback.
elaborierter Feedbackformen weitere Variablen eine Rolle Aktuellere Feedbackmodelle und Forschungsbefunde im
spielen, über deren Zusammenspiel noch wenig bekannt Kontext des selbstgesteuerten Lernens lassen erkennen,
ist. Hierzu zählen z. B. die Komplexität der Aufgabe und dass die Nutzung von Feedback nicht nur von kognitiven,
verschiedene Merkmale des Lernenden, wie z. B. dessen sondern auch von metakognitiven und affektiv-motivatio-
Vorwissen und dessen Umgang mit dem gegebenen Feed- nalen Voraussetzungen der Lernenden, wie z. B. den Ziel­
back. Auch die Adaptivität und Spezifität des elaborierten orientierungen und den Kontroll- und Kompetenzüber-
Feedbacks spielen offenbar eine wichtige Rolle: Enthält zeugungen abhängig ist (Butler & Winne, 1995; Mory,
das elaborierte Feedback zu komplexe oder überflüssige 2004; Narciss, 2004; ▶ Kap. 8).
Informationen, führt dies nicht unbedingt zu besseren Auch der Zeitpunkt der Rückmeldung kann offenbar
Leistungen (Mory, 2004; Shute, 2008), möglicherweise die Wirkungsweise des elaborierten Feedbacks beeinflus-
auch deshalb, weil dieses Zuviel an Informationen mit ei- sen. In einigen Studien zeigte sich, dass sofortige Lehrer-
ner zu starken kognitiven Belastung einhergeht. Generell rückmeldungen im Unterricht grundsätzlich wirksamer
gilt zwar, dass spezifisches Feedback allgemein gehaltenen sind als aufgeschobene bzw. verzögerte Rückmeldungen
Rückmeldungen überlegen ist, jedoch scheint es auch hier (Kulik & Kulik 1988; Heubusch & Lloyd, 1998; Dihoff,
Moderatorvariablen zu geben, die die Wirkungen der Spe- Brosvic & Epstein, 2003). In anderen Studien ergab sich je-
zifität von Feedback beeinflussen (Shute, 2008). doch auch eine Wechselwirkung zwischen dem Zeitpunkt
84 Kapitel 4 • Unterricht

des Feedbacks und der Aufgabenschwierigkeit: Demnach Informationen über die Wirkungen ihrer Lernhandlungen
1 kann bei anspruchsvollen Aufgabenstellungen verzögertes erhalten und ihre Anstrengungen beachtet und gewürdigt
Feedback wirksamer sein als bei einfachen Aufgabenstel- sehen, wodurch sich ihr Kompetenzgefühl und ihre Lern-
2 lungen (Hattie & Timperley, 2007). freude steigern lassen.
Hattie und Timperley (2007) differenzieren vier Ebe- Die Forschungslage zu den motivationalen Wirkungen
nen der Rückmeldung. Feedback kann sich auf die Auf- von aufgabenbezogenem Feedback fällt allerdings unein-
3 gabe, auf den Verarbeitungsprozess, auf die Ebene der heitlich aus. Einerseits berichten verschiedene Studien,
Selbstregulation und/oder auf die Ebene des Lernenden dass aufgabenorientiertes Feedback die Motivation und
4 beziehen. Als Fazit ihrer Metaanalyse zur Wirksamkeit von das Interesse steigert (z. B. Butler, 1987). Andere Studien
Feedback formulieren die Autoren: Feedback ist wirksa- dagegen können keine positiven bzw. keine direkten Ef-
5 mer, wenn es aufgaben-, prozess- und selbstregulations- fekte des Feedbacks auf affektiv-motivationale Variablen
bezogene Hinweise verknüpft und enthält. Aufgabenbezo- absichern (z. B. Krause & Stark, 2004). Die Studie von
genes Feedback bezieht sich darauf, wie gut eine Aufgabe Vollmeyer und Rheinberg (2005) zeigt indirekte Effekte
6 gelöst oder verstanden worden und was ggf. noch fehler- des Feedbacks über die angewandten Strategien auf die
haft ist. Es setzt allerdings voraus, dass Lernende bereits Motivation.
7 über ausreichendes Verständnis und Vorwissen verfügen. Auch wenn man verschiedene Feedbackformen mit-
Wenn dieses fehlt, ist eine Erklärung und nochmalige In- einander vergleicht, wird die Befundlage nicht klarer. Of-
struktion effektiver als ein Feedback. Feedback auf der fenbar wird der Zusammenhang zwischen Feedback und
8 Ebene des Verarbeitungsprozesses ist insbesondere dann Motivation von weiteren Drittvariablen moderiert. Narciss
wirksam, wenn es hilft, Fehler zu identifizieren, weitere (2002, 2004) untersuchte in mehreren Studien die Auswir-
9 Informationen zu sammeln und Strategien zu verwenden kungen des Informationsgehalts von Feedback auf kogni-
bzw. zu optimieren. Feedback zum Prozess der Selbstregu- tive und motivationale Variablen. Ihre Ergebnisse deuten
10 lation fokussiert vor allem auf metakognitive Tätigkeiten darauf hin, dass die motivationsförderlichen Wirkungen
des Lernenden und umfasst Hinweise und Hilfen, wie der eines elaborierteren informativen Feedbacks nicht salient
Lernende sein Lernen selbst planen, regulieren und bewer- werden, wenn die Lernenden einer intensiven Aufgaben-
11 ten kann. Es ist vor allem dann effektiv, wenn es zu einer bearbeitung aus dem Weg gehen können. Wenn die Ler-
größeren Anstrengungsbereitschaft und zu einer höheren nenden jedoch gezwungen sind, sich eine bestimmte Zeit
12 Selbstwirksamkeit des Lernenden beiträgt. Feedback, das mit den Aufgaben auseinanderzusetzen, werden positive
sich lediglich auf die Person des Lernenden oder auf die Wirkungen eines informationshaltigeren Feedbacks wahr-
generelle Leistung des Schülers bezieht – und keine spezi- scheinlicher.
13 fischen Angaben zur Aufgabe, dem Prozess und der Regu- Unterrichtsstudien, wie die von Kunter (2005) und
lation macht –, gilt als vergleichsweise unwirksam, da es Elawar und Corno (1985), zeigen positive Effekte des
14 die Aufmerksamkeit des Lernenden zu sehr auf die eigene Feedbacks auf affektiv-motivationale Zielvariablen. Kun-
Person und damit auf aufgabenirrelevante Aspekte lenkt ter wies bei der Reanalyse der deutschen TIMSS-Videos
15 (Hattie & Timperley, 2007). nach, dass sich die von den Lernenden wahrgenommene
Ein Blick in die Unterrichtspraxis zeigt, dass das Poten- Rückmeldequalität der Lehrperson positiv auf die Interes-
zial von Feedback von Lehrpersonen offenbar nur selten sensentwicklung auswirkte, und zwar auch nach Kontrolle
16 genutzt wird. Lehrpersonen geben vergleichsweise häufig der individuellen Lernvoraussetzungen der Lernenden und
unspezifische Rückmeldungen und loben, ohne auf die der Kontextbedingungen der jeweiligen Klasse.
17 Besonderheiten der Aufgabenbearbeitung oder auf indivi- Elawar und Corno (1985) untersuchten, wie Lehrer-
duelle Lernfortschritte Bezug zu nehmen (vgl. Pauli, 2010; rückmeldungen auf Hausaufgaben die Leistung und Mo-
Voerman, Meijer, Korthagen & Simons, 2012). tivation der Lernenden beeinflussen. Hierzu wurde eine
18 Experimentalgruppe von Mathematiklehrpersonen in ei-
Motivationale Zielvariablen nem aufwendigen Training fortgebildet. Die ausführlichen
19 Positive Wirkungen von Feedback auf kognitive Variablen Lehrerrückmeldungen bestanden aus emotional-motiva-
lassen sich u. a. mit der Cognitive-Evaluation-Theorie auch tionalen und sachlich-inhaltsbezogenen Komponenten.
20 indirekt, über die Wirkungen auf motivationale Variablen Verglichen wurden diese ausführlichen Rückmeldungen
erklären (vgl. Deci, Koestner & Ryan, 1999) (▶ Kap. 9). mit einfachen Rückmeldungen, die die Lernenden nur dar-
Feedback kann sich dementsprechend über zunehmende über informierten, wie viele Aufgaben sie richtig bearbeitet
21 Anstrengung, höheres Engagement, geringere Unsicherhei- hatten. Das ausführlichere Feedback zeigte positive Effekte
ten und wachsendes Kompetenzerleben auf die Motivation sowohl auf die Leistungen als auch auf das Selbstkonzept,
22 und die Selbstwirksamkeit der Lernenden auswirken (Hat- die Lernfreude und auf die Einstellungen der Lernenden
tie & Timperley, 2007), da die Lernenden durch Feedback zur Lehrperson und zur Schule.
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
85 4
4.2.4 Kooperatives Lernen

Kognitive Zielvariablen
- Die fünfte Komponente bezieht sich auf metakogni-
tive und reflexive Tätigkeiten der Lernenden. Koope-
ratives Lernen im engeren Sinne beinhaltet, dass die
Sowohl im deutschen wie auch im angloamerikanischen
Lernenden darüber nachdenken, welche Tätigkeiten
Sprachraum wird der Begriff „kooperatives Lernen“ bzw.
und Arbeitsschritte hilfreich sind und wie sie ggf.
„cooperative learning“ nicht einheitlich verwendet. Pauli
ihren Arbeitsprozess modifizieren müssen.
und Reusser (2000) verstehen unter kooperativem Lernen
„Lernarrangements, die eine … koordinierte, ko-konst-
ruktive Aktivität der Teilnehmer/innen verlangen, um eine
gemeinsame Lösung eines Problems oder ein gemeinsam Dem kooperativen Lernen in den USA und auch in an-
geteiltes Verständnis einer Situation zu entwickeln“ (Pauli deren Ländern liegen langjährig entwickelte und erprobte
& Reusser, 2000, S. 421). Mit Ko-Konstruktion ist gemeint, Konzepte zugrunde. Diese lassen sich u. a. nach ihrer Be-
dass Lernende durch den gegenseitigen Austausch neues lohnungs-/Bewertungsstruktur und nach ihrer Aufgaben-
Wissen aufbauen, ein neues Verständnis oder neue Auf- struktur systematisieren. Hinsichtlich der Belohnung bzw.
gaben- oder Problemlösungen entwickeln, die vorher in der Bewertung wird zwischen Konzepten unterschieden,
dieser Form bei keinem der Lernenden verfügbar waren. bei denen die Gruppen aufgrund der individuellen Leis-
Zu beachten ist jedoch, dass kooperatives Lernen nicht tungen ihrer Mitglieder belohnt bzw. bewertet werden und
einfach gleichzusetzen ist mit jeder x-beliebigen Form von solchen Konzepten, bei denen entweder keine Belohnung
Gruppenarbeit. Unter Berücksichtigung der umfangrei- bzw. Bewertung erfolgt oder die Belohnung bzw. Bewer-
chen Literatur werden immer wieder folgende zentrale tung nur für das Gruppenergebnis, unabhängig von den
Bestimmungsmerkmale genannt, die kooperatives Ler- Leistungen der einzelnen Mitglieder, gegeben wird. Hin-
nen im engeren Sinne kennzeichnen (Johnson, Johnson sichtlich der Aufgabenstruktur lassen sich Konzepte vonei-
& Stanne 2000). nander abgrenzen, die sich im Grad der Vorstrukturierung
und der Aufteilung der Aufgaben unterscheiden.
Zwei bedeutsame Konzepte kooperativen Lernens
Zentrale Bestimmungsmerkmale kooperativen

-
werden in den folgenden Exkursen vorgestellt. Beim
Lernens
STAD-Konzept erfolgt eine Gruppenbelohnung aufgrund
Grundlegend für kooperatives Lernen ist eine posi-
individueller Leistungen der Gruppenmitglieder, dagegen
tive Interdependenz (wechselseitige Abhängigkeit)
wird auf eine Vorstrukturierung der Aufgaben in der Regel
der Lernenden. Das bedeutet: Den Lernenden sollte
verzichtet. Beim zweiten hier vorgestellten Konzept, dem
bewusst sein, dass sie die Aufgabe nur zusammen
Jigsaw, erfolgt dagegen keine Belohnung der Leistungen,
lösen können. Bekräftigungen wie „Wir sitzen alle in
dagegen sind die Aufgaben vorstrukturiert.
einem Boot“ oder „Wir ziehen am gleichen Strang“

-
Was den Forschungsstand zum kooperativen Lernen
drücken diese positive Interdependenz aus.
insgesamt anbelangt, so zeigen die großen Metaanalysen
Dies impliziert auch, dass jedes Gruppenmitglied
zunächst ein relativ konsistentes Bild: Kooperative Lern-
eine individuelle Verantwortung für den Arbeits-
situationen scheinen individualisierten und kompetitiven
prozess in der Gruppe übernimmt. Die Unterricht-
Lernsituationen überlegen zu sein (Johnson et al., 2000;
spraxis sieht jedoch häufig anders aus: Oft arbeiten
Rohrbeck, Ginsburg-Block, Fantuzzo & Miller, 2003).
nur einige wenige an der Aufgabenstellung, die
Doch bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass die mitt-
anderen „tauchen ab“ oder klinken sich ganz aus
leren Effektstärken in den verschiedenen Metaanalysen er-
dem Arbeitsprozess aus (Renkl, Gruber & Mandl,

-
heblich variieren und dass auch innerhalb der jeweiligen
1996).
Metaanalysen die Effektstärken der einzelnen Studien breit
Kooperatives Lernen lebt von der Face-to-Face-
streuen. Dies legt die Vermutung nahe, dass die Effekte ko-
Kommunikation zwischen den Lernenden, von
operativen Lernens von weiteren Bedingungen beeinflusst
Formen gegenseitiger Unterstützung und wechsel-

-
werden.
seitiger Rückmeldung.
Die Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003) konnte
Soziale Fähigkeiten sind gleichsam Voraussetzung
eine Reihe solcher Drittvariablen identifizieren, die die Ef-
und Ziel kooperativen Lernens. Ohne ein Minimum
fektivität des „peer-assisted learning“ (PAL), bei dem sich
an vorhandenen Fertigkeiten und Fähigkeiten ist
Schüler gegenseitig in Gruppen unterrichten, moderieren.
kooperatives Lernen kaum realisierbar, gleichzeitig
Demnach fallen die Ergebnisse für diese Art des koopera-
dient kooperatives Lernen jedoch auch dem Aufbau
tiven Lernens dann günstiger aus, wenn die Lernenden in
sozialer Kompetenzen.
gleichgeschlechtlichen Gruppen zusammenarbeiten, wenn
das Ziel der Arbeit von den Lernenden festgelegt wird und
86 Kapitel 4 • Unterricht

Exkurs  |       | 
1
Student Teams-Achievement Divisions (Slavin, 1996)
2 STAD ist eine Kombination aus Grup- Schüler allein. Die erzielten individuellen der Gruppe übernehmen. Diese Form
penarbeit, regelmäßiger Leistungsüber- Leistungen der Schüler werden jeweils der Beurteilung erhöht den Druck für
prüfung und Gruppenbelohnung. STAD mit einer Baseline, die vor der eigentli- die einzelnen Gruppenmitglieder sich
3 umfasst mehrere Phasen. Zunächst führt chen kooperativen Phase erfasst wurde, anzustrengen und sich für die Arbeit der
die Lehrperson im Klassenverband in das verglichen. Daran bemisst sich, wie viele Gruppe zu engagieren.

4 Thema des Unterrichts ein. In der zweiten


Phase arbeiten die Lernenden in leis-
Punkte jedes Gruppenmitglied erhält. Die
Punkte werden pro Gruppe aufsummiert,
Slavin (1996) verweist auf die große
Bedeutung, die der individuellen
tungsheterogenen Gruppen. Ziel dieser die Gruppe mit den meisten Punkten ge- Leistungsüberprüfung in diesem Modell

5 Phase ist, dass alle Mitglieder der Gruppe


die entsprechende(n) Aufgabe(n) lösen.
winnt. Eine Gruppe – so die Erwartung –
kann also nur dann erfolgreich sein, wenn
eingeräumt werden muss. Eine von ihm
durchgeführte Metaanalyse ergab für
Jede Gruppe bekommt die gleiche(n) alle Mitglieder der Gruppe dazugelernt diese Form kooperativen Lernens eine
6 Aufgabe(n) und die gleichen Materialien
zur Verfügung gestellt. Nach der koope-
haben bzw. nach der kooperativen Phase
bessere Leistungen zeigen als vorher, was
mittlere Effektstärke von d = 0.32. Wenn
dagegen ausschließlich ein einziges von
rativen Phase – diese kann 3–5 Unter- voraussetzt, dass sich die Lernenden ge- der Gruppe erstelltes Produkt bewertet
7 richtsstunden umfassen – erfolgt eine
individuelle Leistungsüberprüfung mit
genseitig in ihrem Lern- und Verstehens­
prozess unterstützen und Verantwortung
wird, zeigen die Studienergebnisse nur
einen geringen Effekt von d = 0.07.
einem Quiz bzw. Test. Dabei arbeitet jeder für sich und die anderen Mitglieder in
8
wenn die Arbeit Freiheitsgrade für die Lernenden eröffnet. los geklärt. In der Metaanalyse von Rohrbeck et al. (2003)
9 Besonders hoffnungsvoll stimmen Befunde, die darauf hin- konnte dies nicht bestätigt werden, anderen Studien zu-
deuten, dass insbesondere sozial benachteiligte Kinder von folge befördern Strukturierungen jedoch die Qualität ko-
10 dieser Art des Lernens profitieren. operativen Arbeitens, insbesondere dann, wenn sie auf eine
Weitere Studien beschäftigten sich mit den Effekten Aktivierung und Förderung metakognitiver Fähigkeiten
der Gruppenzusammensetzung auf den Lernerfolg. Eine der Lernenden abzielen (Howe & Tolmie, 2003; Kramarski
11 heterogene Zusammensetzung der Gruppe kommt offen- & Mevarech, 2003) und wenn sie über Skripts den inhaltli-
bar insbesondere den schwächeren Schülern zugute (Lou chen Austausch der Gruppenmitglieder befördern und zur
12 et al., 1996; Webb et al., 1998). Erklärt wird dies mit den Vertiefung und Verknüpfung der Inhalte anregen (Jurkow-
elaborierteren Erklärungen und Beiträgen der stärkeren ski & Hänze, 2010).
Mitglieder der Gruppen, aber auch mit einem aktiveren Weitere Bedingungen, die die Wirksamkeit kooperati-
13 Lernverhalten der schwächeren Schüler in heterogenen ven Arbeitens beeinflussen können, sind offenbar die Kom-
Gruppen (Fawcett & Garton, 2005; Fuchs et al., 1996). Für plexität und das Anforderungsniveau der Aufgabenstellung.
14 leistungsdurchschnittliche Schüler zeichnet sich dagegen Eine aktuelle Studie von Kirschner et al. (2011), die sich der
ab, dass ihr Lernerfolg in heterogenen Gruppen eher ge- Cognitive-Load-Theorie zuordnen lässt, ergab, dass koope-
15 ringer ausfällt als in homogenen Gruppen, für leistungs- ratives Lernen dann wirksamer ist als Einzelarbeit, wenn
starke Schüler differieren die Befunde (Webb et al., 1998; die unterrichtlichen Anforderungen komplexer Natur sind
Lou et al., 1996). Letztere erzielen in heterogenen Gruppen und problemlösendes Lernen erfordern. Wenn es dagegen
16 offenbar dann einen vergleichsweise hohen Lerngewinn, um das Bearbeiten von weniger komplexen Anforderun-
wenn eine intensive, freundliche und von gegenseitiger gen (hier: das Studium von Lösungsbeispielen) geht, zeigen
17 Unterstützung geprägte Arbeitsatmosphäre vorherrscht sich deutlich geringere Unterschiede zwischen Einzelarbeit
(Webb, Nemer & Zuniga, 2002). Das letztgenannte Er- und kooperativer Bearbeitung. Eine mögliche Erklärung
gebnis zeigt, dass für das Gelingen kooperativen Lernens hierfür ist, dass sich die höhere kognitive Beanspruchung
18 die Interaktionsqualität eine wichtige Rolle spielt (Hijzen, bei der Problemlöseaufgabe im Rahmen des kooperativen
Boekkaerts & Vedder, 2007). In einer Studie mit Studieren- Settings auf mehrere Mitlernende verteilt, wodurch das
19 den wiesen Jurkowski und Hänze (2010) nach, dass auch Lernen effizienter und effektiver gestaltet werden kann,
die Kooperationsfähigkeit der Studierenden einen Einfluss als wenn die Schüler alleine arbeiten. Dieses Ergebnis ver-
20 auf den Lernerfolg hat, der partiell über das transaktive weist darauf, dass auch das Niveau und die Komplexität der
Interaktionsverhalten vermittelt wird. Mit transaktivem Aufgabenstellungen und die zu ihrer Bearbeitung erforder­
Interaktionsverhalten ist gemeint, wie intensiv die Lernen- lichen Lernaktivitäten darüber entscheiden, ob kooperative
21 den aufeinander Bezug nehmen und Beiträge der anderen Lernumgebungen ihr Potenzial „ausspielen“ können oder
Gruppenmitglieder aufgreifen und weiterentwickeln. nicht (▶  Exkurs „Student Teams-Achievement Divisions (Sla-
22 Ob auch Strukturierungsmaßnahmen die Qualität vin, 1996)“; ▶ Exkurs „Jigsaw (Aronson, Blaney, Stephan, Sikes,
kooperativen Arbeitens befördern können, ist nicht rest- & Snapp, 1978)“).
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
87 4

Exkurs  |       | 

Jigsaw (Aronson, Blaney, Stephan, Sikes, & Snapp, 1978)


Das Jigsaw (Gruppenpuzzle) verläuft in haben. Daran schließt sich in der Regel das Gruppenpuzzle leicht positive Effekte.
4 unterschiedlichen Phasen. Zunächst noch eine gemeinsame Reflexion im Einhellig weisen die Studien jedoch auf
teilt sich die Klasse in sogenannte Klassenverband an. differenzielle Effekte innerhalb der Grup-
Stammgruppen mit 4–5 Mitgliedern auf. Die Befunde zur Lernwirksamkeit des penpuzzlegruppen hin: In ihren Exper-
Daraufhin werden, auf der Basis thema- Gruppenpuzzles fallen, was den Lern­ tenthemen schneiden die Lernenden in
tischer Vorstrukturierungen seitens der erfolg anbelangt, uneinheitlich aus. In der Regel besser ab als in jenen Themen,
Lehrperson, Expertengruppen gebildet, in den meisten Untersuchungen konnten die ihnen von ihren Mitlernenden präsen-
die jeweils ein Mitglied jeder Stamm- keine Vorteile des Gruppenpuzzles tiert wurden (z. B. Hänze & Berger, 2007).
gruppe entsandt wird und die unter- gegenüber herkömmlichem Unterricht Dieser Befund ist nicht überraschend,
schiedliche Aspekte oder Aufgaben eines abgesichert werden können (Hänze & wenn man bedenkt, dass die Schüler sehr
komplexeren Themas bearbeiten. Nach Berger, 2007; Souvignier & Kronenber- viel mehr Zeit auf die Erarbeitung ihrer
dieser Expertenphase folgt die Vermitt- ger, 2007). Demgegenüber berichten Expertenthemen verwenden, und wenn
lungsphase in den Stammgruppen. Jedes z. B. Borsch et al. (2002) von positiven man berücksichtigt, dass der Lernerfolg in
Mitglied hat dabei die Aufgabe, sein in Effekten, d. h., die Lernenden erzielten im den Nichtexpertenthemen auch von der
den Expertengruppen erworbenes (Ex- Gruppenpuzzle größere Lernzuwächse als Qualität der Vermittlung und Präsentation
perten-)Wissen an die Mitglieder seiner im traditionellen Unterricht bzw. in Einzel- durch die Mitschüler abhängig sein dürfte
Stammgruppe weiterzugeben, die sich arbeit. Die Metaanalyse von Johnson, (Webb et al., 1998).
mit einem anderen Thema beschäftigt Johson und Stanne (2000) ermittelt für

Neben der Cognitive-Load-Theorie kommen für die penbezogene Belohnung auf der Basis der individuellen
hier dargestellten positiven Effekte kooperativen Lernens Leistungen der Gruppenmitglieder und die sich dadurch
weitere theoretische Erklärungen infrage. Dabei lässt sich ergebende individuelle Verantwortlichkeit der Lernenden
eine kognitiv-konstruktivistische und eine motivationale gefördert wird, den entscheidenden Wirkmechanismus
Perspektive unterscheiden. Aus kognitiv-konstruktivisti- beim kooperativen Lernen dar.
scher Perspektive kann angenommen werden, dass koope- Andere Autoren sehen eher in der sozialen Kohäsion
ratives Lernen insbesondere dann zu einer Weiterentwick- der Gruppenmitglieder den entscheidenden Grund für die
lung kognitiver Schemata und Strukturen beiträgt, wenn es positiven Effekte kooperativen Lernens, da kooperatives
zu einem vertieften Austausch von Meinungen, Ideen und Lernen dem Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit ent-
Konzepten zwischen den Lernenden kommt, wenn wider- gegenkommt und darüber die Lernmotivation der Lernen-
sprüchliche Meinungen aufeinandertreffen und kognitive den fördert (Cohen, 1994).
Konflikte entstehen, die zu einem inhaltlich intensiven Dis- Insgesamt liegen zu den Effekten auf motivational-
kurs führen (Piaget, 1985). Empirische Evidenzen hierfür affektive Variablen (Einstellungen zum Lernen, Selbst-
fassen De Lisi und Golbeck (1999) zusammen (vgl. auch wertgefühl, Formen der Lernmotivation) deutlich weniger
Jurkowski & Hänze, 2010). Eine stärker soziokulturelle Per- Studien vor als für die Leistungsentwicklung. Zusammen-
spektive verfolgt die Theorie Vygotskys (1978). Vygotsky fassungen des Forschungsstands und Metaanalysen indi-
geht davon aus, dass die kognitive Entwicklung ein Prozess zieren auch hier ein insgesamt positives Bild (Lou et al.,
ist, der vor allem durch die Aushandlungs- und Interakti- 1996; Springer, Stanne & Donovan, 1999).
onsprozesse mit (kompetenteren) Personen befördert und Zieht man einige aktuellere Einzelstudien heran, so
unterstützt wird. Lernende eignen sich durch die Interak- wird das Bild verschwommener. In der Studie von Krause
tion mit kompetenteren Personen Konzepte, Denkweisen und Stark (2004) blieben die erwarteten Effekte koopera-
und Strategien an, indem sie diese schrittweise interna- tiven Lernens auf motivationale Variablen, wie die Selbst-
lisieren. Lernende profitieren vor allem dann von dieser wirksamkeit, die erlebte Kompetenz, die wahrgenommene
Interaktion, wenn Anleitung und Unterstützung in der Anstrengung sowie die Akzeptanz der Lernumgebung, al-
„Zone der nächsten Entwicklung“ angesiedelt sind, also lesamt aus. Positive Ergebnisse ergeben sich dagegen aus
etwas über den aktuellen Entwicklungsstand des Lernen- zwei Studien, die die Wirkungen der STAD-Methode und
den hinausreichen. Andere Autoren erklären die positiven des Gruppenpuzzles untersuchten. In einer amerikani-
Effekte kooperativen Lernens mit motivationalen Aspekten schen Studie mit Lernenden an Highschools konnten po-
des Lernens (s. unten). sitive Effekte der STAD-Methode auf die Entwicklung der
Selbstwirksamkeit, der intrinsischen Motivation sowie auf
Motivationale Zielvariablen die Zielorientierungen der Lernenden nachgewiesen wer-
Für Slavin (1996) stellt die Motivation der Lernenden, den (Nichols, 1996). Hänze und Berger (2007) zeigen, dass
die seiner Meinung nach insbesondere durch die grup- sich das Verfahren des Gruppenpuzzles positiver auf die
88 Kapitel 4 • Unterricht

drei „basic needs“ nach Deci und Ryan (1985), also auf das fekte auf die Leseflüssigkeit und das Leseverständnis hat
1 Kompetenzerleben, die soziale Eingebundenheit und das (Therrien, 2004).
Autonomieerleben, auswirkt als traditioneller Unterricht. Als empirisch gut bestätigt gilt, dass verteiltes Üben
2 Zusammenfassend zeigt sich auch für den affektiv-mo- grundsätzlich effektiver ist als massiertes (Donovan & Ra-
tivationalen Bereich, dass man nicht automatisch von po- dosevich, 1999; Cepeda, Pashler, Vul, Wixted & Rohrer,
sitiven Effekten des kooperativen Lernens ausgehen kann. 2006; Dunlosky, Rawson, Marsh, Nathan & Willingham,
3 Vielmehr deuten die uneinheitlichen Ergebnisse darauf 2013; Rohrer & Taylor, 2006; Seabrook, Brown & Solity,
hin, dass es auch für den affektiv-motivationalen Bereich 2005; Sobel, Cepeda & Kapler, 2011). Aktuelle Forschun-
4 moderierende Faktoren gibt, die die Stärke der Effekte ko- gen zeigen zudem, dass das Behalten langfristig gesteigert
operativen Lernens beeinflussen. werden kann, wenn (Übungs-)Aufgaben vermischt bzw.
5 verschachtelt dargeboten werden. Beim vermischten
Üben werden Aufgaben zu miteinander in Beziehung
4.2.5 Üben stehenden Inhalten verschachtelt (abcabcabc) dargeboten
6 (Rohrer & Taylor, 2007; Taylor & Rohrer, 2010). Bei ge-
Üben und Wiederholen sind wichtige Komponenten im blockten Übungen, was dem typischen Vorgehen in der
7 Lern- bzw. Wissenserwerbsprozess und spielen in vielen Schule entspricht, werden die Aufgaben nach den jeweili-
Instruktionstheorien und -modellen eine wichtige Rolle gen Inhalten dagegen isoliert und geblockt bearbeitet bzw.
(vgl. Aebli; ▶ Abschn. 4.1.3; Anderson, 2001). Üben verbes- geübt (aaabbbccc): Nach der Einführung eines Inhalts a
8 sert die Übertragung von Informationen vom Arbeits- in wird dieser Inhalt, häufig aber eben nur dieser Inhalt, so-
das Langzeitgedächtnis, dient somit der Speicherung und fort geübt, bevor ein neuer Inhalt b eingeführt und geübt
9 Festigung von deklarativem und prozeduralem Wissen und wird. Während für kurzfristiges Behalten und Lernen ge-
damit der Entlastung des kognitiven Systems. Als allge- blockte Übungen offenbar effektiver sind, erweisen sich
10 mein anerkannt gilt, dass Training und Übung mangelnde vermischte Übungen für den längerfristigen Lern- und Be-
Fähigkeiten und Begabung zumindest partiell kompensie- haltenserfolg als überlegen. Entsprechende Studien liegen
ren können. insbesondere für den Mathematikunterricht vor (Dun-
11 Wenn man den Forschungsstand zum Thema „Üben“ losky et al., 2013; Kornell & Bjork, 2008; Taylor & Rohrer,
analysiert, so fällt zunächst auf, dass es vergleichsweise we- 2010; Rohrer, 2012), wenngleich es sich jedoch hierbei
12 nig aktuelle Studien gibt, die die Wirkungen von Übungen vielfach um Laborstudien mit älteren Lernenden handelt
und Übungskomponenten auf schulrelevantes Wissen und (vgl. Richter et al., 2013). Erklären lässt sich die Überle-
schulbezogene Fähigkeiten explizit untersuchen. Entspre- genheit vermischt bzw. verschachtelt dargebotener Lern-
13 chenden Fragen wird in der Kognitionspsychologie und in und Übungsaufgaben damit, dass Schüler dabei zusätzlich
der Forschung zur Bedeutung von Lernstrategien für den entscheiden müssen, welches der gelernten Verfahren oder
14 Lern- und Übungserfolg nachgegangen (▶ Kap. 2; Klauer Prinzipien anzuwenden ist, was erhebliche Diskrimina-
& Leutner, 2007; Mandl & Friedrich, 2006). tionsleistungen erfordert. Demgegenüber kommt es bei
15 Auch in Standardwerken zum Thema Unterrichts- geblockten Übungen lediglich darauf an, eine zuvor ge-
qualität wird immer wieder auf die Bedeutung des Übens lernte Prozedur bzw. ein Verfahren in der vorher gelern-
für den Lernprozess hingewiesen (Brophy, 2000; Borich, ten Weise anzuwenden. Die plausibelste Erklärung für den
16 2007). Marzano et al. (2000) ermitteln in ihrer Metaana- Vorteil verschachtelten Übens ist demnach, dass Schüler
lyse für das Merkmal „Hausaufgaben und Übungen“ eine dabei ein Wissen darüber ausbilden, welches Verfahren
17 Effektstärke von d = 0.77, was einen beträchtlichen Effekt und welche Prozedur bei welchen Aufgaben anzuwenden
darstellt. Auch die fachdidaktische Forschung stellt die ist und dadurch Gemeinsamkeiten und Unterschiede in
Bedeutung des Übens für den Lernprozess heraus (z. B. den Aufgabenmerkmalen erkennen. Diese angenommene
18 für die Mathematik: Grouws & Cebulla, 2000). Dabei wird Erklärung für den Vorteil verschachtelten Übens und
meist darauf verwiesen, dass positive Effekte von Übungen Lernens lässt sich mit Ergebnissen der Metaanalyse von
19 am ehesten dann zu erwarten sind, wenn ein ausreichen- Marzano, Gaddy und Dean (2000) in Einklang bringen,
des konzeptionelles Verständnis beim Lernenden vor- die für instruktionale Maßnahmen, die Lernende dazu
20 handen ist. Dieser weit verbreiteten Ansicht widerspre- anregen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zweier Ele-
chen allerdings die Befunde von Rittle-Johnson, Siegler mente zu identifizieren, die höchste aller berichteten Ef-
und Alibali (2001), die wechselseitige Zusammenhänge fektstärken (d = 1.61) ermittelten (s. auch ▶ Abschn. 4.2.6).
21 zwischen der Entwicklung konzeptuellen Verständnisses Verschachteltes Üben lässt sich somit als wünschenswer-
und prozeduraler Fertigkeiten nachweisen konnten. Die tes Erschwernis begreifen, welches das Lernen zunächst
22 Leseforschung verdeutlicht, dass wiederholtes Lesen der schwerer, langfristig aber effektiver macht (Bjork & Bjork,
gleichen Textabschnitte (repeated reading) erhebliche Ef- 2011; Richter et al. 2013).
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
89 4

Ganz ähnliche Unterschiede zwischen kurzfristigem Die berichteten Ergebnisse zum verteilten Üben (s. o.)
und langfristigem Behalten zeigen Studien zum sogenann- lassen positive Effekte des sog. Overlearning – also des
ten Testeffekt: Demnach ist es für das langfristige Behalten Weiterübens einer Tätigkeit, die man eigentlich schon be-
besser, wenn sich Lernende nach einer einmaligen Lese- herrscht – fraglich erscheinen. Während frühere Studien
bzw. Lernphase selbst testen und ihr Wissen prüfen, als positive Effekte für das Overlearning nachweisen konnten
wenn sie den zu lernenden Text nochmals lesend durch- (vgl. zsf. Klauer & Leutner, 2007), gelangen neuere Unter-
arbeiten und studieren. Für den kurzfristigen Lern- und suchungen eher zu dem Fazit, dass das Overlearning weder
Behaltenserfolg erweisen sich zwar nacheinander durch- einen kurz- noch einen langfristigen Effekt hat (Rohrer,
geführte Studiums- bzw. Wiederholungsphasen als effek- 2009; Rohrer & Taylor, 2006).
tiver, langfristig bringt es jedoch mehr, wenn einmal ge- Insgesamt verweisen die Ergebnisse darauf, dass Übun-
lerntes Wissen rekonstruiert und abgefragt wird, als wenn gen dann vergleichsweise wirkungslos verpuffen, wenn
der Inhalt nochmals studiert wird (vgl. Dunlosky et al., die Lernenden die auszuführenden Tätigkeiten bereits
2013; Roediger & Karpicke, 2006a, 2006b). Das eigene beherrschen und wenn die Übungsaufgaben keine Va-
Wissen zu testen, stellt somit auch eine wertvolle Lernge- riationen und Herausforderungen beinhalten, sodass es
legenheit dar. Darüber, wie sich dieser Testeffekt erklären den Lernenden nicht oder nur unzureichend gelingt, die
lässt, liegen unterschiedliche Annahmen vor: Zum einen kennzeichnenden Bestandteile des relevanten Konzepts zu
werden direkte Effekte angenommen, die davon ausge- diskriminieren und zu generalisieren (Bjork, 1994). Hier
hen, dass durch das Testen und Abrufen des Wissens die zeigen sich interessante Parallelen zu den Empfehlungen
Wahrscheinlichkeit steigt, dass neue Informationen mit von Aebli (1976; 1983). Mit den positiven Effekten des ver-
der bestehenden kognitiven Struktur verknüpft und da- mischten Übens und mit dem berichteten Testeffekt lassen
durch leichter erinnert werden. Indirekte Effekte basieren sich auch Verbindungen zum Konstrukt der kognitiven
z. B. auf den Annahmen, dass der Lernende durch den Aktivierung herstellen.
Test Wissenslücken bemerkt, auf deren Schließung er sich
nachfolgend konzentrieren kann, dass der Test mit seinen
Fragen die Organisation von Wissen erleichtern kann und 4.2.6 Kognitive Aktivierung
dass der Test eine Feedbackfunktion beinhaltet (Roediger,
Putnam & Smith, 2011). Aus einer kognitiv-konstruktivistischen Sicht verspricht
Wie lang dürfen oder sollen die Zeiträume zwischen Unterricht dann erfolgreich – im Sinne der Förderung ei-
den Übungseinheiten sein? Lange ging man davon aus, nes vertieften Verständnisses – zu sein, wenn er Lernende
dass es sinnvoll sei, die Zeitintervalle zwischen den Wie- zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten
derholungsphasen sukzessive auszudehnen. Studien kön- Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand an-
nen dies jedoch bislang nicht bestätigen. Donovan und regt. Damit wird das Konstrukt der ▶ kognitiven Aktivie-
Radosevich (1999) zeigen, dass zu lange Zeiträume zwi- rung umschrieben, ein vergleichsweise junges Konstrukt
schen den Übungseinheiten den Übungserfolg schmälern in der deutschen Unterrichtsforschung, das von Baumert
können. Cepeda et  al. (2006) berichten in ihrer Meta- und Klieme in Abgrenzung zu anderen Basisdimensio-
analyse von einer uneinheitlicher Befundlage: Während nen der Unterrichtsqualität, wie Schülerorientierung und
einige Studien nachweisen, dass mit einer Vergrößerung Klassenführung, in die Diskussion eingeführt wurde (Bau-
der Zeiträume zwischen den Übungsphasen ein höherer mert et al., 2004; Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka,
Lernzuwachs verbunden ist, gelangen andere Studien zu 2006). International werden für einen anregenden, heraus-
dem Ergebnis, dass gleich lange Zeiträume vorteilhafter fordernden Unterricht auch andere Begriffe wie „higher
sind. Ein Grund für die inkonsistente Forschungslage order questions“, „higher order thinking“, „challenging
könnte sein, dass der Übungserfolg nicht nur von den tasks“, „thoughtful discourse“ oder „authentic instruc-
Zeiträumen zwischen den Übungseinheiten, sondern auch tion“ verwendet (vgl. Brophy, 2000; Hattie, 2009, 2012;
davon abhängig ist, wie lange und nachhaltig das Wis- Louis & Marks, 1998), wobei mit diesen Begriffen teilweise
sen behalten werden soll. Je nachhaltiger und länger der unterschiedliche Facetten kognitiver Aktivierung betont
Übungsstoff behalten werden soll, desto länger dürfen die werden.
Zeiträume zwischen den Übungseinheiten sein (Cepeda, Inwieweit Lernende kognitiv aktiviert und stimuliert
Vul, Rohrer, Wixted & Pashler, 2008). Soll der Lernende werden, lässt sich nicht direkt beobachten, sondern wird
das Wissen noch nach fünf Jahren erinnern, so sollten die in der Regel über verschiedene Indikatoren approximativ
Übungseinheiten 6–12 Monate auseinander liegen. Geht zu erfassen versucht. Diese beziehen einerseits Merkmale
es dagegen um das Behalten für eine Woche, so sollten die des Unterrichtsangebots, andererseits Aspekte der Nutzung
Zeiträume zwischen den Übungseinheiten nicht länger als dieses Angebots durch die Lernenden ein. Indikatoren des
12–24 Stunden sein (Cepeda et al., 2008). Unterrichtsangebots umfassen vor allem Aspekte des Leh-
90 Kapitel 4 • Unterricht

rerverhaltens. Die Lehrperson kann den Prozess der ko- des Lernenden, ein Gleichgewicht zwischen den existie-

-
1 gnitiven Aktivierung initiieren und befördern, indem sie renden Vorstellungen und Konzepten einerseits und neuen
die Lernenden mit kognitiv herausfordernden Aufga- Informationen und Erfahrungen andererseits herzustel-
2
3
-- ben konfrontiert,
kognitive Konflikte provoziert,
auf Unterschiede in inhaltsbezogenen Ideen, Kon-
zepten, Positionen, Interpretationen und Lösungen
len. Der Impuls zum Aufbau und zur Weiterentwicklung
kognitiver Strukturen erfolgt dadurch, dass der Lernende
mit Informationen, Erfahrungen oder Phänomenen kon-
frontiert wird, die im Widerspruch zu seinen bisherigen

4
- hinweist,
die Lernenden anregt, ihre Gedanken, Konzepte,
Konzepten stehen und die ihn erkennen lassen, dass seine
bisherigen Vorstellungen nicht mehr tragfähig sind und

5 - Ideen und Lösungswege darzulegen und zu erläutern,


anregende und herausfordernde Fragen stellt, die
zu Begründungen, Vergleichen und Verknüpfungen
neuer Informationen mit bereits bestehendem Wis-
neue Konzepte plausibler erscheinen (▶ Abschn. 4.2.4).
Die Forschungslage zu Wirkungen eines kognitiv akti-
vierenden Unterrichts ist noch vergleichsweise dünn. Die
meisten Studien liegen zum Mathematikunterricht vor.

-
6 sen anregen und Klieme, Schümer und Knoll (2001) konnten auf der Basis
allgemein gesprochen eine diskursive Unterrichts- der Daten aus der TIMSS-Videostudie 1995 positive Zu-
7 kultur pflegt, in der sich die Lernenden intensiv über sammenhänge zwischen der kognitiven Aktivierung der
inhaltliche Konzepte und Ideen austauschen. Lernenden und dem Lernzuwachs nachweisen, dabei wurde
jedoch der Mehrebenencharakter der Daten nicht berück-
8 Korrespondierend hierzu lässt sich auf der Ebene der An- sichtigt. In dem Projekt „Unterrichtsqualität, Lernverhal-
gebotsnutzung dann von einem vergleichsweise kognitiv ten und mathematisches Verständnis“ (Pythagorasstudie)
9 aktivierenden Unterricht ausgehen, wenn die Lernenden stellten Lipowsky et  al. (2009), nach Kontrolle diverser
kognitiv anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben, also z. B. Lernvoraussetzungen und klassenspezifischer Bedingun-
10 Argumente austauschen, Querverbindungen zu anderen gen, einen positiven, wenngleich schwachen Effekt der von
Themen oder Konzepten herstellen, Vergleiche anstellen, externen Beobachtern hochinferent eingeschätzten kogni-
Lösungswege erläutern, vergleichen und beurteilen, Ver- tiven Aktivierung auf den Lernerfolg der Schüler während
11 mutungen formulieren, Fragen stellen, Antworten und Lö- einer dreistündigen Unterrichtseinheit zur „Satzgruppe des
sungen hinterfragen und ihr Wissen auf andere Situationen Pythagoras“ fest. Pauli und Reusser (2011) analysierten die
12 übertragen. Lehrer-Schüler-Interaktion im öffentlichen Klassenge-
Eine besondere Rolle in einem kognitiv aktivierenden spräch des videografierten Pythagorasunterrichts genauer.
Unterricht spielt das fachliche Niveau der didaktischen Mittels niedriginferenter Kodierungen wurden u. a. der An-
13 Kommunikation und der Unterrichtsgespräche (Brophy, teil von Lehreräußerungen erfasst, mit denen die Schüler
2000; Learning Mathematics for Teaching Project, 2010; aufgefordert wurden etwas zu begründen oder zu erläutern,
14 Menke & Pressley, 1994; Pauli & Reusser, 2011; Walshaw der Anteil kognitiv herausfordernder Lehrerfragen, der An-
& Anthony, 2008). teil gleichberechtigter Schüleräußerungen (in Abgrenzung
15 Theoretisch weist das Konstrukt der kognitiven Akti- zu Schüleräußerungen, die lediglich eine Stichwortfunktion
vierung u. a. Bezüge zu den Theorien von Vygotsky und erfüllten) und der Anteil der Schüleräußerungen, die eine
Piaget und zu konstruktivistischen Theorien des Wis- Begründung enthielten. Diese vier Kategorien ließen sich
16 senserwerbs auf. Der inhaltliche Austausch mit anderen faktorenanalytisch zu der Dimension „anspruchsvolle ma-
Menschen, insbesondere mit kompetenteren Mitlernenden thematische Diskussionen“ verdichten, deren Ausprägung
17 und Erwachsenen, wird von Vygotsky (1978) als zentrale mehrebenenanalytisch den Lernerfolg der Schüler in der
Voraussetzung für die allmähliche Verinnerlichung von dreistündigen Unterrichtseinheit „Einführung in den Satz
neuen Konzepten, Strategien und für den Aufbau von des Pythagoras“ positiv vorhersagen konnte.
18 neuem Wissen verstanden (▶ Abschn. 4.2.4). Der Ansatz Im COCATIV-Projekt ermittelten Baumert und Kol-
von Vygotsky wie auch das Konstrukt der kognitiven Akti- legen (2010) einen positiven Effekt der kognitiven Akti-
19 vierung betonen gleichermaßen die Bedeutung der fachge- vierung auf den Lernzuwachs von Schülern im Mathe-
bundenen Interaktion für den Aufbau von neuem Wissen. matikunterricht des 10. Schuljahrs, wobei die kognitive
20 Die Konfrontation der Schüler mit anderen Stand- Aktivierung des Unterrichts hier über das Anspruchsni-
punkten und Sichtweisen bzw. die Initiierung von Wi- veau der in Klassenarbeiten eingesetzten Aufgaben erfasst
dersprüchen stellt eine Voraussetzung für das Entstehen wurde (vgl. auch Kunter & Voss, 2011). Auch Befunde des
21 kognitiver Konflikte dar, die im Sinne Piagets (1985) als amerikanischen QUASAR-Projekts (Stein & Lane, 1996),
Motor für die Weiterentwicklung kognitiver Strukturen be- des britischen CAME-Projekts (Shayer & Adhami, 2007),
22 trachtet werden. Theoretische Basis für diese Annahmen Ergebnisse einer kleinen Studie von Hiebert und Wearne
bildet das sog. Äquilibrationskonzept, also das Bestreben (1993) sowie Befunde mehrerer qualitativer mathema-
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
91 4

tikdidaktischer Studien, die Hiebert und Grouws (2007) Zusammenfassend handelt es sich bei der kognitiven
zusammenfassen, verweisen auf die positiven Effekte ei- Aktivierung um ein facettenreiches Konstrukt, das zum
nes Unterrichts, der sich durch eine höhere Anzahl kog­ einen auf das Angebot der Lehrperson und deren Hand-
nitiv anspruchsvoller Aufgaben und durch die kognitiv lungen fokussiert, zum anderen eher die Nutzung dieses
anspruchsvolle Auseinandersetzung mit zentralen mathe- Angebots durch die Lernenden zur Messung heranzieht.
matischen Kernideen auszeichnet. Taylor, Pearson, Peter- Entsprechend wird die kognitive Aktivierung in einigen
son und Rodriguez (2003) konnten ähnliche Befunde für Studien über Unterrichtsbeobachtungen und Aufgaben-
die Leseleistungen von benachteiligten Grundschülern analysen erfasst, in anderen Studien über die Befragung
ermitteln: Demnach wurden die Leseleistungen der Ler- und Beobachtung der Lernenden. Im Vergleich zu den
nenden vor allem dann gefördert, wenn die Lehrpersonen beiden anderen Basisdimensionen von Unterrichtsqua-
die Lernenden zu kognitiv anspruchsvollen Aktivitäten lität, der effektiven Klassenführung (▶ Abschn. 4.2.1 und
anregten (vgl. auch Menke & Pressley, 1994). Für natur- ▶ Kap. 5) und dem Unterrichtsklima (▶ Abschn. 4.2.8),
wissenschaftlichen Unterricht ergeben sich Hinweise auf scheint die Stabilität der kognitiven Aktivierung geringer
positive Effekte eines kognitiv aktivierenden Unterrichts zu sein, d. h. sie kann von Unterrichtseinheit zu Unter-
z. B. durch die Studien von She und Fisher (2002) und von richtseinheit variieren und hängt offenbar auch stärker
Zohar und Dori (2003, auch Zohar, 2004). Fauth, Decris- von Merkmalen des zu unterrichtenden Inhalts ab (vgl.
tan, Rieser, Klieme und Büttner (2014) ermittelten positive Praetorius, Pauli, Reusser, Rakoczy & Klieme, accepted).
Effekte kognitiver Aktivierung auf das naturwissenschaft-
liche Interesse von Grundschülern, nicht aber auf deren
Leistungsentwicklung. 4.2.7 Metakognitive Förderung
Eine spezifische Strategie, Lernende kognitiv zu ak-
tivieren, stellt die Konfrontation mit kontrastierenden In enger Verbindung mit der kognitiven Aktivierung der
Aufgaben(-lösungen), Meinungen und mit typischen Lernenden und der Qualität des Klassengesprächs stehen
Fehlern oder Misskonzepten dar. In einer Studie im Fach Aktivitäten der Lehrperson, die auf eine metakognitive
Mathematik konnten Rittle-Johnson und Star (2007) am Förderung der Lernenden abzielen. Metakognitive För-
Beispiel von Aufgaben zum Thema „lineare Gleichungen“ derung steht dabei für eine Reihe von Maßnahmen der
zeigen, dass Schüler ein höheres prozedurales Wissen Lehrperson, die dazu beitragen, bei Lernenden Wissen
und eine höhere Flexibilität erwerben, wenn sie aufgefor- über kognitive Funktionen im Allgemeinen und über das
dert werden, unterschiedliche Schülerlösungen zu einer eigene Lernen im Speziellen aufzubauen sowie Fähigkeiten
Aufgabe zu vergleichen, statt wenn sie sequenziell, also der Planung, Steuerung, Regulation und Bewertung weiter-
hintereinander, mit Aufgabenlösungen zu verschiedenen zuentwickeln (vgl. Hasselhorn & Labuhn, 2008).
Aufgaben konfrontiert werden. In einer aktuelle Studie Die Befundlage zur Förderung der Metakognition
der Arbeitsgruppe um Chi (Gadgil, Nokes-Malach & Chi, ist vergleichsweise robust: Maßnahmen, die der metako-
2012) wurde eine Gruppe von Lernenden mit einer kor- gnitiven Förderung der Lernenden dienen, haben nicht
rekten Abbildung eines naturwissenschaftlichen Konzepts nur das Potenzial, metakognitive Strategien zu befördern,
(Blutkreislauf) und einer Abbildung, die eine typische Fehl- sondern wirken sich darüber hinaus auch auf den Ler-
vorstellung repräsentierte, konfrontiert. Außerdem wur- nerfolg von Schülern aus, insbesondere wenn es sich um
den die Schüler über Prompts aufgefordert, beide Abbil- systematische Trainings handelt (vgl. z. B. Dignath et al.,
dungen zu vergleichen. Eine zweite Gruppe von Lernenden 2008; Hattie, 2009; Hattie, Biggs & Purdie, 1996; Kramar-
erhielt nur die korrekte Abbildung mit der Aufforderung, ski & Mevarech, 2003; Veenman, Van Hout-Wolters &
diese zu erklären. Beide Gruppen erhielten zudem den Afflerbach, 2006; Wang, Haertel & Walberg, 1993; Zohar
gleichen Sachtext zum Thema. Der Vergleich der beiden & David, 2008). So erweisen sich z. B. Maßnahmen, die die
Schülergruppen ergab, dass die „vergleichende“ Gruppe ein Lernenden zur Selbstverbalisierung, Selbsterklärung und
höheres Faktenwissen erwarb, ihre Misskonzepte häufiger Selbstbewertung des eigenen Lernprozesses anregen, als
aufgab und mehr korrekte Schlussfolgerungen entwickelte überaus erfolgreich (Dunlosky et al., 2013; Hattie, 2009,
als die Gruppe, die lediglich die eine korrekte Abbildung Chi et al., 1989).
erhielt. Diese beiden Ergebnisse lassen sich in Verbindung Dignath, Büttner und Langfeldt (2008) werteten in ih-
bringen mit den oben berichteten Ergebnissen zum ver- rer Metaanalyse insgesamt 48 Studien aus, die zwischen
schachtelten Üben und mit der Metaanalyse von Marzano 1992 und 2006 publiziert wurden und in denen Grund-
et al. (2000), wonach Lernhandlungen, die die Identifizie- schüler (bis Klassenstufe 6) im selbstregulierten Lernen
rung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden und da- systematisch trainiert wurden. Die Trainings intendierten
mit ein Vergleichen erfordern, besonders lernwirksam sind u. a. die Förderung kognitiver, motivationaler und/oder
(▶ Abschn. 4.2.5). metakognitiver Lernstrategien in den Domänen Lesen,
92 Kapitel 4 • Unterricht

Schreiben oder Mathematik. Die Trainings, die sich auf vom geteilten oder kollektiven Klima. In neueren Arbei-
1 das Fach Mathematik bezogen, erzielten eine mittlere Ef- ten wird das unterstützende Unterrichtsklima v. a. über die
fektstärke von d = 1.0, was einem starken Effekt entspricht kollektive Wahrnehmung einer Lerngruppe erfasst, dabei
2 (Lesen/Schreiben: d = 0.44). Für mathematische Leistungen jedoch über recht unterschiedliche Facetten operationali-
erwiesen sich insbesondere solche Trainings als wirksam, siert. Hierzu zählen u. a. der gegenseitige wertschätzende
bei denen metakognitive und kognitive (d = 1.03) oder me- Umgang von Lehrperson und Schülern, das Interesse der
3 takognitive und motivationale Strategien (d = 1.23) kombi- Lehrperson für die Belange der Schüler, der konstruktive
niert erarbeitet und vermittelt wurden. und geduldige Umgang der Lehrperson mit Fehlern, ihre
4 In einer der von Dignath et al. (2008) einbezogenen Empathie und Fürsorge sowie ein gutes Verhältnis der
Studien wurden Mathematiklehrpersonen der Klassen- Schüler untereinander. Teilweise werden mit einem unter-
5 stufen  3–8 darin trainiert, ihre Schüler in besonderer stützenden Unterrichtsklima auch ein schülerorientierter
Weise metakognitiv zu fördern (Cardelle-Elawar, 1995). Unterricht, Freiheitsspielräume und Merkmale wie „higher
So regten die Lehrpersonen die Schüler durch die Model- order thinking“ oder „encouraging learning“ (Cornelius-
6 lierung des erwünschten Verhaltens immer wieder dazu White, 2007) assoziiert, die allerdings eher die kognitive
an, sich selbst zu fragen, worin die Frage bzw. das Problem Aktivierung als das Klima des Unterrichts erfassen dürften.
7 bei der jeweiligen Aufgabe besteht, ob alle für die Prob- Die uneinheitliche Konzeptualisierung des Begriffs
lemlösung erforderlichen Informationen zur Verfügung Klima findet auch in inkonsistenten Forschungsergebnis-
stehen, welche Lösungsschritte und welche arithmeti- sen ihren Niederschlag. Ein erster Blick in die englisch-
8 schen Operationen ausgeführt werden sollen. Außerdem sprachige Literatur offenbart nur scheinbar ein relativ ein-
wurden die Lernenden am Schluss einer Unterrichtsein- heitliches Bild: Darin findet man häufig Hinweise darauf,
9 heit aufgefordert, zu reflektieren, was sie gelernt und was dass ein gutes Unterrichtsklima eine zentrale Vorausset-
sie über sich in der Auseinandersetzung mit der Bear- zung für effektives Lernen sei (z. B. Brophy, 2000; Corne-
10 beitung des mathematischen Problems erfahren haben. lius-White, 2007; Fraser, 1994). Berücksichtigt man aber
Der Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Schülern, die jene Studien, in denen mit dem Klima die Beziehungsqua-
traditionell unterrichtet wurden, ergab, dass die metakog- lität zwischen Lehrenden und Lernenden erfasst wurde
11 nitiv geförderten Lernenden langfristig betrachtet höhere und die den Einfluss der kollektiven Wahrnehmung auf
Leistungszuwächse erzielten, dem Fach Mathematik eine den Lernzuwachs mehrebenenanalytisch untersuchten, so
12 höhere Bedeutung beimaßen und ein höheres mathema- lassen sich Befunde für direkte Effekte der affektiven Qua-
tikbezogenes Interesse entwickelten als die Lernenden der lität der Lehrer-Schüler-Beziehung auf den Lernerfolg der
Kontrollgruppe. Lernenden kaum absichern (Campbell et al., 2004; Gruehn,
13 Veenman et al. (2006) verweisen nach Durchsicht des 2000; Helmke, 2011; Kunter & Voss, 2011).
Forschungsstands auf drei Bedingungen, die metakognitive Auch aus theoretischer Sicht lassen sich eher indirekte
14 Förderung im Unterricht erfolgreich machen. Zum einen Effekte des Unterrichtsklimas auf den Lernerfolg anneh-
sollte die metakognitive Förderung in den Fachunterricht men: In Klassen mit einem positiv ausgeprägten Klima,
15 integriert, also nicht separat betrieben werden, zweitens das von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt geprägt
sollten die Lernenden über den Nutzen metakognitiver ist, fühlen sich die Lernenden wohler. Sie gehen gerne in
Aktivitäten informiert werden und drittens sollte ein aus- die Schule, haben positivere Beziehungen zu Mitlernenden
16 führliches und längeres Training stattfinden. und zu ihrer Lehrperson, erleben sich stärker sozial einge-
bunden und dazugehörig, strengen sich mehr an und ent-
17 wickeln eine höhere Motivation für das Lernen. Das aktive
4.2.8 Unterstützendes Unterrichtsklima Engagement und die höhere Motivation wirken sich dann
wiederum positiv auf den Lernerfolg aus.
18 In der Schul- und Unterrichtsforschung zählt der Klima­ Für diesen indirekten Effekt des Unterrichtsklimas
begriff zu den undeutlichsten Konstrukten überhaupt auf den Lernerfolg – über das Erleben sozialer Eingebun-
19 (Gruehn, 2000). So kann Klima zum einen die emotionale denheit, das aktivere Engagement und eine höhere Lern-
Grundtönung der Lehrer-Schüler-Beziehung, zum ande- motivation – sprechen vergleichsweise viele empirische
20 ren die Grundorientierungen und Werthaltungen der am Befunde (z. B. Furrer & Skinner, 2003; Osterman, 2000).
Schulleben beteiligten Personen oder die von den Lernen- Darüber hinaus belegen Studien, dass ein wertschätzen-
den wahrgenommene Lernumwelt meinen (Eder, 2001). der Umgang miteinander, eine warme und fürsorgliche
21 Als wahrgenommene Lernumwelt kann Klima wiederum Atmosphäre sowie ein motivational und emotional un-
die Wahrnehmungen der einzelnen Schüler oder die Wahr- terstützendes Lehrerverhalten das Engagement und die
22 nehmungen einer ganzen Klasse repräsentieren. Im ersten Anstrengungsbereitschaft, das Verhalten im Unterricht,
Fall spricht man vom individuellen Klima, im zweiten Fall die Motivation, das Selbstkonzept, die Selbstwirksamkeit,
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
93 4

die Lernfreude, das Selbstbestimmungserleben und die Der Joplin-Plan sah die Bildung von leistungshomogenen
Zielorientierungen der Lernenden fördern können (Ames Gruppen in einem Fach (z. B. im Lesen) bei gleichzeitiger
& Archer, 1988; Den Brok, Brekelmans & Wubbels, 2004; Beibehaltung der leistungsheterogenen Klassenverbände
Furrer & Skinner, 2003; Reeve, 2002; Gabriel, 2013; Goo- vor. Hierzu wurden mehrere Klassenverbände (z. B. alle
denow, 1993; Kunter & Voss, 2011; Opdenakker, Maulana Klassen der Jahrgänge 3–5) für den Leseunterricht aufge-
& Den Bronk, 2012; Ryan, Stiller, & Lynch, 1994; Turner löst. Aus allen Schülern der betreffenden Jahrgänge wur-
et al., 1998; Wentzel, 1997; Wubbels & Brekelmans, 2005). den dann nur für den Leseunterricht leistungshomogene
Die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung hat dem- Schülergruppen gebildet, die unterschiedliche Materialien
zufolge das Potenzial, die affektiv-motivationale Entwick- und Lesetexte erhielten. Der Übergang in das nächste Le-
lung der Lernenden zu fördern und darüber auch den seniveau erfolgte – ähnlich wie beim „mastery learning“
Lernerfolg zu beeinflussen. Zu beachten ist jedoch, dass –, sobald man das Ziel des Niveaus erreicht hatte. Der üb-
die Schaffung eines guten Unterrichtsklimas nicht nur von rige Unterricht war von dieser Form der Differenzierung
der Lehrperson, sondern auch von der Klassenzusammen- nicht betroffen. Die zu dieser Form der Differenzierung
setzung abhängig ist. vorliegenden Ergebnisse älterer Studien zeigen insgesamt
positive Effekte (Gutiérrez & Slavin, 1992; Mosteller, Light
& Sachs, 1996; Slavin, 1987).
4.2.9 Innere Differenzierung, Auch weniger weitreichende Formen der Binnendif-
Individualisierung und Scaffolding ferenzierung waren Gegenstand bisheriger Forschung. Sie
als Formen adaptiven Unterrichts belegen in der Summe Vorteile des binnendifferenzieren-
den Unterrichts, bei dem innerhalb des Klassenverbands
Maßnahmen zur inneren Differenzierung des Unterrichts zeitweise leistungshomogene Gruppen gebildet werden
und zur Individualisierung des Lernens werden als zentrale (Slavin, 1987; Kulik & Kulik, 1992; Puzio & Colby, 2010).
Strategien für eine adaptive Unterrichtsgestaltung angese- Die entsprechenden Effekte fallen insgesamt jedoch schwä-
hen, die im Zuge aktueller Forderungen nach einer ver- cher aus als bei aufwändig konzipierten Maßnahmen wie
stärkten individuellen Förderung und einem konstruktiven dem Joplin-Plan. Annehmen lässt sich, dass Maßnahmen
Umgang mit Heterogenität an Relevanz gewinnen. Wäh- der Differenzierung und Individualisierung vor allem
rend die Lehrperson in Phasen innerer Differenzierung dann wirksam sind, wenn sie mit einer regelmäßigen und
Gruppen von Schülern unterschiedliche Aufgaben, unter- lernbegleitenden Diagnostik, bei der die Lernstände und
schiedliche Aufgabenmengen und/oder unterschiedliche die Lernlücken fortlaufend erfasst werden, mit spezifi-
Lernzeitkontingente zuweist und/oder ihnen unterschied- scher Unterstützung und adaptivem Feedback sowie mit
liche Unterstützungsangebote gewährt, verfolgen Maßnah- Maßnahmen der gezielten Förderung von Lernstrategien
men der Individualisierung den Anspruch, die Lernange- und selbstgesteuertem Lernen gekoppelt werden (vgl. Reis
bote und -bedingungen an die Voraussetzungen einzelner et al., 2011; auch Klieme & Warwas, 2011).
Schüler anzupassen. Als Kriterien zur Bildung von Schüler- Eine aktuell erprobte und untersuchte Form der Dif-
gruppen werden häufig die Leistungen, die Interessen oder ferenzierung, bei der Schüler selbst entscheiden können,
soziale Präferenzen der Schüler herangezogen. Maßnah- ob sie instruktionale Hilfen in Anspruch nehmen, ist das
men der Differenzierung und Individualisierung verfol- Konzept der gestuften Lernhilfen. Dabei handelt es sich
gen gleichermaßen das Ziel, Schüler mit unterschiedlichen um von der Lehrperson strukturierte, aufeinander auf-
Lernvoraussetzungen in ihrem Lernprozess wirkungsvoll bauende Lösungshinweise in Form von Hilfekärtchen zu
zu fördern und zu unterstützen und dazu beizutragen, dass Lernaufgaben mit eindeutigen Lösungen, auf die die Ler-
alle Schüler bestimmte Mindestziele erreichen. nenden nach Wunsch zurückgreifen können. Die bislang
hierzu vorliegenden Studien offenbaren gegenüber der
Kognitive Zielvariablen Konfrontation mit herkömmlichen Lösungsbeispielen und
Weitreichende Formen der Individualisierung, wie z. B. of- gegenüber lehrergelenktem Unterricht Vorteile im moti-
fene Unterrichtsformen, sind im Hinblick auf die Lernleis- vationalen und kognitiven Bereich (Schmidt-Weigand,
tungen von Schülern offenbar nicht per se wirksamer als Franke-Braun & Hänze, 2008; Schmidt-Weigand, Hänze
lehrergelenkte Formen des Unterrichtens (▶ Abschn. 4.1.3). & Wodzinski, 2009, 2012), allerdings ist noch offen, ob die-
Ältere amerikanische Studien, die die Effekte längerfris- ses Prinzip der Kombination strukturierter Lehrerhinweise
tig angelegter Differenzierungs- und Individualisierungs- mit Selbstdifferenzierungselementen auch für komplexere
programme (z. B. den Joplin-Plan, Slavin, 1987 oder das Aufgaben und für nicht naturwissenschaftliche Fächer
„mastery learning“ ▶ Abschn. 4.1.3) untersuchten, kamen ähnlich wirksam ist.
überwiegend zu positiven Befunden einer an die Lern- Im Zusammenhang mit einer adaptiven Lehrerun-
voraussetzungen der Schüler angepassten Instruktion. terstützung einzelner Schüler wird in der aktuellen Dis-
94 Kapitel 4 • Unterricht

kussion immer häufiger auch auf die Notwendigkeit eines teraktionen, Lehrer-Schüler-Gespräche, die Konfrontation
1 angemessenen Scaffoldings (▶ Abschn. 4.1.3) verwiesen. mit gegenteiligen Meinungen oder Argumenten sowie die
Bei der Durchsicht der Literatur fällt zunächst auf, dass Fokussierung der Schüleraufmerksamkeit auf relevante As-
2 Scaffolding teilweise sehr unterschiedlich konzeptualisiert pekte des Unterrichtsgegenstands. Im weitesten Sinne sind
wird. Versucht man einen gemeinsamen Kern dieser Kon- damit Strukturierungshilfen beschrieben, die die Funktion
zeptualisierungen auszumachen, so lassen sich die folgen- eines kognitiven „Lerngerüsts“ erfüllen und relevante As-
3 den Kernmerkmale identifizieren: pekte der Aufgabe oder des Problems hervorheben (Ein-
a) eine fortlaufende prozessbegleitende Diagnostik der siedler & Hardy, 2010; Klieme & Warwas, 2011; Kleick-
4 Lern- und Verstehensprozesse des einzelnen Schülers mann, Vehmeyer & Möller, 2010; Krammer, 2009; Wood,
oder der Schülergruppe (ongoing diagnosis), Bruner & Ross, 1976).
5 b) eine am Lernstand und an den Lernvoraussetzungen Obgleich die vorliegende Literatur zum Scaffolding
des einzelnen Schülers oder der Schülergruppe ausge- umfangreich ist, liegen – auch aufgrund der Komplexität
richtete und kalibrierte Unterstützung der Lehrperson dieses Merkmals – nur wenige kontrollierte Studien vor,
6 (adaptivity and calibrated support) und die die Wirkungen von Scaffolding oder einzelner Facet-
c) die schrittweise Ausblendung der Lehrerunterstützung ten überprüfen. In einem aktuellen Forschungsüberblick
7 in enger Verbindung mit einer zunehmenden Kont- gelangen van de Pol, Volman und Beishuizen (2010) nach
rolle des eigenen Lernprozesses durch den Lernenden der Durchsicht der wenigen vorliegenden Studien zu einer
(fading) (van de Pol, Volman & Beishuizen, 2010; Pun- optimistischen Einschätzung hinsichtlich der Wirkungen
8 tambekar & Hübscher, 2005). auf kognitive und metakognitive Leistungen von Schülern,
kritisieren aber gleichzeitig die uneinheitliche Messung des
9 Theoretisch wird vor allem auf soziokonstruktivistische Konstrukts und mahnen zudem einen stärkeren Theorie-
Theorien des Wissenserwerbs und auf das Konzept der bezug der Studien an.
10 Zone der nächsten Entwicklung nach Vygotsky (▶ Ab- Maßnahmen der Differenzierung und Individualisie-
schn. 4.2.4, ▶ Abschn. 4.2.6) Bezug genommen, indem die rung wird auch eine hohe Bedeutung für die Verringerung
Bedeutung der sozialen Umwelt und einer entsprechen- von Leistungsunterschieden in Klassen zugeschrieben.
11 den Unterstützung für die kognitive Entwicklung des Ler- Diese Annahmen finden in der Forschung bislang jedoch
nenden herausgestellt wird. Die erwähnten Kernelemente keine Bestätigung. Zwar gelingt es in einigen Studien, Klas-
12 verdeutlichen, dass Scaffolding kein eng umgrenztes Leh- sen zu identifizieren, in denen eine überdurchschnittliche
rerverhalten oder Unterrichtsmerkmal darstellt, sondern Leistungsförderung mit gleichzeitiger Verringerung der
eine breite Palette von Verhaltensweisen umfasst, die u. a. Leistungsunterschiede einhergeht. Diese Befunde sind
13 Anteile von formativem Assessment1, Feedback und kog- insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte
nitiver Strukturierung beinhalten und diagnostische und über inklusionsförderlichen Unterricht relevant. Zur Frage,
14 fachdidaktische Kompetenzen der Lehrperson vorausset- durch welche (potenziell gemeinsamen) Merkmale sich
zen dürften (vgl. Kapitel Kunter & Pohlmann). Unterricht in leistungsförderlichen und -ausgleichenden
15 Bei der Operationalisierung von Scaffolding werden Klassen auszeichnet und welche Rolle hierbei Differenzie-
primär Lehreraktivitäten in den Blick genommen. Hierzu rungsmaßnahmen spielen, liegen allerdings keine aktuellen
zählen z. B. das gezielte Nachfragen, das Stellen diagnos- Studien vor (vgl. Baumert, Roeder, Sang & Schmitz, 1986;
16 tischer Fragen und Aufgaben, welche Auskunft über das Einsiedler & Treinies 1997; Weinert & Helmke, 1996).
Verständnis oder ggf. vorhandene Misskonzepte geben Mehrheitlich zeigen sich zudem eher Schereneffekte,
17 können, gezielte Beobachtungen von Schüler-Schüler-In- d. h., die Leistungskurven von schwächeren und stärkeren
Schülern gehen, zumindest unter den herrschenden schu-
lischen und unterrichtlichen Bedingungen, im Zeitverlauf
18 1 Unter formativem Assessment werden in der Regel Strategien der
Lehrperson (standardisierte Tests, informelle Tests, Gespräche, Be- eher auseinander als zusammen.
obachtungen) zur fortgesetzten, lernprozessbezogenen Diagnostik
19 verstanden, die dazu dienen, Lernstände und Verstehensprozesse
der Lernenden offen zu legen und hieraus Impulse (z. B. in Form
Motivational-affektive Zielvariablen
entsprechender Feedbackmaßnahmen der Lehrperson) zur Förde-
Die Forschung zu Effekten von innerer Differenzierung,
20 rung der weiteren Entwicklung der Lernenden abzuleiten (Maier, Individualisierung und Scaffolding auf affektiv-motiva-
2010). Der Forschungsstand zum formativem Assessment ist insge- tionale Variablen ist insgesamt dünn und uneinheitlich.
samt noch dünn und fällt uneinheitlich aus (Bennett, 2011; Dunn & Betrachtet man die Leistungsmotivation als abhängige
21 Mulvenon, 2009; Maier, 2010; Rakoczy, 2011). Nach einer aktuellen
Variable, so zeigen ältere Studien zum offenen Unterricht
Metaanalyse hat formatives Assessment – im Unterschied zu frühe-
ren optimistischeren Einschätzungen (Black & Wiliam, 1998) – nur
eher negative Effekte. Demnach wird die Leistungsmoti-
22 schwache positive Effekte auf das Lernen von Schülern (Kingston vation eher durch einen traditionellen, lehrergesteuerten
& Nash, 2011). Unterricht als durch einen offenen Unterricht gefördert
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
95 4

(Giaconia & Hedges, 1982). Ein etwas anderes Bild ergibt tionsförderlichen Unterrichts aus. Die hier dargestellten
sich für die Förderung des fachbezogenen Interesses und Befunde verdeutlichen jedoch, dass Merkmale, die das
für Facetten intrinsischer Motivation: Insbesondere für das Lernen befördern, auch die affektiv-motivationale Ent-
Selbstbestimmungserleben und die Förderung von Inte- wicklung von Schülern positiv beeinflussen können. Dies
resse scheinen Unterrichtsformen mit Freiheitsspielräu- wird auch durch Ergebnisse sog. ▶  Optimalklassenstu-
men positive Effekte zu haben (Grolnick & Ryan, 1987; dien gestützt. Sie untersuchen, durch welche Merkmale
Hartinger, 2005). Fokussiert man das akademische Selbst- sich jene Klassen auszeichnen, die vergleichsweise hohe
konzept als abhängige Variable, zeigen ältere Studien zum Zuwächse im kognitiven und affektiv-motivationalen Be-
offenen Unterricht in der Summe nur sehr schwache posi- reich erzielen. Diese „Positivklassen“ zeichnen sich durch
tive Effekte (Giaconia & Hedges, 1982). Auch binnendiffe- eine effektive Klassenführung, eine intensive Lernzeitnut-
renzierende Maßnahmen (Bildung von Gruppen vs. Klas- zung, ein eher mäßiges Interaktionstempo, durch hohe
senunterricht) haben vergleichbar schwache Effekte auf das inhaltliche Klarheit und individuelle Unterstützung der
akademische Selbstkonzept (Lou et al., 1996). Krätzschmar Lernenden aus (Gruehn, 1995; Helmke & Schrader, 1990;
(2010) konnte keine signifikanten Unterschiede in der Ent- Weinert & Helmke, 1996). Auch umfassende domänen-
wicklung der akademischen Selbstkonzepte in Englisch, spezifische Förderprogramme, die häufig mit Ergänzungen
Mathematik und im Lesen zwischen Sekundarstufenschü- und Veränderungen im Curriculum einhergehen, zeigen
lern ausmachen, die a) in einem eher lehrerzentrierten Un- positive Effekte auf kognitive und motivationale Variablen
terricht, b) in einem individualisierteren Unterricht mit von Lernenden (zsf. Hattie, 2009). Darüber hinaus zeigte
oder c) ohne Altersmischung lernten. sich jedoch, dass die Merkmalsprofile der Optimalklassen
Häufig wird berichtet, dass die Koppelung zwischen vergleichsweise breit streuen, d. h. den „Königsweg“ bzw.
fachlicher Leistung und akademischem Selbstkonzept das Muster erfolgreichen Unterrichts gibt es nicht. Er-
schwächer ausfällt, wenn sich der Unterricht durch Frei- folgreicher Unterricht lässt sich offenbar unterschiedlich,
heitsgrade auszeichnet (Rosenholtz & Rosenholtz, 1981; wenngleich nicht beliebig realisieren.
Rosenholtz & Simpson 1984a, b; Kammermeyer & Mart- Die dargestellten Merkmale lernwirksamen und mo-
schinke, 2003; Renkl, Helmke & Schrader, 1997): In Klas- tivationsförderlichen Unterrichts lassen sich zu mehreren
sen mit höheren Freiheitsgraden scheint das akademische übergeordneten Dimensionen von Unterrichtsqualität
Selbstkonzept damit weniger eng an die tatsächlichen verdichten:
Leistungen gebunden zu sein als in Klassen mit geringeren 1. Zeit zum Lernen durch eine effektive Klassenführung
Freiheitsgraden. und eine deutliche Strukturiertheit des Unterrichts:
Insgesamt scheinen die Effekte von Maßnahmen der Eine effektive Unterrichts- und Klassenführung und
Binnendifferenzierung und Individualisierung auf affektiv- ein gut strukturierter Unterricht tragen dazu bei, dass
motivationale Variablen von Lernenden im Grundschul- ein hohes Ausmaß an Lerngelegenheiten zur Verfü-
alter etwas stärker ausgeprägt zu sein als auf ältere Ler- gung steht und für die Auseinandersetzung mit dem
nende. Erklärbar ist dies u. a. mit der mit zunehmendem Lerngegenstand genutzt werden kann. Eine effektive
Alter höheren entwicklungsbedingten Stabilität affektiv- Klassenführung und eine deutliche Strukturiertheit des
motivationaler Persönlichkeitsmerkmale, die dem Einfluss Unterrichts sind somit wichtige Voraussetzungen für
der Unterrichtsgestaltung in der Sekundarstufe engere eine intensive Be- und Verarbeitung der Unterrichts-
Grenzen setzt als in der Grundschule. In der deutschen inhalte und für das Erleben eigener Wirksamkeit und
SCHOLASTIK-Studie ergab sich z. B., dass Freiheitsgrade Kompetenz auf Seiten der Lernenden.
im Unterricht die Lernfreude von Grundschülern positiv 2. Kognitiv anspruchsvolle und vertiefte Auseinan-
beeinflussen können (vgl. Helmke, 1997). dersetzung mit zentralen Informationen, Ideen und
Auch die Forschungslage zum Einfluss von Scaffolding Konzepten:
auf affektiv-motivationale Aspekte des Lernprozesses ist a) Merkmale wie die kognitive Aktivierung und die
dünn. Die wenigen Studien lassen die Annahme zu, dass metakognitive Förderung der Lernenden, die
Scaffolding positive Einflüsse auf Emotion und Motivation Bereitstellung informativen Feedbacks sowie die
von Schülern haben kann (zsf. van de Pol et al., 2010). kognitionspsychologisch verstandene Struktu-
riertheit des Unterrichts beschreiben einen Un-
terricht, in dem die Lernenden zu einer vertieften
4.2.10 Zusammenfassung und Einbettung Verarbeitung der Unterrichtsinhalte, zu einer Ver-
der Befunde knüpfung neuer Informationen mit bereits beste-
hendem Wissen und damit zu einer Erweiterung
Lange Zeit ging man in der Unterrichtsforschung von ei- bestehender kognitiver Strukturen angeregt wer-
ner prinzipiellen Unvereinbarkeit leistungs- und motiva- den.
96 Kapitel 4 • Unterricht

b) Fachlich anspruchsvolles Lernen setzt aber auch Während die kognitiv aktivierende Behandlung fachlich
1 voraus, dass die Lehrperson fachlich zentrale Kon- zentraler Inhalte eine vertiefte kognitive Auseinanderset-
zepte, Ideen und Prinzipien zum Gegenstand des zung relevanter Konzepte und Inhalte nach sich zieht und
2 Unterrichts macht und diese inhaltlich relevanten sich darüber auf den Aufbau von Wissen und die Entwick-
Lerngelegenheiten in kohärenter Weise arrangiert. lung von Verständnis auswirken sollte, stellt die effektive
Dieses Merkmal des Unterrichts dürfte wesentlich Klassenführung eine grundlegende Voraussetzung dafür
3 von Planungsentscheidungen der Lehrperson be- dar, dass die Lernenden die zur Verfügung stehende Lern-
einflusst sein. Im Unterricht spiegelt es sich in der zeit aktiv (on-task) nutzen, was sich wiederum positiv auf
4 inhaltlichen Klarheit und fachlichen Kohärenz des den Lernerfolg, über das Erleben eigener Kompetenz aber
Unterrichts, in der Behandlung fachlich relevanter auch positiv auf die Motivation der Lernenden auswirken
5 und zentraler Konzepte und Prinzipien sowie in sollte. Ein positiv gefärbtes Unterrichtsklima trägt dazu bei,
der Beachtung zentraler Bedingungen sinnvollen dass sich die Lernenden für ihr Lernen engagieren und an-
Übens wider. Diese Merkmale tragen dazu bei, dass strengen, was sich über motivationale Aspekte des Lernens
6 der Lernende seine Aufmerksamkeit auf wichtige auch auf den Lernerfolg auswirken kann.
und relevante Aspekte des Inhalts richtet, kenn-
7 zeichnende Eigenschaften des Gegenstands oder
Prinzips erkennt, das zu lernende Konzept oder 4.2.11 Grenzen
Prinzip diskriminiert und das zu erwerbende Wis-
8 sen mit seinem Vorwissen vernetzt. Ob die Aus- Bei dem hier vorgenommenen variablenzentrierten Re-
wahl und Behandlung fachlich relevanter Konzepte view des Forschungsstands ist Folgendes zu beachten:
9 und Ideen, deren inhaltlich und strukturell klare 1. Zwischen den dargestellten Merkmalen guten Unter-
Erarbeitung und deren kognitiv anregende Verar- richts ergeben sich teilweise inhaltliche Überschnei-
10 beitung empirisch betrachtet eine Basisdimension dungen. Zum Teil ist auch von ähnlichen Wirkmecha-
von Unterrichtsqualität abbilden oder möglicher- nismen auszugehen. Dies lässt sich z. B. exemplarisch
weise doch mehrere Dimensionen repräsentieren, am „kooperativen Lernen“ und an der „kognitiven
11 ist bislang offen. Aktivierung“ zeigen, die sich beide auf die Theorien
3. Unterstützendes Unterrichtsklima: Eine vertiefte Piagets und Vygotskys stützen. Diese Überschnei-
12 inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Unterrichts- dungen bedeuten auch, dass sich die Effekte mehrerer
gegenstand erfordert ein hohes Engagement der Ler- Merkmale nicht einfach addieren lassen.
nenden. Eine positiv ausgeprägte Lehrer-Schüler-Be- 2. Guter Unterricht lässt sich somit nicht zwangsläufig
13 ziehung und ein unterstützendes Unterrichtsklima sind an der Anzahl der überdurchschnittlich ausgeprägten
wichtige Voraussetzungen für dieses Engagement der Merkmale festmachen. Die Optimalklassenstudien
14 Lernenden, für das Erleben sozialer Eingebundenheit identifizierten in der Regel mehrere Konfigurationen
und die Förderung der Motivation und beeinflussen von Merkmalsausprägungen erfolgreicher Klassen.
15 hierüber auch die kognitive Verarbeitung des Unter- Unterricht kann demnach auf verschiedene  Weisen
richtsinhalts. erfolgreich durchgeführt und gestaltet werden.
3. Die dargestellten Merkmale unterscheiden sich hin-
16 Anknüpfend an konstruktivistische und motivationspsy- sichtlich ihrer Komplexität und hinsichtlich ihres
chologische Perspektiven auf unterrichtliches Lernen und Inferenzgrades. Dies lässt sich exemplarisch an den
17 die dargestellten Befunde der Unterrichtsforschung lassen Merkmalen Feedback und kognitive Aktivierung zei-
sich die vermuteten Wirkungen dieser Basisdimensionen gen. Beim Feedback handelt es um ein vergleichsweise
guten Unterrichts vereinfacht und verkürzt im folgenden eng umgrenztes und gut beobachtbares Merkmal von
18 theoretischen Modell (. Abb. 4.4) zusammenfassen (vgl. Unterricht, während die kognitive Aktivierung aus
auch Klieme, Lipowsky, Rakoczy & Ratzka, 2006; Klieme, unterschiedlichen Facetten besteht, demzufolge eine
19 Pauli & Reusser, 2009). Dabei wird zwischen den verdich- höhere Komplexität aufweist, in der Regel über eine
teten Basisdimensionen auf der Angebotsseite, den ange- Reihe von Indikatoren erfasst wird und schwieriger zu
20 nommenen Wirkmechanismen dieser Basisdimensionen messen ist als z. B. Feedback oder die beiden anderen
auf der Nutzungsebene und der Wirkungsebene unter- Basisdimensionen von Unterrichtsqualität (vgl. Prae-
schieden. Lernwirksamer und motivationsförderlicher torius et al., accepted).
21 Unterricht zeichnet sich demnach durch die kognitiv akti- 4. Die für diesen Beitrag herangezogenen Studien be-
vierende Behandlung fachlich zentraler Inhalte, durch eine ziehen sich auf unterschiedliche curriculare Kontexte,
22 effektive Klassenführung mit wenigen Unterrichtsstörun- betrachten unterschiedliche abhängige Variablen und
gen und durch ein positiv geprägtes Unterrichtsklima aus. Lerner unterschiedlichen Alters. Bei entsprechender
4.2  •  Merkmale und Merkmalskonfigurationen erfolgreichen Unterrichts
97 4

.. Abb. 4.4  Basisdimensionen guten Unterrichts und deren angenommene Wirkungen (Modifiziert nach Klieme et al., 2006; Klieme
et al., 2009; mit freundlicher Genehmigung des Waxmann Verlags)

Differenzierung dürften sich Abweichungen von dieser


verteilte Übungsphasen und Wiederholungen sowie
zusammenfassenden Darstellung ergeben.
durch ein von gegenseitiger Wertschätzung gepräg-
5. Aktuelle Forschungsergebnisse verweisen darauf, dass
tes Unterrichtsklima aus. Diese Merkmale sind nicht
durch den Einbezug domänenspezifischer und curricu-
notwendigerweise an bestimmte Unterrichtsformen
larer Merkmale noch bedeutsamere Effekte des Unter-
oder -methoden gebunden, sondern lassen sich grund-
richts zu erwarten sind (Drollinger-Vetter, 2011; Hattie,
sätzlich in Formen direkter und indirekter Instruktion
2009; Seidel & Shavelson, 2007). So zeigen beispiels-
verwirklichen.
weise domänenspezifische Schülertrainings (z. B. im
Die angeführten theoretischen Erklärungen für die
Lesen oder in der Mathematik) in der Regel erhebliche
berichteten Effekte der dargestellten Unterrichtsmerk-
Effekte auf den Lernerfolg der Schüler (Hattie, 2009).
male können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine
Diese waren jedoch nicht Gegenstand dieses Kapitels.
konsistente Theorie des Unterrichts, die die Spezifität
der einzelnen Unterrichtsfächer ausreichend berück-
Fazit sichtigt und empirische Befunde unterschiedlicher
Im Mittelpunkt dieses Kapitels stand die Frage, welche Disziplinen einbezieht, noch aussteht.
Merkmale einen lernwirksamen und motivationsför-
derlichen Unterricht charakterisieren und wie sich
entsprechende Effekte theoretisch erklären lassen.
Verständnisfragen
Den Ergebnissen der herangezogenen Studien zufolge
1. Was versteht man unter dem Angebots-Nutzungs-Modell?
zeichnet sich ein lernwirksamer und motivationsför-
2. Wie lassen sich positive Effekte kooperativen Lernens von
derlicher Unterricht durch ein ausreichendes Maß
Lernenden theoretisch erklären?
an Lerngelegenheiten und eine intensiv genutzte
3. Erläutern Sie, inwieweit erfolgversprechendes Lehrer-
Lernzeit mit wenig Unterrichtsstörungen und -unter-
feedback vom fachlichen und fachdidaktischen Wissen
brechungen, durch eine deutliche Strukturierung des
der Lehrperson abhängig sein dürfte.
Unterrichtsverlaufs, durch die Behandlung inhaltlich
4. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen kognitiver Akti-
relevanter Konzepte, Aufgaben und Kernideen, eine
vierung und inhaltlicher Klarheit.
hohe inhaltliche Klarheit bei der Darstellung und Bear-
5. Was versteht man unter den drei Basisdimensionen von
beitung des Unterrichtsgegenstands, durch fachliche
Unterrichtsqualität?
Kohärenz, durch die kognitive Aktivierung und durch
6. Vergleichen Sie den STAD- und JIGSAW-Ansatz zum ko-
den intensiven fachlichen Austausch der Lernenden,
operativen Lernen.
durch inhaltsbezogene Rückmeldungen seitens der
7. Erläutern Sie, warum konstruktivistische Theorien des
Lehrperson, durch variantenreiche, herausfordernde
Wissenserwerbs nur bedingt geeignet sind, bestimmte
und zum Nachdenken anregende, vermischte und
Unterrichtsformen zu legitimieren.
8. Was versteht man unter direkter und indirekter Instruktion?
98 Kapitel 4 • Unterricht

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107 5

Klassenführung
Tina Seidel

5.1 Klassenführung als zentrales Thema der


Unterrichtsforschung – 108
5.2 Begriffsklärung – 109
5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung  –  109
5.3.1 Disziplinierungsmaßnahmen – 110
5.3.2 Allgegenwärtigkeit und Überlappung  –  111
5.3.3 Reibungslosigkeit und Schwung  –  112
5.3.4 Gruppenmobilisierung – 113
5.3.5 Abwechslung und Herausforderung   –  113

5.4 Klassenführung als Umgang mit Störungen  –  114


5.5 Klassenführung als Management von Lernzeit  –  115
5.6 Klassenführung als Begleitung
von Lernprozessen bei Schülern  –  116
5.7 Klassenführung als trainierbare Fähigkeit
von Lehrenden – 118
Literatur – 119

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
108 Kapitel 5 • Klassenführung

Lehrer klagen häufig darüber, dass es im Unterricht an Dis-


1 ziplin mangelt und die Schüler nicht zu bändigen sind. Die
Lernenden klagen ebenfalls: darüber, dass die Lehrer schlecht
2 vorbereitet sind, der Unterricht chaotisch organisiert ist und
man sich durch den Lärm der anderen gestört fühlt. Neben
den Klagen gibt es aber auch positive Beispiele: Klassenzim-
3 mer, aus denen ein dezenter Lärmpegel dringt, der auf eine
konzentrierte Arbeitsatmosphäre hinweist; Klassenzimmer, in
4 denen Lehrende durch die einzelnen Arbeitsgruppen gehen,
Hilfestellungen geben, Schüler sich gegenseitig unterstützen
5 und in denen offensichtlich alle wissen, wohin die (Lern-)Reise
geht. Das folgende Kapitel behandelt Grundlagen der ▶ Klas-
senführung. Dabei wird die Klassenführung als Komponente
6 der Unterrichtsqualität eingebettet und das „Syndrom“ der .. Abb. 5.1 
Klassenführung in seinen einzelnen Komponenten vorge-
7 stellt. Die Grundlagen der Klassenführung werden anhand dass extrinsische Motivationslagen internalisiert und
von Beispielen aus den Forschungsarbeiten von Jacob S. in eigene Ziele integriert werden (▶ Kap. 7). Gleich-
zeitig können Lehrende das Lernen ihrer Schüler
8 Kounin erläutert. Abschließend werden drei Komponenten
der Klassenführung herausgestellt: Umgang mit Störungen, nicht einfach „anschalten“. Ihre Aufgabe ist es, eine
Management von Lernzeit und Begleitung von Lernprozessen strukturierte Lernumgebung vorzubereiten und die
9 Wahrscheinlichkeit für Lernen zu erhöhen (Prenzel,

-
(. Abb. 5.1).
1995).
10 5.1 Klassenführung als zentrales Thema
Unterricht zeichnet sich durch soziale Gruppenpro-
zesse aus. Mit dieser sozialen Situation umzugehen
der Unterrichtsforschung und heterogene Gruppen unterschiedlichen Alters zu
11 leiten und zu begleiten, stellt für viele eine Heraus-
Lehrer, vor allem aber auch Lehramtstudierende und Be- forderung dar (Kounin, 2006). Dementsprechend
12 rufsanfänger wünschen sich oft mehr Informationen über schließt sich die Diskussion an, ob man für den Um-
einen angemessenen Umgang mit Störungen im Unterricht gang mit dieser sozialen Situation „geschaffen“ bzw.
und zur Führung einer Klasse. Die nachfolgenden Überle- geeignet ist oder ob man sich diese Kompetenzen im

-
13 gungen lassen das besondere Interesse an diesen Themen Verlauf der Ausbildung aneignen kann.
verständlich werden und erklären, warum Klassenführung Unterricht ist eingebettet in den institutionellen
14 seit jeher ein zentrales Forschungsthema der Pädagogi- Kontext von Schule und die an der Schule und im

15 -
schen Psychologie ist:
Beim Unterricht handelt es sich in erster Linie um
ein komplexes Phänomen (Doyle, 1986). Unterricht
zeichnet sich durch eine große Anzahl an Ereignissen
Bildungssystem vorherrschenden Ziele und Erwar-
tungen. Für den Unterricht bedeutet dies, dass Lehrer
nicht losgelöst von diesem Kontext agieren können
und von ihnen erwartet wird, dass sie Ziele in einer
16 aus, die miteinander vernetzt sind und sich wechsel- bestimmten Zeit erreichen.
seitig beeinflussen. Ereignisse im Unterricht pas-
17 sieren unmittelbar und schnell, sie sind nur schwer Anfänger im Lehrberuf haben oft die Vorstellung, dass eine
vorhersehbar und haben häufig einen unerwarteten gelungene Klassenführung eine Art Voraussetzung für das
Verlauf. Außerdem kennzeichnet sich Unterricht „eigentliche“ Geschäft des Unterrichtens darstellt (Brophy
18 durch die gemeinsame Geschichte der Klasse und der & Good, 1986). Aus wissenschaftlicher Sicht ist Klassen-
Lehrperson. Einzelne Ereignisse können also nicht führung dagegen als ein Syndrom zu verstehen, das eine
19 als voneinander unabhängig und losgelöst betrachtet Reihe verschiedener Unterrichtsmerkmale einschließt und

20 - werden.
Unterricht besteht aus Aushandlungsprozessen, bei
denen unterschiedliche Ziele, Einstellungen, Interes-
sen und Kognitionen der Lernenden und Lehrenden
integraler Teil des Prozesses des Unterrichtens ist. In den
nachfolgenden Ausführungen wird deshalb der Begriff der
Klassenführung als ein besonderer Aspekt des Unterrichts
herausgestellt. Im Zusammenhang mit den Ausführungen
21 aufeinandertreffen (Shuell, 1996). Die Rolle der Leh- im Kapitel „Unterricht“ ordnet sich die Klassenführung zu
renden besteht darin, extrinsische Zielstellungen (aus großen Anteilen in die Dimension der Strukturiertheit von
22 Sicht des Lehrplans, der Lehrenden) an die Schüler Unterricht ein, etwa in Bezug auf die Festlegung von Re-
heranzutragen und den Unterricht so zu gestalten, geln, Erwartungen und Normen (▶ Abschn. 4.2).
5.3  •  Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung
109 5

Einschränkend ist anzumerken, dass sich die Ausfüh- die einzelnen Schüler mit den zu lernenden Inhalten
rungen zur Klassenführung in diesem Kapitel auf Ler- aktiv, engagiert und konstruktiv auseinandersetzen.
nende ohne gravierende Störungsbilder konzentrieren, Je mehr die Unterrichtszeit für die Reduktion stören-
wie sie beispielsweise bei Lern- und Verhaltensstörungen der Aktivitäten verbraucht bzw. verschwendet wird,
auftreten (▶ Kap. 16, ▶ Kap. 17, ▶ Kap. 18). Für diese Fra- desto weniger aktive Lernzeit steht zur Verfügung. Je
gen bedürfte es einer erweiterten Darstellung und Diskus- häufiger einzelne Schüler im Unterricht anwesend und
sion pädagogisch-psychologischer Interventionsmaßnah- zugleich geistig abwesend sind, umso weniger können
men, die den Rahmen dieses Kapitels übersteigen. sie lernen. Der Klassenführung kommt deshalb eine
Schlüsselfunktion im Unterricht zu.

5.2 Begriffsklärung Ein weiterer Aspekt der Klassenführung betrifft die


Unterstützung der individuellen Lernaktivitäten der
Der Begriff der Klassenführung lenkt den Blick zunächst Schüler (Shuell, 1996). Zentral ist dabei, wie Lehrende mit
auf jene Maßnahmen, mit deren Hilfe Lehrende für Dis- Schülern interagieren, wie sie Rückmeldungen an die Ler-
ziplin sorgen, einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts nenden geben, wie sie das Lernen der Schüler überwachen
gewährleisten, mit störenden Schülern umgehen, Regeln und regulierend begleiten. Das Ziel ist es, erwünschtes Ver-
aufstellen, Konflikte lösen (▶ Abschn. 4.2). Da es hier im halten zu fördern und zu unterstützen. Diese Komponente
Kern um den Umgang mit unerwünschten Verhaltens- von Klassenführung steht im Zentrum der von der Bil-
weisen von Schülern geht, werden Begriffe wie Disziplin, dungsdirektion Zürich (2006) vorgeschlagenen Definition.
Regelklarheit, und Strukturgebung bedeutsam, die auch
in der erziehungspsychologischen Literatur (ausführlich Definition 
dazu ▶ Abschn. 10.2) im Zentrum stehen. Zieht man eine Klassenführung ist alles, was Lehrpersonen mit-
Parallele von der „Führung“ im Klassenzimmer zum elter- tels Aktivitäten und Haltungen zur Steuerung der
lichen Erziehungsstil (Helmke, 2012), dann ist hier wie da Interaktionen in der Klasse beitragen, wobei ihnen
ein autoritatives Erziehungsverhalten zielführend. Dieses bewusst ist, dass die Klasse mehr ist als die Summe
zeichnet sich dadurch aus, dass zwar Normen und Werte der einzelnen Schüler und dass sich die individuellen
vorgegeben, diese aber gemeinsam mit den Kindern bzw. und die sozialen Lernprozesse gegenseitig beeinflus-
Schülern ausgehandelt werden. Ziel ist es, die Kinder von sen. Ziel ist ein Klassenklima, welches gute Lehr- und
der Notwendigkeit der Normen und Werte zu überzeugen. Lernprozesse ermöglicht, die Entfaltung und den
Eine weitere Facette von „Klassenführung“ hebt auf Schutz jedes Einzelnen gewährleistet, den Schülern
Unterrichtsstrategien ab, die dazu beitragen, dass sich Ler- ermöglicht, an gemeinschaftsbildenden Aktivitäten
nende möglichst zeitintensiv mit den Lerninhalten ausei- zu lernen und die Motivation der Schüler stärkt, sich
nandersetzen (Helmke & Weinert, 1997). Es geht darum, zugunsten der Gemeinschaft einzusetzen (Bildungs-
die Lerninhalte vorzustrukturieren und den Ablauf einer direktion Kanton Zürich, 2006, S. 1).
Stunde so zu gestalten, dass die Schüler wesentliche Lehr-
ziele als Lernziele nachvollziehen und integrieren können.
Kurz gefasst dient Klassenführung somit der Herbeifüh-
rung positiven und erwünschten Verhaltens durch eine 5.3 Der Klassiker: Kounins Techniken
maximale Bereitstellung von aktiver Lernzeit (▶ Ab- der Klassenführung
schn. 4.1). Dass hierbei der (Förderung der) Lernmotiva-
tion von Lernenden eine wichtige Rolle zukommt, wird aus Unter den Forschungsarbeiten zur Klassenführung gelten
der folgenden Definition Weinerts deutlich. die Beiträge von Jacob S. Kounin (1976, 2006) als wegwei-
Nach Weinert (1996; S. 124) ist es die zentrale Funktion send. Ausgangspunkt für das Forschungsprogramm stellte
von Klassenführung, ein Zwischenfall in der Hochschullehre dar: Ein Student
las während der Vorlesung offensichtlich Zeitung. Der
» … die Schüler einer Klasse zu motivieren, sich mög- Forscher hatte den Studenten daraufhin öffentlich gemaß-
lichst lange und intensiv auf die erforderlichen Lernakti- regelt. In der Folge verhielten sich die anderen Studieren-
vitäten zu konzentrieren, und – als Voraussetzung dafür den, die von der Maßregelung überhaupt nicht betroffen
– den Unterricht möglichst störungsarm zu gestalten waren, deutlich anders: Sie starrten auf ihre Unterlagen,
oder auftretende Störungen schnell und undramatisch waren zurückhaltend und trauten sich kaum, offen an ei-
beenden zu können. Die wichtigste Voraussetzung für nem Gespräch mit dem Dozenten teilzunehmen. Kounin
wirkungsvolles und erfolgreiches Lernen ist das Aus- interpretierte diese pädagogische Situation als „Wellenef-
maß der aktiven Lernzeit, das heißt der Zeit, in der sich fekt“, den er nicht antizipiert und beabsichtigt hatte. Das in
110 Kapitel 5 • Klassenführung

Folge entstandene Forschungsprogramm zur Klassenfüh- Wesentlich in den Forschungsergebnissen von Kounin war
1 rung von Kounin stellt einen der wichtigsten Beiträge der die Erkenntnis, dass nicht die Art der Disziplinierungs-
Pädagogischen Psychologie in der Unterrichtsforschung dar maßnahmen der Lehrenden bei Störungen entscheidend
2 und besitzt immer noch eine hohe Aktualität. Gleichzeitig für eine effektive Klassenführung ist, sondern die Art und
ist es ein Beispiel dafür, wie Forschung einen wesentlichen Weise, wie Lehrer den Unterricht organisieren, den Un-
Praxisbezug aufweist und von vielen Pädagogen konkret terrichtsprozess überwachen und durch die Art der Auf-
3 umgesetzt werden kann. Aus diesem Grund wird dem Klas- gabenstellungen für eine kognitiv aktivierende Lernum-
siker im Folgenden besondere Aufmerksamkeit geschenkt. gebung sorgen.
4 Aus forschungsmethodischer Sicht sind die Arbeiten Die acht Lehrstilvariablen in den fünf Merkmalsbe-
von Kounin (2006) von besonderer Qualität und erfüllen reichen werden im Folgenden anhand von Fallbeispielen
5 viele Kriterien, die aktuell für die Bildungsforschung ein- näher erläutert.
gefordert werden (Raudenbush, 2005; Seidel & Shavelson,
2007). Kounin setzt z. B. verschiedene methodische Zu-
6 gänge ein: Beobachtungen von pädagogischen Interakti- 5.3.1 Disziplinierungsmaßnahmen
onen bei unterschiedlichen Zielgruppen, Durchführung
7 experimenteller Untersuchungen, Befragung von Schülern Der Ausgangspunkt für Kounin war die Frage, wie Leh-
mittels Fragebogen und Interviews, Durchführung von Vi- rende mit Störungen im Unterricht umgehen und ob die
deoaufzeichnungen und deren systematische Auswertung Art und Weise, wie Lehrer für Disziplin sorgen, mess-
8 mittels differenzierter Kategoriensysteme. Darüber hinaus bare Auswirkungen auf das Verhalten der Schüler in ei-
untersucht er unterschiedliche Zielpopulationen: Interak- ner Klasse hat. In Bezug auf die Häufigkeit von Störun-
9 tionen zwischen Lehrenden und Lernenden im Vorschul- gen im Unterricht wurde zunächst festgestellt (Kounin,
bereich, in der Schule und in der Hochschule. 2006): Unterhaltungen (30 %), Lärm, Gelächter und laute
10 Die Untersuchungen von Kounin verweisen auf acht Unterhaltung (25 %), sachfremde Orientierung (17,2 %),
Lehrerstilvariablen, die sich in fünf Merkmalsbereiche ei- Kaugummikauen (6,8 %) gelten als häufigste Störungen.
ner effektiven Klassenführung aufteilen: Weitere bezogen sich auf Zuspätkommen, Vergessen von
11 Hausarbeiten oder benötigten Arbeitsmitteln und uner-
laubtes Verlassen des Platzes. Auch wenn sich diese Verhal-
Merkmalsbereiche einer effektiven
12 Klassenführung (nach Kounin, 1976, 2006)
tensweisen in der Art und Verteilung bis heute verändert
haben dürften, geben die Häufigkeiten doch einen Einblick
1. Disziplinierung: Fähigkeit des Lehrenden, bei
in relativ typische Formen von störenden Verhaltensweisen
13 Störungen durch Lernende auf eine klare, feste und
im Unterricht.
nicht zu harte Weise zu reagieren.
Drei Dimensionen unterschied Kounin in Bezug auf

--
14 2. Allgegenwärtigkeit und Überlappung: Fähigkeit
Disziplinierungsmaßnahmen:
des Lehrenden, den Schülern zu verdeutlichen,
Klarheit

-
dass man über die Situation im Klassenzimmer stets
15 informiert ist und ggf. einschreiten wird; sowie die
Festigkeit
Härte
Fähigkeit, bei gleichzeitig auftretenden Problemen
16 die Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge
Klarheit beinhaltet die Menge der Informationen, die ein
richten zu können.
Lehrender in Bezug auf seine Disziplinierung gibt. Die In-
17 3. Reibungslosigkeit und Schwung: Fähigkeit des
Lehrenden, für einen flüssigen Unterrichtsverlauf zu
formationen können variieren zwischen einer einfachen
Benennung („Lass das!“) bis zur Benennung eines konkre-
sorgen und speziell in Übergangsphasen für eine
ten Fehlverhaltens („Du sollst nicht mit deinem Nachbarn
18 fortgesetzte Auseinandersetzung mit den Lernin-
sprechen!“) bzw. durch Aufzeigen des Weges zur Einstel-
halten zu sorgen.
lung des Fehlverhaltens („Bitte sieh nach vorne!“) oder
19 4. Gruppenmobilisierung: Fähigkeit des Lehrenden,
durch Angabe eines konkreten Gruppenstandards („In der
sich auf die Gruppe als Ganzes zu konzentrieren;
Regel sagen wir ›bitte‹, wenn wir etwas haben möchten!“).
gleichzeitig aber auch die Fähigkeit, den einzelnen
20 Schüler individuell zu unterstützen.
Je mehr konkrete Informationen gegeben werden, desto
höher ist die Klarheit einer Disziplinierungsmaßnahme.
5. Abwechslung und Herausforderung: Fähigkeit des
Festigkeit bezieht sich auf das Ausmaß, mit dem Leh-
21 Lehrenden, die Lernaktivitäten (insbesondere in
rende die Ernsthaftigkeit ihrer Disziplinierung zum Aus-
Stillarbeitsphasen) so zu gestalten, dass sie als ab-
druck bringen. Ein beiläufiges „Lass das“ ist ein Ausdruck
22 wechslungsreich und herausfordernd erlebt werden.
für eine geringe Festigkeit in der Disziplinierung. Eine
hohe Festigkeit ist dadurch gekennzeichnet, dass der Leh-
5.3  •  Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung
111 5

Lernenden vermittelt, dass man genau weiß, was im Klas-


senzimmer vorgeht.

Beispiel  |       | 
Der Lehrer führt mit einer Gruppe im Lesekreis Laut-
übungen durch. Johnny, der einer Stillarbeitsgruppe
angehört, dreht sich um und flüstert Jimmy etwas zu.
Der Lehrer blickt auf und sagt: „Johnny, lass die Unter-
haltung und beschäftige dich mit deinen Additions-
aufgaben!“. Diese Zurechtweisung wurde nun nach
ihrer Klarheit, Festigkeit und Härte bewertet. Aber sie
waren für das Verhalten der Kinder gleichgültig. Gab
es bei diesem Zurechtweisungsfall sonst noch etwas,
was über den Führungserfolg entscheiden konnte? Wir
spulten das [Video] Band zurück und ließen es dann
.. Abb. 5.2  Festigkeit des Lehrers aus Schülerperspektive: Den Einzel-
noch einmal durchlaufen. Dabei wurden wir gewahr,
nen sehen und alle im Blick behalten (© bjupp/Fotolia.com)
dass in einem anderen Teil des Zimmers zwei Jungen
sich Papierflugzeuge zuwarfen. Dies war vor und wäh-
rende nachdrängt und den fokussierten Schüler ansieht, bis rend der Zeit im Gange, als der Lehrer Johnny für sein
das störende Verhalten eingestellt wird (. Abb. 5.2). Reden zurechtwies. Ist dieser Sachverhalt von Bedeu-
Als Härte bezeichnet Kounin Disziplinierungen, in de- tung?
nen Lehrende Aggressionen zum Ausdruck bringen (z. B. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Der Lehrer ist gerade
Zorn, Gereiztheit). Dies können böse Blicke sein oder Be- damit beschäftigt, der ganzen Klasse Additionsregeln
merkungen, in denen Strafen angedroht oder tatsächlich beizubringen, indem er die Kinder der Reihe nach Auf-
erteilt werden. gaben an der Tafel lösen läßt. Mary beugt sich zum
Die empirischen Untersuchungen von Kounin zeig- rechten Nachbartisch hinüber und flüstert mit Jane.
ten: Bei experimentellen Untersuchungen, in denen sich Beide kichern. Der Lehrer sagt: „Mary und Jane, lasst
Lehrende unter zwei Bedingungen bei Disziplinierungs- das!“ Diese Zurechtweisung wurde ebenfalls auf ver-
maßnahmen unterschiedlich verhalten, ließ sich ein Wel- schiedene Qualitäten hin untersucht, von denen keine
leneffekt bei den Studierenden nachweisen. Dozenten mit sich als relevant für das Schülerverhalten erwies. Wie-
harten Disziplinierungsmaßnahmen wurden von den der spulten wir das [Video] Band zurück und ließen
Studierenden negativ bewertet, während ein konstrukti- es noch einmal durchlaufen. Dabei stellten wir fest,
ver Umgang eines Dozenten positive Wirkungen entfaltete. dass etwa 45 Sekunden früher Lucy und John, die mit
Nachfolgeuntersuchungen unter Feldbedingungen in der Jane zusammen an einem Tisch saßen, miteinander zu
Schule (Beobachtungen im Klassenzimmer und Videoana- flüstern begannen. Robert sah ihnen zu und ließ sich
lysen) konnten diese Befunde allerdings nicht mehr be- gleichfalls in die Unterhaltung ein. Dann kicherte Jane
stätigen. Unter diesen ökologischen Bedingungen zeigte und sagte etwas zu John. Daraufhin beugte Mary sich
sich vielmehr, dass die Art der Disziplinierungsmaßnahme vor und flüsterte Jane etwas zu. An dieser Stelle wies
keinen systematischen Effekt auf das Verhalten der Schü- der Lehrer Mary und Jane zurecht. Ist die Tatsache,
ler hatte. In Folge wurden deshalb vier zentrale Merkmals- dass Mary sich erst spät in diese Kette von Gesprächen
bereiche für effektive Klassenführung entwickelt und über und Gekicher einreihte, irgendwie von Bedeutung?
Videoanalysen empirisch gesichert (Kounin, 2006). (Kounin, 2006, S. 89f )

5.3.2 Allgegenwärtigkeit Die Ausführungen von Kounin verdeutlichen sehr an-


und Überlappung schaulich das Prinzip der Allgegenwärtigkeit. Klassenfüh-
rung im Sinne der Allgegenwärtigkeit vollzieht sich über
Allgegenwärtigkeit die Art und Weise, wie ein Lehrender sein Wissen über den
Allgegenwärtigkeit bedeutet die Fähigkeit des Lehrenden, Zustand in der Klasse vermittelt, zu welchem Zeitpunkt er
den Schülern mitzuteilen, dass er über ihr Tun stets infor- in das Geschehen eingreift und ob die richtige Person (bzw.
miert ist. Sprichwörtlich bedeutet die Allgegenwärtigkeit, das richtige Objekt) fokussiert wird. Die oben genannten
dass ein Lehrender „Augen im Hinterkopf “ hat bzw. den Beispiele beschreiben Situationen, in denen Lehrende ihr
112 Kapitel 5 • Klassenführung

Wissen über die gesamte Situation im Klassenzimmer 5.3.3 Reibungslosigkeit und Schwung
1 nicht vermittelt haben, ein zu spätes Eingreifen erfolgte
und die falsche Personengruppe fokussiert wurde. Beim Unterrichten müssen Lehrende eine Vielzahl von
2 Die empirischen Befunde der Videoanalysen zeigen Aktivitäten initiieren, beobachten und aufrechterhalten.
einen systematischen Zusammenhang zwischen der All- Die Dimensionen von Reibungslosigkeit und Schwung
gegenwärtigkeit von Lehrenden und dem Führungserfolg. fokussieren dabei die Fähigkeit eines Lehrenden, für ei-
3 Eine hohe Allgegenwärtigkeit korreliert positiv mit dem nen flüssigen Unterrichtsverlauf zu sorgen und speziell in
Mitarbeitsverhalten sowie der Rate an ausbleibendem Fehl- Übergangsphasen für eine fortgesetzte Auseinanderset-
4 verhalten aufseiten der Schüler. Die Allgegenwärtigkeit ist zung mit den Lerninhalten zu sorgen.
somit förderlich für die Mitarbeit und hemmend in Bezug
5 auf das Fehlverhalten der Lernenden. Beispiel  |       | 

Überlappung Fräulein Smith arbeitet mit der Gruppe der „Rockets“ im


6 Überlappung bezeichnet die Fähigkeit eines Lehrenden, Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren Plät-
die Aufmerksamkeit simultan auf mehrere Dinge richten zen still arbeiten. Mary hat soeben ihren Lesevortrag

7 zu können. Situationen der Überlappung ergeben sich oft beendet. Die Lehrerin sagt: „Schön, Mary. Und damit
sind wir am Ende unserer Geschichte angelangt. Geht
im Zuge von Disziplinierungsmaßnahmen sowie bei un-
vorhergesehenen Schülerverhaltensweisen. nun an eure Plätze zurück und macht eure Stillarbeit
8 fertig.“ Sie schließt ihr Buch, schaut sich etwa drei Se-
Beispiel  |       |  kunden lang im Zimmer um und sagt dann: „So, jetzt
9 dürfen die Bluebirds zum Lesekreis vorkommen.“
Der Lehrer arbeitet mit einer Lesegruppe, und Mary Fräulein Jones beschäftigt sich mit den „Brownies“
liest gerade vor. John und Richard, beide dem Stillar- im Lesekreis, während die anderen Gruppen an ihren
10 beitsbereich zugeteilt, unterhalten sich vernehmlich. Plätzen stillarbeiten. John hat gerade zu Ende gelesen.
Der Lehrer schaut zu ihnen und sagt: „Mary, lies weiter, Die Lehrerin schließt ihr Buch und sagt: „Gut, John.
11 ich höre dir zu“, und fast gleichzeitig „John und Richard, Geht nun alle an eure Plätze zurück und macht eure
ich höre euch reden. Dreht euch jetzt um und macht Aufgaben fertig“. Und sie fügt sofort hinzu: „Cubs, jetzt

12 eure Arbeit!“. Im anderen Fall ist der Lehrer ebenfalls


mit einer Lesegruppe beschäftigt, und Betty liest laut.
seid ihr an der Reihe, bitte kommt vor zum Lesekreis.“
(Kounin, 2006, S. 102)
Gary und Lee, beide von der Stillarbeitsgruppe, rangeln
13 spielerisch miteinander. Der Lehrer schaut zu ihnen und
sagt ärgerlich: „Schluß mit dem Unfug! Aber auf der Im ersten Beispiel wird deutlich, dass die Lehrerin sich
14 Stelle! Lee, du bist noch nicht fertig mit deinen Aufga- am Ende des Lesekreises der ersten Gruppe zuerst ein Bild
ben. Mach sie jetzt sofort, und zwar richtig! Und Gary, über die Klassensituation verschafft, bevor sie die nächste
du genauso!“ Darauf geht er zum Lesekreis zurück,
15 nimmt sein Buch wieder auf, setzt sich auf seinen Stuhl
Gruppe zu sich bittet. Im zweiten Beispiel benennt die
Lehrerin eine zweite Gruppe, ohne sich vorher über die
und sagt ruhig: „So, nun wollen wir unsere Geschichte momentane Beschäftigung der „Cubs“ zu informieren. Da-
16 weiterlesen.“ (Kounin, 2006, S. 93) mit riskiert sie, dass diese unerwartet aus ihren bisherigen
Aktivitäten herausgerissen werden. Reibungslosigkeit und
17 Schwung bezieht sich aber nicht nur auf Übergangspha-
Das Beispiel verdeutlicht, wie unterschiedlich die beiden sen im Unterricht. Auch während einer Aktivität ist es von
Lehrer mit den simultan auftretenden Ereignissen umge- Bedeutung, eine thematische Entschlossenheit zu wahren.
18 hen. Der erste Lehrer vermittelt Mary, dass er ganz bei der Reibungslosigkeit und Schwung lassen sich empirisch vor
Sache ist. Gleichzeitig geht er auf das störende Verhalten allem über negative Indikatoren, bei Kounin als Sprunghaf-
19 der beiden anderen Schüler ein, kurz und bündig, um sich tigkeit bezeichnet, belegen. Dazu zählen Reizabhängigkeit
dann dem Lesekreis wieder zuzuwenden. Der zweite Leh- (sich ablenken lassen von einzelnen Reizen), Unvermittelt-
20 rer unterbricht die Aktivität im Lesekreis und stürzt sich heiten, thematische Inkonsequenzen, Verkürzungen, the-
förmlich auf das störende Verhalten der beiden Schüler. matische Unentschlossenheit, Überproblematisierungen,
Die empirischen Ergebnisse zeigen einen positiven Fragmentierungen von Gruppen und Handlungseinheiten.
21 Zusammenhang zwischen Überlappung und der Mitar- Die empirischen Befunde von Kounin verweisen wie-
beit der Schüler. Bei positiver Überlappung tritt weniger derum auf einen positiven Zusammenhang zwischen Rei-
22 Fehlverhalten aufseiten der Lernenden auf. Dies trifft ins- bungslosigkeit/Schwung und Mitarbeit bzw. Ausbleiben
besondere auf Übungs- und Stillarbeitsphasen zu. von Fehlverhalten aufseiten der Schüler. Die Vermeidung
5.3  •  Der Klassiker: Kounins Techniken der Klassenführung
113 5

von Verhaltungsweisen, die einen flüssigen Ablauf des Un-


und fragt: „Wer kann mir das nächste Wort lesen?“
terrichts verhindern, ist eine der wichtigsten Determinan-
Sie macht eine Pause, hält eine Karte hoch, schaut
ten für effektive Klassenführung.
gespannt in die Runde und sagt dann: „John.“ John
antwortet: „Buch.“ Die Lehrerin: „Gut. Wer kann mir nun
5.3.4 Gruppenmobilisierung ein Wort nennen, das ganz ähnlich klingt?“ Wieder
macht sie eine Pause, schaut sich um und ruft Mary
auf. „Kuchen“, sagt Mary. Darauf fragt die Lehrerin: „Wer
Die Gruppenmobilisierung bezieht sich auf die Fähigkeit
findet ein Wort, das sich auf „Kuchen“ reimt?“ Sie blickt
eines Lehrenden, sich auf die Klasse als Ganzes zu kon-
umher und ruft Richard auf, der mit „Suchen“ antwortet.
zentrieren und die einzelnen Schüler „bei der Stange“ zu

-
(Kounin, 2006, S. 117)
halten. Merkmale für positive Gruppenmobilisierung sind:
alle Methoden, die vor dem Aufrufen eines Schülers
„Spannung“ erzeugen: Pausieren, Sichumschauen,

- um die Lernenden vor dem Aufruf zu sammeln;


Verfahren, bei denen die Schüler in Ungewissheit
Die beiden Bespiele verdeutlichen wiederum einen unter-
schiedlichen Umgang der beiden Lehrerinnen mit einer

- darüber bleiben, wer als nächstes aufgerufen wird;


häufiges Aufrufen möglichst vieler verschiedener
Schüler; Aufforderungen an die Lernenden sich zu
vergleichbaren Situation. Während die erste Lehrerin ein
starres Schema anwendet und die Schüler nach vorgefer-
tigten Karten der Reihe nach aufruft, wandert der Blick der

- melden, bevor der Aufruf ergeht;


Handlungen, die den nicht aufgerufenen Lernenden
zu verstehen geben, dass sie ebenfalls im Fokus der
Lehrerin im zweiten Beispiel jedes Mal durch die Gruppe.
Gleichzeitig erzeugt sie Spannung, bevor sie einzelne Schü-
ler aufruft und gibt ihnen die Möglichkeit, sich selbst für

- Aufmerksamkeit stehen;
Einbeziehung neuer, ungewöhnlicher Materialien.

Beispiel  |       | 
einzelne Karten zu entscheiden.
Die Auswertungen von Kounin belegen auch für die
Dimension der Gruppenmobilisierung einen positiven
Zusammenhang zur Mitarbeit und zu ausbleibendem
Fehlverhalten. Wenn es Lehrenden gelingt, die Schüler zu
Zehn Kinder haben als Lesegruppe in einem Halbkreis
mobilisieren, erreichen sie eine aktive Mitarbeit und ein
Platz genommen, Fräulein Smith sitzt vor ihnen und hält
geringes Fehlverhalten.
Schautafeln in der Hand. Auf jeder der Tafeln steht ein
Wort. Die Lehrerin verkündet: „Heute wollen wir immer
ein Wort lesen und dann versuchen, ein anderes Wort 5.3.5 Abwechslung und Herausforderung
zu finden, das sich darauf reimen lässt. Fangen wir bei
Richard an und gehen dann im Kreis herum.“ Fräulein
Abwechslung und Herausforderung stellen eine Dimension
Smith dreht sich zu Richard, der am rechten Ende des
der Klassenführung dar, bei der die Lernaktivitäten (ins-
Halbkreises sitzt, hält ihm eine Papptafel entgegen
besondere in Stillarbeitsphasen) so gestaltet sind, dass sie
und fragt: „Wie heißt dieses Wort, Richard?“ Richard
als abwechslungsreich und herausfordernd erlebt werden.
antwortet: „Nest.“ Die Lehrerin: „Richtig. Nenne mir nun
Dadurch sollen sich Schüler konzentriert und kognitiv aktiv
ein Wort, das sich auf „Nest“ reimt!“ „Rest.“ „Sehr schön“,
mit den Lerninhalten auseinandersetzen können. Indikato-
erwidert die Lehrerin. Sie wendet sich zu Mary, die links
ren für Abwechslung und Herausforderung sind Abwechs-
neben Richard sitzt, und zeigt ihr eine andere Tafel: „Nun,
lung in Art und Umfang der erforderlichen intellektuellen
Mary, wie heißt dieses Wort?“ „Drachen“, sagt Mary.
Tätigkeit, in der Darbietungsweise des Lehrers, den Ar-
„Richtig“, bestätigt die Lehrerin. „Und nun sag mir ein
beitsmitteln, der Gruppenanordnung, den Lernaktivitäten
Wort, das sich auf „Drachen“ reimt!“ „Machen“, antwortet
und den einbezogenen Standorten im Klassenzimmer.
Mary. Die Lehrerin sagt: „Sehr schön“, nimmt wieder eine
In den empirischen Untersuchungen zeigte sich folgen-
andere Tafel, beugt sich damit zu Ruth hinüber, die links
des Bild: Konzentriert man sich auf die reinen schulspezifi-
neben Mary sitzt und fragt: „Ruth, kannst du mir sagen,
schen Aktivitäten, lässt sich ein positiver Zusammenhang
wie dieses Wort heißt?“ „Sonne“, antwortet Ruth. Die
zwischen Abwechslung und Herausforderung und dem
Lehrerin fährt mit der Befragung fort, bis jedes Kind ein
Verhalten der Schüler feststellen. Der Zusammenhang ist
Wort gelesen und ein Reimwort genannt hat.
besonders bei Stillarbeitsphasen und im Grundschulunter-
Sehen wir uns eine andere Lehrerin an, die die gleiche
richt deutlich (Kounin, 2006).
Übung durchführt. Fräulein Jones sitzt vor der Lese-
Die Dimensionen für effektive Klassenführung von
gruppe. Sie hält einen Stapel Pappkarten in der Hand
Kounin (1976, 2006) stellen bis heute die theoretische und
empirische Grundlage für weiterführende Forschungsar-
114 Kapitel 5 • Klassenführung

Exkurs  |       | 
1
Videoanalysen in der Unterrichtsforschung
2 Die Forschungsarbeiten von Kounin Fallanalysen Situationen im Unterricht keiten bestimmter Verhaltensweisen,
(1976, 2006) stellen ein Beispiel für die differenziert zu beschreiben (qualitatives Zeitreihenanalysen, Skalierung von
besonderen Vorteile von Videostudien in Vorgehen). Unterrichtsfaktoren).
3 der Unterrichtsforschung dar. Über die Aus methodischer Sicht gelten folgende Videostudien liefern auch heute einen be-
Aufzeichnung von Interaktionen zwischen Grundlagen der Beobachtung (Seidel & deutsamen Beitrag zur pädagogisch-psy-

4 Lehrenden und Lernenden im Unterricht


können einzelne Sequenzen wiederholt
und aus unterschiedlichen Perspektiven -
Prenzel, 2010):
Überlegungen zur Art der Beobach-
tung (z. B. teilnehmend oder nicht
chologischen Forschung (Seidel, 2011).
Mit den TIMSS-Videostudien erfolgte erst-
mals die Umsetzung einer international

5 analysiert werden. Als Kounin beispiels-


weise feststellte, dass nicht die Art der
Disziplinierungsmaßnahme entschei- - teilnehmend),
Wahl der Analyseeinheit (z. B. feste
Zeitsegmente oder spezifische Ereig-
vergleichenden Unterrichtsstudie (Stigler,
Gonzales, Kawanaka, Knoll, & Serrano,
1999), die technisch wie methodisch die
6
7
dend für das Verhalten der Schüler war,
konnte das Videomaterial erneut unter
den Perspektiven von Allgegenwärtigkeit
und Überlappung, Reibungslosigkeit
- nisse),
Entwicklung verschiedener Arten von
Kodierverfahren (z. B. Zeichensys-
teme, Kategoriensysteme, Schätzver-
Standards für eine Reihe deutschspra-
chiger Videostudien im Mathematik-,
Englisch-, und Physikunterricht setzte. Die
Ergebnisse von Videoanalysen münden

8
und Schwung, Gruppenmobilisierung,
Abwechslung und Herausforderung
analysiert werden. Durch die Anwendung
von Videoanalysen ist es möglich, sowohl
- fahren),
Sicherstellung der Güte der Beobach-
tungsverfahren (z. B. in der Prüfung
von Objektivität, Validität und Relia-
heute meist in mehrebenenanalytische
Verfahren ein, bei denen Variablen auf der
Unterrichtsebene (ermittelt über Video-
analysen) mit Variablen auf der Ebene der

9
die Häufigkeiten bestimmter Verhaltens-
weisen im Unterricht zu messen (quan-
tifizierendes Vorgehen), als auch über - bilität),
Wahl geeigneter statistischer Analy-
severfahren (z. B. Analyse der Häufig-
Schüler (z. B. ermittelt über Fragebogen
und Tests) gekoppelt werden.

10
beiten dar. Allerdings wird in aktuellen Studien häufiger senzimmer. Ziel ist es, den Unterricht möglichst störungs-
11 auf Fragebogenverfahren (bei Schülern) oder Schätzver- arm zu halten. Als Kriterium für effektives Klassenmanage-
fahren (Einschätzungen von Videoaufzeichnungen mit- ment wird dementsprechend ein geringes Störungsausmaß
12 tels Fragebogen) zurückgegriffen. Zudem werden Daten herangezogen, meist gemessen über die Wahrnehmung der
zunehmend mehrebenenanalytisch ausgewertet. Auf diese Schüler einer Klasse.
Weise können die Merkmale auf verschiedenen Aggregat­ Betrachtet man Klassenführung als Umgang mit Stö-
13 ebenen (z. B. individuelle und Klassenebene) berücksich- rungen spielt die Einführung von Regelsystemen eine
tigt und eine Vielzahl von Einflussfaktoren kontrolliert besondere Rolle (. Abb. 5.3). Im Gegensatz zu Kounin,
14 werden. Leider fehlt in den aktuellen Studien häufig das der auf Disziplinierungsmaßnahmen im engeren Sinne fo-
Moment der konkreten Beschreibung von Verhaltenswei- kussierte und hierfür keine nennenswerten Effekte auf das
15 sen von Lehrenden durch Videoanalysen (▶ Exkurs „Video- Schülerverhalten fand, belegen aktuelle Studien durchaus
analysen in der Unterrichtsforschung“). moderate Einflüsse. Effektives Klassenmanagement zeich-
Im Folgenden werden nun aktuelle Ansätze und Stu- net sich dadurch aus, dass Regeln und Unterrichtsabläufe
16 dien zur Klassenführung vorgestellt. Diese werden nach gleich zu Beginn des Schuljahres in der Klasse etabliert
drei Facetten von Klassenführung gegliedert: Klassenfüh- werden. Es besteht außerdem darin, dass Lehrpersonen
17 rung als Umgang mit Störungen, Klassenführung als Ma- ihre Erwartungen deutlich kommunizieren, systematisch
nagement von Lernzeit und Klassenführung als Begleitung das Verhalten der Schüler beobachten und regelmäßig
von Lernprozessen bei Schülern. Feedback geben (Emmer, Evertson & Anderson, 1980;
18 Evertson & Harris, 1992).
In einer Studie von Schönbächler (2006) wurde un-
19 5.4 Klassenführung als Umgang tersucht, in welchen Bereichen Regeln im Klassenzimmer
mit Störungen aus der Wahrnehmung der Lehrenden und Lernenden
20 etabliert werden. Sie befragte 923  Schüler sowie deren
Klassenführung mit einem Schwerpunkt auf Umgang mit Lehrpersonen dazu, welches die drei wichtigsten Regeln
Störungen bzw. Vermeiden von Störungen ist eng mit dem im Klassenzimmer sind. Die Antworten aller Befragten
21 englischen Begriff des „classroom management“ verbun- wurden in vier Bereiche kategorisiert: Material/Eigentum,
den (Doyle, 1986; Emmer & Stough, 2001). ▶ Klassenma- Ordnung/Ruhe, soziale Interaktion und Zuverlässigkeit.
22 nagement versteht sich in diesem Sinne als das Herstellen Die deskriptiven Auswertungen der Antworten von Lehr-
und Aufrechterhalten von Ordnungsstrukturen im Klas- personen und Schüler zeigen einen Schwerpunkt der wich-
5.5  •  Klassenführung als Management von Lernzeit
115 5

tigsten Regeln im Bereich der Ordnung/Ruhe (Lehrende:


46,0 %, Lernende: 61,6 % aller genannten Regeln) und
der sozialen Interaktionen (Lehrende: 48,4 %, Lernende:
31,5 %). Gleichzeitig wird deutlich, dass die Lehrenden aus
ihrer Perspektive einen Schwerpunkt auf den Bereich der
Regeln für soziale Interaktionen legen, während dies bei
den Lernenden vor allem im Bereich der Regeln zu Ord-
nung und Ruhe wahrgenommen wird.
Klassenführung im Sinne des Umgangs mit störenden
Verhaltensweisen der Lernenden und der Etablierung eines
Regelsystems muss allerdings als eine flexible Organisati-
onsform des Unterrichts und nicht als ein starres Verhal-
tenssystem betrachtet werden. Effektives Klassenmanage-
ment ist dementsprechend dadurch charakterisiert, dass
Lehrende sowohl Regeln setzen als auch flexibel mit ihnen
umgehen und situationsspezifisch agieren und reagieren.
Neuenschwander (2006) konnte vor dem Hintergrund
des Konzepts einer souveränen Klassenführung, die sich
durch Regelklarheit und Flexibilität/Adaptivität (d. h. flexi-
ble Anpassung des Verhaltens an die jeweilige Situation im
Klassenzimmer) kennzeichnet, feststellen, dass eine souve-
räne Klassenführung positive Effekte auf die Mathematik-
leistung bei Schülern der 6. Jahrgangsstufe zeigt. Bei einer
souveränen Klassenführung nahmen die Schüler bei ihren
Lehrpersonen eine hohe Erklärungs- und Kommunikati-
onskompetenz wahr. Außerdem akzeptierten die Schüler
ihre Lehrpersonen bei dieser Qualität der Klassenführung
mehr als bei einer rigiden und wenig angepassten Klas-
senführung. .. Abb. 5.3  Man kann nicht alles sehen – der Umgang mit Störungen
In weiteren Studien wird das Resultat einer effektiven erfordert die Einführung eines Regelsystems (© photos.com)
Klassenführung – das Ausmaß eines störungsarmen Un-
terrichts – als Indikator für effektive Klassenführung ver- 5.5 Klassenführung als Management
wendet. Auch hier lassen sich systematisch positive Effekte von Lernzeit
auf kognitive und motivational-affektive Lernergebnisse
der Schüler zeigen. Klassenführung als Form des Managements von Lernzeit
In einer deutsch-schweizerischen Videostudie zur legt den Schwerpunkt auf eine maximale Bereitstellung
Qualität des Mathematikunterrichts (Rakoczy, 2007; Rako- von Zeit für eine aktive Auseinandersetzung mit Lernin-
czy et al., 2007) wurde festgestellt, dass ein störungsarmer halten (Helmke & Weinert, 1997). Natürlich ist Klassen-
Unterricht eng mit einem positiven Kompetenzerleben führung als Management von ▶  Lernzeit wiederum eng
aufseiten der Lernenden verbunden ist. Darüber hinaus mit dem Konzept des Umgangs mit Störungen verbunden.
berichten die Schüler aus störungsarmen Klassenzimmern Aus der Perspektive der Forschenden wird hier allerdings
eine hohe Intensität an kognitiven Aktivitäten und positi- der Schwerpunkt bereits auf vorausschauende Handlungs-
ven emotionalen Erfahrungen (▶ Abschn. 4.2). weisen der Lehrenden gelegt, um durch die Organisation
Kunter und Kollegen (Kunter, 2005; Kunter, Baumert, & des Unterrichtsablaufs für eine optimale Nutzung der Un-
Köller, 2007) berichten ähnliche Befunde. Sie zeigen, dass terrichtszeit zu sorgen. Darüber hinaus bedeutet Manage-
sich ein geringes Ausmaß an Störungen positiv auf die er- ment von Lernzeit, dass Lehrende den Unterricht mög-
lebte Herausforderung im Mathematikunterricht auswirkt. lichst klar vorstrukturieren und durch klare Zielstellungen
Klieme & Rakoczy (2003) stellen auf der Schulebene fest, für einen reibungslosen Ablauf des Unterrichts sorgen.
dass eine hohe Disziplin in Schulen mit hohen Leistungen In der SCHOLASTIK-Studie (Helmke & Weinert,
(gemessen über die Lesekompetenz) einhergeht. Bei allen 1997) wurden zur Erfassung der Klassenführung Videoauf-
Studien wird der Befund in der Art interpretiert, dass eine zeichnungen des Unterrichts analysiert sowie die Einschät-
hohe Disziplin und störungsarmer Unterricht eine Voraus- zungen der Schüler mittels Fragebogen berücksichtigt. Die
setzung für erfolgreiches Lernen in der Klasse ist. Befunde verweisen auf einen positiven Effekt der Klassen-
116 Kapitel 5 • Klassenführung

entierung auf die Lernentwicklung im Verlauf eines Schul-


1 jahres.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Management
2 von Lernzeit in der Regel substanzielle Effekte auf das Ler-
nen der Schüler zeigt. Dies belegt eine Reihe von Metaana-
lysen (Seidel & Shavelson, 2007) sowie eine Vielzahl an
3 Studien aus dem deutschsprachigen und internationalen
Raum.
4
5.6 Klassenführung als Begleitung
5 von Lernprozessen bei Schülern

6 .. Abb. 5.4  Das Ziel: Ein Klima, das gute Lehr- und Lernprozesse In aktuellen Modellen des Lehrens und Lernens wird Un-
ermöglicht (© photos.com)
terricht von den Lernprozessen der Schüler aus gedacht
7 (Seidel, 2011). Dementsprechend orientiert sich Unterricht
führung auf das Lernen der Schüler. Es zeigt sich ein sys- an den für Lernen notwendigen Prozessen: der Klärung
tematischer Zusammenhang zwischen der Bereitstellung von Zielen, der Orientierung hin zu den Zielen, der Aus-
8 von Lernzeit und der von den Schülern empfundenen Auf- führung von Lernaktivitäten, der Evaluation von Lern-
merksamkeit. Eine hohe Ausschöpfung der Lernzeit wirkt ergebnissen und der Begleitung und Überwachung von
9 sich darüber hinaus positiv auf die Leistungsentwicklung Lernprozessen (Bolhuis, 2003). Unterricht stellt in diesem
im Fach Mathematik aus. Aus der Perspektive der Schüler Sinn eine vorstrukturierte Lernumgebung dar, die eine
10 haben ein effektives Management und eine hohe Zielori- möglichst intensive kognitive Auseinandersetzung mit
entierung (d. h. eine Orientierung des Unterrichts an den den Lerninhalten und eine intrinsische Lernmotivation
Lehr- und Lernzielen der Unterrichtseinheit) einen posi- begünstigen soll. Werden die individuellen Lernprozesse
11 tiven Effekt auf die Einstellungen gegenüber Mathematik, der Schüler unterstützt, bauen sie reichhaltige, flexible und
auf das fachspezifische Selbstkonzept in Mathematik sowie vernetzte Wissensstrukturen auf und erreichen ein vertief-
12 auf die Leistungsentwicklung im Verlauf des Schuljahres. tes Verständnis von Lerninhalten.
Eine zweite Facette von Klassenführung als Manage- Kennzeichnend für diese Auffassung der Gestaltung
ment von Lernzeit hebt auf die Organisation des Unter- von Lernumgebungen ist zudem, dass Klassenführung
13 richts ab. Dazu zählen die Wahl der Methoden, die struk- verstärkt aus einer prozessorientierten Perspektive be-
turierte und kohärente Darbietung des Wissens und eine trachtet wird. Interaktionen zwischen Lehrenden und
14 Orientierung des Unterrichts entlang der Lehr-und Lern- Lernenden werden aus einer interaktionistischen bzw.
ziele. auch systemischen Sichtweise heraus analysiert. Zentral
15 Mit Blick auf diese Aspekte stellt Mayr (2006) fest, dass sind die Aushandlungsprozesse zwischen Lehrenden und
erfolgreiche Lehrpersonen sich von weniger erfolgreichen Lernenden. Die Rolle der Lehrenden besteht darin, ext-
Lehrpersonen (gemessen über den Grad des Abschaltens, rinsische Zielstellungen an die Lernenden heranzutragen
16 Unruhe, Aggression und Regelverletzung aus Sicht der und den Unterricht so zu gestalten, dass extrinsische Mo-
Lernenden) darin unterscheiden, dass sie bedeutsame tivationslagen internalisiert und in eigene Ziele integriert
17 Lernziele vermitteln, der Unterricht strukturiert ist, klare werden können (Prenzel, 1995). Wenn Schüler erfolgreich
Arbeitsanweisungen bestehen, der Unterricht als interes- Lehrziele als eigene Lernziele internalisieren, wächst die
sant wahrgenommen wird und sie zudem eine hohe Fach- Chance, dass sie sich intrinsisch motiviert und verständ-
18 kompetenz aufweisen (. Abb. 5.4). nisorientiert mit Lerninhalten auseinandersetzen. Tun sie
Seidel, Rimmele & Prenzel (2005) untersuchen die dies nicht, dominieren Formen externaler Lernmotivation
19 Klarheit und Transparenz des Unterrichts (ermittelt über bzw. Amotivation. Amotivation und externale Lernmotiva-
Videoanalysen von Unterrichtsaufzeichnungen) und zei- tion wiederum führen u. a. dazu, den Unterricht passiv zu
20 gen einen positiven Effekt eines zielorientierten Unter- verfolgen bzw. sich nicht auf die Lerninhalte zu konzentrie-
richts auf die Wahrnehmung von inhaltlicher Relevanz, ren und dann häufiger den Unterricht zu stören.
Instruktionsqualität, Autonomieunterstützung und Kom- Die Folge einer möglichst lang andauernden und
21 petenzunterstützung aufseiten der Schüler. In einem ziel- intensiven Auseinandersetzung der Schüler mit Lernin-
orientierten Unterricht erleben sich die Schüler intrinsisch halten ist nach dieser Auffassung ein Klassenklima, das
22 motiviert und führen tiefer gehende Lernaktivitäten aus. durch Konzentration, Herausforderung, und gegenseitige
Darüber hinaus zeigt sich ein positiver Effekt der Zielori- Wertschätzung gekennzeichnet ist. Dementsprechend wird
5.6  •  Klassenführung als Begleitung von Lernprozessen bei Schülern
117 5

Exkurs  |       | 

Effekte distaler und proximaler Variablen zur Messung von Klassenführung


In einer Metaanalyse von Seidel & Shavel- ximal auszuführende Lernprozesse mittelbar. Hier werden moderate
son (2007) wurden empirische Studien beeinflussen. Effekte auf das Lernen der Schüler
der letzten zehn Jahre (1994–2005) in
Hinblick auf Effekte des Unterrichts auf
das Lernen von Schülern untersucht.
Als Grundlage für die Klassifikation des
Die zentralen Befunde der Metaanalyse in

-
Bezug auf Klassenführung sind:
Effekte der Klassenführung sind mul-
tikriterial und betreffen kognitive wie
- festgestellt.
Die Stärke der Effekte auf das Lernen
hängt stark vom gewählten For-
schungsdesign ab. Wird Klassenfüh-
Unterrichts diente ein prozessorientier- motivational-affektive Komponenten rung im Rahmen von Survey-Studien
tes Modell des Lehrens und Lernens. Im
prozessorientierten Modell wurden Unter-
- des Lernens.
Je proximaler Unterrichtskomponen-
mittels Fragebogenverfahren erfasst,
sind die Effektstärken gering. Erfolgt

-
richtsvariablen identifiziert, welche
den Rahmen für die Ausführung von
Lernaktivitäten bereitstellen (z. B. Or-
ganisation des Lernens, Management
ten die Ausführung von Lernakti-
vitäten unterstützen, desto größer
der Effekt des Unterrichts auf das
Lernen der Schüler; je distaler, desto
die Untersuchung von Klassenfüh-
rung mittels (quasi-)experimenteller
Forschungsdesigns oder auf der Basis
von Videoanalysen, erreichen die
von Lernzeit, sozialer Kontext in der
Klasse) und distal die Ausführung von
- geringer die Effekte.
Klassenführung als störungsarme
Studien moderate Effektstärken.
Domänenspezifische Aspekte des

- Lernaktivitäten beeinflussen,
die Ausführung von Lernaktivitäten
durch die Klärung von Zielen, der
Begleitung des Lernens und der Eva-
Organisation des Unterrichts wird
als distal zur konkreten Ausführung
von Lernaktivitäten betrachtet und
erzielt dementsprechend relativ
Unterrichts (z. B. mathematisches
Problemlösen, naturwissenschaftliches
Experimentieren) stellen solche Unter-
richtskomponenten dar, die im Vergleich
luation der Lernergebnisse mittelbar geringe Effekte auf das Lernen der proximal die Ausführung von Lernakti-

- unterstützen und
die konkret die Ausführung von
Lernaktivitäten initiieren und pro-
Schüler. Klassenführung im Sinne des
Managements von Lernzeit und als
Begleitung des Lernens unterstützt
die Ausführung von Lernaktivitäten
vitäten beeinflussen. Dementsprechend
sind die erzielten Effekte auf das Lernen
hier am größten (moderate bis starke
Effekte).

Klassenführung mit dem Ziel versehen, eine Situation zu der Interaktionen zwischen ihnen und den jeweiligen Leh-
erzeugen, die gute Lehr- und Lernprozesse ermöglicht, die rern abhängt. Das Verhalten von Schülern im Unterricht
Entfaltung der Schüler unterstützt und es den Lernenden ändert sich deutlich, wenn sie im Zuge des Jahrgangs-
ermöglicht, kooperativ zu lernen und motiviert an Lern- stufenwechsels auf neue Lehrer treffen. Verfolgen Lehrer
inhalte heranzugehen (Bildungsdirektion Kanton Zürich, das Ziel, dass die Lernenden vorwiegend ein Verständnis
2006). Betrachtet man Kounins (2006) Ausführungen zur für Lerninhalte erwerben sollen (Lernzielorientierung),
Klassenführung, zeigt sich, dass diese Ideen bereits in den zeigen die Schüler ein Verhalten, das auf ein starkes kog-
frühen Arbeiten vertreten waren. Allerdings noch unter nitives Engagement deutet. Bestanden die Ziele der Leh-
Begriffen wie Schwung oder Gruppenmobilisierung. Aktu- renden und Lernenden darin, Leistung zu demonstrieren
elle Begriffe umfassen dagegen Verhaltensweisen der Lehr- (Leistungszielorientierung), war das Verhalten der Schüler
personen, die in den Bereichen Regulation, Monitoring, sehr wechselhaft und zum Teil störend. Ähnliche Befunde
Begleitung, Rückmeldung und Unterstützung angesiedelt in Bezug auf die Unterstützung selbstregulierten Lernens
sind. in Abhängigkeit der Erwartungen und Zielorientierung
Betrachtet man Klassenführung unter der Perspektive der Lehrenden berichten Perry, VandeKamp, Mercer &
der ▶  Lernbegleitung reihen sich eine Vielzahl von Stu- Nordby (2002). Die Kongruenz bzw. Friktion zwischen
dien in das Syndrom der Klassenführung ein. Vor allem Erwartungen und Handlungen der Lehrenden und Ler-
die Qualität der Interaktion zwischen Lehrenden und Ler- nenden spielt also eine zentrale Rolle für das Gelingen
nenden in der Begleitung, Unterstützung und Rückmel- von Aushandlungsprozessen im Unterricht (Vermunt &
dung von Lernprozessen sowie das Klima innerhalb einer Verloop, 1999).
Klassengemeinschaft werden für die Klassenführung von Ein weiteres Beispiel für Effekte der Qualität der In-
Bedeutung (▶  Exkurs „Effekte distaler und proximaler Varia- teraktionen zwischen Lehrenden und Lernenden auf die
blen zur Messung von Klassenführung“). Lernmotivation, die kognitiven Lernaktivitäten und die
Turner & Patrick (2004) beschreiben den Aushand- Entwicklung von Interesse zeigen die Analysen von Sei-
lungsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden, deren del, Prenzel & Rimmele (2003) sowie von Seidel (2003).
Überzeugungen und Zielorientierungen und die Auswir- Werden die Interaktionen in der Klasse stark von der
kungen der Qualität der Interaktionen zwischen Lehren- Lehrperson dominiert, entstehen für die Lernenden keine
den und Lernenden auf das Verhalten von Schülern. Sie Freiräume für eigenständiges Denken und keine Inter-
zeigen, wie das Verhalten von Schülern von der Qualität nalisierung von Lernzielen. Dementsprechend erleben
118 Kapitel 5 • Klassenführung

sich Schüler in eng geführten Interaktionen nicht in ihrer versitäre Studium integriert (Snyder et al., 2011). Neben
1 Autonomie und ihrer Kompetenz unterstützt und sind in diesen Trainings zum Erwerb von Handlungsfertigkeiten
Folge amotiviert bzw. external motiviert. Im Verlauf eines wird aber auch die Fähigkeit zur Analyse von Klassensitua-
2 Schuljahres entsteht so ein deutlicher Abfall des Interesses tionen geschult. Dazu werden beispielsweise videobasierte
an dem entsprechenden Schulfach. Instrumente entwickelt, anhand derer Studierende ihre
Ähnliche Zusammenhänge werden von Rakoczy Analysefähigkeiten zum Thema Klassenführung trainieren
3 (2007) berichtet: Wertschätzende Beziehungen zwischen können (Gold, Förster & Holodynski, 2013).
Lehrenden und Lernenden im Unterricht hängen eng mit
4 der von den individuellen Schülern wahrgenommenen
Fazit
Autonomie zusammen. Die Bedeutsamkeit der Wahr-
Bei der Klassenführung handelt es sich um ein Syn-
5 nehmung von Autonomie, Kompetenz und sozialer Ein-
drom, das verschiedene Unterrichtsmerkmale bün-
gebundenheit für intrinsische Lernmotivation im Unter-
delt. Zentral ist dabei die Auffassung, Lernumgebun-
richt untermauern eine Reihe weiterer deutschsprachiger
6 Untersuchungen (Seidel, 2011). gen so zu gestalten, dass Lernen störungsarm abläuft,
die vorgegebene Lernzeit maximal ausgeschöpft wird
Auf der Ebene der Schule zeigen sich ebenfalls kon-
7 sistente Befunde zur Bedeutung der Unterstützung durch und die Lehrenden die Lernprozesse optimal begleiten
und unterstützen.
die Lehrpersonen. Lernende, die sich von ihren Lehrern
Die empirische Befundlage zur Relevanz dieser Ele-
unterstützt fühlen, haben positivere Einstellungen gegen-
8 über Schule und Unterricht als Lernende aus Schulen mit mente zeichnet ein eindeutiges Bild: Störungsarmer
Unterricht hat in der Regel positive Wirkungen auf ko-
geringer Unterstützung (Hascher, 2004). In Bezug auf stö-
9 rungsarmen Unterricht zeigt sich, dass erfolgreiche Lehr- gnitive, aber auch motivational-affektive Komponenten
des Lernens. Die optimale Nutzung von Unterrichts-
personen positive und wertschätzende Beziehungen mit
zeit durch die Organisation und Strukturierung des
10 ihren Schülern aufbauen (Mayr, 2006).
Unterrichts hängt wiederum eng mit der Qualität der
Lernprozesse, aber auch der längerfristigen Lernent-
11 5.7 Klassenführung als trainierbare wicklungen (vor allem im kognitiven Bereich) zusam-
Fähigkeit von Lehrenden men. Die Qualität der Begleitung und Unterstützung

12 der Lernprozesse fördern vor allem motivational-


affektive Komponenten des Lernens bei Schülern. Der
Die bisherigen Ausführungen haben sich darauf konzen-
Umgang mit Störungen stellt in gewisser Weise eine
triert, die Verhaltensweisen von Lehrenden bei der Klas-
13 senführung zu beschreiben, und zu untersuchen, inwieweit Voraussetzung für erfolgreiches Lernen dar; die opti-
male Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Zeit
Unterschiede im Verhalten die Lernergebnisse beeinflus-
14 sen. Im Zusammenhang mit der Klassenführung stellt sich die Grundlagen für die Ausführung von Lernaktivitäten;
die Begleitung des Lernens betrifft die Unterstützung
aber auch die Frage, unter welchen Bedingungen diese Fä-
qualitativ hochwertiger Lernprozesse.
15 higkeiten erlernbar bzw. trainierbar sind. Grundsätzlich
geht man davon aus, dass pädagogisch-psychologische
Kompetenzen erlernbar sind (Voss, Kunter & Baumert,
16 2011). Aus diesem Grund wird das Wissen um Klassen- Verständnisfragen
führung auch in der universitären Ausbildung vermittelt 1. Was sind die fünf Merkmalsbereiche einer effektiven Klas-
17 und z. T. die entsprechenden Handlungsfähigkeiten ver- senführung nach dem „Klassiker“ Kounin (1976)?
mittelt. Ein prominentes Beispiel stellt in diesem Zusam- 2. In welche Bereiche lässt sich Klassenführung auf der Basis
menhang das „Incredible Years Teacher Classroom Ma-
18 nagement Training“ (IY TCM) dar (Webster-Stratton et al.,
des heutigen Forschungsstandes einteilen?
3. Was bedeutet Klassenmanagement?
2011). Im IY TCM werden Lehrpersonen zusammen mit 4. Was versteht man unter aktiver Lernzeit?
19 Eltern und weiteren Erziehern darin geschult, ihre Füh- 5. Was bedeutet Lernbegleitung?
rungskompetenzen zu trainieren und zu optimieren. Die
20 Trainings beinhalten Elemente wie effektives Verhaltens- Vertiefende Literatur
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121 6

Medien
Holger Horz

6.1 Entwicklung der Medien und Medienforschung  –  122


6.1.1 Entwicklung der Medien  –  122
6.1.2 Entwicklung der Medienforschung  –  122

6.2 Lernmedien – 123
6.2.1 Texte und Hypertexte  –  124
6.2.2 Bilder, Animationen und Filme  –  126
6.2.3 Multimedia – 129
6.2.4 Einsatz medialer Präsentationen  –  134

6.3 Medien in Bildungskontexten  –  137


6.3.1 Formen des Lehrens und Lernens mit Medien  –  138
6.3.2 Neue Medien in der Schule  –  138
6.3.3 Neue Medien in der Hochschule  –  139
6.3.4 Neue Medien in der beruflichen Fortbildung  –  141

6.4 Medien in außerinstitutionellen Kontexten  –  142


6.4.1 Musik und Radio  –  142
6.4.2 Fernsehen – 143
6.4.3 Computer und Internet  –  144

Literatur – 147

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
122 Kapitel 6 • Medien

In der heutigen sog. Mediengesellschaft prägen Medien-


1 technologien das Lernen und Arbeiten sowie das Freizeit-
verhalten der Menschen in einem größeren Ausmaß als je
2 zuvor. Aufgrund sowohl der stetig zunehmenden sozialen
Bedeutung von Medien als auch wegen ihrer rasanten tech-
nologischen Fortentwicklung gilt es, den Einfluss von Me-
3 dien auf Menschen empirisch zu erfassen, um Hinweise auf
einen sinnvollen und erfolgreichen Umgang mit Medien in
4 den verschiedensten Lebenssituationen geben zu können.
Auf einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Medien
5 und Medienforschung folgen in ▶ Abschn. 6.2 die wichtigsten
Befunde und Theorien zur Rezeption text- und bildbasierter
Lernmedien. Nach der separaten Betrachtung des Lernens
6 mit Texten und Bildern steht in ▶ Abschn. 6.3 das Lernen mit .. Abb. 6.1  (© Dmitriy Shironosov/iStock/Thinkstock)
multimedialen Lernumgebungen aus kognitionspsychologi-
7 scher Perspektive im Mittelpunkt der Betrachtung. Abschlie- In der Phase der technikbasierten Medienkultur, die
ßend werden in diesem Abschnitt einige wichtige Tipps zur mit der Erfindung des Buchdrucks begann, wurden in
zunehmendem Maße Medien entwickelt, die eine höhere
8 medienbasierten Unterrichtsgestaltung referiert, wobei der
Schwerpunkt auf dem Einsatz computerbasierter, multime- Verbreitung durch Vervielfältigungstechniken erbrachten.
dialer Medien in unterschiedlichen Bildungskontexten liegt. Hierzu zählen die sekundären Medien, bei denen einer
9 In ▶ Abschn. 6.4 werden die wichtigsten Fakten zur Medien- der Kommunizierenden technische Hilfsmittel zur me-
nutzung in außerinstitutionellen Kontexten erläutert, wobei dialen Informationsvermittlung einsetzt (z. B. Zeitung).
10 sowohl das Mediennutzungsverhalten als auch die Frage zum Ebenso verbreiteten sich in dieser Epoche die sog. terti-
Einfluss der Medien auf das menschliche Verhalten themati- ären Medien, für deren Gebrauch alle miteinander Kom-
siert werden (. Abb. 6.1). munizierenden technische Hilfsmittel einsetzen müssen
11 (z. B. Radio, Fernsehen). Die Datenvermittlung in den In-
formationsprozessen erfolgt bei sekundären und tertiären
12 6.1 Entwicklung der Medien Medien in analoger Form.
und Medienforschung In der Mitte des 20. Jahrhunderts setzte die Entwick-
lung der quartären Medien ein, die auf computer- und
13 6.1.1 Entwicklung der Medien netzwerkbasierten Informationsvermittlungsprozessen
beruhen, in denen digitale Daten übermittelt werden (z. B.
14 Unter dem Begriff Medien werden umgangssprachlich E-Mail, Internet), weswegen dies den Beginn der digitalen
vor allem technologiebasierte Informationsträger und Medienkultur markiert.
15 -vermittler wie z. B. Computer, Fernseher, Radio etc. ver-
standen. Jedoch sind auch nichttechnologische Medien wie
Gebärden, Sprache, Laute, Schrift und Bilder als Medien 6.1.2 Entwicklung der Medienforschung
16 zu bezeichnen.
Die psychologische Erforschung von Medien und deren
17 Definition  Wirkung setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein.
▶ Medien vermitteln Zeichen (z. B. Sprachlaute, Die frühen medienpsychologischen Arbeiten beschäf-
tigten sich mit den Zusammenhängen zwischen Medi-
18 Buchstaben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder
Objekten mit dem Ziel der Informationsübertragung. ennutzungsverhalten und den individuellen Merkma-
len ihrer Nutzer (Trepte, 2004). Bereits der Beginn der
19 wissenschaftlichen Erforschung von Medien war von
Entsprechend den verschiedenen medialen Innovationen einer deutlichen Skepsis gegenüber den Massenmedien
20 können vier Stufen der Medienentwicklung unterschieden und ihrem gesellschaftlichen Einfluss geprägt (Peters &
werden. Die primäre Medienkultur umfasst die Epoche bis Simonson, 2004; ▶  Exkurs „Ist die Glaubwürdigkeit einer
1450, in der allein personengebundene Medien (z. B. Spra- Informationsquelle letztlich irrelevant?“). Der kulturelle
21 che) oder Medien, die einzeln hergestellt werden (Briefe, Medienpessimismus, der bis heute (z. B. Spitzer, 2005,
Schriften, gemalte Bilder), benutzt wurden. Die hier einge- 2012) vor allem in populärwissenschaftlichen Büchern
22 setzten Medien werden als primäre Medien bezeichnet und zur Mediennutzung postuliert wird, ist dabei empirisch
kommen ohne technische Vervielfältigungsmethoden aus. kaum abgesichert und theoretisch nur wenig begründet,
6.2 • Lernmedien
123 6

Exkurs  |       |  Exkurs  |       | 


Ist die Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle Historische Forschung zu aggressivem Verhalten
letztlich irrelevant? durch Fernsehkonsum
Aus heutiger Sicht von besonderer Bedeutung sind die Albert Bandura (1965; Bandura, Ross & Ross, 1963) zeigte
frühen medienpsychologischen Untersuchungen von Carl Vorschulkindern in einem Experiment einen Film, in dem ein
Hovland und Kollegen (Hovland & Weis, 1951; Hovland, Erwachsener mit verschiedenen Gegenständen spielte und
1959) zur Wirksamkeit von Medien in Abhängigkeit von der gegenüber einer Puppe in Kindgröße verschiedene aggres-
Glaubwürdigkeit einer Informationsquelle. So konnte ein sive Verhaltensweisen (z. B. schlagen, beschimpfen) zeigte.
sog. Sleeper-Effekt nachgewiesen werden: Die wahrge- Bandura variierte das Ende des Films, indem (a) eine zweite
nommenen Glaubwürdigkeitseinschätzungen einer als Person hinzukommt, die den Erwachsenen mit Süßigkeiten
glaubwürdig und einer als unglaubwürdig dargestellten belohnt, (b) diese zweite Person den aggressiven Erwachse-
Kommunikationsquelle nähern sich umso mehr einander an, nen bestraft und (c) keine Person oder weitere Handlung zu
je mehr Zeit seit der Informationsaufnahme vergangen ist. sehen ist (Kontrollgruppe). Anschließend sollten die Kinder
Es konnte aber auch gezeigt werden, dass die Angleichung in einem Nebenraum mit denselben Spielzeugen wie der Er-
der Glaubwürdigkeit verschiedener Informationsquellen wachsene im Film spielen. Darunter war auch die Puppe, mit
rückgängig gemacht werden kann, wenn man die (Un-) der im Film aggressiv umgegangen wurde. Dabei ahmten die
Glaubwürdigkeit der jeweiligen Quelle den Rezipienten Kinder auch das im Film beobachtete aggressive Verhalten
erneut in Erinnerung ruft. gegenüber der Puppe nach, wobei die Kinder, welche die
Bestrafung des Erwachsenen im Film betrachteten, weniger
aggressives Verhalten zeigten, als die Kinder der beiden
anderen Gruppen, die sich im Verhalten kaum unterschie-
erklärt aber, warum in der wissenschaftlichen Literatur den. Gerade weil sich die Kinder der Kontrollgruppe ähnlich
aggressiv verhielten wie die Kinder der Gruppe, in der der Er-
bis heute das Gefahrenpotenzial insbesondere der Mas-
wachsene im Film belohnt wurde, folgerte man, dass Gewalt
senmedien betont wird. in Film und Fernsehen ein Modellverhalten für Kinder dar-
Erst in den 1960er und 1970er Jahren nahm die Zahl stellt. Studien der 1970er Jahre konnten jedoch nachweisen,
der wissenschaftlichen Publikationen, in denen Medien- dass das Betrachten von aggressiven Inhalten im Fernsehen
phänomene primär durch Rückgriff auf psychologische nicht kausal zu langfristig aggressiverem Verhalten führt.
Vielmehr beeinflusst u. a. das Familienklima (Schneewind,
Theorien und Methoden untersucht wurden, zu. Insbe-
1978), inwiefern Kinder langfristig aggressives Verhalten
sondere die Forschung zu Einflüssen des Fernsehens setzte zeigen. Eine detailliertere Darstellung zu Auswirkungen des
die Tradition einer deutlichen „Medienskepsis“ fort. So Konsums gewalthaltiger Medien erfolgt in einem Exkurs in
wurde der Fernsehkonsum von Kindern in den 1960er ▶ Abschn. 6.4.2.
Jahren für zahlreiche psychovegetative Störungen verant-
wortlich gemacht und in Verbindung mit einer vermeint-
lich zunehmenden Aggressivität von Kindern gebracht 6.2 Lernmedien
(▶  Exkurs „Historische Forschung zu aggressivem Verhal-
ten durch Fernsehkonsum“). In den 1970er Jahren setzte Lernmedien werden mit dem Ziel eingesetzt, kognitive
auch die medienpsychologische Forschung zu Fragen der Prozesse bei den Rezipienten auszulösen, die zu einer
Mensch-Computer-Interaktion ein. Kein anderes Medium langfristigen Anpassung bestehender Wissensstrukturen
führte zu einem solch deutlichen Anstieg der Forschungs- führen (Adaption), in die neue Informationen integriert
aktivitäten im Bereich der Medienpsychologie wie die ra- werden (Assimilation) bzw. die den Aufbau neuer Wis-
sche Verbreitung der Computer insbesondere der Personal sensstrukturen (Akkomodation) bedingen. Weiterhin
Computer. können Medien zur Automatisierung und Schematisierung
Neuere medienpsychologische Arbeiten fokussieren des Wissens beitragen.
den Einsatz von Medien in Lern- und Arbeitssettings, als Bei der hier am Lernbegriff des kognitiven Entwick-
Mittler in globalisierten Kommunikationskontexten und lungsmodells Piagets (2003) ausgerichteten Darstellung des
als Unterhaltungswerkzeuge. Aus pädagogisch-psycholo- medienbasierten Lernens ist zusätzlich zu berücksichtigen,
gischer Sicht stehen heute insbesondere die Fragestellun- dass die Verarbeitung neuer Information und die aktive
gen zur Gestaltung von Lernmedien, Einsatzszenarien von Verknüpfung mit bestehenden Wissensstrukturen im Ar-
Medien in Lernkontexten im wissenschaftlichen Fokus. beitsgedächtnis stattfinden. Jedoch ist die Verarbeitungs-
Weiterhin werden Fähigkeiten, die für einen kompetenten kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt (Baddeley,
Umgang mit Medien erworben werden müssen, sowie die 1992). Aus der begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächt-
vermeintlichen und tatsächlichen (Gefahren-)Potenziale nisses ergibt sich die Notwendigkeit, den medienbasierten
von Medien in zahlreichen Forschungsprojekten themati- Lernprozess so zu gestalten, dass keine Überlastung des
siert. Nachfolgend werden analoge und computerbasierte Arbeitsgedächtnisses auftritt (▶ Abschn. 6.2.3). Weiterhin
Lernmedien thematisiert. sollten bei der instruktionalen Gestaltung von Lernmedien
124 Kapitel 6 • Medien

(Instructional Design) die kognitiven, motivationalen und Hypertexte erlauben höhere Freiheitsgrade beim Lernen
1 emotionalen Anforderungen des Lernens mit Medien so- als konventionelle Texte in ihrer Gestaltung. So können
weit als möglich berücksichtigt werden, damit Lernziele Redundanzen vermieden werden, indem Hyperlinks
2 möglichst effizient erreicht werden können. zu Textteilen an die Stellen gesetzt werden, an denen in
Lernmedien werden üblicherweise anhand ihrer me- konventionellen Texten in der Regel redundante Textab-
dialen Repräsentationsform (▶  Medialität), ihrer Ko- schnitte verwendet werden. Vielfach wird vermutet, dass
3 dierungsform (▶ Kodalität) und anhand der Sinnesmo- die netzwerkartige Darstellung von Informationen in Hy-
dalität, die zur Verarbeitung einer Information benötigt pertexten einen Lernvorteil an sich darstellt, weil in kog-
4 wird (▶ Modalität), unterschieden. So kann z. B. ein ge- nitivistischen Modellen des Langzeitgedächtnis auch von
schriebener Text in Buchform vorliegen oder mittels eines einem netzwerkartigen Aufbau der Wissensrepräsentati-
5 Computerbildschirms präsentiert werden (Unterschied in onen (Anderson, 2001) ausgegangen wird. Diese „kogni-
der Medialität). Während geschriebene Texte durch Buch- tive Plausibilitätshypothese“ (Schulmeister, 1997) hat sich
staben erzeugt werden, basieren gesprochene Texte auf jedoch empirisch nicht bestätigt (Rouet & Levonen, 1996).
6 Lauten (Unterschied in der Kodalität). Dadurch müssen
geschrieben Texte in der Regel mittels des visuellen Sys- Lernen mit Texten und Hypertexten
7 tems, gehörte Texte hingegen mittels des auditiven Systems Um Texte und Hypertexte als Lernmedien nicht nur münd-
(Unterschied in der Modalität) rezipiert werden. lich, sondern auch schriftlich adäquat nutzen zu können,
ist es für die Lernenden notwendig, über eine adäquate
8 Lesekompetenz zu verfügen.
6.2.1 Texte und Hypertexte
9 Definition 
Texte sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Als Lesekompetenz (▶ Kap. 16 und ▶ Kap. 17) wird
10 Form (z. B. Audiofile, Unterrichtsvortrag) gelten weiterhin die Fähigkeit bezeichnet, sachrichtig Informationen
als „Leitmedium“ (Schnotz, 2006) in Lehr- und Lernsitu- aus schriftlichen Texten entnehmen zu können (van
ationen. Texte stellen eine zusammenhängende Informa- Dijk & Kintsch, 1983; Richter & Christmann, 2002). Die
11 tionsressource in geschriebener Sprache dar, die aus per Lesekompetenz setzt sich aus hierarchisch geordne-
Konventionen festgelegten Symbolen (Phoneme, Silben, ten Teilfähigkeiten zusammen. Diese Teilfähigkeiten
12 Worten, Sätzen) besteht. In Abhängigkeit von der Kultur umfassen hierarchieniedrige basale Wahrnehmungs-
bestehen sehr unterschiedliche Formen, wie diese Konven- und Identifikationsprozesse (z. B. Buchstaben- und
tionen umgesetzt werden, was z. B. durch unterschiedliche
13 Alphabete deutlich wird.
Wortidentifikation beim Lesen einer Zeitung). Zudem
werden hierarchiehohe Prozesse zum Aufbau interner
Während Texte seit Jahrhunderten genutzt werden, um mentaler Repräsentationen benötigt (z. B. Verstehen
14 Informationen zu vermitteln und zu archivieren, stellen eines Zeitungsartikels, der über Wahlergebnisse
Hypertexte eine vergleichsweise neue Form der Textreprä- berichtet) sowie zur Interpretation und Evaluation der
15 sentation dar. Insbesondere durch die stark angestiegene Textinformationen (z. B. Bewertung eines Wahlergeb-
Verbreitung von Computern als Lernmedien werden Hy- nisses, über das man in der Zeitung gelesen hat, auf
pertexte in zunehmender Zahl als Lernmedien eingesetzt, dem Hintergrund der eigenen Vorkenntnisse über
16 da sie in computergestützten Lernumgebungen einfacher Wahlsystem, bisherige Machtverhältnisse etc.).
realisiert werden können als in anderen Medien. Ein sehr
17 bekanntes Beispiel für ein solches Hypertext-/Hyperme-
dia-Angebot im Internet ist Wikipedia. Um einen Text zu lesen, müssen folgende perzeptuelle und
18
19
Definition 
▶ Hypertexte stellen eine spezifische Form von
Texten dar, weil sie Textteile mittels spezifischer
-
kognitive Verarbeitungsprozesse durchgeführt werden:
Zunächst werden einzelne Buchstaben visuell wahr-
genommen und zu Worten zusammengesetzt. Auf
diese Weise entsteht eine mentale Textoberflächenre-
Verknüpfungen (Hyperlinks) in meist nichtlinearer präsentation. Diese ermöglicht dem Lernenden eine
20 Form präsentieren. Dadurch entsteht eine netz- wörtliche Widergabe des Textes, allerdings entsteht
auf dieser Ebene des Leseprozesses noch kein Ver-

-
werkartige Struktur zwischen den einzelnen Teilen
eines Hypertexts. Werden nicht nur Texte, sondern ständnis des Textes.
21 verschiedene Medien (Bilder, Texte, Animationen etc.) Für ein inhaltliches Verständnis eines Textes ist der
miteinander durch Hyperlinks verknüpft, spricht man Aufbau eines propositionalen Modells nötig (van
22 von ▶ Hypermedia. Dijk & Kintsch; 1983). In einem propositionalem
Modell wird der Text nicht mehr wörtlich, sondern
6.2 • Lernmedien
125 6

nur durch miteinander verknüpfte Sinneinheiten die Alphabetisierung bei allen Angehörigen einer Kultur
(Propositionen) repräsentiert (z. B. der Begriff „De- gelingt. Auch in technisch und sozial hoch entwickelten
mokratie“ ist bei den meisten Menschen verbunden Gesellschaften verfügen relevante Minderheiten nicht über
mit Sinneinheiten wie Wahlen, Wahlfreiheit, Parla- die Fähigkeit, schriftliche Texte ausreichend zu verstehen

- ment etc.).
Neben der eher abstrakten Repräsentation in einem
propositionalen Modell, wird der Textinhalt auch in
einem mentalen Modell repräsentiert. Das mentale
oder zu produzieren, ohne dass gesundheitliche Gründe
(z. B. hirnorganisch bedingte intellektuelle Defizite) dem
erfolgreichen Erwerb einer Schriftsprache im Weg stehen.
So sind in Deutschland knapp 2 % der Bevölkerung „echte“
Modell besteht aus einer analogen und realitätsnahen Analphabeten, jedoch müssen ca. 14 % der Bevölkerung
kognitiven Repräsentation der Inhalte eines Textes als funktionale Analphabeten eingestuft werden (Grot-
(auch ▶ Abschn. 6.2.3). Mentale Modelle sind subjek- lüschen & Riekmann, 2012).
tive Strukturen, welche die reale Welt im Arbeitsge-
dächtnis abbilden (Johnson-Laird, 1983). Setzt man Definition 
die vorherigen Beispiele fort, so wäre das mentale Der Begriff funktionaler Analphabetismus bezeich-
Modell, das beim Lesen eines Zeitungsartikels über net die unzureichend entwickelte Fähigkeit, die
eine Wahl entsteht, angereichert mit subjektiven Er- schriftbasierte Sprache in sozial adäquater Weise zu
innerungen, ob man die Partei präferiert, die gewann, verstehen und Texte zu produzieren. So können Men-
die bildlichen Erinnerungen an das Aussehen der im schen, die als funktionale Analphabeten einzustufen
Artikel erwähnten Politiker usw. sind, zwar meist ihren Namen schreiben und einzelne
Worte erkennen, sind jedoch nicht in der Lage, län-
Ein für das Verständnis eines Textes zentrales Merkmal ist gere Texte zu verstehen (▶ Abschn. 16.1).
der Grad der Textkohärenz. In der Regel bestehen Texte
aus Sätzen, die aufeinander bezogen sind, um einen Inhalt
kohärent zu beschreiben. Dabei kann man zwischen der Vorwissen und Lesefähigkeit. Das Lernen mit Texten und
lokalen und globalen Textkohärenz unterscheiden. Wäh- Hypertexten wird von zahlreichen individuellen Fak-
rend sich die lokale Textkohärenz allein auf den thema- toren beeinflusst (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele,
tischen Zusammenhang zwischen zwei Sätzen bezieht, 2001; Richter & Christmann, 2002; ▶ Abschn. 17.5; ▶ Ab-
bezeichnet die globale Textkohärenz den thematischen schn. 16.1). So sind bei Schülern einer Klasse erhebliche
Zusammenhang aller Sätze eines Textes in Bezug auf des- Unterschiede in der allgemeinen Lesefähigkeit, in der Le-
sen Thema. Das Verständnis eines Textes ist einfacher, segeschwindigkeit sowie in den für das Lesen relevanten
wenn eine hohe lokale und insbesondere eine hohe globale Teilprozessen wie z. B. Geschwindigkeit des Zugriffs auf
Textkohärenz vorliegen und wenn die Themen eines Tex- den Wortschatz, Wortschatzumfang, Textverständnis und
tes kontinuierlich aufeinander aufgebaut werden (Schnotz, Inferenzbildung (Schlussfolgerungen, die über den gele-
1994). senen Inhalt hinausgehen) zu beobachten. Insbesondere
Beim Lernen mit Hypertexten ergeben sich zusätzliche das thematische Vorwissen und die Lesefähigkeit können
Anforderungen an die Leser, die bei der Lektüre konven- das Lernen mit (Hyper-)Texten beeinflussen (u. a. Rich-
tioneller Texte nicht auftreten. Schwieriger als in einem ter, Naumann, Brunner & Christmann, 2005; Naumann,
konventionellen Text ist das gezielte Auffinden von Infor- Richter, Flender, Christmann & Groeben, 2007). So verrin-
mationen. Letzteres beansprucht dabei umso mehr kogni- gert ein geringes inhaltliches Vorwissen die Effizienz des
tive Ressourcen, je komplexer das Netzwerk verschiedener Aufbaus propositionaler und mentaler Modelle während
Textteile in einem Hypertext wird. des Lernens mit Texten. Zudem ist die Interpretation und
Evaluation von Texten nur eingeschränkt möglich, wenn
Individuelle Faktoren des Lernens Lernende über geringes inhaltliches Vorwissen verfügen
mit Texten und Hypertexten oder basale Leseprozesse nicht vollständig automatisiert
Erwerb der Schriftsprache.  Grundlegende Voraussetzung sind.
zum Verständnis von mündlich dargebotenen Texten Die Fähigkeit im Umgang mit computerbasierten Hy-
ist die Kenntnis der wesentlichen Konventionen einer pertexten beeinflusst den Lernerfolg mit diesem Medium
Sprache. Um schriftliche Texte verstehen zu können, ist in entscheidender Weise. So kann eine erhebliche Desori-
darüber hinaus die Beherrschung der Schriftsprache („Al- entierung von Lernenden bei der Bearbeitung von komple-
phabetisierung“) nötig. Der Erwerb einer Schriftsprache xen Hypertexten auftreten, die als „Lost-in-Hyperspace“-
erfolgt in jahrelangen – meist institutionalisierten – Lern- Phänomen bekannt ist (Conklin, 1987). Lernende mit
prozessen. Dabei ist es auch in technisch und sozial hoch- geringer Erfahrung im Umgang mit computerbasierten
entwickelten Kulturen keineswegs selbstverständlich, dass Lernmedien erreichen beim Lernen mit Hypertexten meist
126 Kapitel 6 • Medien

einen weitaus geringeren Lernerfolg als Personen mit hö-


1 herer Expertise in diesem Bereich (z. B. Horz, 2004). Zu- 2. Gliederung/Ordnung:
Ein Text sollte eine klar erkennbare äußere Gliede-
sätzlich beeinflusst das thematische Vorwissen die Rezep-
rung haben (z. B. inhaltlich aufeinander bezogene
2 tion von Hypertexten (u. a. Last, O‘Donnell & Kelly, 2001),
Teile werden unter einer Überschrift dargestellt,
da Lernende mit höherem thematischem Vorwissen we-
Wesentliches ist hervorgehoben etc.). Zudem sollte
niger Orientierungsprobleme in Hypertexten aufweisen.
3 eine logische innere Ordnung vorhanden sein, in
Gestaltung von Texten und Hypertexten der Informationen aufeinander bezogen dargestellt
4 Der erfolgreiche Einsatz von (Hyper-)Texten als Lernme- werden, sodass ein roter Faden im Textaufbau
erkennbar wird.
dien hängt von ihrer Gestaltung ab. Die Qualität der Gestal-
3. Kürze/Prägnanz:
5 tung wird durch eine Vielzahl von Oberflächenmerkmalen
Texte sollten sich auf notwendige Formulierungen
wie Schriftart und Schriftgröße, aber auch von inhaltlichen
beschränken und keine weitschweifigen und/oder
Merkmalen wie Wort- und Satzlänge, Textkomplexität und
6 -ordnung, Prägnanz und motivierende Textgestaltung be- redundanten Darstellungen enthalten.
4. Zusätzliche Stimulanz:
dingt. Während für Oberflächenmerkmale empirisch gut
7 gesicherte Standards existieren (Ballstaedt, 1997), ist die Ein Text sollte den Leser motivieren, ihn vollständig
zu rezipieren. Dazu sollte ein Text ein mittleres Maß
Bestimmung der inhaltlichen Qualität eines Textes weitaus
an Stimulanz enthalten, das durch anschauliche
schwieriger.
8 Eine gebräuchliche Sammlung von Kriterien zur in- Darstellungen, originelle Formulierungen, direkte
Ansprache des Lesers etc. erreicht werden kann.
haltlichen Textgestaltung stellt bis heute das „Hamburger
9 Verständlichkeitskonzept“ dar (Langer, Schulz von Thun &
Tausch, 1974). In diesem Konzept werden vier Dimensio-
10 nen der Verständlichkeit von Texten genannt, die faktoren-
6.2.2 Bilder, Animationen und Filme
analytisch anhand von Expertenurteilen ermittelt wurden
(▶ Übersicht).
11 Diese vier Dimensionen der Textverständlichkeit sind Bilder haben als Lernmedien eine lange Tradition. Heute
weitgehend unkorreliert. So ist es möglich, dass ein Text werden unterschiedlichste Formen statischer und beweg-
12 eine hohe Ausprägung auf einer Dimension aufweist, wäh- ter Bilder (Animationen, Filme) für eine Vielzahl inst-
rend er auf einer anderen Dimension nur gering ausgeprägt ruktionaler Funktionen eingesetzt. Neben der genannten
ist. Unterscheidung zwischen statischen und bewegten Bil-
13 Der Hamburger Verständlichkeitsansatz wird sowohl dern wurde eine Reihe unterschiedlicher Kategorisie-
wegen seiner atheoretischen Herleitung, die allein auf Ex- rungssysteme entwickelt, um Bildtypen unterscheiden zu
14 pertenurteilen basiert, als auch wegen der für die Praxis können. Den meisten dieser Kategorisierungen ist gemein,
unzureichenden Spezifizierung der Verständlichkeitsdi- dass sie die Bilder nach dem Grad der realitätsgetreuen
15 mensionen kritisiert (Groeben, 1982). Weiterhin konnte Darstellung unterscheiden. So zeichnen sich Fotografien
empirisch gezeigt werden, dass die Verständlichkeit eines und realistische Zeichnungen durch eine hohe Realitäts-
Textes insbesondere von der inhaltlichen und gedankli- nähe aus. Skizzen und vereinfachte Abbildungen enthalten
16 chen Strukturierung abhängt (Christmann & Groeben, meist wenig detaillierte, reduzierte Abbildungen zentraler
1999). Trotz dieser Kritik ist das Hamburger Verständ- Elemente des abgebildeten Objekts. Schemata und logi-
17 lichkeitskonzept aufgrund seiner klaren Gestaltungsregeln sche Bilder repräsentieren nur noch einzelne Elemente
zur Erstellung von Texten von hohem praktischem Nutzen. eines Objekts oder einen Sachverhalt in abstrakter Form
Darüber hinaus mangelt es in diesem Bereich an ähnlich (. Abb. 6.2).
18 praktikablen Gestaltungsempfehlungen. Unter den verschiedenen Abbildungsformen, die in
Lernmedien eingesetzt werden, sind die logischen Bilder
19 hervorzuheben.
Dimensionen des „Hamburger
Verständlichkeitskonzepts“ Definition 
20 1. Sprachliche Einfachheit:
Logische Bilder stellen Zusammenhänge zwischen
Ein Text sollte kurze, einfache Formulierungen ver-
Merkmalen eines Objekts oder Sachverhalts dar,
21 wenden. Wenn möglich, sollten geläufige, konkret-
wobei mit Ausnahme der Isotypendiagramme keine
anschauliche Wörter genutzt werden. Fremdworte
Ähnlichkeit mit dem eigentlichen Objekt oder Sach-
22 sollten nur sparsam eingesetzt und erklärt werden.
verhalt besteht.
6.2 • Lernmedien
127 6
.. Abb. 6.2  Abbildungen von Hasen mit Realistische Abbilder
zunehmender Realitätsnähe
Schematisches Vereinfachte Realistische
Fotografie
Bild Abbildung Abbildung

Niedrig Realismus der Abbildung Hoch

Logisches Bild

Normierte Ohrenlänge
Hasen
Abstrakte Darstellung
ohne realistische Kaninchen
Abbildungselemente

Gewicht

Ziel von logischen Bildern ist die Veranschaulichung ab- Die kognitive Verarbeitung von Bildern erfolgt zu-
strakter Sachverhalte. Die bekanntesten Typen logischer nächst in Form präattentiver Prozesse. Hierunter fasst
Bilder sind Kreis-, Balken-, Säulen-, Kurven-, Linien-, man visuelle Routinen zusammen, die automatisiert ent-
Punkte-, Streu- und Isotypendiagramme (. Abb. 6.3; Ball- lang von Wahrnehmungsgesetzen (z. B. „Gesetz der gu-
staedt, 1997). ten Gestalt“) ablaufen und kaum bewusst gesteuert oder
vom Vorwissen der Lernenden beeinflusst werden. Durch
Lernen mit Bildern, Animationen und Filmen präattentive Prozesse nehmen wir ein Bild in seiner Ge-
Verarbeitung von Bildern samtheit wahr. Für eine vertiefte Verarbeitung eines Bil-
Aus instruktionaler Sicht können Bilder in Lernumgebun- des müssen dann attentive Prozesse folgen, in denen
gen sehr verschiedene lernförderliche Funktionen haben. Elemente eines Bildes einer bewussten und zielgerichteten
Werden Bilder allein aus ästhetisch-dekorativen Gründen Analyse unterzogen werden. Dabei ergeben sich aus dem
eingesetzt, ist davon auszugehen, dass sie den Lernpro- Bildformat (z. B. realistisches Foto vs. logische Abbildung)
zess behindern, da sie bei der Informationsverarbeitung unterschiedliche Anforderungen an das Vorwissen der Re-
einer Lernumgebung kognitive Ressourcen des Arbeitsge- zipienten, da sie mit kulturellen Konventionen hinsichtlich
dächtnisses beanspruchen, ohne lernrelevante kognitive der Darstellungsformen und ihrer Bedeutung vertraut sein
Prozesse auszulösen oder zu erleichtern. Daher werden müssen, um ein Bild adäquat zu interpretieren. So stellt
dekorative Bilder in Lernumgebungen auch als „seductive z. B. in einem Kreisdiagramm der gesamte Kreis in der
details“ bezeichnet (Levin, Anglin, Carney, 1987; Harp & Regel 100 % der betreffenden Gesamtmenge dar und je-
Mayer, 1998). Ein Beispiel für eine Lernumgebung mit der Sektor entspricht in seiner relativen Größe dem Anteil
zahlreichen „seductive details“ stellt die „Sesamstraße“ einer Kategorie an der Gesamtmenge. Dabei ist zu beden-
dar. Es konnte gezeigt werden, dass Kinder sich überwie- ken, dass Bilder nicht in all ihren Details analog mental
gend die dekorativen Elemente der Sendungen merkten repräsentiert werden, sondern die mentale Repräsentation
und nur in geringem Maße die zu lernenden Informati- von Bildern bei den Lernenden anhand von mentalen Mo-
onen behielten (Fisch, 2004). Inwiefern aber „seductive dellen erfolgt, wie dies auch bei der Verarbeitung von Tex-
details“ eine motivationsstützende Funktion haben, die ten geschieht (▶ Abschn. 6.2.1). Das heißt, ähnlich wie bei
Kinder animiert, sich überhaupt mit Lerninhalten aus Texten werden nur die wichtigsten Bedeutungseinheiten
Lernumgebungen wie der Sesamstraße befassen, ist bisher von Bildern mental repräsentiert.
nicht eindeutig geklärt. Sicher ist jedoch, dass informative
Bilder (z. B. Grafiken, Diagramme etc.), die nicht primär
aus dekorativen Gründen in eine Lernumgebung integriert
sind, den Lernprozess auf unterschiedliche Weise fördern
können (▶ Übersicht).
128 Kapitel 6 • Medien

1
2
3
4
a b

5
6
7
8
c d
9
10
11
12
e f
13 .. Abb. 6.3a–f  Beispiele logischer Bilder. a Säulendiagramm, b Balkendiagramm, c Punktediagramm, d Liniendiagramm, e Kreisdiagramm,
f Isotypendiagramm

14
Verarbeitung von Filmen und Animationen
Für den Lernprozess förderliche Merkmale
15
-
Weit verbreitet ist die Annahme, dass bewegte Bilder wie
informativer Bilder
Animationen und Filme das Lernen in größerem Maße
Interpretationserleichterung:
fördern als statische Bilder, da sie Informationen in einer
16 Bilder können Inhalte veranschaulichen, konkreti-

-
Art und Weise darbieten, die der Alltagswahrnehmung in
sieren und so deren Verständnis erleichtern.
höherem Maße entspricht als statische Bilder oder Texte.
17 Motivation:
Bilder können das Interesse der Lernenden wecken
Eine Metaanalyse von Höffler und Leutner (2007) zeigte

-
eine durchschnittliche Überlegenheit von Animationen
oder während des Lernens aufrechterhalten.
hinsichtlich des Lernerfolgs gegenüber statischen Dar-
18 Orientierung und Strukturierung:
stellungen. Aktuelle Forschungsarbeiten deuten zugleich
Komplexe Inhalte und Inhaltsstrukturen können
darauf hin, dass die Effektivität des Lernens mit Animati-
19 durch Bilder einfacher „auf einen Blick“ dargestellt

-
onen und Filmen sowohl von deren Gestaltung abhängt als
werden.
auch von zentralen Lernermerkmalen (Lowe & Schnotz,
Vertiefte Enkodierung:
20 Bilder können die Behaltensleistung und Verar-
2008; Höffler & Leutner, 2007). Animationen und Filme
sind als Lernmedien dann von besonderem Nutzen, wenn
beitungstiefe von Lernmaterialien verbessern
die Lernenden ein dynamisches („animiertes“) mentales
21 (▶ Abschn. 6.2.3).
Modell erstellen sollen und die Animation diese dynami-
sierte mentale Repräsentation unterstützt. Allerdings kann
22 eine Animation oder ein Film auch zu einer mangelhaf-
ten Repräsentation führen, da die dargebotenen bewegten
6.2 • Lernmedien
129 6

Bilder im Unterschied zu statischen Bildern flüchtig sind. bar sein sollten. Hierfür ist eine Darstellungsperspektive
Daher müssen Lernende bei Filmen und Animationen im zu wählen, die möglichst alle relevanten Bildelemente er-
Arbeitsgedächtnis über eine längere Zeitspanne hinweg kennen lässt. Ebenso sind eine angemessene Detailliertheit
aktuelle Bilder fortlaufend mit zuvor gesehenen Bildern sowie die Auswahl eines realitätsnahen Darstellungskon-
integrieren, was eher zu einer Überlastung des Arbeitsge- textes von Bedeutung.
dächtnisses führen kann, als die Rezeption von statischen Für logische Bilder gilt darüber hinaus, dass die ge-
Bildern (vgl. auch „Split-attention-Effekt“, ▶ Abschn. 2.3). wählte Repräsentationsform den darzustellenden Inhalt
Zwar können sich Filme und Animationen aus moti- möglichst exakt wiedergibt und die Interpretation der zen-
vationaler Sicht als günstige Lernmedien erweisen, wobei tralen Sachverhalte möglichst durch das gewählte Format
jedoch die positive motivationale Wirkung von Filmen und eines logischen Bildes unterstützt werden sollte. Weiterhin
Animationen nicht unbedingt zu einem höheren Lerner- sollte nach Schnotz (2006) der Aufbau logischer Bilder so
folg führt. So wird das Betrachten von Filmen im Vergleich gewählt sein, dass die Syntax, Semantik und Pragmatik
zum Lesen eines Textes als „einfach“ durch die Lernenden der Gestaltung optimiert sind. Die Gestaltungssyntax
empfunden und das Betrachten von Filmen macht den beschreibt die Beziehungen der Bildelemente zueinander.
Lernenden vergleichsweise mehr Spaß als z. B. die Bearbei- So sind in logischen Bildern Elemente, die zusammen-
tung textbasierter Lernmedien. Es ist jedoch zu beachten, gehören, als solche kenntlich zu machen. Dies kann z. B.
dass dies dazu führen kann, dass sich Lernende weniger durch die Farbgebung, die Nutzung unterschiedlicher
anstrengen, die Inhalte eines Films mental zu bearbeiten Texturen, Umrahmungen, Legenden etc. erfolgen. Um die
und mit ihrem Vorwissen zu verknüpfen als beim Lesen Bedeutung der einzelnen Bildelemente zu verdeutlichen,
eines Textes („Television-is-easy-Effekt“; Salomon, 1984). bedarf es einer klaren Gestaltungssemantik. So werden
z. B. unterschiedliche Objektmengen durch entsprechende
Individuelle Faktoren proportionale Größendarstellungen in logischen Bildern
Attentive Prozesse sind in hohem Maße abhängig vom dargestellt, wohingegen unterschiedliche qualitative Merk-
Vorwissen der Lernenden. Lange Zeit war man der Über- male vor allem durch verschiedene Formen oder Farben
zeugung, dass der Lernerfolg mit dem Realismusgrad eines repräsentiert werden. Letztlich ist bei logischen Abbildun-
Bildes oder einer Filmsequenz ansteigt („Realismusthese“). gen darauf zu achten, dass die Darstellungsform ein sach-
Diese Annahme konnte jedoch durch Dwyer (1978) wider- richtiges Erkennen der dargestellten Inhalte unterstützt
legt werden, indem er nachwies, dass Lernende mit gerin- (Gestaltungspragmatik). So sollten die Rezipienten nicht
gerem Vorwissen durch abstrahierte Zeichnungen mehr zur Annahme falscher Schlussfolgerungen durch die Ge-
lernten als durch realitätsgetreue Bilder. staltung eines logischen Bildes verleitet werden, indem
Ebenso ist ein erhebliches Maß an Vorwissen notwen- z. B. Achsen unterbrochen, nicht beim Nullpunkt angesetzt
dig, um logische Bilder und ▶ Piktogramme sachrichtig zu oder Proportionen in unzulässiger Weise dargestellt wer-
interpretieren. Ist man mit den kulturellen Konventionen den. Falsche Schlussfolgerungen können auch entstehen,
nicht oder nur unzureichend vertraut, unter deren An- wenn relationale Unterschiede durch Vergrößerung von
nahme ein logisches Bild oder Piktogramm erstellt wurde, Flächen dargestellt werden, statt richtigerweise durch Län-
bleibt ein Bild meist unverständlich oder wird falsch in- gen (. Abb. 6.4).
terpretiert.
Nicht nur das Verständnis von Bildern, sondern auch
die Nutzung von Filmen und Animationen muss erlernt 6.2.3 Multimedia
werden. So sind z. B. Kinder im Grundschulalter durch
filmische Erzähltechniken wie Rückblenden oder raschen Die Begriff ▶  Multimedia wurde durch die rasche Ver-
Szenenwechseln überfordert. Es gibt auch einzelne Hin- breitung des Computers als Lernmedium in den 90er
weise darauf, dass Fernsehen bei Kindern die Fantasie we- Jahren populär. Dabei sind im eigentlichen Sinne keines-
niger anregt, als wenn sie Geschichten erzählt bekommen. wegs nur digitale (Lern-)Medien als „multi“-medial zu
Jedoch ist die Schlussfolgerung, dass Filme, Fernsehen bezeichnen, wenn sie verschiedene Medien beinhalten,
oder interaktive Medien eine ungünstigere kognitive Ent- sondern z. B. nahezu alle Lehrbücher, Lehrfilme oder Un-
wicklung bedingen, in dieser Form nicht haltbar (▶ Ab- terrichtsformen sind multimedial, da in ihnen Medien
schn. 6.2.3 und ▶ Abschn. 6.4). unterschiedlicher Kodierungsformen enthalten sind, die
z. T. auch verschiedene Sinnesmodalitäten ansprechen.
Gestaltung von Bildern, Animationen Wenn man aber die Interaktivität von Medien als ein
und Filmen Kennzeichen von Multimedia mit einbezieht, kennzeich-
Grundsätzlich gilt für Bilder in Lernumgebungen, dass net dieser Begriff insbesondere computergestützte Lern-
Bildelemente an sich klar erkennbar und gut differenzier- medien.
130 Kapitel 6 • Medien

.. Abb. 6.4  Beispiele für Grafiken mit


1 Fehlern in der Gestaltungssemantik und
-pragmatik. In den beiden oberen Abbildun-
gen wirken die abgebildeten Unterschiede
2 trotz identischer Daten in der rechten
Abbildung größer, da die Ordinate erst bei
einem Wert vom 20 beginnt. In der unteren
3 Abbildung werden die Flächen der Objekte
proportional vergrößert statt richtigerweise
nur deren Höhe
4
5
6
7
8
9 Definition  mentale Repräsentation (in Form „analoger Codes“) be-
Multimediale Informationsressourcen enthalten steht. So dürfte der Begriff „Brot“ im Gedächtnis der meis-
10 Informationen, die mittels verschiedener Kodierungs- ten Menschen bildhaft und abstrakt kodiert sein, wohinge-
formen wie z. B. Bilder und Texte (Multikodalität) gen für den Begriff „Wahrheit“ vermutlich die wenigsten
dargestellt und meist mittels verschiedener Sinnes- Menschen über eine konkret-bildhafte Repräsentation in
11 modalitäten rezipiert werden (z. B. Texte in gedruckter ihrem Gedächtnis verfügen.
Form durch die Augen und in gesprochener Form Mayer (1997, 2001) entwickelte ausgehend von der
12 durch das Ohr; Multimodalität). Theorie der dualen Kodierung eine „kognitive Theorie
des multimedialen Lernens“. Mayers Theorie bezieht
sich zudem auf das Modell des Arbeitsgedächtnisses von
13 Baddeley (1986, . Abb. 6.5), in dem postuliert wird, dass
Lernen mit Multimedia das Arbeitsgedächtnis aus einer zentralen Exekutive, einer
14 Vielfach empirisch belegt ist, dass das Lernen mit multi- phonologischen Schleife, einem visuell-räumlichen „No-
medialen Lernumgebungen im Vergleich zu rein textuel- tizblock“ und einem episodischen Speichersystem besteht.
15 len Lernumgebungen einen höheren Lernerfolg erbringt Die Speichersysteme weisen sowohl eine inhaltliche als
(„Multimedia-Prinzip“). Häufig wird der Lernvorteil auch zeitlich begrenzte Informationsverarbeitungskapa-
multimedialer Lernumgebungen anhand der Theorie der zität auf. In der phonologischen Schleife werden gehörte
16 dualen Kodierung (Paivio, 1986) erklärt. Die Theorie der und/oder gelesene (!) Informationen verarbeitet. Dieses
dualen Kodierung geht davon aus, dass die Informations- System ist mit einem Wiederholungsmechanismus ausge-
17 verarbeitung im kognitiven System des Menschen in zwei stattet, der die phonologischen Informationen vor einem
unterschiedlichen, aber interagierenden Untersystemen – raschen Zerfall schützt. Im visuell-räumliche Notizblock
einem verbalen und einem piktorialen System – erfolgt. werden visuelle und räumliche Informationen in „skiz-
18 Weiterhin wird angenommen, dass beide Untersysteme in zenhafter“ Form zwischengespeichert. Im episodischen
ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt sind, miteinander Speicher – einer späteren Weiterentwicklung des Arbeits-
19 interagieren, aber auch unabhängig voneinander aktiv sein gedächtnismodells durch Baddeley, der in der Theorie
können. Werden aufeinander bezogene verbale und pikto- Mayers ursprünglich noch nicht berücksichtigt war – wer-
20 riale Inhalte gelernt, so wird der Lerninhalt in beiden Sys- den phonologische, visuelle und räumliche Informationen
temen verarbeitet und gespeichert, was zu einer doppelten zwischenzeitlich integriert.
Kodierung und damit zu einem höheren Lernerfolg führt. Mayer übernimmt die Annahme eines auditiv-verbalen
21 Einschränkend ist anzumerken, dass entsprechend Paivios und eines visuell-piktorialen Kanals der Informationsver-
Theorie dieser Lernvorteil nur für Inhalte existiert, für die arbeitung in seine Theorie. Multimediale Informationen
22 im Gedächtnis sowohl eine abstrakt-verbale (in Form werden in separaten visuell-bildhaften und auditiv-ver-
„symbolischer Codes“) als auch eine konkret-bildhafte balen Kanälen verarbeitet und erst im Arbeitsgedächtnis
6.2 • Lernmedien
131 6
.. Abb. 6.5  Modell des Arbeitsgedächt-
nisses. (Modifiziert nach Baddeley, 2003.
Adapted by permission from Macmillan
Publishers Ltd: Nature Reviews Neuroscience,
copyright 2003)

.. Abb. 6.6  Modellhafte Darstellung der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens

zusammen mit Informationen aus dem Langzeitgedächtnis bzw. visuelle Wahrnehmungsprozesse eine Text- bzw. eine
integriert (. Abb. 6.6). Sein Modell wird durch zahlreiche Bildoberflächenrepräsentation des betreffenden Lernma-
empirische Forschungsbefunde gestützt. Allerdings geht terials generiert. Anschließend wird durch bedeutungsge-
Mayers Modell davon aus, dass die vorhandenen multi- nerierende kognitive Prozesse aus den auditiv und visuell
medialen Informationsangebote auch immer tatsächlich wahrgenommenen verbalen Informationen eine mentale
genutzt werden und dass Bilder den Wissenserwerb grund- Repräsentation gebildet, die aus konzeptuellen Sinneinhei-
sätzlich fördern. Beides muss jedoch nicht notwendiger- ten (Propositionen; ▶ Abschn. 6.2.1) besteht. Aus den bild-
weise immer eintreten. basierten Informationen hingegen wird ein mentales Mo-
Folglich kann kritisch gegenüber dem Modell von dell konstruiert, das Struktur- und Funktionseigenschaften
Mayer eingewendet werden, dass nicht immer alle In- besitzt, die denen des dargestellten Inhalts entsprechen und
formationsquellen einer multimedialen Informationsres- damit diesen Inhalt repräsentieren. Durch schemageleitete
source genutzt werden und Bilder mit Texten nicht immer Modellkonstruktions- und Modellinspektionsprozesse in-
lernförderlicher sein müssen als Texte allein. Diese Über- teragieren diese beiden mentalen Repräsentationen konti-
legungen berücksichtigt Schnotz in seinem integrativen nuierlich miteinander. So bilden sie eine kohärente mentale
Modell des Text- und Bildverstehens. Analog zu dem Mo- Repräsentation der rezipierten Informationen, wobei die
dell von Mayer geht das integrative Modell des Text- und beteiligten Repräsentationen gegenseitig zu ihrer Elabora-
Bildverstehens davon aus, dass auf der Wahrnehmungs- tion beitragen (. Abb. 6.7).
ebene zwischen verschiedenen Sinneskanälen (z. B. Aus der Perspektive des Modells des integrativen Text-
einem auditiven und einem visuellen Kanal) und auf der und Bildverstehens ist die Hauptursache für den Lernvor-
kognitiven Ebene zwischen verschiedenen Repräsenta- teil multimedialer Lehrangebote darin zu sehen, dass ver-
tionskanälen (einem deskriptionalen und einem depik- bale und piktoriale Informationen bei ihrer integrativen
tionalen Kanal) unterschieden werden kann (Schnotz & Verarbeitung gemeinsam zur Konstruktion eines mentalen
Bannert, 2003; Schnotz, 2005). Gemäß dem Modell des in- Modells beitragen. Allerdings besteht auch die Möglich-
tegrativen Text- und Bildverstehens werden durch auditive keit, dass sich Lernende im Rahmen eines multimedialen
132 Kapitel 6 • Medien

1
2
3
Modell-

4 konstruktion

5
6
7
8
9
10
11
12
.. Abb. 6.7  Modell des integrativen Text- und Bildverstehens. (Modifiziert nach Schnotz & Bannert, 2003, with permission from Elsevier,
& Schnotz, 2005, with permission from Cambridge University Press)
13
Informationsangebots auf eine Informationsquelle konzen- ders dann vorteilhaft, wenn Lernende ein eher geringes
14 trieren und die andere ignorieren, indem beispielsweise thematisches Vorwissen besitzen und über (ausreichend)
das Verstehen des Texts durch das Verstehen des Bildes er- hohe visuell-räumliche Fähigkeiten verfügen (Mayer,
15 setzt wird und umgekehrt. Zudem kann ein Bild aufgrund 2001). Jedoch bringt ein geringeres thematisches Vorwis-
seiner Visualisierungsstruktur die intendierte Anwendung sen auch die Gefahr einer rasch eintretenden Überforde-
des gelernten Wissens hemmen (Schnotz & Bannert, 2003), rung der Lernenden im Umgang mit komplexen Lernum-
16 wodurch eine multimediale Repräsentation (z. B. Lernpro- gebungen mit sich, weil Lernende mit geringem Vorwissen
gramm) eines Inhalts im Vergleich zu einer monomedia- im Vergleich zu solchen mit höherem Vorwissen ein höhe-
17 len Lernumgebung (z. B. Text) auch zu einer schlechteren res Maß an kognitiven Ressourcen zur Bearbeitung eines
Lernleistung führen kann. Sowohl die Konsequenzen des Themas benötigen. Solch eine kognitive Überlastung kann
Ignorierens eines Mediums in einer multimedialen Lern- insbesondere dann in komplexen Lernumgebungen auf-
18 umgebung als auch die Möglichkeit, dass monomediale treten, wenn diese zahlreiche Unterstützungsfunktionen
Lernumgebungen in ihrer Lernwirksamkeit multimedi- (Glossar, Hilfen, elaborierte Beispiele etc.) enthalten, zu de-
19 alen Lernumgebungen unter bestimmten Bedingungen ren adäquater Nutzung aber auch kognitive Ressourcen in
überlegen sein können, können anhand des Modells des nicht unerheblichem Maße benötigt werden (Horz, Winter
20 integrativen Text- und Bildverstehens, jedoch nicht anhand & Fries, 2009; Horz, 2012).
des Modells von Mayer erklärt werden. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Fähigkeit räum-
lich getrennte Informationen zu integrieren, notwendig ist,
21 Individuelle Faktoren um erfolgreich mit multimedialen Lernumgebungen zu
Individuelle Faktoren beeinflussen den erfolgreichen Ein- lernen, da hier Informationen räumlich verteilt angeboten
22 satz multimedialer Lernumgebungen entscheidend. So ist werden (Plass, Chun, Mayer, & Leutner, 2003). Weniger
das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen beson- plausibel scheint zunächst, dass ein hohes Vorwissen für
6.2 • Lernmedien
133 6

das Lernen mit Multimedia nachteilig sein kann. Lernende Exkurs  |       | 
mit hohem thematischem Vorwissen bekommen in multi-
medialen Lernumgebungen Inhalte mehrfach dargeboten, Cognitive Load Theory
über die sie (vermeintlich) bereits in ihren Wissensstruk- Die Cognitive Load Theory postuliert, dass beim Lernen im
turen größtenteils verfügen. Dadurch elaborieren sie die Arbeitsgedächtnis drei verschiedene kognitive Belastungen
auftreten. Die intrinsische Belastung („intrinsic load“) wird
verschiedenen Inhaltsquellen einer multimedialen Lern- durch die Lerninhalte selbst bedingt (z. B. eine Lernumge-
umgebung wesentlich weniger und übersehen so eventu- bung erklärt das Prinzip der Kernspaltung zur Erzeugung
ell auch für sie neue Informationen in den verschiedenen von Atomstrom). Die extrinsische Belastung („extrane-
Medien einer multimedialen Lernumgebung („expertise ous load“) entsteht durch die kognitive Verarbeitung von
reversal effect“; Kalyuga, Ayres, Chandler & Sweller, 2003). Gestaltungselementen einer Lernumgebung, die irrelevante
Informationen enthalten (in der Lernumgebung zum Atom-
Weil das Lernen mit multimedialen Lernumgebun- strom sind Bilder der wichtigsten Physiker enthalten, die zur
gen häufig computerbasiert erfolgt, wird verschiedentlich Erforschung der Kernspaltung beitrugen, z. B. Otto Hahn).
angenommen, dass die Multimedialisierung des Lernens Weiterhin ist die lernbezogene Belastung („germane load“)
zu einer systematischen Benachteiligung von Frauen und zu berücksichtigen, die durch die kognitiven Prozesse der
Mädchen führt, da Frauen und Mädchen über geringere Lernenden entsteht, die ein Verstehen und Behalten der zu
lernenden Informationen ermöglichen (Weiterführung des
computerbezogene Fähigkeiten sowie negativere motiva- Beispiels „Atomstrom“: Es wird mit „Eselsbrücken“ gelernt,
tionale und emotionale Voraussetzungen beim computer- die helfen, sich die unterschiedlichen Zerfallsarten bei der
gestützten Lernen verfügen. Zwar existieren vielfältige Be- Kernspaltung zu merken).
funde zu computerbezogenen Geschlechtsunterschieden,
jedoch konnte bereits Whitley (1997) in einer Metaanalyse
nachweisen, dass es sich dabei um in ihrer Effektstärke begrenzten Informationsaufnahme und Verarbeitungska-
kleine Unterschiede handelt. Zudem variieren diese com- pazität des kognitiven Systems entweder Teile der Anima-
puterbezogenen Geschlechtsunterschiede kulturabhängig. tion bzw. des Films oder Teile des Textes ignoriert werden
So gibt es Befunde aus China und Südostasien, die im Un- müssen, da diese nur flüchtig präsentiert werden. Daher
terschied zu Arbeiten aus dem europäischen und ame- sollten Texte in multimedialen Lernumgebungen insbeson-
rikanischen Raum zeigen, dass hier Frauen über bessere dere bei Animationen und Filmen in gesprochener Form
computerbezogene Voraussetzungen verfügen. Dennoch dargeboten werden.
ist zu beachten, dass auch aktuell weiterhin signifikante
Unterschiede im computerbezogenen Verhalten als auch Temporale und räumliche Kontiguitätseffekte.  Wenn die
im computerbezogenen Wissen bestehen (u. a. Dickhäu- räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen aufein-
ser & Stiensmeiner-Pelster, 2002; Horz, 2004), die aber in ander bezogenen Informationen in multimedialen Lern-
jüngeren Kohorten bereits geringer auszufallen scheinen umgebungen groß (niedrige Kontiguität der Medien) ist,
(PISA-Konsortium Deutschland, 2007). kann sich dies negativ auf den Wissenserwerb auswirken.
Die negativen Phänomene niedriger Kontiguität können
Gestaltung von Multimedia verringert werden, wenn Texte und Abbildungen räum-
Nachfolgend werden Effekte der Gestaltung multimedialer lich und zeitlich möglichst nahe beieinander präsentiert
Lernumgebungen dargestellt (Mayer, 2005). Die dargestell- werden, da so die Suchprozesse zwischen den Informati-
ten Effekte sind alle in experimentellen Untersuchungen onsquellen verkürzt werden. So erzielen Lernende bessere
belegt worden und basieren theoretisch auf der Cognitive Ergebnisse, wenn Texte und Bilder physisch integriert
Load Theory (▶ Exkurs „Cognitive Load Theory“; Sweller, van anstatt getrennt dargeboten werden. Daher kann man die
Merriënboer & Paas, 1998). Empfehlung geben, dass die räumliche Distanz zwischen
illustrierten Textstellen und zugehörigen statischen oder
Split-Attention-Effekt.  Wenn in multimedialen Lernumge- animierten Bildern gering gehalten werden sollte.
bungen schriftliche Texte zusammen mit statischen und/
oder dynamischen Bildern dargeboten werden, müssen Modalitätseffekt. Wenn Texte in gesprochener Form
die Lernenden ihre Aufmerksamkeit notwendigerweise anstelle von schriftlich integrierten Texten in eine Lern-
zwischen der textuellen und bildlichen Information auf- umgebung eingebunden werden, stellt sich ein höherer
teilen. Das heißt, das Auge muss zwischen beiden In- Lernerfolg ein (Modalitätseffekt). Werden Texte auditiv
formationsquellen wechseln. Dies führt zu einem Split- mit instruktionalen Bildern dargeboten, kann die gesamte
Attention-Effekt, welcher den Lernerfolg verringert. Ein Kapazität des auditiven Kanals der Textverarbeitung ge-
Split-Attention-Effekt tritt insbesondere dann auf, wenn widmet werden, während die gesamte Kapazität des vi-
Animationen oder Filme zusammen mit schriftlichem suellen Kanals für die Bildverarbeitung genutzt werden
Text dargeboten werden, da in diesem Fall aufgrund der kann. Auf diese Weise kann ein Maximum an gleichzeitiger
134 Kapitel 6 • Medien

Verfügbarkeit von verbaler und piktorialer Informationen um den Lernprozess zu optimieren. Diese grundlegende
1 im Arbeitsgedächtnis erreicht werden. Augenscheinlich Frage der Lernmediengestaltung steht aber in der Unter-
entsteht der Modalitätseffekt schlicht durch Vermeidung richtspraxis oft weniger im Mittelpunkt des Interesses als
2 eines Split-Attention-Effekts, jedoch zeigten Mayer und die Frage, unter welchen Umständen es sinnvoll ist, mit
Moreno (1998), dass selbst dann bessere Lernergebnisse Tafel, Flipchart, elektronischen Folien etc. zu arbeiten oder
im Vergleich zu einer inhaltsgleichen Lernumgebung er- wie diese konkret einzusetzen sind und wie ein adäquater
3 zielt werden, in der die Texte schriftlich präsentiert werden, Medienwechsel während einer Unterrichtseinheit durch-
wenn ein auditiver Text und Animationen nacheinander geführt wird. Zu den praktischen Fragen des Medienein-
4 dargeboten werden (und somit keine Split-Attention-Situ- satzes im Unterricht existiert eine sehr umfangreiche und
ation vorliegt). Mayer und Moreno (1998) nehmen daher ausführliche Ratgeberliteratur sowohl in gedruckter Form
5 an, dass die Nutzung des verbalen sowie des piktorialen (z. B. zur Präsentation: Hey, 2008; Dollinger, 2003; z. B. zur
Kanals beim multimedialen Lernen zu einer erhöhten Nut- Gestaltung schriftlicher Materialien: Reinmann, 2012) als
zung der Speicherkapazität des Arbeitsgedächtnisses führt. auch im Internet (z. B. ▶ http://www.e-teaching.org). Bei
6 Allerdings ist diese Interpretation umstritten (Rummer, der Auswahl von Ratgeberliteratur zu Fragen des Medien­
Schweppe, Fürstenberg, Seufert & Brünken, 2010; Schüler, einsatzes im Unterricht, zur Gestaltung von Lerntexten
7 Scheiter, Rummer & Gerjets, 2012). etc. sollte man darauf achten, dass sich das jeweilige Werk
an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen des Lehrens
Effekte der individuellen Verarbeitungssteuerung. Folgt und Lernens orientiert, was in diesem Bereich oft nur in
8 man den bisherigen Empfehlungen, sollten instruktio- geringem Maße der Fall ist.
nale Bilder immer mit auditiv statt visuell präsentiertem
9 Text kombiniert werden. Dies gilt aber nicht in allen Fäl- Richtlinien zum Medieneinsatz
len. Wichtigster Kritikpunkt ist, dass der Split-Attention- aus der Perspektive der Lehrperson
10 Effekt bei der Kombination von schriftlichen Texten mit Einfachheit und Erfahrung.  Grundsätzlich ist anzumerken,
statischen Bildern nur in sehr geringem Maße auftritt dass Medien im Unterricht in ihrer Handhabung einfach
und nur dann, wenn die Lernzeit deutlich begrenzt ist. einzusetzen sein sollten, damit die Lehrenden keine erheb-
11 Zudem ist zu bedenken, dass ein schriftlicher Text eine lichen kognitiven Ressourcen auf den Medieneinsatz ver-
bessere Steuerung der Informationsaufnahme erlaubt. Bei wenden müssen. Dementsprechend sollten Lehrpersonen
12 schriftlich dargebotenem Text können Satz- oder Textteile darauf achten, dass sie Medien einsetzen, mit deren An-
bei Verständnisschwierigkeiten neu gelesen werden, wäh- wendung sie ausreichend vertraut sind. Jedoch sollen hier
rend gesprochener Text für die Lernenden in der Regel (zukünftige) Lehrpersonen ausdrücklich ermutigt werden,
13 nur flüchtig dargeboten wird. Es ist zu vermuten, dass die mediale Innovationen im Unterricht zu erproben. Neue
Kontrollvorteile einer schriftlichen Darbietung besonders Technologien oder Einsatzszenarien sollten dann einge-
14 bei schwierigen Texten eine wichtige Rolle spielen. setzt werden, wenn der Lerninhalt nur geringe inhaltliche
Anforderungen an die Lehrperson stellt bzw. die Lehrper-
15 Weitere Maßnahmen zur Reduzierung der kognitiven Belas- son mit den Lehrinhalten sehr gut vertraut ist.
tung.  Um die Lernwirksamkeit multimedialer Lernum-
gebungen zu verbessern, ist im Allgemeinen die Regel zu Vorbereitung und didaktische Planung.  Allgemein bekannt
16 beachten, dass die extrinsische Belastung einer Lernumge- ist, dass im Unterrichtsablauf hemmende Probleme wie
bung soweit als möglich reduziert werden sollte. Auf diese technische Schwierigkeiten beim Einsatz von Projektions-
17 Weise stehen kognitive Kapazitäten für die Verarbeitung techniken („Beamer funktioniert nicht“) umso häufiger
der Lerninhalte (intrinsische Belastung) und für lernbezo- auftreten, je mehr technikbasierte Lehrmedien eingesetzt
gene Aktivitäten (lernbezogene Belastung) zur Verfügung. werden, weswegen Lehrende häufig weiterhin auf analoge
18 Zur Verringerung der kognitiven Belastung in multimedi- Medien zurückgreifen (▶ Abschn. 6.3.2). Als Leitlinie kann
alen Lernumgebungen nennen Mayer und Moreno (2003) gelten, dass der Medieneinsatz nicht primär an den tech-
19 diverse Möglichkeiten, die weiter unten aufgeführt sind. nischen Möglichkeiten orientiert sein, sondern die Ent-
scheidung für ein Lehrmedium vor allem aus didaktischen
20 6.2.4 Einsatz medialer Präsentationen
Erwägungen erfolgen sollte (z. B. Horz et al., 2003).

Medienbezogene Kompetenzen. Abhängig davon über


21 Die zuvor dargestellten Gestaltungskriterien für Text und welche personellen Kapazitäten und medienbezogenen
Bild fokussieren die aus pädagogisch-psychologischer und Kompetenzen die Lehrperson verfügt, können die Lern-
22 medienpsychologischer Sicht bedeutsame Fragestellung, inhalte durch unterschiedliche Medien aufbereitet und
wie Texte und Bilder grundsätzlich gestaltet sein sollten, kombiniert werden. Dazu muss meist als Basis des mul-
6.2 • Lernmedien
135 6

timedialen Lehr-/Lernsettings eine digitale Lernplattform dern erfolgreicher lernen als mit komplexen, bilderlosen
(wie Moodle, OLAT etc.) eingesetzt werden, um den Ler- Texten (zsf. Horz & Schnotz, 2010), kann bei Lernenden
nenden die vielfältigen Lernmaterialien, Kommunikations- mit hohem Vorwissen ein umgekehrter Effekt auftreten
und Kooperationsformen anbieten zu können. Um solche („Expertise reversal effect“, Kalyuga, Ayres, Chandler &
Plattformen effektiv nutzen zu können, müssen Lehrende Swellwe, 2003; ▶ Abschn. 6.2.3). Bei Personen mit hohem
und Lernende über die notwendigen Nutzungskompeten- Vorwissen kann ein sowohl inhaltlich als auch sprachlich
zen entsprechend ihrer Rollen im Lernsetting verfügen. komplexer Text ohne ergänzende, rasch zu verstehende
Dies setzt in der Regel eine zumindest kurze Schulung für Bilder zu einer höheren Elaboration eines Textes führen
die Nutzung einer Lernplattform voraus. Weiterhin sollte als didaktisch möglichst einfach und rasch verständliche
man basale Regeln der virtuellen Kommunikation („Neti- Lernmaterialien.
quette“; für eine erste Übersicht: ▶ http://de.wikipedia.org/
wiki/Netiquette) kennen, um erfolgreich in sozialen Netz- Texte.  Texte, ob in gesprochener Form im Frontalunter-
werken oder mittels anderer elektronischer Kommunika- richt oder in gedruckter Form in Büchern oder als Online-
tionsformen (z. B. Telekonferenz-Tools wie Skype, E-Mail) Texte in hypermedialen Lernumgebungen, stellen das Leit-
zu agieren. medium in Lernprozessen dar. Daher sollte der Gestaltung
von Lehrtexten in der Unterrichtsvorbereitung sowie der
Richtlinien zum Medieneinsatz Planung von Lernumgebungen bzw. der Vorbereitung von
aus der Perspektive des Lernmediums Unterrichtsvorträgen das Hauptaugenmerk gelten.
Didaktische Gestaltung von Lernmedien.  Die didaktische Um Texte erfolgreich als Lernmedien einsetzen zu
Gestaltung der Lernmedien kann nur bedingt alle situati- können, sollten sie wie alle Lernmedien auch aus didak-
ven und einzigartigen Ereignisse explizit berücksichtigen tischer Perspektive hinsichtlich ihrer Gestaltung (s. o.),
(z. B. spontane Konflikte unter Schülern, zeitlich-räumliche aber auch hinsichtlich ihrer Nutzung in Verbindung mit
Einschränkungen wie z. B. durch einen Raumwechsel). anderen Lernmedien optimiert werden. Hierzu kann man
Doch sollte die didaktische Planung stets multikriterial Texte (s. o.) – wie auch alle anderen Lernmedien – nach
(z. B. kognitive und motivationale Voraussetzungen, Vor- makro- und mikrodidaktischen Prinzipien gestalten (zur
wissen, Gruppenzusammensetzung, Zusammenarbeits- detaillierten Planung s. z. B. Reinmann, 2012) und das Er-
formen, Lernziele und zu entwickelnde Kompetenzen, gebnis nach eigenen Zielkriterien (z. B. Lernerfolg) empi-
zeitliches Setting, sekundäre Kompetenzen, soziale Ziele risch überprüfen.
etc.) erfolgen. Dabei sollte i. d. R. ein breites Spektrum re-
levanter und planbarer Kriterien im didaktischen Design Statische Bilder, bewegte Bilder und Multimedia. Durch
berücksichtigt werden, um unter anderem die Maßnah- computerbasierte Lehr- und Lernsettings können heute
men zur Aktivierung der Lernenden, die Kommunikati- statische und bewegte Bilder (Animationen, Filme) sehr
onsereignisse zwischen Lehrenden und Lernenden oder viel rascher erstellt, modifiziert und zu Lehrzwecken ein-
Lernenden untereinander zu planen. Zur strukturierten gesetzt werden. Insbesondere instruktionale Bilder helfen
didaktischen Planung sollten theoretisch fundierte und komplexe Zusammenhänge darzustellen und individuelle
empirisch geprüfte didaktische Modelle herangezogen Lernprozesse zu unterstützen (▶ Abschn. 6.2.2). Jedoch
werden. Auch die Gestaltung der Lehrmaterialien sollte sollte beachtet werden, dass Bilder meist nicht alleine als
im didaktischen Planungsprozess konsistent zu den ande- Lehr- und Lernmedien ausreichen, sondern in Verbindung
ren Unterrichtselementen umgesetzt werden. Dabei ist zu mit gesprochenen oder gehörten Texten präsentiert wer-
beachten, dass je größer die Zahl der relevanten Kriterien den, sodass es sich dann um ein multimediales Lernarran-
im didaktischen Planungsprozess ist, desto bedeutsamer gement handelt. Dabei ist zu beachten, dass die parallele
wird eine klare Hierarchisierung der Planungskriterien kognitive Verarbeitung mehrerer, aufeinander bezogener
untereinander. Zur langfristigen Entwicklung von Lehr- Informationsquellen rascher eine kognitive Überlastung
materialien und Lehr- und Lernsettings im Sinne eines der Lernenden bedingt. Dementsprechend sollten die
Qualitätsmanagements ist zudem die Evaluation der eige- nachfolgenden Regeln zur Reduktion der kognitiven Belas-
nen Lehrmaterialien unerlässlich. tung in multimedialen Lernumgebungen beachtet werden
Ein besonderer Aspekt der didaktischen Planung ist
die an die Voraussetzungen der Lernenden adaptierte Ge-
staltung von Lehr-/Lernsettings. Hier führt die adaptive
didaktische Gestaltung in der Regel zu unterschiedlich
-
(nach Mayer & Moreno, 2003):
Off-Loading: Wenn der visuelle Kanal durch die
Darbietung schriftlicher textueller und bildhafter
Informationen überlastet ist, sollte den Lernenden
schwierigen und medialisierten Formen von Lernmate- der Text stattdessen in auditiver Form angeboten
rialien. Während z. B. Lernende mit geringem Vorwissen werden (vgl. Modalitätseffekt) oder Bilder vereinfacht
anhand einfach formulierter Texte mit erklärenden Bil- werden.
136 Kapitel 6 • Medien

1 - Pretraining und Segmenting: Wenn sowohl der


auditive als auch der visuelle Kanal durch intrinsi-
sche kognitive Prozesse gleichzeitig überlastet sind,
andere Situationen übertragen werden) nicht allein den
Lernerfolg garantiert. Um den Transfer des erworbenen
Wissens auf andere Fragestellungen zu unterstützen, soll-
2 kann diese Überlastung durch ein inhaltliches und/ ten neben anschaulichen Lernmedien auch Lernmedien
oder medienbezogenes Vorabtraining der Lernenden eingesetzt werden, die das Abstraktionsvermögen und
reduziert werden („pretraining“). Solche Trainings deduktive Denkprozesse (Anwendung eines Gesetzes auf
3 sind jedoch meist nur mit einem hohen Aufwand zu diverse Einzelfälle) unterstützen.
realisieren. Alternativ kann die Lernumgebung in
4
- kleinere Einheiten unterteilt werden („segmenting“). Richtlinien zum Medieneinsatz
Weeding und Signaling: Wenn eine kognitive aus der Perspektive des einzusetzenden
technischen Geräts
5 Überlastung durch extrinsische Belastungen auftritt
(z. B. zu viele Zusatzinformationen, Fallbeispiele), Digitale Präsentationsmedien.  Die Präsentationsrichtlinien
kann entweder jedwedes Zusatzmaterial entfernt für die Gestaltung von digitalen Folien (z. B. mittels Power-
6 werden („weeding“), das nicht unbedingt notwendig point) stimmen weitgehend mit denen von Overheadfolien
zum Verständnis der eigentlichen Lerninhalte ist, (s. u.) überein. Jedoch sollten vor einer Präsentation unbe-
7 oder aber man kann durch Signalisierungstechniken dingt die lokalen technischen Gegebenheiten gründlich ge-
(z. B. farbliche Kodierungen oder Unterstreichungen; testet werden, da der Einsatz digitaler Folien im Vergleich
„signaling“) die zentralen Elemente einer Lernumge- zu Overheadfolien technisch deutlich komplexere Anfor-
8 bung hervorheben, um so die essenziellen Elemente derungen stellt, aufgrund des notwendigen Einsatzes eines

9
10
- zu verdeutlichen.
Aligning und Eliminating: Tritt eine Überlastung
einer der beiden Wahrnehmungskanäle aufgrund
einer zu hohen intrinsischen Belastung auf, kann
Computers und eines Beamers (sowie ggf. zusätzlich von
Fernbedienungen). Der wesentliche Vorteil an computerba-
sierten Präsentationen ist, dass man mittels Computer und
Beamer verschiedene Medien (Audio-Dateien, Filme, Bilder
man entweder die Lernumgebung restrukturieren etc.) innerhalb einer Lernumgebung einbinden kann, für die
(„aligning“) und in einer einfacheren Strukturierung man ansonsten verschiedene Wiedergabegeräte benötigen
11 neu ordnen oder aber man entfernt („eliminating“) würde. Zudem können digitale Präsentationen original und
– ähnlich wie beim Weeding der Zusatzmaterialien – kostengünstig an die Lernenden via Lernplattformen verteilt
12
13
- (redundante) Lerninhalte.
Synchronizing und Individualizing: Wenn die
mentale Integration der multimedialen Informatio-
nen zu einer Überlastung der kognitiven Kapazitäten
werden, wohingegen Overheadfolien allenfalls als Papier-
ausdrucke an Lernende weitergegeben werden können. Ins-
besondere ist bei digitalen Präsentationen zu beachten, dass
die Zahl der eingesetzten Folien nicht zu groß wird, damit
im Arbeitsgedächtnis führt, kann diese Überlastung sich kein „Daumenkino“-Eindruck bei den Zuhörern ein-
14 durch eine verbesserte Synchronisation der einzel- stellt. Um die Zahl der digitalen Folien zu begrenzen, kann
nen Medien überwunden werden („synchronizing“), man auch andere Präsentationsmedien einsetzen. Beispiels-
15 wenn keine optimale Kontiguität vorliegt. Alternativ weise kann eine Tafel oder ein Overheadprojektor parallel
kann man versuchen, die Inhalte und Gestaltung der zur digitalen Präsentation genutzt werden, um Informati-
Lernumgebung an das Vorwissen und die visuellen onen wie Gliederungen und Übersichten darzustellen, die
16 räumlichen Fähigkeiten der Lernenden anzupassen während der gesamten Präsentationsdauer von Nutzen sein
(„individualizing“). Letzteres ist in der Praxis meist können. Besonders zu erwähnen, sind die zunehmend in
17 ebenfalls mit einem erheblichen Zusatzaufwand für Bildungsinstitutionen verbreiteten „elektronischer White-
die Autoren multimedialer Lernumgebungen verbun- boards“ als Lehrmedien. Es handelt sich dabei um berüh-
den. rungssensitive Bildschirme in der Größe einer Tafel, die
18 analog zu konventionellen Tafeln genutzt werden können,
Sonstige Lernmedien.  Bisher existieren nur wenige Arbei- aber auch die integrative Nutzung computerbasierter Mate-
19 ten, die sich aus medialer Sicht mit dem Einsatz weiterer rialien (digitale Folien, Filme, Internet-Applikationen etc.)
Lernmedien (z. B. zerlegbare Modelle, Geruchsproben, ermöglichen. Um eine professionelle Nutzung dieses kom-
20 Materialproben, Werkstoffe) im Unterricht systematisch plexen und multipotenten Lehrmediums zu erzielen, sind
beschäftigen. Generell können derartige Lehrmedien hel- eine ausführliche Einweisung, stete Nutzung und Bereitstel-
fen, Unterrichtsthemen anschaulicher und verständlicher lung kontinuierlicher Fortbildungsmaßnahmen für Lehr-
21 zu präsentieren. Dabei sollte aber beachtet werden, dass kräfte unerlässlich (Hilbert, Fabriz, Imhof & Hargesheimer,
allein die möglichst anschauliche Gestaltung eines Themas 2012). Anderenfalls werden diese Geräte hinsichtlich ihrer
22 durch ergänzende Objekte und die damit meist induktiven potenziellen Funktionalitäten nur in kleinen Teilen analog
Denkprozesse (ein Fallbeispiel wird präsentiert und soll auf zu konventionellen Tafeln und Beamern genutzt.
6.3  •  Medien in Bildungskontexten
137 6

Lernplattformen. In den vergangenen Jahren haben der Projektionsgegebenheiten stark variieren, weswegen
Lernplattformen (▶ Abschn. 6.3.1) in allen Bereichen in- auch dieser Aspekt vor dem Unterricht erprobt werden
stitutionalisierter und informeller Lehr- und Lernsettings sollte.
große Verbreitung gefunden. Der wichtigste Vorteil von
Lernplattformen ist die internetbasierte Bereitstellung von Tafel und Flipchart. Tafel und Flipchart (DIN-A1-Pa-
Funktionen, die es ermöglichen, orts- und zeitunabhängig pierblöcke, die an einem Ständer befestigt sind) erlauben
(zusätzliche) Lehrmaterialien anzubieten, Kommunika- die Darstellung spontan angefertigter handschriftlicher
tionsprozesse in Lerngruppen oder zwischen Lehrenden Annotationen oder aber die Darstellung vorbereiteter
und Lernenden herzustellen sowie eigenständige Lern- Elemente, die an der Tafel oder dem Flipchart befes-
prozesse durch „Denkwerkzeuge“ (Mindmaps, Wikis tigt werden. Tafeln und Flipcharts sind vergleichsweise
etc.) zu unterstützen. Die große Vielfalt der technischen einfach zu handhaben und technisch wenig aufwendig.
Möglichkeiten in Lernplattformen führt aber dazu, dass Flipcharts besitzen ein höheres grafisches Potenzial als
sich viele Lehrpersonen bei der Nutzung von Lernplatt- Tafeln, da z. B. Farben intensiver und Formen detaillier-
formen überfordert fühlen. Daher sollten Lernplattformen ter dargestellt werden können. Zudem können Inhalte in
so gestaltet sein, dass sie hinsichtlich der Komplexität der umfangreichem Maße auf Flipcharts vorbereitet und auch
Bedienung den Kompetenzen der Lehrenden und Lernen- wiederverwendet werden, wohingegen Tafelanschriebe in
den anpassen. Verfügt eine Lernplattform zudem über ein der Regel für jede Unterrichtseinheit neu erstellt werden
möglichst intuitives Design, erleichtert dies ebenfalls die müssen.
Nutzung auch durch wenig computerkompetente Perso-
nen erheblich. Um Lernplattformen adaptiv an die Nut- Video und Dia. Mittels Videos (Blue-Ray-Disc, DVD-,
zervorkenntnisse und möglichst intuitiv zu gestalten, sind CD-, Kassettenabspielgeräten mit Fernseher und/oder Pro-
Templates (vorgefertigte Masken, die nur eine Auswahl von jektoren) und Dias (Geräten zur statischen Bildprojektion)
Funktionen bereitstellen) erforderlich, die durch versierte lassen sich alle Arten von statischen und dynamischen Bil-
Administratoren von Lernplattformen bereitgestellt wer- dern in qualitativ hochwertiger Form präsentieren. Meist
den sollten. Da Lehren und Lernen meist zyklische Pro- ist die Bildqualität der Medien, die mittels Video- und Dia-
zesse sind, kann man in zukünftigen Lehr- und Lernzyk- projektoren wiedergegeben werden, etwas höher als von
len die Komplexität der Funktionen einer Lernplattform vergleichbaren computerbasierten Wiedergabetechniken.
in der Regel sukzessive erhöhen. Je länger und intensiver Jedoch sollte man sich auch beim Einsatz dieser Geräte
eine Lernplattform genutzt wird, desto höher kann in der vorab sowohl mit den Projektions- als auch den Wieder-
Regel deren Komplexität sein, da die Nutzer durch einen gabegeräten vertraut gemacht haben. Anzumerken bleibt,
längerfristigen Gebrauch mit immer mehr Funktionen dass Videos sich insbesondere eignen, Lernende mit ei-
vertraut werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass nem Thema erstmalig vertraut zu machen und Interesse
Ausbildungsinstitutionen (Schulen, Hochschulen) sich zu wecken.
möglichst auf eine Lernplattform beschränken und nicht
mehrere Lernplattformen parallel nutzen. Wenn in einer
Ausbildungsinstitution mehrere Lernplattformen genutzt 6.3 Medien in Bildungskontexten
werden, wird der Prozess der Kompetenzsteigerung im
Umgang mit einer Lernplattform erheblich verlangsamt, Seit den 1990er Jahren hat eine rasche Verbreitung „Neuer
wenn nicht gar verhindert. Medien“ – gemeint sind Medien, die auf Computer- und
Netzwerktechniken basieren – in allen Bildungsberei-
Overheadprojektor.  Overheadprojektoren erlauben im Un- chen stattgefunden. Grund dafür ist, dass in dieser Zeit
terschied zu Tafelanschrieben, dass die Lehrkraft den Zu- die Mehrheit der Bildungsinstitutionen (Schule, Univer-
hörern während der Medienpräsentation und -bearbeitung sität, Fortbildungsinstitutionen) flächendeckend Zugang
zugewandt bleiben und vorbereitete Visualisierungen prä- zu technischen Innovationen wie ausreichend leistungs-
sentieren kann. Für den Einsatz von Overheadprojektoren starken Computer und Internet erhielten. Jedoch fällt die
ist es wichtig, vor dem Unterricht die Projektionsgegeben- technische Qualität der Ausstattung wie auch die Intensität
heiten zu überprüfen (Sonneneinfall, Projektionsfläche, der Nutzung von computerbasierten Medien in den jewei-
Positionierung der Lehrkraft, Einstellen der Schärfe etc.). ligen Bildungsinstitutionen sehr unterschiedlich aus. Da-
Sowohl für Tafelanschriebe als auch Darstellungen mittels her haben computerbasierte Medien in den verschiedenen
Overheadprojektoren gilt, dass eine Mindestschriftgröße Bildungskontexten derzeit einen sehr unterschiedlichen
verwandt werden sollte, die auch von den hinteren Zuhö- Stellenwert für die Lehre und das Lernen.
rerplätzen von normalsichtigen Zuhörern leicht gelesen
werden kann. Diese Mindestschriftgröße kann aufgrund
138 Kapitel 6 • Medien

6.3.1 Formen des Lehrens und Lernens verwaltung in Lernmanagement-Systemen bereitge-


1 mit Medien stellt. Häufig können auch (teil-)virtuelle Kurse durch
Lernplattformen administriert werden. Verschiedene
2 Medien werden in nahezu allen heutigen Lehr- und Lern- Lernplattformen unterstützen die Möglichkeit elekt-
settings eingesetzt. Berücksichtigt man die Veränderungen ronische Prüfungen durchzuführen und erleichtern
der Lehr- und Lernsettings durch Neue Medien, so lassen mittels integrierter Editoren die Erstellung von digi-
3 sich heute die folgenden drei grundlegenden Kategorien talen Lernmaterialien, ohne Programmierkenntnisse
des medienbasierten Lehrens und Lernens unterscheiden: zu benötigen. Einen ersten Eindruck über ein „Open-
4 Source“-Lernmanagementsystem (kostenfreie Nutzung
1.  Analoge Formen.  Hierunter werden alle Formen der möglich) kann man unter ▶ http://www.moodle.de er-
5 Präsenzlehre als auch des medienbasierten Lehrens und halten.
Lernens aufgefasst, bei denen keine Computer oder elekt- d) In computer- und netzwerkunterstützten Koopera-
ronischen Netzwerke genutzt werden. So ist z. B. der Fron- tionen und Kollaborationen können Lehrende mit
6 talunterricht per Präsenzvortrag mit Overheadfolien, die Lernenden digital vermittelt (z. B. Teletutoring, E-
Gruppenarbeit mit Peers und Arbeitsplättern ebenso wie Coaching), Lernende untereinander in offener Form
7 das Lesen eines Lehrbuchs dieser Kategorie zuzuordnen. (Computer-Supported Collaboration) oder anhand
von Kooperationsskripten (Computer-Supported Co-
2. Digitale Formen.  Insgesamt haben sich vier Arten digi- operation) zusammenarbeiten. Es existieren zahlreiche
8 talen Lehrens und Lernens entwickelt, die meist in Form Tools, die entweder rein textbasiert, mit Audio- und
thematisch abgrenzbarer Einheiten (Module) realisiert teilweise Bildsignal und/oder virtuellen Agenten eine
9 werden. Gängigerweise lassen sich folgende Varianten un- Zusammenarbeit ermöglichen. Eine Übersicht von
terscheiden: Tools zur internetbasierten Kooperation und Kollabo-
10 a) Als originär digitale (Lehr-/Lern-)Module werden ration findet man unter ▶ http://www.univie.ac.at/cscw/
Lernumgebungen bezeichnet, die meist mittels Edito- tools2.htm.
ren-Tools direkt digital erstellt wurden. Aus didakti-
11 scher Sicht umfassen diese Module zahlreiche, meist 3. Blended Learning.  Der Begriff Blended Learning („ver-
an konstruktivistischen Ansätzen des problembasier- mischtes Lernen“) bezeichnet Lehr- und Lernformen, in
12 ten Lernens (▶ Abschn. 1.3.4) orientierte, interaktive, denen verschiedene analoge und digitale Medien und Me-
multi- und hypermediale Lernumgebungen in Form thoden eingesetzt werden, um Synergieeffekte hinsichtlich
von Trainings, Simulationen, fallbasierten Beispielen, der Vorteile der verschiedenen Lehr- und Lernformen zu
13 Mikrowelten etc. Beispiele für derartige Module sind verstärken und die Nachteile einzelner Lehr- und Lernfor-
internetbasierte Lernprogramme, Flugsimulatoren, men zu reduzieren. In einer sehr breit gefassten Definition
14 Lernspiele usw. Zahlreiche Beispiele findet man unter umfasst der Begriff Blended Learning alle Mischformen
▶ http://www.lernmodule.net. unterschiedlicher Lehr- und Lernmethoden. Heute ist der
15 b) Als digitalisierte Präsenzlehre werden (Lehr-/Lern-) Begriff Blended Learning jedoch gebräuchlich, um Misch-
Module bezeichnet, die aus der digitalen Aufzeichnung formen analogen und digitalen Lehrens und Lernens zu
von Präsenzlehrveranstaltung entstehen oder bei de- bezeichnen.
16 nen Lehrveranstaltungen wie Seminare, Vorträge und
Vorlesungen mittels Computern und elektronischer
17 Netze (z. B. Internet) an verschiedene Orte übertragen 6.3.2 Neue Medien in der Schule
werden (Teleteaching). Vorlesungsaufzeichnungen
kann man an zahlreichen Hochschulen erhalten wie Gerade durch die Verbreitung von Computern in allen Le-
18 z. B. unter ▶ http://electure.studiumdigitale.uni-frank- bensbereichen hat eine „Medialisierung“ des Alltags, aber
furt.de/. auch des Lehrens und Lernens in Ausbildungsinstitutionen
19 c) Als Lernmanagement-System (oft auch als Lernplatt- wie der Schule stattgefunden. Medien sind daher in der
form oder Content-Management-System bezeichnet) Schule aus zweifacher Sicht von Bedeutung. Zum einen
20 fungiert eine Software, die dazu genutzt wird, Lern- erweitern sie das Spektrum der Lehr- und Lernmethoden
inhalte über ein institutionsinternes Intranet oder das in erheblicher Weise, zum anderen müssen Schülerinnen
Internet für die Lernenden bereitzustellen. Weiterhin und Schüler in der Schule einen Grad an Medienkompe-
21 unterstützen Lernmanagement-Systeme das Lernen tenz erwerben, der sie zu einem adäquaten Umgang mit
mit den bereitgestellten Inhalten. Meist werden auch Medien in unserer Gesellschaft befähigt. Dass die Schule
22 Werkzeuge (Tools) für das kooperative Arbeiten (Chat der Aufgabe zur Vermittlung der Medienkompetenz – ins-
Tools, Agentensysteme, Foren etc.) und eine Nutzer- besondere im Bereich computer- und internetgestützter
6.3  •  Medien in Bildungskontexten
139 6

Medien – gerade in Deutschland nur bedingt nachkommt, Exkurs  |       | 


zeigen internationale Bildungsstudien, in denen deutlich
wird, dass hierzulande der Einsatz von Computern als Antiker Medienpessimismus
Lehr- und Lernmedien in der Schule im internationalen Diese Erfindung [die Schrift und damit das Lesen] wird
Vergleich stark unterdurchschnittlich ist. So nutzen nur nämlich den Seelen der Lernenden vielmehr Vergessenheit
einflößen, weil sie das Gedächtnis vernachlässigen werden;
31 % der deutschen Schüler Computer in der Schule im denn im Vertrauen auf die Schrift werden sie sich nur äußer-
Vergleich zum OECD-Durchschnitt von 56 % aller Schüler lich vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich aus sich
(PISA-Konsortium Deutschland, 2007). Insbesondere in selbst erinnern. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur
Grund- und Hauptschulen ist die Ausstattung mit Com- für die Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und von der
putern defizitär, da hier nur ein Viertel bis ein Drittel aller Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei,
nicht aber sie selbst.
Schulen mit aktuellen und funktionsfähigen Computern Zitat aus: „Phaidros“, Platon, 428–348 v. Chr. (Stephanus, 2008)
ausgestattet ist, was zumindest in der Hälfte aller Gymna-
sien der Fall ist. Zudem nutzen weniger als die Hälfte aller
Hauptschüler überhaupt Computer im Unterricht (Gym-
nasium 65 %) bzw. es erhalten nur 37 % aller Hauptschüler gung von rund 9.000 Lehrenden nachweist. Im Jahr 2006
EDV-Unterricht im Gegensatz zu 49 % aller Schüler an gaben nur 21 % der Lehrenden (2002: 17 %) in Schulen
Gymnasien (CHIP, 2008). an, digitale Medien im Fachunterricht oft oder sehr oft
zu nutzen. Betrachtet man die Ursachen für den gerin-
Definition  gen Einsatz computerbasierter Medien in Schulen, so ist
Die Medienkompetenz setzt sich nach Baacke (1997) festzustellen, dass Lehrende einen zu geringen Mehrwert
aus vier Dimensionen zusammen: Medienkunde, computerbasierter Medien im Unterricht beklagen und
Medienkritik, Mediennutzung und Mediengestaltung. angeben, dass andere Methoden zur Inhaltsvermittlung
Als Medienkunde wird das Wissen über Medien geeigneter seien als Neue Medien. Weiterhin geben Leh-
bezeichnet sowie die Kompetenz, Geräte zum Einsatz rende als Gründe für die geringe Mediennutzung an, dass
von Medien auch zu nutzen (z. B. Computer bedienen sie allgemein eine zu hohe Arbeitsbelastung hätten, um
zu können). Die Fähigkeit zur Medienkritik soll eine Unterricht vorzubereiten, in dem computerbasierte Me-
Person in die Lage versetzen, eine angemessene dien integriert sind. Um den Medieneinsatz im Unterricht
(gesellschaftliche) Bewertung von Medien und mit zu verbessern, wünschen zwei Drittel aller Lehrenden
Medien verbundenen Prozessen durchzuführen sowie kleinere Klassen. Diesem Anliegen folgen Wünsche nach
sein Wissen über Medien auf die eigene Mediennut- Fortbildung im Umgang mit Software und Technik sowie
zung anzuwenden. Als Mediennutzung bezeichnet nach Bereitstellung von „Best-Practice“-Beispielen, um
man die Fähigkeit zum interaktiven Umgang mit den Unterrichtseinsatz von Medien zu verbessern und
Medien und zur Rezeption von Medien. Schließlich zu steigern. Fragt man nach der Einbindung von medi-
wird die Erstellung medienbasierter Inhalte durch enpädagogischen Zielen in den Unterricht, so geben nur
die Fähigkeiten der Mediengestaltung einer Person 8 % der Lehrkräfte an, diese häufiger im Fachunterricht
bestimmt. zu berücksichtigen. Zusammenfassend kann man daher
folgern, dass der defizitäre Medieneinsatz in Deutschland
sowohl auf die technischen Rahmenbedingungen als auch
Noch bevor computerbasierte Medien in Schulen als re- auf die mangelhafte Vorbereitung der Lehrenden auf den
guläres Lernmedium Einzug gehalten haben, wurden be- Einsatz computerbasierter Medien in den Unterricht zu-
reits erste Stimmen laut, die den Nutzen des Computers als rückgeführt werden kann. Schüler scheinen dagegen trotz
Lehr- und Lernmedium grundsätzlich in Zweifel ziehen. bestehender Geschlechtsunterschiede über ausreichende
Dabei ist zu bedenken, dass nahezu jede mediale Inno- Expertise in der Nutzung von Computern insgesamt zu
vation im Bildungsbereich zunächst skeptisch betrachtet verfügen (▶ Abschn. 6.4.3).
wurde, wie der ▶ Exkurs „Antiker Medienpessimismus“ zeigt.
Neben der defizitären technischen Ausstattung dürf-
ten unzureichende Kenntnisse im Umgang mit compu- 6.3.3 Neue Medien in der Hochschule
terbasierten Medien der Lehrenden ein Grund für die
vergleichsweise geringe Nutzung von Computern an Der Einsatz Neuer Medien hat zum einen die Lehre und
Schulen sein (Bofinger, 2007). Daher verwundert es nicht, das Lernen in konventionellen Hochschulen wie Univer-
dass Lehrende computerbasierte Medien nur in geringem sitäten und Fachhochschulen nachhaltig beeinflusst, aber
Maße angemessen in den Unterricht einbinden, wie Bo- auch einen neuen Hochschultypus hervorgebracht, die
finger (2007) in einer bayrischen Studie unter Beteili- virtuelle Hochschule.
140 Kapitel 6 • Medien

Konventionelle Hochschulen von digitalen Modulen bedarf jedoch der Berücksichtigung


1 Gerade im Hochschulbereich waren die Innovationen des spezifischer Instruktionsdesigns (▶ Abschn. 6.2.3).
digitalen Lehrens und Lernens zunächst durch die Ent- Es reicht nicht aus, dass Neue Medien in der Hoch-
2 wicklung neuer technischer Applikationen geleitet, da diese schule didaktisch sinnvoll gestaltet werden, damit Lehren
häufig an Hochschulen entwickelt wurden. Typischerweise und Lernen verbessert wird. Zusätzlich zur didaktischen
wurden erst nach der Entwicklung einer Applikation die Optimierung müssen auch die organisationalen Rahmen-
3 spezifischen didaktischen Einsatzmöglichkeiten der jewei- bedingungen adäquat gestaltet sein. Die organisatorischen
ligen Technik erforscht und auf ihre Effektivität hin unter- Rahmenbedingungen müssen in Verbindung mit anderen
4 sucht (z. B. Horz, Fries & Hofer, 2003). Das heißt, meist digitalen Modulen oder weiteren analogen Lehr- und Lern-
wurde eine Technik entwickelt, von deren Einsatzmöglich- formen einen effizienten und lernwirksamen Aufbau des
5 keiten man nur sehr vage Vorstellungen hatte. Daher wur- Lehrens und Lernens in umfassenderen, teilweise langfris-
den neu entwickelte Techniken unsachgemäß in der Lehre tigen Ausbildungssettings wie der Hochschule erlauben. Die
eingesetzt, insbesondere wenn man nicht ausreichend die mangelhafte organisationale Einbindung zeigt sich z. B. in
6 didaktische Funktion einer Technik berücksichtigte. der bis heute problematischen Anerkennung von Lernleis-
Trotz dieser zunächst eher problematischen „try outs“ tungen, die anhand von digitalen Modulen erbracht wurden
7 in der Hochschullehre haben Neue Medien hier den höchs- oder in der unsicheren inhaltlichen und technischen Pflege
ten Verbreitungsgrad verglichen mit Schulen oder anderen erstellter Module, die dadurch sehr rasch als veraltet wahr-
institutionalisierten Ausbildungsgängen in der Erwachse- genommen werden. Dies führte dazu, dass die Mehrzahl der
8 nenbildung. Es lassen sich im Unterschied zur Schule zahl- digitalen Module kaum in nachhaltiger Weise genutzt wird.
reiche Formen digitalisierter Lehre und Blended-Learning- Um die Effizienz von digitalen Lehr-Lern-Angeboten
9 Szenarien (▶ Abschn. 6.3.1) an den meisten Hochschulen mittels neuer Medien an der Hochschule zu steigern und
finden. Grund dafür sind die häufig genannten Vorteile so den didaktischen Nutzen als auch den ökonomischen
10 Neuer Medien in der Hochschullehre. Mehrwert zu erhöhen, kann man Nutzungszyklen kreie-
ren, welche die konventionelle Lehre an Universitäten mit

--
Neuen Medien verbinden. Ein Beispiel hierfür ist der Nut-
11 Vorteile Neuer Medien
zungszyklus digitalisierter Präsenzlehre.
Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lerntempos

--
Man kann eine Teleteaching-Veranstaltung (eine Prä-
12 Selbstbestimmtes Lernen bezüglich des Lernwegs
Zeitunabhängiges Lehren und Lernen
senzlehrveranstaltung, die interaktiv via Internet an meh-
rere Orte übertragen wird) oder konventionelle Veranstal-
Ortsunabhängiges Lehren und Lernen
tungen digital aufzeichnen. Insbesondere im Falle einer
13 Teleteaching-Veranstaltung ist das Aufzeichnen sinnvoll,
da man ohnehin digitale Datenströme zur Übertragung
14 Neben diesen Vorteilen werden aber im Unterschied zu erzeugt. Die digitale Veranstaltungsaufzeichnung (VAZ)
analogen Lehr- und Lernformen häufig auch Probleme ge- kann von den Studierenden als eine Art didaktisch opti-
15 nannt, die die Vorteile eines sinnvollen Medieneinsatzes miertes, digitales Veranstaltungsskript genutzt werden.
unterminieren können. Später kann die Veranstaltungsaufzeichnung für weitere
Blended-Learning-Veranstaltungen eingesetzt werden
16

-
(z. B. aufgezeichnete Vorlesung mit begleitendem Präsenz-
Probleme Neuer Medien
tutorium). Wenn eine Veranstaltung erneut im Präsenz-
17 Zunehmende soziale Isolierung der Lernenden und
zunehmende Anonymität zwischen Lehrenden und
modus dargeboten wird, kann man die Veranstaltungs-

-
aufzeichnung gezielt editieren, indem man mangelhafte
Lernenden
Stellen in der Präsenzveranstaltung überarbeitet, nochmals
18 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund

-
aufzeichnet und dann die aufgezeichneten Passagen in die
eines komplexen Instruktionsdesign
bestehende VAZ einfügt. Auf diese Weise entsteht ein Nut-
19 Kognitive Überlastung der Lernenden aufgrund
zungszyklus (. Abb. 6.8) mit hoher Nachhaltigkeit.
hoher Selbstregulationsanforderungen (▶ Kap. 3;
Aktuell werden sogenannte Massive Open Online
▶ Abschn. 17.4).
20 Courses (MOOC) als innovative Lehrform etabliert, in
denen konventionelle Universitäten mehrheitlich kos-
tenfreie Onlinekurse anbieten. Diese Onlinekurse sind
21 Aus instruktionaler Sicht liegt eine weitere Stärke der häufig mit dem Präsenzangebot der Lehrenden verknüpft.
Neuen Medien in den flexiblen medialen Gestaltungs- In MOOC werden sowohl Vorlesungsaufzeichnungen als
22 möglichkeiten multimedialer Lernumgebungen. Diese auch Präsenzübertragungen sowie diverse Mischformen
„Multimedialisierung“ des Lehrens und Lernens anhand (Online-Präsenzübertragung von Vorlesungen, Vorle-
6.3  •  Medien in Bildungskontexten
141 6

.. Abb. 6.8  Nutzungszyklus digitalisierter Präsenzlehre. (Modifiziert nach Horz et al., 2003, Bildrechte: British Telecom)

sungsaufzeichnungen, Online-Tutorien etc.) eingesetzt. haftet ist, kann der Einsatz neuer Medien in der betrieb-
Möglicherweise werden MOOC die bisher weniger erfolg- lichen Weiterbildung ähnlich wie in den Hochschulen
reichen virtuellen Hochschulen verdrängen. Als virtuelle positiv bewertet werden, wenn man dessen wachsende
Hochschule bezeichnet man eigenständige Organisatio- Verbreitung der Beurteilung zu Grunde legt. Dabei ist aber
nen, die heute ähnlich wie Fernuniversitäten ein Studieren zu beachten, dass die Situation an Berufsschulen eher der
ohne Präsenzlehre meist auf Basis von Lernmanagement- Situation an regulären Schulen entspricht.
systemen und dazugehörigen digitalen Lehr-/Lernmodu- Sicherlich sind die Potenziale des Lehrens und Lernens
len sowie Kommunikations-Tools ermöglichen. Betrachtet mit computerbasierten Medien in der betrieblichen Wei-
man das Angebot virtueller Universitäten aus inhaltlicher terbildung bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, da z. B.
Sicht, so stellt man fest, dass im Vergleich zu konventionel- computerbasierte Medien in der betrieblichen Fortbildung
len Hochschulen ein eher kleines Angebot an Studienmög- von den Fortzubildenden vielfach skeptisch betrachtet
lichkeiten besteht. MOOC haben daher das Potenzial, die werden. So wird gerade die Möglichkeit, sich mit Kolle-
Brücke zwischen der konventionellen Hochschullehre und gen während Fortbildungen persönlich auszutauschen, als
den Vorteilen virtuellen Studierens zu schlagen. Vorteil konventioneller Fortbildungsangebote betrachtet
ebenso wie die Möglichkeit, sich in Distanz zum Arbeits-
platz weiterzubilden. Gerade die Reduktion der Abwe-
6.3.4 Neue Medien in der beruflichen senheitszeiten am Arbeitsplatz wird jedoch seitens der
Fortbildung Unternehmen als ein Vorteil von Fortbildungsangeboten
mit computerbasierten Medien (z. B. durch Selbstlernpro-
Während in Schulen das Lehren und Lernen mit Neuen gramme oder betriebseigene Lernmanagementsysteme)
Medien immer noch mit zahlreichen Schwierigkeiten be- genannt. Ebenso begrüßen viele Arbeitgeber die zeitliche
142 Kapitel 6 • Medien

.. Abb. 6.9  Dauer der Mediennutzung in


1 Deutschland (2005)

2
3
4
5
6
7
Flexibilisierung der Fortbildung mittels computerbasierter können und auch in didaktisch vielfacher und häufig auch
8 Medien, da die betriebliche Fortbildung mittels digitaler ästhetisch ansprechender Weise vermittelt werden (Krüger
Lernmodule in Phasen geringeren Arbeitsaufkommens & Vogt, 2007).
9 durchgeführt werden kann. Um an diesen medialen Angeboten angemessen parti-
zipieren zu können, ist, wie bereits zuvor dargestellt, auch
10 6.4 Medien in außerinstitutionellen
die Vermittlung von Medienkompetenz eine originär päd-
agogische Aufgabe ▶ Abschn. 6.3.2. Ein kompetenter Um-
Kontexten gang mit Medien ist umso wichtiger, wenn man bedenkt,
11 dass Erwachsene in Deutschland zurzeit täglich mehr
Medien sind aus pädagogisch-psychologischer Sicht nicht als 8 Stunden Medien konsumieren (. Abb. 6.9). Dabei
12 nur als Träger von Informationen in institutionalisierten werden Medien hauptsächlich zur Unterhaltung und zur
Lernprozessen relevant. So haben Medien in unserer Ge- Information genutzt. Die weit verbreitete Annahme, dass
sellschaft auch zentrale Bedeutung, um sich über nahezu vor allem Kinder und Jugendliche Medien in ausufernder
13 alle Lebensbereiche mittels Fernsehnachrichten, Wiki- Weise konsumieren, ist falsch. Kinder verbringen deut-
pedia, Ratgeber, Fachzeitschriften usw. zu informieren. lich weniger Zeit mit dem Fernsehen als Erwachsene (ein
14 Zudem spielen Medien eine zentrale Rolle im Freizeit- Drittel bis zur Hälfte; . Abb. 6.12). Vielmehr geben Kinder
verhalten, ermöglichen Lernprozesse in nicht instituti- zwischen 6 und 13 Jahren als eine ihrer liebsten Freizeitak-
15 onalisierten Lernsettings und helfen Medienkompetenz tivitäten an, dass sie draußen spielen oder Freunde treffen.
zu entwickeln und diese Kompetenz in positiver Weise zu Fernsehen wird erst an dritter Stelle von rund 30 % der
erleben. Kinder genannt (Medienpädagogischer Forschungsver-
16 Dementsprechend bemühen sich z. B. Museen in be- bund Südwest, 2005).
sonderer Weise darum, Bildungsinhalte gerade auch in der
17 Freizeit von Menschen zu vermitteln. Derartige Formen
▶  informellen Lernens betonen hierbei positive Zusam- 6.4.1 Musik und Radio
menhänge zwischen einer angemessenen kontextuellen
18 Einbettung der Lerninhalte, einer höheren intrinsischen, Unterhaltungsmedien werden in sehr unterschiedlichen
weil selbstbestimmteren Bildungsmotivation im Vergleich Kontexten genutzt. Betrachtet man die Mediennutzung im
19 zu institutionalisierten Bildungskontexten mit dem Ziel Tagesverlauf (. Abb. 6.10), so zeigt sich, dass Radio haupt-
einer vertieften mentalen Verankerung des Wissens. So sächlich tagsüber gehört wird, das Fernsehen nachmittags
20 werden Lernformen durch die Medialisierung aller Le- und im stark zunehmenden Maße am Abend genutzt wird.
bensbereiche (und nicht nur der schulischen und beruf- Am Morgen wird mehr gelesen als zu anderen Zeiten des
lichen) zunehmend bedeutsam, in denen das Freizeitver- Tages. Tonträger werden hingegen eher am Abend ge-
21 halten mit Lernkontexten verbunden wird. Sie werden nutzt. Anhand dieser unterschiedlichen Nutzungszeiten
vor allem durch digitale Medien gefördert, weil auf diese verdeutlicht sich, dass Medien situationsspezifisch genutzt
22 Weise Informationen durch die Lernenden selbstgesteuert werden.
in großer Zahl orts- und zeitunabhängig genutzt werden
6.4  •  Medien in außerinstitutionellen Kontexten
143 6

.. Abb. 6.10  Mediennutzung im Tagesverlauf in Deutschland (2005)

Musik und Radio die Wirkung von Hintergrundmusik in anderen Kontexten


Die Gründe, warum Menschen Musik hören, sind sehr (z. B. bei der Arbeit, in Geschäften etc.) nicht nachweisbar
vielfältig. Neben der Verfügbarkeit von Musik, die sich oder allenfalls als gering anzusehen (Behne, 1999).
durch Internetangebote potenziell enorm gesteigert hat, Die Rezeption von Musik und Informationen sind auch
spielen Gewohnheiten, situative Komponenten (allein, mit die zentralen Gründe für den Radiokonsum. Hier zeigt sich
Freunden etc.) sowie die aktuelle Gestimmtheit eine aus- aber, dass Radiokonsum eine eher für Berufstätige typische
schlaggebende Rolle. Beschäftigung ist, der sie während der Arbeit oder auf den
Die Auswahl der Musikrichtung hängt neben den lang- Wegen von und zur Arbeit nachgehen. Dies führt dazu,
fristigen Gewohnheiten von situativen Musikpräferenzen dass Radio vor allem tagsüber von den Menschen zwischen
ab. Grundsätzlich wird als das zentrale Motiv der Radio- 20 und 70 Jahren gehört wird, während ältere Menschen,
und Musikrezeption die Regulation der eigenen Stimmung aber insbesondere Kinder und Jugendliche einen deutlich
gesehen (Mood-Management-Theorie). Dabei kann man geringeren Radiokonsum aufweisen (. Abb. 6.11).
einerseits die Musikauswahl durch das Isoprinzip und
andererseits durch das Kompensationsprinzip erklären
(Schramm, 2004). Das Isoprinzip postuliert, dass Men- 6.4.2 Fernsehen
schen stimmungskongruente Musik hören wollen. Jedoch
scheint dies im Falle einer eher traurigen Stimmung nur Betrachtet man die Dauer des täglichen Fernsehkonsums,
auf einen Teil der Menschen zuzutreffen. Das Kompensa- so zeigt sich, dass es vor allem ältere Menschen und Per-
tionsprinzip hingegen besagt, dass es Situationen gibt, wie sonen mit einem niedrigen Bildungsabschluss sind, die
das Musikhören während einer uninteressanten Tätigkeit über einen besonders hohen Fernsehkonsum berichten
(z. B. Arbeiten im Haushalt), in denen Menschen Musik (. Abb. 6.12; ▶  Exkurs „Auswirkungen intensiven Fernseh-
bevorzugen, die hilft, Monotonie zu vermeiden. An dieser konsums und gewalthaltiger Medieninhalte“).
Stelle soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass der Einsatz Eine bekannte Erklärung für den Konsum von Fernse-
von Musik während des Lernens zwar kompensatorisch hen und anderen Medien ist der Uses-and-Gratifications-
motiviert sein mag, bisherige Forschungsergebnisse zeigen Ansatz (Vogel, Suckfüll & Gleich, 2007). In diesem Ansatz
jedoch eher eine den Lernerfolg hemmende Wirkung von wird angenommen, dass Menschen die Art und Weise des
Hintergrundmusik während des Lernens (Mayer & Mo- Medienkonsums aufgrund des erwarteten Nutzens und der
reno, 2003; Brünken, Plass & Leutner, 2004). Hingegen ist (angenommenen) Bedürfnisbefriedigung wählen. Es wird
144 Kapitel 6 • Medien

.. Abb. 6.11  Dauer des Radiokonsums nach


1 Altersgruppen in Deutschland (2007)

2
3
4
5
6
7
.. Abb. 6.12  Sehdauer in Deutschland nach
8 Alter, Geschlecht und Bildungsstand (2007)

9
10
11
12
13
14
15 aber verschiedentlich kritisiert, dass sich Menschen nicht Insgesamt betrachtet geht dieser Ansatz somit davon aus,
immer dem erwarteten Nutzen bewusst seien und die Wahl dass die Wahl des Medieninhalts primär nicht volitional
des Medienkonsums eher selten durch aktive volitionale gesteuert ist. Auch die Mood-Management-Theorie (Zill-
16 Entscheidungsprozesse geleitet sei. mann, 1988) postuliert eine wenig volitional gesteuerte
Im Unterschied zum Uses-and-Gratifications-Ansatz Wahl der Medieninhalte. Sie nimmt an, dass Menschen
17 besagt die Theorie der selektiven Zuwendung (Vogel danach streben, ihre Stimmungslage zu optimieren, indem
et al., 2007), dass Menschen die Medien wählen, die ihrem positive Stimmungen beibehalten, negative Stimmungen
eigenen Standpunkt inhaltlich nahestehen. Hierbei spie- reduziert oder ganz vermieden werden.
18 len vor allem politische, moralische und weitere normative
Einstellungen eine gewichtige Rolle. Dabei verstärkt die
19 selektive Medienauswahl und -wahrnehmung langfristig 6.4.3 Computer und Internet
die eigenen Standpunkte und führt zu einer Gewohnheits-
20 bildung, indem Menschen mit der Zeit eine ▶ Kanaltreue Unter allen Unterhaltungsmedien haben computer- und
entwickeln. Zudem zielt die Gestaltung des Fernsehpro- internetbasierte Medien in den letzten 10  Jahren ihre
gramms darauf ab, diese Kanaltreue zu unterstützen, in- Reichweite in etwa verzehnfacht (. Abb. 6.13). So sind
21 dem Zuschauer über verschiedene Sendungen hinweg inzwischen etwa zwei Drittel der Bevölkerung Deutsch-
(z. B. durch Moderationstechniken wie die Vorschau auf lands der Gruppe der ▶ Onlinenutzer zuzurechen. Dabei
22 kommende Sendungen während einer Sendung) gebunden werden computer- und internetbasierte Medien von einem
werden (Vererbungseffekt; Schramm & Hasebrink, 2004). Großteil der erwachsenen Nutzer sowohl zu arbeitsbezoge-
6.4  •  Medien in außerinstitutionellen Kontexten
145 6

Exkurs  |       | 

Auswirkungen intensiven Fernsehkonsums und gewalthaltiger Medieninhalte


Über die Auswirkungen des Fernseh- das Betrachten eines gewalthaltigen sondere fehlen Daten zu Auswirkungen
konsums gibt es eine lang anhaltende Inhalts als Teil eines Initiationsritus unter gewalthaltiger Inhalte bei erwachsenen
Kontroverse (▶ Abschn. 6.1.2, Exkurs). Jugendlichen wahrgenommen werden Medienkonsumenten. Die wenigen, meist
Während für Erwachsene bisher kaum („Mutprobe“) und nicht als Aufforderung korrelativen Befunde zeigen zusam-
Befunde zu den Folgen des Fernsehkon- zur realen Gewalttätigkeit. Jedoch ist die menfassend, dass ein Zusammenhang
sums vorliegen, wird in verschiedenen häufig als Begründung für den Nutzen zwischen hohem Fernsehkonsum in
Arbeiten vermutet, dass die soziale von gewalthaltigen Inhalten angeführte der Kindheit (durchschnittlich mehr als
und emotionale Entwicklung sowie die Katharsis-Hypothese empirisch klar 2 Stunden täglich, insbesondere mit
Sprach- und Lesefertigkeiten von Kindern widerlegt. Gemäß dieser Hypothese senkt regelmäßigem Konsum realistischer Ge-
durch einen hohen Fernsehkonsum das Betrachten gewalthaltiger Inhalte waltdarstellungen) und erhöhter alltägli-
beeinträchtigt werden. Allerdings wirkt die eigene Gewaltbereitschaft, indem die cher Aggression sowie einer verringerten
sich der Fernsehkonsum je nach Alter, eigenen Aggressionen stellvertretend Empathie existiert (Bushman & Hues-
Geschlecht, Intelligenz und sozialem durch das Betrachten gewalthaltiger mann, 2006; Anderson, 2004). Jedoch sind
Hintergrund der Kinder unterschiedlich Inhalte ausgelebt werden können (u. a. solche negativen Auswirkungen eher als
aus (Ennemoser, Schiffer, Reinsch & Bushman & Huesmann, 2001). Teil einer komplexen Entwicklungskons-
Schneider, 2003). Nachgewiesen ist, dass Betrachtet man die kurzzeitigen Folgen tellation zu sehen und nicht allein durch
Kinder mit hohem Fernsehkonsum eine gewalthaltiger Medien, so zeigen sich das Fernsehen verursacht. So führen in
schwächere Sprach- und Leseleistungen höhere Dispositionen zu aggressiven und Verbindung mit dem Fernsehkonsum
aufweisen, wobei zu fragen ist, inwiefern geringere zu prosozialen Verhaltenswei- zahlreiche psychische (z. B. geringe
diese Kinder aufgrund ihrer Lese- und sen. Damit verbunden ist eine stärkere Empathie, starke Erregbarkeit, fehlende
Sprachdefizite das „leichtere“ Medium Erregung der Rezipienten sowie eine soziale Kompetenz) und vor allem soziale
Fernsehen als Freizeitbeschäftigung be- verstärkte Wahrnehmung der Umwelt als Faktoren (z. B. geringe und wenig einfühl-
vorzugen (Ennemoser & Schneider, 2007; feindlich sowie vermehrt Emotionen, die same Betreuung durch Eltern, geringes
Ennemoser et al., 2003). mit Aggressionen verbunden sind (An- Einkommen, geringe soziale Eingebun-
Betrachtet man die Auswirkungen des derson & Bushman, 2001). Insbesondere denheit) zu negativen Konsequenzen für
Konsums gewalthaltiger Inhalte in Filmen Kinder im Vorschulalter reagieren in stär- das aktuelle und langfristige Verhalten
und Spielen durch Fernsehen, Compu- kerem Maße mit aggressivem Verhalten der Rezipienten. Fasst man die bestehen-
ter, Spielekonsolen und das Internet, nach dem Konsum gewalthaltiger Medien den empirischen Befunde zusammen, ist
zeigt sich, dass nach der Betrachtung im Vergleich zu Kindern im Schulalter von einem geringen bis mäßigen Einfluss
gewalttätiger Inhalte die Rezipienten bzw. frühen Erwachsenenalter (Bushman des Medienkonsums auf die Befindlich-
solcher Inhalte kurzzeitig ein höheres & Huesmann, 2001). Auch wurden bei keit und die psychosoziale Entwicklung
Erregungspotenzial aufweisen, welches Jungen im Vergleich zu Mädchen stärkere der Rezipienten auszugehen, denn der
sich aber rasch wieder auf das normale Reaktionen auf in Medien beobachtete Medienkonsum stellt dabei nur einen
Niveau vor dem Medienkonsum einstellt. Gewalt registriert. unter mehreren teils gewichtigeren Fak-
Zudem werden gewalthaltige Inhalte Im Unterschied zum gut untersuchten toren dar, wobei jedoch vor allem jüngere
nicht von allen Rezipienten in gleicher Bereich der kurzfristigen Auswirkungen Kinder stärker durch Medien beeinflusst
Weise interpretiert, sondern in vielfältiger von gewalthaltigen Medien existieren werden.
Weise verarbeitet. Beispielsweise kann weitaus weniger Langzeitstudien. Insbe-

nen Aufgaben als auch zur Unterhaltung eingesetzt. Jedoch (. Abb. 6.14). Während die unter 30-Jährigen zu weit über
überwiegt bei Kindern und Jugendlichen die Nutzung von 90 % Onlineangebote nutzen, sinkt diese Rate mit zuneh-
Computern und Internet zu Unterhaltungszwecken (Me- mendem Alter ab. Bei den Menschen im Rentenalter nut-
dienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2005). zen nur noch ein Viertel aller Personen Onlineangebote.
Bemerkenswert ist, dass trotz der im internationalen Ver- Computer- und internetbasierte Medien können die
gleich geringen Nutzung von Computern in der Schule Funktionen aller anderen Unterhaltungsmedien in ver-
(▶ Abschn. 6.3.2) Kinder und Jugendliche ab 10  Jahren gleichbarer Weise erfüllen, da etwa Radio- und Musikpro-
dennoch in großer Breite Erfahrungen im Umgang mit gramme oder Musikdateien gehört bzw. Onlinezeitungen
Computern besitzen, da rund 92 % der Schüler privat einen gelesen werden können. Nutzt man den Computer zur
Zugang zu Computern haben und sogar 43 % der 10- bis Wiedergabe der zuvor genannten Medien, dann können
19-Jährigen über einen eigenen Computer verfügen (CHIP, die Nutzungsmotive, Auswirkungen und Risiken des Me-
2008). dienkonsums von computerbasierten Medien mit denen
Betrachtet man die Onlinenutzung nach Altersgrup- des Musik-, Radio- und Fernsehkonsums gleichgesetzt
pen, so zeigt sich deutlich, dass computer- und internetba- werden. Eine Besonderheit hingegen stellt die Interaktivi-
sierte Medien im Gegensatz zum Fernsehen Medien sind, tät des Computers und des Internets dar, was sich insbe-
die von vergleichsweise jungen Menschen genutzt werden sondere an computer- und internetbasierten Spielen ver-
146 Kapitel 6 • Medien

.. Abb. 6.13  Entwicklung der Onlinenut-


1 zung in Deutschland bis 2007

2
3
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5
6
7
.. Abb. 6.14  Onlinenutzung in Deutschland
8 nach Gebiet, Geschlecht und Altersklassen
in Deutschland (2007)

9
10
11
12
13
14
15 deutlichen lässt. Mittels Computern und Internet können schen Spielern werden zum Teil durch das Spielgeschehen
Menschen mit anderen Spielern oder dem Computer selbst selbst notwendig, um weitere Fortschritte im Spielablauf
interagieren. zu erzielen.
16 Gerade die Nutzung von computer- und internetba- Insbesondere die in Einzelfällen zeitlich sehr extreme
sierten Spielen hat zu einer sehr kontroversen Debatte hin- Nutzung von Computerspielen (über 40 Stunden pro Wo-
17 sichtlich der Motive und der Auswirkungen dieser Spiele che) von Kindern und Jugendlichen, hat erhebliche Kritik
geführt. Gerade die Interaktivität computerbasierter Spiele hervorgerufen. Neben der Debatte, inwiefern Computer-
sowie die Individualisierungsmöglichkeiten von Compu- spiele mit gewalttätigen Inhalten aggressiv machen (zu die-
18 terspielen (z. B. durch die individuelle Gestaltung der Spiel- ser Debatte ▶ Abschn. 6.4.2), werden der intensiven Nut-
figur) kann zu einem höheren Selbstwirksamkeitserleben zung von Computer und Internet als Unterhaltungsmedien
19 führen, was die Nutzer als besonders positiv erleben und Folgen wie zunehmende soziale Isolierung, Verlust sozialer
sie stark motiviert, ein Spiel fortzuführen. Zudem trägt die Kompetenz, mangelhaftes Lern- und Leistungsverhalten,
20 hohe Belohnungsrate in Computerspielen dazu bei, dass höhere Delinquenz und schlechtere körperliche Gesundheit
eine hohe Selbstwirksamkeit erlebt wird (Klimmt, 2004). zugeschrieben. Zwar gibt es einige empirische Evidenz für
Die Bindung an ein Spiel wird zusätzlich durch das Zu- diese Kritikpunkte, dennoch erscheint manche Kritik (z. B.
21 sammenspiel mit anderen Spielen in sog. „massively mul- „Bildschirm-Medien machen dick, faul und gewalttätig“;
tiplayer online role-playing games“ (MMORPG) verstärkt, Spitzer, 2005) an computerbasierten Unterhaltungsmedien
22 weil hier langfristige soziale Beziehungen zu anderen Spie- überzogen. Zudem muss man fragen, inwiefern ein Verbot
lern aufgebaut werden. Diese sozialen Beziehungen zwi- für Kinder und Jugendliche im Umgang mit Computern
Literatur
147 6

und dem Internet langfristig sogar schädlich sein kann, da Vertiefende Literatur
Kinder und Jugendliche in diesem Falle wohl keine zeitge- Batinic, B. & Appel, M. (Hrsg.). (2008). Medienpsychologie. Heidelberg:
Springer.
mäße Medienkompetenz erwerben können. Völlig unstrit-
Issing, L. J. & Klimsa, P. (Hrsg.). (2009). Online-Lernen. München: Olden-
tig hingegen ist, dass es entscheidend für die Vermeidung bourg.
negativer Folgen der Computer- und Internetnutzung bei Mangold, R., Vorderer, P. & Bente, G. (Hrsg.). (2004). Lehrbuch der Medi-
Kindern und Jugendlichen ist, dass Eltern den Medienkon- enpsychologie. Göttingen: Hogrefe.
sum ihrer Kinder begleiteten und in Verbindung mit den Mayer, R. E. (Ed.). (2005). The Cambridge Handbook of Multimedia Lear-
ning. Cambridge: Cambridge University Press.
Schulen die Medienkompetenz ihrer Kinder fördern.

Fazit Literatur
Das heutige Lehren und Lernen ist ohne Medien nicht
mehr vorstellbar. Insbesondere Neue Medien haben Anderson, J. R. (2001). Kognitive Psychologie. Heidelberg: Spektrum.
zu einem enormen Anwachsen der Lehr- und Lernfor- Anderson, C. A. (2004). An update of the effects of playing violent
men geführt. Um medienbasiertes Lehren und Lernen games. Journal of Adolescence, 27, 113–122.
Anderson, C. A., & Bushman, B. J. (2001). Effects of violent video games
effizient zu gestalten, ist das Verständnis der kognitiven
on aggressive behaviour, aggressive cognition, aggressive affect,
Prozesse bei der Rezeption von Texten, statischen sowie physiological arousal, and prosocial behaviour: a meta‐analytic re-
animierten Bildern und multimedialen Lernumgebun- view of the scientific literature. Psychological Science, 12, 353–359.
gen von Bedeutung, da Lernen in Abhängigkeit vom Artelt, C., Stanat, P., Schneider, W., & Schiefele, U. (2001). Lesekompetenz:
Medium unterschiedliche kognitive Kompetenzen vor- Testkonzeption und Ergebnisse. In J. Baumert, E. Klieme, & M. Neu-
brand et al. (Hrsg.), PISA 2000 – Basiskompetenzen von Schülerinnen
aussetzt. Weiterhin ist zu bedenken, dass insbesondere
und Schülern im internationalen Vergleich (S. 69–137). Opladen:
das Vorwissen einen starken Einfluss auf medienba- Leske + Budrich.
sierte Lernprozesse ausübt. Betrachtet man den Einsatz Baacke, D. (1997). Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.
von Medien in institutionalisierten Bildungskontexten, Baddeley, A. D. (1986). Working memory. New York: Oxford University
zeigt sich, dass in der Schule das Lernen mit Neuen Press.
Baddeley, A. (1992). Working Memory. Science, 255, 556–559.
Medien bisher erst in geringerem Maße integriert ist
Baddeley, A. (2003). Working memory: looking back and looking for-
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148 Kapitel 6 • Medien

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151 III

Motivieren
Kapitel 7 Motivation – 153
Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner

Kapitel 8 Selbstkonzept – 177
Jens Möller, Ulrich Trautwein

Kapitel 9 Emotionen – 201
Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun
153 7

Motivation
Ulrich Schiefele, Ellen Schaffner

7.1 Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale  –  154


7.1.1 Extrinsische und intrinsische Motivation  –  155
7.1.2 Dispositionale Motivationsmerkmale – 159

7.2 Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung  –  163


7.2.1 Leistungsmotivation – 163
7.2.2 Zielorientierung – 164
7.2.3 Intrinsische vs. extrinsische Motivation  –  165
7.2.4 Interesse – 166

7.3 Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale  –  167


7.3.1 Leistungsmotivation und Zielorientierung  –  167
7.3.2 Interesse und intrinsische Motivation  –  168

Literatur – 171

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
154 Kapitel 7 • Motivation

Motivationale Merkmale und Prozesse werden in der Pädago-


1 gischen Psychologie vor allem auf das Lernen bezogen. Der
besondere Stellenwert der Motivation für das Lernverhalten
2 und die Leistung ist dabei durch zahlreiche empirische Stu-
dien belegt worden (▶ Abschn. 7.2). Diese Studien zeigen,
dass bestimmte Formen der Lernmotivation den Lernerfolg
3 unabhängig von kognitiven Lernvoraussetzungen, wie z. B.
der Intelligenz, begünstigen, wohingegen andere Motivati-
4 onsformen den Lernerfolg beeinträchtigen können. Dabei ist
zu berücksichtigen, dass Motivation die Lernleistung nicht nur
5 auf einem relativ direkten Weg (z. B. über Aspekte der Informa-
tionsverarbeitung) beeinflussen kann. Es gibt darüber hinaus
Hinweise auf verschiedene indirekte Auswirkungen von Mo-
6 tivation. Die Motivation beeinflusst nicht nur bildungsbezo-
gene Entscheidungen wie Kurs- und Studienfachwahlen, son-
7 dern auch lernbezogene Verhaltensweisen wie die investierte
Lernzeit. Die Bedeutung der Motivation ergibt sich nicht nur

8 aus ihrer leistungsförderlichen Wirkung. Vielmehr sind hoch


motivierte Lerner bzw. Schüler auch deshalb wünschenswert,
weil der Unterricht mit motivierten Schülern konfliktfreier, rei-
9 bungsloser und effizienter abläuft. Die daraus resultierende
Erhöhung von Lernzeit und Erlebensqualität kann wiederum
10 den Lernerfolg begünstigen. Schließlich sind Motivation
und (vor allem) Interesse wichtig, weil sie dafür sorgen, dass
.. Abb. 7.1  
Schüler auch langfristig danach streben, sich mit bestimmten
11 Fächern auseinanderzusetzen (z. B. in Studium und Beruf ). In scheiden, mit denen Schüler lernen (Schiefele & Schreyer,
Übereinstimmung mit dieser Sichtweise hat die neuere, kons- 1994; Wild, 2000).
12 truktivistische Instruktionsforschung (▶ Kap. 4) motivationale
Definition 
Variablen zunehmend als wichtige Kriterien erfolgreichen Un-

13 terrichts berücksichtigt (. Abb. 7.1). Nach Rheinberg & Vollmeyer (2012, S. 15) kann die
Motivation als eine „aktivierende Ausrichtung des
momentanen Lebensvollzugs auf einen positiv be-
14 7.1 Unterschiedliche Motivationsformen werteten Zielzustand“ definiert werden.
und -merkmale
15
Motivation gilt als zentrales Konstrukt der Verhaltenser- Die Definition von Rheinbergs & Vollmeyer (2012) betont
klärung. Insbesondere die Zielrichtung (was eine Person die „energetisierende“ Funktion der Motivation sowie die
16 tut), die Ausdauer (wie lange eine Person etwas tut) und Tatsache, dass sie einen aktuellen bzw. vorübergehenden
die Intensität (wie sehr sich eine Person bei einer Tätigkeit Zustand darstellt. Motivation wird jedoch auch als habitu-
17 konzentriert bzw. anstrengt) werden als motivationsab- elles Merkmal operationalisiert und erforscht. In der Regel
hängige Verhaltensmerkmale angesehen (z. B. Rheinberg werden die Versuchspersonen dabei gefragt, wie häufig eine
& Vollmeyer, 2012; Schunk, Pintrich & Meece, 2008). Die bestimmte aktuelle Motivation in einem längeren Zeitraum
18 Motivation einer Schülerin sollte somit einen Einfluss da- (z. B. innerhalb des letzten Jahres) bei ihnen aufgetreten ist.
rauf haben, ob sie am Nachmittag für eine Prüfung lernt Eine habituelle Motivation ist folglich durch ihr wieder-
19 statt z. B. ihre Freunde zu treffen (Zielrichtung), wie viel holtes bzw. gewohnheitsmäßiges Auftreten gekennzeichnet
Zeit sie in die Prüfungsvorbereitung investiert (Ausdauer) (Pekrun, 1988). Demnach zeichnet sich ein Schüler mit ei-
20 und wie sehr sie sich beim Lernen anstrengt (Intensität). ner hohen habituellen Lernmotivation dadurch aus, dass er
Neben diesen „klassischen“ Aspekten des Verhaltens kön- häufig und in vielen Situationen zum Lernen motiviert ist.
nen weitere motivationsabhängige Verhaltensmerkmale Die bisher behandelte allgemeine Definition der Moti-
21 angenommen werden. Beim Lernen ist hier insbesondere vation ist hinsichtlich ihres Erklärungswerts des Lernver-
die Art und Weise des Lernverhaltens in Betracht zu zie- haltens und der Lernleistung allerdings begrenzt. So hat
22 hen. So ist z. B. nachgewiesen worden, dass sich abhängig sich in der pädagogisch-psychologischen Forschung die
von der motivationalen Ausgangslage die Strategien unter- Unterscheidung verschiedener Motivationsformen durch-
7.1  •  Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale
155 7

gesetzt, die das Lernverhalten im Sinne der allgemeinen z. B. indem man eine der beiden Motivationsformen ex-
Definition zwar gleichermaßen „energetisieren“, gleich- perimentell induziert (Schaffner & Schiefele, 2007) oder
zeitig aber z. B. die Verwendung verschiedener (reproduk- den Effekt der jeweils anderen Motivationsform bei der
tions- vs. verständnisorientierter) Lernstrategien nach sich Vorhersage eines Kriteriums (z. B. der Lernleistung) sta-
ziehen und den Lernerfolg entsprechend unterschiedlich tistisch kontrolliert.
beeinflussen können (Schiefele & Schreyer, 1994; Wild,
2000). Als zentral ist in diesem Zusammenhang die Un- Extrinsische Motivation
terscheidung zwischen intrinsischer und extrinsischer Mo- Im Bereich schulischen Lernens können gute Leistungen
tivation hervorzuheben. als das wichtigste Handlungsergebnis aufgefasst werden.
Damit in Übereinstimmung existiert zur Leistungsmoti-
vation bzw. zur leistungsbezogenen Lernmotivation eine
7.1.1 Extrinsische und intrinsische große Zahl von Forschungsarbeiten (Brunstein & Heck-
Motivation hausen, 2006; Wigfield, Eccles, Schiefele, Roeser & Davis-
Kean, 2006).
Lernmotivation wird als Absicht verstanden, spezifische
Inhalte oder Fertigkeiten zu lernen, um damit bestimmte Definition 
Ziele bzw. Zielzustände zu erreichen. Diese allgemeine Die leistungsbezogene Lernmotivation äußert sich
Begriffsbestimmung lässt offen, welche Ziele jeweils im in der Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, um
Einzelnen verfolgt werden. Es können zwei übergeord- später im Rahmen einer Leistungssituation (z. B. in ei-
nete Kategorien von Zielen unterschieden werden: die ner Prüfung) eine gute Leistung erbringen zu können.
Konsequenzen, die auf eine Handlung folgen (z. B. soziale
Anerkennung), und die Erlebenszustände, die bereits wäh-
rend der Handlungsausführung eintreten (z. B. Anregung, Dabei ist zu beachten, dass gute Leistungen nicht um ihrer
Kompetenzgefühle). Im ersten Fall liegen die angestrebten selbst willen angestrebt werden (vgl. Heckhausen, 1989),
Zielzustände außerhalb der Handlung und man spricht sondern weil sie positive Konsequenzen für die Selbstbe-
deshalb von extrinsischer Lernmotivation. Im zweiten wertung (z. B. Stolz), die Fremdbewertung (z. B. soziale
Fall liegen die angestrebten Zielzustände innerhalb der Anerkennung durch den Lehrer) und die Annäherung an
Handlung und die entsprechende Lernmotivation ist in- Oberziele (z. B. Ausüben eines bestimmten Berufs) nach
trinsischer Natur. In der Forschung wurden die extrinsi- sich ziehen. Die leistungsbezogene Lernmotivation rich-
sche und intrinsische Lernmotivation häufig als habituelle tet sich also auf Sachverhalte, die prinzipiell außerhalb der
Merkmale operationalisiert (Schiefele, 1996). Lernhandlung liegen bzw. auf sie folgen. Sie stellt daher
eine Form der extrinsischen Lernmotivation dar (auch
Definition  Schneider, 1996).
Unter extrinsischer Lernmotivation versteht man Neben der leistungsbezogenen Lernmotivation lassen
die Absicht, eine Lernhandlung durchzuführen, weil sich weitere Formen extrinsischer Lernmotivation unter-
damit positive Konsequenzen herbeigeführt oder scheiden. Denn auch wenn die Leistung im schulischen
negative Konsequenzen vermieden werden. Intrin- Kontext stark betont wird, zielt nicht jede Lernhandlung
sische Lernmotivation bezeichnet die Absicht, eine notwendig auf das Erreichen einer guten Leistung ab.
bestimmte Lernhandlung durchzuführen, weil die Lernhandlungen können auch direkt auf Selbstbewertung,
Handlung selbst von positiven Erlebenszuständen Fremdbewertung und die Annäherung an Oberziele ge-
begleitet wird (Schiefele, 1996). richtet sein. Beispielsweise ist denkbar, dass ein Schüler
seine Hausaufgaben vor allem deshalb sorgfältig bearbeitet,
weil er von seinen Eltern dafür Lob erhält. Neben dieser
Die bisherige Forschung gibt Hinweise darauf, dass sich auf Fremdbewertung zielenden sozialen Lernmotivation
extrinsische und intrinsische Lernmotivation nicht aus- erscheint auch die Annahme einer selbstbewertungsba-
schließen, sondern z. B. gleichermaßen hoch ausgeprägt sierten und einer an Oberzielen orientierten Lernmoti-
sein können (z. B. Amabile et al., 1994; Buff, 2001). Dies vation sinnvoll (z. B. „Wenn ich es schaffe, diesen kompli-
ist aus theoretischen Gründen nicht verwunderlich, denn zierten Text durchzuarbeiten, bin ich stolz auf mich“, „Ich
Lernen ist neben intrinsischen Anreizen meist auch mit arbeite diesen komplizierten Text durch, weil ich das darin
handlungsexternen Konsequenzen verbunden (z. B. so- enthaltene Wissen später einmal brauchen kann“). Solche
ziale Anerkennung, Erreichen von Ausbildungszielen). Facetten der Lernmotivation wurden allerdings nur selten
Dennoch lassen sich die Effekte intrinsischer und ext- empirisch untersucht (z. B. Covington, 1992; Hayamizu &
rinsischer Motivation separat voneinander untersuchen, Weiner, 1991; Pekrun, 1983).
156 Kapitel 7 • Motivation

Eine wichtige Differenzierung der leistungsbezoge- die Probanden (meist Schüler oder Studierende) tatsäch-
1 nen Lernmotivation ergibt sich aus dem Konzept der lich zwischen den verschiedenen Formen extrinsischer
Bezugsnormen von Rheinberg (1980; Rheinberg & Fries, Lernmotivation, wie z. B. der leistungsbezogenen und der
2 2010). Rheinberg unterscheidet bei der Leistungsbeur- sozialen Lernmotivation? Zur Beantwortung dieser Fragen
teilung zwischen einer individuellen, einer sozialen und kann auf Studien zurückgegriffen werden, in denen Instru-
einer sachlichen Bezugsnorm. Im Falle der individuellen mente zur Erfassung der habituellen (extrinsischen und in-
3 Bezugsnorm ist der zu erreichende Gütemaßstab durch trinsischen) Lernmotivation eingesetzt wurden (Schiefele,
die eigene frühere Leistung des Lerners bestimmt, bei der 1996). Diese Instrumente sehen vor, dass die Probanden
4 sozialen Bezugsnorm dagegen durch das Leistungsniveau nach dem Ausmaß befragt werden, in dem sie verschie-
einer bestimmten Bezugsgruppe (z. B. der Schulklasse) und dene Formen der Lernmotivation üblicherweise zeigen
5 bei der sachlichen Bezugsnorm durch ein aus sachlichen (z. B. „Ich lerne vor allem deshalb, um von anderen gelobt
(z. B. curricularen) Erwägungen abgeleitetes Leistungs- zu werden“). Eine Analyse einschlägiger Fragebogen (z. B.
bzw. Lernziel. Man kann daher unterschiedliche Formen Amabile, Hill, Hennessey & Tighe, 1994; Gottfried, 1986;
6 der leistungsbezogenen Lernmotivation differenzieren, Harter, 1981; Vallerand et al., 1992, 1993) ergab für die
je nachdem, ob gute Leistungen im Vergleich mit der ei- habituelle extrinsische Lernmotivation die Unterscheidung
7 genen früheren Leistung (individuelle Bezugsnorm), im sechs verschiedener Komponenten (▶ Übersicht).
Vergleich zu anderen Personen (soziale Bezugsnorm) oder Die in der Übersicht enthaltene leistungsbezogene
im Vergleich mit einem sachlichen Kriterium (sachliche Lernmotivation geht über die im vorangegangenen Ab-
8 Bezugsnorm) angestrebt werden. Die leistungsbezogene schnitt getroffene Differenzierung hinaus. Dort wurde die
Lernmotivation, die sich an individuellen Vergleichsmaß- an individuellen Bezugsnormen orientierte leistungsbezo-
9 stäben orientiert und Leistungssteigerung anstrebt, deckt gene Lernmotivation als kompetenzbezogene Lernmotiva-
sich am ehesten mit der klassischen Leistungsmotivations- tion charakterisiert und von der an sozialen Bezugsnor-
10 theorie (z. B. Atkinson, 1957). Diese Form der Motivation men orientierten, wettbewerbsbezogenen Lernmotivation
kann daher als Leistungsmotivation im engeren Sinne oder unterschieden. Die Inhaltsanalyse einschlägiger Instru-
als kompetenzbezogene Leistungsmotivation bezeichnet mente legt jedoch zusätzlich eine auf Leistungsrückmel-
11 werden. Wenn die handelnde Person jedoch danach strebt, dung zielende Form der Lernmotivation nahe, bei der
soziale Bezugsnormen zu übertreffen, dann kann man von weder die Kompetenzerweiterung noch der Wettbewerb
12 wettbewerbsbezogener Leistungsmotivation sprechen. im Vordergrund stehen (Amabile et al., 1994). Eine ent-
Zusammenfassend ergibt sich demnach die folgende sprechend motivierte Person lernt vor allem, um in ei-
Differenzierung verschiedener Formen von extrinsischer ner Leistungs- oder Testsituation ein gutes Resultat bzw.
13 Lernmotivation. Zum einen lassen sich zwei Formen der eine positive Bewertung ihrer Leistung (insbesondere im
leistungsbezogenen Lernmotivation unterscheiden, wobei Sinne von Noten, nicht im Sinne sozialer Anerkennung)
14 in einem Fall der individuelle Kompetenzgewinn und im zu erreichen. Die Übersicht zeigt zudem, dass eine rein
anderen Fall das überlegene Abschneiden im Vergleich selbstbewertungsbasierte Lernmotivation bislang nicht
15 mit anderen im Vordergrund steht. Zum anderen lassen in die Forschung einbezogen wurde. Die Aspekte der
sich die soziale, die selbstbewertungsbasierte und die Fremdbewertung (soziale extrinsische Lernmotivation)
oberzielorientierte Lernmotivation voneinander abgren- und der Annäherung an Oberziele (beruflich-materielle
16 zen. Prototypisch betrachtet kann man demnach Schüler und beruflich -inhaltliche extrinsische Lernmotivation)
unterscheiden, die beim Lernen vor allem danach streben, sind jedoch vertreten.
17 von wichtigen Bezugspersonen gelobt bzw. anerkannt zu
werden, auf die Ergebnisse ihrer Lernhandlungen mit po-
Komponenten der extrinsischen Lernmotivation
sitiver Selbstbewertung zu reagieren (z. B. Stolz, Freude)
18 und/oder wichtige persönliche Ziele (z. B. ein bestimmtes
(ELM)
Lernen, um
Ausbildungsniveau) zu erreichen.
19 1. positive Leistungsrückmeldungen (z. B. Noten) zu
Empirische Befunde zu Komponenten erhalten (leistungsbezogene ELM),
der extrinsischen Lernmotivation 2. die eigene Kompetenz zu erweitern (kompetenzbe-
20 zogene ELM),
Bisher erfolgte die Differenzierung verschiedener Formen
3. andere zu übertreffen bzw. die eigene überlegene
extrinsischer Lernmotivation auf einer theoretischen Ebene
21 über die Gründe, die bei der Initiierung von Lernaktivitä- Fähigkeit zu demonstrieren (wettbewerbsbezo-
gene ELM),
ten (v. a. im schulischen Kontext) eine Rolle spielen. Doch
22 lässt sich die vorgenommene Differenzierung extrinsischer 4. soziale Anerkennung zu erhalten (soziale ELM),
Lernmotivation auch empirisch bestätigen? Unterscheiden
7.1  •  Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale
157 7

Autoren auch in diesem Fall davon aus, dass alle Menschen


5. beruflich-materielle Ziele zu erreichen (Prestige,
Autonomie als etwas Positives erleben, weil ihnen ein psy-
Gehalt; beruflich-materielle ELM),
chologisches Bedürfnis nach Selbstbestimmung angebo-
6. eine angestrebte berufliche Tätigkeit ausüben zu
ren ist (vgl. deCharms, 1968). Deci und Ryan verweisen
können (beruflich-inhaltliche ELM).
schließlich noch auf die Bedeutung eines dritten Grund-
bedürfnisses, dem Bedürfnis nach sozialer Bezogenheit.
Dieses Bedürfnis manifestiert sich u. a. in dem Ziel, ver-
Intrinsische Motivation trauensvolle und unterstützende Beziehungen zu anderen
Als zentrales Merkmal der intrinsischen Motivation wurde Menschen aufzubauen. Die soziale Bezogenheit kann nicht
bereits festgehalten, dass positive Erlebnisqualitäten eine nur erklären, warum soziale Anerkennung einen so wichti-
Handlung begleiten und maßgeblich dafür sind, dass eine gen extrinischen Anreiz darstellt, sondern sie bedingt auch
Person die entsprechende Handlung initiiert und ausführt. die Entwicklung von Interessen (indem z. B. das Hobby ei-
Das Konstrukt der intrinsischen Motivation entwickelte nes engen Freundes übernommen wird) und das Entstehen
sich im Zusammenhang mit Versuchen, eine motivatio- von intrinsischer Motivation (indem z. B. Tätigkeiten, die
nale Basis des ▶ Explorations- und Neugierverhaltens zu Kooperation mit anderen ermöglichen, intrinsische An-
finden (Deci & Moller, 2005; Deci & Ryan, 1985; Schiefele reize erhalten).
& Streblow, 2005). ▶ Behavioristische Theorien stießen Die psychologischen Grundbedürfnisse nach Kompe-
hier an ihre Grenzen, da diese Verhaltensweisen ohne ei- tenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit bilden
nen äußeren Anreiz (wie z. B. eine Belohnung) erfolgen. nach Deci und Ryan (1985, 2002) die gemeinsame Grund-
Während der Begriff „intrinsische Motivation“ zunächst lage für das Auftreten intrinsisch motivierten Verhaltens.
nur ausdrücken sollte, dass das Individuum über eine ihm Sie sind gewissermaßen als „Nährstoffe“ zu verstehen, die
eigene Motivationsquelle verfügt, die nicht auf primäre für eine gesunde Entwicklung wesentlich sind (Deci &
Triebe oder externe Verstärkung zurückgeführt werden Moller, 2005). Folglich ist zu erwarten, dass Kontextfakto-
kann, bemühten sich die in der Folge entwickelten The- ren, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse beitragen,
orien zur intrinsischen Motivation um eine Spezifikation nicht nur die intrinsische Motivation, sondern auch die
der handlungsbegleitenden Erlebnisqualitäten, durch die psychische Gesundheit fördern. Dagegen sollten Kontext-
ein bestimmtes Verhalten (z. B. Lernen) einen eigenen An- faktoren, die die Grundbedürfnisse einschränken, negative
reiz erhält. Dabei kann die nachfolgend behandelte Selbst- Konsequenzen für die intrinsische Motivation und – zu-
bestimmungstheorie von Deci und Ryan (1985, 2002b) mindest längerfristig – auch für die psychische Gesundheit
als bedeutsamste moderne Theorie der intrinsischen Mo- nach sich ziehen.
tivation gelten. Weil die subjektiven Wahrnehmungen von Kompetenz
und Selbstbestimmung bei einer Tätigkeit (z. B. dem Ler-
Kompetenz, Selbstbestimmung und soziale nen) nach Deci und Ryan positiven Erlebniswert besitzen,
Bezogenheit können sie dazu führen, dass eine Tätigkeit auch ohne äu-
Deci und Ryan (1985, 2002) vertreten die Auffassung, dass ßere Motivierung initiiert und durchgeführt wird. Es han-
Menschen über ein angeborenes Bedürfnis verfügen, sich delt sich demnach um handlungsimmanente Anreize, die
effektiv und kompetent mit ihrer Umwelt auseinander- beispielsweise auch zur Erklärung des Explorations- und
zusetzen (vgl. White, 1959). Wird dieses Bedürfnis beim Neugierverhaltens herangezogen werden können (s. oben).
Handeln (z. B. der Erledigung der Hausaufgaben) erfüllt, Als weitere handlungsimmanente Anreize kommen auch
steigt die Wahrscheinlichkeit, dass intrinsische Motivation das Flow-Erleben (s. unten) und bestimmte handlungsbe-
auftritt und die Handlung eine positive Erlebnisqualität gleitende Emotionen (z. B. Freude, situationales Interesse)
erhält. Deci und Ryan betonen allerdings auch, dass die infrage.
Annahme eines Kompetenzbedürfnisses nicht ausreicht, Wenngleich das Postulat der Bedürfnisse nach Kom-
um intrinsisch motiviertes Verhalten zu erklären. Es gibt petenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit eine
zahlreiche Handlungen, die zwar kompetenzmotiviert hohe Plausibilität besitzt, ist ein direkter Nachweis ihrer
sind, aber dennoch nicht um ihrer selbst willen durchge- Existenz schwierig. Die Forschungsstrategie von Deci und
führt werden. Eine Schülerin kann sich beim Lernen von Ryan (1985, 2002) bestand zunächst darin, den Nachweis
Vokabeln z. B. durchaus kompetent fühlen, ohne dass eine zu erbringen, dass Beeinträchtigungen der Selbstbestim-
intrinsische Motivation vorliegt. Die Autoren postulieren mung durch externe Kontrolle (z. B. angekündigte Beloh-
daher eine weitere wesentliche Bedingung für das Eintre- nungen) zur Reduzierung von intrinsischer Motivation
ten intrinsischer Motivation: Eine Person muss sich frei führen. Dieser „Unterminierungseffekt“ tritt allerdings nur
von äußerem Druck bzw. als selbstbestimmt handelnd unter bestimmten Bedingungen auf (z. B. muss eine ange-
erleben. Wie bezüglich des Kompetenzerlebens gehen die kündigte Belohnung während der Handlung bewusst sein;
158 Kapitel 7 • Motivation

vgl. Schiefele & Streblow, 2005). In weiteren Studien zeig- menes Aufgehen in der Tätigkeit (Absorbiertsein). Weitere
1 ten Deci und Ryan (1985, 2002), dass die Wahrnehmung Aspekte dieses Erlebens sind die Selbstvergessenheit, das
von Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Bezo- Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein und das
2 genheit positiv mit der intrinsischen Lernmotivation und Gefühl von Kontrolle. Aus den Forschungsarbeiten von
Aspekten der psychischen Gesundheit zusammenhängt. Csikszentmihalyi ist zu schließen, dass das Flow-Erleben
– neben den von Deci und Ryan (1985, 2002) postulierten
3 Tätigkeits- und gegenstandszentrierte Kompetenz- und Selbstbestimmungsgefühlen – einen zen-
Lernmotivation tralen Anreiz intrinsisch motivierter Tätigkeiten darstellt.
4 Die intrinsische Lernmotivation richtet sich also auf posi- Die subjektive Passung von Fähigkeit und Hand-
tive Erlebenszustände, die während der Ausführung einer lungsanforderung stellt dabei die wichtigste Bedingung
5 Handlung eintreten. Dabei kann die Frage gestellt werden, des Flow-Erlebens dar. Flow wird vor allem dann erlebt,
ob die beim Lernen auftretenden Erlebenszustände eher wenn die handelnde Person weder unter- noch überfordert
auf den Charakter der Lernhandlung selbst zurückgehen ist. Damit wird die Nähe zur Selbstbestimmungstheorie
6 oder eher durch den Gegenstand der Lernhandlung be- deutlich, denn eine optimale Passung von Fähigkeit und
dingt sind (Schiefele, 1996; Schiefele & Streblow, 2005). Handlungsanforderung müsste theoretisch auch mit einem
7 Im ersten Fall spricht man von einer tätigkeitszentrier- hohen Kompetenzerleben einhergehen (Rheinberg, 2006;
ten intrinsischen Lernmotivation. Sie tritt ein, wenn ein Schiefele & Streblow, 2005).
Lerner unabhängig vom Lerngegenstand bestimmte Hand-
8 lungsformen (z. B. Gruppenarbeit, praktisches Experimen- Grundbedürfnisse, Internalisierung
tieren) bevorzugt. Im zweiten Fall spricht man von einer und extrinsische Motivation
9 gegenstandszentrierten intrinsischen Lernmotivation. Eine wichtige Differenzierung der Theorie von Deci und
Diese kennzeichnet einen Lerner, der sich unabhängig von Ryan (1985, 2002) betrifft die Unterscheidung verschiede-
10 der jeweils durchgeführten Tätigkeitsform für bestimmte ner Internalisierungsstufen der extrinsischen Motivation
Inhalte interessiert und deshalb positive Gefühle während im Rahmen der Theorie der organismischen Integration.
des Lernens erlebt. Individuelle Interessen des Lerners stel- Mit Hilfe dieser Differenzierung lassen sich einerseits For-
11 len daher eine wichtige Bedingung des Auftretens intrinsi- men der extrinsischen Motivation identifizieren, die der
scher Lernmotivation dar. psychischen Gesundheit nicht abträglich sind. Anderer-
12 Die Unterscheidung einer gegenstands- und tätigkeits- seits trägt die erweiterte Theorie der Tatsache Rechnung,
zentrierten intrinsischen Lernmotivation stimmt mit den dass extrinsisch motivierte Handlungen (z. B. Prüfungs-
Befunden der oben erwähnten Studien überein, in denen vorbereitung zu einem langweiligen Thema) dem Bedürf-
13 die habituelle extrinsische und intrinsische Lernmotivation nis nach Kompetenz, Selbstbestimmung und sozialer Be-
erfasst worden ist (z. B. Amabile et al., 1994). Neben den zogenheit dienlich sein können – auch wenn sie keinen
14 bereits berichteten Komponenten der extrinsischen Lern- Eigenanreiz besitzen. Die extrinsische Motivation einer
motivation wurden in diesen Studien zwei Komponenten Handlung schließt die Erfüllung der psychologischen
15 der intrinsischen Lernmotivation differenziert (Schiefele, Grundbedürfnisse also nicht prinzipiell aus.
1996): Lernen aus Interesse und Neugier (gegenstands- In der Theorie der organismischen Integration ge-
zentriert) und Freude am Lernen (tätigkeitszentriert). hen Deci und Ryan davon aus, dass bei der Sozialisation
16 Allerdings erwiesen sich die beiden Komponenten em- eines Kindes extrinsische Motivationsprozesse unerläss-
pirisch (bzw. faktorenanalytisch) als nicht trennbar, d. h. lich sind. Diese betreffen insbesondere die Übernahme von
17 die intrinsische Lernmotivation kann im Gegensatz zur Normen, Einstellungen und Handlungszielen im Rahmen
extrinsischen Lernmotivation als einheitliches Merkmal von Internalisierungsprozessen. Diese Prozesse werden
aufgefasst werden. Dies deutet darauf hin, dass Gegenstand prinzipiell von den gleichen Bedürfnissen getragen wie
18 und Tätigkeit aus der Sicht der Lerner zumindest in moti- die intrinsische Motivation. Demzufolge ermöglicht die
vationaler Hinsicht eine Einheit bilden. Internalisierung gesellschaftlicher Normen z. B., dass sich
19 das Individuum bei sozial erwünschten Verhaltensweisen
Flow-Erleben (z. B. der Erledigung von Hausaufgaben) selbstbestimmt
20 Die von Csikszentmihalyi (1985, 1990; Csikszentmihalyi, erlebt und von anderen Personen (z. B. dem Klassenleh-
Abuhamdeh & Nakamura, 2005) entwickelte Flow-Theo- rer) sozial anerkannt wird. Längerfristig erleichtert die
rie ergänzt die Sichtweise der Selbstbestimmungstheorie. Internalisierung von Handlungsnormen (z. B. der gel-
21 Csikszentmihalyi konnte zeigen, dass Personen, die eine tenden Regeln innerhalb des Klassenzimmers) auch das
offenbar intrinsisch motivierte Tätigkeit ausüben, ein cha- Wirksamkeitserleben beim Lernen und unterstützt somit
22 rakteristisches Erleben zeigen, dass er als Flow bezeichnet die Kompetenzentwicklung des Individuums. Würde ein
hat. Das Erleben von Flow beinhaltet im Kern ein vollkom- Schüler demgegenüber extern vorgegebene Handlungsziele
7.1  •  Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale
159 7

.. Tab. 7.1  Differenzierung extrinsischer und intrinsischer Motivation. (Adaptiert nach Deci & Ryan, 2002)

Extrinsische Motivation Intrinsische Motivation

Externale Regulation Introjizierte Regulation Identifizierte Regulation Integrierte Regulation Intrinsische Regulation

Handeln aufgrund Internalisierung eines Identifizierung mit Identifizierung mit Handeln aufgrund von
von äußerem Druck Handlungsziels ohne einem Handlungsziel, einem Handlungsziel handlungsbegleitenden
(Belohnung, Bestra- Identifizierung aber vorhandene ohne Konflikte mit Anreizen
fung) Konflikte mit anderen anderen Zielen
Zielen

fremdbestimmt selbstbestimmt

überwiegend zurückweisen, wäre die Erfüllung der drei eines neuen Handlungsziels im Sinne der identifizierten
grundlegenden Bedürfnisse erheblich erschwert. Regulation unmittelbar zu erkennen, ohne die Stufen der
Deci und Ryan unterscheiden drei Stufen der Inter- externalen und introjizierten Regulation zu durchlaufen.
nalisierung, die auch als Formen der Verhaltensregula- Demgegenüber kann es auch zu einer Stagnation auf einer
tion (Fremd- vs. Selbstbestimmung) beschrieben werden niedrigen Internalisierungsstufe kommen, z. B. wenn die
(. Tab. 7.1). Daneben existiert eine Vorstufe der externa- Umwelt den Internalisierungsprozess nicht ausreichend
len Regulation. Auf dieser Ebene der Entwicklung hat unterstützt und die persönliche Bedeutung eines Hand-
noch keine Internalisierung stattgefunden. Das bedeutet, lungsziels nicht vermitteln kann. Folglich sind die Regula-
der Handelnde verfolgt noch kein eigenständiges Ziel, sein tionsstufen auch geeignet, um qualitative Unterschiede in
Handeln wird allein durch externe Belohnungen bzw. Be- der Verhaltensregulation zwischen Personen zu kennzeich-
strafungen reguliert. Die erste Stufe der Internalisierung, nen. So wird z. B. in dem Selbstregulationsfragebogen von
die introjizierte Regulation, kennzeichnet Personen, die Ryan und Connell (1989a, 1989b) das Ausmaß erfragt, in
ein eigenständiges Handlungsziel verfolgen, mit dem sie dem Schüler Lernaktivitäten durchführen,
sich jedoch nicht identifizieren. Diese Personen handeln a) weil es von anderen erwartet wird oder um Schwierig-
nur aufgrund von innerem Druck, z. B. um ein schlechtes keiten zu vermeiden (external),
Gewissen zu vermeiden oder weil es von anderen Personen b) um sich nicht schlecht zu fühlen oder damit Lehrer
erwartet wird. Auf der Ebene der identifizierten Regula- und Mitschüler eine gute Meinung über die eigene Per-
tion werden die ursprünglich externalen Handlungsziele son haben (introjiziert) oder
als persönlich wichtige Zielsetzungen akzeptiert. Die Stufe c) weil ihnen die Durchführung der Aktivität sehr wichtig
der integrierten Regulation wird schließlich erreicht, ist bzw. um mehr zu verstehen und Neues zu lernen
wenn die Person sich nicht nur mit einem bestimmten (identifiziert).
Handlungsziel (z. B. einer höheren beruflichen Position)
identifiziert, sondern dieses auch ohne Konflikte mit an- Die integrierte Regulation wurde nicht berücksichtigt, weil
deren Zielen (z. B. Ausüben eines Hobbys) in ihr Selbst sie empirisch nicht von der identifizierten Regulation abge-
integriert hat. grenzt werden konnte (auch Vallerand et al., 1992, 1993). Es
Die vier Stufen der Regulation repräsentieren Formen fällt einerseits auf, dass die externale und die introjizierte
der extrinsischen Motivation, die sich vor allem durch Regulation im Sinne der sozialen extrinsischen Lernmoti-
das Maß an erlebter Autonomie unterscheiden. Mit zu- vation (s. oben ▶ Übersicht) aufgefasst werden. Anderer-
nehmender Internalisierung werden die von außen an die seits wird die identifizierte Regulation weitgehend mit der
Person herangetragenen Ziele verstärkt in das Selbstbild kompetenzbezogenen Lernmotivation gleichgesetzt. Offen-
integriert. Dabei können die externale und die introji- kundig bedürfen diese Bezüge zwischen den von Deci und
zierte extrinsische Motivation als fremdbestimmt gelten, Ryan (1985, 2002) unterschiedenen Regulationsformen und
die identifizierte und integrierte Regulation dagegen als den von anderen Autoren unterschiedenen Formen extrin-
selbstbestimmt. Die Formen selbstbestimmter extrinsi- sischer Lernmotivation noch weiterer Aufklärung.
scher Motivation unterscheiden sich von der intrinsischen
Motivation durch das Fehlen intrinsischer (bzw. hand-
lungsimmanenter) Anreize. 7.1.2 Dispositionale
Die Stufen von der externalen hin zur integrierten Motivationsmerkmale
Regulation können als Entwicklungsphasen verstanden
werden, die jedoch nicht notwendig alle durchlaufen Als dispositionale Motivationsmerkmale werden im Fol-
werden. So ist es z. B. möglich, die persönliche Relevanz genden das Leistungsmotiv, die Zielorientierungen und
160 Kapitel 7 • Motivation

das Interesse betrachtet. Während habituelle Motivati- Weil projektive Verfahren darüber hinaus relativ auf-
1 onsmerkmale lediglich beschreiben, dass bestimmte Mo- wändig sind, wurden in der Forschung zunehmend auch
tivationen wiederholt auftreten, ohne dafür eine Ursache Fragebogen zur Messung der Komponenten des Leistungs-
2 zu benennen, sind dispositionale Motivationsmerkmale motivs eingesetzt (z. B. Hermans, Petermann & Zielinski,
durch eine benennbare psychische Struktur (in der Re- 1978; Gjesme & Nygard, 1970). Allerdings zeichnen sich
gel eine mentale Repräsentation auf Gedächtnisebene) diese Instrumente durch eine Heterogenität der erfassten
3 gekennzeichnet (Pekrun, 1988). So basiert das Interesse Komponenten aus, die nicht in allen Fällen als zentrale Mo-
eines Schülers an einem Wissensbereich darauf, dass er tivbestandteile zu akzeptieren sind (z. B. „Ausdauer und
4 diesen Bereich mit positiven Emotionen und einer per- Fleiß“, die eher Folgen des Leistungsmotivs darstellen; Her-
sönlichen Relevanz verbindet und diese Verbindung in mans et al., 1978). Interessanterweise konnte wiederholt
5 seinem Gedächtnissystem repräsentiert ist (z. B. Schiefele, festgestellt werden, dass die mit projektiven Verfahren und
1996, 2009). Da die entsprechende mentale Repräsentation mit Fragebogen gemessenen Motive kaum miteinander
relativ dauerhaft in der Person des Schülers verankert ist, korrelieren, durch unterschiedliche Situationen angeregt
6 kann sie das Auftreten habitueller und aktueller Motiva- werden und divergente Effekte aufweisen (Brunstein, 2003,
tionsformen beeinflussen. Die dispositionalen Motivati- 2006).
7 onsmerkmale nehmen folglich kausal betrachtet eine vor- Dies hat McClelland, Koestner und Weinberger (1989)
rangige Position gegenüber den aktuellen und habituellen dazu veranlasst, ein Modell vorzuschlagen, in dem zwei Ar-
Motivationsformen ein. ten von Motiven unterschieden werden, nämlich implizite
8 Die an dieser Stelle behandelten dispositionalen Mo- und explizite Motive. Implizite Motive entziehen sich weit-
tivationsmerkmale können als besonders bedeutsame De- gehend der Introspektion, da sie früh gelernte Präferenzen
9 terminanten für das Auftreten aktueller Lernmotivation für bestimmte Anreize (z. B. Leistungsmotiv: Herausforde-
in einer konkreten Situation gelten. Daneben spielen je- rung durch schwierige Aufgaben) darstellen. Sie sind des-
10 doch auch situative Faktoren (z. B. Ankündigung positiver halb nur indirekt bzw. durch projektive Verfahren messbar.
Handlungsfolgen) sowie das Selbstkonzept (▶ Kap. 8) eine Explizite Motive stellen bewusste Selbstzuschreibungen
Rolle. einer Person dar und können daher gut mit Fragebogen-
11 verfahren erfasst werden. Empirisch ließ sich zeigen, dass
Leistungsmotiv implizite und explizite Maße des Leistungsmotivs teilweise
12 Motive sind nach Rheinberg & Vollmeyer (2012) als zeit- zu unterschiedlichen Ergebnissen in Leistungssituationen
lich stabile Bewertungsvorlieben aufzufassen, d. h. als führen. So wirken z. B. bei Personen mit hohem implizitem
überdauernde Präferenzen für das Erleben spezifischer Leistungsmotiv Rückmeldungen nach der individuellen Be-
13 Zustände. Der Hinweis auf die Stabilität rechtfertigt es, zugsnorm leistungssteigernd, während Personen mit ho-
Motive als Bedingungen der jeweils aktuellen Motivation hem expliziten Leistungsmotiv stärker auf Rückmeldungen
14 aufzufassen und den dispositionalen Motivationsmerkma- nach der sozialen Bezugsnorm ansprechen (Brunstein &
len zuzuordnen. Hoyer, 2002; Brunstein & Schmitt, 2004). Zur Vorhersage
15 Definition 
von Zielorientierungen (s. unten) leisteten implizite und
explizite Motivmaße in einer Studie von Trash und Elliot
Während Leistungsmotivation relativ eindeutig als (2002) allerdings sehr ähnliche Beiträge.
16 das Streben nach Erreichen oder Übertreffen indivi-
dueller oder sozialer Gütemaßstäbe definiert werden Zielorientierung
17 kann (z. B. Heckhausen, 1989), besteht Konsens In den letzten 20  Jahren hat sich die Zielorientierung
darüber, das Leistungsmotiv in ein Annäherungsmo- („goal orientation“) als ein zentrales motivationales Kon-
strukt in der Pädagogischen Psychologie etabliert (z. B.
18 tiv („Hoffnung auf Erfolg“) und ein Vermeidungsmotiv
(„Furcht vor Misserfolg“) zu unterteilen (Brunstein & Dweck, 1991; Elliot, 1999; Kaplan & Maehr, 2007; Spinath
Heckhausen, 2006; Elliot & Thrash, 2002; McClelland, & Schöne, 2003). Die Theorie der Zielorientierung ist als
19 1987). Weiterentwicklung der Leistungsmotivationsforschung zu
verstehen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Ar-
20 beiten von Dweck (1986, 1991) und Nicholls (1984, 1989),
Die Erforschung des Leistungsmotivs erfolgte vielfach die in etwa zur gleichen Zeit ähnliche Konzeptionen vor-
über den Einsatz ▶ projektiver Motivmessverfahren (z. B. gelegt haben. Zielorientierungen werden einerseits als dau-
21 Heckhausen, 1963; McClelland, 1980), die jedoch u. a. auf- erhaft im Gedächtnis repräsentierte Zielüberzeugungen
grund unzureichender Gütekriterien und dem Vorgehen verstanden (z. B. „Ich strebe an, bessere Studienleistungen
22 bei der inhaltlichen Auswertung kritisiert wurden (z. B. als andere Studierende zu erreichen“), die somit disposi-
Schiefele, 1996). tionalen Charakter besitzen (Elliot, 2005). Andererseits
7.1  •  Unterschiedliche Motivationsformen und -merkmale
161 7

können Zielorientierungen auch situativ erzeugt werden dazu tendiert, intrinsisch motiviert zu sein, d. h., diesen
(z. B. durch die Ankündigung sozialer Vergleiche in einer Prozess unabhängig von seinen Folgen als etwas in sich
Leistungssituation) und dann zu einer entsprechenden ak- Interessantes oder Wertvolles zu betrachten. Dagegen er-
tuellen Motivation führen (z. B. aktuelle wettbewerbsbezo- lebt die Ich-orientierte Person die Phase des Kompeten-
gene Lernmotivation). zerwerbs als Mittel zur Demonstration ihrer Fähigkeit.
Aufgabenorientierung ist jedoch nicht mit intrinsischer
Die Theorie von Nicholls Lernmotivation gleichzusetzen. Sie kann in einer gegebe-
Nach Nicholls (1984, 1989) liegt dem Leistungsverhalten nen Situation auch vorhanden sein, ohne dass intrinsische
das Ziel zugrunde, ein hohes Fähigkeitsniveau zu entwi- Motivation auftritt. Zu erwarten ist jedoch eine positive
ckeln bzw. sich und anderen zu demonstrieren. In Ab- Korrelation zwischen Aufgabenorientierung und intrin-
hängigkeit von der Art der Bezugsnorm (s. oben) kann sischer Lernmotivation. Dieser Zusammenhang konnte
es jedoch zwei unterschiedliche Konzepte von Fähigkeit empirisch bestätigt werden (▶ Abschn. 7.1.2).
geben. Wenn Fähigkeit unter Bezugnahme auf die eigenen
früheren Leistungen oder das bisherige Wissensniveau be- Die Theorie von Dweck
urteilt wird (individuelle Bezugsnorm), dann bedeutet Fä- Im Gegensatz zu Nicholls geht Dweck (1986, 1991; Elliott
higkeit einen Zuwachs an Bewältigung, d. h., man beurteilt & Dweck, 1988) von der Frage aus, wie unangepasstes Be-
sich als fähig, wenn man Dinge tun kann, die man vorher wältigungshandeln (schnelles Aufgeben bei Hindernissen,
nicht konnte. Wenn Fähigkeit dagegen unter Bezug auf die Vermeiden schwieriger Aufgaben) bei Schülern erklärt
Leistungen anderer Personen beurteilt wird (soziale Be- werden kann. Da niedrige Intelligenz in den Studien von
zugsnorm), dann bedeutet Fähigkeit, dass man bei gleicher Dweck als Ursache ausgeschlossen werden konnte, präfe-
oder geringerer Anstrengung die gleiche oder eine höhere riert die Autorin eine motivationale Erklärung. Dies führt
Leistung bringt als andere Personen. Nicholls (1989) pos- zur Annahme, dass hilflosigkeits- und bewältigungsorien-
tuliert, dass Personen (z. B. Schüler) in Abhängigkeit von tierte Schüler unterschiedliche Ziele haben. Dweck postu-
den beiden Fähigkeitskonzeptionen entsprechende Ziel­ liert, dass hilflose Schüler sich vor allem an Leistungszielen
orientierungen entwickeln. Dabei soll die intraindividuelle („performance goals“) und bewältigungsorientierte Schü-
Fähigkeitskonzeption mit einer Aufgabenorientierung ler vor allem an Lernzielen („learning goals“) orientieren.
(„task orientation“) und die interindividuelle Fähigkeits- Das Verfolgen von Lernzielen bedeutet, dass vornehm-
konzeption mit einer Ich-Orientierung („ego orientation“) lich danach gestrebt wird, die vorhandene Kompetenz zu
korrespondieren. erweitern. Lernziele entsprechen somit der Aufgaben­
orientierung bei Nicholls. Das Verfolgen von Leistungs-
Definition  zielen bedeutet nach Dweck, dass positive Bewertungen
Die aufgabenorientierte Person strebt danach, ihre der eigenen Kompetenz angestrebt und negative Bewer-
Fähigkeit dadurch zu demonstrieren, dass sie be- tungen vermieden werden. Hier offenbart sich somit ein
stimmte Aufgaben bzw. Probleme bewältigen kann. wesentlicher Unterschied zwischen den Konzeptionen
Die Ich-orientierte Person ist nicht damit zufrieden, von Nicholls und Dweck. Während die Ich-Orientierung
dass sie bestimmte Kompetenzen erworben hat. Ihr das Anstreben von Überlegenheit im sozialen Vergleich
geht es darum, ihre überlegene Fähigkeit im Ver- beinhaltet, wird bezüglich der Leistungszielorientierung
gleich mit anderen Personen zu zeigen. eine stärkere Differenzierung nahegelegt (vgl. Grant &
Dweck, 2003). So kann eine positive Bewertung der ei-
genen Kompetenz aufgrund unterschiedlicher Kriterien
Nach Nicholls (1989) bedeutet Erfolg für die beiden Per- erfolgen, wie beispielsweise einem individuellen Kompe-
sonengruppen Unterschiedliches. Der aufgabenorientierte tenzzuwachs, dem Lob eines Lehrers oder dem positiven
Lerner betrachtet die Erweiterung seiner Kompetenz als Abschneiden im sozialen Vergleich. In der Forschung der
Erfolg. Der Ich-orientierte Lerner erlebt sich dagegen als letzten zwei Jahrzehnte wurde jedoch die Unterscheidung
erfolgreich, wenn er andere übertreffen kann. Die Ziel­ von Ich-Orientierung sensu Nicholls und Leistungsziel-
orientierungen lassen sich eindeutig auf die zuvor behan- orientierung sensu Dweck nicht explizit berücksichtigt.
delten Definitionen der Leistungsmotivation beziehen (s. Vielmehr finden sich in der Literatur leicht variierende
oben). So ist die Aufgabenorientierung mit der kompetenz- Operationalisierungen der Leistungszielorientierung (die
bezogenen Leistungsmotivation weitestgehend deckungs- sich als Begriff durchgesetzt hat), mal mit stärkerer (z. B.
gleich, die Ich-Orientierung korrespondiert mit der wett- Roedel, Schraw & Plake, 1994) und mal mit schwächerer
bewerbsbezogenen Leistungsmotivation. Betonung des Strebens nach Überlegenheit im sozialen
Nicholls (1989) nimmt an, dass die aufgabenorientierte Vergleich (z. B. Spinath, Stiensmeier-Pelster, Schöne &
Person im Prozess des Lernens bzw. Kompetenzerwerbs Dickhäuser, 2002).
162 Kapitel 7 • Motivation

Integration und Weiterentwicklung durch Elliot Zuge der Differenzierung der Zielorientierungen in eine
1 Elliot (1999; Elliot & Harackiewicz, 1996) hat die Ansätze Annäherungs- und Vermeidungskomponente wurde je-
von Nicholls (1984, 1989) und Dweck (1986, 1991) wei- doch deutlich, dass negative Auswirkungen vor allem der
2 terentwickelt. Anstelle von Aufgaben- bzw. Lernzielori- Vermeidungsleistungszielorientierung zuzuschreiben
entierung spricht er von Bewältigungszielen („mastery sind. Pintrich (2000) und Harackiewicz, Barron, Pintrich
goals“) und anstelle von Ich-Orientierung – in Überein- et al. (2002) postulierten daher auf der Basis empirischer
3 stimmung mit Dweck – von Leistungszielen („perfor- Befunde eine revidierte Zielorientierungstheorie, in der
mance goals“), wobei Letztere ganz im Sinne von Nicholls Annäherungsleistungszielen auch eine adaptive Funktion
4 wettbewerbsorientiert gemeint sind (Streben nach Über- zukommt und das Verfolgen multipler Ziele (insbesondere
legenheit). Über die bisherigen Ansätze hinausgehend von Lern- und Annäherungsleistungszielen) zu einer opti-
5 unterscheidet Elliot bei den Leistungszielen eine Annähe- malen Motivation mit den meisten positiven Konsequen-
rungs- und eine Vermeidungskomponente. Damit ergibt zen führt (▶ Abschn. 7.2.2).
sich eine klare Parallele zur Leistungsmotivforschung und
6 der Unterscheidung eines Erfolgs- und eines Misserfolgs- Interesse
motivs (s. oben). In der Interessenforschung wird zwischen dem überdau-
7 Definition 
ernden individuellen Interesse und dem situationsspezi-
fisch auftretenden situationalen Interesse unterschieden
(Krapp, 2010; Schiefele, 1996, 2009).
8 Von einem Annäherungsleistungsziel wird gespro-
chen, wenn es darum geht, die eigene Kompetenz im
Vergleich mit anderen Personen zu demonstrieren. Definition 
9 Dagegen bedeutet das Verfolgen eines Vermei- Das individuelle Interesse kann als relativ dauerhaf-
dungsleistungsziels, dass die Person versucht, ihre tes, dispositionales Merkmal einer Person verstan-
10 vermeintlich unterlegene Kompetenz gegenüber den werden, das sich in der Auseinandersetzung
anderen Personen zu verbergen. mit einem Gegenstandsbereich (z. B. Schulfach)
entwickelt und als mehr oder weniger starke Wert-
11 schätzung dieses Bereichs zum Ausdruck kommt.
Beim Annäherungsleistungsziel wird ein positives Ereig- Das situationale Interesse bezeichnet dagegen den
12 nis (Demonstration überlegener Kompetenz) angestrebt, durch äußere Umstände (z. B. einen spannenden
beim Vermeidungsleistungsziel soll ein negatives Ereignis Vortrag) hervorgerufenen Zustand des Interessiert-
(Auftreten unterlegener Kompetenz) vermieden werden.
13 Darüber hinaus schlug Elliot (1999; Elliot & McGregor,
seins, der u. a. durch eine erhöhte Aufmerksamkeit
und Gefühle der Neugier und Faszination gekenn-
2001) vor, die Annäherungs-Vermeidungs-Dichotomie zeichnet ist.
14 auch auf Bewältigungsziele anzuwenden. Lerner mit ei-
nem Annäherungsbewältigungsziel versuchen so viel
15 Wissen wie möglich zu erwerben, während Lerner mit ei- In ähnlicher Weise wie das oben erwähnte Kompetenzer-
nem Vermeidungsbewältigungsziel eher danach streben, leben (oder das Flow-Erleben) stellt das situationale Inte-
ihr bereits verfügbares Wissen bzw. Können nicht zu ver- resse einen handlungsbegleitenden, emotionalen Zustand
16 lieren oder einen neuen Lernstoff nicht misszuverstehen. dar. Insofern kann das Erleben situationalen Interesses als
Sowohl die Befunde von Elliot und McGregor (2001) als relevante Quelle von intrinsischer Lernmotivation aufge-
17 auch von Pastor, Barron, Miller und Davis (2007) stützen fasst werden.
das Vier-Faktorenmodell der Zielorientierung und zeigen Aktuelle Ansätze der Interessenforschung (Hidi, Ren-
insbesondere, dass die Annahme einer Vermeidungsbe- ninger & Krapp, 2004; Krapp, 2010; Schiefele, 2009) inter-
18 wältigungsorientierung empirisch sinnvoll ist. pretieren Interesse als eine spezifische Beziehung zwischen
Zu Beginn der Forschung zu Zielorientierungen war einer Person und einem Gegenstand. Dies wird insbeson-
19 eine dichotome Konzeption vorherrschend, nämlich die dere in der „Person-Objekt-Theorie“ des Interesses von
Unterscheidung zwischen Lern- und Leistungszielori- Krapp (2005, 2010) hervorgehoben. Die Betonung dieses
20 entierung. Dabei wurde eine „normative“ Auffassung Aspekts soll verdeutlichen, dass sich Interesse immer auf
vertreten, wonach die Lernzielorientierung zu positiven einen Gegenstand bezieht und durch die Auseinanderset-
bzw. adaptiven Auswirkungen im Schul- bzw. Leistungs- zung mit diesem entwickelt.
21 kontext führt, die Leistungszielorientierung dagegen ne-
gative Effekte nach sich zieht (Pintrich, 2000; auch Ha-
22 rackiewicz, Barron, Pintrich, Elliot & Thrash, 2002). Im
7.2  •  Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung
163 7
Definition 
hat man unterschiedliche Indikatoren von Lernen und
Das individuelle Interesse einer Person an einem Ge- Leistung zugrunde gelegt, z. B. Schulnoten, standardisierte
genstand setzt sich aus gefühls- und wertbezogenen Leistungstests (z. B. zur Messung der Kompetenz in Mathe-
Valenzüberzeugungen zusammen. Von gefühlsbezo- matik) sowie Ergebnisse einzelner Klausuren oder textbe-
genen Valenzüberzeugungen spricht man, wenn ein zogener Verstehenstests. Die Lernindikatoren reichen also
Sachverhalt für eine Person mit positiven Gefühlen von kumulativen Leistungen, die während eines längeren
verbunden ist. Von wertbezogenen Valenzüber- Zeitraums entstanden sind, bis hin zu Lernergebnissen bei
zeugungen ist die Rede, wenn einem Sachverhalt konkreten, zeitlich begrenzten Lernaufgaben.
Attribute im Sinne persönlicher Bedeutsamkeit bzw.
Wichtigkeit zugeschrieben werden.
7.2.1 Leistungsmotivation

Die Art und Zahl der unterscheidbaren gefühlsbezoge- Die Leistungsmotivationsforschung hat sich vor allem
nen Valenzen wurde bislang nicht eingehend untersucht. darauf konzentriert, die Auswirkungen des (impliziten
Meist werden Gefühlszustände erfragt, die plausibler- und expliziten) Leistungsmotivs auf eine Reihe von leis-
weise als interessentypisch gelten, wie z. B. Gefühle des tungsbezogenen Verhaltensmerkmalen zu untersuchen
Absorbiertseins (bzw. „Flow“), der Freude, der Neugier, (Brunstein & Heckhausen, 2006), insbesondere auf die
der Anregung, der Faszination oder des Beteiligtseins. In Anstrengung (z. B. operationalisiert als Mengenleistung bei
ähnlicher Weise können auch verschiedene Gründe für die Additionsaufgaben), die Ausdauer und die Bevorzugung
persönliche Bedeutsamkeit eines Gegenstands differenziert herausfordernder Aufgaben. Während dabei zahlreiche
werden. Persönliche Bedeutsamkeit kann z. B. entstehen, positive Befunde zu verzeichnen sind, die die Bedeut-
weil die Beschäftigung mit dem Interessengegenstand als samkeit des Leistungsmotivs unterstreichen, ergibt sich
wichtig für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, als bezüglich des Zusammenhangs von Leistungsmotiv und
Beitrag zur Selbstverwirklichung oder als identitätsstiftend Leistungsergebnissen eine weniger eindeutige Befund-
gesehen wird. lage. Das Leistungsmotiv ist für das Leistungsergebnis bei
Ein Sachverhalt kann sowohl aus extrinsischen bzw. in- der Bearbeitung einer Aufgabe folglich nicht generell prä-
strumentellen als auch aus intrinsischen Gründen positive diktiv. Der Stand der Forschung lässt auch keine Vorher-
Gefühle auslösen oder bedeutsam sein. Eine extrinsische sage zu, unter welchen Voraussetzungen bzw. bei welcher
Valenzüberzeugung liegt z. B. vor, wenn ein Student eine Art von Aufgaben ein positiver Effekt des Leistungsmotivs
hohe Wertschätzung des Fachs Mathematik zeigt, weil die auf das Leistungsergebnis zu erwarten ist. Hierzu müss-
Beherrschung mathematischen Wissens für den von ihm ten zunächst Erkenntnisse gewonnen werden, aus denen
angestrebten Beruf zentral ist. Zur Charakterisierung von hervorgeht, über welche spezifischen Prozesse bei der
Interesse kommen definitionsgemäß jedoch nur intrinsi- Aufgabenbearbeitung das Leistungsmotiv einen Effekt auf
sche Gründe infrage (z. B. das Erleben von Flow beim Lö- das Leistungsergebnis entfaltet (Brunstein & Heckhausen,
sen mathematischer Probleme). Dies bedeutet, dass die auf 2006). Allerdings liegen Befunde vor, die hinsichtlich der
einen Gegenstand bezogenen intrinsischen Valenzen, die Effekte des Leistungsmotivs auf Leistungen im schulischen
das Vorhandensein von Interesse indizieren, unabhängig Kontext aufschlussreich sind.
von den Beziehungen des Gegenstands zu anderen Sach-
verhalten bestehen müssen. Natürlich ist dabei denkbar, Leistungsmotiv und Schulleistung
dass eine Person Interesse an einem Gegenstand hat und Einige ältere Befunde legen nahe, dass nur dann ein sig-
gleichzeitig auf diesen Gegenstand bezogene extrinsische nifikanter Zusammenhang zwischen Leistungsmotiv und
Valenzüberzeugungen aufweist. Schulleistung zu erwarten ist, wenn eine optimale An-
regung des Leistungsmotivs z. B. durch herausfordernde
Aufgaben erfolgt (s. auch McClelland, 1980). Als heraus-
7.2 Bedeutung der Motivation fordernd gelten dabei Aufgaben, die mit einer gewissen
für Lernen und Leistung Anstrengung lösbar sind – also ein etwa mittleres Schwie-
rigkeitsniveau aufweisen. So fand man für fähigkeitsho-
In der Vergangenheit wurden Zusammenhänge zwischen mogene Klassen (für deren Schüler angenommen werden
Motivation und Lernen bzw. Leistung vor allem in Bezug kann, dass der Unterricht in der Regel ein mittleres Schwie-
auf die folgenden Konstrukte erforscht: Leistungsmotiva- rigkeitsniveau aufweist) eine positivere Leistungsentwick-
tion bzw. -motiv, Zielorientierung, intrinsische vs. extrin- lung erfolgsmotivierter Schüler gegenüber misserfolgsmo-
sische Motivation und Interesse. In den einzelnen Studien tivierten Schülern (O’Connor, Atkinson & Horner, 1966).
164 Kapitel 7 • Motivation

Die neuere Forschung konzentriert sich stärker auf Lern- vs. Leistungsziele
1 die Unterscheidung von implizitem und explizitem Leis- Wie Spinath und Schöne (2003) feststellen, belegt sowohl
tungsmotiv. Dabei hat sich insbesondere gezeigt, dass das die experimentelle als auch die korrelative Forschung eine
2 implizite Leistungsmotiv vor allem in Situationen vor- Reihe von Vorteilen der Lern- gegenüber der Leistungs-
hersagestark ist, in denen das Leistungsverhalten eigen- zielorientierung. Diese betreffen günstigere Attributionen
initiativ (z. B. ohne situative Notwendigkeit) und spontan für Erfolg und Misserfolg (eigene Anstrengung anstelle
3 auftritt. Dagegen ist das explizite Leistungsmotiv eher von Fähigkeit), positivere Gefühle gegenüber Lern- und
für solches Leistungsverhalten prädiktiv, das durch eine Leistungsaufgaben, vermehrte intrinsische Motivation
4 Situation bzw. andere Personen eingefordert wird (z. B. in und größeres Interesse am Lerngegenstand. Darüber hin-
einer Prüfung). Es überrascht daher nicht, dass das expli- aus ergaben sich auch deutliche Effekte auf lernbezogene
5 zite Leistungsmotiv besser als das implizite Leistungsmotiv Prozesse. Lernzielorientierte Lerner beschäftigen sich in-
schulische Leistungen vorhersagen kann. Bei beruflichen tensiver mit dem Lernmaterial, wenden adäquatere Verar-
Leistungen verhält es sich umgekehrt, denn im Rahmen beitungsstrategien an und sind ausdauernder (z. B. Ford,
6 einer beruflichen Laufbahn besteht zumindest potenziell Smith, Weissbein, Gully & Salas, 1998; Grant & Dweck,
ein größerer Spielraum für spontane und selbstinitiierte 2003; Lau & Nie, 2008). Zu erwähnen ist dabei, dass Ziel-
7 Lern- und Leistungsaktivitäten (Brunstein, 2006). Darüber orientierungen häufig fachspezifisch erfasst wurden (z. B.
hinaus gibt es Hinweise (s. Brunstein & Hoyer, 2002), dass Pintrich, 2000) und nicht im Sinne eines übergreifenden
das implizite Leistungsmotiv dann wirksam wird, wenn es Persönlichkeitsmerkmals (z. B. Spinath et al., 2002).
8 um die Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit bzw. Insbesondere in experimentellen Studien konnten bes-
Kompetenz geht (individuelle Bezugsnorm), während sich sere Lernleistungen bei Lernzielen gegenüber Leistungs-
9 das explizite Leistungsmotiv eher in sozialen Vergleichs- zielen belegt werden (s. die ▶ Metaanalyse von Utman,
situationen auswirkt (soziale Bezugsnorm). Daraus folgt, 1997). Auch in natürlichen Lern- und Leistungssituati-
10 dass das implizite Leistungsmotiv auch im Schulkontext onen wurden für die Lernzielorientierung häufig positi-
immer dann an Bedeutsamkeit gewinnt, wenn die indivi- vere Zusammenhänge mit Leistungsmaßen nachgewiesen
duelle Leistungsverbesserung im Vordergrund steht und als für die Leistungszielorientierung (z. B. Köller, 1998a,
11 soziale Vergleiche weitgehend irrelevant sind (Brunstein, 1998b; Lau & Nie, 2008; Meece & Holt, 1993). Ausnah-
2006). men werden von Spinath und Schöne (2003; auch Midgley,
12 Kaplan & Middleton, 2001) darauf zurückgeführt, dass in
diesen Fällen die Rahmenbedingungen eher Leistungs-
7.2.2 Zielorientierung ziele nahegelegt haben (z. B. durch eine starke Betonung
13 sozialer Vergleiche; Harackiewicz, Barron, Tauer, Carter &
Die Forschung zu Zielorientierungen knüpft unmittelbar Elliot, 2000). Allerdings ist mit Grant und Dweck (2003)
14 an die Leistungsmotivationsforschung an. So geht es auch festzustellen, dass gerade neuere Studien keine Effekte der
hier um interindividuelle Unterschiede hinsichtlich der Lernzielorientierung auf Leistung fanden. Diese Befunde
15 Bewertung von Leistungen unter Berücksichtigung einer stammen jedoch fast ausschließlich aus den Arbeits-
Annäherungs- und Vermeidungskomponente. Allerdings gruppen um Elliot und Harackiewicz (s. die Übersicht
werden Zielorientierungen als kognitiv repräsentierte und von Harackiewicz et al., 2002; sowie die neueren Studien
16 bewusste Merkmale verstanden, sodass sie dem extrinsi- von Harackiewicz, Durik, Barron, Linnenbrink-Garcia &
schen Leistungsmotiv näher stehen als dem intrinsischen. Tauer, 2008; und Hullemann, Durik, Schweigert & Hara-
17 Im Unterschied zur Leistungsmotivationsforschung ist ckiewicz, 2008). Im Gegensatz dazu konnten Grant und
die Forschung zu Zielorientierungen sehr stark auf die Dweck (2003) die leistungsförderliche Wirkung von Lern-
Bereiche Lernen und Leistung in der Schule bezogen. Aus zielen bestätigen.
18 diesem Grund existiert eine Fülle empirischer Befunde, Trotz der bestehenden Inkonsistenzen hinsichtlich
die über die Zusammenhänge der Zielorientierungen mit der Vorhersage von Leistungen ist die generell positive
19 Lern- und Schulleistungen Aufschluss geben. Besonders Wirkung von Lernzielen – u. a. aufgrund ihrer konsis-
hervorzuheben sind Studien, in denen unterschiedliche tent positiven Beziehungen zu Aspekten eines adaptiven
20 Zielorientierungen experimentell induziert und hinsicht- Lernverhaltens und der intrinsischen Motivation – relativ
lich ihrer Effekte auf das Lernen untersucht wurden (z. B. unumstritten. Im Unterschied dazu war die Einschätzung
Bergin, 1995; Graham & Golan, 1991). Diese Studien sind der Leistungsziele lange Zeit widersprüchlich (Grant &
21 nicht zuletzt deshalb wertvoll, weil sie die theoretisch Dweck, 2003; Harackiewicz, Barron, Pintrich et al., 2002;
postulierten Wirkungen der Zielorientierungen auf Lern- Pintrich, 2000). Erst durch die Unterscheidung von Annä-
22 prozesse und -resultate auch in kausaler Hinsicht prüfen herungs- und Vermeidungsleistungszielen ließ sich diese
können. Unstimmigkeit größtenteils auflösen. Es wurde deutlich,
7.2  •  Bedeutung der Motivation für Lernen und Leistung
165 7

dass sich Vermeidungsleistungsziele auf Lernverhalten und 1990; Gottfried, Fleming & Gottfried, 2001; Ratelle, Guay,
Leistung sowie auf Motivation und emotionales Erleben Vallerand, Larose & Senécal, 2007; Vallerand et al., 1993;
eher negativ auswirken, während den Annäherungsleis- s. auch die Übersichten von Schiefele & Schreyer, 1994,
tungszielen zumindest eine leistungsförderliche Funktion und Schiefele & Streblow, 2005). Neben der Bedeutung
zugesprochen wird (z. B. Elliot, McGregor & Gable, 1999; für Schulleistungen belegt die bisherige Forschung, dass
Harackiewicz et al., 2000; s. jedoch Ford et al., 1998; Köller, die intrinsische Lernmotivation deutlich stärker als die
1998a). extrinsische Lernmotivation mit solchen Lernstrategien
In einem Überblick über bisherige Studien zu Ziel- korrespondiert, die eine tiefere Verarbeitung des Lernma-
orientierungen im Studium zeigten Harackiewicz et  al. terials beinhalten (z. B. Schiefele & Schreyer, 1994; Walker,
(2002), dass Leistungsziele konsistent positive Beziehun- Green & Mansell, 2006). Allerdings sollte nicht generell
gen zu Leistungsmaßen aufweisen, während Lernziele vor davon ausgegangen werden, dass die extrinsische Lernmo-
allem das Ausmaß an Interesse, intrinsischer Motivation, tivation ohne besondere Bedeutung für Lernleistungen ist.
Anstrengung, Ausdauer und Verarbeitungsqualität vor- Beispielsweise fanden Schiefele et al. (2003) sowohl für die
hersagen (z. B. Barron & Harackiewicz, 2001; Elliot et al., leistungs- als auch die wettbewerbsbezogene Lernmotiva-
1999; Harackiewicz, Barron, Tauer & Elliot, 2002). Dies tion signifikante Beiträge zur Vorhersage von Studienleis-
bestätigt sich auch in neueren Studien von Harackiewicz tungen. Darüber hinaus sind insbesondere für die Annä-
et al. (2008) und Hullemann et al. (2008). Betrachtet man herungsleistungszielorientierung (▶ Abschn. 7.2.2) und die
die vorliegenden Studien jedoch genauer, so ist zum einen identifizierte extrinsische Motivation positive Zusammen-
festzustellen, dass die Korrelationen der Leistungszielori- hänge mit Leistung festgestellt worden (z. B. Ratelle et al.,
entierung mit Leistungsindikatoren eher niedrig ausfallen 2007; Vallerand et al., 1993).
(< 0,30 oder < 0,20). Zum anderen ist die Lernzielorientie-
rung vereinzelt durchaus auch positiv mit akademischen Intrinsische Motivation
Leistungen korreliert (z. B. Elliot et al., 1999, Studie 1; auch und Fähigkeitsniveau
Grant & Dweck, 2003). Schließlich zeigen die Studien von Interessanterweise scheinen besonders Kinder mit niedri-
Elliot et al. (1999, Studie 2) und Hulleman et al. (2008), gen Intelligenzwerten von intrinsischer Motivation zu pro-
dass trotz nicht signifikanter Korrelationen zwischen Lern- fitieren. In einer Studie von Tzuriel und Klein (1983) wur-
zielorientierung und Leistung indirekte Effekte der Lern- den Schüler zunächst drei verschiedenen Intelligenzstufen
zielorientierung auf die Leistung auftreten können (z. B. (hoch, mittelmäßig, niedrig) zugeordnet. Im nächsten
vermittelt über Anstrengung und Persistenz). Schritt führten die Autoren innerhalb der drei Intelligenz-
Zusammenfassend ist festzustellen, dass lediglich die gruppen Vergleiche zwischen intrinsisch und extrinsisch
Effekte der Zielorientierungen auf das Lernverhalten und motivierten Schülern hinsichtlich ihrer Schulleistungen
einzelne Determinanten erfolgreichen Lernens (Attributi- durch. Dabei zeigte sich in allen drei Gruppen, dass in-
onen, intrinsische Motivation, Umgang mit Misserfolg etc.) trinsisch motivierte Schüler bessere Leistungen erzielten
relativ eindeutig zugunsten der Lernzielorientierung aus- als extrinsisch motivierte. Dieser Unterschied war in der
fallen. Die Effekte der Zielorientierungen auf die Leistung Gruppe mit der niedrigsten Intelligenz jedoch am höchsten
sind demgegenüber widersprüchlich und bedürfen der ausgeprägt. Von den Autoren wird dieses Ergebnis damit
weiteren Klärung. Mögliche Ursachen für die bestehenden erklärt, dass intrinsische Motivation mit der Bevorzugung
Widersprüche betreffen insbesondere die abweichenden herausfordernder Aufgaben einhergeht und auf diese
Operationalisierungen von Lernzielen und Annäherungs- Weise zu Leistungssteigerungen führt. Bei weniger intelli-
leistungszielen (Grant & Dweck, 2003), die Art der jeweils genten Schülern könnte die Vermeidung anspruchsvoller
untersuchten Lernleistung (z. B. Bearbeitung eines Textes Aufgaben besonders groß sein und intrinsische Motivation
vs. Schulnote) und die Nichtberücksichtigung von Kon- folglich einen besonderen Vorteil darstellen.
texteinflüssen, die den Effekt der Zielorientierung auf die
Leistung eventuell moderieren (Spinath & Schöne, 2003). Experimentelle Befunde
In einer Übersicht experimenteller Arbeiten zum Vergleich
von intrinsischer und extrinsischer Motivation konnten
7.2.3 Intrinsische vs. extrinsische Schaffner und Schiefele (2007) feststellen, dass die betrach-
Motivation teten Studien mehrheitlich in der Bedingung mit „intrin-
sischer“ Instruktion signifikant bessere Textlernleistungen
Studien zum Zusammenhang zwischen intrinsischer fanden als in der Bedingung mit „extrinsischer“ Instruk-
Lernmotivation und schulischen Leistungen haben rela- tion (z. B. Grolnick & Ryan, 1987). Die Anleitungen zur
tiv übereinstimmend einen positiven Zusammenhang mit Erzeugung von intrinsischer Motivation betonten die per-
geringer bis mittlerer Ausprägung ergeben (z. B. Gottfried, sönliche Relevanz der Lerninhalte, stützten das Gefühl von
166 Kapitel 7 • Motivation

Selbstbestimmung oder Herausforderung und schwächten Reihe von Studien, in denen zwei Textvarianten (Thema:
1 den Aspekt einer möglichen Bewertung der Lernergebnisse elektrischer Strom) verglichen wurden: ein traditioneller,
ab. Extrinsische Motivation wurde hingegen begünstigt erklärender Text und ein „Konzeptveränderungstext“, der
2 durch die Ankündigung eines Lerntests, teilweise mit der alternative Auffassungen anspricht und auf dieser Grund-
zusätzlichen Ankündigung der Vergabe von Noten oder lage ein korrektes Verständnis fördern möchte. Die Ergeb-
Rangplätzen. Ein weiteres sehr wichtiges Ergebnis besteht nisse belegen, dass thematisches Interesse signifikant zur
3 darin, dass die signifikanten Effekte der Motivationsmani- Vorhersage konzeptuellen Verstehens beiträgt, und zwar
pulation fast durchgängig Lernkriterien betrafen, die sich unabhängig von der vorgegebenen Textvariante sowie vom
4 auf das konzeptuelle Verständnis eines Textes bezogen. Vorwissen und der verbalen Fähigkeit der Probanden. Die
Dagegen ergaben sich in der Regel keine Unterschiede in Autoren nehmen an, dass Interesse die Auseinanderset-
5 Hinblick auf Faktenfragen und quantitative Maße der Text- zung mit einem Text erleichtert und eine tiefere Verarbei-
wiedergabe (Schaffner & Schiefele, 2007). tung anregt. In einer Studie von Mason, Gava und Boldrin
(2008) konnte die besondere Bedeutung thematischen In-
6 Flow-Erleben und Leistung teresses für die Wirkung von Konzeptveränderungstexten
Schließlich sei noch erwähnt, dass auch für das Flow- deutlich bestätigt werden.
7 Erleben positive Zusammenhänge mit Lernen und Leis-
tung nachweisbar sind (z. B. Schüler, 2007). So konnte Schulische Interessen, Leistung
Nakamura (1991) zeigen, dass Schüler mit hoher mathe- und Kurswahlen
8 matischer Fähigkeit, aber schwachen Leistungen, seltener In einer Übersichtsarbeit stellten Schiefele, Krapp und
Flow erleben als gleichermaßen fähige, aber leistungsstarke Schreyer (1993) fest, dass die Ausprägung schulfachbezo-
9 Schüler. Noch aussagekräftiger sind jene Studien, die signi- gener Interessen in mittlerem Ausmaß mit den entspre-
fikante Vorhersagewerte des Flow-Erlebens für (Studien-) chenden Leistungen bzw. Noten korreliert. Dieser Befund
10 Leistungen auch dann erzielten, wenn andere relevante wird auch in einer Reihe neuerer Arbeiten bestätigt, in
Bedingungsfaktoren (z. B. Leistungsniveau, Vorwissen) denen Interesse (auch als „enjoyment“ oder „task value“
kontrolliert wurden (Engeser, Rheinberg, Vollmeyer & bezeichnet) insbesondere zusammen mit Zielorientie-
11 Bischoff, 2005). rungen, Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit sowohl
bei Schülern als auch Studierenden untersucht wurde
12 (z. B. Barron & Harackiewicz, 2001; Baumert, Schnabel &
7.2.4 Interesse Lehrke, 1998; Harackiewicz, Barron, Tauer & Elliot, 2002;
Marsh, Trautwein, Lüdtke, Köller & Baumert, 2005). Auf
13 Interesse und Textlernen der Grundlage von PISA-Daten konnten Chiu und Xihua
Die Bedeutsamkeit des individuellen Interesses für Lern- (2008) zeigen, dass das Mathematikinteresse in 80 % aller
14 leistungen konnte vielfach belegt werden. Besondere Auf- beteiligten Länder auch bei Kontrolle einer Vielzahl von
merksamkeit wurde dem Interessenkonstrukt im Rahmen anderen Einflussvariablen (z. B. sozioökonomischer Status,
15 der Forschung zum Textlernen zuteil (Schiefele, 1996). Leistungsniveau, Selbstkonzept) signifikant zur Vorhersage
Sowohl für das situative als auch das individuelle Interesse mathematischer Kompetenz beiträgt.
existieren zahlreiche Belege eines positiven Zusammen- Mithilfe von längsschnittlichen Daten belegten Köller,
16 hangs mit dem Lernen aus Texten. Diese Arbeiten sind Baumert und Schnabel (2001), dass eine wechselseitige Be-
bereits verschiedentlich zusammenfassend dargestellt wor- einflussung zwischen Interesse und Leistung wahrschein-
17 den (z. B. Alexander, Kulikowich & Jetton, 1994; Schiefele, lich ist. Sie untersuchten eine große Stichprobe von Gym-
1996, 1999, 2009). Hervorzuheben ist dabei, dass Interes- nasiasten zu drei verschiedenen Zeitpunkten: am Ende der
seneffekte auch Bestand haben, wenn relevante kognitive 7. sowie der 10. Klasse und in der Mitte der 12. Klasse.
18 Bedingungsfaktoren (insbesondere Vorwissen und Fähig- Zu diesen Zeitpunkten wurden u. a. das Interesse am Fach
keiten) kontrolliert werden. Zudem gibt es Belege dafür, Mathematik und die Mathematikleistung (mithilfe eines
19 dass Interesse einen größeren Effekt auf Indikatoren tiefer- standardisierten Tests) erhoben. Zusätzlich wurde regist-
gehenden Leseverstehens (z. B. Hauptgedanken erfassen, riert, ob sich die Schüler für Mathematik als Leistungskurs
20 Anwendungsfragen beantworten) ausübt als auf einfache entschieden. Strukturgleichungsanalysen ergaben, dass das
Lernindikatoren (z. B. Faktenfragen, Zahl reproduzierter Interesse in der 7. Klasse keine signifikanten Effekte auf die
Sinneinheiten). Leistung in der 10. oder 12. Klasse hatte. Dagegen beein-
21 In jüngerer Zeit wurde der Einfluss thematischen In- flusste das Leistungsniveau in der 7. Klasse das Interesse in
teresses auf die Wirkung von Texten untersucht, die eine der 10. Klasse signifikant, d. h. kompetentere Schüler zeig-
22 konzeptuelle Veränderung („conceptual change“) hervor- ten sich interessierter. Es waren jedoch direkte und indi-
rufen sollen. Andre und Windschitl (2003) berichten eine rekte signifikante Effekte des Interesses in der 10. Klasse auf
7.3  •  Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale
167 7

die Leistung in der 12. Klasse festzustellen. Der indirekte chenden Studien wurden in der Regel auch Merkmale der
Effekt des Interesses wurde über die Kurswahl vermittelt: Schüler oder des Umfelds berücksichtigt, die als motiva-
Hoch interessierte Schüler wählten deutlich häufiger einen tionsförderliche oder -hemmende Bedingungen infrage
Leistungskurs als die weniger interessierten Schüler. Er- kommen (z. B. Stipek, 1996; Wigfield et al., 2006) und auf
wartungsgemäß trugen sowohl die Kurswahl als auch die die wir deshalb im Folgenden näher eingehen.
Leistung in der 10. Klasse signifikant zur Leistung in der
12. Klasse bei. Erstaunlicherweise konnte für das Interesse
in der 10. Klasse (über die Leistung in der 10. Klasse und 7.3.1 Leistungsmotivation
die Kurswahl hinaus) ein signifikanter direkter Effekt auf und Zielorientierung
die Leistung in der 12. Klasse festgestellt werden.
Die Ergebnisse der Studie von Köller et al. (2001; auch Entwicklungsverläufe
Baumert et al., 1998; Baumert & Köller, 1998; Köller, 1998a; Für das Leistungsmotiv und die Zielorientierung liegen
Marsh et al., 2005) legen nahe, dass in der Sekundarstufe I relativ wenige Befunde zu Veränderungen während der
nur geringe oder gar keine Zusammenhänge zwischen In- Schulzeit vor. Empirische Evidenz wurde vor allem im
teresse und Leistung zu beobachten sind (s. jedoch Lau & Rahmen von Studien auf der Grundlage des Erwartungs-
Nie, 2008; Chiu & Xihua, 2008). Köller et al. (2001) argu- Wert-Modells von Eccles (1983, 2005; Wigfield & Eccles,
mentieren dabei, dass in den unteren Schulstufen die Moti- 2000; Wigfield et al., 2006) gewonnen (▶ Abschn. 7.1.1).
vation der Schüler vornehmlich durch extrinsische Anreize Die Studien von Eccles und Wigfield und anderen Auto-
und Werte (z. B. häufige schriftliche Tests, Verstärkung ren (z. B. Watt, 2004) zeigen bedeutsame Veränderungen
durch die Eltern) reguliert wird. Folglich sollte das Inter- für diejenigen Variablen, die als wichtigste Determinanten
esse nur eine marginale Rolle bei der Initiierung und Auf- der Leistungsmotivation gelten (zusammenfassend Wig-
rechterhaltung von Lernaktivitäten spielen. In der Sekun- field et al., 2006). Sowohl für Einschätzungen der eigenen
darstufe II nehmen hingegen die Häufigkeit schriftlicher Fähigkeit und Erfolgserwartungen als auch für fachbezo-
Tests und extrinsischer Anreize ab und die Möglichkeit zur gene Wertüberzeugungen (z. B. persönliche Bedeutsam-
Selbstbestimmung zu. Folglich gewinnt das Interesse einen keit) konnte eine kontinuierliche Abnahme im Laufe der
größeren Einfluss auf die Regulation von Lernaktivitäten. Schulzeit festgestellt werden. Für diese negative Entwick-
Diese Annahme wird durch den von Köller et al. (2001) lung wurden vor allem zwei Gründe angeführt. Zum einen
gefundenen direkten Effekt des Interesses in der 10. Klasse verstehen und interpretieren Kinder mit zunehmendem
auf die Leistung in der 12. Klasse bestätigt. Darüber hinaus Alter die evaluativen Rückmeldungen, die sie erhalten, an-
wählten die interessierten Schüler deutlich häufiger Mathe- gemessener und nehmen häufiger soziale Vergleiche vor.
matik als Leistungskurs. Insbesondere der letztgenannte Auf diese Weise werden die Selbsteinschätzungen realisti-
Befund ist in Einklang mit der Forschung zu akademischen scher und deshalb auch vergleichsweise negativer. Zum an-
Wahlentscheidungen von Eccles (1983, 2005; Wigfield & deren ist zu vermuten, dass die schulische Lernumgebung
Eccles, 2000), deren Befunde die Annahme stützen, dass mit steigender Klassenstufe Leistungsbewertungen immer
motivationale Merkmale der Lerner sich stärker auf Ver- stärker betont und somit auch den Wettbewerb zwischen
haltensentscheidungen (z. B. Kurswahlen, Studienfachwah- den Schülern anregt. Für einen Teil der Schüler führt diese
len) als auf die Leistungsgüte auswirken. Die besondere Entwicklung zu niedrigeren fähigkeits- und wertbezoge-
Bedeutung von Interesse für Kurswahlen konnte auch von nen Überzeugungen.
Schiefele und Csikszentmihalyi (1995), Bong (2001) und Die Forschung zu Zielorientierungen könnte weite-
Harackiewicz et al. (2008) demonstriert werden. Die bei- ren Aufschluss zu der Frage geben, ob Formen der Leis-
den erstgenannten Studien belegen dabei die Unabhängig- tungsmotivation sich im Laufe der Schulzeit verändern.
keit des Interesseneffekts von Fähigkeitsindikatoren und Entsprechende Befunde sind jedoch selten (Anderman,
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen. Austin & Johnson, 2002). Nach der Theorie von Nicholls
(1984, 1989) ist eine zunehmende Entwicklung von der
Aufgaben- bzw. Lernzielorientierung hin zur Ich- bzw.
7.3 Entwicklung und Förderung Leistungszielorientierung zu erwarten. Die Ergebnisse von
motivationaler Merkmale Nicholls belegen, dass jüngere Kinder noch nicht zwischen
Anstrengung und Fähigkeit differenzieren können und bei
Die bisher behandelten Motivationsmerkmale wurden in der Beurteilung ihrer Kompetenz eine individuelle Bezugs-
der Forschung auch hinsichtlich ihrer längsschnittlichen norm zugrunde legen. Im Laufe des Jugendalters kommt es
Entwicklung betrachtet. Ein wichtiges Forschungsgebiet zu einem Differenzierungsprozess, der zu einem elaborier-
stellt beispielsweise die Veränderung von intrinsischer ten Fähigkeitskonzept (das nun von der Anstrengung abge-
Motivation im Verlauf der Schulzeit dar. In den entspre- grenzt wird) und einer stärkeren Orientierung am sozialen
168 Kapitel 7 • Motivation

Vergleich führt. Die Studien von Köller, Baumert und Rost überzeugungen und Indikatoren habitueller intrinsischer
1 (1998), Seifert (1995, 1996) sowie Anderman und Midgley Motivation (z. B. Anderman & Maehr, 1994; Gottfried,
(1997) zeigen darüber hinaus, dass erst ab der 5. Klassen- Marcoulides, Gottfried, Oliver & Guerin, 2007; Helmke,
2 stufe mit einer zunehmenden Leistungszielorientierung zu 1993; Pekrun, 1993; Wigfield et al., 2006).
rechnen ist. Die Abnahme schulischer Interessen betrifft insbe-
sondere die naturwissenschaftlichen Fächer (Mathematik,
3 Fördermaßnahmen Physik, Chemie). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich
Die Untersuchung von Maßnahmen zur Förderung der nicht für alle Themen eines Faches Interessenabnahmen
4 Leistungsmotivation hat bereits eine sehr lange Tradition zeigen (Krapp, 2002). Darüber hinaus beeinflussen Kon-
(z. B. McClelland & Winter, 1969; ▶ Kap. 8 und ▶ Kap. 16). textbedingungen, die Schulform und das Geschlecht die
5 Erwähnenswert ist beispielsweise das „Origin-Training“ Entwicklung von Interessen. Hoffmann, Lehrke und Todt
von deCharms (1979), in dem u. a. die Bedeutung selbst- (1985; Hoffmann & Lehrke, 1986) fanden beispielsweise,
bestimmten Verhaltens betont wird. Dadurch rückt das dass sowohl Mädchen als auch Jungen ein geringes Inter-
6 Training von deCharms in die Nähe der Ansätze zur Förde- esse an Physik äußern, wenn der Unterricht stark wissen-
rung von intrinsischer Motivation und Interesse (s. unten). schaftlich ausgerichtet ist, d. h. mit starker Betonung der
7 Im deutschen Sprachraum hat das von Heckhausen (1989) Gültigkeit genereller physikalischer Gesetze. Wenn es dem
konzipierte Selbstbewertungsmodell des Leistungsmo- Lehrer jedoch gelingt, physikalische Prinzipien und Fakten
tivs eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von Trai- zu praktischen Problemen und dem Alltag der Schüler in
8 ningsverfahren gespielt (Rheinberg & Krug, 2005). Beziehung zu setzen, dann ist das Interesse an Physik bei
In diesen Verfahren stehen drei Ansatzpunkte zur Jungen und Mädchen hoch ausgeprägt.
9 Steigerung des Erfolgsmotivs (bzw. zur Verringerung des Es gibt mehrere mögliche Gründe für die Abnahme

10 --
Misserfolgsmotivs) im Mittelpunkt:
das Setzen realistischer (mittelschwerer) Ziele,
die Durchführung günstiger Ursachenerklärungen
schulischer Interessen (Baumert & Köller, 1998). Eine Er-
klärungsmöglichkeit sieht vor, dass eine mangelnde Pas-
sung zwischen den schulischen Curricula und den generel-

11
12
- für Erfolg und Misserfolg und
der Aufbau einer positiven Selbstbewertungsbilanz.

Eine wichtige Weiterentwicklung der Leistungsmotivför-


len Interessen der Schüler besteht. Vor allem bezüglich des
naturwissenschaftlichen Unterrichts wird vermutet, dass
eine zu starke Wissenschaftsorientierung zu einer Ver-
nachlässigung der Alltagserfahrungen der Schüler führt.
derung basiert auf der Erkenntnis, dass eine individuelle Im Rahmen ihrer ▶  Stage-Environment-Fit-Theorie ha-
Bezugsnormorientierung des Lehrers ähnliche Wirkun- ben Eccles et al. (1991, 1993) darauf hingewiesen, dass die
13 gen hervorrufen kann wie ein gezieltes Trainingsverfah- schulische Lernumwelt zunehmend weniger auf die sich
ren (Rheinberg, 1980; Rheinberg & Krug, 2005; ▶ Ab- entwickelnden Werte, Bedürfnisse und (außerschulischen)
14 schn. 7.1.2). Diese Orientierung zeichnet sich dadurch Interessen der Schüler abgestimmt ist. So gerät beispiels-
aus, dass der Lehrer die aktuellen Leistungsergebnisse der weise das mit steigendem Alter zunehmende Bedürfnis
15 Schüler im Kontext ihrer früheren Leistungen beurteilt, nach Selbstbestimmung mit der restriktiven Lernumwelt
Aufgaben an das Leistungsniveau der Schüler anpasst und der Schule bzw. dem stark lehrergesteuerten Unterricht in
bei der Ursachenzuschreibung den Faktor Anstrengung Konflikt. Zusätzlich wird die Beziehung zu Mitschülern
16 betont. Eine solche Vorgehensweise entspricht weitgehend durch die vorherrschende Konkurrenz um gute Noten und
einem Unterricht, der im Sinne der Zielorientierungstheo- die Vernachlässigung kooperativen Lernens belastet (auch
17 rie Bewältigungs- bzw. Lernziele in den Vordergrund stellt Wild & Hofer, 2000).
(z. B. Ames, 1992; Anderman et al., 2001; Lau & Nie, 2008). Baumert und Köller (1998) vertreten die Ansicht,
dass die Abnahme schulischer Interessen im Verlauf der
18 Sekundarstufe I das Ergebnis eines Differenzierungspro-
7.3.2 Interesse und intrinsische zesses darstellen kann (auch Todt, 1990; Todt & Schrei-
19 Motivation ber, 1998). In der späten Kindheit und frühen Adoleszenz
werden sich die Schüler immer mehr ihrer Stärken und
Entwicklungsverläufe
20 Schwächen bewusst. Der Prozess des Vergleichens von
Es ist seit Längerem bekannt, dass das Interesse an Schul- Stärken und Schwächen beeinflusst die Entwicklung von
fächern im Laufe der Schulzeit kontinuierlich abnimmt Interessen. So belegen empirische Befunde, dass Schüler
21 (Hidi, 2000; Krapp, 2002; Wild & Hofer, 2000). Die Schwä- in den Bereichen stärkeres Interesse zeigen, in denen sie
chung motivationaler Schülermerkmale zeigt sich jedoch ein höheres Selbstkonzept ihrer Fähigkeit aufweisen (De-
22 nicht nur bezüglich der Interessen, sondern auch für Ein- nissen, Zarrett & Eccles, 2007; Köller, Schnabel & Baumert,
stellungen gegenüber der Schule, aufgabenbezogene Wert- 1998, 2000). Darüber hinaus bedingt der Übergang von der
7.3  •  Entwicklung und Förderung motivationaler Merkmale
169 7

Schule zur beruflichen Ausbildung bzw. zum Arbeitsmarkt, ist darüber hinaus die Erhöhung der gefühls- und wertbe-
dass die Schüler bestimmte Interessen betonen und vertie- zogenen Bedeutsamkeit bzw. Valenz des Lerngegenstands
fen, während sie andere aufgeben. Damit in Übereinstim- als wichtige Voraussetzung zu nennen (Schiefele, 2004).
mung fanden Köller, Schnabel und Baumert (1998) eine Somit bieten sich insgesamt die folgenden vier Interven-
Abnahme der Korrelationen zwischen den verschiedenen
Interessenbereichen (z. B. zwischen Deutsch und Mathe-
--
tionsbereiche an:
Förderung der Kompetenzwahrnehmung
matik) im Laufe der Zeit. Dies spricht für die Existenz ei-
nes Differenzierungsprozesses, der zumindest zum Teil die
Reduzierung schulischer Interessen erklären kann (auch
Krapp & Lewalter, 2001).
-- Förderung der Selbstbestimmung
Förderung der sozialen Bezogenheit
Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands.

In Übereinstimmung mit der verfügbaren Evidenz sind Förderung der Kompetenzwahrnehmung.  Jeder der vier
drei unterschiedliche Prozesse der Abnahme von Interes- Interventionsbereiche umfasst übergeordnete Interven-
sen und intrinsischer Motivation anzunehmen: tionsziele, die genauer spezifiziert und mit konkreten
1. Bestimmte Unterrichtsmerkmale, wie z. B. die Ver- Interventionsmaßnahmen verbunden werden können
nachlässigung der Alltagserfahrungen und Interessen (Schiefele, 2004). So lassen sich der Förderung der Kom-
der Schüler, und der restriktive, wenig Raum für Selbst- petenzwahrnehmung die folgenden Interventionsziele
bestimmung bietende Charakter schulischer Lernum- zuordnen: positive Rückmeldungen und Bekräftigungen,
welten behindern die Entfaltung schulfachbezogener Förderung aktiver Beteiligung und lebenspraktischer An-
Interessen. wendungen, klare, strukturierte und anschauliche Stoffprä-
2. Die Schüler entwickeln zunehmend stabile außerschu- sentation und Unterstützung bei herausfordernden Aufga-
lische Interessen, die in Konkurrenz zu den Schulfä- ben. Das Interventionsziel Förderung aktiver Beteiligung
chern treten. und lebenspraktischer Anwendungen kann beispielsweise
3. Im Laufe der Schulzeit führt die Wahrnehmung einer konkret durch solche Handlungen gefördert werden, die
hohen Fähigkeit in bestimmten Bereichen (z. B. Schul- es erlauben, mit realen und lebensnahen Materialien um-
fächern) zu Interessenschwerpunkten, die wiederum zugehen und dabei kognitiv und physisch aktiv zu sein.
die Aufgabe oder Abwertung anderer Interessenberei- Dies könnte z. B. beinhalten, dass Schüler im Fach Deutsch
che bedingen. eine Kurzgeschichte in ein Theaterstück umwandeln und
es dann mit verteilten Rollen spielen. In den naturwissen-
Der letztgenannte Punkt ist nicht zuletzt deshalb bedeut- schaftlichen Fächern besteht die Möglichkeit zum selbst-
sam, weil er impliziert, dass die generelle Interessenab- ständigen Experimentieren und zum Ausprobieren dabei
nahme zumindest teilweise das Ergebnis eines durchaus gewonnener Erkenntnisse anhand realistischer Aufgaben
positiven Prozesses (nämlich der fähigkeitsabhängigen (z. B. Trinkwasseranalyse).
Spezialisierung) darstellt. Um diese Überlegungen zu stüt-
zen ist jedoch weitere Forschung notwendig. Förderung der Selbstbestimmung.  Auf die Bedeutung der
Selbstbestimmung haben insbesondere Deci und Ryan
Fördermaßnahmen (1985, 2002) hingewiesen und postuliert, dass intrinsische
Nicht nur die Entwicklungsverläufe von Interessen und Motivation und Interesse nur dann entwickelt werden,
habitueller intrinsischer Motivation zeigen starke Par- wenn Schüler über ein ausreichendes Ausmaß an Hand-
allelen, sondern auch die diskutierten Maßnahmen zur lungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten verfügen (dazu
Förderung beider motivationaler Merkmale (z. B. Bergin, die Befunde von Reeve, Bolt & Cai, 1999; Tsai, Kunter,
1999; Brophy, 2004; Moschner & Schiefele, 2000; Schie- Lüdtke, Trautwein & Ryan, 2008). Dafür sind Vorgehens-
fele & Streblow, 2006; Wild, 2001; Wild & Remy, 2002). weisen geeignet, die zu mehr Mitbestimmung führen (z. B.
Von Bedeutung ist insbesondere die Frage, wie Interesse bei der Auswahl des Lernstoffs), die relativ große Freiräume
und intrinsische Motivation nicht nur geweckt, sondern ermöglichen (z. B. Projektunterricht), die die Selbstbewer-
auch relativ dauerhaft aufrechterhalten werden können. tung des eigenen Lernfortschritts zulassen (z. B. durch das
Verschiedene Autoren (z. B. Deci & Ryan, 1985, 2002; Anlegen von Lernkurven auf der Basis von Lerntests) und
Krapp, 1998; Schiefele, 2004; Wild & Remy, 2002) haben die es dem Schüler erlauben, selbst Entscheidungen zu tref-
argumentiert, dass die Erfüllung der in der Selbstbestim- fen und Lösungen für Probleme zu finden.
mungstheorie postulierten Bedürfnisse nach Kompetenz, Kunter, Baumert und Köller (2007) konnten demonst-
Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit eine zentrale rieren, dass auch motivationsunspezifische Maßnahmen
Voraussetzung für die Entstehung und Aufrechterhaltung im Unterricht das fachliche Interesse der Schüler fördern,
von intrinsischer Lernmotivation und fachlichen Interes- wenn die Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autono-
sen darstellt. Aus spezifisch interessentheoretischer Sicht mie angesprochen werden. Die Autoren untersuchten die
170 Kapitel 7 • Motivation

Auswirkungen von Klassenmanagementstrategien (Klar- beinhalteten z. B. die Einbettung der Inhalte des Physikun-
1 heit der Regeln und Lehrersteuerung) auf die Entwicklung terrichts in Kontexte, die Mädchen besonders interessieren,
des Interesses an Mathematik. Sie nahmen an, dass vor- aber im herkömmlichen Physikunterricht vernachlässigt
2 strukturierte und gut organisierte Lernumgebungen das werden. Gleichzeitig war man bemüht, geschlechtsspezifi-
Erleben von Kompetenz und Selbstbestimmung steigern sche Dominanzen zu vermeiden und verwendete vor allem
und sich somit auch interessenförderlich auswirken. Die solche Kontexte, die an außerschulische Erfahrungsberei-
3 Befunde bestätigen, dass Regelklarheit und Lehrersteue- che anknüpfen, die Mädchen und Jungen gleichermaßen
rung positiv zur Vorhersage des Interesses beitragen und zugänglich sind. Darüber hinaus hatten die Schüler die
4 dass dieser Effekt durch das Erleben von Kompetenz und Möglichkeit, aktiv und eigenständig zu lernen, Erfahrun-
Selbstbestimmung vermittelt wird. gen aus erster Hand zu sammeln und einen Bezug zum
5 Alltag und ihrer Lebenswelt herzustellen. Auch wurden die
Förderung sozialer Bezogenheit.  Die Annahme eines Be- Bedeutung der Naturwissenschaften für die Gesellschaft
dürfnisses nach sozialer Bezogenheit erklärt nicht nur und der lebenspraktische Nutzen naturwissenschaftlicher
6 die besondere Bedeutung sozialer Anerkennung bzw. Zu- Inhalte immer wieder verdeutlicht.
rückweisung als extrinsische Motivationsquelle, sondern
7 auch die Steigerung intrinsischer Motivation durch die
Fazit
Kopplung von Lernhandlungen bzw. -gegenständen mit
Der hier vorgelegte Überblick zu Aspekten pädago-
befriedigenden sozialen Kontakten (Deci & Ryan, 1985,
8 2002). Daher bildet die Förderung sozialer Bezogenheit gisch-psychologischer Motivationsansätze verdeut-
licht die Existenz relativ vielfältiger motivationaler
eine weitere Möglichkeit zur Förderung von intrinsischer
9 Motivation und Interesse. Um dieses Ziel zu erreichen, Merkmale, die zudem in der Regel eine substanzielle
Bedeutung für den Lernerfolg in Schule und Studium
scheinen insbesondere Formen der Teamarbeit und des
aufweisen. Es fällt jedoch auf, dass die Beziehungen
10 kooperativen Lernens geeignet zu sein. Dabei ist darauf
zwischen den verschiedenen motivationalen Konstruk-
zu achten, dass die gemeinsame Arbeit einen intensiven
ten nur teilweise als geklärt gelten können. So werden
sozialen Austausch erfordert und jeder Schüler die Ver-
11 antwortung für bestimmte Teilaufgaben übernimmt. Zu- beispielsweise Konstrukte voneinander unterschieden
(z. B. das explizite Leistungsmotiv und die Zielorien-
sätzlich kann das Erleben sozialer Bezogenheit auch durch
12 ein partnerschaftliches Lehrer-Schüler-Verhältnis positiv tierungen), die offenkundig starke Überschneidungen
aufweisen. Es ergibt sich daher als dringliche Aufgabe
beeinflusst werden (Schiefele, 2004).
für die künftige Forschung, die unterschiedlichen Kon-
13 Förderung der Bedeutsamkeit des Lerngegenstands. Aus
zeptionen der Lernmotivation in eine kohärente Rah-
mentheorie zu integrieren und die Zusammenhänge
interessentheoretischer Sicht stellt die Förderung der Be-
14 deutsamkeit des Lerngegenstands ein zentrales Interven- zwischen ihnen zu klären (z. B. Urhahne, 2008). Eine
bessere Integration der Konstruktvielfalt wäre nicht
tionsziel dar (Bergin, 1999; Krapp, 1998; Schiefele, 2004).
nur aus theoretischen, sondern auch aus praktischen
15 Diesem Ziel lassen sich einige konkrete Maßnahmen
Gründen zu begrüßen, denn eine größere theoretische
zuordnen, so z. B. klare und persönlich bedeutungsvolle
Klarheit würde die Rezeption motivationaler Theo-
Lernziele formulieren (z. B. Mathematik als Grundlage
16 des technischen Fortschritts hervorheben), als Lehrender rien durch Lehrer, Erzieher, Weiterbilder und andere
Praktiker erleichtern und somit die Wahrscheinlichkeit
das eigene Interesse am Stoffgebiet zum Ausdruck brin-
17 gen (z. B. berichten, warum man sich als Lehrer für sein motivationaler Interventionen in den pädagogischen
Anwendungsfeldern erhöhen.
Fachgebiet entschieden hat) und praktische Anwendungs-
Die vorliegenden Befunde zu den Auswirkungen der
möglichkeiten des Lernstoffs hervorheben (z. B. Bedeutung
18 der Chemie für die Themen Ernährung und Gesundheit). Motivation auf Lernen und Leistung vermitteln ein
insgesamt positives Bild. Ohne Zweifel kommt der Mo-
Neben den aufgeführten Einzelmaßnahmen (die natür-
19 lich auch gebündelt angewendet werden können) existieren tivation hier eine wichtige Rolle zu, auch jenseits von
kognitiven Bedingungsfaktoren. Aber es besteht noch
auch umfassende und langfristige Programme zur Beein-
weiterer Klärungsbedarf. Einige Autoren (insbesondere
20 flussung fachlichen Interesses und intrinsischer Motiva-
Eccles, 1983, 2005; Wigfield & Eccles, 2000) wiesen dar-
tion bei Schülern (Moschner & Schiefele, 2000). In einem
auf hin, dass motivationale Lernermerkmale vor allem
von Häußler und Hoffmann (2002; auch Hoffmann, 2002;
21 Hoffmann, Häußler & Peters-Haft, 1997) durchgeführten ausbildungsbezogene Entscheidungen (z. B. Kurswah-
len) beeinflussen. Besonders deutlich konnte dies von
Modellprojekt gelang es, die Interessen von Mädchen der
22 7.  Klassenstufe am naturwissenschaftlichen Unterricht Köller et al. (2001) für den Einfluss des Interesses auf die
positiv zu beeinflussen. Die durchgeführten Maßnahmen
Literatur
171 7

3. Unter welchen Bedingungen kann auch das implizite Leis-


Leistungskurswahl im Fach Mathematik demonstriert
tungsmotiv zur Vorhersage von Schulleistungen beitra-
werden. Dagegen wurde der Einfluss der Motivation
gen?
auf Leistungsindikatoren als geringer eingeschätzt. Al-
4. Worin unterscheidet sich die Wirkung von Annäherungs-
lerdings muss hier wiederum nach Motivationsformen
leistungszielen und Lernzielen?
(z. B. Lern- vs. Leistungszielorientierung) und Leistungs-
5. Inwiefern kann die im Laufe der Schulzeit zu beobach-
formen (z. B. standardisierte Leistungstests vs. Lernleis-
tende Abnahme von Schülerinteressen auch positiv be-
tung in einer spezifischen Textlernsituation) unter-
trachtet werden?
schieden werden. Eine wichtige Aufgabe der künftigen
Forschung besteht deshalb darin, mehr systematische
Vertiefende Literatur
und differenzierte Kenntnisse über den Zusammen- Heckhausen, J. & Heckhausen, H. (Hrsg.). (2006). Motivation und Handeln.
hang von Motivation und akademischen Leistungen zu Heidelberg.
gewinnen. Zusätzlich wäre es dabei wichtig, auch die Schunk, D. H., Pintrich, P. R. & Meece, J. L. (2008). Motivation in education.
Motivationseffekte auf die den Leistungen zugrunde Upper Saddle River, NJ: Pearson Education.

liegenden Lernprozesse zu untersuchen (Brunstein &


Heckhausen, 2006). Literatur
Ein praktisch besonders bedeutsamer Befund besteht
darin, dass insbesondere für die intrinsische Moti- Alexander, P. A., Kulikowich, J. M., & Jetton, T. L. (1994). The role of sub-
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Amabile, T. M., Hill, K. G., Hennessey, B. A., & Tighe, E. M. (1994). The Work
beobachten sind. Um diese Abnahmen wirksam zu
Preference Inventory: Assessing intrinsic and extrinsic motivatio-
bekämpfen, kann auf eine Reihe von Interventions- nal orientations. Journal of Personality and Social Psychology, 66,
möglichkeiten zurückgegriffen werden. Dabei haben 950–967.
die obigen Ausführungen gezeigt, dass trotz aller Ames, C. (1992). Classrooms: Goals, structures, and student motivation.
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auch Lernfreude und Interesse geweckt werden, wenn Anderman, E. M., Eccles, J. S., Yoon, K. S., Roeser, R., Wigfield, A., & Blu-
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Effekte von motivationalen Interventionen ist vermut- Anderman, E. M., & Midgley, C. (1997). Changes in achievement goal
lich darauf zurückzuführen, dass die Bedürfnisse nach orientations, perceived academic competence, and grades across
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177 8

Selbstkonzept
Jens Möller, Ulrich Trautwein

8.1 Schulisches Selbstkonzept – 178


8.2 Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen
Selbstkonzeptforschung – 179
8.2.1 William James – 179
8.2.2 Symbolischer Interaktionismus – 180
8.2.3 Gedächtnispsychologische Modelle des Selbstkonzepts  –  181
8.2.4 Entwicklungspsychologische Arbeiten – 182
8.2.5 Sozialpsychologische Selbstkonzeptforschung – 182

8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts  –  183


8.3.1 Struktur des Selbstkonzepts: Bereichsspezifität und Hierarchie  –  183
8.3.2 Stabilität des Selbstkonzepts  –  185
8.3.3 Erfassung des Selbstkonzepts  –  186

8.4 Determinanten des Selbstkonzepts: Welche


Faktoren beeinflussen die Höhe der fachbezogenen
Selbstkonzepte? – 187
8.4.1 Soziale, dimensionale, temporale und kriteriale
Vergleichsinformationen – 187
8.4.2 Big-Fish-Little-Pond Effekt – 188
8.4.3 Internal/External-Frame-of-Reference-Modell – 189
8.4.4 Geschlecht und Geschlechterstereotype  –  191
8.4.5 Schulischer Kontext und Selbstkonzeptentwicklung  –  192

8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts  –  193


8.5.1 Selbstkonzept und Leistung  –  193
8.5.2 Selbstkonzept, Interesse und leistungsthematische
Wahlentscheidungen – 194

8.6 Schulische und außerschulische


Interventionsmaßnahmen – 196
Literatur – 197

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
178 Kapitel 8 • Selbstkonzept

Erzielt ein Fußballspieler über Monate kein Tor, so heißt es


1 häufig, dass es ihm am nötigen „Selbstvertrauen“ fehlt. Ist eine
Schülerin überzeugt, dass ihr Mathematik „liegt“ und machen
2 ihr entsprechend die Mathematikstunden viel Spaß, so sagt
ihre Lehrkraft möglicherweise, dass die Mathematik ihr sehr
wichtig ist, eben ein zentraler Teil ihres Selbstbilds, ihrer „Iden-
3 tität“. Durchlebt ein Jugendlicher eine Krise, etwa weil wichtige
Freundschaften zerbrechen oder er schulischen Misserfolg er-
4 lebt, so könnte die Diagnose seiner Umwelt lauten, dass sein
„Selbstwertgefühl“ angeknackst ist. So verschieden die drei
5 Beispiele auf den ersten Blick sein mögen, ihnen ist gemein,
dass sie das Feld der psychologischen Selbstkonzeptforschung
berühren. In diesem Kapitel geht es um schulbezogene und
6 außerschulische Selbstkonzepte. Es soll dargestellt werden,
wie sich schulbezogene Selbstkonzepte entwickeln, wodurch
7 sie beeinflusst werden und welche Auswirkungen sie auf das
Erleben und Verhalten von Personen haben. Dabei geht es um

8 brisante Fragen: Wie finden Kinder und Jugendliche ihre Iden-


tität? Wieso sind die Leistungen der Mitschülerinnen und Mit-
schüler dafür verantwortlich, ob ich denke, dass ich in Sprachen
9 gut bin? Und wieso drückt meine Note in Deutsch auf mein
Selbstvertrauen in Mathematik? Zunächst aber sollen in ▶ Ab-
10 schn. 8.2 kurz die theoretischen Wurzeln der pädagogisch-psy-
chologischen Selbstkonzeptforschung beschrieben werden,
indem dargestellt wird, wie von James und im symbolischen
11 Interaktionismus über das „Selbst“ gedacht wurde. Zudem
.. Abb. 8.1  

werden gedächtnis- und entwicklungspsychologische Selbst- finden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen
12 konzeptmodelle skizziert und die Kernmerkmale sozialpsycho- von einer positiven Selbstbewertung profitiert.
logischer Selbstkonzeptforschung aufgeführt. In ▶ Abschn. 8.3 2. Die Annahme, dass eine positive Bewertung der eigenen
Leistungsfähigkeit die tatsächlich gezeigten Leistungen
13 erfolgt eine eingehende Beschreibung von Struktur, Stabilität
und Erfassung des Selbstkonzepts, bevor in ▶ Abschn. 8.4 positiv beeinflussen kann, ist empirisch gut gesichert.
die Determinanten des Selbstkonzepts beschrieben werden.
14 In ▶ Abschn. 8.5 wird die Bedeutung des Selbstkonzepts für Das Selbstkonzept hat folgerichtig großes Interesse in der
schulische Leistungen und Wahlentscheidungen dargestellt. Forschung gefunden; mittlerweile sind mehrere Tausend
15 In ▶ Abschn. 8.6 werden abschließend Möglichkeiten der För- wissenschaftliche Artikel zum Selbstkonzept veröffentlicht
derung der Selbstkonzepte vorgestellt (. Abb. 8.1). worden.

16 Definition 
8.1 Schulisches Selbstkonzept Der Begriff Selbstkonzept wird in der aktuellen
17 pädagogisch-psychologischen Forschung verwendet,
Mit dem Begriff Selbstkonzept werden Einschätzungen um die mentale Repräsentation der eigenen Person
und Einstellungen bezüglich ganz unterschiedlicher As-
18 pekte der eigenen Person bezeichnet. Zu diesen Einstel-
zu beschreiben. Selbstkonzepte sind Vorstellungen,
Einschätzungen und Bewertungen, die die eigene
lungen und Einschätzungen zählen sowohl globale gefühls- Person betreffen (Moschner, 2001). Diese Selbstbe-
19 mäßige Bewertungen der eigenen Person („Was tauge ich schreibungen können sich auf einzelne Facetten der
eigentlich?“) als auch mehr oder weniger rationale Ein- Person („Ich zeige in Mathematik gute Leistungen“)
20 schätzungen der eigenen Eigenschaften, Fähigkeiten und oder auf die gesamte Person („Ich wünschte, ich wäre
Kompetenzen („Wie schlau/eitel/schnell bin ich?“). Tradi- jemand anderes“) beziehen.
tionell ist die Forschung zum Selbstkonzept in der Päda- Bei Selbstbeschreibungen in einem bestimmten
21 gogischen Psychologie – und hier insbesondere in Bezug Bereich (z. B. schulbezogenes Selbstkonzept oder
auf Schüler – sehr aktiv. Das hat vor allem zwei Gründe: Selbstkonzept des Aussehens) wird von einem be-
22 1. Die Vermittlung eines positiven Selbstbilds gilt als ein reichsspezifischen Selbstkonzept („domain-specific
wichtiges Erziehungsziel, da das psychische Wohlbe- self-concept“) gesprochen.
8.2  •  Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung
179 8

In diesem Beitrag beschäftigen wir uns fast ausschließlich gebnisse sein, ohne den Blick ungebührlich zu verengen.
mit schulbezogenen Selbstkonzepten, wie beispielsweise Bei der Abfassung dieses Kapitels haben wir dies u. a. zu
dem mathematischen Selbstkonzept. Globale Bewertungen erreichen versucht, indem wir primär eine pädagogisch-
der eigenen Person, die häufig mit dem Begriff ▶ Selbst- psychologische Sichtweise vom Selbstkonzept einnehmen,
wertgefühl („self-esteem“ bzw. „self-worth“) oder globa- innerhalb dieses Bereichs jedoch eine Fokussierung auf
les Selbstkonzept beschrieben werden, berücksichtigen Einzelphänomene und einzelne Studien vermeiden.
wir dagegen nur am Rande. Ein Fragebogen zum globalen
Selbstkonzept oder Selbstwertgefühl würde typischerweise
Items wie „Im Großen und Ganzen bin ich mit mir zufrie- 8.2 Theoretische Wurzeln
den“ enthalten. Bereichsspezifische Selbstkonzepte werden der pädagogisch-psychologischen
dagegen über stärker fokussierte Aussagen erfasst wie „In Selbstkonzeptforschung
Mathematik bin ich einfach nicht so begabt wie viele mei-
ner Mitschüler“ (mathematisches Selbstkonzept). 8.2.1 William James
Schulbezogene Selbstkonzepte firmieren unter unter-
schiedlichen Bezeichnungen. Gängig sind im Deutschen In der englischsprachigen Literatur wird meist William
insbesondere die Begriffe Fähigkeitsselbstkonzept sowie James als Begründer der Selbstkonzeptforschung bezeich-
Selbstkonzept der Begabung. Der Begriff Fähigkeitsselbst- net, der am Ende des 19. Jahrhunderts seine einflussreichen
konzept betont etwas stärker den Aspekt des wahrgenom- Arbeiten vorlegte. James trieb u. a. die Frage um, warum
menen Leistungsstands (die Performanz), während im verschiedene Personen mit ähnlichen Fähigkeiten ein ganz
Begriff Selbstkonzept der Begabung auch potenzielle Leis- unterschiedliches Selbstbild erwerben und entsprechend
tungen (bzw. die Anlagen, die eine Person besitzt) berück- unterschiedlich zufrieden mit sich sind. Zur Systematisie-
sichtigt sind. Beide Konzepte weisen jedoch breite Überlap- rung des Forschungsfelds führte James eine Differenzie-
pungen auf und werden von manchen Autoren synonym rung im Selbst ein, indem er zwischen dem Betrachter („I“)
verwendet. Auch empirisch erscheint eine Trennbarkeit und dem Betrachteten („Me“) unterschied. Das „I“ ist die
kaum möglich (Marsh, Trautwein, Lüdtke, Baumert & Köl- denkende und handelnde Person selbst, es bezeichnet nicht
ler, 2007). Der Begriff Kompetenzüberzeugungen („compe- das Selbst als Objekt der Betrachtung, sondern ist gewis-
tence beliefs“), der ebenfalls gern verwendet wird, ist breiter sermaßen das betrachtende Subjekt, das „self as a knower“.
als der Begriff des Selbstkonzepts. Beispielsweise gehören Das „Me“ stellt dagegen das Objekt der Betrachtung der ei-
auch die sog. ▶ Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (▶ Ex- genen Person dar. Das „Me“ entspricht dem Selbstkonzept,
kurs „Selbstwirksamkeit“) zu den Kompetenzüberzeugungen. dem „self as known“, oder dem selbstbezogenen Denken,
Diskutiert wird, ob Selbstkonzepte rein beschreibende Empfinden und Wissen. Das „I“ betrachtet also das „Me“.
kognitive Repräsentationen eigener Fähigkeiten darstellen Das „self as known“ stellt die Aspekte einer Person dar,
oder auch evaluative Komponenten enthalten. Da schulbe- derer sich das „self as knower“ bewusst ist.
zogene Fähigkeiten und Fertigkeiten wichtige Konsequen- Das „Me“ wird bei James als hierarchisches und mul-
zen haben und diese Konsequenzen von Schülern tagtäg- tidimensionales Selbstkonzept konzipiert. Das „Me“ wird
lich wahrgenommen werden, darf man wohl getrost davon aus Erfahrungen konstruiert, es ist das „empirical ego“
ausgehen, dass schulbezogene Selbstkonzepte praktisch für (James, 1892/1999). Es setzt sich aus spirituellen, sozialen
alle Schüler auch eine evaluative Komponente besitzen. und materiellen Aspekten zusammen. Die oberste Hier-
Vereinfacht gesprochen: Wenn jemand sagt, er sei nicht archieebene bildet das spirituelle Selbst, welches Wissen
gut in der Schule, so lässt ihn das nicht kalt. über eigene Eigenschaften, Fähigkeiten und Einstellun-
Neben dem Zusammenhang mit der Schulleistung gen beinhaltet, „the entire collection of my states of con-
haben insbesondere die genauere theoretische und em- sciousness, my psychic faculties and dispositions taken
pirische Bestimmung des Selbstkonzepts, dessen Genese concretely“ (James, 1892/1999, S. 71). Hier sind in mo-
sowie die pädagogisch motivierte Veränderung des Selbst- derner Terminologie fähigkeitsbezogene Selbstkonzepte
konzepts den wissenschaftlichen Diskurs bestimmt. Die und schulfachspezifische Interessen anzusiedeln. Das so-
Fülle an wissenschaftlichen Artikeln hat dazu geführt, ziale Selbst verstand James dagegen eher als wahrgenom-
dass inzwischen die Bedeutung des Selbstkonzepts sowie mene Fremdwahrnehmung einer Person. Jeder Mensch
zentrale Mechanismen der Genese des Selbstkonzepts gut hat demnach so viele Varianten des sozialen Selbst, wie
dokumentiert sind. Personen sich in unterschiedlicher Weise an ihn erinnern.
Ein Lehrbuchkapitel kann und soll nicht die gesamte Das soziale Selbst besteht also im Wesentlichen aus Kog-
Komplexität eines so lebendigen Forschungsfeldes wieder- nitionen darüber, welches Ansehen man bei verschiedenen
geben. Es muss vereinfachen, ohne zu trivialisieren, und Personen(-gruppen) hat bzw. wie man von ihnen wahrge-
selektiv in der Auswahl der beschriebenen Forschungser- nommen wird. Das materielle Selbst schließlich umfasst
180 Kapitel 8 • Selbstkonzept

1
2
3
4
5
6
7
.. Abb. 8.2  Multidimensionales und hierarchisches Selbstkonzept. (Modifiziert nach Shavelson et al. 1976, copyright © 1976 by SAGE Publica-
tions. Reprinted by Permission of SAGE Publications.)
8
Wissen über den eigenen Körper, wichtige andere Perso- von klinischen Psychologen wie Carl Rogers populari-
9 nen (Familie) und vertraute Gegenstände. siert. Nach den Annahmen des symbolischen Interakti-
Zum „Me“ zählen auch affektive Einstellungen ge- onismus ist das Selbstkonzept in erster Linie ein Resultat
10 genüber der eigenen Person, das sog. „self-feeling“ eines der ▶ Fremdwahrnehmungen einer Person durch andere
Menschen sich selbst gegenüber, das in unterschiedlichem Personen. Das Selbstkonzept ist danach so etwas wie ein
Ausmaß etwa Stolz und Scham beinhaltet. Im Wesentli- Abziehbild der Einstellungen anderer Menschen zu dieser
11 chen ist dieses Selbstwertgefühl nach James das Ergebnis Person, eine Reflexion ihrer wahrgenommenen Wirkung
von Erfolgen oder Misserfolgen und der Stellung, die ein auf andere. Cooley (1902) prägte in diesem Zusammen-
12 Mensch in der Welt hat. Hierbei geht es primär um sub- hang den Begriff des „looking-glass-self “. Andere Personen
jektive Interpretationen von Erfolgen und Misserfolgen spiegeln einer Person ihre Einstellungen und Gefühle ge-
und nicht um deren objektive Ausprägung. Nach James genüber dieser Person wider; in diesem Spiegel sieht sich
13 bestimmt sich das Selbstwertgefühl eines Menschen als die Person und konstruiert aus den Fremdwahrnehmun-
Verhältnis von Erfolg und Anspruch. Das Selbstwertge- gen ihr eigenes Selbstkonzept.
14 fühl basiert auf Fähigkeiten in einzelnen Domänen. Die Insbesondere Menschen, die einer Person nahestehen,
Domänen werden je nach persönlicher Wichtigkeit bei der haben nach dieser Konzeption starken Einfluss auf deren
15 Ausgestaltung des Selbstwertgefühls berücksichtigt. James Selbstkonzept: „In the presence of one whom we feel to be
postulierte Prozesse, nach denen sich das Selbstwertgefühl of importance, there is a tendency to enter into and ad-
aus der Summe gewichteter bereichsspezifischer Selbstkon- opt, by sympathy, his judgment of ourself “ (Cooley, 1902,
16 zepte zusammensetzt. S. 175). Mead (1934) betonte darüber hinaus, dass nicht
Auch wenn die empirisch ausgerichtete Selbstkonzept- nur Individuen, sondern auch soziale Gruppen und de-
17 forschung manche Vorstellung von James zu revidieren ren Normen das Selbstkonzept prägen. Dabei bestimmt
half, bleibt festzuhalten, dass seine Arbeiten die Basis für die Gesamtheit der sozialen Gruppen, deren Mitglied eine
spätere Selbstkonzeptmodelle, wie etwa das hierarchische Person ist, deren Selbstbild. Die Person nimmt einen „ge-
18 Selbstkonzeptmodell von Shavelson, Hubner und Stanton neralisierten Anderen“ wahr, quasi als Querschnitt aller
(1976; . Abb. 8.2), lieferten. sozialen Gruppen. Die Einstellung, die dieser generalisierte
19 Andere zu der Person hat, prägt deren Selbstkonzept; die
Einstellung der anderen zu einer Person wird dann von
8.2.2 Symbolischer Interaktionismus
20 dieser übernommen.
Das Verdienst der symbolischen Interaktionisten für
Selbstkonzepte sind ganz maßgeblich von Interaktionen die Selbstkonzeptforschung besteht in der Betonung der
21 mit der sozialen Umwelt beeinflusst. Diese Erkenntnis Rolle der sozialen Umwelt für die Selbstkonzeptentwick-
wurde seit Anfang des 20. Jahrhunderts insbesondere von lung. Diese wird heute nicht mehr angezweifelt, wenn auch
22 Vertretern des symbolischen Interaktionismus, aber auch nicht alle Postulate des symbolischen Interaktionismus
8.2  •  Theoretische Wurzeln der pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung
181 8

Exkurs  |       | 

Direkte versus indirekte Rückmeldungen


Wie kommt es zu den nur moderaten Nichtsdestotrotz gab Felson (1993) auch Felson (1993) nahm somit an, dass ein
Zusammenhängen zwischen Selbst- und Hinweise darauf, welche Möglichkeiten direkter verbaler Rückmeldeprozess eher
Fremdbild? Angeregt von den insgesamt einem Individuum zur Verfügung stehen, die Ausnahme als die Regel ist. Neben
ernüchternden empirischen Befunden um ein realistisches Selbstbild zu erwer- den hier aufgeführten indirekten und
hinsichtlich der Übereinstimmung von ben. Zum einen können in Situationen, institutionalisierten Rückmeldungen
Selbstbild und Fremdbild nannte Felson in denen negative Rückmeldungen sozial beschrieb Felson jedoch noch einen wei-
(1993) einige Gründe, die zu diesem „verboten“ sind, Rückschlüsse aus der teren, indirekten Weg zur Selbsteinschät-
Befundmuster beitragen könnten. Als Abwesenheit positiver Rückmeldung zung, bei dem gemeinsame Standards
eine mögliche Ursache wird die niedrige gezogen werden. Zudem gibt es gewisse („shared standards“) einer Bezugsgruppe
Kongruenz zwischen Fremdbild und Informationskanäle (z. B. enge Freunde eine besonders wichtige Rolle spie-
wahrgenommenem Fremdbild gesehen, und Lebenspartner), von denen man reali- len. Nach dieser Annahme kann ein
da zunächst das wahrgenommene Fremd- tätsnahes Feedback erbitten kann. Eine be- Individuum zu einer Repräsentation der
bild in das Selbstbild integriert werden sondere Rolle nehmen nach Felson (1993) eigenen Reputation kommen, indem es
muss. Oft seien die Rückmeldungen von institutionalisierte Leistungsrückmeldun- die in der Bezugsgruppe vorherrschenden
anderen zu Aspekten der eigenen Person gen ein, wie man sie in der Schule etwa bei Standards internalisiert und sich selbst
aber uneindeutig oder positiv verzerrt: der Zeugnisvergabe oder der Rückgabe daran misst (Felson, 1993, S. 11):
Gesellschaftliche Konventionen würden von Klassenarbeiten erhält: Sie werden als
„The process can be explained in terms of
es in vielen Fällen verbieten, kritische bzw. relativ verlässliches Feedback angesehen.
the socialization of standards, or as the
negative Rückmeldungen zu geben. Es soll Solche Rückmeldungen werden besonders
normative effect of reference groups. A
gewährleistet werden, dass alle Mitglieder dann als informativ angesehen, wenn sie
normative effect suggests that individuals
der Gesellschaft ihr Gesicht wahren kön- Informationen über die relative Position
learn standards from others and then eva-
nen („face-work“), was durch gegenseitige zu anderen beinhalten und damit einen
luate themselves using these standards.“
Rücksicht gewährleistet wird. sozialen Vergleich ermöglichen.

empirisch bestätigt werden konnten. So fallen Überein- 1. die Vorbereitungsphase, in der die Diskrimination
stimmungen zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen selbstbezogenen Wissens geschieht,
in der Regel niedriger aus als erwartet (Shrauger & Schoe­ 2. die Aneignungsphase, in der die selbstbezogene In-
neman, 1979; ▶  Exkurs „Direkte versus indirekte Rückmel- formation in ein internes, aktualisiertes Selbstmodell
dungen“). Diese Übereinstimmungen zwischen Selbstbild integriert wird,
und tatsächlichem Fremdbild sind jedenfalls niedriger 3. die Speicherungsphase, in der das selbstbezogene Wis-
als die Übereinstimmungen zwischen dem Selbstbild von sen beispielsweise in der Form eines Schemas gespei-
Schülern und dem von diesen Schülern selbst wahrgenom- chert wird, sowie
menen Fremdbild. Meine Vermutung, was andere Perso- 4. die Erinnerungsphase, in der die selbstbezogenen In-
nen über mich denken, ist also auch ein Resultat selektiver formationen abgerufen und handlungsleitend werden
Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, die von können.
meinem Selbstbild gesteuert wird.
Ein weiteres Beispiel für die gedächtnispsychologische
Tradition sind die Arbeiten von Markus (1977). Sie un-
8.2.3 Gedächtnispsychologische Modelle terscheidet zwischen überdauernden und situationalen
des Selbstkonzepts Aspekten des Selbstkonzepts. In der Konzeption von
Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts
Mit der kognitiven Wende in der Psychologie ab den beispielsweise positive oder negative Sichtweisen von As-
1970er Jahren setzte ein Siegeszug der Selbstkonzeptfor- pekten der eigenen Person, aber auch Wunschvorstellun-
schung ein. Das Selbst wurde als kognitive (Gedächtnis-) gen der eigenen Person (Ideal-Selbst). Nach Markus wer-
Struktur modelliert, die durch Informationsaufnahme ge- den vor dem Hintergrund dieser relativ stabilen Aspekte
formt wird sowie unter bestimmten Umständen selbst die des Selbstkonzepts in konkreten Situationen bestimmte
Informationsaufnahme beeinflusst. So konzipierte Filipp Selbstkonzeptaspekte aktiviert, von Markus als „working
(1979) das Selbstkonzept als Wissensstruktur hinsichtlich self “ bezeichnet. Das „working self-concept“ wird auf der
der eigenen Person. Neben verschiedenen Quellen selbst- einen Seite durch die stabilen Aspekte des Selbstkonzepts
bezogenen Wissens hat Filipp den Prozess der Aufnahme bestimmt, auf der anderen Seite aber durch aktuelle situa-
und Verarbeitung selbstbezogener Informationen unter- tive und soziale Einflüsse modifiziert.
sucht. Sie unterschied dabei vier Phasen, nämlich
182 Kapitel 8 • Selbstkonzept

Nach Markus umfassen die stabilen Aspekte des Selbst- inter- und intraindividuelle Vergleichsprozesse. Durch
1 konzepts eine Reihe von verschiedenen Selbstkonzeptfa- Vergleiche mit Gleichaltrigen werden die Selbstkonzepte
cetten, wie beispielsweise die guten und schlechten Seiten zunehmend realistischer und differenzierter.
2 der eigenen Person, das Ideal-Selbst und das negative Später erfolgte durch Harter (1998, 1999) eine Refor-
Selbst. Gleichzeitig machte Markus darauf aufmerksam, mulierung der Entwicklung des Denkens im Kindes- und
dass in Abhängigkeit von der Situation unterschiedliche Jugendalter. Harter beschrieb für sechs Altersstufen vom
3 Verarbeitungsstrategien auftreten. Säuglingsalter bis zum späten Jugendalter die Struktur und
Der Inhalt des jeweiligen Working Self-Concept ist so- die zentralen Inhalte von Selbstkonzepten sowie deren
4 mit nach Markus nicht nur durch die stabilen Selbstkon- Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Danach sind die
zepte bestimmt, sondern auch durch die jeweilige soziale Selbstkonzepte bis weit in die Kindheit hinein („middle
5 Situation. Als Belege für ihre Vorstellungen führte Mar- childhood“) stark positiv verzerrt, durch die allmähliche
kus Ergebnisse aus experimentellen Studien an. So ma- Integration auch negativer Informationen über eigene
nipulierten beispielsweise Markus und Kunda (1986) das Fähigkeiten und Eigenschaften in das Selbstbild nimmt
6 temporäre Selbstkonzept von Studentinnen, indem ihnen die Genauigkeit der Selbsteinschätzungen zu. Mit dieser
suggeriert wurde, sie würden extrem ähnliche („Ähnlich- Entwicklung geht die zunehmende Ausdifferenzierung
7 keitsbedingung“) bzw. unähnliche („Einzigartigkeitsbe- des eigenen Rollenbildes einher; am Ende der Jugendzeit
dingung“) Vorlieben aufweisen wie drei gleichzeitig un- reflektiert das Selbstkonzept relativ stabile Überzeugungen
tersuchte Studierende. Markus und Kunda fanden Belege und Werte.
8 dafür, dass die Untersuchungsteilnehmerinnen in Reak-
tion auf die experimentelle Manipulation ihr tatsächliches
9 Selbstkonzept veränderten. Hannover (1997) hat diesen 8.2.5 Sozialpsychologische
Ansatz theoretisch und empirisch weiterentwickelt und Selbstkonzeptforschung
10 insbesondere für die Pädagogische Psychologie nutzbar
gemacht (s. auch Kessels & Hannover, 2004). In der Sozialpsychologie hat sich eine ausgesprochen le-
bendige und oftmals faszinierende Forschungsaktivität
11 zum Selbstkonzept entwickelt, in der u. a. beschrieben
8.2.4 Entwicklungspsychologische wird, wie es den meisten Menschen gelingt, ein positives
12 Arbeiten Selbstbild zu erhalten. Es gibt in Hinblick auf die Konzepte,
Themen und Methoden viele Überschneidungen mit der
In der Entwicklungspsychologie wurde in den vergan- pädagogisch-psychologischen Selbstkonzeptforschung.
13 genen Jahrzehnten eine Reihe von Modellen zur Genese Wichtige Unterschiede zwischen der sozialpsycholo-
des Selbstkonzepts erarbeitet. Ein Beispiel für einen ent- gischen und der pädagogisch-psychologischen Forschung
14 wicklungspsychologisch begründeten Ansatz, der auch bestehen jedoch nach wie vor in zweierlei Hinsicht. Zum
für die pädagogisch-psychologische Forschung bedeut- einen fokussiert der Großteil der sozialpsychologischen
15 sam wurde, sind die Beiträge von Harter (z. B. 1998, 1999). Selbstkonzeptforschung das Selbstwertgefühl (▶  Exkurs
Harter entwickelte, aufbauend auf den Arbeiten von James „Allgemeines Selbstkonzept als Einstellung: Die Beiträge von
(1892/1999) und Piaget (1960), in mehreren Etappen ein Morris Rosenberg“) und ist nur bedingt an bereichsspezifi-
16 Modell der kognitiven Entwicklung des Selbstkonzepts. schen Selbstkonzepten interessiert, die in der pädagogisch-
Zunächst beschrieb Harter (1983) die Selbstkonzeptent- psychologischen Forschung die Publikationsaktivitäten do-
17 wicklung anhand der Unterscheidung kognitiver Prozesse minieren. Zum anderen nimmt die sozialpsychologische
nach Piaget (1960). Konkret-operationale Selbstbeschrei- Forschung in hohem Maße eine Prozessperspektive ein,
bungen in der früheren Kindheit werden zunehmend die zu den oft eher eigenschaftsorientierten Selbstkonzept-
18 abgelöst durch abstrakte Selbstbeschreibungen mit Ei- modellen der Pädagogischen Psychologie in deutlichem
genschaftscharakter. Selbstbeschreibungen von Kindern Kontrast steht. Bezieht man sich auf die oben dargestellte
19 betreffen häufig beobachtbare Attribute wie Eigentum Unterscheidung nach James, so beschränkt sich das päd-
oder Fähigkeiten; zudem sind die Bewertungen der eige- agogisch-psychologische Selbstkonzept in erster Linie auf
20 nen Person sehr positiv, soziale Vergleichsinformation ist das „Me“, während bedeutsame Anteile der sozialpsycho-
nicht ausreichend vorhanden bzw. wird noch nicht adäquat logischen Selbstkonzeptforschung eine Präferenz für das
genutzt (Ruble & Frey, 1987). Ältere Kinder und Jugend- „I“, die aktive Seite des Selbst, haben. Das Selbst fungiert
21 liche können auch negative Eigenschaften in das Selbst- hier als motiviertes, dynamisches System mit handlungslei-
konzept integrieren, außerdem steigt die Bedeutung des tender Funktion (Mischel & Morf, 2003). Genannt werden
22 leistungsbezogenen und des sozialen Selbstkonzepts. Die beispielsweise theoretische Annahmen, wonach viele oder
einzelnen Selbstkonzepte differenzieren sich aus durch alle Menschen Bedürfnisse nach Selbstbewertung („self-
8.3  •  Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts
183 8

evaluation“), Selbstwertsteigerung („self-enhancement“), Exkurs  |       | 


Selbstbestätigung („self-verification“), Selbstwertschutz
(„self-defense“) oder Selbstverbesserung („self-improve- Allgemeines Selbstkonzept als Einstellung:
Die Beiträge von Morris Rosenberg
ment“) haben, die in unterschiedlichen Situationen un-
terschiedlich bedeutsam sind. In schulischen Leistungssi- Die Arbeiten von Rosenberg (1965, 1986) hatten einen nach-
haltigen Einfluss auf die weitere Forschung zum Selbstwert-
tuationen scheint das Bedürfnis nach Selbstverbesserung gefühl. Rosenberg (1965, S. 5f.) konzipierte das Selbstkonzept
besonders prominent; so verglichen sich die Schüler in der als Einstellung („attitude“) einer Person zu sich selbst:
Studie von Möller und Köller (1998) vor allem mit leis-
„In the present study, we conceive of the self-image as an at-
tungsstärkeren Mitschülern. titude toward an object. … Putting it baldly, there is no quali-
tative difference in the characteristics of attitudes toward the
self and attitudes toward soup, soap, cereal, or suburbia.“
8.3 Struktur, Stabilität und Erfassung Er betont, dass diese Perspektive es erlaubt, bei der Erfor-
des Selbstkonzepts schung des Selbst die gleichen Instrumente zu verwenden
wie in der übrigen Einstellungsforschung.
Rosenberg (1965) entwickelte dementsprechend einen
Aktuelle pädagogisch-psychologische Arbeiten zum
ökonomisch einsetzbaren, eindimensionalen und reliablen
Selbstkonzept gehen in der Regel von einer Konzeption Fragebogen, die Rosenberg-Skala. Zehn Items erfragen
aus, bei der das Selbstkonzept – in Übereinstimmung mit auf einer 4-stufigen Antwortskala generalisierte, affektiv-
gedächtnispsychologischen Arbeiten – eine kognitive Re- evaluative Selbsteinschätzungen. Ein Itembeispiel lautet: „At
präsentation eigener Fähigkeiten und/oder Begabungen times I think I am no good at all.“ Dieser Fragebogen zum
Selbstwertgefühl wird noch heute als Standardinstrument
darstellt. Versucht man eine Einordnung in die Theorie
in unterschiedlichen Forschungskontexten eingesetzt. Die
von James, so steht im Blickpunkt pädagogisch-psycholo- pädagogisch-psychologische Forschung hat allerdings
gischer Arbeiten meist das „Me“. Im Einklang mit James gezeigt, dass bereichsspezifische Selbstkonzepte in Hinblick
wird die Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Sicht auf schulrelevante Kriteriumsvariablen fast ausnahmslos eine
hervorgehoben – ein Mensch kann sich in unterschied- höhere prognostische Validität besitzen (Marsh & Craven,
2006; Trautwein, Lüdtke, Köller & Baumert, 2006).
lichen Teilbereichen ganz unterschiedlich wahrnehmen.
Die Betonung der sozialen Umwelt als wichtige Deter-
minante des Selbstkonzepts wirkt wie ein Widerhall der
frühen Arbeiten des symbolischen Interaktionismus, und Individuum diese Erfahrungen mithilfe von Kategorien.
aus der Entwicklungspsychologie wurden zentrale Modell- Eine Einteilung von Erfahrungen in Kategorien bedeutet
vorstellungen zur Genese des Selbstkonzepts adaptiert. Im auch, dass das Selbstkonzept mehrere Facetten hat, d. h.
Folgenden stellen wir zentrale Modelle vor und geben ei- eine multidimensionale Struktur aufweist. In anderen
nen kurzen Überblick über Instrumente, mit denen das Worten: Personen bauen Überzeugungen darüber auf, in
Selbstkonzept erfasst werden kann. welchen Bereichen sie besonders hohe oder geringe Fähig-
keiten und Begabungen haben. Die logisch nächste Frage
ist dann, wie viele unterschiedliche Bereiche Menschen
8.3.1 Struktur des Selbstkonzepts: unterscheiden, wie viele Dimensionen das Selbstkonzept
Bereichsspezifität und Hierarchie also umfasst.
Shavelson et al. (1976) argumentierten, dass das Ka-
Eine Übersichtsarbeit zum Stand der Selbstkonzeptfor- tegoriensystem von Schülern auf einer relativ generellen
schung von Shavelson et al. (1976) wird häufig als Start- Ebene zumindest die Facetten Schule, soziale Akzeptanz,
punkt der modernen pädagogisch-psychologischen Selbst- physische Fähigkeiten sowie emotionales Befinden bein-
konzeptforschung bezeichnet. In dieser Arbeit beklagten halte. Innerhalb des Bereichs Schule sollte dann wiederum
Shavelson und Mitarbeiter eine fehlende theoretische Tiefe zwischen dem Selbstkonzept bezüglich unterschiedlicher
und Stringenz in der Selbstkonzeptforschung und kritisier- Fächer unterschieden werden sowie innerhalb der Fächer
ten, dass die meisten der vorhandenen Messinstrumente auf nach unterschiedlichen Teilfertigkeiten. Shavelson et al.
Ad-hoc-Basis konstruiert worden waren. Sie schlugen unter (1976) nahmen darüber hinaus an, dass sich das Selbst-
Bezugnahme auf James (1892/1999) vor, das Selbstkonzept konzept im Laufe der Entwicklung vom Kindes- zum
mehrdimensional und hierarchisch zu konzipieren. Das Erwachsenenalter zunehmend differenziert. Die Modell-
von ihnen entwickelte Modell, das heute meist als „Shavel- vorstellung einer zunehmenden Differenzierung von
son-Modell“ bezeichnet wird, ist in . Abb. 8.2 dargestellt. Selbstkonzepten ist gut mit einer Neo-Piaget’schen Ent-
Eine zentrale Annahme des Shavelson-Modells ist die wicklungstheorie vereinbar (Harter, 1998, 1999). Kinder
multidimensionale Struktur. Um die Komplexität seiner erwerben demnach im Austausch mit der sozialen Umwelt
Erfahrung mit der Umwelt zu reduzieren, organisiert ein und als Antwort auf kognitive Herausforderungen diffe-
184 Kapitel 8 • Selbstkonzept

Exkurs  |       | 
1
Intelligenzanalogie beim Shavelson-Modell
2 Die von Shavelson et al. (1976) ver- beeinflusst. Dies widerspricht jedoch der auf eine schwache Hierarchie – würde ein
wendete Intelligenzanalogie hat den Annahme, dass es wiederholte, situati- multidimensionales Modell darstellen,
Vorzug der großen Anschaulichkeit. Aus onsspezifische Erfahrungen sind, die das bei dem sich mehrere bereichsspezifische
3 theoretischen und empirischen Gründen bereichsspezifische Selbstkonzept primär Faktoren finden ließen, die gar nicht
mag man sie jedoch durchaus kritisch prägen. Auch aus empirischer Warte wird oder nur schwach miteinander korreliert

4 betrachten. Aus theoretischer Sicht kann


kritisiert werden, dass die Intelligenzana-
man den Postulaten zur Selbstkonzept-
pyramide nur bedingt zustimmen. Marsh
wären. Die Idee einer Hierarchie lässt sich
aber auch dann aufrechterhalten, wenn
logie in Konflikt mit zentralen Annah- und Hattie (1996) unterschieden verschie- man nur schwache Korrelationen findet.

5 men zur Selbstkonzeptgenese steht. Im


g-Faktor-Modell der Intelligenz wird dem
den „strenge“ Formen der Hierarchie. Eine
strenge hierarchische Modellvorstellung
In diesem Falle können Konstrukte auf
einer höheren Hierarchieebene (z. B. das
g-Faktor eine wichtige Rolle bei der Aus- würde verlangen, dass in einer (konfirma- allgemeine schulische Selbstkonzept)
6 prägung bereichsspezifischer Fertigkeiten
zugesprochen. Entsprechend müsste
torischen oder explorativen) Faktoren-
analyse lediglich ein starker globaler
hierarchieniedrigere Selbstkonzepte (z. B.
das mathematische oder verbale Selbst-
man argumentieren, dass das generelle Faktor gefunden wird, auf den bereichs- konzept) nur bedingt erklären.
7 Selbstkonzept die Ausprägungen aller
bereichsspezifischen Selbstkonzepte
spezifische Selbstkonzepte laden. Das
andere Extrem – und damit ein Hinweis

8
renziertere Konzepte von sich selbst und ihren Fähigkei- gelockert. Das ursprünglich von Shavelson et al. (1976)
9 ten, und zunehmend fällt es ihnen leichter, bei sich selbst postulierte Modell sah in Bezug auf die schulbezogenen
relative Stärken und Schwächen zu erkennen. Überprüfen Komponenten ein generelles schulisches Selbstkonzept
10 lassen sich diese theoretischen Annahmen, indem man vor, welches eine Art Integration der einzelnen unter-
Korrelationsmuster zwischen Selbstkonzeptfacetten be- richtsfachspezifischen Selbstkonzepte beispielsweise in
trachtet: Je älter die Kinder bzw. Jugendlichen sind, desto Mathematik oder dem muttersprachlichen Unterrichts-
11 geringer sollten die Korrelationen zwischen unterschied- fach darstellen sollte. Empirische Untersuchungen erga-
lichen Selbstkonzeptdomänen ausfallen. In der Tat findet ben allerdings, dass das verbale Selbstkonzept und das
12 sich einige empirische Stützung für diese Vermutung, zu- mathematische Selbstkonzept nur unwesentlich, gar nicht
mindest für die relativ frühe Entwicklung. Die Forschungs- oder sogar negativ miteinander korreliert waren. Marsh,
gruppe um Marsh (Überblick in Marsh & Craven, 1997) Byrne und Shavelson (1988) unterschieden deshalb auf
13 hat beispielsweise gezeigt, dass es mit elaborierten Metho- der Ebene globaler schulischer Faktoren zwei weitgehend
den möglich ist, eine Vielzahl von Selbstkonzeptfacetten getrennte schulische Selbstkonzepte. Das verbale Selbst-
14 analytisch zu trennen. So unterscheidet der Akademische konzept speist sich aus Selbsteinschätzungen zum mutter-
Selbstbeschreibungsbogen (ASDQ; Marsh, 1990a) allein sprachlichen Unterrichtsfach, zu den Fremdsprachen und
15 im schulischen Bereich 14 fachspezifische Selbstkonzepte Fächern wie Geschichte. Das mathematische Selbstkon-
sowie ein globales Selbstkonzept schulischer Fähigkeiten. zept integriert Selbsteinschätzungen in Fächern wie Ma-
Der multidimensionale Charakter des Selbstkonzepts ist thematik, Physik und Chemie. Tatsächlich lässt sich diese
16 heute allgemein akzeptiert. Aufteilung in konfirmatorischen Faktorenanalysen gut
Darüber hinaus postulierten Shavelson et al. (1976), bestätigen. Das resultierende, revidierte Modell des schu-
17 dass das Selbstkonzept auch eine hierarchische Struktur lischen Selbstkonzepts beinhaltet also nicht mehr die von
besitze, an dessen Spitze ein allgemeines Selbstkonzept Shavelson angenommene Variante eines hierarchischen
(„general self-concept“) stehe. Sie verwiesen hierbei auf Charakters innerhalb der schulischen Domäne, sondern
18 Konzepte der Intelligenzforschung, die von einem allge- geht von zwei übergeordneten Faktoren aus.  . Abb. 8.3
meinen g-Faktor, der gleichsam an der Spitze der Hierar- zeigt diese Aufgliederung des schulischen Selbstkonzepts
19 chie steht, und mehreren spezifischeren Subfaktoren ausge- in ein verbales und ein mathematisches Selbstkonzept.
hen (▶ Exkurs „Intelligenzanalogie beim Shavelson-Modell“). Das revidierte Modell wurde zur Grundlage einer Viel-
20 So unterschieden die Autoren beispielsweise zwischen zahl von empirischen Untersuchungen, die sich mit den
einem schulischen Selbstkonzept und einem nichtschu- Beziehungen zwischen mathematischen und verbalen
lischen Selbstkonzept, wobei ersteres wiederum in hier- Selbstkonzepten einerseits und den zugehörigen mathe-
21 archisch gegliederter Art und Weise in fächerspezifische matischen und verbalen Leistungen andererseits befassten.
Facetten aufgeteilt wurde. Sie sind unter dem Stichwort Internal/External-Frame-of-
22 Die Annahmen zur hierarchischen Struktur des Reference-Modell (I/E-Modell) bzw. Bezugsrahmenmo-
Shavelson-Modells wurden über die Zeit zunehmend dell ausführlich beschrieben (▶ Abschn. 8.4.3).
8.3  •  Struktur, Stabilität und Erfassung des Selbstkonzepts
185 8

.. Abb. 8.3  Struktur des schulischen Selbstkonzepts im revidierten Modell. (Modifiziert nach Marsh et al., 1988, © 1988 Australian Psychological
Society, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons)

8.3.2 Stabilität des Selbstkonzepts Andererseits wird die normative Stabilität durch eine Ver-
schiebung des Mittelwerts zwischen den zwei Messungen
Verlieren Schüler in einem gewissen Alter die Lust auf die nicht notwendigerweise gesenkt. Insgesamt weisen schul-
Schule, weil ihr schulisches Selbstkonzept – beispielsweise bezogene Selbstkonzepte bereits im Grundschulalter be-
im Verlauf der Pubertät – absinkt? Wie stabil sind die Un- achtliche normative Stabilitäten auf. Marsh, Craven und
terschiede zwischen Schülern einer bestimmten Klasse? Debus (1998) berichteten für Zweitklässler eine Ein-Jah-
Und kommt es vor, dass eine Schülerin, die lange Zeit res-Stabilität für die Selbstkonzeptbereiche Mathematik,
dachte, sie sei in Deutsch viel begabter als in Mathema- Lesen und Schule von 0,46 bis 0,64. Mit höherem Alter
tik, doch noch ihre Meinung ändert und ein Faible für die nimmt die Stabilität nochmals zu. Stabilitätskoeffizienten
Mathematik erwirbt? In all diesen Fragen steckt bereits die von 0,70 und höher sind keine Seltenheit (Wigfield et al.,
Frage nach den Determinanten eines hohen oder niedrigen 1997). Selbst bei einem Wechsel der Bezugsgruppe, wie er
Selbstkonzepts, die erst im nächsten Abschnitt vertieft be- beispielsweise nach dem Ende der Schulzeit erfolgt, fin-
handelt wird. Eine erste Antwort erhält man jedoch bereits den sich beachtliche Stabilitätskoeffizienten (Marsh et al.,
dann, wenn man nur die sog. Stabilität des Selbstkonzepts 2007). Die berichteten Stabilitätskoeffizienten ähneln
betrachtet. Ganz einfach ist die Antwort allerdings nicht, den Stabilitäten, die für die zentralen Persönlichkeitsei-
denn man kann verschiedene Formen von Stabilität unter- genschaften im Sinne der Big-Five-Konzeption ermittelt

--
scheiden (Mortimer, Finch & Kumka, 1982):
normative Stabilität
werden (Asendorpf & van Aken, 2003). Insgesamt weisen
Selbstkonzepte damit eine recht hohe normative Stabili-

-- Mittelwertsstabilität
strukturelle Stabilität
tät auf. Wer zu einer bestimmten Zeit ein vergleichsweise
hohes Selbstkonzept berichtet hat, berichtet auch noch

- intraindividuelle Stabilität
Konstruktstabilität

Je nach verwendeter Stabilitätskonzeption kann man zu


Jahre später mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein
vergleichsweise hohes Selbstkonzept. Das schließt situati-
onsspezifische Schwankungen natürlich nicht aus.

ganz unterschiedlichen Aussagen über die Stabilität des Mittelwertstabilität. Neben der normativen Stabilität
Selbstkonzepts gelangen. wurde in erster Linie die Mittelwertsstabilität („level sta-
bility“) des Selbstkonzepts untersucht. Unterscheidet sich
Normative Stabilität.  Mit normativer Stabilität („norma- beispielsweise bei einer Schülergruppe das durchschnittli-
tive stability“, „differential stability“ oder „correlational che schulische Selbstkonzept, das in der 7. Klasse berich-
stability“) ist die Stabilität von interindividuellen Unter- tet wurde, nicht von dem, das in der 10. Klasse berichtet
schieden in Selbstkonzepten bei mehrmaliger Messung wurde, so würde man dies als einen Hinweis auf eine hohe
gemeint. Empirisch erfasst wird diese Art der Stabilität Mittelwertstabilität deuten. Trotz einer hohen Stabilität
in der Regel durch die Korrelation der Werte derselben des Mittelwerts in der Gesamtgruppe kann es jedoch sehr
Personengruppe in zwei Messungen mit demselben Instru- wohl sein, dass das Selbstkonzept einzelner Schüler bzw.
ment. In dem Maße, in dem sich Rangpositionen zwischen von Gruppen von Schülern zu- oder abnimmt. Das mitt-
den Messungen verschieben, sinkt die normative Stabilität. lere physikbezogene Selbstkonzept einer Klasse würde bei-
186 Kapitel 8 • Selbstkonzept

spielsweise dann stabil bleiben, wenn das Selbstkonzept der intraindividuelle oder ipsative Stabilität dar. Eine hohe ip-
1 Jungen steigt, während das der Mädchen sinkt. sative Stabilität ist dann gegeben, wenn bei einem Indivi-
Insgesamt weisen viele Studien darauf hin, dass es beim duum die Organisation von verschiedenen Selbstkonzept-
2 Selbstkonzept zu statistisch signifikanten Mittelwertverän- domänen über die Jahre hinweg stabil bleibt. Beispielsweise
derungen kommt. So fand beispielsweise Helmke (1998) in könnte ein Jugendlicher von der 5. bis zur 10. Klasse im-
einer Untersuchung mit Grundschulkindern einen deutli- mer ein hohes mathematisches Selbstkonzept, dafür aber
3 chen Rückgang der Mittelwerte beim schulischen Selbst- ein niedriges verbales Selbstkonzept und ein mittelhohes
vertrauen zwischen der 1. und 6. Schulklasse. Während Selbstkonzept sportlicher Fähigkeiten haben.
4 Kinder zu Beginn der Schulzeit eine deutliche Überschät-
zung ihrer eigenen Leistung zeigten, war diese bei Kindern Konstruktstabilität. Konstruktstabilität oder inhaltliche
5 der 6. Klassenstufe nur noch gering ausgeprägt. Stabilität schließlich liegt dann vor, wenn ein Konstrukt
Worauf ist das Absinken schulischer Selbstkonzepte, bzw. Item für die Befragten über einen längeren Zeitraum
das rasch nach Eintritt in die Schule beobachtet werden stets dieselbe Bedeutung hat. So mag man sich überlegen,
6 kann und sich bis in die mittlere Adoleszenz zieht, zu- ob das Selbstkonzept Mathematik in der Grundschule und
rückzuführen? Ist dieses Muster notwendigerweise ein in der gymnasialen Oberstufe eine ähnliche Bedeutung hat
7 Grund zur Besorgnis? Vermutlich tragen mehrere Fakto- – geht es doch in der Grundschule um einfache Rechen-
ren zum Rückgang bereichsspezifischer Selbstkonzepte operationen, in der gymnasialen Oberstufe dagegen u. a.
bei. Problematisch ist, dass die schulischen Strukturen um Kurvendiskussionen, anspruchsvolle Geometrie sowie
8 und Rückmeldesysteme unnötigerweise negative Auswir- Wahrscheinlichkeitstheorie. Im Prinzip ist der Nachweis
kungen haben; so produzieren beispielsweise Benotungs- inhaltlicher Stabilität natürlich Voraussetzung dafür, dass
9 systeme, die am sozialen Vergleich („Klassenspiegel“) die übrigen Stabilitätsaspekte geprüft werden. Insbeson-
orientiert sind, in jeder Klasse automatisch „Verlierer“, dere bei solchen Konstrukten, bei denen nur geringe Sta-
10 während kriteriale Bezugssysteme dies vermeiden kön- bilitäten gefunden werden, lässt sich hinterfragen, ob denn
nen. Das Absinken des Selbstkonzeptniveaus dürfte aber wirklich jeweils „das Gleiche“ gemessen wurde. Allerdings:
auch ein Beleg für allgemeine Entwicklungsverläufe in Die inhaltliche Stabilität empirisch zu bestimmen, ist eine
11 Hinsicht auf realistischere Selbstbewertungen sein (Har- komplexe Aufgabe, da idealerweise ein längsschnittliches
ter, 1998, 1999). Darüber hinaus spiegelt der allgemeine Design mit einer aufwendigen Konstruktvalidierung kom-
12 Mittelwertverlauf eine Herausbildung der eigenen Iden- biniert werden müsste.
tität nebst notwendiger Interessendifferenzierung wider:
Obwohl im Allgemeinen das Selbstkonzept sinkt, haben
13 fast alle Schüler Bereiche, in denen ihr Selbstkonzept sta- 8.3.3 Erfassung des Selbstkonzepts
bil bleibt oder sogar ansteigt.
14 Fragebögen zur Erfassung des Selbstkonzepts gibt es in
Strukturelle Stabilität.  Strukturelle Stabilität bzw. Invarianz einer großen Zahl. Allerdings handelt es sich häufig um
15 liegt dann vor, wenn ein Konstrukt über die Zeit hinweg ad hoc konstruierte Instrumente, deren theoretische Ein-
die gleichen Dimensionen und dieselben Verbindungen bindung und psychometrische Kennwerte zu wünschen
zwischen diesen Domänen aufweist. Hinsichtlich der übrig lassen. Im deutschen Sprachraum liegt eine Reihe
16 strukturellen Stabilität zeigten sich sowohl Belege für eine von standardisierten Fragebögen zur Erfassung des schul-
zunehmende Differenzierung des Selbstkonzepts als auch bezogenen Selbstkonzepts vor (z. B. Rost & Sparfeldt, 2002;
17 Hinweise darauf, dass eine solche Differenzierung bereits Schöne, Dickhäuser, Spinath & Stiensmeier-Pelster, 2002;
in der frühen Adoleszenz abgeschlossen ist. So stellte Schwanzer et al., 2005), die in Hinblick auf die einbezoge-
Marsh (1989) die von Shavelson et al. (1976) sowie Harter nen Domänen und das jeweilige Verständnis von Selbst-
18 (1998) formulierte Hypothese infrage, dass sich mit fort- konzept gewisse Unterschiede aufweisen. Umstritten ist
schreitendem Alter eine zunehmende Differenzierung des nach wie vor, ob die affektive („Ich mag Mathematik“)
19 Selbstkonzepts finden lasse. Marsh untersuchte dabei die und die kognitiv-evaluative Komponente („Ich bin gut
mittleren Korrelationen zwischen Selbstkonzeptdomänen in Mathematik“) des akademischen Selbstkonzepts vonei-
20 und stellte fest, dass die Größe dieser Korrelationen bis zur nander getrennt werden sollten. Auf der einen Seite wird
5. Klasse tatsächlich abnimmt – danach jedoch stabil bleibt. argumentiert, dass das Selbstkonzept neben einer kognitiv-
Marsh beschränkte deshalb die Annahme einer zunehmen- evaluativen auch eine affektive Komponente hat und beide
21 den Differenzierung auf die Altersstufen bis zur 5. Klasse. in Selbstkonzeptskalen wie dem „Self Description Ques-
tionnaire“ (SDQ) von Marsh (1990b) empirisch kaum zu
22 Intraindividuelle Stabilität.  Eine interessante, aber empi- trennen seien. Demgegenüber fordern andere Autoren eine
risch eher vernachlässigte Variante der Stabilität stellt die klare Trennung der beiden Aspekte akademischer Selbst-
8.4  •  Determinanten des Selbstkonzepts
187 8

konzepte. Sie verstehen unter akademischen Selbstkonzep- 8.4.1 Soziale, dimensionale, temporale
ten primär Kompetenzwahrnehmungen („Ich bin gut in und kriteriale
Mathematik“) und rechnen die affektive Komponente eher Vergleichsinformationen
dem Interesse bzw. der Motivation zu (▶ Kap. 7). Entspre-
chend werden Instrumente bevorzugt, deren Items allein Es hat sich eingebürgert, als Quellen der Selbstkonzeptge-
die kognitiv-evaluative Komponente thematisieren. nese zwischen sozialen, dimensionalen, temporalen und
Die meisten Selbstkonzeptinstrumente sind For- kriterialen Vergleichsinformationen zu unterscheiden.
schungsinstrumente – eine Diagnostik auf Individualebene Die Verarbeitung und Verwendung sozialer Vergleichsin-
ist nicht vorgesehen. Eine Ausnahme bilden die SESSKO formation lässt sich bereits im Vorschulalter beobachten
(„Skalen zur Erfassung des schulischen Selbstkonzepts“) und gewinnt in den Folgejahren zunehmend an Bedeu-
von Schöne et al. (2002; kritisch Sparfeldt, Schilling, Rost tung (Festinger, 1954; Frey & Ruble, 1990). Die besondere
& Müller, 2003), die laut Autoren zur Einzelfalldiagnostik Rolle ▶ sozialer Vergleiche wird heute nicht mehr infrage
geeignet sind und für die Normwerte vorliegen. Allerdings gestellt. ▶ Temporale Vergleiche beinhalten einen längs-
ist fraglich, ob diese Normwerte in Hinblick auf Interventi- schnittlichen Abgleich der eigenen Fähigkeit in einem Be-
onsbedarf bei zu niedrigem (bzw. zu hohem) Selbstkonzept reich zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Da die meisten
für sich allein aussagekräftig sind – vermutlich müssten für Schüler im Laufe eines Schuljahres Wissen hinzuerwerben,
solche Zwecke die tatsächlich gezeigten Leistungen auspar- sollte, so Rheinberg (2006), bei Schülern ein temporaler
tialisiert werden. Vergleich in der Regel mit einer günstigen Entwicklung des
Neben Fragebogeninstrumenten, die in Hinblick auf Selbstkonzepts einhergehen. ▶ Dimensionale Vergleiche
die Erfassung von Selbstkonzepten die Methode der Wahl betreffen den intraindividuellen Vergleich zwischen meh-
zu sein scheinen, gibt es mittlerweile auch Ansätze zur reren Domänen (▶ Abschn. 8.4.3; zum Überblick Möller
Erfassung des „impliziten“ Selbstkonzepts (Greenwald & & Köller, 2004). ▶  Kriteriale Vergleichsinformationen
Farnham, 2000). Inwieweit die implizite Erfassung des gewinnen Personen schließlich dadurch, dass sie beob-
Selbstkonzepts die Selbstberichtsverfahren sinnvoll ergän- achten, ob sie eine bestimmte Leistung gezeigt und damit
zen kann, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. „ein Kriterium“ erfüllt haben.
Spannend, aber auch eine Herausforderung, ist die
Tatsache, dass sich die unterschiedlichen Vergleichsinfor-
8.4 Determinanten des Selbstkonzepts: mationen oftmals nicht sauber trennen lassen. Man nehme
Welche Faktoren beeinflussen einmal den Fall an, dass Anna in der letzten Deutscharbeit
die Höhe der fachbezogenen die Note 3 erhalten hat. Diese Note enthält soziale Ver-
Selbstkonzepte? gleichsinformationen (der Notendurchschnitt der Klasse
mag beispielsweise 3,2 gewesen sein), aber auch kriteriale
Selbstkonzepte werden von vielen Faktoren beeinflusst; sie Vergleichsinformationen (die Leistung war „befriedi-
spiegeln nur bedingt einen „objektiven“ Status wider. Ein gend“). Sie erlaubt zudem einen temporalen Vergleich (in
Schüler, der in einem Mathematikleistungstest zu den bes- der letzten Arbeit hat Anna noch eine 2 erhalten) sowie ei-
ten 10 % seines Jahrgangs gehört, mag trotzdem der Mei- nen dimensionalen Vergleich (in Mathematik und Englisch
nung sein, für Mathematik wenig begabt zu sein. Solche steht Anna zwischen 3 und 4). Welche Auswirkungen die
Diskrepanzen zwischen objektiver Leistung und subjek- Klassenarbeit auf die Veränderung von Annas Deutsch-
tiver Selbsteinschätzung wirken auf viele Forscher faszi- selbstkonzept hat, dürfte von der Gewichtung all dieser
nierend und fördern die wissenschaftliche Produktivität in Vergleichsinformationen abhängen.
diesem Feld. Der Kontrast zwischen Objektivität und Sub- Für die sozialen, temporalen, dimensionalen und kri-
jektivität sowie die multiple Bedingtheit des Selbstkonzepts terialen Vergleiche und deren Konsequenzen ist es mitent­
gehören zu seinen besonders faszinierenden Eigenschaften scheidend, welche Ursachen Schüler einem erlebten Miss-
und sorgen für einen kaum abreißenden Strom von Beiträ- erfolg bzw. Erfolg zuschreiben. Erfolge und Misserfolge
gen, die die Stabilität und Veränderung des Selbstkonzepts wirken sich vor allem dann auf das fachliche Selbstkonzept
beschreiben. In diesem Abschnitt geben wir zunächst einen der Begabung aus, wenn sie internal-stabil auf eine vor-
Überblick über unterschiedliche Quellen selbstkonzeptre- handene oder mangelnde Begabung zurückgeführt werden
levanter Informationen. Danach geben wir eine vertiefte (Möller, 2008). Günstiger sind gerade im Fall von Misser-
Beschreibung von zwei einflussreichen Modellen, die die folg internal-variable Ursachenzuschreibungen etwa auf
komplexe Verarbeitung von Vergleichsinformationen be- die eigene mangelnde Anstrengung, denn sie ist variabel
schreiben und gehen auf Geschlechterstereotype sowie den und kontrollierbar und verspricht damit Verbesserungs-
Einfluss von Unterricht ein. möglichkeiten. Allerdings ist es bei schulischen Leistungs-
situationen wie Klassenarbeiten bei andauernden Misser-
188 Kapitel 8 • Selbstkonzept

folgen kaum möglich, das eigene Fähigkeitsselbstkonzept gen werden: In der Hauptschule steigen die Gelegenheiten
1 gegen die negativen Leistungsrückmeldungen zu schützen. für soziale Abwärtsvergleiche mit schwächeren Mitschü-
Im Folgenden werden zwei interessante Phänomene lern. Für leistungsstarke Schüler hat der Übergang auf das
2 vorgestellt, die beide als Bezugsrahmeneffekte bezeichnet Gymnasium hinsichtlich ihrer selbst wahrgenommenen
werden können. Sowohl der „Big-Fish-Little-Pond-Effekt“ Fähigkeiten den entgegengesetzten Effekt. Gehörten sie in
als auch das „I/E-Modell“ thematisieren die Zusammen- der Grundschule noch zu den Besten, so erleben sie auf
3 hänge zwischen schulischen Leistungen und fachbezo- dem Gymnasium, dass viele Mitschüler in der Leistung
genen Selbstkonzepten. Bei beiden Phänomenen geht es ebenbürtig oder besser sind. Auf dem Gymnasium stei-
4 um die Auswirkungen von Leistungsvergleichen auf die gen die Gelegenheiten für soziale Aufwärtsvergleiche mit
Selbstkonzepte, wobei im ersten Fall der soziale Vergleich leistungsstärkeren Mitschülern. Zudem fallen die Noten in
5 im Vordergrund steht, während im zweiten Fall der soziale Klassenarbeiten oder Zeugnissen im Vergleich zur Grund-
Vergleich um dimensionale Vergleiche ergänzt wird. schule schlechter aus. Die sozialen Vergleiche führen hier
eher zu einem Absinken fähigkeitsbezogener Selbstkon-
6 zepte. Dieser Prozess mündet darin, dass das mittlere schu-
8.4.2 Big-Fish-Little-Pond Effekt lische Selbstkonzept auf den verschiedenen Schulformen
7 im Laufe der Sekundarstufe I stark konvergiert.
Mit welchen anderen Schülern vergleichen Kinder und Ist der Bezugsgruppeneffekt allein auf das Selbstkon-
Jugendliche ihre Leistungen? Den Bezugsrahmen für so- zept begrenzt? Dies ist nicht der Fall. In einer Analyse
8 ziale Vergleiche scheint primär die Schulklasse zu definie- (Köller, Daniels, Schnabel & Baumert, 2000) der Daten
ren, der man angehört. Hierauf weisen Arbeiten zum sog. der Third International Mathematics and Science Study
9 ▶ Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Marsh, 1987; Köller, 2004) (TIMSS) fand sich ebenso wie in Analysen mit Daten aus
hin, nach dem Schüler definierter Leistungsstärke ein re- der PISA-Studie (Trautwein et al., 2006) neben den erwar-
10 lativ hohes schulisches Selbstkonzept aufweisen, wenn teten Effekten auf das mathematische Selbstkonzept auch
sie sich in sehr leistungsschwachen Klassen befinden. ein Bezugsgruppeneffekt auf das Interesse an Mathematik.
Sie werden zum großen Fisch im kleinen Teich. Hinge- Bei gleicher Testleistung berichteten Schüler ein höheres
11 gen haben Schüler identischer Leistungsstärke niedrigere Interesse an Mathematik, wenn sie sich in einer vergleichs-
schulische Selbstkonzepte, wenn sie in leistungsstarken weise leistungsschwachen Klasse befanden. Vermutlich
12 Klassen platziert werden (Schwarzer, Lange & Jerusalem, wirkte hier teilweise das Selbstkonzept als Mediator: Je
1982; im Überblick Köller, 2004). Dieser Effekt ist großen- leistungsschwächer die Bezugsgruppe war, desto höher
teils über die Leistungsrückmeldungen durch Lehrkräfte das Selbstkonzept des einzelnen Schülers (bei Kontrolle
13 vermittelt. In leistungsstarken Klassen bekommen Schü- der individuellen Leistung), was wiederum zu einem hö-
ler bei gleichen Leistungen schlechtere Noten als in leis- heren Fachinteresse führen sollte. Zudem konnten Belege
14 tungsschwachen Klassen (Trautwein, Lüdtke, Marsh, Köl- dafür gefunden werden, dass sich Bezugsgruppeneffekte
ler & Baumert, 2006). Klassen mit sehr leistungsstarken auch auf diverse Wahlentscheidungen auswirken; Traut-
15 Schülern bieten zudem mehr Möglichkeiten für soziale wein, Gerlach und Lüdtke (2008) fanden beispielsweise
Aufwärtsvergleiche mit leistungsstärkeren Mitschülern, Hinweise darauf, dass Kinder in ihrer Freizeit weniger
die negative Konsequenzen für die selbst eingeschätzten stark in Sportvereinen aktiv sind, wenn sie viele sportliche
16 Fähigkeiten haben. Klassenkameraden haben.
Besonders gut kann dieser ▶  Bezugsgruppeneffekt Marsh (1991) hat für eine Reihe weiterer Kriteriumsvari-
17 beim Übergang von Grundschülern in die Sekundarschule ablen die Bedeutung von Bezugsgruppeneffekten aufgezeigt.
beobachtet werden. Zunächst einmal ist hier eine gewisse Allerdings gibt es durchaus bedeutsame Unterschiede in der
Ungerechtigkeit zu vermuten: In leistungsstarken Grund- Höhe der Bezugsgruppeneffekte. In den Items vieler Selbst-
18 schulklassen sind bessere Leistungen als in leistungsschwä- konzeptinstrumente sind soziale Vergleiche oftmals implizit
cheren Grundschulklassen notwendig, damit ein Schüler oder explizit thematisiert, indem beispielsweise nach Leis-
19 eine Gymnasialempfehlung bekommt (Trautwein & Bae- tungen bzw. Noten in einem Fach gefragt wird. Dies scheint
riswyl, 2007). Eine Reihe von Untersuchungen belegt, dass eine Gewähr für besonders ausgeprägte Bezugsgruppenef-
20 Schüler im unteren Leistungsbereich am Ende der Primar- fekte darzustellen. Werden von Schülern Kompetenzein-
stufe vom Wechsel in die Hauptschule im psychosozialen schätzungen mithilfe von Instrumenten verlangt (Marsh,
Bereich profitieren. Da der ungünstige Leistungsvergleich Trautwein, Lüdtke & Köller, 2008), bei denen der soziale
21 mit deutlich leistungsstärkeren Schülern entfällt und die Vergleich eine geringere Rolle spielt (weil beispielsweise
Noten besser ausfallen (Schwarzer et al., 1982), erholt sich ein kriterialer Vergleichsmaßstab verwendet wird), fallen
22 auch das leistungsbezogene Selbstkonzept. Als Erklärung die Referenzgruppeneffekte erwartungsgemäß kleiner aus.
können wiederum soziale Vergleichsprozesse herangezo- Interessanterweise fand sich in der Arbeit von Marsh et al.
8.4  •  Determinanten des Selbstkonzepts
189 8

(2008) in Hinblick auf die selbst berichtete Anstrengung im mathematische Leistungen deutlich positiv korreliert sind
Unterricht überhaupt kein Bezugsgruppeneffekt. und man daher entsprechende positive Korrelationen
Es wurde vermutet, dass die Zuweisung leistungsstar- zwischen den Selbstkonzepten erwartete. Das Internal/
ker Schüler zu einer besonderen Schule bzw. Schulform External-Frame-of-Reference-Modell, kurz: ▶ I/E-Modell
neben den negativen Effekten auch positive Effekte auf von Marsh (1986), gilt als empirisch sehr gut bestätigtes
Selbstkonzepte haben könnte. So könnte das Bewusstsein, Modell zur Erklärung der Zusammenhänge zwischen fach-
einer prestigeträchtigen Schulform wie dem Gymnasium spezifischen Schulleistungen und fachspezifischen Selbst-
anzugehören, selbstkonzeptsteigernd wirken. Dieser Me- konzepten. Auf der Basis hoch positiver Korrelationen
chanismus wurde auch als „basking-in-reflected-glory“ zwischen den schulischen Leistungen in mathematisch-
(Cialdini & Richardson, 1980) bzw. Assimilationseffekt naturwissenschaftlichen und verbalen Schulfächern nimmt
bezeichnet (Marsh, Kong & Hau, 2000; kritisch Wheeler das Modell vier Prozesse an:
& Suls, 2007). Allerdings ist dieser Prestigeeffekt – so er 1. Schüler wenden zur Beurteilung der eigenen Leistun-
überhaupt gefunden wird – in aller Regel deutlich schwä- gen einen externalen Bezugsrahmen („external frame
cher ausgeprägt als der negative Effekt der ungünstigen so- of reference“) an. Sie vergleichen ihre Fachleistungen in
zialen Vergleiche in leistungsstarken Klassen (Trautwein den Schulfächern mit den Leistungen ihrer Mitschüler
et al., 2006; Trautwein, Lüdtke, Marsh & Nagy, 2009). Bei („Wie gut bin ich in Mathematik im Vergleich zu mei-
vergleichbarer Leistungsstärke wird also in der Regel der- nen Mitschülern?“).
jenige Schüler eine günstigere Selbstkonzeptentwicklung 2. Diese interindividuellen bzw. sozialen Vergleiche
erleben, der in eine vergleichsweise leistungsschwache führen dazu, dass Schüler mit guten Leistungen ein
Klasse wechselt, als derjenige, der in eine leistungsstarke hohes Selbstkonzept der Begabung in diesem Fach ent-
Klasse platziert wird. wickeln und Schüler mit schwachen Schulleistungen
Heißt das nun, dass man Eltern generell raten sollte, ein niedriges Selbstkonzept. Statistisch ergibt sich dar-
ihre Kinder in eine leistungsschwächere Gruppe zu schi- aus eine positive Korrelation zwischen Schulleistungen
cken, weil sich so ihr Selbstkonzept günstig entwickeln und Selbstkonzepten innerhalb eines Faches. In Pfad-
dürfte? Ganz so einfach kann man es sich leider nicht analysen zeigen sich positive Pfade von der Leistung
machen, denn in Hinblick auf die Leistungsentwicklung etwa im muttersprachlichen Unterrichtsfach auf das
finden sich Hinweise auf ein gegenteiliges Muster (Becker, verbale Selbstkonzept, wie in . Abb. 8.4 dargestellt.
Lüdtke, Trautwein & Baumert, 2006): Hier profitieren 3. Schüler verwenden eine zweite Informationsquelle: Sie
Schüler möglicherweise von der Zugehörigkeit zu einer nutzen zur Beurteilung der eigenen Leistungen neben
leistungsstarken Gruppe. Für Eltern, Schüler und Lehr- dem externalen Bezugsrahmen einen internalen Be-
kräfte ergibt sich aus diesen Befunden ein Spannungsfeld: zugsrahmen („internal frame of reference“). Sie ver-
Leistungsstärkere Umgebungen scheinen der Leistungsfä- gleichen ihre Leistungen in mathematisch-naturwis-
higkeit des Einzelnen zuträglich, beeinträchtigen aber das senschaftlichen Fächern mit ihren eigenen Leistungen
Selbstkonzept. Umgekehrt fördern leistungsschwächere in sprachlichen Fächern („Wie gut bin ich in Mathema-
Umgebungen das Selbstkonzept, wirken aber weniger leis- tik im Vergleich zu meinen Leistungen in Deutsch?“).
tungsfördernd. Als psychologisch begründete Empfehlung 4. Diese intraindividuellen bzw. dimensionalen Ver-
ergibt sich daraus, dass soziale Vergleichsprozesse gerade gleiche führen dazu, dass beispielsweise Schüler mit
bei schwachen Schülern nicht in den Vordergrund gerückt guten Leistungen in der mathematischen Domäne ihr
werden sollten. Diese profitieren eher von längsschnittli- Selbstkonzept der Begabung in der verbalen Domäne
chen Vergleichen, mit denen Lehrer ihnen ihre Leistungs- abwerten und Schüler mit intraindividuell schwachen
zuwächse deutlich machen können. Leistungen in der mathematischen Domäne ihr Selbst-
konzept der Begabung in der verbalen Domäne auf-
werten.
8.4.3 Internal/External-
Frame-of-Reference-Modell Der entscheidende Prozess scheint dabei ein Kontrastef-
fekt zu sein, der in der Theorie dimensionaler Vergleiche
Wie oben (▶ Abschn. 8.4.1) bereits erwähnt, zeigte sich (Möller & Marsh, 2013) beschrieben wird: Schüler neh-
in Studien zu bereichsspezifischen Selbstkonzepten ein men die Unterschiede in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit
überraschender Befund: Das akademische Selbstkonzept übertrieben deutlich wahr – alltagssprachlich ausgedrückt
ließ sich in zwei distinkte Facetten unterteilen, das ver- überschätzen sie ihre Stärken und unterschätzen ihre
bale und das mathematische Selbstkonzept (. Abb. 8.3; Schwächen. In der Folge kontrastieren sich die verbalen
z. B. Marsh et al., 1988). Überraschend war dieser Befund und mathematischen Selbstkonzepte. Statistisch ergeben
insbesondere, weil lange bekannt war, dass verbale und sich daraus in Pfadanalysen negative Pfade von der Leis-
190 Kapitel 8 • Selbstkonzept

1
2
3
4
5
.. Abb. 8.5  Mathematisches Selbstkonzept
.. Abb. 8.4  Das Internal/External-Frame-of-Reference-Modell
6
tung etwa in Mathematik auf das verbale Selbstkonzept Auch längsschnittlich und experimentell angelegte Stu-
7 oder der Leistung etwa in Deutsch auf das mathematische dien (im Überblick Möller & Köller, 2004) zeigen Effekte
Selbstkonzept, wie in . Abb. 8.4 veranschaulicht. Dabei von Leistungsindikatoren auf die Veränderung von akade-
scheinen dimensionale Vergleiche in der Summe zu hö- mischen Selbstkonzepten. Bei identischem mathematischem
8 heren Selbstkonzepten beizutragen: Die positiven Effekte Selbstkonzept zu Beginn von Studien ergeben sich positive
dimensionaler Abwärtsvergleiche mit dem schwächeren Effekte der Mathematikleistungen auf die Veränderung des
9 Fach sind etwas stärker als die negativen Effekte dimen- mathematischen Selbstkonzepts und negative Effekte auf die
sionaler Aufwärtsvergleiche mit dem stärkeren Fach, wie Veränderung des muttersprachlichen Selbstkonzepts (Köl-
10 Pohlmann und Möller (2009) in Feldstudien und Experi- ler et al., 1999). Zu ergänzen bleibt, dass sich die Effekte
menten zeigen konnten. dimensionaler Vergleiche nicht zeigen, wenn andere Perso-
Die positiven Effekte der schulischen Leistungen auf nen, wie Lehrer, Mitschüler oder Eltern, die akademischen
11 die Selbstkonzepte im selben Schulfach sind meist stärker Selbstkonzepte von Schülern einschätzen. Insbesondere
als die negativen Effekte der schulischen Leistungen auf Lehrer überschätzten die Korrelationen zwischen den Schü-
12 die Selbstkonzepte im anderen Schulfach. Danach wirken lerselbstkonzepten deutlich (Pohlmann, Möller & Streblow,
soziale Vergleiche stärker als dimensionale Vergleiche. 2004). Die Kenntnis der Effekte dimensionaler Vergleiche
Aber auch die Effekte der dimensionalen Vergleiche sind könnte also dazu beitragen, dass Lehrer die Selbstbilder ih-
13 substanziell, wie die grafische Darstellung in . Abb. 8.5 rer Schüler besser nachvollziehen können.
zeigt. Die Höhe des mathematischen Selbstkonzepts ist Pädagogisch bedeutsam ist auch, dass dimensionale
14 zunächst abhängig von der Mathematiknote; das mathe- Vergleiche Kontrasteffekte auslösen, die zu einer Über-
matische Selbstkonzept sinkt mit steigender (also schlech- schätzung der eigenen Fähigkeiten in den Domänen in-
15 terer) Mathematiknote aufgrund sozialer Vergleiche mit traindividueller Stärke und zu einer Unterschätzung der
Mitschülern. eigenen Fähigkeiten in den intraindividuell eher schwä-
In . Abb. 8.5 ist für Schüler mit den Mathematikno- cheren Domänen führen. Damit beeinträchtigen sie die
16 ten 2, 3 und 4 das mathematische Selbstkonzept (SK), ge- Genauigkeit der Selbsteinschätzungen eigener Fähigkei-
trennt für Schüler mit guten Deutschnoten (1 und 2) bzw. ten. Dies ist insbesondere für begabte Schüler von Nachteil,
17 schlechten Deutschnoten (4 und 5) dargestellt. In Abhän- die sich möglicherweise vorzeitig zu stark spezialisieren,
gigkeit von der Deutschnote zeigen sich Unterschiede in obwohl sie auch in den Bereichen, die sie selbst als ihre
der Höhe des mathematischen Selbstkonzepts der Bega- relativen Schwächen erleben, sehr gute Leistungen erzielen
18 bung. Schüler, die in Mathematik die Note 3 („befriedi- könnten. Umgekehrt fand das I/E-Modell auch bei lernbe-
gend“) und in Deutsch eine schlechtere Note haben, lie- hinderten Schülern Bestätigung (Möller, Streblow & Pohl-
19 gen in ihrem mathematischen Selbstkonzept mehr als eine mann, 2009). Für diese Personengruppe könnten sich die
halbe Standardabweichung über den Schülern mit gleicher dimensionalen Vergleiche als Vorteil erweisen, da die recht
20 Mathematik-, aber besserer Deutschnote. Somit scheint positive Einschätzung ihrer relativen Stärken dazu führt,
der dimensionale Vergleich der eigenen Leistungen in den dass sich ihr diesbezügliches Selbstkonzept kaum von dem
beiden Schulfächern zu unterschiedlichen Selbsteinschät- von Regelschülern unterscheidet.
21 zungen in Mathematik zu führen. Damit verringert sich Aus entwicklungspsychologischer Perspektive können
die Korrelation zwischen mathematischem und verbalem die mit einer Beeinträchtigung einer realistischen Selbst-
22 Selbstkonzept (▶ Exkurs „Metaanalyse zum I/E-Modell“). einschätzung verbundenen dimensionalen Vergleiche
8.4  •  Determinanten des Selbstkonzepts
191 8

Exkurs  |       |  che beteiligt sein. Die im I/E-Modell gefundenen Muster


finden sich allerdings bei Mädchen wie bei Jungen. Den-
Metaanalyse zum I/E-Modell noch gibt es typische Unterschiede im Selbstkonzept zwi-
In einer ▶ Metaanalyse mit Daten von über 120.000 Per- schen Jungen und Mädchen, wie das folgende Kapitel zeigt.
sonen wurden alle 69 vorhandenen Studien integriert, in
denen die Zusammenhänge untersucht wurden, die das I/E-
Modell beschreibt (Möller, Pohlmann, Köller & Marsh, 2009).
8.4.4 Geschlecht
Zunächst zeigten sich nahezu ausschließlich deutlich positive
Korrelationen zwischen mathematischen und verbalen und Geschlechterstereotype
schulischen Leistungen mit einem Median von Md = 0,63.
Wie nach dem I/E-Modell zu erwarten, sind die Selbstkon- Von großer theoretischer und praktischer Relevanz sind
zepte niedriger korreliert als die Leistungsmaße (Md = 0,10).
Die Leistungen und Selbstkonzepte im selben Fach sind
Geschlechterunterschiede in der Selbstkonzeptentwick-
durchweg positiv und substanziell korreliert (für Mathematik lung. Differenziert man die Ausprägung von schulbezo-
Md = 0,47, in der Muttersprache Md = 0,39). Werden die aus genen Selbstkonzepten nach dem Geschlecht, so zeigen
der Metaanalyse resultierenden Befunde einer Pfadanalyse sich recht konsistent Unterschiede, die den allgemeinen
unterzogen, ergibt sich das Ergebnismuster aus . Abb. 8.4. Geschlechterstereotypen entsprechen (Marsh & Hattie,
Danach sind die Pfade von der Schulleistung im mutter-
sprachlichen Fach auf das mathematische Selbstkonzept
1996; Watt & Eccles, 2008). So berichten Jungen im Mittel
(− 0.27) und umgekehrt die Pfade von der Mathematik auf ein höheres mathematisches Selbstkonzept als sprachliches
das verbale Selbstkonzept (− 0.21) negativ. Dieses Zusam- Selbstkonzept, während bei Mädchen ein umgekehrtes
menhangsmuster gilt übrigens relativ unabhängig vom Alter Muster zu finden ist.
der Schüler sowohl für Beurteilungen durch Lehrernoten Diese Geschlechterunterschiede spiegeln nur teilweise
als auch für Ergebnisse aus objektiven Leistungstests. Dass
das I/E-Modell spezifisch für fachbezogene Selbstkonzepte
tatsächlich vorhandene Leistungsunterschiede wider. Viel-
gilt, zeigte sich ebenfalls in der Metaanalyse: Studien, die mehr lassen sie sich auch auf Geschlechterstereotypien zu-
statt des Selbstkonzepts Selbstwirksamkeitsüberzeugungen rückführen, die sich im Denken und Handeln von zentra-
(▶ Exkurs „Selbstwirksamkeit“) erfassten, erbrachten theo- len Bezugspersonen wie Eltern und Lehrer ausdrücken. So
riekonform keine Bestätigung der Zusammenhänge. Soziale konnten Studien der Arbeitsgruppe um Eccles (z. B. Frome
und dimensionale Vergleiche scheinen für die Selbstwirksam-
keit von untergeordneter Bedeutung zu sein.
& Eccles, 1998) belegen, dass bei gleichem Leistungsstand
Eltern und Lehrkräfte dazu tendieren, Jungen in Mathema-
tik eine höhere Begabung zu attestieren. Diese geschlech-
terstereotype Einschätzung scheint wiederum einen Effekt
durchaus funktional sein. Es gilt als eine zentrale Ent- auf die Selbsteinschätzungen von Jungen und Mädchen zu
wicklungsaufgabe, eine eigene Identität auszubilden und haben. Lehrkräfte scheinen bei gleichem Leistungsstand
im Laufe der Kindheit und Jugend Übergänge zwischen bei Jungen eine höhere Begabung, bei Mädchen dagegen
Schulformen, von der Schule in die berufliche Erstaus- ein stärkeres Ausmaß an Fleiß wahrzunehmen (Trautwein
bildung oder in das Studium zu bewältigen (Havighurst, & Baeriswyl, 2007).
1952). Akademische Selbstkonzepte sind Bestandteile der Dass geschlechterstereotype Vorstellungen auch von
persönlichen Identität; sie beinhalten Wissen über eigene Eltern Effekte haben, zeigten Längsschnittstudien von Ec-
Stärken und Schwächen. Wenn die eigenen Stärken positiv cles (z. B. Frome & Eccles, 1998). Eltern erwarten von Jun-
und die eigenen Schwächen negativ verzerrt wahrgenom- gen in Mathematik bessere Leistungen als von Mädchen,
men werden, wozu die dimensionalen Vergleiche beitra- und diese Erwartungen der Eltern scheinen die Selbstkon-
gen, mag dies einerseits richtungsweisende Entscheidun- zepte der Schülerinnen negativ und die der Schüler positiv
gen wie Kurswahlen erleichtern. Andererseits sorgen die zu beeinflussen. Die Selbstkonzepte wiederum beeinfluss-
Kontrasteffekte aber dafür, dass die Unterschiede zwischen ten die spätere Kurswahl entsprechend.
sprachlichen und mathematischen Leistungen überbetont Stereotype nehmen nicht nur Einfluss auf die langfris-
werden. So könnte die in guten Leistungen in sprachli- tige Entwicklung von Selbstkonzepten, sondern können
chen Fächern begründete überpointierte Wahrnehmung – wenn aktiviert – auch kurzfristig in Testsituationen wirk-
eigener mathematischer Unzulänglichkeiten dazu führen, sam werden. Darauf hat bereits die Forschung von Markus
dass Schüler und gerade Schülerinnen Studienfächer, die und Kunda (1986) zum „working self-concept“ hingewie-
mit Mathematik zu tun haben, meiden. Dieses (etwas ver- sen. In jüngerer Vergangenheit hat die Forschung zum sog.
zerrte) Wissen um die eigene Leistungsfähigkeit trägt dazu „stereotype threat“ einige Aufmerksamkeit gefunden, die
bei, sich Umwelten und Herausforderungen zu wählen, die im ▶ Exkurs „Forschung zum ‚Stereotype Threat‘“ dargestellt
zum eigenen Fähigkeitsprofil passen. Auch an geschlech- wird.
terstereotypen Fachwahlen mögen dimensionale Verglei-
192 Kapitel 8 • Selbstkonzept

Exkurs  |       | 
1
Forschung zum „Stereotype Threat“
2 Für Furore sorgte in den vergangenen und Frauen: Ihre Mathematikleistungen wenn die Stereotypien gar nicht in das
Jahren die Forschung zum sog. Stereo- litten dann, wenn in der Testsituation Selbstbild integriert wurden, sondern nur
type Threat (Steele & Aronson, 1995). Stereotype zu Geschlechtsunterschieden als Fremdbild wahrgenommen werden.
3 Demnach führt die Aktivierung negativer aktiviert wurden. Wiederum reichten Unklar ist, welche psychologischen
Stereotype über bestimmte Subgruppen einfache Manipulationen (wie beispiels- Prozesse bei diesen Effekten ablaufen:

4 dazu, dass die Mitglieder dieser Gruppen


schlechtere Leistungen produzieren,
weise die Anwesenheit von Männern) aus,
um die negativen Effekte des Stereotype
Was passiert in Situationen, in denen bei
Individuen ein (bedrohliches) Stereotyp
als wenn das negative Stereotyp nicht Threat zu erzeugen. Als Faktoren, die aktiviert wird? Ändert sich in diesen

5 aktiviert ist.
So konnten Steele und Aronson (1995)
den Effekt erklären können, wurden u. a.
Leistungsängstlichkeit, Erwartungsef-
Momenten das Selbstkonzept bzw. der
Referenzrahmen, an dem die eigenen
in einer Serie von Experimenten zeigen, fekte, aufgewendete Anstrengung sowie Fähigkeiten gemessen werden? Solche
6 dass die Leistung schwarzer Studierender
dann vergleichsweise schwach ausfiel,
kognitive Interferenzen angeführt.
Handelt es sich beim Stereotype Threat
Fragen wird die Pädagogische Psycholo-
gie in den kommenden Jahren beantwor-
wenn sie sich in einer Situation befanden, um einen Selbstkonzepteffekt? Es ist ten müssen. Darüber hinaus ist zu klären,
7 in der Stereotype über Leistungsunter-
schiede je nach Hautfarbe salient wurden.
keine Frage, dass von Mitgliedern einer
abgewerteten Gruppe Stereotype als
wie stark die Effekte des Stereotype
Threat unter „normalen“ Schulbedingun-
Dabei reichte es aus, die Testaufgaben Ausdruck der Meinung eines „generalized gen überhaupt ausfallen. Zwei Beispiele:
8 als „Intelligenztest“ zu bezeichnen, um other“ in das eigene Selbstbild inkorpo- Unter welchen Bedingungen ist Koedu-
die Leistung der schwarzen Untersu- riert werden können. Wahrgenommene kation für wen schädlich? Zeigen sich
chungsteilnehmer zu beeinträchtigen. Stereotype sind potenziell selbstkonzept­ bei bestimmten Migrantengruppen in
9 Ähnliche Befunde fanden sich in Hinblick relevant. Allerdings scheinen Stereotype- Deutschland Leistungseinbußen in Folge
auf die Mathematikleistung von Mädchen Threat-Effekte auch dann aufzutauchen, von Stereotype Threat?

10
8.4.5 Schulischer Kontext richtet. Beispielsweise geht eine individuelle Bezugsnorm­
11 und Selbstkonzeptentwicklung orientierung bei Lehrkräften mit einer günstigen Selbst-
konzeptentwicklung bei Schülern einher (Lüdtke, Köller,
12 Wie sehr werden schulbezogene Selbstkonzepte durch das Marsh & Trautwein, 2005; Rheinberg, 2006). Wenn Lehrer
Schulsystem, die Schule und den Unterricht beeinflusst? Leistungen ausschließlich im sozialen Vergleich bewerten
Der Big-Fish-Little-Pond-Effekt, der oben vorgestellt und sanktionieren und damit sehr stark soziale Bezugs-
13 wurde, zeigt, dass der schulische Kontext einen starken normen in den Mittelpunkt rücken sowie dabei die intra-
Einfluss auf die Ausprägung des Selbstkonzepts ausüben individuellen Leistungszuwächse vernachlässigen, leidet
14 kann. Auch Studien zur Passung von Entwicklungsstufe das Selbstkonzept insbesondere der schwächeren Schüler.
und Lebensumwelt (dem sog. „stage-environment fit“) Verwenden Lehrer zusätzlich individuelle Bezugsnormen,
15 deuten darauf hin, dass das Selbstkonzept von Jugendli- nach denen die Schülerleistung quasi im Längsschnitt be-
chen von der Struktur eines Bildungssystems beeinflusst trachtet wird, haben auch schwächere Schüler die Möglich-
werden kann. So findet sich – wie bereits beschrieben – keit, Anerkennung für ihre Leistungszuwächse zu erhalten
16 in der frühen Adoleszenz ein Rückgang in den mittleren und günstige Attributionsmuster und höhere Selbstkon-
Ausprägungen vieler bereichsspezifischer Selbstkonzepte. zepte zu entwickeln.
17 Während einige Forschungsgruppen dies als Kennzeichen Allerdings sollte man nicht unbedingt erwarten, dass
pubertärer Entwicklungen interpretieren, argumentierten individuelle Bezugsnormen ausreichen, um für alle Schüler
Roeser und Eccles (1998), dass dieser Abfall im Selbstkon- einer Klasse überdurchschnittlich positive Selbstkonzepte
18 zept zumindest teilweise auf den in den meisten Schulen in hervorzubringen. Die unterschiedlichen Leistungen in
den USA zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Wechsel auf jeder Klasse und die damit verbundenen Effekte sozialer
19 die Highschool zurückgeführt werden kann. Dieser Schul- Vergleiche sorgen dafür, dass es viele Schüler gibt, die
wechsel führe zu instabilen Umgebungen und bringe mit sich mit „besseren“ Schülern aufwärts vergleichen – mit
20 dem stärker an der Leistung orientierten Unterrichtsklima den bekannten negativen Effekten auf das Selbstkonzept.
neue Anforderungen an die Jugendlichen mit sich. Von daher verwundert es nicht, dass es wohl keine Klasse
Haben auch Lehrkräfte einen Einfluss auf die Ausprä- gibt, in der alle Schüler ein überdurchschnittlich positives
21 gung der Selbstkonzepte ihrer Schüler? Tatsächlich fin- Selbstkonzept berichten. Will man untersuchen, wie er-
den sich empirisch solche Belege. So haben Studien zum folgreich bestimmte Lehrkräfte dabei sind, den Schülern
22 Lern- und Sozialklima in Klassen sowie zu förderlichem einen festen Glauben in die eigenen Fähigkeiten zu ver-
Lehrerverhalten immer wieder Selbstkonzepteffekte be- mitteln, sollte man deshalb neben dem Selbstkonzept noch
8.5  •  Wirkungen des Selbstkonzepts
193 8

weitere Indikatoren wie die Selbstwirksamkeitsüberzeu- Exkurs  |       | 


gungen (▶ Exkurs „Selbstwirksamkeit“) einbeziehen.
Selbstwirksamkeit
Die Selbstwirksamkeit oder auch Selbstwirksamkeitser-
8.5 Wirkungen des Selbstkonzepts wartung ist die subjektive Wahrscheinlichkeit, neue und/
oder schwierige Situationen aufgrund eigener Kompetenz
bewältigen zu können (Bandura, 1997). Ein Schüler hat
Die besondere theoretische und praktische Bedeutung be- beispielsweise dann hohe Selbstwirksamkeitserwartungen,
reichsspezifischer Selbstkonzepte ergibt sich unter anderem wenn er oder sie bezüglich einer anstehenden Klassenar-
daraus, dass diese Personenmerkmale leistungsbezogenes beit relativ sicher ist, den anstehenden Aufgabentyp gut
Verhalten erklären und vorhersagen können. Es besteht bewältigen und daher eine gute Note erzielen zu können.
Selbstwirksamkeitserwartungen sind damit Urteile über
weitgehender Konsens darüber, dass eine hohe Ausprägung eigene Fähigkeiten in spezifischen zukünftigen Situationen.
des Selbstkonzepts, vermittelt über motivationale Variab- Schulische Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zeigen in aller
len, Lernprozesse in der jeweiligen Domäne fördern kann. Regel – zumindest in querschnittlichen Untersuchungen
– einen hohen Zusammenhang mit schulischen Leistungser-
gebnissen (Bandura, 1997).
8.5.1 Selbstkonzept und Leistung Basis der Selbstwirksamkeitserwartungen sind Erfahrungen
mit dem konkreten Aufgabentyp. Notwendig zur Herausbil-
dung solcher Erwartungen sind internal-stabile Attributionen
In welcher Beziehung stehen Selbstkonzept und Leistung? auf die eigene Begabung. Fachspezifische Selbstkonzepte
Schon früh konnten Studien einen positiven Zusam- sind meist breiter angelegt (bei ihnen geht es nicht um die
menhang zwischen den beiden Variablen zeigen (Wylie, Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte konkrete Aufgabe lösen
zu können, sondern etwa um die eigenen Fähigkeiten in
1979), doch wie sieht die kausale Einflussrichtung aus? einem Unterrichtsfach). Im Unterschied zu fachspezifischen
Der ▶  Skill-Development-Ansatz geht davon aus, dass Selbstkonzepten ist die Höhe der Selbstwirksamkeitser-
fachbezogene Selbstkonzepte von schulischen und außer- wartungen nur wenig durch soziale Vergleichsinformation
schulischen Rückmeldungen beeinflusst werden, dass also bestimmt. Für die Frage, ob ich eine konkrete Aufgabe lösen
Leistungen ursächlich für Selbstkonzepte sind. Wie bereits kann, ist es unerheblich, ob andere dies besser oder schlech-
ter können. Die Selbstwirksamkeit wird häufig erfasst als
oben erläutert wurde, basieren Selbstkonzepte in der Tat Schätzung der prozentualen Erfolgswahrscheinlichkeit einer
teilweise auf konkreten Leistungsrückmeldungen mit an- Aufgabenlösung.
schließenden sozialen Vergleichen und Kausalattributio-
nen. Die „objektiven“ Leistungen übersetzen sich jedoch
nicht direkt in ein „objektives“ Selbstkonzept. Auch die terpretiert werden, dass von zwei Schülern mit identischer
sozialen Vergleiche, wie sie im Big-Fish-Little-Pond-Effekt Leistung in einem Fach überdurchschnittlich häufig derje-
beschrieben werden, sind ein Beispiel dafür, wie schulische nige zukünftig besser abschneidet, der ein höheres Selbst-
Leistungen im Sinne des Skill-Development-Ansatzes auf konzept seiner fachspezifischen Begabung hat. Der positive
das Selbstkonzept wirken. Effekt eines vergleichsweise hohen Selbstkonzepts auf die
Der ▶ Self-Enhancement-Ansatz dagegen nimmt an, nachfolgende Leistungsentwicklung kann mittlerweile als
dass Selbstkonzepte Lernleistungen beeinflussen können empirisch gesichert gelten. Die Effekte fielen in denjeni-
(z. B. Helmke & van Aken, 1995). In jüngerer Zeit wurden gen Studien besonders hoch aus, in denen eine einzelne
mehrere (Baumeister, Campbell, Krueger & Vohs, 2003; Leistungsdomäne (also beispielsweise der Zusammenhang
Marsh & Craven, 2006; Valentine, DuBois & Cooper, 2004) von mathematischem Selbstkonzept und Schulleistung in
prominente Übersichtsarbeiten zum Zusammenhang von Mathematik) untersucht wurde (Valentine et al., 2004).
Selbstkonzept und Leistung veröffentlicht. Die Ergebnisse Die Forschung innerhalb des Self-Enhancement-An-
dieser Arbeiten bestätigen recht deutlich den positiven Zu- satzes zeigt somit in einer ganzen Reihe von Studien die
sammenhang zwischen schulischem Selbstkonzept und der Bedeutung des Selbstkonzepts für nachfolgende Leistun-
schulischen Leistung bzw. der schulischen Leistungsent- gen. Da auch für den Skill-Development-Ansatz empiri-
wicklung. In einer Metaanalyse sämtlicher Längsschnitt- sche Belege gefunden wurden, ist davon auszugehen, dass
studien zum Einfluss fähigkeitsbezogener Selbsteinschät- Selbstkonzept und Leistung in einem reziproken (d. h. sich
zungen auf zukünftige Leistungen analysierten Valentine gegenseitig verstärkenden) Zusammenhang stehen. Dies
et al. (2004) insgesamt 60 Studien mit über 50.000 Teilneh- wird im so genannten Reciprocal-Effects-Modell (Marsh &
mern. In fast allen Studien ergaben sich positive Effekte der Craven, 2006) formuliert. Kombiniert man das I/E-Modell
Selbsteinschätzungen auf künftige Leistungen. Auch wenn mit dem Reciprocal Effects Model, findet man, dass die
die vorherigen Leistungen kontrolliert wurden, ergab sich Leistungen längsschnittlich die Selbstkonzepte im nicht
ein zwar kleiner, aber doch bedeutsamer Effekt auf die Ver- korrespondierenden Fach negativ beeinflussen. Dagegen
änderung der Leistung. Der Zusammenhang kann so in- zeigt sich kein längsschnittlicher Einfluss der Selbstkon-
194 Kapitel 8 • Selbstkonzept

Exkurs  |       | 
1
Negative Folgen eines hohen Selbstkonzepts?
2 Die Annahmen und empirischen Befunde, von Selbstüberschätzung bislang in der an leistungsstärkeren Mitschülern orien-
dass ein „hohes“ Selbstkonzept mit pädagogisch-psychologischen Selbstkon- tieren und dafür möglicherweise auch
günstigen Folgen assoziiert ist, sowie die zeptforschung in der Tat nicht ausrei- Einbußen in Hinblick auf das Selbstkon-
3 damit assoziierten Forderungen, ein posi- chend geklärt. Man muss sich nämlich zept in Kauf nehmen würden (Blanton,
tives Selbstkonzept zu fördern, sind nicht vergegenwärtigen, dass übliche Selbst- Buunk, Gibbons & Kuyper, 1999). In der

4 nur auf Zustimmung gestoßen. In der Tat


gibt es durchaus auch Modellvorstellun-
konzeptinventare gar nicht dazu taugen,
das Ausmaß von „Selbstüberschätzung“
Tat sind pädagogische Maßnahmen und
Rückmeldungen immer eine Gratwande-
gen mit gegenteiligen Wirkmechanismen. zu ermitteln, da zu deren Entwicklung rung: Schüler dürfen ruhig wissen, dass

5 Die erste Gegenposition besagt, dass ein


realistisches Selbstkonzept einem hohen
multiple Vergleiche beitragen. Ein Selbst-
konzept muss sich damit nicht an einem
sie noch nicht genug wissen – aber sie
sollen daran glauben, dass sie das Wissen
Selbstkonzept vorzuziehen sei, da eine „objektiven“ Standard messen lassen; erwerben können und es sich lohnt, das
6 Selbstüberschätzung langfristig negative
Konsequenzen habe. Auf den ersten Blick
hierfür wären wohl Selbsteinschätzungen,
bei denen explizit nach objektivierba-
Wissen zu erwerben. Eine Orientierung
an leistungsstarken Mitschülern dürfte
scheinen die regressionsanalytischen ren Performanzkriterien gefragt wird, deshalb positiv sein, wenn sie mit der
7 Untersuchungen, bei denen bei Kontrolle
des tatsächlichen Leistungsstands ein
interessanter.
Eine zweite Gegenposition verweist dar-
Überzeugung verknüpft ist, von dem
Mitschüler lernen zu können bzw. ähnlich
vergleichsweise hohes Selbstkonzept auf, dass Personen mit hohen fachbezo- viel hinzulernen zu können, aber negative
8 mit günstiger Leistungsentwicklung genen Selbsteinschätzungen womöglich Folgen haben, wenn der Vergleich mit
einhergeht, eher dafür zu sprechen, dass dazu tendieren, nicht mehr viel Anstren- diesem Mitschüler das eigene Selbstkon-
„Selbstüberschätzung“ positive Folgen gung in das Fach zu investieren. Hilfreich zept stark negativ beeinträchtigt.
9 habe. Allerdings wurden die Folgen sei es deshalb, wenn sich Schüler eher

10 8.5.2 Selbstkonzept, Interesse


zepte in einem Fach auf die Leistungen im anderen Fach;
die Wirkungen der Selbstkonzepte auf die Leistungen zei- und leistungsthematische
11 gen sich nur fachspezifisch (zum so genannten Reciprocal- Wahlentscheidungen
I/E-Modell s. Möller et al., 2011).
12 Warum fördert ein hohes schulisches Selbstkonzept Zu den pädagogisch relevanten positiven Effekten des
die schulische Kompetenzentwicklung? Welche Mecha- Selbstkonzepts gehört auch die Förderung von fachbe-
nismen liegen dem Befundmuster zugrunde? Vermut- zogenen Interessen, die wiederum in engem Zusammen-
13 lich wirkt ein positiv ausgeprägtes Selbstkonzept sowohl hang mit lernförderlichen Verhaltensweisen und Kurs-
beim Kompetenzerwerb als auch in Performanzsituatio- wahlen stehen. Systematisch sind diese Konstrukte, das
14 nen unterstützend (▶ Exkurs „Negative Folgen eines hohen Selbstkonzept, das Interesse und Wahlentscheidungen im
Selbstkonzepts?“). Die leistungsfördernde Wirkung eines Erwartungs-Wert-Modell von Eccles (1983) integriert, das
15 positiv ausgeprägten Selbstkonzepts wurde u. a. in einer im Folgenden vorgestellt wird.
Arbeit von Helmke (1992) dokumentiert, der mithilfe ei- Das Erwartungs-Wert-Modell bietet eine Systematisie-
nes längsschnittlichen Designs das Zusammenspiel von rung derjenigen Faktoren, von denen angenommen wer-
16 Mathematikleistung und mathematischem Selbstkonzept den kann, dass sie die Selbstkonzeptgenese beeinflussen
beobachtete. In dieser Studie sagte ein hohes mathemati- und erlaubt eine Vorhersage von leistungsthematischem
17 sches Selbstkonzept ein erhöhtes Engagement der Schüler Verhalten. Das Modell postuliert, dass sich die Leistung
im Unterricht sowie eine höhere Anstrengungsbereitschaft in einem Fach kurz-, mittel- und langfristig dann positiv
bei den Hausaufgaben und Probearbeiten vorher; diese Va- entwickelt, wenn ein Schüler davon ausgeht, erfolgreich
18 riablen wiederum waren positiv mit einer günstigen Leis- sein zu können (Erwartungs-Komponente) und er das
tungsentwicklung in Mathematik assoziiert. Fach interessant, wichtig oder nützlich findet (Wert-
19 Positive Konsequenzen eines hohen Selbstkonzepts in Komponente). Die Erwartungskomponente wird durch
Performanzsituationen dokumentierten in einer experi- die Wahrscheinlichkeit repräsentiert, eine Aufgabe lösen
20 mentellen Studie Eckert, Schilling und Stiensmeier-Pelster oder in einem Schulfach gute Leistungen erbringen zu
(2006). Konfrontiert mit Intelligenztestaufgaben, für die können. Damit ist die Erwartungskomponente sehr eng
es keine korrekten Lösungen gab und die somit subjektiv mit dem Selbstkonzept verbunden. Aus der Einschätzung
21 zu einem Versagenserlebnis führten, waren es vor allem der eigenen Leistungsfähigkeit in einer Domäne wird die
Versuchspersonen mit niedrigem Selbstkonzept, deren Erwartung abgeleitet, zukünftig gute Leistungen erbrin-
22 anschließende Leistung bei anderen Aufgaben unter dem gen zu können. Als Wertkomponente ist definiert, welche
Misserfolgserlebnis litt. Bedeutung die Aufgabe oder Tätigkeit für jemanden hat,
8.5  •  Wirkungen des Selbstkonzepts
195 8

.. Abb. 8.6  Das Selbstkonzept als Mediator im Erwartungs-Wert-Modell

welchen Nutzen er ihr zuschreibt und wie interessant er sie aus: Wer sich in einer Domäne eine geringe Begabung zu-
findet; zudem mindern wahrgenommene Kosten wie die schreibt, wird in der Regel wenig motiviert sein, sich mit
eigene Anstrengung, die mit der Aktivität verbunden sind, diesem Fachgebiet auseinanderzusetzen.
den Wert einer Tätigkeit. Eine Kombination von Erwar- So beeinflusst das fachbezogene Selbstkonzept die
tungs- und Wertkomponente bestimmt die Leistungsmoti- Wertkomponente deutlich. Schüler, die in einer Domäne
vation, die Anstrengung und Ausdauer einer Person sowie überdurchschnittliche Leistungen zeigen und daher ein ho-
ihr leistungsbezogenes Wahlverhalten (z. B. Kurswahlen). hes bereichsspezifisches Selbstkonzept entwickeln, erleben
Das Fähigkeitsselbstkonzept steht im Mittelpunkt die Auseinandersetzung mit Aufgaben aus diesem Bereich
des erweiterten Erwartungs-Wert-Modells nach Eccles emotional positiver und finden diesen Bereich wichtiger
(1983; Wigfield & Eccles, 1992), wie es in einer Variante als Schüler, die weniger gute Leistungen bringen. Der Wert,
in . Abb. 8.6 dargestellt wird. Es ist eine Art Mittler oder den eine Domäne für jemanden hat, hängt, so betrachtet,
▶  Mediator zwischen den Leistungserfahrungen einer zumindest teilweise vom Selbstkonzept ab. Auf der ande-
Person und der Lernmotivation und dem Lernverhalten. ren Seite motiviert der Wert die Person zur Auseinander-
In dem Modell wird das Selbstkonzept von zentralen setzung mit dieser Domäne und erhöht die Ausdauer, die
Umgebungsfaktoren beeinflusst. Dazu zählen zunächst Anstrengung und die Lernzeit. Wigfield und Eccles (1992)
einmal das kulturelle Milieu, in dem ein Kind aufwächst, zeigen, dass eine erhöhte Lernmotivation auch die Art und
sowie die familiäre und schulische Umwelt (▶ Kap. 10). Weise des Umgangs mit Lernmaterialien prägt: Während
Welche Bedeutung eine Familie der schulischen Bildung gering Motivierte eher oberflächliche Lernstrategien ein-
ihres Kindes zuschreibt und welchen Bildungsstand die setzen, wie Auswendiglernen, zeigen motivierte Perso-
Eltern für ihr Kind anstreben, sollte danach wesentlich die nen tiefer gehende Lernstrategien, wie Elaborations- und
schulische Entwicklung mitbestimmen. Auch ganz kon- Transformationsstrategien.
kretes Erziehungsverhalten der Eltern ist wichtig: So lässt Insgesamt entsteht also folgendes Bild der Mittlerrolle
sich beispielsweise zeigen, dass die Lesekompetenz von des fachbezogenen Selbstkonzepts: Wenn ein unterstüt-
Schülern von familiären und individuellen Bedingungen zendes familiäres und schulisches Klima vorhanden ist
abhängt und dass dabei der familiäre Einfluss zu einem und vor allem positive Lernerfahrungen vorliegen, führen
Großteil auf sprachliche Interaktionen von Eltern und positive Leistungsrückmeldungen zu einem hohen Selbst-
Kindern zurückgeht. Der soziale Hintergrund wirkt vor konzept. Mit einem hohen Selbstkonzept sind die Voraus-
allem über die sprachliche Interaktion von Eltern und Kin- setzungen günstig, dass ein Schüler in dieser Domäne auch
dern auf das Leseselbstkonzept, die Lesemotivation und eine hohe Lernmotivation zeigt. Auch die motivationalen
schließlich die Lesekompetenz der Schüler (Retelsdorf & Voraussetzungen sprechen dann für ein zukünftig hohes
Möller, 2008). Engagement und entsprechende Lernergebnisse.
Ein niedriges fähigkeitsbezogenes Selbstkonzept wirkt Generell scheint zu gelten, dass sich fachbezogene
sich ungünstig auf das Lernverhalten und das Lernresultat Selbstkonzepte und Interessen gegenseitig positiv beein-
196 Kapitel 8 • Selbstkonzept

flussen, auch wenn es je nach untersuchter Altersstufe und Aufgaben als Grundlage der Selbstbewertung wählen, ver-
1 untersuchter Domäne gewisse Unterschiede in der Stärke meiden detaillierte Rückmeldung zu ihrer eigenen Leis-
der jeweiligen Effekte geben mag. Die wechselseitige po- tungsfähigkeit. Geeigneter sind Ziele, die sich an der in-
2 sitive Beeinflussung sowie der oben gezeigte Zusammen- dividuellen Leistungsentwicklung des Schülers orientieren
hang mit der Schulleistung führen dazu, dass der Zusam- und knapp über dem bisher Erreichten liegen. Besonders
menhang von Selbstkonzept, Interessen und Schulleistung bei Misserfolg kann bei einer solchen Aufgabenwahl auf
3 gerade in höheren Klassenstufen sehr eng ausfallen kann. die eigene Anstrengung attribuiert werden, die dann bei
Sowohl Selbstkonzepte als auch Interessen haben sich zukünftigen Anforderungen gesteigert werden kann.
4 als besonders gute Prädiktoren von individuellen akade- Speziell zur Erhöhung des Selbstkonzepts sind sog.
mischen Schwerpunktsetzungen herausgestellt. Einflüsse Outward-Bound-Programme durchgeführt worden.
5 des Selbstkonzepts sowie von Interessen konnten beispiels- Dabei werden in erlebnispädagogischer Tradition her-
weise sowohl für Kurswahlen in amerikanischen High- ausfordernde und oft sportliche Aktivitäten verlangt, wie
schools (Marsh & Yeung, 1997) als auch in der gymnasia- beispielsweise das Überqueren eines Flusses mittels einer
6 len Oberstufe (Nagy et al., 2008) gezeigt werden. selbst konstruierten Brücke oder das (abgesicherte) Ba-
lancieren auf einem Hochseil. Tatsächlich zeigen mehrere
7 empirische Untersuchungen solcher Programme positive
8.6 Schulische und außerschulische Ergebnisse für das Selbstkonzept. Marsh und Richards
Interventionsmaßnahmen (1988) reicherten ein solches Outward-Bound-Programm
8 durch akademische Inhalte an und konnten einen posi-
Abschließend sollen Maßnahmen vorgestellt werden, die tiven Effekt der Maßnahme auch auf das mathematische
9 das mehr oder weniger explizite Ziel haben, schulbezogene Selbstkonzept zeigen.
Selbstkonzepte zu beeinflussen. Solche Maßnahmen kön- O’Mara, Marsh, Craven und Debus (2006) führten
10 nen sowohl durch speziell entworfene Selbstkonzepttrai- eine Metaanalyse von insgesamt 145 Studien durch, um
nings als auch durch Lehrer etwa während des normalen die Effekte von Interventionsprogrammen auf die Selbst-
Unterrichts initiiert werden. Bei der Beurteilung solcher konzepte von Kindern und Jugendlichen beschreiben zu
11 Maßnahmen muss jedoch, wie bereits oben beschrieben, können. Insgesamt ergab sich eine mittlere Effektstärke
immer beachtet werden, dass vielfältige Referenzgruppen- von d = 0,47. Danach hatten die Trainingsgruppen, in de-
12 effekte die Veränderung von Selbstkonzepten beeinflussen. nen eine Intervention durchgeführt wurde, ein um knapp
Automatisch ablaufende soziale und dimensionale Verglei- die Hälfte der Standardabweichung höheres Selbstkonzept
che, wie sie im Big-Fish-Little-Pond Effekt und I/E-Modell als die Kontrollgruppe, die kein Programm mitgemacht
13 thematisiert sind, schränken notwendigerweise die Kraft hatte. Interventionen, die auf einen spezifischen Aspekt
und Nachhaltigkeit von gezielten Interventionen ein. Er- des Selbstkonzepts ausgerichtet waren, waren besonders
14 gänzend ist deshalb die Berücksichtigung von Selbstwirk- effektiv, wenn genau dieser spezifische Aspekt des Selbst-
samkeitsüberzeugungen sowie weiterer Konstrukte zu konzepts auch gemessen wurde.
15 empfehlen.
Zur Steigerung des Selbstkonzepts können Maßnah-
Fazit
men beispielsweise aus dem Erwartungs-Wert-Modell
16 (. Abb. 8.6) abgeleitet werden. Positive Lernerfahrun- Das schulische Selbstkonzept zählt zu den am gründ-
lichsten untersuchten pädagogisch-psychologischen
gen und Leistungsrückmeldungen sowie unterstützendes
17 Verhalten durch Eltern und Lehrkräfte schaffen die Aus- Variablen. Interessant erscheint es vor allem, weil es
in Modellen wie dem Big-Fish-Little-Pond-Effekt oder
gangsbasis für ein positives Selbstkonzept. Da die Höhe des
dem I/E-Modell zu Abweichungen von rein rationalen
Selbstkonzepts eng mit den Ursachenzuschreibungen für
18 Leistungen verknüpft ist, kann darüber hinaus von günsti- Selbsteinschätzungen kommt. Deutlich geworden ist
nicht nur die Abhängigkeit des Selbstkonzepts von
gen Auswirkungen internal-variabler Misserfolgsattributi-
19 onen auf das Selbstkonzept ausgegangen werden. In Attri- schulischen Leistungen und umgekehrt seine Bedeu-
tung für die schulische Leistungsentwicklung. Das
butionstrainingsprogrammen werden direkt bestimmte
Selbstkonzept ist auch in komplexe motivationale Pro-
20 Attributionsmuster eingeübt (zum Überblick Försterling,
zesse eingebunden wie Entscheidungen für bestimmte
1985). Weiter gefasste Motivationsförderungsprogramme
Kurse oder Studienfächer. Zusammengefasst kann die
streben ebenfalls Veränderungen der Bewertung der eige-
21 nen Fähigkeiten an (▶ Kap. 17). Förderung eines adäquaten und positiven Selbstkon-
zepts als zentrales Ziel pädagogischer Bemühungen
Wie DeCharms (1968) betonen auch Rheinberg und
22 Krug (2004) die Notwendigkeit realistische Anspruchsni- gelten.
veaus zu entwickeln. Schüler, die zu leichte oder zu schwere
Literatur
197 8

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201 9

Emotionen
Anne C. Frenzel, Thomas Götz, Reinhard Pekrun

9.1 Begriffsbestimmung – 202
9.1.1 Emotionen – Mehrdimensionale Konstrukte  –  202
9.1.2 Struktur von Emotionen  –  202
9.1.3 Verwandte Konstrukte – 204
9.1.4 Emotionsregulation – 204

9.2 Erfassung von Emotionen  –  205


9.3 Leistungsemotionen – 206
9.3.1 Definition und Taxonomisierung – 206
9.3.2 Fachspezifität von Leistungsemotionen  –  207
9.3.3 Auftretenswahrscheinlichkeit von Leistungsemotionen
und ihre Relevanz für Leistung und Wohlbefinden  –  208
9.3.4 Versuch einer Abgrenzung von Emotionen und
Kognitionen im Lern- und Leistungskontext  –  209
9.3.5 Entwicklungsverläufe von Emotionen im
Lern- und Leistungskontext  –  210
9.3.6 Ursachen von Emotionen im Lern- und Leistungskontext  –  212
9.3.7 Wirkungen von Emotionen im Lern- und Leistungskontext  –  217
9.3.8 Anregungen zur Gestaltung eines emotionsgünstigen
Unterrichts – 220

Literatur – 223

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
202 Kapitel 9 • Emotionen

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit Emotionen im Lern- und


1 Leistungskontext. Fragen Sie sich doch einmal selbst – wie
fühlen Sie sich, während Sie die Inhalte dieses Lehrbuchs
2 durcharbeiten? Macht Ihnen diese Aufgabe Spaß? Langweilt
es Sie? Ärgern Sie sich dabei? Und der Gedanke daran, dass
Ihre Lernergebnisse überprüft werden: Jagt er Ihnen einen
3 Schauer über den Rücken oder erfüllt es Sie mit Stolz, Ihre
Erkenntnisse und Lösungen präsentieren zu dürfen? Die wis-
4 senschaftliche Auseinandersetzung mit Emotionen findet
vor allem in Allgemeiner Psychologie, Sozialpsychologie und
5 Klinischer Psychologie statt, daneben auch in der Neuro-, Ent-
wicklungs- und Differenziellen sowie Pädagogischen Psycho-
logie. Insgesamt handelt es sich hierbei um einen relativ „jun-
6 gen“ Forschungsbereich. Abgesehen von der traditionellen .. Abb. 9.1  
Prüfungsangstforschung (überblicksartig in Schnabel, 1998;
7 Zeidner, 1998) wurde der Relevanz von Emotionen im Kontext Anspannung oder der Erregungszustand. Auch im
von Lernen und Leistung erst in den letzten 15 Jahren durch zentralen Nervensystem finden Emotionen ihre
Entsprechung, sowohl kortikale als auch subkortikale
8 intensive Forschungstätigkeit Rechnung getragen. In diesem
Kapitel werden vorwiegend Arbeiten zu Emotionen im Leis- Areale (u. a. der präfrontale Kortex und die Amyg-
dala) zeigen beim Erleben von Emotionen spezifische

-
tungskontext vorgestellt und Aspekte aus den Nachbardiszi-
9 plinen dann aufgegriffen, wenn sie für den pädagogischen Erregungsmuster.
Kontext relevant sind (. Abb. 9.1). Die kognitive Komponente: Emotionales Erleben
10 geht meist mit emotionstypischen Gedankeninhalten
einher; bei Angst sind dies beispielsweise Gedan-
9.1 Begriffsbestimmung ken an die Konsequenzen eines möglichen Schei-
11 terns („Was werden wohl meine Eltern sagen, wenn
9.1.1 Emotionen – Mehrdimensionale ich wieder mit einer schlechten Note nach Hause
12
-
Konstrukte komme?“).
Die expressive Komponente: Verschiedene Emo-
▶ Emotionen sind innere, psychische Prozesse. Charak- tionen gehen mit für sie typischem verbalem und
13 teristisch ist vor allem ihr „gefühlter“ Kern: Emotionen nonverbalem Ausdrucksverhalten einher. Dies macht

14
15
spürt man, sie sind keine reinen Gedankeninhalte. Jede
Emotion ist durch ein für sie typisches psychisches Erleben
gekennzeichnet. Dies wird auch als der „affektive Kern“ ei-
ner Emotion bezeichnet. Affektives Erleben ist notwendig
- Emotionen für Interaktionspartner erkennbar.
Die motivationale Komponente: Emotionen lösen
entsprechendes Verhalten aus. Aus evolutionspsy-
chologischer Perspektive wird argumentiert, dass
und hinreichend für eine Emotion. Die meisten Emotionen Organismen überhaupt erst deshalb Emotionen
lassen sich recht eindeutig entlang der Dimension Valenz entwickelt haben, weil diese dafür sorgen, adaptives
16 in „positiv“ vs. „negativ“ einordnen. Emotionen haben ei- (d .h. überlebensförderliches) Verhalten zu zeigen,
nen stark wertenden Charakter, sie sind Signalgeber dafür, z. B. aus Angst zu flüchten oder in guter Stimmung
17 wie angenehm oder unangenehm eine aktuelle Situation die Umwelt zu explorieren.
empfunden wird.
Definition  
18 » Emotion would not be emotion without some evalua- Emotionen sind mehrdimensionale Konstrukte, die
tion at its heart. (Parkinson, 1997, S. 62) aus affektiven, physiologischen, kognitiven, expres-
19 siven und motivationalen Komponenten bestehen
(. Abb. 9.2).
20 Neben diesem affektiven Kern werden in vielen Definiti-
onen vier weitere zentrale Komponenten von Emotionen
genannt (. Abb. 9.2 und ▶  Exkurs „Prüfungsangst – Facet-

-
21 ten“): 9.1.2 Struktur von Emotionen
Die physiologische Komponente: Je nach emotiona-
22 lem Zustand ändern sich z. B. Herzrate, Hautleitfähig- Es gibt zwei zentrale Ansätze zur Beschreibung der Struk-
keit oder Muskeltonus – kurz gesagt, die allgemeine tur von Emotionen, nämlich dimensionale und kategoriale
9.1 • Begriffsbestimmung
203 9

.. Abb. 9.2  Mindmap Emotionen

Exkurs  |       |  Ansatz beispielsweise mit „ärgerlich“ oder „ängstlich“ be-


antwortet. Aus dieser Perspektive wird argumentiert, dass
Prüfungsangst – Facetten
es auch noch zwischen Emotionszuständen, die im dimen-
Das affektive Erleben bei ▶ Prüfungsangst ist durch Aufge-
sionalen Ansatz identisch klassifiziert werden, phänome-
regtheit, Nervosität und Unsicherheitsgefühle gekennzeich-
net. Körperlich macht sich Prüfungsangst durch erhöhte nologisch große Unterschiede gibt. So fühlt man sich z. B.
Erregung mit Symptomen wie Zittern, Schweißausbrüchen sowohl bei Angst als auch bei Ärger negativ und erregt; das
oder Übelkeit bemerkbar. Diese affektiven und physiolo- subjektive Erleben unterscheidet sich jedoch recht stark bei
gischen Komponenten werden in der Literatur häufig zu- diesen beiden Emotionen. Aus einer dimensionalen Pers-
sammen als „Emotionality-Komponente“ der Prüfungsangst
pektive wird dem wiederum entgegengehalten, dass trotz
bezeichnet (Liebert & Morris, 1967; Zeidner, 1998). Prüfungs-
ängstliche Personen plagen zudem permanente Sorgen um der subjektiv-phänomenologischen Unterschiedlichkeit
eigene Fähigkeitsmängel – so kreisen ihre Gedanken schon diese Emotionen typischerweise hoch positiv miteinander
während des Lernens und auch in der Prüfung um Versagen korrelieren, dass man also in einer angstbesetzen Situation
und um die Konsequenzen eines möglichen Misserfolgs. auch rasch ärgerlich reagiert oder Personen, die allgemein
Dieser kognitive Aspekt der Prüfungsangst wird auch mit
zu Ärger neigen, auch häufig berichten, Angst zu erleben.
dem Begriff „Worry-Komponente“ bezeichnet. Schließlich
geht Prüfungsangst mit Flucht- oder Vermeidungstenden- Im Kontext der Suche nach einer begrenzten Anzahl
zen bezüglich Lern- und Prüfungssituationen einher. Die an diskreten Emotionen, die universell auftreten, ist der
Schwierigkeit liegt hier darin, dass es in unserer modernen Begriff Basisemotionen geprägt worden. Basisemotionen
Gesellschaft keineswegs „adaptiv“ (also Erfolg bringend) ist, scheinen alle Menschen zu kennen und unterscheiden zu
in solchen Situationen Vermeidungs- und Fluchtverhalten an
können. Sie gehen über Kulturen hinweg mit den jeweils
den Tag zu legen. Im Gegenteil, nicht zu lernen vermindert
die Erfolgsaussichten und an einer Prüfung nicht teilzuneh- gleichen, typischen Gesichtsausdrücken einher und sind
men impliziert in der Regel, sie nicht zu bestehen. durch spezifische Auslösebedingungen sowie spezifische
resultierende Handlungstendenzen charakterisiert. Von
verschiedenen Autoren wurden immer wieder unter-
Modelle. Unter einer dimensionalen Perspektive werden schiedliche Vorschläge gemacht, welche Gefühlszustände
Emotionen anhand einer begrenzten Anzahl quantitativ zu den Basisemotionen zu zählen sind. Besonders häufig
variierender Eigenschaften gruppiert. Die beiden am häu- werden dabei die folgenden Emotionen genannt (Ortony
figsten genannten Dimensionen sind Valenz (positiv bis
negativ bzw. angenehm bis unangenehm) und Aktivierung/
--
& Turner, 1990):
Freude
Erregung (niedrige bis hohe Aktivierung). Die Frage „Wie
fühlen Sie sich im Moment?“ würde in diesem Ansatz bei-
-- Überraschung
Trauer
spielsweise mit „positiv erregt“ beantwortet. Manche Au-
toren beziehen daneben noch weitere Dimensionen mit ein
(wie Intensität, Wachheit oder erlebte Dominanz). Beim
kategorialen Ansatz wird darauf Wert gelegt, zwischen
--
Ärger
Angst
Ekel.

einer Vielzahl an qualitativ unterschiedlichen („diskreten“) Eine weitere wichtige strukturelle Eigenschaft von Emo-
Emotionen zu differenzieren. Obige Frage würde in diesem tionen liegt darin, dass sie zum einen als momentane
204 Kapitel 9 • Emotionen

Zustände und zum anderen als dispositionelle Reaktions- charakteristische Gedankeninhalte sowie Ausdrucksver-
1 tendenzen betrachtet werden können. In der allgemein- halten). Unterschiede bestehen darin, dass Stimmungen
psychologischen Forschung werden Emotionen meist als typischerweise länger anhaltend, aber dabei weniger in-
2 situative, momentane Zustände (sog. emotionale States) tensiv ausgeprägt und in geringerem Maße auf bestimmte
beschrieben. In der Differenziellen Psychologie, d. h. bei Objekte gerichtet sind als Emotionen. Im Unterschied zu
der Betrachtung von Unterschieden zwischen Individuen, diskreten Emotionen werden Stimmungen zudem typi-
3 betrachtet man Emotionen aber auch aus der Perspektive, scherweise ausschließlich dimensional als positiv, neutral
dass es dispositionelle Unterschiede in der Neigung zu ge- oder negativ klassifiziert.
4 ben scheint, in verschiedenen Situationen mit bestimm- Emotionen werden typischerweise als integrale Be-
ten Emotionen zu reagieren. In diesem Zusammenhang standteile von subjektivem Wohlbefinden genannt. Wohl-
5 spricht man von Emotionen als Traits (relativ stabile befinden besteht nicht nur in der Abwesenheit negativer
Persönlichkeitseigenschaften; Pekrun & Frenzel, 2009). Emotionen (z. B. keine Angst zu haben), sondern bein-
So unterscheiden sich Personen beispielsweise in ihrer haltet auch das Empfinden positiver Emotionen (allem
6 generellen positiven bzw. negativen Affektivität, d. h. der voran das Erleben von Freude). Hinzu kommt in vielen
Neigung, positive oder negative Emotionen vermehrt zu Definitionen zum subjektiven Wohlbefinden, dass man
7 erleben. Aber auch bezüglich des Erlebens diskreter Emo- subjektive und gesellschaftliche Werte als erfüllt sieht und
tionen gibt es dispositionelle Unterschiede. Beispiele sind insgesamt sein Leben als positiv bewertet (Diener, Suh,
die Trait-Angst (auch Prüfungsängstlichkeit), sowie die Lucas & Smith, 1999).
8 Neigung zum Ärger oder auch zur Langeweile. Zahlreiche Bei ▶  Stress handelt es sich um einen Zustand der
pädagogisch-psychologische Forschungsarbeiten beziehen „Alarmbereitschaft“ eines Organismus, der sich auf er-
9 sich auf Emotionen als Traits. höhte Leistungsanforderungen einstellt. In der modernen
Aktuelle Ergebnisse aus der pädagogisch-psychologi- Stressforschung wird zudem betont, dass erlebter Stress
10 schen Forschung zeigen, dass es sehr wichtig ist, sich der dann auftritt, wenn die eigenen Fähigkeiten und Fertigkei-
inhaltlichen Bedeutung von Trait- und State-Emotionen ten von den Anforderungen der Umwelt übertroffen bzw.
bei der Interpretation empirischer Befunde bewusst zu infrage gestellt werden. In solchen Situationen erlebt man
11 sein. So zeigt eine Studie von Götz und Kollegen (2013), häufig auch Angst, weswegen die Emotion Angst als eng
dass die State-Angst-Ausprägungen von Jungen und Mäd- verwandt mit subjektiv erlebtem Stress angesehen werden
12 chen im Fach Mathematik identisch sind, während Mäd- kann. Daher weisen Theorien zu Entstehung, Wirkungen
chen – trotz gleicher Noten im Fach Mathematik – höhere und zum Umgang mit Angst und Stress relativ große Über-
Werte für Trait-Mathematikangst angeben als Jungen. Bei schneidungen auf (einen guten Überblick hierzu bietet
13 den Trait-Angaben scheinen subjektive Überzeugungen Schwarzer, 2000).
(z. B. „Mathematik kann ich nicht“) stärker einzufließen Der Begriff ▶  Flow wurde durch Csikszentmihalyi
14 als bei den State-Angaben. Geschlechterunterschiede im (1985) geprägt. Er beschreibt damit das „holistische Gefühl
mathematikbezogenen Selbstkonzept erzeugen dann die bei völligem Aufgehen in einer Tätigkeit“ (ebd., S. 58/59),
15 geschlechterbezogenen Unterschiede in der Trait-Mathe- das dann auftritt, wenn Handlungsanforderungen und
matikangst – die sich bei der State-Erhebung nicht finden. Handlungskompetenzen in einem ausgewogenen Verhält-
In anderen Worten: Trait-Angaben spiegeln im Vergleich nis zueinander stehen. In den Zustand von Flow kann man
16 zu State-Angaben wohl zu einem größeren Ausmaß unser insbesondere dann geraten, wenn man in eine anspruchs-
Denken über Dinge wider. volle Tätigkeit involviert ist und sich den Anforderungen
17 der Tätigkeit voll gewachsen fühlt. Obwohl Flow eher ein
kognitiver Zustand als eine Emotion ist und deshalb auch
9.1.3 Verwandte Konstrukte nie im Kontext der Basisemotionen erwähnt wird, handelt
18 es sich dabei um einen Erlebenszustand, der insbesondere
Emotionen werden im Kontext zahlreicher weiterer Phä- im Lern- und Leistungskontext wiederholt Beachtung fin-
19 nomene diskutiert, die in diesem Beitrag am Rande zur det – nicht zuletzt deshalb, weil man im Flow außerordent-
Sprache kommen. Hierzu zählen die Konstrukte Stim- lich gute und kreative Leistungen erbringen kann.
20 mung, Wohlbefinden, Stress und Flow, die im Folgenden
kurz erläutert werden.
Die Begriffe Emotion und Stimmung werden in vielen 9.1.4 Emotionsregulation
21 Forschungsarbeiten weitgehend synonym benutzt. Emo-
tionen und Stimmungen sind tatsächlich durch weitge- Eng verwandt mit der Erforschung von Emotionen an
22 hend kongruente Komponenten charakterisiert (affektives sich ist auch die Beschäftigung mit der Frage, ob und wie
Erleben, spezifisches physiologisches Erregungsmuster, wir Emotionen regulieren können. ▶  Emotionsregula-
9.2  •  Erfassung von Emotionen
205 9

tion kann als zielgerichtete, bewusste oder unbewusste Erleben gekennzeichnet sind, liegt es nahe, sie durch Be-
Aufrechterhaltung, Steigerung oder Senkung der eigenen fragung der Betroffenen zu erfassen. Tatsächlich ist eine
Emotionen oder der Emotionen anderer Menschen defi- Vielzahl an Forschungsarbeiten zu Emotionen auf der Ba-
niert werden (Gross & Thompson, 2006). Ansätzen zur sis von Fragebogenskalen entstanden. Einem dimensiona-
Emotionsregulation liegt ein hedonistischer Gedanke zu- len Ansatz folgend ist hierbei die „Positive and Negative
grunde – wir streben danach, möglichst häufig und inten- Affect Schedule“ (PANAS) von Watson, Clark und Tellegen
siv positive und möglichst selten und gering ausgeprägte (1988; in deutscher Fassung von Krohne, Egloff, Kohlmann
negative Emotionen zu erleben und regulieren auf dieses & Tausch, 1996) entwickelt und vielfach eingesetzt worden.
Ziel hin. Emotionsregulation impliziert dabei nicht nur, Die PANAS ist ein Selbstbeschreibungsinstrument, das aus
wie man reagiert, sobald eine emotionale Reaktion ein- 20 Adjektiven besteht, von denen je 10 positive und nega-
getreten ist, sondern auch, dass man sich über mögliche tive Empfindungen und Gefühle beschreiben (z. B. aktiv,
emotionsinduzierende Umstände bewusst ist und diese ge- begeistert, gereizt). Die Probanden schätzen die Intensi-
zielt aufsucht oder vermeidet, um das eigene emotionale tät auf einer 5-stufigen Skala ein (gar nicht bis äußerst).
Erleben zu optimieren. Ein Großteil der Forschungsauf- Vielfach anhand von Fragebogen erforscht wurde auch die
merksamkeit richtete sich bisher jedoch vor allem auf den diskrete Emotion Angst. Hier ist das „State-Trait Angstin-
Umgang mit negativen Gefühlszuständen; in diesem Zu- ventar“ von Spielberger (1983; in deutscher Fassung von
sammenhang spricht man auch von „Coping“. Im Zentrum Laux, Glanzmann, Schaffner & Spielberger, 1981) das am
der Coping-Forschung steht die Frage, wie gut es gelingt, häufigsten eingesetzte Instrument. Die zwei Skalen mit
mit Stress, Angst, Trauer und allgemein negativem Affekt jeweils 20 Items (z. B.: Ich bin besorgt, dass etwas schiefge-
umzugehen. In diesem Zusammenhang werden häufig drei hen könnte) dienen zur Erfassung von Angst als Zustand
zentrale Coping-Strategien genannt (Zeidner & Endler, (State-Angst) und Angst als Eigenschaft (Trait). Alternativ

-
1996). Diese sind
emotionsorientiertes Coping (direkte Regulierung
der Emotion, z. B. durch Entspannungstechniken
zu quantitativen Fragebogenverfahren können Emotionen
auch durch strukturierte Interviews erfasst werden. Auch
Prüfungsangst wird typischerweise durch Selbstbericht er-

- oder Medikamenteneinnahme),
problemorientiertes Coping (d. h. Identifikation der
emotionsauslösenden Umstände und deren aktive
fasst (▶ Exkurs „Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI“).
Direkte Befragungsmethoden zur Emotionserfassung
sind jedoch dafür kritisiert worden, dass sie sprachbasiert

- Änderung),
meidensorientiertes Coping (d. h. behaviorale oder
mentale Flucht aus der emotionsauslösenden Situa-
tion bzw. Vermeidung einer Konfrontation mit der
sind und Selbsteinschätzungen, d. h. subjektive Rekonst-
ruktionen der eigenen Befindlichkeit, darstellen und somit
anfällig für bewusste oder unbewusste Verzerrungen sind
(▶ Exkurs „Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI“). Eine
Situation). häufig eingesetzte Form der sprachfreien Erfassung, die
trotzdem auf dem subjektiven Erlebensbericht von Proban-
Letztere Form des Copings wird für viele Situationen den basiert, ist das „Self-Assessment Manikin“ von Lang
als die am wenigsten günstige beschrieben. Emotionsre- (1980). Hier wird die emotionale Befindlichkeit anhand
gulation spielt auch im Lern- und Leistungskontext eine von drei Dimensionen (Valenz, Arousal und Dominanz)
bedeutsame Rolle (Götz, Frenzel, Pekrun & Hall, 2006). erfasst, die jeweils durch drei grafische Figuren veran-
Inwieweit es gelingt, sich in einer Lernsituation in eine po- schaulicht werden. Man spricht in diesem Zusammenhang
sitive Stimmung zu versetzen oder auch in einer Prüfungs- auch von einem affektiven Ratingsystem.
situation Angst im Griff zu haben, wirkt sich vermutlich Schließlich gibt es eine Reihe an Methoden zur Emo-
nicht unerheblich auf die resultierenden Leistungen aus tionserfassung, die vollständig auf den subjektiven Bericht
(▶ Abschn. 9.3.7). Die Fähigkeit, Emotionen zu regulie- der Probanden verzichten. Hierzu zählt die Codierung der
ren, ist zudem ein wichtiger Bestandteil des in jüngster emotionstypischen Prosodie (d. h. des Tonfalls) oder auch
Zeit vielbeachteten Konstrukts ▶ emotionale Intelligenz der emotionstypischen Mimik. Von Paul Ekman und Kolle-
(▶  Exkurs „Emotionale Intelligenz – Populär und wissen- gen wurde das sog. „Facial Action Coding System“ (FACS)
schaftlich“). entwickelt. Im FACS werden kleinste, den Gesichtsaus-
druck bewirkende Muskelbewegungen erfasst und in
ihrer Kombination für die Kodierung diverser diskreter
9.2 Erfassung von Emotionen Emotionen herangezogen (Ekman, Friesen & Hager, 2002).
Die zentral-physiologischen Prozesse, die beim Erleben
Eine der größten Herausforderungen bei der Auseinander- von Emotionen ablaufen, lassen sich anhand von bildge-
setzung mit Emotionen liegt in deren Erfassung bzw. Diag- benden Verfahren (z. B. fMRT) und durch Messungen der
nostik. Da Emotionen definitionsgemäß durch subjektives Gehirnströme (z. B. EEG) erfassen. Schließlich kann man
206 Kapitel 9 • Emotionen

Exkurs  |       | 
1
Emotionale Intelligenz – Populär und wissenschaftlich
2 Daniel Golemans Buch „Emotionale Sie definieren emotionale Intelligenz nehme als auch unangenehme Gefühle
Intelligenz“ (Goleman, 1997) ist öffentlich als Gesamtheit von vier Fähigkeiten: offen zu bleiben, sich auf Emotionen
viel beachtet worden und hat unter Laien Wahrnehmen, Verstehen, Integrieren und einlassen zu können oder sich von ihnen
3 wie Wissenschaftlern eine engagierte Regulieren der eigenen Emotionen und loszulösen, je nachdem, ob sie als dienlich
Debatte ausgelöst. Goleman ist der Frage der Emotionen anderer (Mayer & Salovey, eingeschätzt werden; und zudem natür-

4 nachgegangen, was eigentlich den „Le-


benserfolg“ eines Menschen ausmacht,
1997; zu diesem und weiteren Modellen
Emotionaler Intelligenz vgl. Neubauer &
lich die Fähigkeit, Emotionen bei sich und
anderen aufrechtzuerhalten, zu steigern
d. h. beruflich erfolgreich zu sein, von Freudenthaler, 2006). Zur Wahrnehmung oder zu senken.

5 seinen Mitmenschen akzeptiert und


geachtet zu werden, Freunde zu haben
zählt hierbei die Fähigkeit, Emotionen
zu erkennen und diskrete Emotionen
Insbesondere Golemans Ansatz ist inso-
fern kritisierbar, als emotionsbezogene
und insgesamt mit seinem Leben zufrie- auseinanderzuhalten, aber auch „ehrliche“ Fähigkeiten vermutlich in ähnlichem Aus-
6 den zu sein. Seine zentrale Aussage war,
dass hierzu der traditionell definierte IQ
und „unehrliche“ Gefühlsausdrücke unter-
scheiden zu können. Das Verstehen von
maß erlernbar sind wie andere kognitive
Fähigkeiten. Auch die fachwissenschaftli-
weniger ausschlaggebend sei als bisher Emotionen beinhaltet, auch komplexe chen Ansätze zur emotionalen Intelligenz
7 angenommen wurde. Vielmehr sei dazu
eine ausgeprägte emotionale Intelligenz
und simultan auftretende Emotionen
zu durchschauen, die Bedeutung, die
sind kritisiert worden; es wird beispiel-
weise argumentiert, die beschriebenen
notwendig, d. h. der intelligente Umgang Emotionen über Beziehungen vermitteln, Fähigkeiten seien in der Psychologie seit
8 mit den eigenen Emotionen und denen interpretieren zu können und poten- Langem beschriebene Persönlichkeits-
von Mitmenschen. Der besondere Reiz an zielle Übergänge zwischen Emotionen eigenschaften oder auch letztlich die
dieser Form der Intelligenz: Diese Fähig- auszumachen. Integrieren bedeutet, Anwendung von traditionell definierter
9 keit sei erlernbar. sich Emotionen zunutze zu machen, Intelligenz in sozialen Situationen.
Die fachwissenschaftliche Betrachtung um das eigene Denken zu verbessern, Die Kernannahme, dass Erfolg im Leben
des Konstrukts „emotionale Intelligenz“ beispielsweise sich selbst in bestimmte nicht allein von kognitiven Kompetenzen
10 wurde insbesondere durch die For- Stimmungen zu versetzen, um seine abhängt, sondern dass auch emotions-
schungsarbeiten von Mayer und Salovey Aufmerksamkeit zu verbessern und um bezogene Faktoren eine wichtige Rolle
geprägt (auch Golemans Ausführungen ein Ziel besser zu erreichen. Regulieren spielen, ist unumstritten.
11 stützen sich stark auf deren Arbeiten). schließlich beinhaltet, sowohl für ange-

12
Exkurs  |       |  auch anhand von peripher-physiologischen Messdaten
Hinweise auf das emotionale Erleben von Probanden er-
13 Erfassung von Prüfungsangst: AFS und DAI langen. Hierzu zählen die Erfassung des Hautwiderstands,
Der „Angstfragebogen für Schüler“ (AFS) von Wiecierkowski der Herzfrequenz oder des Blutdrucks. Auch bestimmte
14 et al. (1974) und das „Differenzielle Leistungsangstinventar“
(DAI) von Rost und Schermer (1997) sind zwei einschlägige
im Blut bzw. im Speichel nachweisbare Botenstoffe – ins-
normorientierte Verfahren, die sich für die Erfassung von Prü-
besondere Cortisol – werden in Studien häufig als Indika-
15 fungsangst und weiteren schulbezogenen Ängsten eignen. toren erhöhter emotionaler Erregung (Angst bzw. Stress)
Der AFS ist ein mehrfaktorieller Fragebogen, der die ängstli- herangezogen.
chen und unlustvollen Erfahrungen von Schülern unter drei
16 Aspekten erfasst: Prüfungsangst, allgemeine („manifeste“)
Angst und Schulunlust. Ferner enthält er eine Skala zur Er-
9.3 Leistungsemotionen
fassung der Tendenz von Schülern, sich angepasst und sozial
17 erwünscht darzustellen. Es liegen Normen für Schüler von
9–17 Jahren (3.–10. Schulklasse) vor. Je nach Alter beträgt 9.3.1 Definition und Taxonomisierung
die Bearbeitungszeit 10–25 Minuten. Er kann im Einzel- und
18 Gruppenverfahren durchgeführt werden. Der AFS eignet
Unter Leistungsemotionen („achievement emotions“)
sich zur Erfassung des Ausmaßes der Angstathmosphäre in
werden diejenigen Emotionen von Schülern verstanden,
19 Schulklassen sowie zur individuellen Diagnostik, Therapiein-
dikation und -kontrolle. die sie in Bezug auf leistungsbezogene Aktivitäten und
Das DAI ist eine Fragebogenbatterie zur Erfassung multipler die Leistungsergebnisse dieser Aktivitäten erleben (Pek-
20 Facetten von Leistungsängstlichkeit. Es besteht aus vier
Bereichen: Angstauslösung, Angstmanifestation, Angst-Co-
run, 2006). Zwischenmenschliche Gefühle wie Sympathie
oder Abneigung sind somit eher nicht dieser Gruppe von
pingstrategien sowie Angststabilisierung. Es liegen Normen
Emotionen zuzuordnen. Im pädagogischen Kontext han-
21 für Schüler der 8.–13. Schulklasse vor. Das DAI kann im Einzel-
und Gruppenverfahren durchgeführt werden. Es ist hinsicht- delt es sich bei entsprechenden Aktivitäten vor allem um
lich Ursachen, Diagnoseansätzen und Modifikationsmöglich- Lernaktivitäten; Lernemotionen – als spezielle Teilgruppe
22 keiten von Leistungsängstlichkeit sehr aufschlussreich. der Leistungsemotionen – spielen hier deshalb eine we-
sentliche Rolle.
9.3 • Leistungsemotionen
207 9

.. Tab. 9.1  Klassifikation von Leistungsemotionen

Positiv (angenehm) Negativ (unangenehm)

Fokus: Aktivität aktuell Lernfreude Langeweile, Frustration

Fokus: Ergebnis prospektiv Hoffnung Angst, Hoffnungslosigkeit

retrospektiv – Ergebnisfreude, Erleichterung, Stolz Trauer, Enttäuschung, Scham/Schuld, Ärger


selbstbezogen

retrospektiv – Dankbarkeit, Schadenfreude Ärger, Neid, Mitleid


fremdbezogen

Definition  
onen. Liegt der Objektfokus auf Ergebnissen, kann
Lernsituationen seien als Situationen definiert, in der zeitliche Bezug prospektiv oder retrospektiv sein.
denen man sich intentional mit einem inhaltlich Zu prospektiven Emotionen zählen beispielsweise
definierten Lerngegenstand mit dem Ziel auseinan- Hoffnung und Angst.
dersetzt, seine Kompetenzen und Wissensbestände in
diesem Gegenstandsbereich zu erweitern (nicht- Vor allem bei retrospektiven Emotionen erscheint zudem
intentionales Lernen bzw. implizites Lernen sind hier eine weitere Klassifikation hinsichtlich des persönlichen
nicht angesprochen). Von Leistung ist dann die Rede, Bezugs sinnvoll, um zu unterscheiden, ob sie selbst- oder
wenn das eigene Handeln und die eigene Tüchtigkeit fremdbezogen sind. Stolz ist eine typische selbstbezogene
im Hinblick auf einen Gütemaßstab bewertet werden Emotion, die man erlebt, wenn man auf eine eigene Er-
(Rheinberg, 2004). rungenschaft zurückblickt. Dankbarkeit ist ein Beispiel
einer fremdbezogenen Emotion, die auftritt, wenn man
einen Erfolg jemand anderem zu verdanken hat. Auch die
Unabhängig davon, dass der Gütemaßstab zur Bewertung Emotion Ärger wird meist als fremdbezogen dargestellt
von Leistungen in unterschiedlichen Bezugsnormen veran- (man ärgert sich über eine andere Person). Interview-
kert sein kann (individuell, sozial oder sachlich ▶ Kap. 7), studien von Molfenter (1999) ist jedoch zu entnehmen,
impliziert eine Bewertung entlang eines solchen Gütemaß- dass Ärger in Lern- und Leistungssituationen durch die
stabes häufig ein eindeutiges Urteil: Erfolg oder Misserfolg. Teilnehmer gleichermaßen unter selbst- wie unter fremd-
Da es sich bei Lernsituationen immer auch um Leistungssi- bezogener Perspektive beschrieben wurde. Ein Interview-
tuationen handelt, sind Lernemotionen als eine Teilgruppe beispiel für selbstbezogenen Ärger während einer Prü-
der Leistungsemotionen aufzufassen. fung ist folgende Aussage eines Teilnehmers: „Ich habe
Um Leistungsemotionen theoretisch zu taxonomisie- mich geärgert, weil ich genau gewusst habe, das Thema
ren, hat Pekrun (2006; auch Pekrun & Jerusalem, 1996) beherrsche ich eigentlich, aber ich werde es aufgrund
vorgeschlagen, Valenz, Objektfokus und zeitlichen Be- meiner Desorientiertheit nicht so verkaufen können,
zug als wichtige Ordnungskriterien zu berücksichtigen wie ich es eigentlich könnte“; ein Beispiel für fremdbe-

-
(. Tab. 9.1).
Valenz unterscheidet positive (subjektiv angenehme)
zogenen Ärger folgende Aussage: „Ich war dann schon
ein bisschen verärgert … Weil ich gedacht habe, ach, was

- von negativen (subjektiv unangenehmen) Emotionen.


Anhand des Objektfokus wird unterschieden, ob die
Emotionen primär auf die Aktivität oder auf das Leis-
tungsergebnis dieser Aktivität gerichtet sind (Erfolg
reitet der Prüfer denn jetzt auf den Details herum, wenn
mein Themengebiet eigentlich etwas ganz anderes mehr
anbieten würde.“

- vs. Misserfolg).
Der zeitliche Bezug beschreibt, ob der Fokus beim
Erleben einer Emotion eher auf die Zukunft (pro-
spektiv), auf die gegenwärtige Tätigkeit (aktuell)
9.3.2 Fachspezifität
von Leistungsemotionen

oder zurückblickend auf ein Ergebnis (retrospektiv) Kann man vom emotionalen Erleben eines Schülers in
gerichtet ist. Bei einem auf die Aktivität gerichteten einem bestimmten Fach (z. B. Mathematik) auf das emo-
Objektfokus ist der zeitliche Bezug grundsätzlich tionale Erleben in einem anderen Fach (z. B. Deutsch)
die Gegenwart, d. h. die momentan durchgeführte schließen? Neuere Studien zur Fachspezifität von Emoti-
Tätigkeit. Lernfreude, Langeweile oder auch Frust- onen zeigen deutlich, dass dies nur sehr begrenzt mög-
ration beim Lernen sind Beispiele für solche Emoti- lich ist (Götz, Frenzel, Pekrun, Hall & Lüdtke, 2007). Die
208 Kapitel 9 • Emotionen

Exkurs  |       | 
1
Langeweile – Eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion
2 Insbesondere Philosophen waren es, die kungen. Vielmehr weisen Studien darauf von Langeweile im Unterricht folgende
sich intensive Gedanken zur Langeweile hin, dass Langeweile vor allem negative Aspekte von Schülern der 9. Jahrgangs-
gemacht haben (z. B. Seneca, Arthur Scho- Konsequenzen hat, wie beispielsweise stufe genannt (beginnend mit dem am
3 penhauer, Søren Kierkegaard, Martin Hei- deviantes Verhalten, Delinquenz, Abusus häufigsten Genannten):
degger) – Nietzsche nannte sie beispiels- psychotroper Substanzen, Spielsucht, 1. Unterrichtsgestaltung (z. B. Abwechs-

4 weise die „Windstille der Seele“. Empirisch


ist Langeweile noch wenig erforscht.
Übergewicht und schwache Leistungen
(Harris, 2000; Vodanovich & Kass, 1990).
lungsarmut)
2. spezifische Unterrichtsthemen und
Im Kontext der wissenschaftlichen Was die Wirkungen von Langeweile -inhalte (z. B. „trockene“ Themen)

5 Auseinandersetzung mit Langeweile zeigt


sich ein definitorischer Minimalkonsens
anbelangt, so können diese durchaus
positiv sein, z. B. im Hinblick auf die
3. Ursachen in der Person des Schülers
(z. B. Verständnisprobleme) oder des
zumindest in zwei Aspekten: Initiierung kreativer Prozesse im Sinne Lehrers (z. B. „ausgepowerte“ Lehrer)
6 1. Bei Langeweile handelt es sich um
einen subjektiv als schwach negativ
von Inkubationsphasen. Allerdings
weisen Studien darauf hin, dass sie vor
sowie wahrgenommene Eigenschaf-
ten des Fachs (z. B. Sinnlosigkeit des
erlebten Gefühlszustand. allem mit einer Vielzahl negativer Aspekte Fachs).
7 2. Langeweile ist durch ein subjektiv
langsames Verstreichen der Zeit (Zeit-
einhergeht, wie beispielsweise deviantem
Verhalten, Delinquenz, Abusus psychotro-
Eine weitere Studie (Götz, Frenzel &
Pekrun, 2007a; 9. Jahrgangsstufe) deutet
dilatation) im Sinne der Wortbedeu- per Substanzen, Spielsucht, Übergewicht darauf hin, dass Schüler beim Erleben von
8 tung von „lange Weile“ geprägt. und schwachen Leistungen (Harris, 2000; Langeweile im Unterricht fast ausschließ-
Was den ersten Punkt anbelangt, so Vodanovich & Kass, 1990). Im pädago- lich meidensorientierte, d. h. nicht lern-
deuten jedoch aktuelle Studien darauf gisch-psychologischen Kontext stellt und leistungsförderliche Strategien zu ih-
9 hin, dass Langeweile in spezifischen Langeweile unter dem Gesichtspunkt der rer Bewältigung einsetzten (mentale oder
Situationen durchaus auch als positiv ineffektiven Nutzung von „Humanressour- behaviorale Flucht). Viele Schüler geben
erlebt werden kann, in manchen Fällen cen“ ein untersuchungsrelevantes Konst- an, die Langeweile einfach zu „ertragen“.
10 hingegen auch als sehr negativ. Es gibt rukt dar – Studien deuten darauf hin, dass Langeweile kann wohl insgesamt als eine
erste Ansätze, statt „der“ Langeweile, die sich Schüler je nach Fach sehr häufig im „tückische“ Emotion bezeichnet werden:
Unterricht langweilen (z. B. Nett, Götz & Obwohl sie mit zahlreichen negativen
11
in der Regel eher unangenehm erlebt
wird, verschiedene Langeweileformen Hall, 2011; Larson & Richards, 1991) und Konsequenzen einhergeht, scheint sie,
zu unterscheiden (z. B. indifferente dass dies negative Folgen für Aufmerk- wenn überhaupt, meist nicht lern- und

12 Langeweile als eine eher positiv und


reaktante Langeweile als eine negativ
samkeit, Lernmotivation, die Nutzung von
Lernstrategien sowie resultierende Schul-
leistungsförderlich reguliert zu werden
(Nett, Götz & Daniels, 2010), da sie von
erlebte Langeweileform; s. Götz & Frenzel, und Studienleistungen hat (vgl. Pekrun, Schülern als relativ schwach negativ

13 2006; Götz, Frenzel, Hall, Nett, Pekrun &


Lipnevich, 2014). Allerdings gibt es bisher
Goetz, Daniels, Stupnisky & Perry, 2010).
In einer Interviewstudie von Götz, Frenzel
erlebt wird und in subjektiv als unwichtig
eingestuften Situationen auftritt.
kaum Belege für solche positiven Wir- und Haag (2006) wurden als Ursachen
14
9.3.3 Auftretenswahrscheinlichkeit
15 Zusammenhänge zwischen dem emotionalen Erleben in
von Leistungsemotionen
unterschiedlichen Fächern sind insgesamt gering und am
deutlichsten für inhaltlich „verwandte“ Fächer wie Mathe- und ihre Relevanz für Leistung
16 matik und Physik oder Deutsch und Englisch. Für ältere und Wohlbefinden
Schüler sind die Zusammenhänge insgesamt noch schwä-
17 cher als für jüngere, d. h. das Ausmaß an Fachspezifität Im Zentrum des Forschungsinteresses und der Theoriebil-
emotionalen Erlebens scheint im Laufe der Schulzeit grö- dung zu Emotionen im Lern- und Leistungskontext stand
ßer zu werden (Götz et al., 2007). Die empirischen Ergeb- traditionell die Prüfungsangst. Zu Ursachen, Wirkungen
18 nisse zeigen somit deutlich: Es gibt weniger den allgemein und möglichen Interventionsstrategien bezüglich Prü-
prüfungsängstlichen, lernfreudigen oder gelangweilten fungsangst liegen umfangreiche Erkenntnisse vor. Andere
19 Schüler; Schüler erleben vielmehr unterschiedlich stark Emotionen wie Stolz und Scham, Ärger oder Langeweile
ausgeprägte Emotionen in den diversen Fächern. Ähnli- haben dagegen bisher vergleichsweise wenig Forschungs-
20 che Befunde gibt es auch in der Forschung zu Motivation, aufmerksamkeit gefunden (▶  Exkurs „Langeweile – Eine
Selbstkonzept sowie Selbstregulation (▶ Kap. 3, ▶ Kap. 7, allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion“). Angst
▶ Kap. 8). Daraus ist zu schließen, dass es für Lehrkräfte ist jedoch nicht die einzige Emotion, die im Lern- und
21 wichtig ist, das emotionale Erleben einzelner Schüler fach- Leistungskontext auftritt und von Bedeutung ist. Pek-
spezifisch zu beurteilen und entsprechend spezifisch zu in- run (1998) hat in einer Interviewstudie mit Schülern der
22 tervenieren und zu fördern. Oberstufe (56 Gymnasiasten der Klassen 11, 12 und 13)
9.3 • Leistungsemotionen
209 9

das emotionale Erleben im Lern- und Leistungskontext oder „Kuschelpädagogik“ zu verfallen, gebietet eine ernst-
exploriert. In diesen Interviews wurde nach dem Emoti- hafte Auseinandersetzung mit Emotionen im Lern- und
onserleben in Bezug auf vier verschiedene Situationstypen Leistungskontext, dass ein Augenmerk auf solche Aspekte
gefragt (Schulunterricht, häusliches Lernen bzw. Hausauf- des Wohlbefindens von Schülern gelegt wird.
gaben, mündliche und schriftliche Prüfungen sowie Situ-
ationen der Leistungsrückmeldung bzw. Rückgaben von
Prüfungsergebnissen). Entgegen der intuitiven Annahme, 9.3.4 Versuch einer Abgrenzung
dass Lern- und Leistungssituationen vorwiegend durch von Emotionen und Kognitionen
negatives emotionales Erleben geprägt sind, zeigte sich als im Lern- und Leistungskontext
Ergebnis, dass positive und negative Emotionen in etwa
gleich häufig genannt wurden. Insbesondere Freude und Was ist das Spezifikum von Emotionen, gerade auch in
Erleichterung wurden etwa ebenso häufig genannt wie Abgrenzung zu Konstrukten wie Fähigkeitsselbstkonzep-
Angst. Aufgrund der kleinen und spezifischen Stichprobe ten oder Erwartungen? Bei diesen kognitiven Konstruk-
ist die Generalisierbarkeit dieser Befunde eingeschränkt. ten handelt es sich um psychische Repräsentationen, die
Interviews mit Studierenden ergaben jedoch vergleichbare selbst- oder aufgabenbezogene Überzeugungen beinhal-
Ergebnisse (Pekrun, 1998). ten. Diese implizieren zunächst keine Bewertung (z. B. „In
In den letzten 15  Jahren wurden dementsprechend Diktaten mache ich in der Regel wenige Fehler“ im Sinne
auch Emotionen jenseits der Angst in den Blick der pä- eines Selbstkonzepts, „Diese Mathe-Aufgabe kann ich
dagogisch-psychologischen Forschung genommen. Man wahrscheinlich lösen“ im Sinne einer Erfolgserwartung).
ist sich heute einig, dass Emotionen eine zentrale Rolle für Sind Emotionen im Spiel, findet eine affektive Wertung
die Erklärung von Schülerreaktionen auf schulische He- statt – d. h., die Tatsache, ob man viele oder wenige Fehler
rausforderungen spielen. Zudem werden Emotionen als im Diktat macht, bekommt dann eine emotionale Färbung,
relevant für die Auslösung, Aufrechterhaltung oder Redu- wenn die Zahl der Fehler von Bedeutung ist. Da in unserer
zierung von Anstrengung in Lern- und Leistungssituatio- leistungsorientierten Gesellschaft Kompetenzen eine zent-
nen und damit als zentrale Prädiktoren von Lernleistungen rale Rolle spielen, sind Fähigkeitseinschätzungen vermut-
angesehen (Schutz & Pekrun, 2007). lich grundsätzlich emotional gefärbt (▶ Exkurs „Selbstwert-
Emotionen sind jedoch nicht nur im Kontext der un- theorie – Weitreichende ‚gefühlte‘ Folgen von Misserfolg“). Es
mittelbaren Vorhersage schulischen oder universitären ist uns nicht gleichgültig, wie viele Rechtschreibfehler wir
Lern- und Leistungsverhaltens von Bedeutung. Angesichts machen, wenn uns jemand etwas diktiert, oder wie gut wir
der rasanten Veränderungen unserer modernen Welt ist eine Mathematikaufgabe beherrschen. Beantwortet man
lebenslanges Lernen unumgänglich geworden. Immer wie- beispielsweise das Item „Diese Mathe-Aufgabe kann ich
der wird man mit neuen, unbekannten Aufgaben konfron- wahrscheinlich lösen“ mit „Stimmt eher nicht“, so impli-
tiert und einmal erworbene Kompetenzen sind weniger ziert dies häufig schon eine negative emotionale Selbstbe-
als früher ein Garant für Lebenserfolg. Die Gefühle, die wertung (auch ▶ Kap. 8).
man mit Lernen und Leistung verbindet, und die mit ihnen Kognitionen und Emotionen sind im Leistungskontext
verknüpfte Bereitschaft, sich wiederholt in Lernsituationen also eng assoziiert und auch theoretisch gibt es zwischen
zu begeben, dürften daher über die gesamte Lebensspanne beiden Überlappungen. Allerdings gilt es zu beachten,
von Bedeutung sein. Neben der Vermittlung von Wissen dass Verhaltensvorhersagen rein aufgrund „kühler“ kog-
und Kompetenz sollte es deshalb ein ebenso wichtiges Ziel nitiver Variablen manchmal misslingen, und es hilfreich
von Unterricht sein, eine positive emotionale Einstellung sein kann, Emotionen zu berücksichtigen, um Leistungs-
gegenüber Lernen und Leistung zu erzeugen. handeln zu verstehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie
Schließlich sind Emotionen, wie oben bereits erwähnt, von Boekaerts und Kollegen (Boekaerts, 2007). In dieser
auch wichtige Bestandteile des allgemeinen Wohlbefindens Studie wurden 357 Schüler der Mittelstufe gebeten, anhand
und der psychischen Gesundheit. Unabhängig von ihren von Tagebüchern ihre Kompetenz, Anstrengung und ihre
Wirkungen auf Leistung verdienen sie damit Aufmerksam- Gefühle beim Erledigen der Mathematik-Hausaufgaben
keit in pädagogisch-psychologischen Kontexten (Hascher, zu beschreiben. Unter der Annahme einer rein „kühlen
2004). Ist das emotionale Erleben eines Schülers von Angst, Berechnung“ würde man erwarten, dass es aufgrund von
Ärger und Langeweile geprägt, ist davon auszugehen, dass Rückkopplungsschleifen zu einer Anpassung der Anstren-
sein allgemeines Wohlbefinden gering ist. Gelingt es hin- gung aufgrund der Kompetenzeinschätzung kommt: Hält
gegen Eltern und Schulen, bei Schülern die Freude am Ler- sich ein Schüler für kompetent und schätzt die Hausauf-
nen in den Mittelpunkt zu rücken, ist somit ihr gesamtes gabe als leicht ein, kann er oder sie die Anstrengung re-
Wohlbefinden positiver ausgeprägt. Ohne dabei in „Spaß-“ duzieren. Umgekehrt sollte eine niedrige eigene Kompe-
210 Kapitel 9 • Emotionen

Exkurs  |       | 
1
Selbstwerttheorie – Weitreichende „gefühlte“ Folgen von Misserfolg
2 Martin Covington (1992) hat mit seiner nisse unerlässlich sind, sind sie manchmal wurde zudem mitgeteilt, dass Leistungen
Selbstwerttheorie das Zusammenspiel doch zögerlich, volle Anstrengung zu in- bei diesem Aufgabentyp recht stark durch
zwischen Emotionen, Anstrengung und vestieren, da in diesem Fall ein möglicher Symptome von Prüfungsangst beein-
3 Leistung aufschlussreich beleuchtet. Die Misserfolg mit maximalen emotionalen trächtigt würden. Einem weiteren Drittel
Kernaussage seiner Theorie besagt, dass Kosten einhergehen würde. Daher legen wurde mitgeteilt, dass Prüfungsangst

4 der Selbstwert von Personen (also die


Überzeugung, „wertvolle“ und liebens-
viele Lernende sog. „Self-Handicapping“
an den Tag. Self-Handicapping bedeutet,
für den Aufgabentyp keine Auswirkung
haben sollte, den restlichen Studenten
werte Menschen zu sein und sich selbst bewusst (oder unbewusst) Hindernisse für wurde dazu nichts gesagt. Bevor sie

5 akzeptieren zu können; auch ▶ Kap. 8)


eng an ihre Erfolge und Kompetenzüber-
den eigenen Erfolg zu schaffen, d. h., sich
Ausreden für einen möglichen Misserfolg
die gleiche Aufgabe erneut absolvieren
sollten, wurden die Probanden gebeten,
zeugungen geknüpft ist. Covington ar- zurechtzulegen. Diese Ausreden dienen jegliche Symptome von Prüfungsangst
6 gumentiert, dass es in unserer modernen
Gesellschaft die Tendenz gibt, die Wertig-
dazu, dass ein Misserfolg im Nachhi-
nein relativierend auf die gegebenen
zu beschreiben, die sie erlebten. Es
zeigte sich, dass die Teilnehmer mit stark
keit von Personen durch ihre Leistungen Umstände zurückgeführt werden kann ausgeprägter Prüfungsangst unter der
7 zu definieren, und dass viele Schüler da-
her Kompetenz (insbesondere Kompetenz
– mit reduzierten Kosten für den eigenen
Selbstwert („Dafür, dass ich in der Nacht
Bedingung „Prüfungsangst relevant für
Leistung“ viel stärkere Symptome berich-
im schulischen Bereich) mit Wertigkeit vor der Prüfung noch so lang gefeiert teten, als unter der Bedingung „irrelevant“
8 gleichsetzen. Dementsprechend wird habe, war ich doch noch recht gut“). Zu oder „neutral“. Die Teilnehmer mit gering
Misserfolg ein Indikator für die „Wertlo- typischen Self-Handicapping-Strategien ausgeprägter Prüfungsangst berichteten
sigkeit“ einer Person, was erklärt, warum zählt Prokrastination (d. h. exzessives unter allen drei Bedingungen ähnlich
9 Schüler im Misserfolgsfall häufig sehr Aufschieben des Lernens bis zur letzten wenige Symptome. Bei Personen mit stark
emotional reagieren (mit Verzweiflung, Minute), aber auch der Konsum von ausgeprägter Prüfungsangst können also
Minderwertigkeits- und Schuldgefüh- Alkohol und Drogen oder bewusste Symptome allein deswegen verstärkt auf-
10 len). Dies gilt besonders dann, wenn der Selbstbeeinträchtigung durch wenig treten oder wahrgenommen werden, weil
Misserfolg von den Schülern auf ihre Schlaf vor einer Prüfung oder schlicht sie als Ausrede für schlechtes Abschnei-
mangelnde Fähigkeit zurückgeführt wird geringe Anstrengung beim Lernen. den dienen können.
11 (▶ Abschn. 9.3.6). Eine solche fähigkeits- Sogar Prüfungsangst kann in diesem Für Lehrkräfte bedeuten diese Befunde,
basierte Misserfolgsattribution liegt Sinne als selbstwertdienliche Ausrede dass sie mangelnde Anstrengung von

12 insbesondere dann nahe, wenn man sich


besonders angestrengt hatte (trotz all der
wirken. Smith, Ingram und Brehm (1983)
konnten dies in einem Experiment zeigen.
Schülern unter Umständen nicht auf
deren Unwillen oder mangelnde Motiva-
Anstrengung hat man versagt, dann muss An diesem Experiment nahmen jeweils tion zurückführen sollten, sondern auch

13 man wohl inkompetent sein). Gemäß


dieser Annahmen ist die Investition
zur Hälfte Probanden mit stark bzw.
gering ausgeprägter Prüfungsangst teil.
unter dem Aspekt des Selbstwertschutzes
betrachten sollten. Insbesondere auch für
von Anstrengung als „zweischneidiges Sie mussten eine (prüfungsrelevante) Eltern ist zudem eine wichtige Schluss-
14 Schwert“ zu sehen (Covington & Omelich,
1979): Obwohl sich Lernende durchaus
Aufgabe absolvieren. Allen wurde nach
der ersten Hälfte rückgemeldet, sie hätten
folgerung, dass darauf geachtet werden
sollte, die Wertschätzung der eigenen
bewusst sind, dass Anstrengung und schwach abgeschnitten. Jeweils einem Kinder nicht an deren Leistungsfähigkeit
15 Lernaufwand für gute Leistungsergeb- Drittel der Studenten in jeder Gruppe zu koppeln.

16 tenzeinschätzung dazu führen, dass erhöhte Anstrengung längerte Auseinandersetzung mit den Aufgaben umgangen
investiert wird. In der Studie stellte sich jedoch heraus, dass und Anstrengung reduziert wurde.
17 das Gegenteil der Fall ist: Je höher die selbsteingeschätzte
Kompetenz, desto mehr Anstrengung investierten die
Schüler; je geringer sie ihre Kompetenz für die gestellten 9.3.5 Entwicklungsverläufe
18 Hausaufgaben einschätzten, desto weniger strengten sie von Emotionen im Lern-
sich an. Boekaerts und Kollegen konnten zeigen, dass die und Leistungskontext
19 Gefühle der Schüler hier eine vermittelnde Rolle spielen.
Bei hoch eingeschätzter Kompetenz berichteten die Teil- Es gibt eine Reihe von Forschungsarbeiten zu frühkind-
20 nehmer positive Emotionen (Freude, Zufriedenheit), die lichen und vorschulischen Formen von Leistungsemo-
offensichtlich als „kraftspendende“ Ressourcen dienten, die tionen, insbesondere zu Stolz und Scham (Lagattuta &
Aufgaben als Herausforderung zu sehen und bereit zu sein, Thompson, 2007; Lewis, 2000). Als Ergebnis dieser Arbei-
21 Anstrengung zu investieren. Niedrige Kompetenzeinschät- ten sind sich Entwicklungspsychologen einig, dass Kinder
zungen dagegen gingen mit negativen Emotionen einher ca. im Alter von 3 Jahren in der Lage sind, zumindest die
22 (Angespanntheit, Unzufriedenheit, Ärger), die Vermei- basalen kognitiven Prozesse zu durchlaufen, die das Erle-
dungsverhalten hervorriefen, mit der Folge, dass eine ver- ben von Stolz und Scham ermöglichen: Sie haben dann ein
9.3 • Leistungsemotionen
211 9

Bewusstsein ihres Selbst, erkennen und beachten äußere die Schüler die schulischen Anforderungen insbeson-
Standards zur Beurteilung von Leistungen und sie interna- dere im Verlauf der Sekundarstufe noch einmal als stark
lisieren diese Standards für ihre Selbstbewertung. Im Alter ansteigend. Somit ist eine zunehmende Anstrengung er-
zwischen 3 und 5 Jahren verbessern sie diese Fähigkeiten forderlich, um den eigenen und den Erwartungen ande-
durch ihre rapide Sprachentwicklung; sie sind nun auch in rer (Eltern, Lehrkräfte) weiter gerecht zu werden. Diese
der Lage, Standards selbst zu benennen, Stolz und Scham erhöhte Investition an Anstrengung bringt offensichtlich
bei sich selbst und anderen zu erkennen und verbal zu be- emotionale Kosten mit sich. Zudem wird argumentiert,
zeichnen. Allerdings haben Kinder in diesem Alter noch dass insbesondere im Laufe der Adoleszenz außerschuli-
Schwierigkeiten, Stolz von Freude zu differenzieren, und sche und soziale Themen mit den schulischen Themen zu
zeigen positive emotionale Reaktionen als Ergebnis jeder konkurrieren beginnen. Akademische Inhalte werden des-
Art von Erfolg, egal ob dieser aufgrund ihrer eigenen An- halb als langweiliger erlebt und der Ärger, sich mit diesen
strengung oder aufgrund von günstigen äußeren Bedin- und nicht mit anderen subjektiv als wichtiger eingestuften
gungen (z. B. einfache Aufgabe) eingetreten ist. Diese Un- Inhalten beschäftigen zu müssen, steigt an. Schließlich
terscheidung treffen sie erst ab dem Alter von ca. 8 Jahren. können vermutlich auch sich verändernde Instruktions-
Zudem gibt es vereinzelte Längsschnittstudien zur strukturen und Klassenklimata für die negativen emoti-
Entwicklung von Leistungsemotionen ab dem Schul­ onalen Entwicklungsverläufe mitverantwortlich gemacht
eintritt. Diese zeichnen ein wenig erfreuliches Bild: Das werden: Mit ansteigenden Klassenstufen erhöht sich der
durchschnittliche Ausmaß an negativen Emotionen scheint Wettbewerb unter den Schülern, es scheinen vermehrt tra-
im Laufe der Schulzeit eher anzusteigen, jenes positiver ditionelle, lehrerzentrierte Unterrichtsstrategien eingesetzt
Emotionen hingegen abzusinken. Für die Prüfungsangst ist zu werden und der persönliche Kontakt zwischen Lehr-
gezeigt worden, dass sie insbesondere im Laufe der Grund- kräften und Schülern scheint abzunehmen. Inwieweit diese
schule relativ stark ansteigt und dann im Durchschnitt veränderten instruktionalen Bedingungen tatsächlich mit
der Schüler etwa konstant bleibt. Die Lernfreude dagegen vermehrt negativen und weniger positiven Leistungsemo-
scheint mit dem Beginn der Einschulung und sogar noch in tionen verknüpft sind, ist jedoch bisher kaum empirisch
der Sekundarstufe im Schülerdurchschnitt kontinuierlich erforscht worden.
abzusinken und sich erst ab der 8. Klasse zu stabilisieren Eine entscheidende Rolle für Entwicklungsverläufe von
(Helmke, 1993; Pekrun et al., 2007). So konnten Pekrun Leistungsemotionen spielen auch sog. Bezugsgruppenef-
und Kollegen (2007) in einer Längsschnittstudie zu Ent- fekte, besonders bei Entwicklungsübergängen innerhalb
wicklungsverläufen von Emotionen speziell im Fach Ma- der Schullaufbahn. In Deutschland betrifft das beispiels-
thematik zwischen der 5. und der 8. Jahrgangsstufe einen weise den Übergang von der Grundschule in Schulen des
bedeutsamen Abfall in der Freude feststellen (um mehr gegliederten Sekundarschulwesens (Hauptschule, Real-
als zwei Drittel einer Standardabweichung). Dabei sind schule, Gymnasium). Dieser Wechsel ist mit einem Wech-
die Verluste in der Freude in den Jahrgangsstufen 5 und 6 sel der Bezugsgruppe verbunden. Während die Schul-
besonders stark und schwächen sich zur 8. Klasse hin ab. klassen der Grundschule Schüler aller Leistungsniveaus
Bei der Emotion Stolz sind ähnliche Entwicklungsverläufe umfassen, ist man am Gymnasium nach dem Übergang
zu verzeichnen (Diskrepanzen zwischen der 5. und 8. Klas- mit einer relativ homogenen Bezugsgruppe leistungsstar-
senstufe von ca. einer halben Standardabweichung). Die ker Mitschüler konfrontiert, an der Hauptschule hingegen
Emotionen Angst und Scham bleiben in diesem Entwick- mit einer Bezugsgruppe leistungsschwächerer Schüler
lungszeitraum mehr oder weniger konstant, Ärger und (auch ▶ Kap. 8). Bei den Gymnasiasten verringern sich
Langeweile dagegen steigen in bedeutsamer Weise an (um damit – unter Verwendung sozialvergleichender, am Klas-
ca. eine halbe Standardabweichung; Pekrun et al., 2007). senmaßstab orientierter Normen – die Chancen zu guten
Ähnliche, zunächst eher steil und dann flacher absinkende, Leistungsbewertungen, während sie für Hauptschüler stei-
asymptotische Entwicklungsverläufe zeigen sich auch beim gen (übersichtsartig Köller, 2004). Aber nicht nur Selbst-
Interesse (z. B. Watt, 2004). konzepte sind betroffen, sondern in der Folge auch Leis-
Verschiedene Erklärungen sind für diese ungünsti- tungsemotionen von Schülern. So ist die Prüfungsangst bei
gen emotionalen Entwicklungsverläufe denkbar (auch hochbegabten Schülern in Hochbegabtenklassen stärker
▶ Kap. 7). Zum einen gelangen viele Schüler während der ausgeprägt als jene von hochbegabten Schülern in regu-
Grundschulzeit über einen (schmerzlichen) Entwicklungs- lären Klassen (Preckel, Zeidner, Götz & Schleyer, 2008).
prozess von unbändiger Neugier, universellen Interessen Götz et al. (2004) fanden zudem in einer Studie, dass sich
und fast grenzenloser Überzeugung hinsichtlich der eige- das Leistungsniveau einer Klasse unter Kontrolle der indi-
nen Fähigkeiten über wiederholte Misserfolgserlebnisse viduellen Leistung auch unabhängig von einem Schulart-
zur Einsicht in eigene Unzulänglichkeiten (Helmke, 1983; bzw. Klassenwechsel negativ auf die Entwicklung von Lern-
Jerusalem & Schwarzer, 1991). Darüber hinaus erleben freude und Angst in Mathematik von Schülern auswirkt.
212 Kapitel 9 • Emotionen

Dem Nutzen optimierter Lernbedingungen in homogen (wichtig vs. unwichtig), zum anderen eine Beurteilung
1 leistungsstarken Lerngruppen stehen demzufolge nicht un- der Valenz (positiv vs. negativ bzw. konsistent vs. inkon-
erhebliche emotionale Kosten gegenüber. Umgekehrt kann sistent mit den eigenen Bedürfnissen). Beim sekundären
2 sich ein Übergang in leistungsschwächere Bezugsgruppen Appraisal wird beurteilt, wie die Situation zustande ge-
unter Umständen durchaus psychosozial positiv auswir- kommen ist (fremd- oder selbstverursacht), ob man über
ken, wenn die betroffenen Schüler dann nicht mehr zu den geeignete Ressourcen verfügt, um mit der Situation um-
3 Leistungsschwachen zählen und im sozialen Vergleich mit zugehen (Coping-Potenzial) und ob zu erwarten ist, dass
ihren Mitschülern besser abschneiden. sich die Situation ändert. Andere Appraisal-Theoretiker
4 unterscheiden nicht zwischen primären und sekundären
Appraisal-Dimensionen, betonen aber die Wichtigkeit
9.3.6 Ursachen von Emotionen im Lern-
5 und Leistungskontext
weiterer Aspekte, z. B., für wie wahrscheinlich man das
Eintreten einer Situation hält. Insgesamt kommen die
Appraisal-Theoretiker alle zum gleichen Schluss: Je nach-
6 Appraisal-Theorie dem, wie man eine Situation einschätzt, wird man emo-
Es gibt nur wenige Situationen oder Ereignisse, in denen tional reagieren, wobei spezifische Konstellationen von
7 alle Menschen mit den gleichen Emotionen reagieren. Zum Appraisals definieren, welche Emotion man erlebt (z. B.
Beispiel scheint den meisten von uns eine gewisse Angst Scherer, Schorr & Johnstone, 2001). So tritt z. B. die Emo-
vor Höhen, aber auch Angst vor negativer Bewertung tion Dankbarkeit in Situationen auf, die wir als persönlich
8 durch andere Personen gemein zu sein. Zum Teil sind uns relevant, positiv und durch andere Personen verursacht
emotionale Reaktionen somit gewissermaßen durch die erleben; Ärger entsteht, wenn wir den Eindruck haben,
9 Evolution in die Wiege gelegt. Die Mehrheit an Situatio- dass etwas persönlich Bedeutsames, Negatives eingetre-
nen ist jedoch nicht allgemein emotionsinduzierend. Es ten ist, das vermeidbar gewesen wäre; Angst erleben wir,
10 ist auffällig, dass wir auch in ähnlichen Situationen mal wenn etwas Negatives, persönlich Relevantes mit gewisser
mit mehr und mal mit weniger Angst, Überraschung oder Wahrscheinlichkeit auftreten kann, wir aber nur über we-
Freude reagieren. Oft reagieren auch zwei verschiedene nige Ressourcen verfügen, um es abzuwenden.
11 Personen auf ein und dasselbe Ereignis mit unterschied-
lichen Emotionen. Als eine Erklärung hierfür ist in der Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz
12 Emotionsforschung der sog. Appraisal-Ansatz entwickelt zu Leistungsemotionen
worden. Dieser besagt, dass es nicht die Situationen selbst Theoretische Annahmen
sind, die Emotionen in uns hervorrufen, sondern vielmehr Pekrun (2000; 2006) hat eine Theorie entwickelt, die auf
13 die Interpretationen der Situationen dazu führt, dass wir Appraisal-theoretischen Ansätzen fußt, aber speziell auf
bestimmte Emotionen erleben. Diese Idee ist nicht neu; Leistungsemotionen fokussiert. Er postuliert in dieser The-
14 bereits der Stoiker Epiktet schrieb: „Nicht die Dinge selbst orie, dass aus den diversen kognitiven Appraisals, die all-
beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen gemein für die Entstehung von Emotionen vorgeschlagen
15 von den Dingen“ (Schmidt, 1978, S. 24). wurden, insbesondere zwei Appraisal-Dimensionen für

Definition  
-
Leistungsemotionen bedeutsam sind. Diese sind
die subjektive Kontrolle über lern- und leistungsbe-

-
16 ▶ Appraisals sind kognitive Einschätzungen von zogene Aktivitäten und Leistungsergebnisse und
Situationen, Tätigkeiten oder der eigenen Person. Un- der Wert dieser Aktivitäten und Ergebnisse.
17 terschiedliche Konstellationen von Appraisals rufen
unterschiedliche Emotionen hervor. Subjektive Kontrolle.  Subjektive Kontrolle bezieht sich auf
wahrgenommene kausale Einflüsse auf Handlungen und
18 ihre Ergebnisse. Dazu zählen zukunftsgerichtete Kausaler-
Die Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten von Situ- wartungen (z. B. „Wenn ich mich anstrenge, dann schaffe
19 ationen ist von Appraisal-Theoretikern geordnet und ich die Prüfung!“ oder auch „Ich bin in diesem Bereich
verschiedenen Dimensionen zugeordnet worden. Weite begabt, ich werde die Prüfung schon schaffen!“), aktuelle
20 Verbreitung hat Lazarus’ Modell (Lazarus, 1991) ge- Kontrollwahrnehmungen (z. B. „Die Aufgabenstellung
funden, in dem er primäre von sekundären Appraisals verstehe ich nicht – ich kann die Aufgabe nicht bearbei-
unterscheidet. In einer Ausdifferenzierung der Theorie ten!“) ebenso wie rückblickende Kausalattributionen von
21 der primären und sekundären Appraisals für diskrete Erfolgen und Misserfolgen (z. B. „Ich bin durchgefallen,
Emotionen beschrieben Smith und Lazarus (1993), dass weil ich mich nicht genug angestrengt habe!“ oder „Ich
22 das primäre Appraisal zum einen eine Beurteilung der habe schlecht abgeschnitten, weil der Lehrer nicht den Stoff
persönlichen Bedeutsamkeit einer Situation beinhaltet abgefragt hat, der vereinbart war!“).
9.3 • Leistungsemotionen
213 9

Wert.  Ähnlich wie bei Smith und Lazarus’ „primärem


Appraisal“ beinhaltet die Kategorie Wert bei Pekrun zum
einen eine kategoriale Bedeutung (ist die Lernaktivität bzw.
das Leistungsergebnis subjektiv positiv oder negativ), zum
anderen eine dimensionale Bedeutung (wie wichtig bzw.
persönlich bedeutsam ist die Aktivität bzw. das Leistungs-
ergebnis).
Nun stellt sich die Frage, was zur Bewertung kon-
kreter Situationen und Tätigkeiten beiträgt, d. h. was die
Appraisals bestimmt. Warum bewertet man eine Prü-
fung als „machbar“ oder als unüberwindbare Hürde, als
wichtig oder unwichtig, ein Leistungsergebnis als Erfolg
oder Misserfolg? Es ist anzunehmen, dass Appraisals zum
einen durch die Situation selbst, aber auch durch die sie
wahrnehmende Person beeinflusst werden. So können si-
tuative Bedingungen die Kontrollerwartungen bestimmen
(wie z. B. Schwierigkeit der Aufgaben und Durchfallquoten
bei Prüfungen) oder die Einschätzung der Bedeutsamkeit
der Situation beeinflussen (z. B. die Gewichtung einer
Prüfung für die Gesamtnote im Abschlusszeugnis). Diese
mehr oder weniger objektiven Gegebenheiten der Situa-
tion müssen wiederum von Personen individuell beurteilt
werden. Sind die situativen Gegebenheiten unbekannt
oder unauffällig, spielen generalisierte subjektive Kon-
troll- und Wertüberzeugungen eine bedeutendere Rolle
für die Entstehung von Emotionen. Ein positives mathe-
matisches Fähigkeitsselbstkonzept wird beispielsweise
dazu beitragen, Prüfungssituationen in diesem Fach eher
als kontrollierbar und bewältigbar zu beurteilen. Ebenso
beeinflussen generalisierte Überzeugungen, beispielsweise
hinsichtlich der Relevanz eines Fachs für die eigene Karri- .. Abb. 9.3  Schema zu prospektiven Emotionen
ere, das Bedeutsamkeits-Appraisal in einer Situation. Auch
Leistungsziele (d. h. Annäherungs- bzw. Vermeidungsziele eine allbekannte, jedoch wenig untersuchte Emotion“). Das
anhand kriterialer, individueller bzw. sozial vergleichender Ausmaß, in welchem man Kontrolle in der jeweiligen Si-
Gütemaßstäbe; ▶ Kap. 7) spielen eine Rolle dafür, welche tuation erlebt, verstärkt positive Emotionen in der Regel
Kontrollierbarkeit und welche Bedeutsamkeit man Lern- und schwächt negative ab. . Abb. 9.3 zeigt beispielhaft, wie
aktivitäten und Leistungsergebnissen beimisst. Emotionen aufgrund von Kontroll- und Wert-Appraisals
Wie wirken Appraisals auf das Erleben von Emotionen entstehen können, wenn eine Leistungssituation bevorsteht
in Lern- und Leistungssituationen? Wie die derzeitige Tä- (prospektiver zeitlicher Bezug): Die situativen Gegebenhei-
tigkeit bewertet wird (angenehm oder unangenehm) bzw. ten sowie die persönlichen generalisierten Überzeugungen
ob Erfolg oder Misserfolg eingetreten ist oder möglicher- bedingen zunächst, ob man Misserfolg erwartet. Wie per-
weise eintreten wird, bestimmt zunächst die Valenz von sönlich relevant man diesen Misserfolg einschätzt und wie
Emotionen (d. h. positive oder negative Emotionen wer- man die persönlichen Ressourcen einschätzt, die Situation
den erlebt). Die Kontroll-Appraisals bestimmen zudem bewältigen zu können, trägt schließlich dazu bei, ob man
die Qualität von Emotionen, d. h. sie bestimmen, welche sich hoffnungslos, ängstlich oder erleichtert fühlen wird.
diskrete Emotion erlebt wird (bei hohem Kontrollerleben
wird man beispielsweise Vorfreude auf eine Prüfung erle- Empirische Befunde  Für die Prüfungsangst ist die Bedeu-
ben, bei geringerem hingegen Angst). Wie intensiv diese tung von mangelnder wahrgenommener Kontrolle empi-
Emotionen erlebt werden, hängt sowohl vom Ausmaß des risch gut belegt (z. B. Hembree, 1988; Zeidner, 1998): Ein
Kontrollerlebens als auch der Bedeutsamkeit ab. Dabei ver- Schüler erlebt intensivere Angst, wenn Misserfolge dro-
stärkt die Einschätzung der persönlichen Wichtigkeit so- hen, er aber z. B. aufgrund von niedrigem Selbstkonzept
wohl positive als auch negative Emotionen (eine Ausnahme bezweifelt, diese vermeiden zu können. Dass für die Inten-
stellt hierbei die Langeweile dar; ▶  Exkurs „Langeweile – sität der erlebten Angst zusätzlich auch die Bedeutsamkeit
214 Kapitel 9 • Emotionen

Exkurs  |       |  den Zusammenhang zwischen Attributionen und Emoti-


1 onen umfassend analysiert, insbesondere für Erfolge und
Die Methode der Vignetten-Aufgaben Misserfolge (Weiner, 1985, 1986; ▶ Exkurs „Die Methode der
2 zur Untersuchung des Zusammenhangs
zwischen Attributionen und Emotionen
Vignetten-Aufgaben zur Untersuchung des Zusammenhangs
zwischen Attributionen und Emotionen“).
Für eine empirische Untersuchung der postulierten
Weiner und Kollegen untersuchten zahlreiche ver-
3 Zusammenhänge zwischen Attributionen und Emotionen
schiedene Erfolgs- und Misserfolgsattributionen und die
verwandte Weiner in vielen seiner Studien sog. Vignetten-
Aufgaben. Bei diesem Paradigma werden den Probanden nachfolgenden Emotionen. Sie kamen dabei zu zwei zen-
4 kurze schriftliche Szenarien (Vignetten) vorgelegt, in denen tralen Schlüssen:
Personen beschrieben werden, die Misserfolge bzw. Erfolge 1. Erfolg und Misserfolg an sich rufen Emotionen hervor.
erleben, verbunden mit Hinweisen darauf, auf welche Ursa-
5 chen der Erfolg oder Misserfolg zurückzuführen ist. Aufgabe
Unabhängig davon, worauf man ein Leistungsergebnis
der Probanden ist es dann zu beurteilen, wie sich die in den zurückführt, erlebt man Freude bei Erfolg und Frust-
Vignetten beschriebenen Personen unter den gegebenen ration bei Misserfolg. Diese beiden Emotionen nennt
6 Umständen fühlen. Ein Beispiel für eine solche Vignette, wie Weiner daher auch ergebnisabhängige („outcome-de-
sie von Weiner und Kollegen verwendet wurde, ist: pendent“) Emotionen.
7 Es war schrecklich wichtig für Peter, in einer bevorstehenden
Prüfung gut abzuschneiden. Peter ist sehr begabt. Peter be-
2. Beginnt eine Person, nach den Ursachen für das Leis-
kam eine gute Note und glaubte, dass er das aufgrund seiner tungsergebnis zu suchen, stellen sich weitere, differen-
zierte Emotionen ein: Diese nennt Weiner attributions-
8 Begabung geschafft hat. Wie, glauben Sie, hat sich Peter
gefühlt, als er die Note erfahren hat? (Weiner, 1986, S. 122) abhängige („attribution-dependent“) Emotionen.
In dieser Vignette wurde also eine Erfolgsattribution auf
9 Begabung und damit aus Sicht des Handelnden einer
internalen, stabilen Ursache nahegelegt. Weiners Ergebnisse
Wie auch in Pekruns Kontroll-Wert-Ansatz wird hierbei
zeigten, dass viele Probanden in diesem Fall die Emotion der Dimension Kontrollierbarkeit Bedeutung dafür bei-
10 Stolz nannten. gemessen, welche diskrete Emotion erlebt wird. Zudem
wird hier noch die Dimension Lokation (internal vs. exter-
nal) berücksichtigt. Die Emotionen Stolz und Scham sind
11 von Misserfolg eine Rolle spielt, konnte Pekrun (1991) demzufolge durch Attributionen auf internale Ursachen
empirisch bestätigen. Auch in einer neueren Studie von von Erfolg und Misserfolg charakterisiert. Im Falle von
12 Frenzel, Pekrun und Götz (2007) berichteten Schüler im Attributionen auf externale Verursachung von Erfolg bzw.
Fach Mathematik dann stärkere Angst, wenn ihre Kom- Misserfolg sollte man Weiner zufolge Dankbarkeit bzw. Är-
petenzüberzeugungen in diesem Fach gering ausgeprägt ger erleben. Die dritte in der Kausalattributionsforschung
13 waren. Unabhängig von den Kompetenzüberzeugungen typischerweise berücksichtige Attributionsdimension Sta-
spielten aber zusätzlich auch die Überzeugungen der Schü- bilität beeinflusst laut Weiner vorwiegend die Erwartung
14 ler zur Bedeutsamkeit von Leistung in Mathematik eine bezüglich zukünftiger Leistungsergebnisse und das Erleben
Rolle dafür, wie viel Angst sie vor dem Fach berichteten. In von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.
15 dieser Studie konnte auch gezeigt werden, dass subjektive Interessant ist, dass wir nicht nur unseren eigenen Er-
Kontrollüberzeugungen und Überzeugungen der Bedeut- folgen und Misserfolgen Ursachen zuschreiben, sondern
samkeit von Leistung für das Erleben anderer Emotionen auch denen anderer Personen und entsprechend emotional
16 jenseits der Angst eine wichtige Rolle spielen. So zeigte sich reagieren können (▶  Exkurs „Appraisal rückwärts – Wie wir
beispielsweise, dass Schüler dann vermehrt Stolz in Mathe- von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und
17 matik berichteten, wenn sie hohe Kompetenzüberzeugun- unsere Fähigkeiten schließen“).
gen hatten und zugleich gute Leistungen in diesem Fach Die Mehrzahl der Überlegungen und Befunde zu den
für wichtig hielten. Freude am Fach Mathematik zeigte Zusammenhängen zwischen Kausalattributionen und
18 sich in dieser Studie dann als besonders ausgeprägt, wenn Emotionen geht in die 1970er und 1980er Jahre zurück.
Schüler hohe Kompetenzüberzeugungen und zugleich gute Diese gelten damit schon fast als „historische Klassiker“,
19 Leistungen in diesem Fach hatten und wenn sie das Fach auch weil sie theoretisch plausibel und empirisch gut be-
an sich positiv bewerteten. legt zu sein scheinen. Trotzdem gibt es bis heute noch
20 Für retrospektive, ergebnisbezogene Emotionen gibt es einige Uneinigkeit, beispielsweise hinsichtlich der Frage,
zudem aus der Kausalattributionsforschung zahlreiche em- inwieweit Kontrollierbarkeit für die Entstehung von Stolz
pirische Befunde. Kausalattributionen sind Ursachenzu- eine Rolle spielt – das heißt, ob eher Anstrengungs- oder
21 schreibungen für zurückliegende Ereignisse, also Antwor- Begabungsattributionen zu Stolz führen (Hareli & Wei-
ten auf die Frage „Warum ist das passiert?“ (auch ▶ Kap. 7). ner, 2002). Zudem ist die Methode der Vignetten insofern
22 Kausalattributionen können Einfluss darauf nehmen, wie teilweise kritisch zu betrachten, als durch sie ggf. keine
man emotional auf Ereignisse reagiert. Bernard Weiner hat realen, persönlich erlebten Emotionen und Attributions-
9.3 • Leistungsemotionen
215 9

Exkurs  |       | 

Appraisal rückwärts – Wie wir von den Emotionen anderer auf deren Überzeugungen und unsere Fähigkeiten
schließen
Ursachenzuschreibungen beeinflussen Personen auf deren Attributionen rück- vorgelegt, in der beschrieben wurde, wie
die emotionalen Reaktionen auf Leis- schließen kann. Rustemeyer (1984) hat ein Schüler einen Misserfolg erlebt und
tungsergebnisse. Das gilt nicht nur für dies in einer Laborstudie eindrucksvoll die Lehrkraft verbal emotional darauf
unsere eigenen Erfolge und Misserfolge, zeigen können. In ihrer Studie wies sie reagiert (ärgerlich vs. mitleidig). Die
sondern auch für die anderer Personen Probanden die Rolle von „Schülern“ zu Schüler führten im Falle von Ärger der
(Weiner, 1986), insbesondere für die und setzte diese systematisch verschiede- Lehrkraft den Misserfolg des beschriebe-
Beurteilung von Erfolgen oder Misserfol- nen Emotionen durch die Testleiter (die nen Schülers eher auf seine mangelnde
gen von Schülern durch ihre Lehrkräfte. „Lehrkräfte“) aus. In einem Vortest wurde Anstrengung zurück. Bei Lehrermitleid
Schülererfolge, die auf kontrollierbare die (scheinbare) Fähigkeit der Probanden dagegen attribuierten sie den beschrie-
Ursachen zurückzuführen sind, lösen in einer optischen Wahrnehmungsauf- benen Misserfolg eher auf mangelnde
Zufriedenheit bei beobachtenden Lehr- gabe durch die Testleiter ermittelt. Das Fähigkeit.
kräften aus. Unerwartete (d. h. unkontrol- Ergebnis (Erfolg vs. Misserfolg) in einer Als Fazit ist zu ziehen, dass gerade die
lierbare) Schülererfolge rufen dagegen folgenden, ähnlichen Aufgabe teilte der beiden Emotionen Ärger und Mitleid
Überraschung beim Beobachter hervor. Testleiter den Probanden unter Angabe Wirkungen haben können, die den intu-
Schülermisserfolge, denen Lehrkräfte seiner eigenen Emotion mit (je nach itiven Erwartungen aufgrund der Valenz
kontrollierbare Ursachen (insbesondere Bedingung Zufriedenheit, Überraschung, dieser Emotionen widersprechen. Ärger
mangelnde Anstrengung) zuschreiben, Ärger oder Mitleid). Daraufhin wurden die ist eine negative Emotion, die zu zeigen
führen bei Lehrkräften zu Ärger oder auch Probanden aufgefordert zu beurteilen, üblicherweise sozial nicht erwünscht ist,
Enttäuschung; Schülermisserfolge auf- wie hoch sie ihre eigene Fähigkeit ein- gerade auch bei Lehrkräften. Unter den
grund von unkontrollierbaren Faktoren schätzten und welche Erfolgserwartung beschriebenen Umständen kann Ärger
(insbesondere mangelnde Begabung) sie bei künftigen, ähnlichen Aufgaben dem anderen jedoch mitteilen, dass man
wecken Mitleid oder empathische Hoff- hätten. Die Ergebnisse zeigten, dass seine Fähigkeiten hoch einschätzt. Mitleid
nungslosigkeit. Bereits Kinder im Alter die Probanden bei Überraschung nach bei Misserfolgen der anderen auszudrü-
von 6 Jahren können auf der Basis vorge- Erfolg und Mitleid nach Misserfolg ihre cken wird dagegen i. Allg. als positive
gebener Ursachenkonstellationen (ins- Fähigkeiten geringer einschätzten und Reaktion angesehen, die Empathiefä-
besondere Anstrengung vs. Begabung) weniger zuversichtlich waren, zukünftige higkeit impliziert. In diesem Fall kann
vorhersagen, ob Lehrkräfte ärgerlich oder Aufgaben lösen zu können, als wenn der Mitleid jedoch signalisieren, dass man die
mitleidig auf Schülermisserfolge reagie- Testleiter mit Zufriedenheit auf Erfolg Kompetenzen des anderen für gering hält
ren werden (Graham & Weiner, 1986). oder Ärger auf Misserfolg reagiert hatte. – mit negativen Auswirkungen für den
Bemerkenswert ist, dass dieser Prozess Ähnliche Ergebnisse erzielte Butler (1994) Betroffenen.
auch „rückwärts“ möglich ist – dass man in einer Feldstudie mit Sechstklässlern.
also von den Emotionen bei anderen Den Schülern wurde hier eine Vignette

Emotions-Verbindungen erfasst werden, sondern mögli- die Kontrollüberzeugungen und die Überzeugungen zur
cherweise eher „Überzeugungen zu Emotionen“ (im Sinne Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten und Leistungsergeb-
von Metakognitionen).

--
nissen beeinflussen können (. Abb. 9.4):
Instruktion

--
Einflüsse der Sozialumwelt Wertinduktion
auf Leistungsemotionen Autonomiegewährung
Emotionen und ihnen zugrunde liegende Appraisals ent-
stehen zum einen aufgrund von generalisierten Überzeu-
gungen. Zum anderen hängen sie von der jeweiligen Situ-
ation ab. In der Folge stellt sich die Frage, welche situativen
- Erwartungen und Zielstrukturen
Leistungsrückmeldungen und -konsequenzen.

Instruktion. Gelungene Instruktion in Form einer klar


Gegebenheiten Appraisals in welcher Weise beeinflussen strukturierten und verständlichen Stoff- und Aufgaben-
und wie generalisierte Überzeugungen bei Schülern ent- präsentation bedingt nicht nur realen Kompetenz- und
stehen. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Frage Wissenszuwachs, sondern trägt auch dazu bei, dass Schüler
bedeutsam, wie Leistungsemotionen bei Schülern positiv positive subjektive Kompetenzüberzeugungen entwickeln.
beeinflusst werden können (auch ▶ Exkurs „Prüfungsangst Für Kontroll-Appraisals in Lern- und Leistungssituationen
– Möglichkeiten zur Intervention“). Unter einer sozial-kog- ist somit die kognitive Qualität während des Instruktions-
nitiven Perspektive ist anzunehmen, dass Überzeugungen prozesses von großer Bedeutung. Durch die Auswahl der
von Personen immer in Auseinandersetzung mit ihrer Art und Schwierigkeit von Aufgaben während des Lern-
Sozialumwelt entstehen. Pekrun (2000; 2006) nennt fol- prozesses und bei Leistungsüberprüfungen kann zudem
gende fünf Facetten der Sozialumwelt, die insbesondere auf situative Kontroll-Appraisals Einfluss genommen wer-
216 Kapitel 9 • Emotionen

.. Abb. 9.4  Ursachen von Emotionen


1
2
3
4
5
6
7
8
9 den. Inhaltlich und strukturell neuartige Aufgaben können plexe, nur sehr grob umrissene, scheinbar viele Freiheiten
die wahrgenommene Kontrolle senken. gewährende Aufgaben fördern unter Umständen keine
10 positiven Emotionen während der Aufgabenbearbeitung,
Wertinduktion.  Mit diesem Begriff ist primär die Vermitt- sondern senken eher das Kontrollerleben der Schüler und
lung der Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten und Leistungs- machen sie hilflos.
11 ergebnissen gemeint. Diese lässt sich direkten Mitteilungen
von anderen Personen und Medien entnehmen. Schüler, Erwartungen und Zielstrukturen.  Erwartungen bestimmen
12 denen durch Eltern, Lehrkräfte und Medien wiederholt maßgeblich, ob ein Leistungsergebnis als Erfolg oder Miss-
explizit mitgeteilt wird, dass bestimmte Fächer oder auch erfolg zu beurteilen ist. Äußerungen angemessen hoher
gute Leistungen von großer Bedeutung sind, bilden erwar- Erwartungen vonseiten der Bezugspersonen können bei
13 tungsgemäß – wenn auch nicht zwangsläufig – mit der Zeit Lernenden zudem den Glauben an ihre Kompetenz und
entsprechende generalisierte Überzeugungen aus. Hinzu Kontrollüberzeugungen positiv beeinflussen. Überhöhte
14 kommen die häufig glaubwürdigeren, eher indirekten Erwartungen, insbesondere verknüpft mit Sanktionen
Botschaften zu Wertigkeiten von Verhalten, die durch Er- bei Nichterreichung, erhöhen jedoch die Bedeutung von
15 wartungen und Rückmeldungen von Bezugspersonen und Misserfolg und sind somit ungünstig für die Emotionsent-
durch das Modellverhalten solcher Personen entstehen. Zu- wicklung. Empirische Studien belegen, dass Wettbewerb
dem können Lernstoff und Aufgaben so gestaltet werden, in der Klasse mit der Angst von Schülern positiv korreliert
16 dass sie für den Lerner Bedeutungsgehalt besitzen. (Götz, 2004; Pekrun, 1983; Zeidner, 1998). Somit sind ko-
operative Zielstrukturen, in denen der eigene Erfolg an
17 Autonomiegewährung.  Wie in der Selbstbestimmungs- die Zielerreichung der Kooperationspartner geknüpft ist,
theorie der Motivation von Deci und Ryan argumentiert oder auch individualistische Strukturen, bei denen eige-
(z. B. Deci & Ryan, 1993; Ryan & Deci, 2000; ▶ Kap. 7) ner Erfolg vom Erfolg anderer Personen unabhängig ist,
18 wird wahrgenommener Autonomie im Kontext von Ler- im Hinblick auf das emotionale Erleben von Schülern zu
nen und Leistung eine zentrale Rolle bezüglich der Über- bevorzugen.
19 nahme von Werten und Handlungszielen zugeschrie-
ben. Nur wenn Schülern auf altersangemessene Weise Leistungsrückmeldungen und -konsequenzen. Leistungs-
20 Selbstständigkeit und Handlungsspielräume gewährt rückmeldungen sind die wichtigste Quelle für die Ausbil-
werden, können diese ihr eigenes Handeln erproben und dung von Kompetenzüberzeugungen. Die Einschätzung
entwickeln. Selbstgesteuerte, erfolgreiche Handlungen der persönlichen Ressourcen zur Bewältigung einer Prü-
21 bewirken wiederum die Ausbildung von Kontrollüber- fungssituation hängt in großem Maße davon ab, wie man
zeugungen. Bedingung hierfür ist, dass jeweils bereits in vergangenen Prüfungen abgeschnitten hat. Eintretende
22 hinreichende Kompetenzen für die Aufgaben selbst sowie Konsequenzen für Erfolg und Misserfolg beeinflussen da-
für die Selbstregulation von Handlungen vorliegen. Kom- gegen deren Bedeutsamkeit: Persönlich relevante Folgen
9.3 • Leistungsemotionen
217 9

(im Misserfolgsfall z. B. eine Prüfung wiederholen zu müs- Exkurs  |       | 


sen; im Erfolgsfall z. B. öffentlich geehrt oder auch finanzi-
ell belohnt zu werden) intensivieren positives wie negatives Prüfungsangst – Möglichkeiten zur Intervention
emotionales Erleben. Insbesondere der Einsatz negativer Exzessive Prüfungsangst lässt sich in der Regel erfolgreich
Konsequenzen bei Misserfolg sollte daher im Hinblick auf therapieren. Einige Formen der Prüfungsangsttherapie
zählen sogar zu den wirksamsten Psychotherapien, die
das emotionale Erleben eher vermieden werden. heute verfügbar sind (mit Effektstärken im Therapie- und
In . Abb. 9.4 sind die in diesem Abschnitt beschrie- Kontrollgruppenvergleich von d > 1; Hembree, 1988). Unter-
benen Annahmen zu den Einflüssen der Sozialumwelt schiedliche Therapieformen setzen dabei an den affektiv-
über generalisierte Überzeugungen und aktuelle App- physiologischen Symptomen von Prüfungsangst, den
raisals auf Emotionen im Lern- und Leistungskontext zugrunde liegenden kognitiven Einschätzungen oder auch
den individuellen Defiziten bezüglich Lern- und Prüfungs-
dargestellt. Dieses Modell berücksichtigt auch mögliche strategien an (vgl. auch Zeidner, 1998).
Rückkopplungsschleifen. So ist auch davon auszugehen, Beispiele für emotionsorientierte Therapieformen sind
dass Emotionen ihrerseits Überzeugungen und Apprai- verhaltenstherapeutische Verfahren der Angstinduktion
sals rückwirkend beeinflussen: Wiederholtes Angsterleben (Expositionsbehandlung, systematische Desensibilisierung)
in Prüfungen wirkt sich beispielsweise negativ auf eigene kombiniert mit Biofeedbackverfahren und Entspannungs-
trainings (z. B. progressive Muskelentspannung). Kognitive
Kompetenzüberzeugungen und somit auf das aktuelle Ansätze zur Reduktion der Prüfungsangst zielen darauf ab,
Kontroll-Appraisal in neuen Prüfungen aus. Zudem ist die angstimmanenten irrationalen, „katastrophisierenden“
anzunehmen, dass Emotionen und Appraisals, soweit Gedankeninhalte mit erfolgsorientierten Gedankeninhalten
sie für die Sozialumwelt ersichtlich sind, diese wiederum zu ersetzen (Selbstinstruktion). Beim Strategietraining wer-
beeinflussen: Zum Beispiel wird hilflos wirkenden Schü- den mit dem Klienten kognitive und metakognitive Selbstre-
gulations- und Lernstrategien eingeübt (Setzen realistischer
lern erwartungsgemäß mehr Unterstützung angeboten. Ziele, Planung und Überwachung), um die Qualität der
Begeisterten und interessierten Schülern werden dage- inhaltlichen Vorbereitung auf die Prüfung und das Vorgehen
gen eher herausfordernde Aufgaben zugewiesen und es in der Prüfung zu optimieren.
werden ihnen mehr Mitsprache und größere Handlungs-
spielräume eingeräumt. Schließlich ist in . Abb. 9.4 auch
berücksichtigt, dass neben Appraisals auch dispositionelle negativer als auch in positiver Stimmung schwächer aus-
Neigungen wie das Temperament auf Leistungsemotionen geprägt waren als in neutraler Stimmung (z. B. Meinhardt
Einfluss nehmen. & Pekrun, 2003; Oaksford, Morris, Grainger & Williams,
1996; Spies, Hesse & Hummitzsch, 1996). Es wird aber
auch argumentiert, dass positive und negative Stimmung
9.3.7 Wirkungen von Emotionen mit unterschiedlichen Verarbeitungsstilen einhergeht und
im Lern- und Leistungskontext damit je nach Typ der gestellten Aufgaben sowohl posi-
tive als auch negative Effekte beider Stimmungslagen zu
Allgemeinpsychologische Befunde erwarten sind. Demgemäß wird negative Stimmung stär-
zu Wirkungen von Emotionen ker mit konvergentem, analytischem, detailorientiertem
Wie wirken Emotionen auf Denken und Gedächtnis? Denken assoziiert und damit zwar mit einer tieferen, aber
Hängen unsere kognitiven Leistungen davon ab, wie wir dafür „schmaleren“ Herangehensweise an gestellte Auf-
uns fühlen? Hinsichtlich dieser Fragen sind Befunde aus gaben. Positiver Stimmung wird dagegen zugeschrieben,
zwei Forschungstraditionen interessant, der Stimmungs- das divergente, heuristische und damit auch flexiblere
forschung und der Gedächtnisforschung. und kreativere Denken zu begünstigen (z. B. Clore et al.,
2001). Empirisch konnte mittlerweile wiederholt gezeigt
Stimmungsforschung.  Beim typischen Untersuchungspa- werden, dass die Leistungen in Wortflüssigkeit oder auch
radigma der Stimmungsforschung wird Stimmung in den der Fähigkeit, rasch zu neuen Aufgaben zu wechseln, in
drei Ausprägungen positiv, neutral und negativ induziert positiver Stimmung besser sind; die empirische Evidenz zu
und nachfolgend untersucht, wie sich dies auf kognitive gesteigerten Leistungen bei konvergenten Denkaufgaben
Prozesse auswirkt. Die theoretischen Überlegungen und in negativer Stimmung ist dagegen schwächer (Mitchell
empirischen Befunde hierzu sind uneinheitlich. Zum ei- & Phillips, 2007).
nen wird argumentiert, dass Stimmung – sowohl positive
als auch negative – kognitive Ressourcen verbraucht und Gedächtnisforschung.  Im Kontext der Gedächtnisforschung
somit kognitive Leistungen negativ beeinflusst. Tatsäch- wird u. a. untersucht, inwieweit der emotionale Gehalt von
lich konnte in einer Reihe von Studien gezeigt werden, Stimulusmaterial darauf wirkt, wie gut es gelernt und erin-
dass beispielsweise die Aufmerksamkeit, kognitive Pla- nert wird. Übereinstimmend belegt eine Vielzahl an Studien,
nung und die Leistung bei Analogieaufgaben sowohl in dass man sich sowohl an positive als auch negative emoti-
218 Kapitel 9 • Emotionen

onale Stimuli (Bilder, Texte, aber auch autobiografische Er- Anwendung auf den Lern-
1 eignisse) besser erinnert als an neutrales Material oder neu- und Leistungskontext
trale Ereignisse. Dies wird u. a. darauf zurückgeführt, dass In Anknüpfung an die oben beschriebenen Befunde und
2 emotionale Stimuli neurologisch mit einer Erregung der basierend auf Überlegungen zum Zusammenhang zwi-
Amygdala einhergehen. In bildgebenden Verfahren konnte schen Emotionen und Motivation schlägt Pekrun (2000;
gezeigt werden, dass die gesteigerte Gedächtnisleistung bei 2006; Pekrun, Götz, Titz & Perry, 2002) insbesondere drei
3 emotionalen im Vergleich zu neutralen Bildern bei Ver- Wirkmechanismen vor, wie lern- und leistungsbezogene
suchspersonen mit starker Amygdalaaktivation besonders Emotionen auf akademische Leistung Einfluss nehmen
4 ausgeprägt ist. Der Zusammenhang zwischen Emotionen können, nämlich über kognitive Ressourcen, Lernstrate-
und Gedächtnis wiederum hat damit zu tun, dass die Amyg- gien und Motivation.
5 dala auf den sensorischen Kortex wirkt (diejenige Hirnre-
Wirkungen von Emotionen auf kognitive
gion, die Aufmerksamkeit auf den Stimulus richtet) sowie
den Hippocampus beeinflusst (diejenige Hirnregion, die für Ressourcen
6 Prozesse der Konsolidierung im Gedächtnis verantwortlich Auch für lern- und leistungsbezogene Emotionen ist an-
ist; Richardson, Strange & Dolan, 2004). zunehmen, dass sie kognitive Ressourcen verbrauchen.
7 Sowohl die Stimmungs- als auch die Gedächtnisforschung Das Erleben negativer Emotionen während einer Auf-
geben wichtige Hinweise auf die Frage nach dem Zusam- gabe bedingt somit, dass Aufmerksamkeit von der zu
menhang zwischen Emotionen und Lernen; beide For- bearbeitenden Aufgabe abgelenkt wird. Dies beeinträch-
8 schungstraditionen scheinen jedoch relevante Aspekte zu tigt die Leistung vor allem bei komplexen Aufgaben, die
vernachlässigen. In der Stimmungsforschung wird zwar vermehrt kognitive Ressourcen beanspruchen. Im Lern-
9 berücksichtigt, in welcher Stimmung die Probanden bei und Leistungskontext ist das insbesondere für Angst
der Durchführung verschiedener Aufgaben sind, der empirisch gut belegt (▶  Exkurs „Prüfungsangst – Wirkung
10 emotionale Gehalt der Aufgaben selbst (z. B. Interessant- auf Leistung“). Aber auch Ärger während einer Aufgabe
heit oder Aversivität) bleibt aber in der Regel unbeachtet. verbraucht notwendige Ressourcen und beeinträchtigt so
Hingegen wird in der Gedächtnisforschung zwar berück- die Aufgabenbearbeitung. So ergaben sich in einer Studie
11 sichtigt, welche Valenz und welches Erregungspotenzial von Götz (2004) negative Korrelationen zwischen selbst-
im Stimulusmaterial selbst steckt, die Frage danach, wie berichtetem Ärger und Konzentration, erfasst im Verlauf
12 sich die Probanden bei der Durchführung der Aufgaben eines Mathematiktests. Wie oben beschrieben, konnte in
fühlen, wird hier jedoch nicht thematisiert. Eine Aus- der Stimmungsforschung gezeigt werden, dass auch po-
nahme bilden die Untersuchungen zu zustandsabhängi- sitive Stimmung kognitive Ressourcen verbraucht. Hier
13 gem Lernen (Bower, 1981; Parrott & Spackman, 2000). wurde die Stimmung jedoch unabhängig von den gestell-
Hier wurden Effekte der Valenz des Stimulusmaterials und ten Aufgaben manipuliert. Für positive aufgabenbezogene
14 der Stimmung der Lernenden untersucht. Diese Studien Emotionen (wie Lernfreude) ist anzunehmen, dass diese
ergaben, dass inhaltlich positiv gefärbtes Lernmaterial dazu beitragen, die Aufmerksamkeit auf die Aufgabe zu
15 in positiver Stimmung besonders gut gelernt wird. Auch fokussieren. Dies führt zu Leistungssteigerungen bei emo-
ließen sich positive Effekte auf die Erinnerungsleistung tional positiv erlebten Aufgaben. In der Studie von Götz
nachweisen, wenn inhaltlich negativ valentes Lernmate- (2004) ergaben sich positive Korrelationen zwischen selbst
16 rial in negativer Stimmung gelernt wird. Auch bei diesen berichteter Freude und Konzentration. Je mehr Freude die
Untersuchungen bleibt jedoch unbeachtet, inwieweit die Schüler während eines Mathematiktests erlebten, desto
17 Lernaufgabe an sich die Befindlichkeit der Lernenden be- eher gaben sie an, sich „voll auf die Lösung der Aufgabe
einflusst (d. h. ob das Lernen ihnen Spaß macht oder sie konzentriert“ und „die Zeit ganz vergessen“ zu haben. Dies
frustriert) und wie sich dies auf die kognitiven Prozesse stand wiederum in einem positiven Zusammenhang mit
18 beim Lernen auswirkt. ihren Leistungen im Test. Diese Befunde stehen im Ein-
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Lernsituationen klang mit dem Konzept „Flow“, dem positiven emotionalen
19 in diesen ausschließlich laborbasierten Studien eher arti- Erleben, wenn man in der Bearbeitung einer Aufgabe völlig
fiziell und somit in ihrer Generalisierbarkeit, z. B. im Hin- aufgeht (▶ Abschn. 9.1.3).
20 blick auf schulisches Lernen, eingeschränkt sind. Speziell
Wirkungen von Emotionen auf Lernstrategien
für die Stimmungsforschung gilt zudem, dass sie lediglich
neutrale, positive und negative Stimmung unterscheidet In Anknüpfung an Befunde aus der Stimmungsforschung
21 und diese doch eher „grobe“ Differenzierung menschli- zu unterschiedlichen Verarbeitungsstilen bei positiver
chen affektiven Erlebens kaum Schlüsse auf diskretes emo- vs. negativer Stimmung ist davon auszugehen, dass Leis-
22 tionales Erleben und dessen Auswirkungen zulässt. tungsemotionen auch den Einsatz von Lernstrategien be-
9.3 • Leistungsemotionen
219 9

Exkurs  |       | 

Prüfungsangst – Wirkung auf Leistung


Der Zustand einer prüfungsängstlichen geringerer Wahrscheinlichkeit, während ren Leistungen erklärt werden können.
Person ist durch körperliche Symptome, der Prüfung an Positives zu denken („Die Tatsächlich sind prüfungsängstliche
das Bedürfnis nach Flucht und durch Prüfung läuft doch ganz gut!“ dachten Schüler dadurch charakterisiert, dass sie
sorgenvolle Gedanken geprägt. Insbe- z. B. nur 43 % der hoch, aber 70 % der Lernzeiten im Klassenzimmer schlechter
sondere diese kognitive Komponente niedrig Ängstlichen). Insgesamt 49 % nutzen, weniger kompetente Mitschriften
der Angst führt zu Beeinträchtigungen der niedrig Ängstlichen, aber nur 26 % verfassen und sich den Lernstoff eher
in der Leistung. Vergleicht man Schüler der hoch Ängstlichen gaben an, ihre durch rigide, oberflächliche Strategien an-
gleichen Vorwissensstandes und gleichen Gedanken seien klar und sie könnten sich zueignen versuchen als durch verständ-
kognitiven Potenzials, schneiden Prü- konzentrieren. nisorientierte, flexible Lernstrategien
fungsängstliche bei kognitiv anspruchs- Von Bedeutung ist jedoch nicht nur (Zeidner, 1998).
vollen Aufgaben schlechter ab. Dieser die Quantität negativer und positiver Neben diesen beschriebenen Wirk-
leistungsmindernde Effekt der „Worry- Gedankeninhalte, sondern auch ihr mechanismen von Prüfungsangst auf
Komponente“ konnte in zahlreichen Fokus: Prüfungsängstliche neigen dazu, Leistung gilt es selbstverständlich
Studien empirisch belegt werden. während der Prüfung an sich selbst und auch die umgekehrte Wirkrichtung zu
Ein Beispiel: Galassi, Frierson und Sharer ihre Unzulänglichkeit sowie an mögliche beachten – nämlich die Effekte negativer
(1981) baten College-Studenten dreimal negative Folgen zu denken, anstatt die Leistungsrückmeldungen auf Prüfungs-
während einer Geschichtsklausur, anhand Aufmerksamkeit und Gedankeninhalte angst in nachfolgenden Prüfungen. Erlebt
einer Checkliste ihre Gedanken zu auf die Aufgaben und ihre Lösungen zu ein Schüler wiederholt Misserfolge in
beschreiben (vorher, in der Mitte der Prü- fokussieren. Diese Hemmung der aufga- schriftlichen und mündlichen Prüfungs-
fung und ca. 10 Minuten vor dem Ende). benbezogenen Aufmerksamkeit wird in situationen, verstärkt das die Prüfungs-
Im Vergleich zu Studenten mit niedriger sog. Interferenztheorien beschrieben. ängstlichkeit. Gepaart mit den oben be-
Prüfungsangst gaben die hoch Prüfungs- Zusätzlich zur Annahme, Prüfungsangst schriebenen Effekten von Prüfungsangst
ängstlichen mit größerer Häufigkeit an, führe zu schwächeren Leistungen auf- auf die Qualität des Lern- und Leistungs-
negative Gedankeninhalte zu haben grund von aufgabenirrelevantem Denken verhaltens vor und während Prüfungen
(„Wie schrecklich es wäre, schlecht zu sein in der Prüfung, wird in der Literatur auch entsteht so ein Teufelskreis ungünstiger
oder durchzufallen!“ dachten z. B. 45 % diskutiert, dass Prüfungsangst mit defizi- Beeinflussung von Prüfungsangst und
der hoch, 11 % der niedrig Ängstlichen). tären Lernstrategien bereits während des Leistung.
Zudem berichteten hoch Ängstliche mit Lernens einhergeht und so die schwäche-

einflussen. So sollten positive Emotionen wie Freude und mit Fremdregulation in einem positiven Zusammenhang
Stolz mit verständnisorientierten, flexiblen Strategien wie stand.
Elaboration einhergehen, während Angst und Ärger eher
mit rigiden, weniger verständnisorientierten Lernstrate- Wirkungen von Emotionen auf intrinsische
gien wie Wiederholen im Zusammenhang stehen dürften. und extrinsische Motivation
Je stärker gestellte Aufgaben flexibles, transferorientiertes Pekrun (2000; 2006) argumentiert zudem, dass Emotionen
Denken erfordern, desto mehr beeinträchtigen negative differenziell auf die Motivation von Schülern wirken. Er un-
Emotionen somit die Leistung. Zudem postuliert Pekrun terscheidet dazu aktivierende Emotionen (z. B. Freude und
(2000; 2006) einen Effekt von Emotionen auf das Ausmaß Angst) und deaktivierende Emotionen (z. B. Erleichterung
der Selbstregulation des Lernens. Demzufolge sollten po- und Langeweile). Positiv-aktivierende aktivitätsbezogene
sitive Emotionen selbstreguliertes Vorgehen beim Lernen Emotionen wie Lernfreude bedingen, dass man das Lernen
begünstigen, negative Emotionen dagegen eher das Befol- an sich als belohnend empfindet, also intrinsisch motiviert
gen extern vorgegebener Regeln befördern. Götz (2004) an das Lernen herangeht (▶ Kap. 7). Ist eine Leistungssitua-
untersuchte den Zusammenhang zwischen Emotionen und tion durch positiv-aktivierende ergebnisbezogene Emotio-
Selbst- bzw. Fremdregulation bei Sekundarschülern in Ma- nen charakterisiert (wie Vorfreude auf ein gutes Ergebnis),
thematik (Selbstregulation war dabei mit Items wie diesem beflügelt dies, Anstrengung als Mittel zum Zweck (gute
operationalisiert: „Beim Lernen für Mathe stecke ich mir Leistungen und ihre Folgen) zu investieren. Dies entspricht
eigene Ziele, die ich erreichen möchte“; Fremdregulation einem Zustand extrinsischer Motivation, in diesem Sinne
u. a. mit dem Item „Was ich für Mathe lerne, hängt von sind positiv-aktivierende Emotionen in der Regel auch mit
meinem Lehrer und meinen Eltern ab“). Die Ergebnisse dem Ausmaß an extrinsischer Motivation positiv korreliert.
zeigten, dass Freude in Mathematik sowohl mit Selbst- Aufgrund erhöhter intrinsischer und extrinsischer Motiva-
als auch mit Fremdregulation positiv korrelierte, Angst tion stehen positiv-aktivierende Emotionen daher insgesamt
hingegen mit Selbstregulation in einem negativen, sowie in einem positiven Zusammenhang mit Leistung.
220 Kapitel 9 • Emotionen

.. Abb. 9.5  Wirkungen von Emotionen


1
2
3
4
5
6
7
8
9 Herrschen dagegen in einer Lern- oder Leistungssitu- . Abb. 9.5 stellt die Wirkungen von Leistungsemo-
ation negativ-deaktivierende Emotionen wie Langeweile tionen über die beschriebenen Mechanismen dar. Hier
10 oder Hoffnungslosigkeit vor, senkt dies sowohl die intrin- werden auch bisher nicht näher beschriebene Rückkopp-
sische Motivation (also die Tätigkeit um ihrer selbst willen lungsschleifen berücksichtigt. Selbstverständlich ist anzu-
ausführen zu wollen) als auch die extrinsische Motivation nehmen, dass Leistungen ihrerseits das Lernverhalten und
11 (also sich als Mittel zum Zweck anzustrengen). Somit ste- die Motivation sowie das emotionale Erleben rückwirkend
hen negativ-deaktivierende Emotionen in der Regel in ei- beeinflussen. Zudem wird in der Abbildung berücksichtigt,
12 nem negativen Zusammenhang mit der Leistung. dass auch Intelligenz und Vorwissen auf Leistungsergeb-
Positiv-deaktivierende und negativ-aktivierende Emo- nisse Einfluss nehmen.
tionen schließlich haben komplexe motivationale Folgen
13 und somit auch weniger eindeutige Bezüge zur Lern-
leistung. Beispielsweise senkt Prüfungsangst zum einen 9.3.8 Anregungen zur Gestaltung
14 intrinsische Motivation, da die Lernhandlung an sich eines emotionsgünstigen
aufgrund der Angst als unangenehm empfunden wird. Zu- Unterrichts
15 gleich steigert Angst aber zugleich unter Umständen die
Anstrengung aufgrund von erhöhter (extrinsischer) Mo- Aus den oben beschriebenen Bedingungsfaktoren für das
tivation zur Vermeidung von Misserfolg (Pekrun, 2006). Erleben von Emotionen im Lern- und Leistungskontext
16 Neben den Wirkungen von Emotionen auf Motivation leiten sich Empfehlungen für die Gestaltung eines emo-
ist auch anzunehmen, dass Motivation über Kontroll- und tionsgünstigen Unterrichts ab (auch Götz et  al., 2004).
17 Werteinschätzungen auf die Emotionsbildung zurückwirkt So kann auf die subjektiven Überzeugungen der Schüler
(Pekrun, 2006; auch Heckhausen, 1989). Darüber hinaus Einfluss genommen werden. Zudem können der „intelli-
werden, wie oben beschrieben, Handlungstendenzen (d. h. gente Umgang“ mit lern- und leistungsbezogenen Emo-
18 Motivation) auch als Bestandteile von Emotionen genannt tionen und deren Regulation gefördert werden. Einen
(▶ Abschn. 9.1.2). Auf der Ebene der Operationalisierung nicht unerheblichen Einfluss auf Schüleremotionen ha-
19 gibt es zudem praktische Überschneidungen zwischen ben schließlich die von den Lehrkräften selbst vorgelebten
Emotionen und Motivation; so wird hier Tätigkeitsfreude Emotionen.
20 explizit als Emotion angesehen, sie ist aber auch einschlä-
Einflussnahme auf Kontroll-
giger Indikator für intrinsische Motivation. Unabhängig
davon, ob Motivation und Emotionen in Sinne einer Teil- und Wertkognitionen
21 Ganzes-Beziehung oder sich gegenseitig bedingend ange- Positive subjektive Kontrollüberzeugungen werden
sehen werden, ist eine enge Verknüpfung beider Phäno- Schüler dann entwickeln, wenn sie ihr Lernen als kon­
22 mene unumstritten. trollierbar erleben. Ziel ist es, Schülern die Gewissheit
9.3 • Leistungsemotionen
221 9

zu geben, dass sie durch spezifische Handlungen relativ Unterstützung bei der Regulation
eindeutig vorhersehbare Wirkungen erzielen können, also von Emotionen
„Kontrolle“ über die Ergebnisse ihrer Handlung haben. Auch wenn Lernumgebungen optimal gestaltet sind, wer-
Dies ist u. a. durch folgende Handlungsweisen von Lehr- den negative Emotionen im Lern- und Leistungskontext

-
kräften erreichbar:
klare Strukturierung des Unterrichts (z. B. durch
Offenlegung kurz- und langfristiger Inhalts- und
kaum vollständig zu vermeiden sein. Daher ist neben den
beschriebenen Möglichkeiten der positiven Einflussnahme
auf die Emotionsentstehung bei Schülern eine Anleitung

- Zeitpläne bezüglich der Unterrichtsinhalte),


Gestaltung von Lerngelegenheiten, in denen Kon-
trollerfahrungen durch individuelle Zielsetzungen
und selbstständige Strategieauswahl gemacht werden
zur Selbstregulation von Leistungsemotionen zu empfeh-
len. Auch wenn das Emotionswissen und die Fähigkeit
zur Emotionsregulation schon früh in der Eltern-Kind-
Beziehung geprägt werden, können auch Lehrkräfte ihre

- können (z. B. Projektarbeit),


eindeutige Formulierung von Erwartungen und Zie-
len (z. B. Zielvereinbarungen und Bekanntgabe des
Schüler beim Umgang mit ihren Emotionen insbesondere
in Bezug auf schulische Herausforderungen unterstützen.
Götz, Frenzel und Pekrun (2007b) schlagen hierzu fol-

- Notenschlüssels vor einer schriftlichen Arbeit),


Vermittlung kontrollierbarer Ursachen von Erfolg und
Misserfolg, insbesondere durch Anstrengung (vgl. -
gende Möglichkeiten vor:
Förderung des Bewusstseins, dass Emotionen eine
wichtige Rolle im Lern- und Leistungskontext spielen

- Reattributionstrainings; z. B. Ziegler & Schober, 2001),


deutliche Trennung zwischen „Lernzeiten“, in denen
Fehler als Lerngelegenheiten betrachtet werden und
nicht in die Leistungsbewertung einfließen, und -
(Motivierung zur Auseinandersetzung mit den The-
men „Emotionen“ und „Emotionsregulation“),
Aufzeigen, dass Leistungsemotionen beeinflussbar
sind, d. h., dass man ihnen nicht „blind ausgeliefert“
„Prüfungszeiten“, in denen Lernzielkontrollen vorge- ist (Vermittlung der Kontrollierbarkeit emotionalen
nommen werden.

Überzeugungen zur Bedeutsamkeit von Lernaktivitäten


und Leistungsergebnissen lassen sich direkt und indirekt
- Erlebens),
Vermittlung von Wissen über Leistungsemotionen,
z. B. durch die Erweiterung des Emotionsvokabulars
und durch das Aufzeigen der Wirkungen von Emoti-
vermitteln. Bei hoher Bedeutsamkeit von Leistungsergeb-
nissen werden sowohl positive als auch negative Emotio-
nen verstärkt. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, wie
Lehrkräfte insbesondere die Bedeutsamkeit von Lernakti-
- onen auf Lernen und Leistung,
Vermittlung und Üben konkreter Emotionsregulati-
ons- und Coping-Strategien, d. h. sowohl emotions-
orientierter Strategien (z. B. durch Entspannungs-
vitäten selbst, und nicht von Leistungsergebnissen, fördern übungen und positive Selbstinstruktion) als auch
können, was sich vorwiegend positiv auf das emotionale problemorientierter Strategien (z. B. externe Hilfe

-
Erleben von Schülern auswirken sollte:
direkte Kommunikation des intrinsischen Wertes, der
Neuartigkeit und möglicher Ambiguität des Lern-
gegenstands („Das ist ganz anders als man auf den
aufzusuchen oder die Situation kognitiv positiv um-
zudeuten; ▶ Exkurs „Prüfungsangst – Eine Gefahr für die
Validität von Prüfungen“).

ersten Blick denkt“, „Darüber sind sich die Wissen- Vorleben leistungsförderlicher Emotionen

- schaftler bis heute nicht einig“),


Aufgabenstellungen, die der Lebenswelt der Schüler
Es ist davon auszugehen, dass Emotionen von Lehrkräf-
ten Auswirkungen auf Emotionen von Schülern haben.

- entnommen sind (sog. „authentische“ Aufgaben),


Vorgabe von Wahlmöglichkeiten (z. B. beim Bearbei-
Wenn Lehrkräfte authentische positive inhalts- und tätig-
keitsbezogene Emotionen im Zusammenhang mit Lernen

- ten von Aufgaben),


Vermeidung primär kompetitiver Leistungsrückmel-
dungen („Du bist besser/schlechter als die meisten
anderen in der Klasse“) zugunsten von individuellen
und Leistung zeigen, so werden Schüler im Sinne von
Modelllernen ebenfalls vermehrt positive Emotionen in
diesen Situationen erleben. Außerdem ist anzunehmen,
dass jenseits von Modelllernen das Erleben und Zeigen
oder auch kriteriumsbezogenen Kompetenzrückmel- positiver Emotionen von Lehrkräften in Form von Humor
dungen (z. B. „Du kannst quadratische Gleichungen und enthusiastischem Unterrichten eine nicht zu unter-
jetzt schon viel besser lösen“ bzw. „Du solltest das Lö- schätzende positive Wirkung auf das emotionale Erleben
sen quadratischer Gleichungen noch üben“), sodass von Schülern hat (z. B. Frenzel, Götz, Lüdtke, Pekrun &
positive bzw. negative Leistungskonsequenzen nicht Sutton, 2009). Schließlich können Lehrkräfte auch einen
im Mittelpunkt stehen (vgl. auch Rheinberg & Krug, positiven emotionalen Umgang mit eigenen Fehlern und
1999). eigener Unzulänglichkeit modellhaft vorleben, sowie ihre
222 Kapitel 9 • Emotionen

Exkurs  |       | 
1
Prüfungsangst – Eine Gefahr für die Validität von Prüfungen
2 Validität eines Tests oder einer Prüfung bewerten als unordentlich und chaotisch gabe nicht lösen kann, keinen eindeuti-
bedeutet, dass tatsächlich das gemessen gestaltete Aufgabenbearbeitungen. In gen Aufschluss darüber, ob dem Prüfling

3
wird, was der Test oder die Prüfung zu dieser Hinsicht spiegelt der Punktwert die entsprechenden Kenntnisse fehlen
messen vorgibt (▶ Kap. 13). Entwirft eine dann nicht wie angestrebt die mathe- oder ob er sein eigentlich vorhandenes
Lehrkraft beispielsweise eine Mathema- matische Kompetenz im betreffenden Wissen aufgrund der Prüfungsangst nicht

4 tikprüfung, so zielt sie darauf ab, die Kom-


petenz der Schüler im Stoff der ca. vier
Stoffgebiet wider, sondern vielmehr die
Gewissenhaftigkeit und die Fähigkeit,
abrufen konnte.
Nun kann man argumentieren, dass eine
bis sechs zurückliegenden Stunden zu Ergebnisse in einer formal übersichtlichen solche Kompetenz zum Umgang mit

5 erfassen. Es gibt verschiedene Gefahren


für die Validität einer solchen Mathema-
Form darzustellen.
Es bedeutet aber auch eine Gefahr
Stress in der modernen Gesellschaft not-
wendig ist; Lehrkräfte also ggf. bewusst
tikprüfung; beispielsweise können die für die Validität von Prüfungen, wenn (zumindest auch) darauf abzielen, diese
6 gewählten Aufgaben nicht das zuletzt
besprochene Stoffgebiet, sondern weiter
sie so gestaltet sind, dass sie bei den
Prüfungsteilnehmern besondere Angst
Kompetenz durch ihre Tests abzuprüfen.
Wichtig wäre aus dieser Perspektive je-
zurückliegende Kompetenzen oder noch auslösen. Prüfungsangst beeinträchtigt doch, den Schülern neben den fachlichen
7 nicht behandelte Fertigkeiten betreffen.
Problematisch ist auch, dass man –
die adäquate Umsetzung der eigenen
kognitiven Kompetenz in Leistung. Ist
Fertigkeiten auch entsprechende Strate-
gien und Tipps zu vermitteln, um adäquat
ungewollt – bei Korrekturen dazu neigt, eine Prüfung so gestaltet, dass sie große mit Stress und Angst in Bewertungssitua-
8 formal (z. B. im Schriftbild) einwandfreie Prüfungsangst beim Prüfling hervorruft, tionen umgehen zu können.
Aufgabenbearbeitungen großzügiger zu liefert die Tatsache, dass dieser eine Auf-

9
eigenen Anstrengungen, ihre Emotionen zu regulieren, zur
Lehrkräfte sind von großer Bedeutung. Sie wirken sich
10 Lernerfahrung für Schüler werden lassen.
auf die Qualität von Instruktionsprozessen aus – und
schließlich ist es auch belohnend für die Lehrkräfte,
11 Fazit Schüler zu unterrichten, die von Lernfreude und Inter-
In diesem Kapitel wurden Emotionen als mehrdi- esse an den Lerninhalten erfüllt sind.

12 mensionale Konstrukte mit affektiven, kognitiven,


expressiven, physiologischen und motivationalen
Komponenten vorgestellt. Basierend auf traditionellen
Verständnisfragen
13 Appraisal-theoretischen Ansätzen ist davon auszuge-
1. Wie können Emotionen definiert werden?
hen, dass Emotionen durch die Bewertung von Situa-
2. Inwiefern sind Emotionen und Stimmungen bzw. Emotio-
14 tionen, Tätigkeiten und der eigenen Person entstehen.
nen und Stress verwandt bzw. voneinander abzugrenzen?
Im Lern- und Leistungskontext ist dabei Kontroll- und
3. Was ist die zentrale Annahme der Appraisal-Theorien?
Wert-Appraisals besondere Bedeutsamkeit zuzu-
15 schreiben. Diese Bewertung wird durch generalisierte
Welche Appraisals gelten laut Pekruns Theorie als beson-
ders bedeutsam für die Entstehung von Emotionen im
Überzeugungen der Handelnden, aber auch durch
Lern- und Leistungskontext?
16 äußere Umstände beeinflusst. Lehrkräften ist somit die
4. Über welche Mechanismen wirken Emotionen auf schuli-
Möglichkeit gegeben, durch gezielte Gestaltung der
sche Leistungen?
17 Lernumgebung und der Lernaufgaben auf das emoti-
onale Erleben von Schülern Einfluss zu nehmen. Emo-
5. Wie können Lehrkräfte Leistungsemotionen von Schülern
positiv beeinflussen?
tionen entfalten Wirkungen auf kognitive Ressourcen
18 während der Aufgabenbearbeitung, auf den Einsatz
Vertiefende Literatur
von Lernstrategien, auf das Ausmaß von Selbstregu- M. Lewis, M. & J. Haviland-Jones, M. (Eds.). (2000). Handbook of emotions
19 lation und auf die Motivation während des Lernens. (2nd edn.). New York: The Guilford Press.
Schulze, R., Freund, P. A. & Roberts, R. D. (Eds.). (2006). Emotionale Intelli-
Sie sind somit von großer Bedeutung für resultierende
Lernleistungen. Zudem sind sie wichtige Bestandteile genz. Ein internationales Handbuch. Göttingen: Hogrefe.
20 des subjektiven Wohlbefindens. Daher sollte die Förde-
Gross, J. G. (Ed.). (2006). Handbook of emotion regulation. New York:
Guilford.
rung positiver und die Reduktion negativer Emotionen Brandstätter, V. & Otto, J. H. (Hrsg.). (2009). Handbuch der Allgemeinen
21 im Kontext schulischen und außerschulischen Lernens Psychologie: Motivation und Emotion. Göttingen: Hogrefe.
auch als Wert an sich angestrebt werden. Aber nicht Möller, J. & Köller, O. (Hrsg.). (1996). Emotionen, Kognitionen und Schul-
leistung. Weinheim: Beltz.
22 nur die Emotionen der Schüler, sondern auch die der
Literatur
223 9
Literatur Götz, T., Frenzel, A. C., Pekrun, R., & Hall, N. (2006). Emotionale Intelligenz
im Lern‐ und Leistungskontext. In R. Schulze, P. A. Freund, & R. D.
Boekaerts, M. (2007). Understanding students’ affective processes in the Roberts (Hrsg.), Emotionale Intelligenz. Ein internationales Handbuch
classroom. In P. A. Schutz, & R. Pekrun (Hrsg.), Emotion in Education (S. 237–256). Göttingen: Hogrefe.
(S. 37–56). San Diego, CA: Elsevier. Götz, T., Frenzel, A. C., Pekrun, R., Hall, N. C., & Lüdtke, O. (2007). Between‐
Bower, G. H. (1981). Mood and memory. American Psychologist, 36, and within‐domain relations of students’ academic emotions. Jour-
129–148. nal of Educational Psychology, 99, 715–733.
Butler, R. (1994). Teacher communications and student interpretations: Götz, T., Zirngibl, A., & Pekrun, R. (2004). Lern‐ und Leistungsemotionen
Effects of teacher responses to failing students on attributional von Schülerinnen und Schülern. In T. Hascher (Hrsg.), Schule positiv
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logy, 64, 277–294. rinnen und Schülern (S. 49–66). Bern: Haupt AG.
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225 IV

Interagieren
Kapitel 10 Familie – 227
Elke Wild, Sabine Walper

Kapitel 11 Lehrer  – 261


Mareike Kunter, Britta Pohlmann

Kapitel 12 Gleichaltrige  – 283


Ursula Kessels, Bettina Hannover
227 10

Familie
Elke Wild, Sabine Walper

10.1 Einleitung  – 228


10.2 Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der
Familienentwicklung – 229
10.2.1 Die Gründung einer Familie  –  229
10.2.2 Familienleben mit einem Kleinkind  –  230
10.2.3 Der Schuleintritt: Eltern als Lernbegleiter und
Lehrkräfte als „Erziehungspartner“ – 232
10.2.4 Die Transformation der Eltern-Kind-Beziehung im Jugendalter  –  237
10.2.5 Familienbande nach der Adoleszenz  –  240

10.3 Familien in der Krise  –  241


10.3.1 Aufwachsen in einer Ein-Elternteil- oder Stieffamilie  –  242
10.3.2 Krankheit als Familienaufgabe  –  245
10.3.3 Armut und Arbeitslosigkeit  –  248

Literatur – 254

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
228 Kapitel 10 • Familie

Familien sind der primäre Entwicklungs- und Bildungskontext


1 von Kindern. Nicht nur in der Kindheit, sondern auch weit dar-
über hinaus spielen Familien eine entscheidende Rolle in der
2 Förderung und Unterstützung ihrer Familienmitglieder – nicht
zuletzt im hohen Alter. Fraglos ändern sich die Aufgaben und

3 Beziehungen im Verlauf der Familienentwicklung, wobei die


jeweilige Lebenslage und der Kontext, in dem das Familienle-
ben stattfindet, eine wichtige Rolle für die Ausgestaltung der
4 Interaktionen spielt. Wie sich die Anforderungen an Eltern im
Verlauf der Familienentwicklung wandeln, welchen Einfluss
5 kritische Lebensereignisse auf das Familienleben haben und
welche Aspekte des Familienlebens für die Entwicklungschan-
cen von Kindern und Jugendlichen besonders relevant sind,
6 ist Gegenstand dieses Kapitels (. Abb. 10.1).

7
10.1 Einleitung

8 Wenn heute von „Familien“ die Rede ist, bezieht sich die
erste Assoziation vermutlich nach wie vor auf ein verheira-
9 tetes Paar, das mit seinen leiblichen Kindern (bzw. seinem
leiblichen Kind) in einem Haushalt zusammenlebt. Dieses
10 in der Familiensoziologie als „bürgerliche Kernfamilie“
bezeichnete Arrangement stellt das Leitbild der „Normal-
familie“ dar und ist selbst angesichts der Pluralisierung
11 familialer Lebensformen statistisch gesehen immer noch
die häufigste Familienform (Peuckert, 2012). Allerdings
12 wird der Begriff der Familie – in der Bevölkerung wie in .. Abb. 10.1  
der Familienforschung – schon seit längerem auf unter-
schiedlichste Konstellationen des Aufwachsens von Kin- Die damit einhergehenden Erwartungen und Anfor-
13 dern angewendet – so sprechen wir beispielsweise von derungen wie auch die Hilfen, die Erziehungsberechtigte
Adoptiv- und Pflegefamilien, Ein-Elternteil-Familien und in Anspruch nehmen können, variieren naturgemäß in
14 Stieffamilien oder auch (gleichgeschlechtlichen) Regen- Abhängigkeit vom Alter des Kindes. Daher sind die Aus-
bogenfamilien. Um diese Beziehungskonstellationen von führungen in ▶ Abschn. 10.2 nicht an den Funktionen der
15 anderen sozialen Gruppen abgrenzen zu können, folgen Familie (vgl. etwa Nave-Herz, 2002) orientiert, sondern
wir der Definition von Hofer (2002a). entlang „prototypischer“ Phasen der Familienkarriere (vgl.
Wild & Hofer, 2002) gegliedert. Das von Aldous (1977)
16 Definition  eingeführte Konzept der „Familienkarriere“ oder des „Fa-
Hofer (2002a, S. 6) definiert Familie als „eine Gruppe milienzyklus“ geht davon aus, dass der Lebenszyklus einer
17 von Menschen, die durch nahe und dauerhafte Be- Familie – wie der eines Menschen – einer typischen Ent-
ziehungen miteinander verbunden sind, die sich auf wicklungssequenz folgt (s. auch Kreppner & Lerner, 2013).
Der Übergang von einer Phase in die nächste wird durch
18 eine nachfolgende Generation hin orientiert und die
einen erzieherischen und sozialisatorischen Kontext Veränderungen der kindlichen Bedürfnisse und Kompe-
für die Entwicklung der Mitglieder bereitstellt“. tenzen, der elterlichen Rollenvorstellungen und Selbstbil-
19 der sowie in den wechselseitigen Erwartungen von Eltern
und Kindern an die Beziehung(-spartner) ausgelöst. Auch
20 Auch wenn die Familie lange Zeit vor allem als Ort der wenn nicht alle Familien sämtliche Etappen der Famili-
primären Sozialisation und Erziehung betrachtet wurde, enkarriere (geradlinig) durchlaufen – man denke etwa
stellt sie doch zugleich eine wichtige und fortdauernde an Eltern, denen das Sorgerecht entzogen wird, oder an
21 Bildungsinstanz (vor und neben der Schule) dar (Auto- Paare, die ein Pflegekind für eine gewisse Zeit in Obhut
rengruppe Bildungsberichterstattung, 2012). Angesichts nehmen –, ist die regulative Idee aufeinanderfolgender
22 globaler gesellschaftlicher Entwicklungen (s. u.) gilt dies Phasen des Familienzyklusses mit je eigenen Anforderun-
heute in zunehmendem Maße. gen heuristisch fruchtbar (zum Konzept der Familienent-
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
229 10

wicklungsaufgabe vgl. Duvall & Miller, 1985). Sie erlaubt der Frage nachgegangen, wie und unter welchen Bedin-
eine Beschreibung von erwartbaren Wachstumsverant- gungen die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern
wortlichkeiten, die Familienmitglieder in einer gegebenen (0–2 Jahre) bestmöglich befriedigt werden. Auch famili-
Entwicklungsstufe meistern müssen, um ihre biologischen ale Risikofaktoren und mögliche Unterstützungsangebote
Bedürfnisse zu befriedigen, den kulturellen Erfordernis- werden dargelegt.
sen gerecht zu werden und die Ansprüche und Werte ihrer Ab dem 3. Lebensjahr erweitert sich allein aufgrund
Mitglieder zu erfüllen. motorischer und sprachlicher Entwicklungsfortschritte
Wie noch zu zeigen sein wird, gelingt es nicht allen der Lebensraum von Kleinkindern. Wie sich hierdurch die
Familien gleich gut, den veränderten Bedürfnissen, Fähig- Anforderungen an Eltern verändern und welche Rolle neu
keiten und Erwartungen der Familienmitglieder Rechnung hinzutretenden Interaktionspartnern – etwa der Erzieherin
zu tragen. Unterschiede in der Funktionsfähigkeit von Fa- im Kindergarten oder gegebenenfalls weiterer Geschwis-
milien werden jedoch besonders deutlich im Umgang mit terkinder – für die psychosoziale und intellektuelle Ent-
sogenannten kritischen Lebensereignissen, die plötzlich wicklung von Vorschulkindern zukommt, ist Gegenstand
eintreten und umfassendere Anpassungsleistungen verlan- des ▶ Abschn. 10.2.2.
gen. In ▶ Abschn. 10.3 wird daher am Beispiel von drei kri- Um das vollendete 6. Lebensjahr herum werden Kinder
tischen Lebensereignissen bzw. anforderungsreichen Le- hierzulande eingeschult. Von nun an sind Familien und
benslagen – Trennung/Scheidung, Krankheit und Armut/ Schulen aufgefordert, sich zum Zweck der bestmöglichen
Arbeitslosigkeit – herausgearbeitet, welche Bedingungen Erziehung und Bildung des jeweiligen Kindes auszutau-
einer konstruktiven Bearbeitung von Familienkrisen ent- schen und sich in ihren spezifischen Bemühungen zu er-
gegen stehen und welche ihr zuträglich sind. Die betrach- gänzen bzw. zu unterstützen. Wie sich das Familienleben
teten kritischen Lebensereignisse sind exemplarisch aus- durch den Schuleintritt verändert und inwiefern Eltern
gewählt, um nachvollziehbar zu machen, dass und warum zu einer vertrauensvollen „Erziehungspartnerschaft“ mit
die Identifizierung „ultimativer“ Ratschläge im Umgang der Schule beitragen können, wird in ▶ Abschn. 10.2.3 be-
mit kritischen Lebensereignissen obsolet ist. Umso mehr handelt.
möchten wir mit unseren Ausführungen verdeutlichen, Wohl um keinen anderen Entwicklungsabschnitt ran-
inwiefern in der Beratungspraxis auf wissenschaftlich fun- ken sich so viele Mythen wie um die Pubertät. In ▶ Ab-
dierte Erkenntnisse zu problemlagenspezifischen Risiko- schn. 10.2.4 wird ausgeführt, warum es keineswegs alar-
und Schutzfaktoren aufgebaut werden kann. mierend ist, wenn Jugendliche manche Standpunkte ihrer
Eltern hinterfragen und warum der augenscheinliche Be-
deutungszuwachs der Gleichaltrigen nicht impliziert, dass
10.2 Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Sozialisationseinfluss des Elternhauses schwindet.
der Familienentwicklung In ▶ Abschn. 10.2.5 werden schließlich Veränderungen
in der Beziehung zwischen Eltern und ihren volljährigen
In einer kaum noch überschaubaren Anzahl populärwis- „Kindern“ thematisiert. Hierbei kommen auch Fehlent-
senschaftlicher Ratgeber wird Eltern gesagt, wie sie die wicklungen, die unter anderem unter dem Schlagwort
Entwicklung ihres Kindes vom Säuglings- bis zum Erwach- „Helikopter-Eltern“ untersucht werden, zur Sprache.
senenalter unterstützen können und sollten. Viele dieser
Darstellungen zielen auf einfache Botschaften ab. Was da-
bei leicht aus dem Blick gerät, sind die jeweiligen Lebens- 10.2.1 Die Gründung einer Familie
umstände der Eltern und die individuellen Besonderheiten
der Kinder, die als zentrale Rahmenbedingungen Einfluss Bereits seit vielen Jahren alarmieren Statistiken über rück-
auf die Ausgestaltung des Familienalltags nehmen. Die im läufige Geburtenraten die Öffentlichkeit. Die seitens der
Folgenden zusammengefassten Forschungserkenntnisse Politik initiierte Palette der Maßnahmen, die es jungen
tragen vor allem jenen Rahmenbedingungen Rechnung, Erwachsenen erleichtern soll, ein (weiteres) Kind zu be-
die durch den jeweiligen Entwicklungsstand der Kinder kommen, ist bunt. Sie reicht von finanziellen Entlastungen
bzw. den spezifischen Abschnitt in der Familienkarriere bei einer traditionellen Arbeitsteilung (Ehegattensplitting,
gegeben sind. Betreuungsgeld) bis hin zum Ausbau von Kitas. Die Viel-
Betrachtet werden in diesem Abschnitt fünf Stadien zahl der Maßnahmen ist nicht zuletzt deshalb umstritten,
der Familienkarriere. In ▶ Abschn. 10.2.1 wird zunächst weil sie offenbar nicht die gewünschte erleichternde Wir-
die Phase der Familiengründung betrachtet. Es wird kung in Form deutlich steigender Geburtenraten erzielt
erläutert, inwiefern sich diese heute anders gestaltet als (Stock et al., 2012). Dabei steht der Wunsch eine Familie
noch vor 50  Jahren und welche Konsequenzen dies für zu gründen ganz oben auf der Liste der persönlichen Ziele
das Aufwachsen von Kindern hat. Darauf aufbauend wird von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Hurrelmann,
230 Kapitel 10 • Familie

Albert & TNS Infratest Sozialforschung, 2006). Wie passt cher-vermeidend oder ambivalent gebundene Kinder in
1 dies zusammen? der Lage sind, Angst oder Trauer erzeugende Situationen
Aus familiensoziologischer Sicht ist die sogenannte effektiv zu bewältigen und zuträgliche Beziehungen zu
2 „kindzentrierte Familie“ (Nave-Herz, 2012), in der zwei Gleichaltrigen und relevanten anderen (z. B. Lehrkräften)
liebende Eltern um ihren Nachwuchs kreisen, ein ver- aufzubauen (Grossmann & Grossmann, 2012; Sroufe, Ege-
gleichsweise neues Phänomen. Von der Gestaltung des land, Carlson & Collins, 2007). Auch tendieren sie dazu,
3 Familienlebens noch an der Wende zum 20. Jahrhundert ihre Umwelt intensiv zu explorieren, und können so ihr
vermitteln H. Zilles Skizzen aus seinem Berliner „Milljöh“ Kompetenzspektrum besonders schnell erweitern.
4 einen lebhaften Eindruck. Sechs oder mehr Geschwister Eine nachweislich zentrale Voraussetzung für eine
waren keine Seltenheit, Alleinerziehende und Patchwork- sichere Bindung ist die Feinfühligkeit der Eltern bezie-
5 Familien waren genauso anzutreffen wie heute und Kinder hungsweise relevanter Bindungspersonen im Umgang mit
streunten unbeaufsichtigt umher, wenn sie nicht arbeiten kindlichen Bedürfnissen und Signalen (wann ist es müde,
mussten, um zum Überleben der Familie beizutragen. wann hungrig, wann überfordert mit den Reizen seiner
6 Doch mit der Schaffung staatlicher Unterstützungs- Umwelt?). Eine richtige Deutung der Signale und ange-
und Versorgungssysteme und dem wachsenden Wohlstand messene sowie prompte Reaktionen der Eltern tragen dazu
7 in der Nachkriegszeit konnten es sich immer breitere Teile bei, dass Kinder ihre Welt als kontrollierbar und die Be-
der Gesellschaft „leisten“, vorrangig aus romantischen zugspersonen als zuverlässig wahrnehmen und zugleich in
Gründen zu heiraten und auch den Kinderwunsch von altersangemessener Weise in ihrer Selbstständigkeit unter-
8 pragmatischen Zielen zu entkoppeln. In der Folge rück- stützt werden. Die inneren und sozialen Ressourcen sicher
ten psychologische Motive für Elternschaft in den Vor- gebundener Kleinstkinder wiederum erleichtern – im Ver-
9 dergrund: Kinder werden heute vor allem als persönliche bund mit den fortlaufenden, phasenspezifisch variierenden
Bereicherung empfunden, Elternschaft als eine Facette der Unterstützungsleistungen der Eltern – eine störungsfreie
10 Selbstverwirklichung (Nauck, 2001). Nicht zuletzt hat auch Entwicklung in späteren Entwicklungsphasen.
die Verbreitung der „Pille“ dazu beigetragen, dass sich die
Idee einer „verantworteten Elternschaft“ in praktisch allen
11 Schichten durchsetzen konnte. 10.2.2 Familienleben mit einem Kleinkind
Dass junge Menschen den Übergang zur Elternschaft
12 unter bestmöglichen Bedingungen vollziehen möchten, ist In den ersten Lebensmonaten eines Kindes sind die Eltern
verständlich, denn die Umstellung des Paares auf die neuen vornehmlich mit fürsorglichen Tätigkeiten der Kinder-
Aufgaben verläuft nicht ohne Anstrengungen, erfordert pflege (Füttern, Wickeln etc.) befasst. Bereits in der zweiten
13 Kompromisse und eröffnet vielfach Reibungspunkte (Graf, Hälfte des ersten Lebensjahrs nehmen jedoch sozialisato-
2002; Reichle & Werneck, 1999). Steigende Ansprüche und rische und „lehrende“ Aktivitäten breiteren Raum ein. Je
14 Erwartungen „postmoderner“ Paare lassen beispielsweise „mobiler“ Kinder werden und je größer ihr Wortschatz
Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf virulent wird, desto bedeutsamer wird der häusliche Anregungs-
15 werden und können bei unbefriedigenden Lösungen für gehalt (für einen Überblick s. Bradley & Corwyn, 2006).
die Arbeitsteilung die Ehestabilität beeinträchtigen (vgl. Unter diesem Begriff wird ein breites Spektrum an Er-
▶ Abschn. 10.3.1). Demgegenüber ist die Tendenz, hohe fahrungsmöglichkeiten und Lebensbedingungen gefasst,
16 Maßstäbe an die eigene Erziehungskompetenz zu setzten, das von materiell und kulturell geprägten Aspekten (z. B.
durchaus begrüßenswert, weil (Klein-)Kinder aufgrund ih- beengter Wohnraum, Verfügbarkeit von Büchern und an-
17 rer beschränkten Kompetenzen stark auf die Fürsorge ihrer deren anregenden Spielzeugen und Lernmaterialien) über
primären Betreuungspersonen angewiesen sind. Allerdings gemeinsame Aktivitäten (z. B. vorlesen, Ausflüge machen,
tragen (zu) hohe Ansprüche an die Elternrolle auch dazu gemeinsame Mahlzeiten) bis hin zu Erziehungspraktiken
18 bei, dass viele Paare den Kinderwunsch aufschieben, bis (z. B. elterliche Disziplinierungsstrategien, Selbstständig-
die finanziellen und sonstigen Rahmenbedingungen „stim- keitserziehung) und „psychohygienischen“ Bedingungen
19 men“, und selbst dann werden sie mehrheitlich nicht mehr (z. B. Familienklima, Regeln des Miteinander) reicht. Diese
als ein oder zwei Kinder bekommen. Merkmale häuslicher Umgebung korrespondieren vom
20 Zahlreiche wissenschaftliche Studien stützen die von Säuglingsalter an bis in die Schulzeit hinein systematisch
Eltern heutzutage gehegte Überzeugung, dass gerade in und substanziell mit kindlichen Kompetenzmaßen und
den ersten Lebensmonaten wichtige Grundlagen für die leisten selbst bei Kontrolle der sozioökonomischen Aus-
21 weitere intellektuelle und psychosoziale Entwicklung ge- gangslage einen eigenständigen Beitrag zur Vorhersage
legt werden. Vor allem bindungstheoretisch inspirierte der kognitiven, sprachlichen und sozialen Entwicklung
22 Längsschnittstudien zeigen, dass sicher gebundene Kin- von Kindern (vgl. auch NICHD Early Child Care Research
der – unter sonst gleichen Bedingungen – eher als unsi- Network, 2005).
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
231 10

Wie bereits angedeutet, hat sich auch in der Erziehung zelfall ein dysfunktionales Elternengagement festmachen
ein beträchtlicher Wandel vollzogen (Walper, 2004). Der lässt. Unter bildungspolitischen Gesichtspunkten steht
Boom bei Erziehungsratgebern und die wachsende Nach- dagegen die Frage im Zentrum, ob die von breiten Teilen
frage nach Beratungs- und Förderangeboten deuten dar- der Elternschaft übernommene Idee einer „verantworte-
auf hin, dass Unsicherheiten zugenommen haben, weil die ten Elternschaft“ unter den Bedingungen moderner Leis-
Erwartungshaltungen in der Erziehung gestiegen sind und tungsgesellschaften nicht faktisch dazu führt, dass priva-
immer weniger auf sozial geteilte Normen zurückgegriffen ten Bildungsinvestitionen ein immer größerer Stellenwert
werden kann. Dies leistet der Sorge Vorschub, Fehler in zukommt. Damit könnte sich allen bildungspolitischen
der Erziehung zu machen oder auch Fördermöglichkeiten Bemühungen zum Trotz die Schere zwischen Kindern aus
nicht hinreichend wahrgenommen zu haben. Weil Eltern unterschiedlich privilegierten Familien weiter öffnen.
sich in hohem Maße für gelingende Erziehung verantwort- Seitdem internationale Vergleichsstudien wie IGLU
lich sehen und diese an einer optimalen Entwicklung des (Bos et al., 2007) einmal mehr unterstrichen haben, dass
Kindes festmachen, wird jedes Problem, jede Abweichung Bildungsungleichheiten von Schülerinnen und Schülern
zum Ausdruck des eigenen Scheiterns. wesentlich auf ungleiche Startchancen vor dem Schul­
Auch wenn diese alltagsweltliche Sicht zu kurz gegrif- eintritt zurückzuführen sind, wird eine möglichst frühe
fen ist, weil die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern institutionelle Betreuung als besonders bedeutsame „Stell-
auch von genetischen Faktoren und zahlreichen Kontext- schraube“ zur Verringerung primärer Disparitäten erach-
bedingungen abhängt, die nicht dem Einfluss der Eltern tet. Dementsprechend wird mit dem Ausbau öffentlicher
unterliegen (Borkenau, Riemann & Spinath, 1999), gilt es, oder betrieblicher Betreuungseinrichtungen nicht nur
die wachsenden Befürchtungen von Eltern ernst zu neh- der Anspruch einer besseren Vereinbarkeit von Familie
men. Inwiefern hohe Ansprüche an die Elternrolle deren und Beruf verknüpft, sondern auch die Erwartung einer
Ausgestaltung und die Eltern-Kind-Beziehung verkompli- kompensatorischen Förderung von Kindern aus sozial
zieren können, wird in einer Studie der Konrad-Adenauer- schwachen und Migrantenfamilien, die im Elternhaus
Stiftung deutlich. Unter dem beredeten Titel „Eltern unter kein optimal anregendes Umfeld vorfinden. Damit sind
Druck“ werden Ergebnisse einer umfassenden quantita- benachteiligte Eltern aber keineswegs aus der Verantwor-
tiven Befragung und ergänzender qualitativer Interviews tung entlassen oder entmündigt. Vielmehr zielen andere
zusammengefasst (Henry-Huthmacher et al., 2008). Die Bemühungen darauf ab Eltern zu unterstützen, ihre ei-
Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich Eltern aller genen Möglichkeiten und Stärken mit Unterstützung der
Statusgruppen des Stellenwerts von früher Bildung bewusst Fachkräfte vor Ort – wie den Erzieherinnen oder anderen
sind und in dem Bestreben, ihrem Kind Startvorteile zu Ansprechpartnern in Familienbildungszentren – auszulo-
verschaffen, sich ein Zeit, Kraft und Geld verschlingendes ten und weiterzuentwickeln.
Programm auferlegen. Um keine Chance zu verpassen, das Unabhängig von Fragen der Bildungs(un)gerechtigkeit
eigene Kind im Wettbewerb um gute Schulen, Bestnoten ist zu konstatieren, dass der Betreuungsbedarf hierzulande
und Studienplätze gut aufzustellen, werden Eltern (und kontinuierlich steigt, obwohl gerade in Westdeutschland
vor allem Mütter) zu „Managern“ eines immer dichter mit die Bedenken gegenüber einer Fremdbetreuung, insbe-
Mal-, Turn-, Musik-, Sprach- und Schwimmkursen gefüll- sondere von Kindern unter drei Jahren stärker ausgeprägt
ten Wochenplans. Dieser verlangt auch Kindern einiges sind als in anderen europäischen Ländern (Badinter, 2010).
ab, da wenig Raum für freies Spiel, ziellose Kreativität und Mittlerweile geben Eltern in Deutschland für rund 40 %
Entspannung bleibt. So wird in zeitkritischen Essays von der unter Dreijährigen einen Betreuungsbedarf an (Alt,
einer „Diktatur des Guten“ gesprochen (Stelzer & Gaab, Hubert & Berngruber, 2013), und entscheidend hierfür
2009) und davon, dass Kinder leicht zu einem „Projekt“ der dürfte das von jungen Erwachsenen mehrheitlich geäu-
Eltern geraten (vgl. dazu auch ▶ Abschn. 10.2.5). ßerte Bestreben sein, sowohl berufliche als auch familiäre
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist bislang unklar, Ziele verfolgen und verbinden zu wollen (Albert et  al.,
ob im Generationenvergleich eine wachsende Zahl von 2010). Doch obwohl dieses Ansinnen dem Wunsch vieler
Vorschulkindern den übertriebenen Erwartungen und Be- Partner nach gemeinsamer Erziehungsverantwortung ent-
mühungen ihrer Eltern ausgesetzt ist. Eine rasche Bearbei- spricht und vor allem das Streben von Frauen nach einer
tung dieser Forschungsfragen wäre jedoch wünschenswert, eigenen Erwerbstätigkeit aus volkswirtschaftlicher Sicht
da dies theoretisch, praxeologisch und bildungspolitisch ausdrücklich zu begrüßen ist, fühlen sich speziell Frauen
bedeutsame Hinweise verspricht. Mit Blick auf die The- dem Verdacht ausgesetzt, eine „Rabenmutter“ zu sein,
orieentwicklung und die praktische (Beratungs-)Arbeit wenn sie ihren beruflichen Ambitionen nachgehen.
mit Eltern wäre zu klären, wann „gutgemeinte“ Förder- Analysiert man die ins Feld geführten Argumente,
absichten dem Wohl des einzelnen Kindes (oder auch der überwiegen vorwissenschaftliche Annahmen über die
Eltern) eher schaden als dienen und woran sich im Ein- (vermeintlich) einzigartige Bedeutung der Mutter in den
232 Kapitel 10 • Familie

ersten Lebensmonaten und -jahren des Kindes. Aus die- des Wirtschaftsnobelpreisträgers James Heckman (2006)
1 ser Logik betrachtet können die im Einzelfall relevanten zufolge, hat ein Land von jedem Dollar, den es in die frühe
Motive für eine mütterliche Erwerbstätigkeit allenfalls die Förderung der Ärmsten investiert, einen 7- bis 12-fachen
2 zwangsläufig entstehende „Schuld“ gegenüber dem Kind Nutzen, weil Sozialkosten eingespart und mehr Steuern
abmildern – dies ist vor allem dann der Fall, wenn Müt- eingenommen werden.
ter aus existenzieller Not einer Berufstätigkeit nachgehen, Die Erkenntnis, dass sich staatliche Investitionen in
3 die erkennbar nicht der Befriedigung „egozentrischer“ eine gute frühe Bildung volkswirtschaftlich auszahlen,
Bedürfnisse nach Anerkennung, Selbstbestätigung oder unterstreicht die Sinnhaftigkeit aktueller bildungspoliti-
4 Aufstieg dient. scher Anstrengungen um den Ausbau von Kitaplätzen und
Jedoch lassen sich auch ohne akute Notsituation gute Ganztagsschulen gerade auch in Deutschland, wo die Bil-
5 Gründe für eine steigende Erwerbsbeteiligung von Müt- dungs- und Teilhabechancen Heranwachsender besonders
tern anführen. Diese reichen von dem Wunsch, die bishe- stark von der sozialen Herkunft abhängen (Ehmke & Jude,
rigen Investitionen in die Ausbildung und den Berufsein- 2010; Stanat, Rauch & Segeritz, 2010). Dennoch nehmen
6 stieg längerfristig zu sichern und nicht durch eine längere die Ungleichheiten weltweit und insbesondere in wohl-
Erwerbsunterbrechung aufs Spiel zu setzen, über den habenden Ländern wie Deutschland zu. Die regelmäßig
7 Wunsch nach einem (auch für die Kinder) verbesserten Le- vorgelegten Armuts- und Reichtumsberichte des Bundes-
bensstandard bis zur langfristigen Einkommenssicherung ministeriums für Arbeit und Soziales (▶ Exkurs „Frühkind-
– auch im Krisenfall oder Rentenalter. Zu bedenken ist, liche Bildung und Betreuung“ und ▶ Abschn. 10.3.3) zeigen
8 dass die Scheidungsrate kontinuierlich steigt und vor allem einige Erklärungsansätze auf.
alleinerziehende Mütter und deren Kinder überproporti- Jenseits der bislang dargestellten Erklärungen, die auf
9 onal häufig von Armut betroffen sind (▶ Abschn. 10.3.3). statistisch belegbare Unterschiede bei der Inanspruch-
Da Alleinerziehende nicht selten über einen längeren nahme öffentlicher Bildungseinrichtungen fokussieren,
10 Zeitraum in relativer Armut leben (UNICEF, 2005) und ist zu vermuten, dass intakte Familien der Mittel- und
Beeinträchtigungen in der kindlichen Entwicklung vor al- Oberschicht weitaus mehr in privat finanzierte Aktivitä-
lem im Kontext dauerhafter ökonomischer Deprivation zu ten zur Förderung ihrer Kinder investieren (können) als
11 beobachten sind (▶ Walper, 2008), gewinnt die berufliche beispielsweise Migrantenfamilien und Alleinerziehende.
Entwicklung von Frauen allein als Armutsprophylaxe an Leider mangelt es bislang allerdings an Statistiken und Stu-
12 Bedeutung. Wenn also junge Frauen ein Lebenskonzept dien, die verlässliche Auskünfte darüber geben, in welchem
verfolgen, das darauf abzielt, dass sich Ausbildungskosten Umfang informelle und nonformale Bildungsangebote
auszahlen und sie einer ausbildungsadäquaten Berufstätig- wahrgenommen werden und was diese leisten. Genauso
13 keit nachgehen können, die ihnen wie auch ihren Kindern unklar ist, inwiefern und mit welchem Erfolg Regelungen
in jedem Fall (d. h. auch bei Trennung und unabhängig von zur Aufteilung von Kindern auf nahe gelegene Kitas und
14 möglicherweise schwankenden Unterhaltszahlungen) ein Schulen unterlaufen werden. Stattdessen finden sich in der
finanzielles Auskommen sichert, ist dies nicht Ausdruck Presse Schilderungen von Kita- und Schulleitungen, die
15 wachsender Egozentrik, sondern einer rationalen Abwä- im lokalen „Konkurrenzkampf um Mittelschichtsfamilien“
gung von (auch langfristigen) Nutzen und Risiken. mit der Zusage einer sozial homogenisierten Gruppenauf-
Aus bildungswissenschaftlicher und entwicklungs- teilung werben (z. B. Friedrichs, 2013). Dieses Beispiel
16 psychologischer Sicht ist zudem hervorzuheben, dass mag kein repräsentatives Abbild liefern; es lässt dennoch
Vorschulkinder in sprachlicher, kognitiver und sozialer ahnen, dass und warum die geforderte Verbesserung von
17 Hinsicht von einer institutionellen Betreuung profitieren Bildungschancen alle staatlichen Bildungseinrichtungen
(Sylva et al., 2004). Selbst bei einem Kita-Besuch im Alter vor eine immer schwierigere Aufgabe stellt.
von unter drei Jahren lassen sich keine nachteiligen Effekte
18 auf die psychosoziale Entwicklung finden (Walper & Grgic,
2013), wenn der Umfang der Fremdbetreuung altersange- 10.2.3 Der Schuleintritt: Eltern
19 messen dosiert wird, die Eingewöhnungsphase angemes- als Lernbegleiter und Lehrkräfte
sen gestaltet und die Qualität der Einrichtung sichergestellt als „Erziehungspartner“
20 ist (Becker-Stoll, Niesel & Wertfein, 2009). Viele Studien
zeigen zudem, dass der Ertrag von früher Bildung vor al- Die Aussage, dass Familien nicht nur einen Be- und Er-
lem für benachteiligte Gruppen hoch ist. Migrantenkinder ziehungsraum für Kinder, sondern auch eine wichtige
21 etwa, die eine Krippe besucht haben, besuchen deutlich Lernumgebung darstellen, mag heutzutage wenig Wider-
häufiger das Gymnasium als diejenigen, die zu Hause spruch erzeugen. Doch noch Ende der 1980er-Jahre war
22 betreut wurden. Vom Kindergartenbesuch profitieren je- die Vorstellung einer strikten Arbeitsteilung zwischen
doch nicht nur die benachteiligten Kinder – Berechnung Schule und Elternhaus in der Öffentlichkeit weit verbrei-
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
233 10

Exkurs  |       | 

Frühkindliche Bildung und Betreuung


Seit die erste PISA-Untersuchung dertagesstätte besuchen als Kinder ohne che in einer Kita betreut wird, in der die
aufgezeigt hat, wie schlecht es in Migrationshintergrund. Zu den Faktoren, Deutsch sprechenden gleichaltrigen Kin-
Deutschland gelingt, herkunftsbedingte die sich auf die Inanspruchnahme von der in der Minderheit sind. (...) Beim Über-
Leistungsunterschiede im Bildungssystem Betreuungsangeboten auswirken, zählen gang in die Schule werden Kinder aus
wettzumachen, wird intensiv diskutiert, die Erwerbstätigkeit und der Bildungsab- Familien mit niedrigem sozioökonomi-
welche Faktoren für die Entstehung und schluss der Eltern sowie die Anzahl der schen Status und Kinder mit Migrations-
Verschärfung dieser sozialen Disparitäten in der Familie zu betreuenden Kinder. hintergrund häufiger wegen Sprach- und
ausschlaggebend sind. Hierbei richtet Hinzu kommen Informationsdefizite Sprechstörungen, psychomotorischen
sich ein zentrales Augenmerk auf die über Betreuungsoptionen, sprachliche Störungen sowie intellektuellen Entwick-
frühkindliche Bildung und Betreuung, die Barrieren und die interkulturelle Offenheit lungsstörungen von der Einschulung
in Deutschland in der Regel erst im Kin- auf Seiten der Betreuungseinrichtungen. zurückgestellt. Verspätet eingeschulte
dergartenalter einsetzt. Insbesondere das Da Kinder erwerbstätiger Eltern bei der Kinder holen auch im Verlauf der Grund-
Einstiegsalter unterscheidet sich deutlich Platzvergabe den Vorzug erhalten, bleibt schulzeit ihre Defizite zumeist nicht auf.
nach sozialen Faktoren, hierunter auch Kindern von erwerbslosen Eltern (...) der Es gelingt Deutschland im internationalen
nach dem Bildungshintergrund und der Zugang zu Betreuungseinrichtungen oft- Vergleich damit weniger gut, Kinder in
Erwerbstätigkeit der Eltern. mals verwehrt. Dieser Zustand ändert sich ihren aktuellen Klassenverbänden zu
So wird in dem vierten Armuts- und mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs fördern (...). Umgekehrt begünstigen
Reichtumsbericht (BMAS, 2013, S. 22 f.) auf Kinderbetreuung für jedes Kind ab ein guter Bildungsgrad der Eltern, ihre
konstatiert, dass dem vollendeten ersten Lebensjahr im Bildungserwartung und ihr Unterstüt-
August 2013 (…).“ zungspotenzial den Erfolg von Kindern
„Kinder aus bildungsfernen und einkom- in der Grundschule sowie den späteren
mensschwachen Elternhäusern sowie „Erschwerend für den alltagsnahen Übergang auf ein Gymnasium. “
insbesondere Kinder mit Migrationshin- Spracherwerb wirkt aber, dass jedes dritte
tergrund seltener und kürzer eine Kin- Kind mit nicht deutscher Familienspra-

tet. Die entsprechend getrennten Zuständigkeitskonzep- der Forschung zum Engagement von Eltern für die schu-
tionen – Lehrkräfte waren für den Erwerb intellektueller lische Entwicklung ihrer Kinder (parental involvement
Wissensbestände und Fähigkeiten zuständig, Eltern oblag in schooling) unterscheidet man zwischen „school-based
die Verantwortung, im Rahmen der familialen Erziehung involvement“ – darunter fällt etwa der Besuch von Eltern-
die psychosoziale Entwicklung von Kindern zu fördern – sprechtagen, die Mithilfe bei Schulfesten und -ausflügen
spiegelten sich auch in der Forschungslandschaft wider: oder auch die Mitwirkung in der Elternpflegschaft – und
Pädagogisch-psychologische Untersuchungen zur Rolle „home-based involvement“. Letzteres hebt vor allem auf
des Elternhauses für die schulische Entwicklung waren die elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen ab, etwa Hilfe-
rar und blieben es in Deutschland bis zum Ausklang des stellungen bei den Hausaufgaben oder auch das Üben im
20. Jahrhunderts (zusf. Wild & Lorenz, 2010). Dass der Vorfeld von Klassenarbeiten oder in Reaktion auf Lern-
inzwischen vorliegende Forschungsstand deutlich um- und Leistungsprobleme. Da für die Lern- und Leistungs-
fassender ist, hat vielfältige Gründe. Sie reichen von dem entwicklung vor allem häusliche Aktivitäten prognostisch
oben bereits erwähnten Wandel im Selbstverständnis und bedeutsam sind, konzentrieren sich die folgenden Ab-
Anspruch von Eltern über den politisch gewollten Ausbau schnitte auf diesen Teilbereich.
von inklusiven und ganztägigen Schulen bis hin zu wissen- Im Vergleich zur Lehrer-Schüler-Interaktion bergen
schaftsinternen Diskursen über die Bildungsbedeutsamkeit lernbezogene Eltern-Kind-Interaktionen spezifische Po-
familialer Sozialisationsprozesse (vgl. Müller, 2012, Walper tenziale (Wild, 2004). In der dyadischen Situation zu Hause
& Grgic, 2013; Wild et al., 2012). Im Ergebnis ist festzu- gibt es keine vorgegebene Zeittaktung wie in der Schule,
halten, dass die traditionellen Zuständigkeitsbereiche von sodass genügend Zeit für Wiederholung zur Verfügung
Schule und Familie immer mehr verschwimmen (Fegter & steht. Erworbenes Wissen kann den Eltern gegenüber zu-
Andresen, 2008) und Bildungs- und Erziehungsprozesse sammengefasst und dadurch wiederholt und aufgearbeitet
daher kaum noch unabhängig voneinander zu betrachten werden. Eltern können ihren Kindern Rückmeldung über
sind. individuelle Fortschritte geben, ohne den sozialen Bezugs-
Wie bereits ausgeführt, beeinflussen Eltern indirekt rahmen der Klasse zur Leistungsbeurteilung in Betracht
über den häuslichen Anregungsgehalt die Ausbildung von ziehen zu müssen, und haben so die Möglichkeit, einen
Fähigkeiten und Haltungen, die für den schulischen Erfolg offenen Umgang mit Fehlern zu fördern. Weiterhin kön-
bedeutsam sind. Nach der Einschulung verbreitern sich die nen Eltern, wenn sie Über- oder Unterforderung bei ihrem
Möglichkeiten, das eigene Kind schulisch zu begleiten. In Kind wahrnehmen, die Aufgabenschwierigkeit an das indi-
234 Kapitel 10 • Familie

viduelle Leistungsniveau des Kindes anpassen und so eine liche Domänen wie Mathematik, Lesen und Sport, dass
1 für das Kind optimale Herausforderung schaffen. selbst bei Kontrolle der Eingangsleistungen zwei Faktoren
Theoretisch ist also zu erwarten, dass sich diese Un- einen wesentlichen Beitrag zur Vorhersage der Leistungs-
2 terstützungsangebote positiv sowohl auf die Lernmoti- entwicklung und des Wahlverhaltens von Schülern leisten:
vation als auch den Erwerb von Selbstregulations- und die Erfolgserwartungen und Valenzüberzeugungen der
Lernstrategien auswirken (Hoover-Dempsey et al., 2001). Schülerinnen und Schüler (Durik, Vida & Eccles, 2006;
3 Daher ist es grundsätzlich positiv zu bewerten, dass Kin- Wigfield & Eccles, 2000). Letztere bilden ab, wie wichtig
der bei der Bewältigung schulischer Anforderungen nur es einer Person ist, in einem Fach gut zu sein, wie viel Spaß
4 selten auf sich gestellt sind. So gaben in einer Studie von ihr die Lernhandlung an sich macht und/oder wie wichtig
Wild und Remy (2002) weniger als 10 % der 304 befrag- eine Lernhandlung für das Erreichen zukünftiger Ziele er-
5 ten Drittklässler an, dass sie ihre Hausaufgaben im Fach scheint. Mit der Erfolgserwartung („success expectation“)
Mathematik immer alleine machen müssen. Vergleichbare ist dagegen die subjektiv eingeschätzte Wahrscheinlichkeit
Prozentsätze ergeben sich, wenn Siebtklässler zu den Che- angesprochen, dass das angestrebte Ereignis eintritt, also
6 mie-Hausaufgaben befragt werden (Exeler & Wild, 2003) ob ein Kind oder Jugendlicher meint, eine Mathematikauf-
und wenn anstelle der Schülerangaben die Sicht der El- gabe lösen zu können.
7 tern herangezogen wird (Trautwein & Kropf, 2004; Wild Aus der Perspektive dieses Ansatzes sind also jene
& Gerber, 2007). Merkmale des Elternhauses bedeutsam, die die Erwar-
Gleichwohl variieren Art und Umfang der Haus- tungs- und Valenzüberzeugungen der Schüler beeinflus-
8 aufgaben und der elterlichen Hausaufgabenbetreuung sen. Dementsprechend wurde insbesondere der Rolle
in Abhängigkeit vom Alter der Schüler, dem besuchten elterlicher Überzeugungen und domänenspezifischer
9 Schultyp und dem Fach (z. B. Trautwein, Lüdtke, Schny- Werthaltungen nachgegangen (Eccles, 2007). Erwartungs-
der & Niggli, 2006; Wagner, Schober & Spiel, 2005). Auch gemäß ließen sich interindividuelle Unterschiede in den
10 die Ressourcen der Eltern spielen eine Rolle. Empirische Fähigkeitsselbstkonzepten von Schülern von der 1. bis zur
Studien zu den Bedingungen für die Art und das Ausmaß 12. Klasse mithilfe des elterlichen Vertrauens in die kindli-
elterlichen Schulengagements (Grolnick, Benjet, Kurow- che Leistungsfähigkeit erklären und zwar auch dann, wenn
11 ski & Apostoleris, 1997; Hoover-Dempsey et al., 2005; die Eingangsleistungen der Schüler kontrolliert wurden
Wild & Yotyodying, 2012) unterstreichen die Bedeutung (auch Fredricks & Eccles, 2005). Für die Herausbildung
12 der elterlichen Selbstwirksamkeitserwartungen und an- kindlicher Valenzüberzeugungen scheint primär die elter-
derer psychologischer „Motivatoren“ wie die Lern- und liche Vorbildfunktion wichtig zu sein. Wenn Eltern ihre
Leistungszielorientierungen von Eltern oder auch deren Kinder zu Aktivitäten wie Lesen, Musizieren oder Sport
13 Zuständigkeitsvorstellungen. Zusammengenommen er- ermutigen, diese gemeinsam mit ihrem Kind ausführen
klären sie, warum sozial weniger privilegierte Familien und Material (Bücher, Musikinstrumente, Sportartikel) zur
14 vor „institutionellen“ Kontakten mit der Schule und Verfügung stellen, nehmen Schüler außerschulische Lern-
den Lehrkräften eher zurückschrecken und oftmals als angebote eher wahr und gehen diesen Aktivitäten auch
15 „schwer erreichbar“ oder „desinteressiert“ gelten, obwohl selbstbestimmt nach (Eccles, 2007; Simpkins, Davis-Kean
sie durchaus aktiv Anteil an der schulischen Entwicklung & Eccles, 2005).
ihrer Kinder nehmen (Müller, 2012) und von diesen als In empirischen Studien, die auf dem Modell von Eccles
16 wichtige Quelle der Unterstützung wertgeschätzt werden aufbauen, werden Valenzüberzeugungen meist über den
(Cooper, in Druck). Grad der wahrgenommenen Nützlichkeit einer Lernhand-
17 Aus dem Umfang, in dem Eltern beim häuslichen lung erfasst. Die Förderung einer solchen Form der extrin-
Lernen involviert sind, lassen sich jedoch noch keine sischen Motivation (▶ Kap. 7) stellt aus der Perspektive der
Rückschlüsse auf die Qualität der elterlichen Hilfe zie- Selbstbestimmungstheorie (für einen Überblick s. Deci
18 hen – und diese ist letztlich entscheidend für den Lern- & Ryan, 2000) allerdings eher ein „Zwischenziel“ erziehe-
fortschritt. Analysiert wurde sie in zwei Forschungslinien, rischer Bemühungen dar. Von einer „gelungenen“ Soziali-
19 die auf unterschiedlichen theoretischen Ansätzen basie- sation ist aus dieser Sicht erst dann zu sprechen, wenn He-
ren. Gemein ist ihnen, dass sie dem Elternhaus einen ranwachsende die von relevanten Bezugspersonen (Eltern,
20 wichtigen Stellenwert für die Entwicklung der Lernmo- Lehrer) an sie herangetragene Erwartungen und Anforde-
tivation und des Selbstkonzepts (▶ Kap. 7 und ▶ Kap. 8) rungen akzeptieren und sich zu eigen machen. Bei dieser
beimessen. Die erste Forschungslinie setzt an dem Erwar- zweiten Forschungsperspektive steht daher der Prozess der
21 tungs-Wert-Modell der Leistung und leistungsrelevanter Internalisierung im Zentrum, der im Erleben der Schü-
Entscheidungen von Eccles und Kollegen an (z. B. Eccles, ler mit einem wachsenden Gefühl von Selbstbestimmung
22 2007; Wigfield & Eccles, 2000). In Einklang mit diesem einhergeht. Damit fremdbestimmte (external regulierten)
Modell belegen längsschnittliche Studien für unterschied- Formen der Verhaltensregulation zu selbstbestimmteren
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
235 10

Formen der Lernmotivation, im Idealfall zur Herausbil- schätzung unterstützt fühlten. Auch wurden Kinder mit
dung von personalen Interessen, transformiert werden, ist autonomieunterstützenden und emotional zugewandten
aus der Perspektive der Selbstbestimmungstheorie die Be- Eltern von ihren Lehrern als kompetenter und leistungsfä-
friedigung von drei psychologischen Grundbedürfnissen higer eingeschätzt und konnten ihre Lernleistung schneller
essenziell: dem Bedürfnis nach Kompetenzerleben, Auto- verbessern (Dumont et al., in Druck).
nomieerleben und sozialer Eingebundenheit. Unter bildungspolitischen Gesichtspunkten ist her-
Angewendet auf die Qualität häuslicher Lernumgebun- vorzuheben, dass die Qualität der von Eltern gewährten
gen sollten Kinder bildungsbezogene Werte und Standards Hilfe weniger eindeutig mit der Schichtzugehörigkeit
umso eher verinnerlichen, je mehr ihnen die Chance er- zusammenzuhängen scheint als gemeinhin angenom-
öffnet wird, sich als kompetent und Urheber der eigenen men. So erfahren Kinder aus sozial besser gestellten El-
Handlung zu erleben und sich anerkannt und wertge- ternhäusern zwar mehr positive Formen der elterlichen
schätzt zu fühlen. Autonomieunterstützung zeigt sich in Unterstützung, aber auch mehr Kontrolle und Einmi-
Ermutigungen zur Eigeninitiative, im Anbieten subjektiv schung im Hausaufgabenprozess (zusf. Dumont, 2012).
bedeutsamer Wahlmöglichkeiten, in der Anerkennung Ein hoher sozialer Status ist also keineswegs ein Garant
der Perspektive und Gefühle des Kindes, in emotionaler für eine förderliche Hilfe beim Lernen. Gerade leistungs-
Unterstützung vor allem bei der Bewältigung von Misser- motivierte und „erfolgsverwöhnte“ Eltern können auf
folgen sowie in Rückmeldungen, die die Aufmerksamkeit den von Henry-Huthmacher et al. (2008) beobachteten
des Kindes auf den individuellen Lernfortschritt richten. Erwartungs- und Leistungsdruck mit einem Überengage-
Darüber hinaus kommt adaptiven, auf den jeweiligen ment reagieren, das sich in problematischen Verhaltens-
Lern- und Entwicklungsstand des Kindes zugeschnittenen weisen zeigt, die (unbeabsichtigt) dem Wohl des Kindes
Hilfestellungen eine besondere Bedeutung zu: Im Sinne des und damit auch dem eigenen Bestreben zuwiderlaufen.
„Scaffolding-Prinzips“ gilt es, so wenig Hilfe wie möglich, Dies ist bereits der Fall, wenn Kinder mit überzogenen
aber so viel Hilfe wie nötig zu gewähren, damit der Lerner Leistungserwartungen konfrontiert werden, die kindliche
in seiner Selbstständigkeit gefördert wird, ohne dass sich Kompetenz subtil in Zweifel gezogen wird, das häusliche
Gefühle von Überforderung oder Hilflosigkeit einstellen Lernen durch ein hohes Maß an Druck und engmaschi-
(Pomerantz, Ng & Wang, 2006; Shumow, 1998). Autono- ger Verhaltenskontrolle gekennzeichnet ist oder Eltern
mieunterstützung beim Lernen erschöpft sich also nicht das Lernverhalten ihrer Kinder durch Liebesentzug oder
in einem bloßen Fehlen von Kontrolle und ist auch nicht leistungsabhängige Zuwendung zu steuern versuchen
mit einem permissiven Umgang mit schulischen Belan- („conditional regard“, vgl. Roth et al., 2009). Gezielte
gen (▶ Abschn. 10.2.4) zu verwechseln. Autonomieunter- Maßnahmen zur Steigerung der Qualität häuslicher Lehr-
stützung setzt vielmehr eine vertrauensvolle Beziehung zu Lern-Umgebungen – etwa im Rahmen der Elternarbeit
signifikanten Bezugspersonen und die Bereitstellung von oder auch in universellen Elterntrainings – können dazu
Strukturen, die den Rahmen für autonomes Verhalten beitragen, dass die ohnehin von vielen Eltern investierte
altersangemessen abstecken und dadurch vor allem jün- Zeit und Kraft zielführender eingesetzt und elterliches
gere Schüler vor Überforderung schützen, voraus. Hierzu Überengagement vermieden wird.
zählt, dass Eltern ihren Kindern Wertmaßstäbe vorleben Gleichwohl bedenklich ist es, wenn Wunschkinder zu
und vermitteln, schul- bzw. lernbezogene Erwartungen einem „Futter für Therapeuten, Nachhilfelehrer und die
transparent machen und aufzeigen, welche (sachlogischen) Pharmaindustrie“ (Largo & Beglinger, 2009) werden, weil
Konsequenzen es hat, wenn Regeln oder Grenzen verletzt sie nicht die gewünschten Leistungen zeigen. Bislang man-
werden. Strukturgebung ist dabei von einem kontrollie- gelt es an empirischen Studien, die einen wachsenden und
renden Verhalten abzugrenzen, das auf eine Verhaltensan- zu einem immer früheren Zeitpunkt der Familienkarriere
passung des Kindes abzielt und mit einer Frustration des einsetzenden Rückgriff auf pädagogische, psychologische
kindlichen Autonomieerlebens einhergeht. oder medizinische Hilfen zweifelsfrei belegen. Auffällig ist
In Einklang mit den skizzierten Überlegungen wurden jedoch, dass Elternratgeber und Elterntrainings sowie kom-
in überwiegend angloamerikanischen Studien zur Funkti- merziell betriebene Nachhilfeinstitute und Einrichtungen,
onalität elterlicher Hilfen beim Lernen (zusf. Wild & Lo- die Förderangebote für Kinder mit Teilleistungsschwächen
renz, 2010) positive Zusammenhänge zwischen der kind- oder auch (vermeintlich) Hochbegabte bereitstellen, sich
lichen Bedürfnisbefriedigung und dem Kompetenzerleben einer immer größeren Beliebtheit erfreuen. Zudem ist
von Schülern, ihren Kontrollüberzeugungen sowie ihrem nachweislich die Verschreibung von Medikamenten mit
Wohlbefinden gefunden. Darüber hinaus zeigte sich, dass dem konzentrationssteigernden Wirkstoff Methylphenidat
Schüler umso eher selbstbestimmte Formen der Lernmo- im letzten Jahrzehnt exponentiell gestiegen (Grobe, Blitzer
tivation berichteten, je mehr sie sich von ihren Eltern in & Schwartz, 2013), obwohl die Prävalenz von klinisch be-
ihrem Bedürfnis nach Autonomie, Kompetenz und Wert- deutsamen Störungen der Aufmerksamkeitssteuerung und
236 Kapitel 10 • Familie

Impulskontrolle, bei denen eine solche medikamentöse Be- eine als legitim empfundene Eingrenzung der elterlichen
1 handlung angezeigt sein könnte, auf einem gleichbleibend Pflichten und Rechte abgeleitet. So verbindet sich beispiels-
niedrigen Niveau von unter 10 % liegen dürfte. Folgt man weise mit der Abschaffung der Hausaufgaben die Idee, dass
2 den Erfahrungen hiesiger Kinder- und Jugendpsychothera- das Elternhaus in den Hintergrund tritt oder treten sollte,
peuten (vgl. Blech, 2013), dann sprechen sich immer mehr um schichtabhängige Bildungsungleichheiten zu nivellie-
Eltern schon deshalb für eine Medikation aus, weil sie sich ren. Jedoch ist die Frage, inwieweit auf diesem Weg der Ein-
3 eine Verbesserung der Schulleistungen ihrer Kinder erhof- fluss der Familie vermindert werden kann, unbeantwortet.
fen und eine Übertrittsempfehlung auf das Gymnasium Mehrere Argumente stimmen skeptisch. Erstens stammen
4 sicherstellen wollen. Sollten sich diese Eindrücke wissen- Befunde zur Bedeutung des parental involvement vorran-
schaftlich erhärten lassen, wären gerade in der Praxis tä- gig aus angloamerikanischen Studien, beziehen sich also
5 tige Pädagogische Psychologen aufgerufen, diesem Trend auf Heranwachsende, die überwiegend ganztägig beschult
durch eine offensive Aufklärungs- und Beratungsarbeit werden. Zweitens erschöpft sich die elterliche Hilfe beim
entgegenzuwirken. Lernen (home-based involvement) nicht in der Betreuung
6 In Teilen kann dem wachsenden Leistungsdruck und der Hausaufgaben und drittens erhalten umgekehrt viele
seinen im Einzelfall problematischen Folgen bereits durch Halbtagsschüler eine institutionelle Hausaufgabenhilfe
7 die Etablierung von tragfähigen Erziehungspartner- (z. B. im Hort), die nicht minder kompensatorisch wirken
schaften zwischen Elternhaus und Schule entgegen ge- sollte. Zudem zeigen Evaluationsstudien in Deutschland,
wirkt werden. Eine von der Vodafone-Stiftung ins Leben dass an offenen Ganztagsangeboten vor allem Kinder aus
8 gerufene Expertenkommission hat daher, aufbauend auf Ein-Elternteil-Familien, Stieffamilien und strukturell in-
den Standards for Family-School-Partnership der Parent- takten Doppelverdiener-Familien teilnehmen (Züchner,
9 Teacher-Association aus den USA, Qualitätsmerkmale ei- Arnoldt & Vossler, 2007; Börner, Steinhauser, Stötzel & Ta-
ner partnerschaftlichen Kooperation zwischen Eltern und bel, 2012; Börner, Gerken, Stötzel & Tabel, 2013). Dies legt
10 Schulpersonal zusammengefasst, an denen sich Schulen im nahe, dass Nachmittagsangebote von Eltern vorrangig als
Rahmen ihrer Schulentwicklung orientieren können1. Die attraktiv erachtet werden, weil sie eine verlässliche Betreu-
mit „Best-practice“-Beispielen angereicherten Empfehlun- ung bieten, während inhaltliche Aspekte (z. B. spezifische
11 gen sollen dazu beitragen, dass die derzeit noch sehr dis- Förderangebote, Kompensation von elterlichen Kompe-
parate Praxis in Deutschland (zusf. Wild & Lorenz, 2010) tenzdefiziten) sowohl hinsichtlich ihrer Bedeutung als auch
12 auf einem möglichst hohen Niveau angeglichen wird. Die in ihrer Qualität sehr unterschiedlich eingeschätzt werden
an einzelnen Schulen zu erreichende Qualität der Koope- (Andresen & Richter, 2011). Kritisch beurteilt wird übri-
ration wird dabei ausdrücklich als eine Gemeinschaftsauf- gens besonders die Qualität der Hausaufgabenbetreuung
13 gabe verstanden. So obliegt es zwar vorrangig der Schule – an ihr entzünden sich auch immer wieder Diskussionen
als einer staatlichen Bildungsinstitution, Eltern aller Status- über Verantwortlichkeiten und Transparenz.
14 gruppen einzuladen und auch die Interessen von Minder- Insgesamt bleibt festzuhalten, dass auch und gerade der
heiten zu berücksichtigen. Eine demokratisch organisierte Erfolg von Ganztagsschulen wesentlich von den etablierten
15 Erziehungspartnerschaft lebt jedoch von dem Gedanken, Kooperationsstrukturen abhängt und hier vor allem die
dass sich alle Parteien ihrer Bring- und Holschuld bewusst Zuständigkeiten von Elternhaus und Schule neu auszuta-
sind und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen. rieren sind. So heißt es in der Stellungnahme der Bundes-
16 Die Empfehlungen tragen zudem aktuellen Entwicklungen regierung zu dem von einer Sachverständigenkommission
im Schulsystem Rechnung – und hier vor allem der forcier- erstellten 14. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ, 2013):
17 ten Öffnung von Schule, dem Ausbau von Ganztagsschulen
und der Ausweitung inklusiver Modelle der Beschulung –, » Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass das
indem bei der Kooperation mit Eltern nicht nur Lehrkräfte,
18 sondern auch weitere Personengruppen (Schulsozialarbei-
„Reformprojekt Ganztagsschule“ erheblich zur (Neu)
Gestaltung heutiger Kindheiten beigetragen hat und
ter, Erzieher, Integrationshelfer und Schulpsychologen) be- sich Zeiten und Räume von Kindern und Jugendlichen
19 rücksichtigt werden. ändern. Vor dem Hintergrund, dass die Ganztagsschule
Diese betonte Einbindung der Familie mag verwun- sich auf dem Weg zum Regelangebot befindet, un-
20 dern, zielt doch – ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips terstreicht die Kommission die Frage der Qualität von
– der Einsatz „professioneller Helfer“ meist darauf ab, fa- Betreuung, Erziehung und Bildung für die Gestaltung
miliale Defizite zu kompensieren. Hieraus wird gemeinhin des Aufwachsens aller Kinder. Dabei kommt der besse-
21 ren Verbindung von schulischen und außerschulischen
1 Siehe ▶ http://www.vodafone-stiftung.de/pages/programme/
Bildungsorten, der verstärkten Beteiligung der Eltern
22 talente_-_elternbildung/presse/publikationen/subpages/quali- sowie insbesondere auch der Partizipation der Kinder
taetsmerkmale_schulischer_elternarbeit/index.html und Jugendlichen selbst eine zentrale Bedeutung zu.
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
237 10
10.2.4 Die Transformation der Eltern-Kind- (s. u.) wichtige Voraussetzungen dafür gegeben, dass sich
Beziehung im Jugendalter im Regelfall eine enge und positive Eltern-Kind-Beziehung
entwickeln kann und den körperlichen und psychischen
Erziehung ist eine Funktion der Familie, die in jeder Phase Bedürfnissen Heranwachsender mehr denn je Rechnung
des Familienzyklus bedeutsam ist, in der minderjährige getragen wird. So ist es nicht verwunderlich, dass Her-
Kinder involviert sind – und mitunter auch darüber hi- anwachsende im Alter von 6 bis 11 Jahren (Andresen &
naus (▶ Abschn. 10.2.5). Im Erleben von Eltern werden Hurrelmann, 2010) und 12- bis 25-Jährige (Albert et al.,
Erziehungsfragen jedoch vor allem im Jugendalter salient, 2010) das Verhältnis zu ihren Eltern mehrheitlich als sehr
weil wachsende Unabhängigkeitsbestrebungen der Jugend- gut bezeichnen. Dass aber auch ein überwältigender Teil
lichen neue Themen in der Auseinandersetzung um Regeln der Jugendlichen eigene Kinder bekommen und diese so
und Normen eröffnen und die elterliche Autorität stärker erziehen möchte, wie man selbst erzogen wurde, zeigt:
hinterfragt wird. Aus diesem Grund und um zu zeigen, Selbst in der Adoleszenz kehren sich „gut erzogene“ He-
dass mit der zunehmenden Rolle der Peers die elterlichen ranwachsende nur selten von den vermittelten Werten ab
Anstrengungen alles andere als überflüssig werden, werden und strengen intergenerationale „Grabenkämpfe“ inner-
Erkenntnisse der Erziehungspsychologie an dieser Stelle halb der Familie an. Was aber macht „gute Erziehung“ aus?
behandelt. Mit dieser Frage befasst sich die pädagogische und
psychologische Forschung seit langer Zeit, wobei die For-
Definition  schung zu (elterlichen) Erziehungsstilen starken kon-
▶ Erziehung zielt auf eine Förderung der psychischen junkturellen Schwankungen unterlag. Einem regelrechten
Entwicklung von Menschen sowie die Vermittlung „Boom“ in den 1960er-Jahren folgte eine Phase der Stag-
von gesellschaftlichem Wissen, Verhaltensregeln und nation, da die Bilanz, die in den 80er-Jahren vor allem von
Normen ab. Im Gegensatz zu Sozialisation beruht deutschen Wissenschaftlern (z. B. Brandstädter & Montada,
Erziehung auf einer pädagogischen Intention. 1980; Schneewind, 1980) gezogen wurde, äußerst kritisch
ausfiel. Angesichts zahlreicher methodologischer und in-
haltlicher Kritikpunkte wurde angezweifelt, ob von einer
Empirische Studien (z. B. Schneewind & Ruppert, 1995) Fortführung dieser Forschungstradition überhaupt ein wis-
belegen in den letzten Jahrzehnten deutliche Veränderun- senschaftlicher Erkenntnisfortschritt zu erwarten sei.
gen in den erzieherischen Zielen und Methoden. Heutzu- Etwa zur gleichen Zeit wurde in anderen Ländern un-
tage geht die Mehrheit der Eltern – in Einklang mit der ter dem Eindruck der Studentenrevolten und Hippiekultur
Fachliteratur (Fuhrer, 2005) – davon aus, dass in der mo- eine intensiv und sehr kontroverse Debatte über die Frage
dernen Gesellschaft eine andere Art von Erziehung be- geführt, warum sich Heranwachsende von gesellschaftli-
nötigt wird als in traditionalen Gesellschaften, in denen chen Werten und Normen abwenden und Problemver-
Autorität, Gehorsam und Weitergabe von allseits geteil- halten gerade auch im Jugendalter wahrscheinlicher wird.
ten Normen deren Weiterbestehen garantieren. So haben Zentrale Arbeiten zum Thema Erziehung, die in den USA
Erziehungsziele wie „Selbstständigkeit und freier Wille“ vor allem Diana Baumrind vorlegte, wurden von der Ar-
an Bedeutung gewonnen, sind die Einflussmöglichkeiten beitsgruppe um Larry Steinberg aufgegriffen, fortgeführt
von Kindern auf Familienentscheidungen gestiegen, stel- und auf eine breite empirische Basis gestellt. Die Ergebnisse
len die intergenerationalen Beziehungen immer weniger der hieraus hervorgegangenen, inzwischen über 30 Jahre
einen „Befehlshaushalt“ als einen „Verhandlungshaushalt“ bestehenden Erziehungsstilforschung wurden 2001 unter
dar, in dem die Rechte und Pflichten der Familienmitglie- dem programmatischen Titel „We know some things“ zu-
der gemeinsam ausgehandelt werden (z. B. Jugendwerk sammengefasst (Steinberg, 2001, 2004). Da diese im anglo-
der Deutschen Shell, 1985; Walper, 2004). Für heutige amerikanischen Sprachraum entstandenen Arbeiten unser
Elterngenerationen impliziert diese Liberalisierung in der heutiges Verständnis von elterlicher Erziehung maßgeblich
Eltern-Kind-Beziehung indes keine Befreiung von lästigen prägen, werden sie im Folgenden näher erläutert.
Pflichten, sondern die Aufforderung, die eigenen Entschei- Am Ausgangspunkt der Arbeiten von Baumrind stand
dungen, Erwartungen oder Meinungen fortwährend argu- weniger ein theoretischer Ansatz, aus dem sich Aussagen
mentativ zu begründen. Solche Gespräche sind für Eltern beispielsweise über die für die Genese sozialer oder intel-
nicht selten anstrengend und manchmal nervenaufreibend, lektueller Kompetenzen relevanten Bedingungsfaktoren
gleichwohl sind sie sinnvoll, da Jugendliche auf diese Weise ableiten ließen. Baumrind (1991b,c) wollte vielmehr von
„selbstständig werden im Gespräch“ (Hofer, 2003). den „Ergebnissen“ her Rückschlüsse auf (dys-)funktionale
Aus erziehungspsychologischer Sicht sind mit der Erziehungspraktiken ziehen. Sie ging daher empirisch
wachsenden Sensibilität für die kindlichen Belange und der Funktionalität elterlicher Erziehungspraktiken nach,
der Hinwendung zu autoritativen Erziehungspraktiken indem sie verglich, auf welche Art und Weise mehr oder
238 Kapitel 10 • Familie

weniger kompetente Kinder und Jugendliche erzogen wor- auch in einer weiteren Studie zum Grundschulalter (Baum-
1 den waren. „Kompetenz“ wurde dabei an zwei Kriterien rind, 1991a, b), wobei die drei genannten Erziehungsstile
festgemacht: der sozialen Kompetenz und der Autonomie. hier um einen vierten ergänzt wurden. Dieser vernachläs-
2 Dahinter stand der Gedanke, dass Heranwachsende nur sigende Erziehungsstil ist dadurch gekennzeichnet, dass
dann in der Lage sind, ihre Rolle in der Gesellschaft zu fin- ähnlich wie beim permissiven Stil keine Strukturen eta-
den und sich in die Gemeinschaft einzugliedern, wenn sie bliert oder Grenzen gesetzt werden, darüber hinaus aber
3 einerseits soziales Verantwortungsbewusstsein und soziale auch eine emotionale Bindung an das Kind fehlt. Diese
Fertigkeiten mitbringen und andererseits über ein gewisses emotionale Kälte kann im Extremfall in Form von Kindes-
4 Maß an Selbstständigkeit und Unabhängigkeit verfügen, misshandlung zum Ausdruck kommen. Empirisch schnit-
auch um sich durchsetzen und dem Druck, zum Beispiel ten Kinder, deren Eltern ein solches Verhalten zeigen, in
5 von Peers (auch ▶ Kap. 12), widerstehen zu können. allen erhobenen Kompetenzmaßen am schlechtesten ab.
Zunächst bezogen auf das Vorschulalter differenzierte Bezogen auf Familien mit Jugendlichen unterschied
Baumrind (1991a, b) auf Basis ihrer Daten drei prototypi- Baumrind sieben Erziehungstypen (für einen Überblick

-
6 sche Erziehungsstile: s. Baumrind, 1991b). Auch wenn diese stark ausdifferen-
Eltern, die einen autoritären Erziehungsstil pflegen, zierte Klassifikation in der nachfolgenden Forschung nicht
7 versuchen das Verhalten und die Einstellungen ihrer aufgegriffen wurde, sei doch auf den von ihr herausgear-
Kinder zu formen und zu kontrollieren. Sie orien- beiteten „Good-enough“-Typ hingewiesen. Er ist dadurch
tieren sich dabei an religiösen Normen, moralischen gekennzeichnet, dass Eltern in allen betrachteten Aspekten
8 Vorstellungen oder an sozialen Konventionen, wobei (Restriktivität, Monitoring und Autonomieunterstützung)
traditionelle Werte wie Respekt vor Autoritäten und durchschnittliche Ausprägungen erzielten. Bei Jugendli-
9 Gehorsam generell als wichtig erachtet und über kon- chen, deren Eltern diesem Erziehungstyp zuzuordnen wa-
trollierende und gegebenenfalls strafende Verhaltens- ren, zeigten sich keine Auffälligkeiten in der schulischen
10
11
- weisen durchzusetzen versucht werden.
Eltern, die ihre Kinder autoritativ erziehen, leiten
sie an, indem sie ihnen die Hintergründe für ihr
Verhalten und ihre Entscheidungen sachlich erklä-
und psychosozialen Entwicklung. Dies weist darauf hin,
dass es für eine normale und gesunde Entwicklung nicht
zwingend notwendig ist, stets ein „optimales“ Erziehungs-
verhalten zu zeigen.
ren. Sie unterstützen verbale Aushandlungsprozesse, Der von Baumrind (1991a) gewählte typologische
12 sind konsistent in ihrem Verhalten und thematisie- Zugang ist in der Überzeugung begründet, dass es für die
ren explizit ihre normativen Überzeugungen und kindliche Persönlichkeitsentwicklung vorteilhaft ist, wenn
Ansprüche. Sie erwarten von ihren Kindern, dass Eltern sowohl streng als auch liebevoll mit ihren Kindern
13 sie in altersangemessener Weise zum Funktionieren umgehen. Indirekt wird diese These gestützt durch die em-
der Familie beitragen, z. B. indem sie Aufgaben im pirisch nachgewiesene Überlegenheit autoritativ erzogener
14 Haushalt übernehmen. Gleichzeitig sind autorita- Kinder in fast allen Performanzmaßen und die Tatsache,
tiv erziehende Eltern fürsorglich, fühlen sich ihren dass vernachlässigte Kinder durchgängig die schlechtes-
15 Kindern emotional stark verbunden und unterstützen ten Werte erzielten. Erst die Arbeitsgruppe um Steinberg
diese in ihren Interessen und in der Bewältigung von (z. B. Steinberg, Lamborn, Dornbusch & Darling, 1992)

16
17
- (z. B. schulischen) Anforderungen.
Permissiv – oder nachsichtig – erziehende Eltern ver-
halten sich ebenfalls liebevoll und unterstützend. Sie
begegnen ihren Kindern mit großer Akzeptanz und
ging jedoch der genuinen und gemeinsamen Bedeutung
der beiden, den vier Erziehungsstilen zugrunde liegenden
Dimensionen nach.
Unter konzeptuellen Gesichtspunkten ist zu erwähnen,
verzichten auf Strafen oder autoritäre Durchsetzungs- dass anstelle des von Baumrind zur Kennzeichnung der ers-
praktiken. Gleichzeitig gehen sie Konfrontationen ten Dimension verwendeten Begriffs der Strenge nun der
18 mit ihren Kindern aus dem Weg und vermeiden es, der Verhaltenskontrolle („strictness“, „monitoring“) ver-
Grenzen konsequent durchzusetzen. wendet wurde (zur Kritik an diesem Konzept vgl. Fletcher,
19 Steinberg & Williams-Wheeler, 2004; Stattin & Kerr, 2000).
Den ersten Ergebnissen (Baumrind, 1991a) zufolge sind Eltern mit hohen Werten auf dieser Dimension richten
20 autoritativ erzogene Vorschulkinder durchschnittlich kom- hohe, aber realistische Erwartungen an ihre Kinder, halten
petenter als Gleichaltrige, die anders erzogen wurden. So sich über deren Aktivitäten, Freundschaften und Interessen
gingen beispielsweise autoritative Erziehungspraktiken auf dem Laufenden, formulieren klare Regeln und setzen
21 bei Mädchen mit einer größeren Zielstrebigkeit, Unab- diese auch mit disziplinierenden Maßnahmen durch. Die
hängigkeit und Leistungsorientierung einher, bei Jungen zweite von Baumrind postulierte Dimension der Wärme
22 mit einem freundlicheren und kooperativeren Verhalten. („responsiveness) wurde unter dem neuen Begriff Involve-
Die überlegene Kompetenz autoritativ Erzogener zeigt sich ment aufgegriffen. Er hebt auf das Ausmaß ab, in dem Eltern
10.2  •  Die Rolle des Elternhauses im Verlauf der Familienentwicklung
239 10

ihr Kind in seiner Entwicklung begleiten und sich auf dessen Erziehung der Idee einer „Freiheit in Grenzen“ (Wiss. Bei-
spezielle Bedürfnisse einstellen. Ergänzend führte Steinberg rat, 2005, S. 55). Damit ist gemeint, dass Heranwachsende
eine dritte Dimension psychologische Autonomiegewäh- in ihrer Autonomieentwicklung unterstützt und „heraus-
rung ein (zusammenfassend Steinberg, 2001). Sie beschreibt gefordert“ werden, aber zugleich Struktur erfahren, indem
das Ausmaß, in dem Eltern Jugendliche ermutigen und ih- sie konsequent mit Regeln und Grenzen konfrontiert wer-
nen erlauben, eigene Meinungen und Überzeugungen zu den, deren Übertretung antizipierbare Konsequenzen nach
entwickeln. Psychologische Kontrolle, die von Jugendlichen sich zieht (vgl. Grolnick & Pomerantz, 2009).
als Einmischung, Überbehütung oder Druck erlebt wird, Alle genannten Prinzipien müssen natürlich immer
stellt den Gegenpol von psychologischer Autonomiegewäh- an das einzelne Kind angepasst werden – ein hyperakti-
rung dar (zur Kritik an diesem Konzept vgl. Lorenz & Wild, ver Jugendlicher etwa braucht mehr Struktur als andere
2007; Silk, Morris, Kanaya & Steinberg, 2003). Kinder und die Erziehung zur Selbstständigkeit muss sich
Empirisch (zusf. Steinberg, 2001) zeigte sich, dass alle bei einem geistig behinderten Kind anders gestalten als bei
drei Dimensionen in spezifischer Weise zu einer günsti- einem intellektuell Begabten. Insofern ist eine autoritative
geren psychosozialen Entwicklung und akademischen Erziehung nicht durch ein „blindes Befolgen von Regeln“
Kompetenz von Jugendlichen beitragen. Je mehr Eltern zu bewerkstelligen – sie setzt vielmehr voraus, dass Eltern
über die Aktivitäten und das Erleben ihrer Kinder wissen, willens und fähig sind, die Bedürfnisse und Signale ihres
umso seltener tritt jugendliches Problemverhalten in Form Kindes angemessen wahrzunehmen, zu interpretieren und
von Drogen- und Alkoholkonsum oder delinquentem Ver- zu beantworten.
halten auf. Psychologische Autonomiegewährung und In- Wie schwierig es sein kann, emotionale Zuwendung
volvement erwiesen sich insofern als protektive Faktoren, oder auch die Balance von Freiheit und Verantwortung
als sie der Ausbildung internalisierender Probleme (De- altersangemessen zu realisieren, erfahren viele Eltern spä-
pressionen, Ängste) entgegenwirken. Hohe Ausprägungen testens im Umgang mit ihren jugendlichen Kindern. Im
auf beiden Dimensionen gehen darüber hinaus auch mit Zuge der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz begin-
einer positiveren Leistungsentwicklung – gemessen an der nen Heranwachsende immer stärker die Einstellungen und
Notenentwicklung im Verlauf eines Jahres – einher. Für die Gebote ihre Eltern zu hinterfragen und entwickeln Bezie-
Arbeitshaltung der Jugendlichen schließlich sind alle drei hungen zu Gleichaltrigen, die der Eltern-Kind-Beziehung
erfassten Dimensionen bedeutsam. an Intensität häufig nicht nachstehen und die Rolle der El-
Um im engeren Sinne von „Effekten“ des elterlichen tern als bislang wichtigster Gesprächspartner relativieren.
Erziehungsverhaltens sprechen zu können, ist sicherzustel- Nicht selten zeigen Jugendliche in Peer-Beziehungen auch
len, dass korrespondierende Unterschiede in der kindli- eine Unterordnungsbereitschaft, die Eltern befremdend
chen Entwicklung nicht auf andere Einflussgrößen, wie die finden können. Schließlich kann die Dynamik in einer
Lebensumstände der Familie, zurückzuführen sind. Hierzu Clique Jugendlicher dazu beitragen, dass das im Rahmen
vorgelegte Arbeiten zeigen, dass selbst bei Kontrolle der der Identitätsfindung wachsende Bestreben, sich und seine
Schichtzugehörigkeit das elterliche Erziehungsverhalten Umwelt zu explorieren, in riskante Aktivitäten und Prob-
einen statistisch bedeutsamen Beitrag zur Varianzaufklä- lemverhaltensweisen mündet.
rung in verschiedenen Kriterien, darunter den schulischen Es ist also nur verständlich, wenn Eltern besorgt, viel-
Leistungen, der psychosozialen Reife und den Arbeitshal- leicht auch gekränkt oder schlicht genervt reagieren und
tungen bzw. der Lernmotivation Jugendlicher, leistet. Eltern-Kind-Konflikte in dieser Phase des Familienzyklus
Zusammenfassend beschreibt das Konzept der auto- zunehmen. Diese vermehrten Auseinandersetzungen haben
ritativen Erziehung Verhaltensweisen, mit denen Eltern aber, wenn sie nicht eskalieren und konstruktiv bearbeitet
– oder auch andere Erziehungsverantwortliche – Heran- werden, auch ihr Gutes: Sie tragen dazu bei, dass Jugendli-
wachsende zu Eigenverantwortung und Gemeinschafts- che „selbstständig werden im Gespräch“ (Hofer, 2003). Dass
fähigkeit führen können. Aufgrund neuerer Arbeiten, die die emotionale Nähe im Urteil verschiedener Geburtsko-
zur Präzision der beiden zentralen Dimensionen Wärme horten immer weniger unter Streitigkeiten zwischen Eltern
und Lenkung beigetragen haben, lässt sich eine autoritative und Jugendlichen zu leiden scheint, spricht zudem dafür,
Erziehung am besten dadurch charakterisieren, dass Kin- dass eine autoritative Erziehung die Transformation einer
der zum einen emotionale Zuwendung erfahren, ohne mit asymmetrischen Eltern-Kind-Beziehung in eine „Peer-
dieser „erpresst“ zu werden. Dies ist etwa der Fall, wenn El- like“-Beziehung vorbereitet und erleichtert. Welche nach-
tern mit Liebesentzug drohen oder das kindliche Bestreben teilige Folgen es umgekehrt für die psychosoziale Entwick-
nach elterlicher Anerkennung zum Zweck einer engma- lung junger Erwachsener hat, wenn sie ihre „Territorien des
schigen Verhaltenssteuerung ausnutzen (zur Unterschei- Selbst“ nicht altersangemessen erobern (können), lässt sich
dung zwischen beiden Formen des „conditional regard“ am Beispiel des „Helicopter-parenting“-Phänomens ver-
vgl. Roth et al., 2009). Zum anderen folgt eine autoritative deutlichen, das im folgenden Kapitel erläutert wird.
240 Kapitel 10 • Familie

10.2.5 Familienbande nach der Adoleszenz Ein von den Medien unter dem Schlagwort „Hotel
1 Mama“ stark aufgegriffenes Phänomen besteht darin, dass
Die Überschrift verweist auf einen zeitlich ausgedehnte- Eltern in umfassender Weise von ihren Kindern weit über
2 ren Abschnitt im Leben der Familie, der streng genommen deren Volljährigkeit hinaus beansprucht werden. Den Be-
mehrere Stufen der Familienkarriere umfasst. Wir konzen- funden von Papastefanou (1996, 2006) zufolge kann sich
trieren uns hier auf die Veränderungen, die im Leben von dies unterschiedlich äußern. Während sich manche Eltern
3 Familien mit jungen Erwachsenen anstehen. Diese Phase ausgenutzt fühlen, weil sie punktuelle „Dienstleistungen“
ist angesichts verlängerter Ausbildungswege und verzöger- wie Wäsche waschen oder Essen kochen am Wochenende
4 ter Familiengründung als „Emerging Adulthood“ stärker erbringen (sollen), ohne einen subjektiv wünschenswerten
in den Mittelpunkt gerückt (Arnett, 2000). In diese Zeit Gegenwert etwa in Form gemeinsam und exklusiv verbrach-
5 fallen in aller Regel der Auszug aus dem Elternhaus und ter Zeit zu erhalten, sehen sich andere gezwungen, ihren
wichtige Entscheidungen rund um den Berufseinstieg, Nachwuchs (immer) wieder zuhause zu beherbergen, weil
zunehmend auch die vorgelagerten Orientierungspro- dessen Zukunftspläne – das Studium am anderen Ort, das
6 zesse im Verlauf der Ausbildung bzw. des Studiums. Trotz Zusammenwohnen mit der Freundin usw. – scheitern. Aus
fortschreitender Verselbstständigung sind Eltern oft noch professioneller Distanz betrachtet ist diesen „Verwerfungen“
7 wichtige Ansprechpartner bei diesen Entscheidungen. zunächst nur eines gemein: Sie sind Ausdruck eines nicht
Ein für alle Familienmitglieder einschneidendes Ereig- oder unzulänglich vollzogenen Ablösungsprozesses. Zu
nis ist der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus. Weil welchen Teilen hieran implizite Motive oder Handlungsge-
8 u. a. im Zuge der Bildungsexpansion immer mehr Kinder wohnheiten der Eltern, Charakteristika der Heranwachsen-
eine immer längere Ausbildung durchlaufen, geht dem den oder der gemeinsamen Beziehungsgeschichte zusam-
9 Auszug meist eine mehr oder weniger ausgedehnte Zeit des menkommen, bleibt wissenschaftlich zu klären.
Lebens in einem gemeinsamen Haushalt voraus, in der sich Ebenfalls erst in Ansätzen erforscht ist ein Phänomen,
10 alle Familienmitglieder stärker ihren persönlichen Zielen das gegenwärtig in der Medienlandschaft unter dem Ti-
zuwenden (können). Beim Auszug des Kindes mischt sich tel „Helicopter Parenting“ firmiert. Helicopter Parents
allerdings für viele Eltern die Freude über die nun vorhan- kreisen buchstäblich über dem Leben ihrer volljährigen
11 dene Zeit und Freiheit, Hobbys wieder aufnehmen oder be- Kinder und sind fortwährend damit beschäftigt, deren
ruflichen Ambitionen nachgehen zu können, mit Wehmut (Ausbildungs-)Erfolg zu überwachen und sich selbst bei
12 und Gefühlen der Verunsicherung. Mag das „Kind“ auch allfälligen Anforderungen aktiv einzuschalten. Weil dies
schon während oder nach der Schulzeit mehrere Monate bei Studierenden, denen eine mindestens durchschnittli-
im Ausland gewesen sein – erst der Auszug markiert, dass che Leistungsfähigkeit und Selbstständigkeit zugesprochen
13 das Elternhaus nicht länger der „Start- und Landeplatz“ ist. und abverlangt wird, besonders irritierend erscheint, fo-
Eine weitere Kehrseite der neu gewonnenen Freiheit sind kussieren wissenschaftliche Untersuchungen auf den Stu-
14 die neuen Gestaltungserfordernisse in Bezug auf das (ei- dienkontext (Lum, 2006).
gene und partnerschaftliche) Leben, in dessen Mittelpunkt Die von Somers und Settle (2010) angestellten Über-
15 bislang der Nachwuchs stand. legungen zu der Frage, warum das Phänomen des Heli-
Wie reibungslos diese Herausforderungen im Einzelfall copter Parenting gerade heutzutage zu beobachten ist und
gemeistert werden, hängt von Merkmalen der Familie und immer mehr Eltern in die Belange ihrer studierenden Kin-
16 ihrer Mitglieder ab (zusf. Berger, 2009). Da der oben be- der involviert sind, knüpfen an den oben beschriebenen
schriebene Wandel in den Erziehungszielen und -praktiken Wertewandel und wachsenden Bildungsdruck an. Bei al-
17 die erfolgreiche Bewältigung vorangehender Familienent- ler Plausibilität ist jedoch anzumerken, dass gegenwärtig
wicklungsaufgaben generell wahrscheinlicher werden lässt, noch um eine konzeptuelle Präzisierung und theoretische
kann die nun anstehende Neustrukturierung der familialen Einordnung des Konstrukts gerungen wird (Padilla-Wal-
18 Interaktionen jedoch im Regelfall unter guten Vorausset- ker & Nelson, 2012) und es an belastbaren Erkenntnissen
zungen erfolgen. Hierbei kann auch der vorläufige Verbleib zur (vermeintlich steigenden) Prävalenz dieses speziellen
19 im Elternhaus akzeptiert und gewollt sein. In einer belgi- Erziehungsmusters mangelt. Erste Studien deuten darauf
schen Studie etwa zeigte sich, dass nicht das Wohnarran- hin, dass die wohlgemeinten Aktivitäten von Helicopter
20 gement per se für die Zufriedenheit junger Erwachsener Parents kontraproduktiv für das Wohlbefinden der jungen
ausschlaggebend ist, sondern deren autonome Motivation Erwachsenen sind (LeMoyne & Buchanan, 2011). So ver-
in der Entscheidung für das gewählte Arrangement (Kins, spricht diese noch junge Forschungslinie weiterführende
21 Beyers, Soenens & Vansteenkiste, 2009). Das Beispiel ver- Erkenntnisse zu den konstitutiven Merkmalen einer „guten
deutlicht, dass Schwierigkeiten im Zuge der Transition Erziehung“ auch und gerade jenseits der Adoleszenz. Aus
22 nicht an „äußeren“ Gegebenheiten, sondern am Befinden erziehungspsychologischer Sicht dürften Helicopter Parents
der Betroffenen festzumachen sind. hohe Werte auf den Dimensionen Wärme und Kontrolle,
10.3  •  Familien in der Krise
241 10

aber niedrige Ausprägungen auf der Dimension Auto- große Teilgruppe von Familien – treffen, sodass bei der
nomieunterstützung erzielen (Padilla-Walker & Nelson, erforderlichen Herausbildung neuer Orientierungs- und
2012). Dies stützt die Vermutung, dass Kontrolle und Au- Handlungsmuster nicht auf gesellschaftlich etablierte Rol-
tonomieunterstützung nicht als sich ausschließende End- lenmuster und Strategien zurückgegriffen werden kann.
pole einer Dimension zu fassen sind (z. B. Silk et al., 2003) Welche Konsequenzen kritische Lebensereignisse für
und kann darüber hinaus als Hinweis gewertet werden, dass die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung und die kindliche
die Beziehung zwischen Wärme und „Erziehungserfolg“ Persönlichkeitsentwicklung nach sich ziehen (können),
nicht linear ist. Entsprechende Überlegungen finden sich wird in diesem Abschnitt am Beispiel von drei unterschied-
in familientherapeutisch beeinflussten Modellen wie dem lich gelagerten Stressoren beleuchtet.
Circumplex-Modell von Olsen (2000), in dem eine mode- In ▶ Abschn. 10.3.1 gehen wir zunächst auf das Thema
rate Ausprägung auf den Dimensionen Zusammenhalt und Trennung/Scheidung/Stiefelternschaft ein, weil es eine ste-
Struktur als psychohygienisch optimal postuliert wird. tig wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen betrifft.
Festzuhalten ist, dass Transformationsprozesse in der Im Fokus steht die Frage, welche kurz- und langfristigen
Eltern-Kind-Beziehung durch die Auflösung des gemein- Folgen für die kindliche (Schul-)Entwicklung im Fall einer
samen Haushalts nicht gleichsam natürlich beendet wer- Trennung zu erwarten sind. Dabei wird auch beleuchtet, ob
den. Auch über den Auszug hinaus bleiben die Eltern in al- das Aufwachsen in hoch konflikthaften, aber strukturell in-
ler Regel wichtige Ansprechpartner. Gleichwohl zeigen sich takten Familien mit einem höheren Risiko kindlicher Ver-
an der Gestaltung des Auszugs der Kinder Unterschiede haltensauffälligkeiten verbunden ist, ob sich im Vergleich
in dem Grad, in dem der altersangemessene Ablösungs- von Ein-Elternteil- und Stieffamilien der Mehrwert von
prozess vollzogen wurde – und zwar nicht nur seitens der Zwei-Eltern-Familien abzeichnet und ob etwaige Probleme
jungen Erwachsenen, sondern auch seitens der Eltern. Ein vom Alter des Kindes zum Zeitpunkt der Trennung oder
vermeintlich „egoistisches“ oder auch „unselbstständiges“ eher von anderen (internen wie externen) Belastungsfak-
Verhalten junger Erwachsener, die länger als (finanziell toren abhängen.
oder beruflich) nötig im Elternhaus bleiben, mag dabei Lebensbedrohende oder chronische Erkrankungen
auf eine unzureichende Selbständigkeitserziehung durch betreffen nur eine Minderheit von Familien und tangieren
die Eltern oder auch deren mangelnde Selbstemanzipation das ganze Familiensystem, auch wenn zunächst ein ein-
zurückzuführen sein. Es mag auch unbewusst die Einlö- zelnes Familienmitglied direkt betroffen ist. Vorliegende
sung von unterschwelligen Elternwünschen darstellen Erkenntnisse zu den Folgen der Erkrankung von Kindern
oder Ausdruck eines unreifen Versuchs sein, sich dieser oder eines Elternteils werden in ▶ Abschn. 10.3.2 zusam-
tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungshaltungen mengefasst. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die
zu erwehren. Einmal mehr zeigt sich hier, dass Entwick- Frage gerichtet, warum sich eine psychische Beeinträchti-
lung in der Familie ein ko-konstruktiver Prozess ist, der die gung von Eltern als prognostisch bedeutsamster Risiko-
jüngere und die ältere Generation gleichermaßen betrifft. faktor erweist.
Schließlich sollen am Beispiel von Familien, in denen
ein Elternteil oder beide Eltern ihren Arbeitsplatz verloren
10.3 Familien in der Krise haben, die Folgen ökonomischer Deprivation aufgezeigt
werden. Dabei heben wir in ▶ Abschn. 10.3.3 vor allem auf
Familienleben bedeutet, sich permanent auf neue und Bedingungen ab, die die psychosoziale und schulische Ent-
wechselnde Anforderungen einzustellen. Lernt der Sohn wicklung armer Kinder beeinflussen.
laufen, gilt es Treppen zu sichern und Porzellan außer Bei allen hier thematisierten kritischen Lebensereig-
Reichweite zu bringen; durchläuft die Tochter die Puber- nissen beziehungsweise belastenden Lebenslagen werden
tät, müssen sich Eltern auf die wechselnden Launen ihres Risiko- und Schutzfaktoren herausgestellt, denn deren
Nachwuchses einstellen. Der „ganz normale Wahnsinn“ Kenntnis ist essenziell für pädagogische Psychologen und
des Familienalltags reicht von durchwachten Nächten beim andere Berufsgruppen, an die sich Betroffene hilfesuchend
kranken Kind über Debatten zum Sinn und Unsinn von wenden. In erster Linie sind hier Mitarbeiter in öffentlichen
Hausaufgaben bis hin zum Spagat zwischen beruflichen oder privaten Erziehungsberatungsstellen angesprochen,
Terminen, elterlichen „Fahrdiensten“ und Elternsprechta- da deren zentrale Aufgabe darin besteht, Personensorge-
gen. Von solchen erwartbaren Veränderungen (normative berechtigte zu unterstützen, um eine, dem Wohle des Kin-
Familienentwicklungsaufgaben) und damit einhergehen- des entsprechende, Erziehung sicherzustellen. Probleme in
den Alltagsbelastungen sind kritische Lebensereignisse Folge von Trennung/Scheidung stehen dabei in fast einem
abzugrenzen, die unerwartet und unabhängig von regulä- Viertel aller Fälle im Zentrum und auch bei den anderen
ren Übergangsphasen in der Lebensspanne auftreten und Anmeldungsgründen (nach Gerth & Menne 2009 ca. 40 %
eine Minderheit – oder besser: eine mehr oder weniger „Beziehungsprobleme“, jeweils ca. 25 % „Entwicklungsauf-
242 Kapitel 10 • Familie

fälligkeiten“ und „Schul-/Ausbildungsprobleme“ sowie ca. Teil der frühen Untersuchungen folgte einer solchen pro-
1 20 % „sonstige Probleme) dürften im Hintergrund nicht blem- oder defizitorientierten Perspektive, die alle Ab-
selten finanzielle Engpässe und/oder gesundheitliche Be- weichungen vom Modell der ehelichen Kernfamilie für die
2 einträchtigungen mitspielen. Dass vergleichbare Problem- Sozialisation der Kinder als problematisch oder zumindest
lagen – wenn auch mit anderer Gewichtung – von Eltern weniger günstig betrachtete. Weder die Bandbreite der
zum Anlass für die Inanspruchnahme einer schulpsycho- Begleitumstände einer Trennung (z. B. Ausmaß gerichtli-
3 logischen Beratung genommen werden, zeigt: So wie sich cher Auseinandersetzungen) noch die unterschiedlichen
familiale Problemlagen in Leistungseinbußen und den Un- Belastungsmomente, die aus einer Trennung resultieren
4 terricht störenden Verhaltensauffälligkeiten niederschlagen können (z. B. finanzielle Probleme, fortgesetzte Streitig-
können, können Schulprobleme auf umschriebene Störun- keiten), wurden angemessen in den Blick genommen.
5 gen im Kindes- und Jugendalter (wie etwa oppositionelles Erst recht wurde den möglichen Chancen „alternativer“
Verhalten oder ein Hyperaktivitäts-Aufmerksamkeitsdefi- Lebensformen kaum Beachtung geschenkt. Spätestens seit
zit) zurückgehen, die (auch) das Familiensystem auf eine den 1980er-Jahren war jedoch deutlich, dass diese einsei-
6 Bewährungsprobe stellen. tige Sichtweise der Vielfalt von Scheidungsfamilien nicht
angemessen Rechnung trägt.
7 Trennungsprozesse verlaufen sehr unterschiedlich.
10.3.1 Aufwachsen in einer Ein-Elternteil- Eltern können sich einvernehmlich vor der Geburt des
oder Stieffamilie Kindes getrennt haben oder Jahre in einer belasteten
8 Partnerschaft ausharren und erst später im Streit ausein-
Eine Trennung oder Scheidung der Eltern zu erleben ist andergehen. Der getrennt lebende Elternteil kann in ho-
9 heute keine Seltenheit mehr. Rund ein Drittel aller Ehen in hem Maße involviert bleiben und gut mit dem häuslichen
Deutschland endet vor dem Scheidungsrichter und in der Elternteil kooperieren – was eher nur einer Minderheit
10 Hälfte der Fälle sind minderjährige Kinder involviert (Sta- gelingt. Beide können aber auch wiederholt vor Gericht
tistisches Bundesamt, 2013). Hinzu kommt der steigende ziehen und konfliktbelastet miteinander konkurrieren –
Anteil nichtehelich geborener Kinder, die mit noch höhe- zum Glück ein sehr seltenes, aber umso belastenderes Phä-
11 rer Wahrscheinlichkeit eine Trennung ihrer Eltern erleben nomen. Nicht zuletzt kann der getrennt lebende Elternteil
(Walper & Langmeyer, 2012). Dies mag auf den ersten Blick (gewollt oder ungewollt) aus dem Leben seiner Kinder ver-
12 nahe legen, dass sich die Bedeutung einer Trennung/Schei- schwinden – was längerfristig in mehr als einem Drittel der
dung relativiert hat und auch Belastungen betroffener Kin- Fälle geschieht (Walper, 2009a). In manchen Fällen werden
der heute weniger markant sind als noch vor 40 Jahren. Dies Eltern mehrfach geschieden und konfrontieren auch ihre
13 scheint jedoch selbst in westlichen Industrienationen nicht Kinder mit instabilen Familienarrangements, deren Belas-
durchgängig der Fall zu sein. Befunde aus den USA deuten tungspotenzial für Kinder mit der Anzahl der Transitio-
14 darauf hin, dass sich in manchen Bereichen die Nachteile nen steigt (Amato, 2010). Manche tragen Sorge für Kinder,
für Scheidungskinder sogar im Verlauf der 1990er-Jahre die aus verschiedenen Ehen stammen, und stehen vor der
15 verschärft haben – vermutlich auch deshalb, weil in dieser Aufgabe, in einer solchen komplexen Stieffamilie Zusam-
Zeit staatliche Investitionen zur Unterstützung Alleinerzie- menhalt zu etablieren (Walper & Wild, 2002). In anderen
hender zurückgefahren wurden (Amato, 2001). Fällen bleiben ledige Eltern nach der Trennung von einem
16 Wie auch immer dieser Befund zu deuten ist: Er un- Partner allein, ziehen ihr Kind aber unter Umständen ge-
terstreicht, dass die Folgen einer elterlichen Trennung kei- meinsam mit anderen Erwachsenen (z. B. Großeltern) auf.
17 neswegs einheitlich sind. Ein durchgängiges Thema von Diese Variationen werden in neueren familiensystemi-
Bestandsaufnahmen der Forschung zu Scheidungsfolgen schen und entwicklungsorientierten Ansätzen explizit be-
(Amato, 2010) ist daher die Vielfalt der Lebensumstände, rücksichtigt. Besonders bewährt hat sich die Scheidungs-
18 Bewältigungsressourcen und Biografien von Eltern und Stress-Bewältigungs-Perspektive, die (a) eine Trennung
Kindern, in der die Heterogenität der Befunde begrün- nicht als punktuelles Ereignis, sondern als zeitlichen Pro-
19 det sein dürfte. Im Folgenden gehen wir hierauf näher ein, zess betrachtet, (b) typische Stressoren im Kontext einer
stellen dann Faktoren vor, die sich als maßgebliche Mode- Trennung in den Blick nimmt, die allerdings im Einzelfall
20 ratoren erwiesen haben, und wenden uns schließlich den durchaus variieren können, und (c) die jeweils gegebenen
Besonderheiten von Stief- oder „Patchwork“-Familien zu. Bewältigungsressourcen der Betroffenen berücksichtigt
(Amato 2010; Walper, 2009a). Vor diesem Hintergrund
21 Zur Vielfalt von Trennungsfamilien lassen sich Unterschiede im Anpassungsverlauf der Kinder
Nicht selten sehen sich Scheidungskinder und ihre Fami- nach einer elterlichen Trennung besser erklären. Als be-
22 lien mit Vor-Urteilen konfrontiert, die einer pauschalie- sonders relevante Stressoren für die Kinder erweisen sich
renden Defizitperspektive entsprechen. Auch ein großer ökonomische Belastungen beziehungsweise das Abgleiten
10.3  •  Familien in der Krise
243 10

in Armut, fortgesetzte Streitigkeiten der Eltern und Be- sozialen Entwicklung, Beeinträchtigungen des kindlichen
einträchtigungen der elterlichen Erziehungskompetenzen. Wohlbefindens und ein erhöhtes Risiko für Problemver-
Gleichwohl spielen nicht nur die Umstände der Tren- halten im Jugendalter berichtet (vgl. Walper & Wild, 2002).
nung, die nachfolgenden Belastungen und die Besonder- Im Vergleich zu allein erzogenen Kindern leben sie zwar
heiten der weiteren Familienentwicklung für die Entwick- zumeist in finanziell günstigeren Verhältnissen und haben
lungsverläufe von Scheidungskindern eine zentrale Rolle, zwei Erwachsene als Ansprechpartner im Haushalt, aber
sondern auch die Vorgeschichte der Trennung. Prospek- das Zusammenleben in Stieffamilien bringt andere Her-
tive Längsschnittstudien haben gezeigt, dass sich vielfach ausforderungen für die Betroffenen mit sich (s. u.). So wird
schon vor einer Trennung vermehrte familiale Belastungen nachvollziehbar, warum sich die Situation von Stiefkindern
wie Partnerschaftskonflikte, finanzielle Schwierigkeiten keineswegs durchgängig als günstiger im Vergleich zu Kin-
und Erziehungsprobleme finden, die mit Beeinträchtigun- dern aus Ein-Elternteil-Familien darstellt (vgl. Walper &
gen der kindlichen Entwicklung einhergehen (z. B. Heini- Wild, 2002).
cke, Guthrie & Ruth, 1997; Shaw, Emery & Tuer, 1993). Insgesamt lässt sich also eine Reihe von Ergebnissen
Punktuelle Vergleiche von Trennungsfamilien mit Kernfa- anführen, die auf den ersten Blick die früher forschungs-
milien sind insofern kaum geeignet, ein realistisches Bild leitende These defizitorientierter Ansätze unterstützen,
von Scheidungsfolgen zu zeichnen. Um aussagekräftige wonach die Entwicklung von Scheidungs- und Stiefkin-
Erkenntnisse zu den kurz- und langfristigen Bedingungen dern mit größerer Wahrscheinlichkeit belastet sein sollte
und Auswirkungen einer Trennung zu erlangen, müssten als die von Gleichaltrigen aus strukturell intakten Familien.
idealerweise prospektive Längsschnittstudien an umfäng- Eine solche Perspektive vermag aber beispielsweise nicht
lichen Stichproben durchgeführt werden, in denen alle für zu erklären, warum ein erhöhtes Maß an Verhaltensauf-
die Belastung bzw. Anpassungsfähigkeit der Familienmit- fälligkeiten vor allem bei Heranwachsenden zu finden ist,
glieder potenziell bedeutsamen Faktoren Berücksichtigung die in ihrer frühen Kindheit die Trennung ihrer Eltern er-
finden. Da ein solches Unterfangen jedoch allein aus for- lebten, während eine Trennung im Jugendalter eher mit
schungspragmatischen Gründen kaum zu realisieren ist, vermehrten Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung und
gilt es aus der Vielzahl vorliegender Befunde (mit ihren schulischen Problemen einherzugehen scheint (Lansford
je eigenen Beschränkungen) konsistente Ergebnismuster et al., 2006). Mehr noch, einige Befunde stehen in klarem
„herauszudestillieren“. Widerspruch zu defizitorientierten Ansätzen. Hierzu zählt
vor allem die Erkenntnis, dass sich die Entwicklung von
Psychosoziale Entwicklung von Kindern Scheidungskindern langfristig meist als unauffällig darstellt
in Ein-Elternteil- und Stieffamilien und lediglich bei einer Minderheit von überdauernden
Empirisch beobachtete Unterschiede in der Entwicklung psychosozialen Problemen auszugehen ist (Amato, 2010;
von Kindern, die mit beiden leiblichen Elternteilen auf- Hetherington & Kelly, 2003). Auch die Beobachtung, dass
wachsen oder in anderen Familienkonstellationen groß die Gründung einer Stieffamilie häufig mit (vorübergehen-
werden, fallen in der Regel zugunsten der zuerst genannten den) Störungen in der kindlichen Entwicklung einhergeht,
Gruppe aus (zusammenfassend Clarke-Stewart & Brentano, spricht gegen die These, dass kindliches Problemverhalten
2006; Schwarz, 2007; Wallerstein & Lewis, 2007; Walper & primär auf eine mangelnde Verfügbarkeit von zwei (bio-
Schwarz, 2002; Walper & Wild, 2002). Die Unterschiede logischen oder sozialen) Elternteilen als Rollenmodellen
sind im Durchschnitt jedoch eher moderat und keineswegs und Identifikationsfiguren zurückzuführen ist. Antworten
einheitlich. Zudem stammt die Mehrzahl der einschlägigen auf diese Fragen sind nur zu erlangen, wenn man die spe-
Studien aus den USA und die Übertragbarkeit dieser Be- zifischen Herausforderungen betrachtet, mit denen Eltern
funde auf hiesige Verhältnisse scheint nicht immer gegeben und Kinder im Zuge einer Scheidung und Wiederheirat
zu sein (Walper, 2009a). So legen etwa internationale Stu- konfrontiert werden, und die Bedingungen beleuchtet, die
dien mit Blick auf die schulische Entwicklung von Schei- dazu beitragen, diese erfolgreich zu meistern. Diese Her-
dungskindern wiederholt nahe, dass sie mehr Fehlzeiten ausforderungen und die für ihre Bewältigung relevanten
haben, schlechtere Schulnoten erzielen und öfter frühzeitig Faktoren werden daher im Folgenden näher erläutert.
und ohne Abschluss von der Schule abgehen als Gleichalt-
rige aus Kernfamilien. Interessanterweise findet sich in den Herausforderungen nach einer Scheidung
PISA-Daten für Deutschland allerdings kein Unterschied in Wie groß der Leidensdruck ist, dem sich Paare mit Kindern
den schulischen Kompetenzen von Jugendlichen aus Ein- (auch noch) nach der Trennung ausgesetzt fühlen, hängt ne-
Eltern-Familien und solchen, die mit zwei Eltern aufwach- ben psychosozialen Belastungen vor, während und nach der
sen (Ehmke, Hohensee, Heidemeier & Prenzel, 2004). Trennung (Amato & Bryndl, 2007) nicht zuletzt von lebens-
Auch für Stiefkinder wurden im Vergleich zu Kindern praktischen Problemen ab, die sich mit der Gründung eines
aus Kernfamilien häufiger Auffälligkeiten in der psycho- Ein-Elternteil-Haushaltes einstellen können (Schwarz & No-
244 Kapitel 10 • Familie

ack, 2002). Hierzu zählen insbesondere sozioökonomische zu sein, etwa ein geringeres pädagogisches Engagement zu
1 Faktoren wie Probleme der Vereinbarkeit von Familie und zeigen, häufiger autoritäre Erziehungspraktiken einzuset-
Beruf für den häuslichen Elternteil sowie finanzielle Schwie- zen und mit Blick auf die schulische Laufbahn der Kinder
2 rigkeiten etwa aufgrund unzureichender Unterhaltszahlun- geringere Aspirationen zu hegen (Block, Block & Gjerde,
gen. Auch ist das Verhältnis der Geschiedenen zueinander 1988; Sun & Li, 2001). Mit Blick auf kindliche Anpassungs-
vielfach durch Ambivalenz und Ablehnung geprägt, sodass probleme, wie sie für Scheidungskinder vermehrt beschrie-
3 die Regelung der Unterhaltszahlungen oder Besuchsrechte ben werden, konnte ferner nachgewiesen werden, dass ein
leicht zu einer konfliktreichen Angelegenheit gerät. Stets beträchtlicher Teil der Kinder die Verhaltensauffälligkei-
4 mit betroffen von der emotionalen Anspannung der Eltern ten bereits längere Zeit vor der elterlichen Trennung zeigte
und anhaltenden Auseinandersetzungen sind Kinder und (Cherlin et al., 1991; Strohschein, 2005). Dies legt nahe,
5 Jugendliche, die nun lernen müssen, mit der veränderten dass die Zeit vor (und nicht erst nach) der elterlichen Tren-
Beziehung ihrer Eltern und den daraus resultierenden Loya- nung für Eltern wie auch Kinder vielfach mit großen Be-
litätskonflikten umzugehen (Walper & Beckh, 2006). lastungen verbunden ist. Zudem relativieren Befunde aus
6 Längsschnittstudien zufolge dauert es etwa 2–3 Jahre den (wenigen) vorliegenden komparativen Arbeiten klar
nach der räumlichen Trennung, bis sich der Umgang zwi- die oben skizzierten Effekte des Familienstatus: Mit Blick
7 schen Eltern und Kindern normalisiert hat (Hetherington, auf das elterliche Erziehungsverhalten etwa zeigen sich
1991). Allerdings gehen die akuten Belastungen der Famili- mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen geschie-
enmitglieder schon am Ende des ersten Jahres deutlich zu- denen und verheirateten Eltern (Strohschein, 2007), und
8 rück. Das psychische Befinden Geschiedener scheint sich auch längsschnittlich lassen sich nur geringfügige Verände-
nach durchschnittlich 2–5 Jahren zu stabilisieren, wobei rungen in den elterlichen Erziehungspraktiken nach einer
9 dem Ausmaß der erfahrenen sozialen Unterstützung eine Trennung nachweisen (Astone & McLanahan, 1991). Dar-
zentrale Rolle zukommt (Krumrei, Coit, Martin, Fogo & aus folgt, dass distalen Faktoren (wie der Stabilität der Ehe)
10 Mahoney, 2007). ein geringerer Vorhersagewert für die kindliche Entwick-
Stressoren wie die oben genannten, aber auch Res- lung zukommt als proximalen Faktoren wie der Beziehung
sourcen wie zum Beispiel soziale Unterstützung aus dem zwischen den Eltern, dem Ausmaß an Familienkonflikten
11 Bekanntenkreis können sich in dem Maße, in dem sie die und dem elterlichen Erziehungsverhalten.
Qualität der Beziehung des Kindes zu relevanten (primä- Unter den Faktoren, die nachweislich den Effekt chro-
12 ren) Bezugspersonen und die Erziehungskompetenz des nischer Belastungen von Alleinerziehenden auf die kind-
sorgeberechtigten Elternteils beeinflussen, auf die kindli- liche Entwicklung moderieren, kommt dem Verhältnis des
che Entwicklung auswirken. Vergleichsstudien an geschie- Kindes zum getrennt lebenden (leiblichen) Elternteil eine
13 denen und verheirateten Eltern haben nicht durchgängig zentrale Bedeutung zu. Ungeachtet des weit überwiegend
(z. B. Freeman & Newland, 2002; Hanson, McLanahan & gemeinsamen Sorgerechts beider Eltern sind es mit über
14 Thomson, 1998) aber wiederholt auf Beeinträchtigungen in 80 % in Deutschland nach wie vor die Väter, die nach der
der erzieherischen Kompetenz von Geschiedenen hingewie- Trennung nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt mit
15 sen. Sie seien weniger informiert über die Aktivitäten und ihren Kindern leben. Zeigen die getrennt lebenden Väter
Freunde ihrer Kinder, erzögen inkonsistenter, nähmen er- hohes Engagement gegenüber ihrem Kind, können sie bei
zieherische Fragen insgesamt weniger wichtig und äußerten Einschränkungen der mütterlichen Erziehungsmöglich-
16 ein geringeres Interesse an schulischen Belangen der Kinder keiten eine kompensatorische Funktion übernehmen (vgl.
(Hetherington, 1993; Wallerstein, Lewis & Blakeslee, 2000). Pröls, 2011). Allerdings tragen persönliche Belastungen
17 In all diesen Studien bleibt jedoch offen, ob sich das der Mütter auch zu mehr Problemen in der Interaktion
Verhalten der Eltern durch die Scheidung verändert hat mit dem Vater bei, die einen Kontaktabbruch zum Vater
oder ob Beeinträchtigungen des elterlichen Erziehungs- wahrscheinlicher werden lassen.
18 verhaltens – und daraus unter Umständen resultierende Generell wird die Kontakthäufigkeit zum getrennt
Verhaltensauffälligkeiten der Kinder – nicht bereits vor der lebenden beziehungsweise externen Elternteil durch ver-
19 Trennung bestanden haben, also beispielsweise ebenso in schiedene Faktoren beeinflusst wie die Sorgerechtsrege-
strukturell intakten, aber hoch konfliktbelasteten Familien lung, die psychische Anpassung des externen Elternteils,
20 anzutreffen sein sollten. Zahlreiche Studien an strukturell dem Ausmaß, in dem sich dieser als für sein Kind wichtig
intakten Familien sprechen dafür, dass Konflikte zwischen oder abgelehnt fühlt und die Qualität der Beziehung zum
den Eltern die Eltern-Kind-Beziehung auch hier belas- häuslichen Elternteil des Kindes. Häufiger geht der Kontakt
21 ten (Krishnakumar & Buehler, 2000). Tatsächlich zeigen getrennt lebender Väter zu ihren Kindern verloren, wenn
prospektive Längsschnittstudien, dass geschiedene Eltern der Vater kein (gemeinsames) Sorgerecht hat, seine Befind-
22 bereits Jahre vor der Scheidung ein erhöhtes Risiko aufwei- lichkeit beeinträchtigt ist, er sich als Belastung für sein Kind
sen, mit mehr Problemen in der Erziehung konfrontiert erlebt und wenn die Beziehung zur Mutter konflikthaft ist.
10.3  •  Familien in der Krise
245 10

Kontaktabbrüche sind auch umso wahrscheinlicher, je Stiefkindern zeigt sich daran, dass der Vorhersagewert
mehr Zeit seit der Trennung vergangen ist und je jünger familienstruktureller Faktoren sinkt, wenn entsprechende
das Kind bei der Trennung war (Walper & Krey, 2009). Unterschiede in den Erziehungspraktiken von biologi-
Förderlich wirkt sich die Aufrechterhaltung der Be- schen und Stiefeltern berücksichtigt werden (z. B. Stein-
ziehung zwischen dem getrennt lebenden Elternteil und berg, 1987; Walper, 1995). Letztlich ist die Qualität der
dem Kind auf die Anpassung des Kindes aus, solange das Beziehungen und Interaktionen für die Entwicklung der
Ausmaß elterlicher Konflikte in der Nachscheidungsphase Kinder weitaus bedeutsamer als der Familienstatus. Für die
gering ist. Massive und anhaltende Auseinandersetzungen pädagogisch-psychologische Arbeit ist es also wichtig zu
der Eltern dagegen werden von Kindern als besonders belas- berücksichtigen, dass mit der Entstehung einer Stieffamilie
tend erlebt und erschweren die Anpassung aller Beteiligten. neue Anpassungsleistungen erforderlich werden, nicht nur
Häufig handelt es sich hierbei um Familien, die bereits vor durch die Erziehungskompetenz des neu hinzugekomme-
und während der Scheidung zu physischen und verbalen nen Partners, sondern auch die des leiblichen Elternteils.
Feindseligkeiten neigten (Johnston, Kline & Tschann, 1989). Entsprechend ist mit besonderen Herausforderungen so-
wohl für Alleinerziehende als auch für wiederverheiratete
Herausforderungen im Zuge Eltern zu rechnen.
einer Wiederheirat Insgesamt zeichnen vorliegende Studien zur Situation
Statistiken zeigen, dass ein überwiegender Anteil von ge- und Entwicklung von Kindern in Ein-Elternteil- und Stief-
schiedenen Frauen und Männern wieder heiratet, auch familien somit ein vielschichtiges Bild. Einerseits finden
wenn die Wiederheiratsneigung und das Wiederhei- sich zahlreiche Hinweise auf ein erhöhtes Risiko dieser
ratstempo deutlichen Alters- und Geschlechtseffekten Gruppe(n). Andererseits sind die Unterschiede zwischen
unterliegen. Die mit dem Eingehen einer Folgeehe ent- Stief- bzw. Ein-Elternteil- und Kernfamilien absolut be-
stehende Stieffamilie hebt sich von einer Kernfamilie mit trachtet eher gering und verweisen auf eine große Vari-
Kindern im gleichen Alter dadurch ab, dass nicht alle Fa- abilität innerhalb dieser Gruppen. So wird eine zentrale
milienmitglieder auf eine gemeinsame Familiengeschichte Aufgabe zukünftiger Studien darin bestehen, diesen Un-
zurückblicken. Stiefeltern treffen vielmehr auf eine mehr terschieden systematisch nachzugehen und die bislang erst
oder weniger eingespielte Teilfamilie, in der das Zusam- ansatzweise erfolgte Identifizierung von Faktoren voran-
mengehörigkeitsgefühl von Eltern und Kindern auf ge- zutreiben, die eine Wiederherstellung des innerfamilialen
teilte Erlebnisse und Erfahrungen zurückgeht und über Gleichgewichts unterstützen oder auch stören können.
viele Jahre gewachsen ist. Das Zusammenwachsen von
Stieffamilien stellt sich deshalb als längerfristiger Prozess
dar, der mit etwa 5 Jahren deutlich länger andauert als die 10.3.2 Krankheit als Familienaufgabe
Reorganisation des Familiensystems nach einer Trennung
der Eltern (Hetherington & Jodl, 1994). Die Fürsorge für Familienangehörige im Krankheitsfall ist
Befunde zur Entwicklung der Beziehung zwischen seit jeher eine zentrale Leistung, die Familien für ihre Mit-
Stiefeltern und ihren Kindern weisen bei allen Inkonsis- glieder und damit auch für die Gemeinschaft erbringen.
tenzen darauf hin, dass in Stieffamilien ein geringeres Maß Auch wenn mittlerweile ein hoch spezialisiertes Gesund-
an emotionaler Verbundenheit und weniger klare Rollen- heitswesen die medizinische Expertise und Versorgung
erwartungen vorherrschen als in strukturell intakten Fa- übernommen hat, verbleiben doch viele Aufgaben rund
milien. Generell werden Spannungen zwischen Stiefkin- um die Krankenversorgung und Pflege in der Familie.
dern und Stiefeltern vor allem dann wahrscheinlich, wenn Nicht nur Kinderkrankheiten gehören zum Familienalltag,
Letztere frühzeitig versuchen, in die Disziplinierung und auch Eltern sind mit gesundheitlichen Risiken konfron-
Kontrolle der Kinder einzugreifen (Coleman, Ganong & tiert, die ihre Möglichkeiten, Aufgaben in der Familie zu
Fine, 2000; Hetherington & Jodl, 1994) und eine inten- übernehmen, einschränken und die anderen Familienmit-
sive Beziehung zu diesen zu entwickeln, bevor die Kinder glieder zu Rücksichtnahme und Fürsorge anhalten. Wird
hierzu bereit sind. Kinder entziehen sich solchen Bestre- jedoch ein Familienmitglied von einer schweren akuten
bungen und entwickeln oft eine abneigende Haltung ge- oder chronischen Krankheit betroffen, tangiert dies die an-
genüber dem so agierenden Stiefelternteil, der seinerseits deren Familienmitglieder nicht nur auf einer praktischen
wieder mit Rückzug reagiert (Hetherington & Jodl, 1994). Ebene, sondern vor allem auch emotional (▶ Kap. 18).
Entsprechend vorteilhaft ist es, wenn Stiefeltern eine ab- Insofern mag es nahe liegen, dass sich eine schwere Er-
wartend-geduldige Haltung entwickeln und sich an den krankung eines Familienmitglieds unweigerlich und nach-
Bedürfnissen ihrer Stiefkinder orientieren. haltig belastend auf das Erleben und Verhalten aller Be-
Der besondere Stellenwert des elterlichen Erzie- troffenen und insbesondere auch der Kinder auswirkt. Im
hungsverhaltens für die psychosoziale Entwicklung von Licht vorliegender Befunde (s. u.) muss diese Vermutung
246 Kapitel 10 • Familie

jedoch relativiert werden: Selbst akute, lebensbedrohliche Partners einschränkt. Im zweiten Fall dagegen können Stö-
1 oder den Lebensvollzug beeinträchtigende chronische Er- rungen in der kindlichen Entwicklung auf die Erkrankung
krankungen eines Elternteils oder eines Kindes ziehen in des Kindes an sich zurückgehen oder auch auf Erziehungs-
2 vielen Fällen keine anhaltenden Beeinträchtigungen der probleme, die sich im elterlichen Umgang mit dem kranken
Familienmitglieder nach sich. Eine Erklärung für dieses Kind einstellen. Diese können unabhängig von der Erkran-
vielleicht überraschende Ergebnis liefern familienstress- kung das Wohl der Kinder gefährden oder auch etwaige
3 theoretische Ansätze (Hofer, 2002b), denen zufolge die krankheitsbedingte Beeinträchtigungen verschärfen.
Erkrankung eines Familienmitglieds ein potenziell stress- In den folgenden Ausführungen wird auf beide Kons-
4 relevantes Ereignis ist, welches nicht unbedingt eine Krise tellationen eingegangen, wobei jeweils Schwerpunkte ge-
auslösen muss. Vielmehr wird in der Anpassungsphase setzt werden. Bezogen auf die Folgen einer Erkrankung
5 („adjustment phase“), also unmittelbar nach der Konfron- des Kindes fokussieren wir auf den familialen Umgang mit
tation mit einem Stressor, dieser zunächst vor dem Hinter- chronischen körperlichen Erkrankungen, da sich die in
grund bereits bestehender normativer Anforderungen und Familien mit akut und chronisch kranken Kindern beob-
6 den direkt mit einem kritischen Ereignis einhergehenden achteten Belastungsreaktionen ähneln, chronische Erkran-
Härten eingeschätzt. In dem sich anschließenden Bewäl- kungen jedoch mit spezifischen Herausforderungen für die
7 tigungsprozess werden Copingstrategien und Ressourcen langfristige Eltern-Kind-Beziehung verknüpft sind. Bezo-
eingesetzt mit dem Ziel, möglichst tiefgreifende Verände- gen auf mögliche Implikationen einer Erkrankung von
rungen in der Familienstruktur und in den Rollenauftei- Eltern wird primär Literatur zu den Folgen psychischer
8 lungen zu vermeiden („resistance to change“). Gelingt es Erkrankungen vorgestellt, da diese in weitaus stärkerem
der Familie nicht, die neuen Anforderungen routinemä- Maße als körperliche Erkrankungen zu einer Gefährdung
9 ßig zu meistern und werden die mit der Krankheit ein- des kindlichen Wohls beitragen können.
hergehenden Schwierigkeiten als unüberwindbar definiert,
Kranke Kinder und ihre Familien
10 kommt es zu einer Verschärfung der Belastungssituation
und damit zur Krise. Schwere Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind
Im Umgang mit der Krise müssen sich die Familienmit- selten und betroffene Eltern reagieren meist geschockt
11 glieder erneut über ihre Einschätzung der Situation, über und fassungslos, wenn ihnen mitgeteilt wird, dass ihr
geeignete Lösungsmöglichkeiten und Bewältigungsstra- Kind akut lebensbedrohlich erkrankt ist (z. B. Hung, Wu
12 tegien sowie über die Inanspruchnahme von Ressourcen & Yeh, 2004). Dennoch liegen vergleichsweise wenige aus-
verständigen. Ziel des gemeinsamen Verständigungspro- sagekräftige psychologische Studien zu den Folgen eines
zesses in der nun einsetzenden Adaptationsphase ist eine solchen Ereignisses für das Familiensystem vor (Dolgin &
13 Umstrukturierung des Familiensystems, die darauf abzielt, Phipps, 1996). Eine umfänglichere Literatur existiert dage-
die Rechte und Pflichten der einzelnen Familienmitglieder gen zu chronischer Erkrankung von Kindern (Boekaerts &
14 entlang ihrer jeweiligen Bedürfnisse und Möglichkeiten Roder, 1999; Dell Orto & Power, 2007; Tröster, 2005). Dies
neu auszutarieren. Zu den hierbei relevanten Ressourcen ist nicht zuletzt auf die stärkere Verbreitung chronischer
15 zählen nicht nur außerfamiliale Unterstützungssysteme Krankheiten zurückzuführen. Insgesamt leiden rund 24 %
(soziale Unterstützung) und Charakteristika der einzelnen aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland an chro-
Familienmitglieder, sondern auch Merkmale der familialen nischen Erkrankungen (Lohaus & Heinrichs, 2013) und
16 Binnenstruktur wie Kohäsion und Rollenflexibilität, relative mit Blick auf die Familie ist zu berücksichtigen, dass chro-
Autonomie der Familienmitglieder und wechselseitige To- nische Erkrankungen aufgrund des medizinischen Fort-
17 leranz, Expressivität sowie Übereinstimmung in Einstellun- schritts und der deutlich verlängerten Lebenserwartung
gen und Werten. Weitere funktionale Merkmale familialer immer häufiger auftreten (werden).
Bewältigung sind eine übereinstimmende Identifikation
18 und Anerkennung des Stressors, eine lösungsorientierte Definition 
Problembewältigung (anstelle einer Suche nach Schuldzu- Nach Schaeffer und Moers (2000) zeichnen sich
19 schreibungen) sowie eine offene Familienkommunikation. chronische Krankheiten durch Dauerhaftigkeit,
Welche spezifischen Belastungen mit einer Erkrankung Komplexität und eine spezifische Verlaufsdynamik
20 einhergehen und welche Faktoren – als Ressourcen oder aus. Konkret ist der Lebensvollzug der Betroffenen
Risikofaktoren – den familialen Umgang mit der Krank- langfristig durch die Krankheit und ihre Behandlung
heit und ihren Folgen beeinflussen, hängt prinzipiell davon geprägt, wobei sich instabile und stabile Phasen
21 ab, ob Eltern oder Kinder erkranken. Im ersteren Fall sind typischerweise abwechseln und mit zunehmendem
Kinder eher indirekt betroffen und sollten in ihrer Entwick- Alter mit einer Kumulation von Symptomen und
22 lung vor allem dann gefährdet sein, wenn die Krankheit Krankheit(sfolg)en gerechnet werden muss
eines Elternteils dessen Erziehungskompetenz oder die des
10.3  •  Familien in der Krise
247 10

Zu den intensiver untersuchten chronischen Krankheiten Verschiedene Studien zeigen, dass insbesondere in der
im Kindes- und Jugendalter zählt der juvenile Diabetes (im Zeit nach der Diagnose die Sorge für ein zuckerkrankes
Volksmund auch Zuckerkrankheit genannt), der im Kin- Kleinkind mit einem erhöhten Stresspegel und depressi-
des- und Jugendalter die häufigste Stoffwechselerkrankung ven Symptomen aufseiten der Eltern einhergeht. In einer
ist. Damit es nicht zu mehr oder weniger schwerwiegenden schweizerischen Studie an 74 Eltern etwa, die gerade mit
Symptomen (z. B. Sehstörungen, Herzinfarkt) kommt, ist der Diagnose ihres Kindes konfrontiert worden waren,
eine Behandlung des Diabetes mellitus Typ 1 in Form ei- wurden bei 24 % der Befragten Symptome einer posttrau-
ner Insulintherapie und einer speziellen Diät erforderlich. matischen Depression (PTSD) diagnostiziert, die zu Beein-
Während Kinder und Jugendliche, die früher unter dieser trächtigungen des Familienlebens und der Partnerschaft
Krankheit litten, von einer geringen Lebenserwartung aus- führten (Landolt et al., 2002). Etwaige depressive Verstim-
gehen mussten, können gut eingestellte diabetische Heran- mungen aufseiten der Eltern können zudem in späteren
wachsende heute ein relativ normales Leben führen. Durch Phasen in intensiven Kummer und Ängste umschlagen,
die Behandlung kann sowohl die Symptombelastung als wenn akute Gesundheitsprobleme bei den Kindern auf-
auch die Wahrscheinlichkeit von Folgeerkrankungen treten, die eine stationäre Behandlung erforderlich werden
(Merkmale der Komplexität) deutlich reduziert werden. lassen.
Gleichwohl führt sie nicht zu einer Heilung, weshalb sich Langfristig sind es insbesondere die Mütter, die sich
die betroffenen Kinder auf ein Leben mit der Krankheit von chronischen Sorgen überhäuft fühlen. Die steigende
einstellen müssen. Folgt man den Ergebnissen einer im Verselbstständigung der Jugendlichen in Bezug auf ihr
Großraum Bonn durchgeführten Längsschnittstudie an Krankheitsmanagement trägt bei ihnen offensichtlich
108 diabetischen und 107 gesunden Jugendlichen (Boeger nicht dazu bei, dass sie sich entlastet fühlen. Die Angst,
& Seiffge-Krenke, 1994), dann scheint dies vielen Heran- ihr Kind könnte zu nachlässig mit seiner Krankheit um-
wachsenden gut zu gelingen. Allerdings werden Entwick- gehen, kann wiederum leicht in ein überbehütendes und/
lungsaufgaben, die eine zunehmende Autonomie von den oder stark kontrollierendes Verhalten münden, das vorlie-
Eltern und eine vermehrte Hinwendung zu gleich- und ge- genden Befunden zufolge klar kontraproduktiv ist. Hinge-
gengeschlechtlichen Altersgenossen beinhalten, von diabe- gen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass medikamentös gut
tischen Jugendlichen nur zögerlich in Angriff genommen. eingestellte Kinder die verordnete Diät und Insulintherapie
Entwicklungsverzögerungen bei diabetischen Jugendlichen konsequent einhalten, wenn sie in einem fürsorglichen El-
zeigen sich auch insofern, als die Lösung dieser Aufgaben ternhaus aufwachsen, in dem offen über die Probleme und
für die Zukunft von ihnen weniger angestrebt wird als von Belange der Familienmitglieder gesprochen wird, elterliche
den gesunden Gleichaltrigen (Boeger & Seiffge-Krenke, Anweisungen aber auch situationsangemessen und kon-
1994; Boeger, Seiffge-Krenke & Roth, 1996). sequent durchgesetzt werden (Davis et al., 2001; Hanson
Eine Reihe von Studien ist der Frage nachgegangen, et al., 1998). Darüber hinaus hat sich eine hohe Ehezu-
inwiefern das Auftreten einer chronischen Erkrankung friedenheit als prognostisch bedeutsam für ein effektives
Auswirkungen auf das Familienleben hat und welche Rolle „Krankheitsmanagement“ erwiesen.
der Familie und anderen Stützsystemen (z. B. Ärzten) bei
der Krankheitsverarbeitung zukommt (Boeger et al., 1996; Erkrankungen der Eltern
Sherifali & Ciliska, 2006). Zusammengenommen zeigen Den Auswirkungen einer körperlichen Erkrankung von
sie, dass Familien mit einem chronisch erkrankten Kind oft Eltern wurde besonders häufig in Studien an Familien mit
erhebliche finanzielle und organisatorische Aufwendungen einer an Krebs erkrankten Mutter nachgegangen. Obwohl
tätigen müssen und sich häufig wenig unterstützt fühlen. eine solche Erkrankung durchaus mehr oder weniger er-
Im Zentrum des Erlebens der betroffenen Eltern steht hebliche chronische Langzeitfolgen nach sich ziehen kann,
jedoch das „Krankheitsmanagement“, das heißt der Um- ist bislang kaum etwas über das Befinden der (in unserer
gang mit den (meist) ambulanten Therapiemaßnahmen alternden Gesellschaft vermutlich nicht unerheblichen
und Lebensumstellungen. Hierbei ist zu berücksichtigen, und steigenden Zahl) von Kindern und Jugendlichen be-
dass sich die Situation von Eltern eines diabetischen Kin- kannt, die in die Pflege kranker Elternteile einbezogen sind
des in einem Punkt grundsätzlich von der von Eltern mit (zu Art und Umfang der geleisteten Hilfen durch Kinder
einem akut erkrankten Kind unterscheidet: Die (Dauer-) s. Metzing, Schnepp, Hübner & Büscher, 2006).
Behandlung des Diabetes erfolgt weitgehend losgelöst von Dass selbst jene Untersuchungen, in denen Familien
Einrichtungen des Gesundheitssystems, sodass das Krank- während oder unmittelbar nach der Diagnose bzw. Be-
heitsmanagement, welches die laufende Kontrolle der Blut- handlung befragt wurden, zu widersprüchlichen Befunden
zuckerwerte, die regelmäßige Einnahme der Medikamente geführt haben (Annunziato, Rakotomihamina & Rubacka,
und das Einhalten der Ernährungsvorschriften umfasst, 2007), ist neben methodischen Einschränkungen wesent-
stark in der Verantwortung der Eltern liegt. lich auf moderierende Faktoren zurückzuführen, darunter
248 Kapitel 10 • Familie

Art, Schwere und Dauer der Erkrankung sowie die Verfüg- Mütter weniger engagiert und unterstützend, wobei die
1 barkeit von personellen und sozialen Ressourcen (Harris betroffenen Kinder von den Müttern selbst aber auch von
& Zakowski, 2003). Mit Blick auf die psychosoziale Ent- Lehrern häufiger als verhaltensauffällig beschrieben wer-
2 wicklung der mitbetroffenen Kinder zeichnet sich jedoch den. Die Schwere der mütterlichen Symptomatik korreliert
vergleichsweise durchgängig ab, dass diese mehrheitlich dabei signifikant mit der Frustrationstoleranz des Kindes
mit den akuten Belastungen kompetent umzugehen wissen und dessen Bereitschaft und Fähigkeit, Aufgaben motiviert
3 und keine deutlichen oder nachhaltigen Beeinträchtigun- und andauernd zu bearbeiten. Diese kindlichen Probleme
gen zeigen (Lewis & Darby, 2003; Osborn, 2007). wiederum sind in engem Zusammenhang damit zu sehen,
4 Ungleich problematischer stellt sich dagegen die Situ- dass kranke Mütter häufiger Verhaltensprobleme aufseiten
ation von Kindern und Jugendlichen mit einem psychisch des Kindes überbetonen, unrealistische Erwartungen an
5 gestörten Elternteil dar. In ihrer Übersicht über den For- die Leistungsfähigkeit ihrer Kinder hegen, seltener eine
schungsstand kommen Oyserman, Mowbray, Meares & anregungsreiche Umgebung bereitstellen und bei Konflik-
Firminger (2000) zu dem Ergebnis, dass in 32–56 % der ten (z. B. im Zusammenhang mit Hausaufgaben) seltener
6 Fälle, in denen Kinder mit einer psychisch gestörten Mut- in der Lage sind, die eigenen Emotionen konstruktiv zu
ter aufwachsen, die Kinder selbst Symptome einer schizo- regulieren.
7 phrenen oder affektiven Störung im Sinne internationaler Die skizzierten Unterschiede zwischen kranken und
Klassifikationssysteme (DSM-IV und ICD-10; APA, 2000; gesunden Müttern werden meist geringer, wenn der Ef-
WHO, 1991) zeigen. Die Gründe hierfür sind vielschich- fekt soziodemografischer Faktoren auspartialisiert wird,
8 tig. Zum einen wurden in verhaltensgenetischen Studien lassen sich statistisch aber auch dann noch absichern.
zur Erblichkeit von Psychosen vergleichsweise hohe Erb- Innerhalb der Gruppe der kranken Mütter beobachtbare
9 lichkeitskoeffizienten (zwischen 34 und 80 %) ermittelt. Unterschiede gehen dahin, dass eine unsichere Bindung
Zum anderen unterstreichen Studien, in denen psychisch vor allem dann entsteht, wenn die Erkrankung der Mut-
10 gestörte und gesunde Mütter hinsichtlich soziodemogra- ter bereits vor der Geburt zum Ausbruch kam, wenn die
fischer Merkmale verglichen wurden, dass es bei den von Erkrankung besonders ungünstig verlief und wiederholte
einer psychischen Erkrankung betroffenen Frauen häufig stationäre Behandlungen erforderlich wurden, und wenn
11 zu einer Kumulation von Stressoren kommt. Frauen mit es sich um alleinerziehende Mütter handelte, der Vater also
der Diagnose einer schweren psychischen Störung (z. B. nicht krankheitsbedingte Beeinträchtigungen abfedern
12 endogene Depression, Schizophrenie, Borderline-Persön- konnte.
lichkeitsstörung, antisoziale Persönlichkeit) haben häufiger
einen ebenfalls psychisch gestörten Partner, bekommen ihr
13 erstes Kind meist zu einem sehr frühen Zeitpunkt, haben 10.3.3 Armut und Arbeitslosigkeit
häufig mehrere Kinder, kämpfen mit großen finanziellen
14 Problemen und sind mit größerer Wahrscheinlichkeit al- Zu Beginn dieses Kapitels wurde die Bedeutung sozialer
leinerziehend oder führen eine Beziehung, die durch an- Disparitäten für die Teilhabechancen von Kindern und
15 haltende Konflikte und Gewalt gekennzeichnet ist. Jugendlichen im Bildungssystem angesprochen. An dieser
Zwar scheinen gerade psychisch gestörte Frauen die Stelle werden die Auswirkungen von Armut und Arbeits-
Mutterrolle als befriedigend und bereichernd zu erleben losigkeit der Eltern auf die Entwicklung von Kindern und
16 und sich motivierter zu fühlen, mit ihrer Krankheit einher- Jugendlichen näher betrachtet.
gehende Probleme zu bewältigen. Gleichwohl deuten Ver-
17 gleichsstudien (meist an depressiven und gesunden Müt- Facetten von Armut
tern) darauf hin, dass die Erziehungskompetenz psychisch Die Fragen, welche Bevölkerungsgruppen besonders häufig
gestörter Eltern im Regelfall beeinträchtigt ist (z. B. John- von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen sind, welche Ri-
18 son, Cohen, Kasen, Ehrensaft & Crawford, 2006). Bereits sikofaktoren hierfür ausschlaggebend sind und vor allem:
im Kleinstkindalter zeigt sich, dass an einer psychischen welche Folgen dies für die Entwicklung betroffener Kinder
19 Störung leidende Mütter im Umgang mit einem Säugling und Jugendliche hat, umreißen ein Thema, das seit knapp
weniger responsiv und emotional ansprechbar sind und 30 Jahren die hiesige Sozialisationsforschung beschäftigt.
20 eher dazu tendieren, Sorgen rund um die Pflege des Kindes Unter dem Schlagwort der „Infantilisierung der Armut“
zu verdrängen. Im Umgang mit dem Kleinkind scheint es war Ende der 1980er-Jahre deutlich geworden, dass in
ihnen schwerer zu fallen, zwischen den eigenen Bedürfnis- Deutschland vor allem Kinder, und insbesondere junge
21 sen und denen ihres Kindes zu trennen und konsequent Kinder vor dem Schuleintritt, ein erhöhtes Armutsrisiko
aufzutreten. Gleichzeitig sind vermehrt negativ gefärbte haben. Zahlreiche Studien haben sich in der Folgezeit die-
22 oder unempathische Eltern-Kind-Interaktionen zu beob- sem Thema angenommen (z. B. Holz & Hock, 2006; Wal-
achten. Nach Schuleintritt zeigen sich psychisch gestörte per, 2008). Der UNICEF-Vergleichsstudie „Child Poverty
10.3  •  Familien in der Krise
249 10

in Rich Countries 2005“ zufolge ist seit 1990 in den meis- anderen Industrienationen (Unicef, 2005). Legt man die
ten reichen Nationen der Anteil der Kinder, die in Armut Armutsrisikoquote zugrunde, lebten im Jahr  2011 laut
leben, weiter gestiegen (UNICEF, 2005). Wird bei Armut Mikrozensus knapp 19 % aller minderjährigen Kinder in
an Hunger und Obdachlosigkeit gedacht, dürfte dies ange- Deutschland in Familien mit relativ geringem Einkom-
sichts der Verfügbarkeit von wohlfahrtsstaatlichen Leistun- men (60 % des Durchschnittseinkommens; s. BMAS, 2013,
gen in den meisten dieser Länder zunächst verwundern. S. 111). Die Armutsrisikoquote für Minderjährige liegt da-
Allerdings beschränkt sich Armut nicht auf diese Extrem- mit fast 4 % über dem Vergleichswert für die Gesamtbe-
formen absoluter Armut, sondern betrifft auch Formen völkerung (15,1 %). Demnach leben Kinder nach wie vor
relativer Armut, bei der nicht das physische, wohl aber das überdurchschnittlich häufig in finanziell beengten Ver-
soziokulturelle Existenzminimum unterschritten wird. Re- hältnissen. Besonders betroffen von Einkommensarmut
lative Armut bezieht sich vorrangig darauf, inwieweit der beziehungsweise relativ geringem Einkommen waren und
in einem Land gegebene durchschnittliche Lebensstandard sind Kinder und Jugendliche in Familien mit mindestens
unterschritten wird. Sie ist damit vor allem ein Indikator einem arbeitslosen Elternteil und/oder geringen Bildungs-
sozialer Ungleichheit beziehungsweise Disparitäten, wäh- ressourcen der Eltern, Kinder in Ein-Elternteil-Familien
rend das landesübliche durchschnittliche Einkommensni- und/oder kinderreichen Familien sowie Kinder mit Mi-
veau, das wesentlich über den möglichen Lebensstandard grationshintergrund. Für Alleinerziehende mit zwei und
bestimmt, unberücksichtigt bleibt. mehr Kindern fällt die Armutsrisikoquote mit 62 % be-
sonders hoch aus (BMAS, 2013, S. 112). Ausschlaggebend
Definition  sind also familienstrukturelle Merkmale, da sie nicht zu-
Dem dritten Armuts- und Reichtumsbericht des letzt die Erwerbsmöglichkeiten der Eltern beeinflussen. Bei
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (2008) Alleinerziehenden fallen auch unzureichende Unterhalts-
zufolge ist im engeren Sinne arm, wer nicht über zahlungen in die Waagschale. Angesichts der schwierigen
genügend Mittel zum physischen Überleben verfügt Situation Alleinerziehender auf dem Arbeitsmarkt sind sie
(absolute Armut). Entsprechend wird die Armuts- nicht nur häufiger auf staatliche Unterstützung (Arbeits-
grenze definiert als Einkommensniveau, das minimal losengeld II) angewiesen, sondern bleiben auch länger im
notwendig ist, um eine Familie mit Nahrung, Unter- Hilfebezug als Zwei-Eltern-Familien. Zuwandererfamilien
kunft, Kleidung sowie medizinisch zu versorgen. In sind ebenfalls überrepräsentiert in der Gruppe derjeni-
Deutschland ist im Sozialhilferecht über die physische gen, die auf Transferleistungen, insbesondere Arbeitslo-
Existenz hinaus das soziokulturelle Existenzminimum sengeld II, angewiesen sind. Die Armutsrisikoquote von
abgesichert, das eine Teilhabe am gesellschaftlichen Menschen mit Migrationshintergrund und ausländischer
Leben sichern soll. Psychologisch entscheidend Staatsangehörigkeit ist gegenüber Personen ohne Migrati-
und hierzulande relevant ist diese relative Armut. onshintergrund sogar dreimal höher. Sonderauswertungen
Bezogen auf relative Einkommensarmut wird als Re- des Mikrozensus 2009 zeigen, dass immerhin 45 % aller
ferenzgröße das mittlere Einkommen einer betrach- armutsgefährdeten Familien mit minderjährigen Kindern
teten Gesellschaft herangezogen. Als arm gilt hierbei, einen Migrationshintergrund aufweisen (vgl. BMAS, 2013,
wer über weniger als die Hälfte des durchschnittli- S. 125). In den 1990er Jahren hat sich der Anteil armer
chen bedarfsgewichteten Netto-Äquivalenzeinkom- Kinder in dieser Bevölkerungsgruppe verdreifacht. Dieser
mens verfügt. In letzter Zeit wird häufiger – so auch Anstieg trägt deshalb maßgeblich zum Gesamtanstieg der
im vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bun- Kinderarmut in Deutschland bei.
desregierung – auf die Armutsrisikoquote (60 % des In den letzten Jahren sind aber auch positive Entwick-
durchschnittlichen-Netto-Äquivalenzeinkommens) lungen zu verzeichnen: Nachdem die Einkommen lange
Bezug genommen (BMAS, 2013). Bei der Ermittlung immer weiter auseinanderdrifteten, ist Statistiken des Bun-
des bedarfsgewichteten Äquivalenzeinkommens wird desministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zufolge
das Netto-Haushaltseinkommen so in ein Pro-Kopf- die Einkommensspreizung in Deutschland seit 2007 ins-
Einkommen umgerechnet, dass der wirtschaftliche gesamt rückläufig (BMAS, 2013). Die Arbeitslosenquote
Vorteil von Mehrpersonenhaushalten gegenüber Ein- ist in Deutschland seit 2005 rückläufig, wobei sogar die
personenhaushalten und der unterschiedliche Bedarf Jugendarbeitslosigkeit – anders als in vielen anderen eu-
von Erwachsenen und Kindern berücksichtigt wird. ropäischen Ländern – noch stärker abgenommen hat als
die Arbeitslosigkeit insgesamt. Im Jahr  2012 waren im
Jahresdurchschnitt nur knapp 6 % der 15- bis 26-Jährigen
Speziell in Deutschland ist der Prozentsatz der Familien, arbeitslos. Auch die Anzahl der Kinder in Haushalten, die
die mit weniger als 50 % des Durchschnittseinkommens Grundsicherung für Arbeitssuchende erhalten, hat abge-
auskommen müssen, stärker gestiegen als in den meisten nommen. Vor allem Familien mit kleinen Kindern schei-
250 Kapitel 10 • Familie

nen von der günstigen Arbeitsmarktentwicklung profitiert tem und zu angemessenem Wohnraum) als Kriterium ge-
1 zu haben. Der Anteil der Familien mit Kindern unter drei wählt, kommt man zu einem Anteil von knapp 40 % aller
Jahren, die in SGB-II-Bedarfsgemeinschaften leben, ist um Bürgerinnen und Bürger, die von einer deutlichen Ein-
2 3 % auf 18,2 % im Jahresdurchschnitt 2011 gesunken. Aller- schränkung betroffen sind, obwohl sie nicht den monetär
dings verdeutlichen diese Zahlen, dass die Armutsrisiken Armen zuzurechnen sind (vgl. Arndt, Dann, Kleimann,
immer noch vorrangig junge Familien betreffen. Strotmann & Volkert, 2006).
3 Neben dem Fokus auf Einkommensarmut gibt es An-
sätze, die andere Aspekte der jeweiligen Lebenslage mit Armut als Stressor für Eltern und Kinder
4 in den Blick nehmen, insbesondere die Erwerbssituation, Einkommensarmut bedeutet zunächst vor allem finanzielle
die jeweiligen Bildungsressourcen, die Wohnsituation Probleme und notwendige Einschränkungen im Konsum.
5 und vielfach auch die gesundheitliche Situation und sozi- Darüber hinaus bringt Armut jedoch vielfach auch Exis-
ale Einbindung. Armut wird dann als Unterschreiten von tenzängste, Selbstzweifel, Depression, soziale Schamge-
Mindeststandards beziehungsweise Unterversorgung in fühle und nicht zuletzt Konfliktpotenzial in den alltägli-
6 diesen zentralen Lebenslagendimensionen verstanden (s. chen Interaktionen mit sich (z. B. Petterson & Albers, 2001;
Walper, 2008). Salentin, 2002; Wadsworth & Compas, 2002). Entspre-
7 Um einen noch breiter gefassten Ansatz handelt es sich chend lässt sich dieser Bereich familialer Belastungslagen
bei dem sogenannten Capability Approach (CA), der von ebenfalls stresstheoretisch betrachten: Armut ist demnach
dem Nobelpreisträger für Ökonomie Amartya Sen und ein zentraler Stressor, der das Familienleben auf vielfältige
8 der Philosophin Martha Nussbaum entwickelt wurde. Aus Weise beeinflusst und die Bewältigungsmöglichkeiten be-
dessen Perspektive ist Chancengleichheit – grob gefasst troffener Familie stark beansprucht. Dennoch können auch
9 – als Gleichheit zentraler, für wertvoll erachteter Chan- hier die Folgen für die betroffenen Eltern und Kinder je
cen der Verwirklichung von Wohlergehen zu fassen und nach verfügbaren Ressourcen im materiellen, persönlichen
10 Chancenungleichheit entsprechend als ein Mangel an Ver- und sozialen Bereich variieren (Garmezy, 1991).
wirklichungschancen. Das Konzept der Verwirklichungs- Hinsichtlich des Belastungspotenzials von (Einkom-
chancen wiederum verweist auf ein breites Spektrum an mens-)Armut für betroffene Familien hat sich vielfach ge-
11 qualitativ unterschiedlichen Zuständen und Handlungen, zeigt, dass die erforderlichen finanziellen Einschränkungen
die Menschen für sich anstreben und verwirklichen kön- und ökonomischen Unsicherheiten auch vermehrte Sor-
12 nen. Diese werden im CA entlang der beiden Dimensionen gen und psychische Belastungen der Eltern wahrscheinlich
„Well-being“ und „Agency“ eingeordnet. Hierbei bezieht machen, die das Familienklima überschatten und sich in
sich Well-being auf die Chance auf Wohlbefinden, seeli- Beeinträchtigungen der familialen Beziehungen und In-
13 sche Gesundheit und persönliches Wachstum, während teraktionen niederschlagen (Walper & Kruse, 2008). Dies
Agency auf die Herausbildung von Handlungsbefähi- betrifft sowohl die elterliche Partnerschaft – sofern es sich
14 gung und psychologischer Autonomie abhebt – also auf um eine Zwei-Eltern-Familie handelt – als auch das elterli-
die Gewährung und Nutzung von Gestaltungs- und Ent- che Erziehungsverhalten, das weniger aufmerksam und zu-
15 scheidungsfreiräumen. Entsprechend ist Benachteiligung gewandt, vielfach auch schroffer und strafender wird (vgl.
nicht nur dann zu konstatieren, wenn Mitglieder einer Walper, 2008). Wie Glen Elder und Rand Conger in ihren
Gesellschaft unter Bedingungen leben (müssen), die ihre Arbeiten zeigen konnten, ist hierbei der finanzielle Druck
16 seelische oder physische Gesundheit bedrohen. Ungleich- in der Haushaltsführung ausschlaggebend (Conger, Rue-
heit liegt vielmehr auch dann vor, wenn Personen in un- ter & Conger, 2000; Elder, Conger, Foster & Ardelt, 1992):
17 terschiedlichem Maße darin unterstützt beziehungsweise Objektive sozioökonomische Härten führen zunächst zu
daran gehindert werden, begründete Zielvorstellungen für erhöhtem finanziellem Druck, der sich in notwendigem
das eigene Leben zu entwickeln, zu formulieren und nach- Verzicht oder unbezahlten Rechnungen in der alltäglichen
18 haltig zu verfolgen. Haushaltsführung bemerkbar macht. Dieser Druck unter-
Die analytische und sozialpolitische Tragweite einer miniert wiederum die psychischen Ressourcen der Eltern,
19 solchen Konzeptualisierung wird in Studien deutlich, provoziert bei Paaren mehr Unzufriedenheit und Unstim-
die für den Armuts- und Reichtumsbericht erstellt wor- migkeiten, geht mit Konflikten um unerfüllbare Wünsche
20 den sind. Legt man das traditionelle Kriterium monetärer der Kinder einher (Conger, Ge, Elder, Lorenz & Simons,
Armut zugrunde, können 16,8 % der Bevölkerung als be- 1994; vgl. auch Walper & Kruse, 2008) und belastet auf
nachteiligt gelten, da sie über weniger als 60 % des Median- diesem Weg auch das Erziehungsverhalten. Die elterliche
21 Einkommens verfügen. Wird aber – wie im Armuts- und Feinfühligkeit gegenüber kindlichen Bedürfnissen wird
Reichtumsbericht – ein Mangel an nichtfinanziellen indi- geringer, ebenso die liebevolle Zuwendung und achtsame
22 viduellen und gesellschaftlichen Verwirklichungschancen Überwachung kindlicher Aktivitäten und Belange, Stra-
(z. B. Gesundheit, Bildung, Zugang zum Gesundheitssys- tegien der Machtdurchsetzung nehmen hingegen zu und
10.3  •  Familien in der Krise
251 10

zwar vor allem, wenn die Eltern wenig soziale Unterstüt- physischen Kontextbedingungen (unangemessene Wohn-
zung wahrnehmen (z. B. Hashima & Amato, 1994). Dazu bedingungen, Lärm, Crowding) können dies beispielsweise
kommt, dass finanziell bedingter Stress dazu beiträgt, dass frühe Trennungen oder Gewalt in der Nachbarschaft sein
der Blick der Eltern auf ihre Kinder kritischer ausfällt und (Evans & English, 2002). Diese Stressbedingungen schei-
das Verhalten der Kinder mehr negative Einschätzungen nen zu erhöhten psychischen Belastungen, physiologi-
und Emotionen der Eltern hervorruft (Pinderhughes, Ba- schen Stressreaktionen und den größeren Selbstregulati-
tes, Dodge, Pettit & Zelli, 2000). Damit wird zusätzlich die onsschwierigkeiten von betroffenen Kindern beizutragen.
Wahrscheinlichkeit eines entwicklungsförderlichen Erzie- In diesem Zusammenhang konnten in einer Studie, die
hungsstils, wie er im oben behandelten Konzept autorita- Bewältigungsstrategien von Jugendlichen in Armut unter-
tiver Erziehung angesprochen wird, geringer. suchte, zwei hilfreiche Arten von Problembewältigung auf-
Vor allem solche psychosozialen Folgewirkungen fi- gezeigt werden. Es handelt sich um Kontrollstrategien, die
nanzieller Knappheit sind letztlich ausschlaggebend für sich entweder auf eine aktive Veränderung der Situation
Beeinträchtigungen der Befindlichkeit und erhöhtes (primäre Kontrolle) oder auf eine veränderte Wahrneh-
Problemverhalten bei Kindern aus deprivierten Familien mung und Deutung der Situation (sekundäre Kontrolle)
(Conger, Conger & Elder, 1997; NICHD-Early Child Care beziehen (Wadsworth & Compas, 2002). Jugendliche mit
Network, 2005; Pinderhughe et al., 2000). In einer Reihe hohen Belastungsfaktoren im Familienkontext (vor allem
von Studien konnte gezeigt werden, dass die beeinträchti- bei vermehrten Familienkonflikten im Kontext finanzieller
gende Wirkung von Einkommenseinbußen, materiellen Härten) griffen weniger auf diese Strategien zurück und
Sorgen oder auch dem drohenden Verlust des Arbeitsplat- zeigten ein eher dysfunktionales vermeidendes Coping
zes weitgehend über innerfamiliale Prozesse, namentlich beziehungsweise Rückzug (Disengagement). Die Coping-
die psychische Befindlichkeit der Eltern, deren Erzie- Strategien der Jugendlichen mediierten dabei den Zusam-
hungsverhalten und Schulengagement sowie die Qualität menhang zwischen familialen Belastungen und der Befind-
der Eltern-Kind-Beziehung, vermittelt wird (Whitbeck, Si- lichkeit der Jugendlichen.
mons, Conger, Wickrama, Ackley & Elder, 1997; Lempers
& Clark-Lempers, 1997; Gutman & Eccles, 1999). Auch Armut und Bildung
Befunde aus deutschen Studien konnten dies bestätigen Studien aus unterschiedlichen Ländern belegen seit vie-
(Walper, Gerhard, Schwarz & Gödde, 2001) und weisen len Jahren, dass die schulischen Leistungen, Bildungsab-
darauf hin, dass Armutserfahrungen durchaus langfristig schlüsse und Schul- beziehungsweise Berufsabschluss-
wirksam sind und selbst bei einer Verbesserung der finan- vorstellungen Heranwachsender eng mit dem elterlichen
ziellen Lage wirksam bleiben können. Entsprechendes er- Einkommen, Beruf und Bildungsniveau kovariieren (zusf.
brachte eine Längsschnittstudie, der zufolge Jugendliche Conger & Dogan, 2007; Hoover-Dempsey, Battiato, Walker,
noch sechs Jahre, nachdem sie eine Verknappung in der Reed, DeJong & Jones, 2001; Wild, Hofer & Pekrun, 2001;
Haushaltsführung berichtet hatten, Einschränkungen in Wild & Hofer, 2002). In diesem Zusammenhang ist – ge-
ihrer Befindlichkeit erlebten (Walper, 2009b). So ist es genwärtige oder frühere – Armut ein zentraler Faktor, der
wenig verwunderlich, dass sich dauerhafte Armut als be- Risiken für die Leistungsentwicklung und Bildungsbiogra-
sonders belastend für betroffene Kinder erwiesen hat (z. B. fie birgt (Davis-Kean, 2005; Entwisle & Alexander, 1996),
Bolger, Patterson, Thompson & Kupersmidt, 1995). weil für den Lernerfolg relevante Kompetenzen unzurei-
Jenseits des Familienzusammenhangs machen ökono- chend ausgebildet werden. Tatsächlich scheinen Nachteile
misch deprivierte Kinder und Jugendliche oftmals auch im im Bereich kognitiver Fähigkeiten und des schulischen
weiteren sozialen Kontext weniger positive und mehr ne- sowie beruflichen Erfolgs sogar weitaus gravierender aus-
gative Erfahrungen. Sie gehören seltener einem Verein an, zufallen als Nachteile in anderen Entwicklungsbereichen
sind weniger in die Gruppe der Gleichaltrigen eingebun- (Duncan & Brooks-Gunn, 1997; Petterson & Albers, 2001).
den beziehungsweise werden von diesen weniger akzep- So erweisen sich mangelnde sozioökonomische Ressour-
tiert und fühlen sich häufiger einsam (Bolger et al., 1995; cen der Familie bei der Sprachentwicklung der Kinder als
Klocke, 1996; Walper et al., 2001). Insofern bieten Gleich- deutlicher Nachteil (Hoff-Ginsberg, 2000) und die Intel-
altrige keineswegs immer einen solidarischen Ausgleich, ligenzentwicklung von Kindern aus einkommensarmen
der häusliche Belastungen wettmacht, sondern können im Familien liegt – selbst bei Kontrolle potenzieller Drittva-
Gegenteil die Probleme verschärfen. Denn Erfahrungen riablen (perinatale Probleme, Geburtsgewicht, chronische
sozialer Ausgrenzung durch Gleichaltrige untergraben Krankheiten) – bereits vor dem vierten Lebensjahr deut-
das Selbstwertgefühl betroffener Kinder und Jugendlicher lich unter der Norm (Mackner, Black & Starr, 2003). Im
und erhöhen deren Depressivität (Walper et  al., 2001). Alter von fünf Jahren zeigen sich zudem stärkere Effekte
Hinzu kommen weitere Stressoren, mit denen Kinder, die dauerhafter statt zeitbegrenzter Armut (Duncan, Brooks-
in Armut aufwachsen, häufiger konfrontiert sind. Neben Gunn & Klebanov, 1994).
252 Kapitel 10 • Familie

Internationale Vergleichsstudien, wie die PISA-Studie, Schüler Bildungschancen ungenutzt bleiben, während an-
1 ergänzen dieses Bild, indem sie belegen, dass die Entwick- dere Kinder vor der Aufgabe stehen, den überhöhten Er-
lung zentraler Kulturtechniken (wie der Lesekompetenz) wartungen ihrer Eltern gerecht werden zu müssen.
2 stark vom sozioökonomischen Hintergrund der Familien Insgesamt unterstreichen diese Befunde die Rolle der
beeinflusst wird, wobei dies in Deutschland noch stärker Familie als primäre Sozialisations- und Bildungsinstanz
gilt als in vielen anderen Ländern (Baumert & Schümer, und lassen verständlich werden, warum Kinder aus sozial
3 2001; Baumert, Watermann & Schümer, 2003). Vergleicht privilegierten Elternhäusern die schulische und berufli-
man die Ergebnisse der PISA-Studie, die sich auf 15-jährige che Laufbahn meist erfolgreicher durchlaufen. Allerdings
4 Schüler bezieht, mit den in der IGLU-Studie für Grund- macht die in PISA konstatierte enorme transkulturelle
schüler ermittelten Befunden, so scheint es deutschen Variabilität des Zusammenhangs zwischen Soziallage und
5 Grundschulen eher als weiterführenden Schulen zu gelin- Kompetenz deutlich, dass der Effekt sozioökonomischer
gen, soziale Disparitäten vergleichsweise gering zu halten. Faktoren nicht allein durch Drittvariablen wie Intelligenz
Auch hier differiert jedoch das durchschnittliche Kompe- oder Persönlichkeitsmerkmale von Eltern erklärt werden
6 tenzniveau von Kindern unterschiedlicher sozialer und eth- kann, die genetisch (mit-)bestimmt sind (zusf. Plomin, De-
nischer Herkunft. So weicht etwa das Leseverständnis von Fries, McClearn & Rutter, 1999) und sich in den Bildungs-
7 Drittklässlern aus Elternhäusern der obersten und unters- verläufen der Eltern- und Kindergeneration widerspiegeln.
ten Sozialschicht um etwa eine halbe Standardabweichung Vielmehr sind es (auch) Merkmale des Bildungssystems, die
ab. Dies entspricht rund der Differenz von einem Schuljahr herkunftsbedingte Disparitäten nivellieren oder verstärken.
8 (Bos et al., 2003). Bereits in den ersten Klassenstufen sind
also primäre Disparitäten zu beobachten, das heißt es be-
9 stehen schon zu diesem frühen Zeitpunkt Ungleichheiten Fazit
Die Ausführungen in diesem Kapitel sollten verdeutli-
in den Kompetenzen, die für den Zugang zu Bildungsan-
chen, dass sich die Anforderungen an Eltern (und deren
10 geboten entscheidend sind. Diese werden verschärft durch
Kinder) im Verlauf der Familienkarriere stetig verändern
sekundäre Disparitäten, das heißt von der Kompetenz un-
und das der Familie innewohnende Potenzial nur dann
abhängige Ungleichheiten in den Bildungschancen.
11 Sekundäre Disparitäten entstehen, weil sozioökono- ausgeschöpft wird, wenn die Eltern-Kind-Interaktion
auf die altersabhängigen Bedürfnisse des Nachwuch-
mische Ressourcen der Eltern nicht nur die schulischen
12 Kompetenzen der Kinder beeinflussen, sondern auch un- ses und die Fähigkeiten des einzelnen Kindes abgestellt
wird. Diese Idee steht daher auch – mehr oder weniger
abhängig hiervon in die Notengebung, die Übertrittsemp-
ausdrücklich – im Zentrum vorliegender Trainings zur
fehlungen und die Schulwahlentscheidungen der Eltern am
13 Ende der Grundschule einfließen (Ditton, 2004). Im deut- Steigerung der elterlichen Erziehungskompetenz (zusf.
Wiss. Beirat, 2005; Tschöpe-Scheffler, 2006).
schen Bildungssystem, das eine Zuweisung zu unterschied-
14 lichen Schulzweigen bereits in der vierten Klasse vorsieht, Mit dem innerfamilialen Sozialisationsgeschehen
ist eine entscheidende „Stellgröße“ für die kindliche
kommt solchen sekundären Herkunftseffekten vergleichs-
Persönlichkeitsentwicklung angesprochen. Daraus im
15 weise großes Gewicht zu (Ditton, 2007a). Zwar folgen auch
Umkehrschluss abzuleiten, dass Eltern grundsätzlich
Eltern mit geringeren sozioökonomischen Ressourcen
die Verantwortung für kindliche Fehlentwicklungen
häufig der von der Grundschule ausgestellten Gymnasial-
16 empfehlung. Eltern mit höheren sozioökonomischen Res- zuzuschreiben ist, ist gleichwohl unzulässig. Ein solch
deterministisches Verständnis verkennt nicht nur
sourcen zeigen jedoch auch ohne Gymnasialempfehlung
17 deutliche Präferenzen für einen Gymnasialabschluss ihrer die Rolle von Erbanlagen, kindlichen Selbstsozialisa-
tionsprozessen und bidirektionalen Wirkungen der
Kinder und wissen diese Vorstellung umzusetzen (zusf.
Eltern-Kind-Interaktion. Es lenkt vielmehr auch von der
Maatz, Baumert, Gresch & McElvany, 2010). Ausschlagge-
18 bend hierfür dürften nicht unterschiedliche Erwartungen Tatsache ab, dass Beeinträchtigungen in den Famili-
enbeziehungen häufig auf belastende Lebenslagen
an die Nützlichkeit eines höheren Schulabschlusses sein, da
19 sich Eltern in dieser Hinsicht weitgehend einig sind (Ditton, und kritische Lebensereignisse zurückgehen und viele
unverschuldet in eine Krise gestürzte Eltern dennoch
2007b). Wohl aber sind schichtabhängige Unterschiede in
bemüht sind, ihr Kind bestmöglich zu begleiten.
20 den antizipierten Erfolgschancen des eigenen Kindes zu be-
Was eine „gute Erziehung“ ausmacht, lässt sich vor
obachten und auch die Fähigkeit, als Eltern die jeweils nö-
dem Hintergrund der inzwischen über 50 Jahre hinweg
tigen Ressourcen bereitstellen können, ist in privilegierten
21 Familien erwartungsgemäß höher (vgl. ▶ Abschn. 10.3.3). betriebenen Erziehungsstilforschung dahingehend
beantworten, dass eine störungsfreie Persönlichkeits-
Angesichts dieser Befunde kann die Stärkung des Eltern-
22 willens beim Übertritt durchaus kritisch gesehen werden. entwicklung von Kindern und Jugendlichen umso
Ohne eine intensive Beratung der Eltern werden für einige
10.3  •  Familien in der Krise
253 10

wahrscheinlicher wird, je mehr Eltern die für einen vielfach auf Unterstützung in herausforderungsreichen
autoritativen Erziehungsstil charakteristischen Verhal- Situationen angewiesen. Hierzu vorliegende Angebote
tensweisen zeigen. So ist es positiv zu bewerten, dass können auf spezifische Probleme und Adressaten
die Voraussetzungen für die Realisierung eines solchen, gerichtet oder eher allgemein präventiver Natur sein
durchaus anspruchsvollen Erziehungsstils heute in (▶ Kap. 18). Beide Ansätze finden sich beispielsweise in
vielerlei Hinsicht besonders günstig sind. Besorgniser- den Programmen der Frühprävention für Familien ab
regend sind gleichwohl die nach wie vor hohe Zahl von der Schwangerschaft bis zum Kindergartenalter, die im
in Armut lebenden Kindern und der Erwartungsdruck, Rahmen des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH)
unter dem immer mehr Eltern stehen beziehungsweise im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senio-
unter den sie sich selbst stellen. ren, Frauen und Jugend auf den Weg gebracht wurden
Nicht zuletzt Befunde der Armuts- und Ungleich- (Sann, 2012; s. auch ▶ http://www.nzfh.de). Zentral
heitsforschung unterstreichen, wie stark das Eltern- ist hierbei das Anliegen, die Entwicklungschancen für
haus die psychosoziale, intellektuelle und schulische Kinder durch eine möglichst wirksame Vernetzung von
Entwicklung der Kinder beeinflusst. Mit Blick auf die Hilfen des Gesundheitswesens und der Kinder- und
Rolle der Familie als eine bedeutsame Lernumgebung Jugendhilfe zu verbessern und sie früher und besser
ist festzuhalten, dass neben bildungsaffinen Werthal- vor möglichen Gefährdungen zu schützen. Aber auch
tungen und positiven Einschätzungen der kindlichen in allen nachfolgenden Phasen können Fragen und
Leistungsfähigkeit durch die Eltern vor allem auch Probleme auftreten, die den Rückgriff auf professio-
gemeinsame lernrelevante Aktivitäten und eine qua- nelle Hilfe sinnvoll machen. Im Fall einer Trennung/
litätsvolle Ausgestaltung elterlicher Hilfen zielführend Scheidung der Eltern etwa kann auf ein differenziertes
sind. Je mehr Eltern Interesse an schulischen Inhalten Angebot an Beratung, Mediation, aber auch Kursen
und an den schulischen Erfahrungen ihrer Kinder zum zurückgegriffen werden (Walper & Bröning, 2008).
Ausdruck bringen, diesen klare Leistungserwartungen Für Eltern mit Schulkindern sind Beratungslehrer
und Standards vermitteln, die kindliche Zuversicht und Schulpsychologen, aber auch die Mitarbeiter in
in die eigene Leistungsfähigkeit stärken, emotionale Erziehungsberatungsstellen oft wichtige Ansprechpart-
Unterstützung bei der Bewältigung von Misserfolgen ner. Leider sind die Hürden bei der Inanspruchnahme
leisten und die Herausbildung von Selbstregulations- professioneller Angebote für viele Familien aber immer
kompetenzen fördern, umso eher ermöglichen sie noch hoch. Um ein möglichst gesundes, unbelastetes
ihren Kindern ein erfolgreiches und selbstbestimmtes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen zu ermög-
Lernen. Die wenigen wissenschaftlich fundierten Rat- lichen, muss uns daran gelegen sein, die Sichtbarkeit,
geber und Trainings, die auf den elterlichen Umgang Erreichbarkeit und Koordination der vielfältigen Ange-
mit schulischen Belangen fokussieren (Rammert & bote für Familien zu verbessern.
Wild, 2007; Niggli, Wandeler & Villinger, 2009; McElvany
& Artelt, 2009; Otto, 2009), setzen diese Erkenntnisse in
praktische Anleitungen um.
Verständnisfragen
Beeinträchtigungen in der elterlichen Erziehungskom-
1. Wie haben sich seit der Nachkriegszeit die Rahmenbedin-
petenz werden wahrscheinlicher, wenn Familien mit
gungen für den Übergang zur Elternschaft in Deutschland
unvermittelten Schicksalsschlägen (z. B. Erkrankung
(wie in vielen anderen Ländern) verändert?
eines Familienmitglieds oder plötzliche Arbeitslosig-
2. Wie ist die wachsende Nachfrage nach und Bereitstellung
keit) oder mit Krisen (z. B. Trennung/Scheidung, fort-
von institutioneller Fremdbetreuung gerade auch für Fa-
dauernde ökonomische Deprivation) konfrontiert sind.
milien mit Kindern unter drei Jahren zu bewerten?
Aus systemischer Sicht werden in allen diesen Fällen
3. Welche Erziehungsstile lassen sich voneinander abgren-
Anpassungsleistungen erforderlich, die zumindest vo-
zen und wie sieht eine „gute“ Erziehung aus?
rübergehend das Erleben und Verhalten der Betroffe-
4. Warum ist ein simpler Vergleich des Wohlbefindens von
nen beeinträchtigen können. Ob eine Krise erfolgreich
Kindern, die in strukturell intakten oder Scheidungsfami-
gemeistert wird oder langfristige negative Folgen
lien leben, wenig aufschlussreich?
insbesondere für die Persönlichkeitsentwicklung
5. Welche Befunde sprechen für die hohe Anpassungsfähig-
der betroffenen Kinder nach sich zieht, hängt dabei
keit von Kindern und welche Faktoren erhöhen die Vulne-
wesentlich von den jeweils verfügbaren (personalen
rabilität Heranwachsender?
und sozialen) Ressourcen der Familie beziehungs-
weise ihrer Mitglieder ab. Gleichwohl sind Familien
254 Kapitel 10 • Familie

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Lehrer
Mareike Kunter, Britta Pohlmann

11.1 Merkmale des Lehrerberufs  –  262


11.1.1 Die Rolle von Lehrern: Anforderungen und Erwartungen  –  262
11.1.2 Lehrer als Thema in der Pädagogischen Psychologie:
Klassische Themen und neuere Trends  –  263

11.2 Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen  –  264


11.2.1 Wissen – 264
11.2.2 Überzeugungen und Erwartungen  –  267

11.3 Motivationale Merkmale – 272


11.3.1 Berufswahlmotive – 272
11.3.2 Enthusiasmus und intrinsische Motivation  –  273
11.3.3 Zielorientierungen – 274

11.4 Emotionale Merkmale: Beanspruchungserleben  –  274


11.4.1 Belastungsfaktoren: Umweltfaktoren und
individuelle Ressourcen – 275
11.4.2 Die Bedeutung von Beanspruchungssymptomen
für die Berufsausübung  –  275

11.5 Veränderung von Lehrermerkmalen in


Ausbildung und Beruf  –  276
11.5.1 Das Lehramtsstudium – 276
11.5.2 Einstieg in die Praxis: Das Referendariat  –  277
11.5.3 Weiterbildung und Trainings im Beruf  –  277

Literatur – 279

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
262 Kapitel 11 • Lehrer

Lehrkräfte sind zentrale Akteure im Bildungssystem. Dass sie


1 einen substanziellen Einfluss auf das Lernen und die Entwick-
lung ihrer Schüler haben können, ist auch aus empirischer
2 Sicht unstrittig (z. B. Rowan, Correnti & Miller, 2002). Forschung
zum „Lehrereffekt“ zeigt, dass Schüler auch bei gleichen per-
sönlichen Voraussetzungen innerhalb einer Schule systemati-
3 sche Unterschiede in ihren Leistungsentwicklungen zeigen, je
nachdem, von welcher Person sie unterrichtet werden. Warum
4 jedoch manche Lehrkräfte erfolgreicher als andere sind und
welche persönlichen Voraussetzungen dies bestimmen, soll
5 im vorliegenden Kapitel näher betrachtet werden.
Das Anliegen dieses Kapitels ist es, den Leserinnen und Lesern
einen Eindruck über den aktuellen Kenntnisstand in der pä-
6 dagogisch-psychologischen Lehrerforschung zu geben und
aufzuzeigen, in welchen Bereichen gesicherte Erkenntnisse
7 vorliegen. Speziell soll auch darauf hingewiesen werden, in
welchen Bereichen noch deutliche Wissenslücken zu kon­

8 statieren sind.
Um die Leser auf das Thema Lehrer einzustimmen, liefern wir
zunächst eine Art Anforderungsanalyse, die die typischen He-
9 rausforderungen des Lehrerberufs beschreibt. Anschließend
fassen wir Ansätze der pädagogisch-psychologischen Lehrer-
10 forschung zusammen und erläutern dann, welche Merkmale
von Lehrern bisher in der Forschung Aufmerksamkeit fanden.
Das Kapitel schließt mit einer Beschreibung von Ansätzen zur
11 Veränderung von Lehrermerkmalen (. Abb. 11.1).
.. Abb. 11.1  

12 spräche geführt werden – und all dies geschieht unter den


11.1 Merkmale des Lehrerberufs aufmerksamen Augen der Öffentlichkeit und Bildungspo-
litik, die ihrerseits Forderungen an „den Lehrkörper“ stel-
13 11.1.1 Die Rolle von Lehrern: len. Vor allem die Erwartungen der Öffentlichkeit und die
Anforderungen und Erwartungen vermeintlich geringe Wertschätzung ihrer Tätigkeit wird
14 von vielen Lehrkräften als besondere berufliche Belastung
Lehrkräfte haben einen komplexen Beruf. Ihre Tätigkeit ist wahrgenommen (Osterwalder, 2003). Jedoch scheint sich
15 vielseitig, oft wenig planbar und bietet zwar einerseits hohe hier – zumindest, was die Situation in Deutschland be-
gestalterische Freiheitsgrade, unterliegt aber andererseits trifft – in den letzten Jahren eine Trendwende vollzogen
diversen praktischen Einschränkungen (Lortie, 1975). In zu haben. So liegt in einer aktuellen repräsentativen Be-
16 ihrer Haupttätigkeit, dem Unterrichten, stehen Lehrkräfte völkerungsumfrage der Lehrerberuf auf dem dritten Platz
vor der Herausforderung, Schüler dazu zu bewegen, sich in einer Rangreihe von Berufen, vor denen die Befragten
17 aktiv mit Themen auseinanderzusetzen und anstrengende am meisten Achtung haben, und zwar noch vor Rechts-
Lerntätigkeiten vorzunehmen, die die Lernenden typi- anwälten, Diplomaten oder Unternehmern (Institut für
scherweise nicht freiwillig gewählt haben. Auch wenn je- Demoskopie Allensbach, 2011; ▶ Exkurs „Was zeichnet den
18 der einzelne Schüler dabei individuell zu fördern ist, findet ‚guten Lehrer‘ aus?“).
diese Interaktion normalerweise in einer Gruppe statt. Auf Die zunehmende Wertschätzung des Berufs geht ein-
19 die Lehrkraft kommt somit die Aufgabe zu, diese Gruppe her mit einer Reihe an Veränderungen in der Schulland-
zu ordnen und so zu organisieren, dass Lernen überhaupt schaft, die Lehrkräfte vor neue Herausforderungen stellen.
20 möglich wird: Die vielen simultan ablaufenden Ereignisse Ausgelöst durch die für Deutschland enttäuschenden Er-
erfordern Aufmerksamkeit und Konzentration, da oft- gebnisse in den internationalen Schulleistungsstudien des
mals schnelle Entscheidungen zu treffen sind, ohne dabei letzten Jahrzehnts (Klieme et al., 2010; ▶ Kap. 15) wurden
21 die ursprünglichen Lernziele aus dem Blick zu verlieren. in Deutschland eine Reihe an Maßnahmen umgesetzt, die
Über diese unmittelbaren Unterrichtstätigkeiten hinaus die beruflichen Aufgaben von Lehrkräften erweitern. So
22 müssen Unterrichtsstunden geplant, Arbeiten korrigiert, sind beispielsweise Lehrkräfte im Zuge der wachsenden
Arbeitsgruppen und Schulausflüge geleitet sowie Elternge- Bedeutung von Qualitätssicherungsmaßnahmen (zum
11.1  •  Merkmale des Lehrerberufs
263 11

Exkurs  |       | 

Was zeichnet den „guten Lehrer“ aus?


Wir alle haben Hypothesen darüber, was Vielzahl an unterschiedlichen Lehrkräften besonders beeindruckt hat und überle-
ein guter Lehrer ist. Diese Annahmen sind in vielen verschiedenen Situationen. gen Sie, was diese Person im Vergleich zu
stark davon geprägt, welche Erfahrungen Als Einstimmung in das Thema des andern Lehrern ausgezeichnet hat. Viel-
man selbst in seiner Schulzeit gemacht Kapitels können Sie versuchen, sich an leicht überlegen Sie auch einmal, welche
hat – immerhin verbringt der typische Ihre eigene Schulzeit zu erinnern: Wer Lehrkraft Sie im negativen Sinn beein-
Schüler bis zu 15.000 Stunden in der war die beste Lehrkraft, die Sie je in Ihrer druckt hat: Welches war der schlechteste
Schule (Rutter, Maughan, Mortimore Schullaufbahn erlebt haben? Denken Sie Lehrer, den Sie je erlebt haben? Welche
& Ouston, 1980) und erlebt dabei eine an einen Lehrer oder eine Lehrerin, die Sie Merkmale wies diese Person auf?

Beispiel in Form der Bildungsstandards, ▶ Kap. 15) ge- fragen möchte, welche persönlichen Merkmale für eine er-
fordert, sich zunehmend mit Diagnostik und Evaluation folgreiche Berufsausübung relevant sind.
auseinanderzusetzen und die Leistungen ihrer Schüler
angemessen zu dokumentieren. Da in den letzten Jahren
Schulen zunehmend mehr Autonomie gewährt wurde und 11.1.2 Lehrer als Thema
sie in einen gewissen Wettbewerb untereinander gestellt in der Pädagogischen Psychologie:
wurden, sind Lehrkräfte weiterhin gefordert, sich aktiv in Klassische Themen und neuere
die Schulentwicklung einzubringen. Schließlich führen Trends
die Etablierung von Ganztagsschulen sowie die Öffnung
von Schulen für behinderte Kinder und Jugendliche (In- Die Kernfrage, welche Merkmale eine Lehrkraft aufwei-
klusion) dazu, dass sich Lehrkräfte auch Kompetenzen sen sollte, um den Beruf erfolgreich auszuüben, ist in der
hinsichtlich Beratung und individueller Förderung, die psychologischen Forschung immer wieder thematisiert
über den Unterricht hinausgehen, aneignen (▶ Kap. 16, worden (Baumert & Kunter, 2006; Bromme, 1997). Dabei
▶ Kap. 17, ▶ Kap. 18). lässt sich eine Veränderung in den theoretischen Perspekti-
Den vielseitigen Herausforderungen, denen Lehrkräfte ven, unter denen diese Frage im Verlauf der Zeit betrachtet
im Berufsalltag begegnen, steht eine besondere Beschäfti- wurde, beobachten.
gungsstruktur entgegen. Im Hinblick auf die langfristige In den Anfangsjahren der Lehrerforschung wurde
Berufstätigkeit zeichnet sich die Lehrerlaufbahn in der insbesondere untersucht, inwieweit Lehrkräfte sich durch
Regel zwar einerseits durch eine relativ hohe Sicherheit besondere Ausprägungen in Persönlichkeitsmerkmalen
des Arbeitsplatzes, aber andererseits durch ein nur gering wie Ehrlichkeit, Konventionalität, Humor, Affektivität so-
steigendes Gehalt und wenig Aufstiegsmöglichkeiten in- wie Extraversion und Introversion auszeichnen, und ob
nerhalb des Tätigkeitsfeldes aus. Aus psychologischer Sicht Unterschiede in diesen Merkmalen auch Unterschiede im
bedeutet dies, dass erhöhtes Engagement und Anstrengung Unterrichtserfolg der Lehrkräfte erklären können. Diese
nicht zwingend zu materiellen Belohnungen führen und Fragestellung spiegelt eine grundlegende Annahme über
sogar unbefriedigende Arbeitsleistungen nicht unmittelbar den Lehrerberuf wider, die sehr häufig sowohl bei Schülern
negative Konsequenzen nach sich ziehen müssen. Hinzu selbst als auch in der Fachliteratur zu finden ist: Nämlich
kommt, dass sich die Arbeitsleistung von Lehrkräften nur die Idee des „geborenen Lehrers“ bzw. die Überzeugung,
schwer anhand von objektiven Kriterien messen lässt, vor dass es sich beim Lehrerberuf um eine Art Kunst handelt,
allem auch deshalb, weil „Erfolge“ oder „Misserfolge“ des für die nur bestimmte Personen das notwendige Talent
Unterrichts natürlich in einem hohen Grad auch von den mitbringen. Empirisch finden sich für diese Annahme aber
Schülern selbst bestimmt werden. Gleichzeitig steht das kaum Belege (Bromme & Haag, 2004; Getzels & Jackson,
tägliche Handeln unter einer relativ hohen Autonomie, da 1963; Rushton, Morgan & Richard, 2007).
innerhalb des Unterrichts kaum strukturelle Vorgaben ein- Ein veränderter Blick auf den Lehrerberuf findet sich
gehalten werden müssen und ein Großteil der Arbeitszeit ab den 1980er-Jahren in zwei unterschiedlichen For-
in freier Zeiteinteilung genutzt werden kann. schungssträngen. So hat man sich zum einen verstärkt den
Festzuhalten ist somit, dass die Tätigkeit des Lehrers Kognitionen von Lehrern zugewendet, indem die Struktur
einen vielseitigen Beruf darstellt, der im täglichen Han- ihres Wissens, Unterschiede zwischen Experten und No-
deln hohe Konzentration und Anstrengung erfordert, und vizen, aber auch Überzeugungssysteme oder Erwartungen
langfristig gesehen vor allem Anforderungen an die selbst- untersucht wurden (Bromme, 1997; Woolfolk Hoy, Davis &
regulativen Fähigkeiten (▶ Kap. 3) der Lehrer stellt. Dieses Pape, 2006). Parallel dazu hat sich zum anderen ein weite-
typische Anforderungsprofil gilt es zu beachten, wenn man rer Forschungsstrang etabliert, nämlich die Forschung zu
264 Kapitel 11 • Lehrer

.. Abb. 11.2  Beispiel für die Systematisie-


1 rung von Lehrerwissen: Erfassung von Leh-
rerwissen im Projekt COACTIV. (Modifiziert
nach Baumert & Kunter, 2006; Brunner et al.,
2 2006, mit freundlicher Genehmigung des
Waxmann Verlags)

3
4
5
6
7
8
9
Lehrerstress und Lehrerbelastung (Kyriacou, 1987; Van- 11.2 Kognitive Merkmale: Wissen
und Überzeugungen
10 denberghe & Huberman, 1999).
In der aktuellen Forschung finden sich mit den Arbei-
ten zur „professionellen Kompetenz“ von Lehrkräften stär- Kognitive Merkmale beziehen sich auf Aspekte des Den-
11 ker integrative Ansätze, die einen breiteren theoretischen kens, Schlussfolgerns, Gedächtnisses oder auf Einstellun-
Rahmen spannen und versuchen, sowohl kognitive als gen und Überzeugungen. Vor allem das Wissen und die
12 auch emotional-affektive Merkmale von Lehrern in ihrem Überzeugungen von Lehrkräften werden als besonders re-
Wechselspiel zueinander zu betrachten (Baumert & Kunter, levant für ihr berufliches Handeln gesehen. Gelegentlich
2006; Blömeke, Kaiser & Lehmann, 2010a,b). werden beide Bereiche auch unter dem Begriff der „Exper-
13 tise“ zusammengefasst.
Definition 
14 Professionelle Kompetenz beschreibt die persönli-
chen Voraussetzungen für die erfolgreiche Bewälti- 11.2.1 Wissen
15 gung spezifischer beruflicher Aufgaben. Dabei sind
speziell Merkmale gemeint, die veränderbar sind und Was müssen Lehrer wissen, um erfolgreich unterrichten
sich im Verlauf der beruflichen Ausbildung und Karri- zu können? Antworten auf diese Frage haben unmittel-
16 ere weiterentwickeln können. Für Lehrkräfte werden bare praktische Relevanz: Während bekannt ist, dass z. B.
häufig die Kompetenzaspekte Wissen, Überzeugun- Einstellungen und Meinungen von Lehrkräften häufig sehr
17 gen, Motivation und selbstregulative Fähigkeiten stabil und nur sehr schwierig direkt beeinflussbar sind, geht
unterschieden (Kunter et al., 2011). man davon aus, dass Wissen leichter veränderbar ist, z. B.
durch geeignete Lehrangebote. Die Frage, welches Wissen
18 hilfreich ist, um erfolgreich zu unterrichten, ist deshalb
Ausgehend von dem Verständnis, dass Kompetenz lern- besonders dann wichtig, wenn es um Ziele der Lehrerbil-
19 und vermittelbar ist, geht es in aktuellen Forschungsfra- dung geht: Welche Inhalte sollte die Lehrer-Erstausbildung
gen zunehmend nicht mehr nur darum, die Eigenschaf- vermitteln und welche Inhalte sollten systematisch in die
20 ten „guter“ bzw. erfolgreicher Lehrkräfte zu beschreiben. Lehrerfortbildung integriert werden?
Stattdessen werden Lehrkräfte selbst als Lernende ver- In der Psychologie wird häufig zwischen deklarativem
standen: Wann und wie lernen Lehrer und wie kann es Wissen, d. h. Wissen über Fakten und Sachverhalte („Wis-
21 ihnen gelingen, auch in späteren Berufsjahren immer sen, was“), und prozeduralen Wissensinhalten, d. h. Hand-
wieder neu den wandelnden Anforderungen erfolgreich lungswissen („Wissen, wie“), unterschieden (▶ Kap. 1). Bei
22 zu begegnen? Wir werden darauf in ▶ Abschn. 11.5 näher Lehrkräften kann somit z. B. Wissen über fachliche Sach-
eingehen. verhalte oder die Kenntnis verschiedener Methoden als
11.2  •  Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen
265 11

deklaratives Wissen verstanden werden. Wissen darüber, Speziell in der deutschsprachigen Literatur wird häu-
wie bestimmte Methoden angewendet oder disziplinari- fig vom Diagnosewissen bzw. der diagnostischen Kom-
sche Maßnahmen vollzogen werden, kann als prozedura- petenz von Lehrkräften gesprochen. Gemeint ist dabei
les Wissen verstanden werden. Zur inhaltlichen Beschrei- Wissen über und die Fähigkeit zur korrekten Beurteilung
bung des Lehrerwissens wird häufig auf eine Taxonomie von Schülern (Schrader, 1998). So hat beispielsweise ein
von Shulman (1987) zurückgegriffen, die – ohne explizit Befund der PISA-Erhebung 2000, nachdem ein Großteil
zwischen deklarativem und prozeduralem Wissen zu un- der befragten Hauptschullehrkräfte nicht in der Lage
terscheiden – mehrere Wissensinhalte beschreibt, welche waren, diejenigen ihrer Schüler zu identifizieren, die im
speziell für das Unterrichten unmittelbar relevant erschei- Lesekompetenztests als besonders schwache Leser auf-
nen (. Abb. 11.2). fielen, zur Diskussion über die vermeintlich geringe di-
agnostische Kompetenz deutscher Lehrer geführt (Artelt,
Definition  Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Diagnosewissen bzw.
Arten des Lehrerwissens (nach Shulman, 1987; Bau- diagnostische Kompetenz kann fachspezifische, fachüber-

-
mert & Kunter, 2006) greifende, prozedurale oder deklarative Aspekte beinhal-
Fachwissen („content knowledge“): tiefes Ver- ten. Studien zeigen, dass Lehrkräfte im Mittel zwar relativ

-
ständnis des zu unterrichtenden Schulstoffs gut darin sind, die Leistungen ihrer Schüler zu beurtei-
Fachdidaktisches Wissen („pedagogical content len (Südkamp, Kaiser & Möller, 2012), dass aber große
knowledge“): Wissen darüber, wie fachliche In- individuelle Unterschiede zwischen Lehrkräften bestehen

-
halte durch Instruktion vermittelt werden können (▶ Exkurs „Unterschiede zwischen ‚Experten‘ und ‚Novizen‘“).
Curriculares Wissen („curricular knowledge“): Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, dass die Qualität di-
Wissen über die Anordnung von Inhalten in Lehr- agnostischer Urteile von Lehrkräften unter anderem von

-
plänen und über verfügbare Lehrmaterialien der Erfahrung der Lehrkräfte, aber auch von Merkmalen
Allgemeines pädagogisches Wissen („pedagogi- der Situation beeinflusst wird (z. B. Krolak-Schwerdt, Böh-
cal knowledge“): Wissen über die Schaffung und mer & Gräsel, 2009). Diagnostische Kompetenz gilt als
Optimierung von Lehr-Lern-Situationen sowie eine wichtige Voraussetzung, um Unterricht angemessen
entwicklungspsychologisches und pädagogisch- planen und durchführen können, wobei jedoch nur we-
psychologisches Grundwissen nige Studien vorliegen, die diese Annahme auch empirisch
stützen (z. B. Anders et al., 2010).
Auch wenn es überaus plausibel scheint, dass eine
Dabei gelten Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und umfangreiche Wissensbasis der Lehrkraft die Grundlage
curriculares Wissen als fachspezifische Wissenskomponen- für erfolgreiches unterrichtsbezogenes Handeln darstellt
ten, während generelle, fachübergreifende Wissensinhalte und sich somit auch in den Lernergebnissen der Schüler
durch das allgemeine pädagogische Wissen beschrieben niederschlagen sollte, liegen erstaunlicherweise nur we-
werden. Diese Systematik hat sich in der Literatur als the- nig belastbare Befunde vor, die diese Annahme empirisch
oretischer Konsens zur Beschreibung verschiedener Wis- stützen. Zwar weisen mehrere Beobachtungsstudien darauf
sensinhalte durchgesetzt. Allerdings gibt es bisher nur sehr hin (z. B. Borko et al., 1992; Leinhardt & Smith, 1985), dass
wenige Arbeiten, die die vermutete Dimensionalität empi- Lehrkräfte mit viel Berufserfahrung, die sich reflektiert und
risch überprüft haben. Als ein Beispiel seien die Ergebnisse tiefgründig mit ihrem Fach und den Instruktionsprozessen
einer Studie von Krauss et al. (2008) genannt, in der ein ihres Fachs auseinandersetzen, ihren Unterricht in beson-
Test zur Erfassung des mathematischen Wissens und des derem Maße kognitiv anregend und adaptiv gestalten. Da
fachdidaktischen Wissens bei Mathematiklehrkräften der es sich hier aber häufig um interpretative Fallstudien han-
Sekundarstufe 1 zum Einsatz kam (. Abb. 11.2). Während delt, die zudem oft mit speziellen Lehrergruppen und ohne
der Fachteil reine Mathematikaufgaben beinhaltete, muss- Vergleichsgruppen arbeiten, ist die Übertragbarkeit der Er-
ten die Lehrkräfte im fachdidaktischen Teil z. B. typische gebnisse dieser Studien auf die Lehrerpopulation allgemein
Schülerfehler zu bestimmten mathematischen Themen eher eingeschränkt.
nennen oder verschiedene Erklärungen für mathemati- Wie kommt es zu dieser Forschungslücke? Die beson-
sche Probleme finden. Dabei zeigten sich deutliche Un- dere Schwierigkeit liegt darin begründet, geeignete Maße
terschiede im Wissensumfang zwischen den Lehrkräften. zur Erfassung des Wissens zu entwickeln, die genutzt wer-
Bemerkenswert war, dass beide Wissensaspekte zwar hoch den können, um Unterschiede zwischen Lehrkräften zu-
miteinander korrelierten, aber dennoch konzeptuell von- verlässig zu beschreiben. So hat man sich in einer Reihe
einander abgrenzbar waren. Das heißt, dass manche Lehr- von Studien darauf beschränkt, Wissen in Form von for-
kräfte zwar hohes Fachwissen aufwiesen, aber geringeres malen Abschlüssen zu erfassen und hat z. B. untersucht,
fachdidaktisches Wissen und umgekehrt. inwieweit die Menge der Kurse, die eine Lehrkraft in dem
266 Kapitel 11 • Lehrer

Exkurs  |       | 
1
Unterschiede zwischen „Experten“ und „Novizen“
2 Dass sich die Wahrnehmung und Inter- Studienteilnehmer wurden aufgefordert, unterschiede in einem Wissenstests, der
pretation von Klassensituationen bei die Unterrichtsszenen zu beobachten unterrichtsirrelevante Informationen aus

3
Junglehrern („Novizen“) und erfahre- und eine Reihe von Fragen dazu zu den Szenen abfragte.
nen Lehrkräften („Experten“) deutlich beantworten. Es stellte sich heraus, dass Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass
unterscheidet, belegt u. a. eine Arbeit von die erfahrenen Lehrkräfte im Vergleich zu es Lehrkräften mit zunehmender Berufs-

4 Sabers, Cushing und Berliner (1991).


Erfahrene Lehrkräfte, Berufsanfänger und
den Novizen die Möglichkeiten der drei
Monitore besser nutzten, während sich
erfahrung besser gelingt, mit der Multidi-
mensionalität des Unterrichtsgeschehens
Lehramtsstudierende betrachteten in die Studierenden und Berufsanfänger umzugehen: Aufgrund ihres Erfahrungs-

5 diesem Quasi-Experiment authentische


Videoaufnahmen, die den Unterricht in
sehr stark auf den mittleren Monitor, d. h.,
auf nur eine einzige Perspektive, konzen-
schatzes scheint es erfahrenen Lehrkräf-
ten somit leichter zu fallen, die vielen
einer Klasse zeigten. Die Videoaufnahmen trierten. Weiterhin kommentierten die Ereignisse, die während des Unterrichts
6 wurden auf drei verschiedenen Bildschir-
men gezeigt, auf denen die Szenen aus
erfahrenen Lehrkräfte das Unterrichtsge-
schehen häufiger in Form von Bewertun-
gleichzeitig stattfinden und unmittelbare
Reaktionen erfordern, zu ordnen und zu
jeweils unterschiedlichen Blickwinkeln gen und Interpretationen, während beide bewerten – während Novizen größere
7 dargestellt wurden; diese unterschied-
lichen Filme wurden darüber hinaus
Novizengruppen eher bewertungsfreie
Beschreibungen abgaben. Interessanter-
Schwierigkeiten haben, die zahlreichen
auf sie einströmenden Informationen auf
zeitversetzt gestartet (. Abb. 11.3). Die weise zeigten sich jedoch keine Gruppen- produktive Weise zu nutzen.
8
9 1991; . Abb. 11.3; Krolak-Schwerdt & Rummer, 2005).
Aus dem breiten Spektrum der berufsbezogenen Exper-
10 tise scheint gerade das fachbezogene Wissen bedeutsam
dafür zu sein, inwieweit Unterricht fachlich anregend ge-
staltet wird und zu günstigen Lernergebnissen der Schü-
11 lerinnen und Schüler führt, wobei dem fachdidaktischen
Wissen anscheinend eine höhere Bedeutung zukommt als
12 dem Fachwissen alleine (Ball et al., 2001; Baumert et al.,
2010). Doch auch pädagogisch-psychologisches Wis-
sen, etwa über Lernvoraussetzungen von Kindern und
13 Jugendlichen, über Wirksamkeit bestimmter Methoden
.. Abb. 11.3  Versuchsaufbau zur Untersuchung der unterschiedli- oder Wissen über Klassenführung (▶ Kap. 5) scheint für
14 chen Wahrnehmung und Interpretation von Unterrichtssequenzen bei erfolgreiche Unterrichtsgestaltung maßgeblich zu sein
Experten- und Novizen-Lehrkräften
(Voss, Kunter & Baumert, 2011). Kritisch ist anzumer-
15 ken, dass typische Papier-und-Bleistifttests vermutlich
unterrichteten Fach belegt hat, die Unterrichtsgüte oder nur begrenzt geeignet sind, um situationsgebundenes
Lernergebnisse der Schüler vorhersagen kann – hier kom- prozedurales Wissen von Lehrkräften zu erfassen. Inno-
16 men mehrere Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnis- vative Zugänge wie z. B. Computersimulationen oder Rol-
sen (Ball, Lubienski & Mewborn, 2001; Baumert & Kunter, lenspiele dürften hier besser geeignet sein (siehe Kasten),
17 2006). um beispielsweise verschiedene Aspekte der diagnosti-
Eine direkte Erfassung von Wissen in Form von Tests schen Kompetenz zu erfassen (z. B. die Untersuchungen
– die für Schüler ja längst etabliert ist – wurde für Lehr- im „Simulierten Klassenraum“ von Südkamp, Möller &
18 kräfte erst in den letzten Jahren begonnen. Als ein erster Pohlmann, 2008).
gesicherter empirischer Befund lässt sich festhalten, dass Im Zentrum pädagogisch-psychologischer Forschung
19 sich Lehrkräfte durchaus in Umfang und Tiefe ihres be- standen bisher vor allem Wissensbereiche, die unmittel-
rufsbezogenen Wissens unterscheiden. Solche interindi- bar unterrichtsrelevant sind. Wie eingangs aufgezeigt,
20 viduellen Unterschiede lassen sich beispielsweise anhand gehen die beruflichen Aufgaben von Lehrkräften jedoch
von internationalen Vergleichstudien (Blömeke et  al., über das reine Unterrichten hinaus. Gerade die jüngsten
2010a, 2010b) ermitteln oder in Studien, in denen Lehrer Veränderungen im Bildungsbereich erfordern von Lehr-
21 nach Art der Ausbildung (z. B. Baumert & Kunter, 2006; kräften auch breiteres pädagogisches und psychologisches
Brunner et al., 2006) oder Länge der Berufserfahrung ver- Wissen, wie etwa Kenntnisse über außerunterrichtliche
22 glichen werden, wie es im sog. Experten-Novizen-Para- Fördermaßnahmen, Beratung oder Kooperation – As-
digma häufig geschieht (z. B. Sabers, Cushing & Berliner, pekte die bisher in der Lehrerbildung nur wenig Platz ge-
11.2  •  Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen
267 11

.. Tab. 11.1  Überzeugungen von Lehrkräften: Bezugssystem, Inhalte und Beispiele. (Modifiziert nach Woolfolk Hoy et al., 2006. Reprodu-
ced with permission of Lawrence Erlbaum Associates Inc.)

Bezugssystem Inhalte Beispiele für untersuchte Konstrukte

Selbst Vorstellungen zur eigenen Identität, Überzeugun- Eigenes Rollenverständnis


gen über eigene Fähigkeiten Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

Lehr-Lern-Kontext Überzeugungen über Lehren und Lernen, das Fach, Lerntheoretische Überzeugungen
einzelne Schüler Epistemologische Überzeugungen über das eigene
Fach
Erwartungen an Schüler
Attributionen für Schülerleistungen

Bildungssystem Bildungspolitische Themen, Standards, Reformen Einstellung zu konkreten Reformen


Einstellung zu Standards

Gesellschaft Kulturelle Normen und Werte, die Bildung und Normative Erziehungsziele
Schule betreffen, Einstellungen zu Kindheit und Moralvorstellungen
Jugend

funden haben. Ein zukünftig vermutlich immer wichtiger eine subjektive Komponente enthalten und daher nicht
werdender Aufgabenbereich von pädagogischen Psycho- per se als richtig oder falsch bewertet werden können.
logen ist es daher, Lehrkräfte im Aufbau ihres professi- Gleichzeitig können natürlich Überzeugungen mehr oder
onellen Wissens in diesen weiterführenden Bereichen weniger gut begründet sein oder auf falschen Prämissen
zu unterstützen, sei es im Zuge der Lehrerbildung oder beruhen. Im letzteren Fall spricht man auch von intuitiven
durch Trainings und Weiterbildungsmaßnahmen (▶ Ab- oder naiven Überzeugungen (siehe z. B. Patrick & Pintrich,
schn. 11.5). 2001). Solche intuitiven Überzeugungen sind häufig wenig
differenziert und reflektiert, stehen mitunter im Konflikt
mit tatsächlichen Fakten und können somit dann das Han-
11.2.2 Überzeugungen und Erwartungen deln von Lehrkräften einschränken. Beispielhaft wird dies
weiter unten an den Erwartungseffekten verdeutlicht. Die
Überzeugungen von Lehrkräften werden häufig im Zu- reflektierte Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeu-
sammenhang mit ihrem Wissen diskutiert (Woolfolk Hoy gungen und die bewusste Überprüfung, inwieweit die eige-
et al., 2006). nen Bewertungssysteme das Handeln möglicherweise ein-
schränken, gelten daher als eine wichtige Komponente der
Definition  Professionalität von Lehrkräften (Bromme, 1997, Woolfolk
▶ Lehrerüberzeugungen („teacher beliefs“) beinhal- Hoy et al., 2006).
ten Vorstellungen und Annahmen von Lehrkräften Im Gegensatz zu vielen anderen Lehrermerkmalen
über schul- und unterrichtsbezogene Phänomene hat der Bereich der Überzeugungen relativ viel Aufmerk-
und Prozesse mit einer bewertenden Komponente. samkeit in der pädagogisch-psychologischen Forschung
gefunden. Untersucht wurden dabei Überzeugungen, die
von Einstellungen zur eigenen Person über Haltungen zum
Anders als Wissen, welches sich inhaltlich auf Fakten oder eigenen Fach und zu einzelnen Schülern bis hin zu sub-
Schemata bezieht, repräsentieren die Überzeugungen von jektiven Theorien über Lehren und Lernen reichen. Zur
Personen deren Meinungen, Bewertungen oder auch sub- Ordnung der vielfältigen Ansätze bietet es sich an, Über-
jektive Erklärungssysteme (Pajares, 1992). Vergleicht man zeugungen darauf hin zu gliedern, auf welche Systemebene
etwa eine Wissensfrage wie „Welche unterschiedlichen sie sich beziehen (. Tab. 11.1).
Möglichkeiten, gibt es, um einem Schüler den Satz des Aus dieser Perspektive betrachtet können Lehrkräfte
Pythagoras zu erklären?“ (zur Erfassung des mathematik- bestimmte Vorstellungen darüber haben, welche spezielle
spezifischen fachdidaktischen Wissens) mit einer Über- Rolle sie als Lehrer gerne einnehmen wollen. Sie können
zeugungsfrage wie „Welche Methoden bevorzugen Sie, zudem in unterschiedlichem Maße davon überzeugt sein,
um Ihren Schülern den Satz des Pythagoras zu erklären?“ bestimmte lehrerrelevante Fähigkeiten mehr oder weniger
(Überzeugung über die Wirksamkeit bzw. Nützlichkeit stark zu besitzen. Des Weiteren können sich Überzeugun-
bestimmter Methoden), so wird deutlich, dass Überzeu- gen auf den unmittelbaren Wirkungskontext der Lehr-
gungen persönliche Bewertungen beinhalten, die immer kräfte, also ihre Schule, ihre Klassen, ihre Schüler oder ihr
268 Kapitel 11 • Lehrer

1 .. Tab. 11.2  Unterschiedliche Dimensionen der Lehrer-Selbstwirksamkeit mit Beispielen aus gängigen Fragebögen

Persönliche Wirksamkeitsüberzeugung (Schmitz Allgemeine Wirksamkeitsüberzeugung (Gibson


2 & Schwarzer, 2000, S. 16) & Dembo, 1984, S. 573; Übersetzung durch den
Autor)

3 Bezogen auf die Lehrtä-


tigkeit allgemein
„Ich weiß, dass ich es schaffe, selbst den proble-
matischsten Schülern den prüfungsrelevanten
„Für eine Lehrkraft ist es schwierig, etwas zu
erreichen, weil der familiäre Hintergrund eines
Stoff zu vermitteln.“ Schülers/einer Schülerin seine/ihre Leistungen so

4 stark beeinflusst.“

Bezogen auf spezifische „Ich weiß, dass ich zu den Eltern guten Kontakt „Wenn Schüler zu Hause nicht richtig erzogen
Aufgaben im Lehrerberuf halten kann, selbst in schwierigen Situationen.“ werden, dann sind sie auch im Unterricht undis-
5 zipliniert.“

6 Fach beziehen. Unabhängig von ihrem direkten Umfeld Überzeugungen über das Selbst:
haben Lehrkräfte ferner Meinungen über Aspekte des Bil- Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
7 dungssystems allgemein, wie z. B. über bildungspolitische von Lehrkräften
Themen oder bildungsrelevante Innovationen. Schließlich Das Konstrukt der Selbstwirksamkeit geht auf die sozi-
sind Lehrkräfte – wie alle Menschen – von kulturspezifi- alkognitive Theorie Banduras zurück (▶ Kap. 1) und be-
8 schen Normen und Werten geprägt, die gesellschaftliche schreibt die Überzeugungen, inwieweit Personen sich in
Haltungen zu erziehungsnahen Themen wie Bildungskon- der Lage sehen, bestimmte Aufgaben – auch unter schwie-
9 zepten oder das grundsätzliche Verständnis von Kindheit rigen Bedingungen – erfolgreich zu bewältigen. Übertra-
und Jugend widerspiegeln. gen auf Lehrkräfte und ihre primären Aufgaben bedeutet
10 Nicht immer müssen bei einer Person die auf verschie- Selbstwirksamkeit somit in einem allgemeinen Sinne die
denen Ebenen angesiedelten Überzeugungen inhaltlich Einschätzung einer Lehrperson darüber, wie gut es ihr ge-
miteinander kongruent sein. So ist z. B. vorstellbar, dass lingen kann, das Lernen und Verhalten ihrer Schüler zu
11 eine Lehrkraft zwar prinzipiell eine positive Meinung zu re- unterstützen und zu fördern, und zwar auch bei vermeint-
formorientierten Unterrichtsansätzen hat, aber gleichzeitig lich schwierigen oder unmotivierten Schülern (Tschannen-
12 findet, dass in ihrer speziellen Schule mit der von ihr unter- Moran & Hoy, 2001).
richteten Schülerklientel diese Methoden nicht einsetzbar
sind. Dass starke Überzeugungskonflikte innerhalb einer Definition 
13 Person möglicherweise einen beruflichen Belastungsfaktor Lehrer-Selbstwirksamkeit: Überzeugungen einer
darstellen und gerade auch bei Berufsanfängern zum sog. Lehrperson darüber, wie gut es ihr gelingen kann,
14 „Praxisschock“ führen können, ist gut vorstellbar. effektiv zu unterrichten
Zahlreiche Befunde belegen, dass Überzeugungen von
15 Lehrkräften eine bedeutsame Rolle für ihr Handeln spie-
len können. Welche Meinung eine Lehrkraft über einen Um eine genaueres Verständnis von Selbstwirksam-
bestimmten Schüler, eine bestimmte Methode oder inhalt- keitsüberzeugungen bei Lehrkräften zu gewinnen, las-
16 liche Zielsetzung hat, kann auf unterschiedliche Weise ihr sen sich zwei Beschreibungsdimensionen differenzieren
Verhalten in der jeweiligen Situation bestimmen. Es lassen (. Tab. 11.2). So können die Überzeugungen der Lehr-
17
-
sich mindestens drei Effekte unterscheiden (Pajares, 1992):
Filtereffekt: Die Wahrnehmung und Interpretation
kräfte von Einschätzungen über die Lehrtätigkeit i. Allg.
bis hin zu Annahmen über ganz spezifische Aufgaben rei-
18
- von Ereignissen wird beeinflusst.
Motivierender Effekt: Die Entscheidung für eine
chen. Gleichzeitig kann die Überzeugung, eine Aufgabe
gut oder weniger gut bewältigen zu können, von zwei un-

19
20
- bestimmte Handlung wird beeinflusst.
Steuerungseffekt: Die Reaktionen auf Handlungen
anderer werden beeinflusst.
terschiedlichen Aspekten beeinflusst werden, die als per-
sönliche Wirksamkeitsüberzeugung („personal teaching
efficacy“) und allgemeine Wirksamkeitsüberzeugung („ge-
neral teaching efficacy“) bezeichnet werden. Während sich
Die pädagogisch-psychologische Forschung hat sich mit die persönliche Wirksamkeitsüberzeugung darauf bezieht,
den möglichen Wirkungen der verschiedenen Lehrerüber- wie sehr eine Lehrkraft annimmt, dass sie selbst die Fähig-
21 zeugungen relativ intensiv auseinandergesetzt. Im Folgen- keit und die Mittel besitzt, um eine Aufgabe zu meistern,
den stellen wir exemplarisch drei Überzeugungsbereiche beschreibt die allgemeine Wirksamkeitsüberzeugung, wie
22 vor, für die entsprechend gut abgesicherte Erkenntnisse sehr eine Lehrkraft annimmt, dass die Bewältigung einer
vorliegen. Aufgabe überhaupt – unabhängig von der eigenen Person –
11.2  •  Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen
269 11

möglich ist. Konkrete Beispiele für diese unterschiedlichen Überzeugungen über bestimmte Schüler:
Facetten der Lehrer-Selbstwirksamkeit sind anhand von Lehrererwartungen
Fragebogenitems in . Tab. 11.2 dargestellt. Überzeugungen, die Lehrkräfte über bestimmte Schü-
Die enge Verbindung zwischen Selbstwirksamkeits- ler haben, sind unter dem Stichwort Erwartungseffekte
überzeugungen und dem Verhalten von Lehrkräften ist in („teacher expectation effects“) untersucht worden und stel-
vielen Studien demonstriert worden (Schwarzer & War- len ein wichtiges Thema der pädagogisch-psychologischen
ner, 2010; Tschannen-Moran & Hoy, 2001). So berichten Lehrerforschung dar (Ludwig, 2001).
Lehrkräfte mit hohen Selbstwirksamkeitsüberzeugun-
gen von positiveren Einstellungen gegenüber innovati- Definition 
ven Unterrichtsmethoden, scheinen diese auch häufiger Unter dem Erwartungseffekt versteht man, dass eine
einzusetzen (Tschannen-Moran & Hoy, 2001; Wolters & Lehrkraft bestimmte Überzeugungen über das Poten-
Daugherty, 2007) und schildern vergleichsweise hohes zial eines Schülers hat und allein diese Erwartungen
Engagement auch im außerunterrichtlichen Bereich wie dazu beitragen, dass sich der Schüler so verhält oder
z. B. bei Schulprogrammen (Somech & Drach-Zahavy, Leistungen zeigt, wie die Lehrkraft es erwartet hat.
2000). Ferner sind positive Selbstwirksamkeitsüberzeu- Erwartungseffekte können in positive oder negative
gungen mit höherer Berufszufriedenheit und geringerer Richtungen gehen.
Beanspruchungssymptomatik verbunden (Schmitz &
Schwarzer, 2000).
Ob positive Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aber In der Studie von Rosenthal und Jacobsen (1968) zum
tatsächlich das Lehrerverhalten günstig beeinflussen, sog. ▶  Pygmalioneffekt (▶  Exkurs „Pygmalioneffekt“)
lässt sich aufgrund der bisherigen Datenlage nur schwer wurde zum ersten Mal beschrieben, dass sich Schüler un-
beurteilen. Da es sich bei den meisten der vorliegenden terschiedlich in ihren Leistungen entwickeln, je nachdem,
Studien um Querschnittsdesigns handelt, die darüber hi- welche Erwartungen ihre Lehrkraft an sie hat. Diese Un-
naus häufig ausschließlich mit Selbstberichten arbeiten, tersuchung regte seit den 1960er Jahren eine ganze Reihe
kann nicht ausgeschlossen werden, dass die beobachteten weiterer Studien an (zusammenfassend Babad, 1993;
Zusammenhänge durch Effekte in der umgekehrten Rich- Jussim & Harber, 2005), die untersuchten, ob solche Er-
tung erklärt werden können. Es ist beispielsweise durchaus wartungseffekte wirklich auftreten, unter welchen Bedin-
plausibel anzunehmen, dass Lehrkräfte, wenn sie auf eine gungen sie verstärkt auftreten, welche Wirkmechanismen
interessierte und engagierte Schüler- bzw. Elternschaft sto- dahinter stehen und ob bzw. durch welche Maßnahmen
ßen oder innovative Methoden häufiger anwenden, auch Erwartungseffekte reduziert werden können.
nach und nach das Gefühl entwickeln, diese sicher und Die Befundlage zur Rolle der Lehrererwartung ist äu-
effektiv anwenden zu können. Um mehr über die Rolle von ßerst heterogen und generelle Aussagen über die Stärke,
Selbstwirksamkeit als Motor für effektives Lehrerverhalten praktische Relevanz oder Auftretensformen von Erwar-
herauszufinden, sind demnach echte Längsschnittdesigns tungseffekten in der Lehrer-Schüler-Interaktion sind nur
oder (quasi-)experimentelle Studien gefragt (z. B. Stein & schwer zu treffen (Jussim & Harber, 2005; Rosenthal,
Wang, 1988). 1991). Dies liegt vor allem daran, dass je nach Studie
Eine weitere offene Frage betrifft den Zusammenhang häufig ein ganz unterschiedliches Verständnis von Erwar-
zwischen Selbstwirksamkeit und der Lernbereitschaft der tungseffekten zugrunde liegt. So werden erstens Effekte
Lehrkräfte selbst. Lehrkräfte sind über ihre gesamte Be- auf verschiedene „Outcome“-Variablen thematisiert. Am
rufsbiografie hinweg immer wieder gefordert, sich mit häufigsten wird der direkte Effekt der Lehrererwartungen
neuen Konzepten, bildungspolitischen Erneuerungen und auf die Leistung von Schülern behandelt (z. B. auf die Intel-
sich wandelnden Schulsituationen auseinanderzusetzen. ligenzentwicklung: z. B. Jussim & Harber, 2005; Rosenthal
Die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Lehrkräfte & Jacobsen, 1968; oder auf Schulleistungen: z. B. Madon,
könnten theoretisch auf unterschiedliche Weise auf das Jussim & Eccles, 1997; s. a. Trouilloud, Sarrazin, Bressoux
diesbezügliche Verhalten wirken. Einerseits könnten hohe & Bois, 2006 für motivationale Merkmale). Untersucht
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen dazu führen, sich die- wird aber auch, inwieweit lediglich die Leistungsbeurtei-
sen Herausforderungen vermehrt zu stellen. Andererseits lungen der Lehrkräfte durch ihre Erwartungen verändert
könnte aber auch ein sehr hoher Glaube in die eigenen werden, und zwar unabhängig von den tatsächlichen Schü-
Fähigkeiten verhindern, dass Lehrkräfte ihre eigene Ent- ler-Outcomes.
wicklung kritisch reflektieren und aktiv nach Lerngelegen- Zweitens spricht man von Erwartungseffekten im
heiten zur Verbesserung der Fähigkeiten suchen (Wheat- Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung („self-
ley, 2002). Eine empirische Überprüfung dieser Frage ist fulfilling prophecy“) streng genommen nur dann, wenn
bisher nicht erfolgt. das erwartete Ereignis – wie die Intelligenzsteigerung im
270 Kapitel 11 • Lehrer

Exkurs  |       | 
1
Pygmalioneffekt
2 Der Pygmalioneffekt ist eine speziell auf mitgeteilt, dass ein Teil der Schüler Ergeb- Die Ergebnisse der Studie von Rosenthal
die Interaktion zwischen Lehrern und nisse in einem speziellen Intelligenztest und Jacobsen lieferten den Anlass für
Schülern bezogene Form der sich selbst aufweisen würde, welche zeigen, dass bei viele Nachfolgestudien, in denen immer
3 erfüllenden Prophezeiung. Der Begriff diesen Schülern in Kürze eine besonders wieder nach Belegen für oder gegen die
geht auf die klassische Studie zurück, günstige Intelligenzentwicklung zu Existenz des Pygmalioneffektes gesucht

4 die Rosenthal und Jacobsen unter dem


Titel „Pygmalion in the Classroom“ (in
erwarten sei. In Wirklichkeit waren die
Informationen, welche Intelligenzentwick-
wurde (Babad, 1993; Jussim & Harber,
2005, Rosenthal, 1991). Der Begriff Pygma-
Anlehnung an den Bildhauer Pygmalion lung für welchen Schüler zu erwarten sei, lioneffekt wird dabei meistens in Referenz

5 in der griechischen Mythologie, der eine


von ihm geschaffenen Statue zum Leben
rein zufällig verteilt; alle Schüler hatten
lediglich an einem regulären Intelligenz-
auf die Studien von Rosenthal und Mit-
arbeitern verwendet, die sich eng an das
erweckt) 1968 veröffentlichten. test teilgenommen. Nach einem Schuljahr ursprüngliche Forschungsparadigma der
6 In dem – aus heutiger Sicht ethisch äu-
ßerst fragwürdigen – Experiment erhielten
wies bei einer erneuten Testung die
Schülergruppe mit vermeintlich hohem
Originalstudie anlehnen. Der weitaus häu-
figer verwendete Begriff der Erwartungs-
Grundschullehrkräfte unterschiedliche Potenzial im Vergleich zu den anderen effekte umfasst dagegen unterschiedliche
7 Informationen über das Leistungspo-
tenzial ihrer Schüler. Dabei wurde ihnen
Schülern tatsächlich einen deutlich höhe-
ren Zugewinn in der Intelligenz auf.
Auftretensformen (s. unten).

8 Beispiel der Pygmalion-Studie – noch nicht stattgefunden dem, wie sie über einen bestimmten Schüler denkt, sich
hat und somit die mentale Antizipation des Ereignisses auf diesem Schüler gegenüber auf spezielle Weise verhält.
9 das Ereignis selbst wirkt (Ludwig, 2001). Für den Schulbe- Dabei scheinen vor allem zwei Wirkmechanismen eine
trieb relevanter dürften vor allem sich selbst erhaltende besondere Rolle zu spielen (Babad, 1993), nämlich das
10 Prophezeiungen („self-maintaining prophecy“) sein, bei sozioemotionale Klima und das Lernangebot. So schei-
denen die Erwartungen der Lehrkraft auf faktisch bereits nen Lehrkräfte die soziale Interaktion mit Schülern, von
bestehenden Unterschieden (also z. B. von der Lehrkraft denen sie einen günstigen Eindruck haben bzw. von de-
11 beobachtete Leistungsdifferenzen in der Klasse) beruhen. nen sie zukünftig gute Leistungen erwarten, insgesamt
In diesem Fall handelt es sich also nicht notwendig um freundlicher und geduldiger zu gestalten. Darüber hinaus
12 Fehleinschätzungen von Lehrkräften, sondern um durch- werden diese Schüler nicht nur häufiger im Unterricht
aus begründete Erwartungen – die aber möglicherweise aufgerufen, sondern erhalten auch eher schwierigere Auf-
dazu beitragen, die Leistungsunterschiede innerhalb der gaben, werden somit also stärker herausgefordert. Dies
13 Klasse zu verstärken. verdeutlicht, dass Erwartungseffekte nicht ausschließlich
Auch wenn somit allgemein gültige Aussagen nur negativ sein müssen: So zeigen verschiedene Studien, dass
14 schwer zu treffen sind, spricht der heutige Forschungsstand hohe Erwartungen (zum Teil auch leichte Überschätzun-
doch dafür, dass Erwartungseffekte der beschriebenen Art gen) seitens der Lehrkräfte sich durchaus günstig auf die
15 sowohl in authentischen Klassensituationen als auch in Leistungs- und Motivationsentwicklung von Schülern
künstlichen Experimentalsettings auftreten (Jussim & Har- auswirken können, und dass tendenziell diese positiven
ber, 2005; Rosenthal, 1991). Allerdings handelt es sich wohl Effekte die negativen Effekte einer Unterschätzung über-
16 um eher kleine Effekte. Ausgehend von den durchschnitt- lagern (Jussim & Harber, 2005; Madon et al., 1997; Trouil-
lich beobachteten Effektgrößen lässt sich schlussfolgern, lard et al., 2007).
17 dass die Erwartungen einer Lehrkraft nur bei etwa 5–10 % Die Tatsache, dass die Interaktion mit anderen Men-
ihrer Schüler tatsächlich deren Leistungen beeinflussen schen stark durch die eigenen Erwartungen und Erklä-
(Jussim & Harber, 2005). Die Befundlage deutet weiterhin rungsmuster, die man in Bezug auf seine Interaktions-
18 darauf hin, dass Erwartungseffekte besonders bei bestimm- partner hat, beeinflusst wird, findet sich in allen Bereichen
ten Schülergruppen wahrscheinlich sind, wie z. B. bei Kin- menschlichen Handelns und ist kein lehrertypisches Phä-
19 dern mit sozial schwachem familiärem Hintergrund oder nomen. Im Fall von Lehrkräften können Erwartungseffekte
Kindern aus ethnischen Minderheiten (Tenenbaum & aber besonders gravierende Konsequenzen haben, die mit-
20 Ruck, 2007) – aber auch (in positiver Richtung) bei Schü- unter die Lebenswege von Schülern entscheidend beeinflus-
lern mit hoher physischer Attraktivität (Ritts, Patterson & sen können. Dass sich Erwartungen seitens der Lehrkräfte
Tubbs, 1992). auf die Schülerbeurteilung und auch auf die Notengebung
21 Wie entsteht ein Zusammenhang zwischen den Leh- auswirken, wurde in vielen Studien belegt (Ludwig, 2001).
rererwartungen und der Leistungsentwicklung von Schü- Besondere Bedeutung dürften Erwartungseffekte auch
22 lern? Es ist plausibel, dass eine Lehrkraft sich, je nach- bei Entscheidungen über Fördermaßnahmen oder Über-
11.2  •  Kognitive Merkmale: Wissen und Überzeugungen
271 11

gangsempfehlungen von Lehrkräften haben. Angesichts Viele Studien zeigen, dass sich die Vorstellungen und
der Tatsache, dass solche Entscheidungen von immenser Meinungen über Lehren und Lernen von Lehrkräften mit
Bedeutung für die Bildungskarrieren der jeweiligen Kinder zwei grundlegenden Lerntheorien aus psychologischer
und Jugendlichen sind, scheint es angezeigt, in solchen Si- Sicht in Verbindung bringen lassen, nämlich einerseits
tuationen besonders auch auf mögliche Erwartungseffekte dem Informationsverarbeitungsansatz und andererseits der
zu achten. Ein Beispiel für die substanzielle praktische konstruktivistischen Lerntheorie (▶ Kap. 1). Beide Lernthe-
Relevanz von Erwartungseffekten und für die komple- orien basieren auf unterschiedlichen Annahmen darüber,
xen Zusammenhänge, die diesem Phänomen zugrunde wie Wissen konzeptionalisiert ist, und welche Lernprozesse
liegen, ist eine Studie zu Übergangsempfehlungen von angenommen werden – je nach Ansatz bedeutet dies auch
Grundschullehrkräften in der Schweiz (Trautwein & Bae- unterschiedliche Vorstellungen über die Lehrerrolle. So
riswyl, 2007). In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass finden sich einerseits Lehrkräfte, die Lernen und Lehren
die Übertrittsempfehlungen der Lehrkräfte am Ende der eher im Sinne eines Sender-Empfänger-Modells (▶ „trans-
Grundschule u. a. von den allgemeinen Einschätzungen, mission view“) verstehen, bei dem eine fest umschriebene
die die Lehrkräfte zum Fähigkeitspotenzial der Schüler ab- Menge an Informationen von der Lehrkraft an die Schüler
gaben, bestimmt wurden. Diese Fähigkeitseinschätzungen weitergegeben wird. Die wichtigste Aufgabe der Lehrkraft
der Lehrkräfte wiederum waren nur zum Teil durch objek- wäre es daher, die Informationen so aufzubereiten, dass sie
tive Leistungsunterschiede der Schüler erklärbar. Darüber effektiv von den Lernenden aufgenommen, gespeichert und
hinaus zeigte sich ein Geschlechtereffekt (Mädchen wurde wieder abgerufen werden kann – praktisch könnte dies da-
geringeres Potenzial zugesprochen) und ein Bezugsgrup- durch geschehen, dass komplexe Sachverhalte in kleinere
peneffekt (in Klassen mit insgesamt hohem Leistungsni- Einheiten heruntergebrochen werden, genügend Zeit zum
veau waren die Einschätzungen geringer). Diese Ergebnisse Speichern (d. h. Üben) bereitgestellt wird und Fehler beim
belegen, dass Erwartungen von Lehrkräften ihr Entschei- Abruf möglichst direkt korrigiert werden. Lehrkräfte, die
dungsverhalten in wichtigen Situationen beeinflussen kön- andererseits eher ein konstruktivistisches Verständnis vom
nen und dass diese Erwartungen zum Teil auf Faktoren be- Lehr-Lern-Prozess haben (▶  „constructivist view“), ge-
gründet sind, die wenig mit dem tatsächlichen (Leistungs-) hen davon aus, dass Wissen im gemeinsamen Diskurs mit
Verhalten der Schüler selbst zu tun haben. Lehrenden und Lernenden aufgebaut wird und legen be-
Da die Forschung gezeigt hat, dass Erwartungen von sonderen Wert darauf, individuelle Problemlöse- und Kon-
Lehrkräften nur begrenzt und mit relativ viel Aufwand zu struktionsprozesse zu unterstützen. Für die Aufgaben der
verändern sind (Babad, 1993), ist es vermutlich sinnvoll, Lehrkraft bedeutet dies eher ein Verständnis des Lehrers
gerade bei wichtigen Bildungsentscheidungen Prozeduren als Mediator, der Denkprozesse durch komplexe Problem-
zu etablieren, die das Risiko von Fehlentscheidungen auf- stellungen auslöst und durch individuelle Hilfestellungen
grund von Erwartungseffekten minimieren. Dies könnte („scaffolding“) den Wissensaufbau der Lernenden unter-
z. B. eine stärkerer Gewichtung objektiver Leistungskri- stützt.
terien oder die Berücksichtigung mehrerer Lehrerurteile Vor allem Studien in den Fächern Mathematik und
sein. Um in der täglichen Unterrichtspraxis das Auftreten Naturwissenschaft belegen, dass Lehrkräfte tendenziell
von Erwartungseffekten zu reduzieren, bieten sich Re- eher in die eine oder andere Richtung in ihren lerntheo-
flexionen des eigenen Unterrichtshandelns in Form von retischen Überzeugungen tendieren – obwohl es durchaus
Videofeedback oder Team-Teaching-Methoden an (▶ Ab- möglich ist, dass eine Person beide Positionen gleichzeitig
schn. 11.5.1). vertritt und je nach Situation unterschiedliche Gewichtun-
gen legt. Insgesamt aber scheinen Lehrkräfte sich eher der
Überzeugungen über Lehren und Lernen: einen oder anderen „Tradition“ verpflichtet zu fühlen und
Lerntheoretische Überzeugungen richten ihren Unterricht auch danach aus. Einer Studie an
Die Haupttätigkeit aller Lehrkräfte ist das Unterrichten. Grundschullehrern (Staub & Stern, 2002) zufolge setzten
Insofern kommt den Meinungen, die Lehrende über Lehrkräfte, die bezogen auf den Mathematikunterricht
das Unterrichten haben, eine besondere Wichtigkeit zu. eher konstruktivistische Überzeugungen über Lehren
▶  Lerntheoretische Überzeugungen beschreiben die und Lernen hatten, in ihrem Unterricht vermehrt Aufga-
Annahmen und Wertvorstellungen, die Lehrende über ben ein, die komplexe Denkprozesse erforderten. Diese
Lehr-Lern-Prozesse haben; sie beziehen sich spezifisch auf Unterrichts­praxis wirkte sich günstig auf die mathemati-
das jeweilige Fach (z. B. „Schüler lernen Lesen am besten schen Fähigkeiten der Schüler aus – und zwar vor allem
durch die Ganzwortmethode“) oder auf Lehren und Ler- bei Aufgaben, die eher komplexe Problemlöseansätze er-
nen i. Allg. (z. B. „Schüler lernen am besten, wenn man sie forderten (vgl. auch Dubberke, Kunter, McElvany, Brunner
möglichst eigenständig Probleme bearbeiten lässt“). & Baumert, 2008).
272 Kapitel 11 • Lehrer

Konservatismus von Lehrerüberzeugungen 11.3 Motivationale Merkmale


1 Ein immer wiederkehrendes Thema in Bezug auf Über-
zeugungen von Lehrkräften betrifft die Beobachtung, dass Wenn es um Eigenschaften guter Lehrer geht, wird immer
2 in der Lehrerschaft häufig traditionelle Auffassungen über wieder auf deren Motivation verwiesen. Vermutlich wer-
Lernen und Schule zu finden sind und sich die Überzeu- den auch den Lesern dieses Kapitels vor allem diejenigen
gungen von Lehrkräften nach abgeschlossener Ausbildung Lehrkräfte in Erinnerung geblieben sein, die gerade nicht
3 nur noch wenig im Verlauf der Berufsausübung zu verän- „Dienst nach Vorschrift“ machten, sondern sich im Un-
dern scheinen; diese Veränderungsresistenz (Lortie, 1975; terricht oder außerhalb durch hohes persönliches Engage-
4 Pajares, 1992) wird daher häufig auch als ein Faktor heran- ment auszeichneten. Mit der Motivation von Lehrkräften
geführt, der es erschwert, Reformen und Innovationen in sind die persönlich variierenden Gründe für die Initiation,
5 der Schule umzusetzen. Richtung, Intensität und Aufrechterhaltung von Verhalten
Aus psychologischer Sicht bietet vor allem die Literatur angesprochen (▶ Kap. 7). In der Lehrerforschung ist vor
zum „conceptual change“ einen Erklärungsansatz für die allem der Aspekt der Initiation besonders häufig themati-
6 Stabilität und Veränderungsresistenz von Lehrerüberzeu- siert worden, also die Frage, warum Personen überhaupt
gungen an (Posner, Strike, Hewson & Gertzog, 1982): So ein Lehrerstudium beginnen. In neuerer Zeit wird auch
7 ist davon auszugehen, dass sich Konzepte und Überzeu- untersucht, warum manche Lehrkräfte – unabhängig von
gungen nur dann verändern, wenn zum einen die bisher ihren ursprünglichen Berufswahlmotiven – ihren Beruf
bestehenden alten Konzepte nicht reichen, um beobachtete mit mehr oder weniger Energie verfolgen. Theoretisch
8 Phänomene zu erklären, und zum anderen neue Konzepte wurden hierbei vor allem Überlegungen zur Schülermoti-
zur Verfügung stehen, die plausibel und erklärungsmäch- vation auf Lehrende übertragen. Die Frage nach der Auf-
9 tig sind. Lern- und schulbezogene Überzeugungen von rechterhaltung und dem Absinken von Motivation, was im
Lehrkräften entwickeln sich vermutlich vor allem in drei Extremfall bis zur Aufgabe des Berufs führen kann, wird
10 Lerngelegenheiten (Richardson, 1996), nämlich in ▶ Abschn. 11.4 unter dem Thema „Beanspruchungser-
1. den eigenen Schulerfahrungen, leben“ diskutiert.
2. der formalen Ausbildung und
11 3. den eigenen persönlichen Erfahrungen („life experien-
ces“). 11.3.1 Berufswahlmotive
12
Überzeugungen zum Lehren und Lernen und zur Rolle Was motiviert Studienanfänger ein Lehramtsstudium auf-
von Schule und Erziehung werden somit bereits sehr früh zunehmen? Die vorliegenden Untersuchungen zur Berufs-
13 gefestigt – und es ist davon auszugehen, dass Personen wahlmotivation angehender Lehrkräfte weisen ausnahms-
mit einer kritischen Haltung gegenüber dem Schul- und los auf die subjektiv hohe Bedeutsamkeit der Arbeit mit
14 Bildungssystem vermutlich gerade nicht den Lehrerberuf Kindern und Jugendlichen hin (im Überblick Brookhart
wählen und auch später nicht in der Lehrerausbildung tä- & Freeman, 1992). Als weitere wichtige Gründe werden
15 tig sind. Innerhalb dieser systemimmanenten Laufbahn, der gesellschaftliche Beitrag, die abwechslungsreiche und
die wenig Gelegenheit zum Hinterfragen der früh erwor- interessante Tätigkeit, fachbezogene Interessen, die Ver-
benen Haltungen bietet, ist es wahrscheinlich, dass sich mittlung von Wissen, erfahrungsbestimmte Motive, die
16 traditionelle Überzeugungen erhalten bzw. progressive Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Möglichkeit
Überzeugungen kaum durchsetzen (Lortie, 1975). Be- zur eigenen Weiterbildung genannt. Darüber hinaus sind
17 denkt man darüber hinaus den eingangs angesprochenen extrinsische Motive wie der hohe Freizeitanteil, die Ar-
Filtereffekt von Überzeugungen, so lässt sich fragen, wie beitsplatzsicherheit und das gute Gehalt von Bedeutung,
häufig Lehrkräfte überhaupt herausgefordert werden, sich werden allerdings in der Regel weniger stark gewichtet.
18 mit neuen Ansichten und Überzeugungen auseinander- Es lassen sich jedoch auch Unterschiede beobachten, zum
zusetzen. Beispiel bei Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen
19 In neueren Ansätzen der Lehrerbildung hat man sich (Brookhart & Freeman, 1992; Retelsdorf & Möller, 2012;
daher der Frage zugewandt, wie man eigentlich Situatio- ▶  Exkurs „Fragebogen zur Erfassung der Motivation für die
20 nen gestalten müsste, um Lehrkräfte anzuregen, sich ihrer Wahl des Lehramtsstudiums“).
Überzeugungen bewusst zu werden und sie zu reflektie- In jüngerer Zeit wurde versucht, die Forschung
ren. Unter Rückgriff auf die Conceptual-Change-Literatur zur Berufswahlmotivation von Lehrkräften an elabo-
21 sind Fortbildungskonzepte entstanden, die genau an dieser rierte motivationstheoretische Modelle anzubinden.
Frage ansetzen (z. B. Möller, Hardy, Jonen, Kleickmann & So entwickelten Watt und Richardson (2008) auf Basis
22 Blumberg, 2006; auch ▶ Abschn. 11.5.1). des ▶  Erwartungs-Wert-Modells von Eccles (2005)
11.3 • Motivationale Merkmale
273 11

Exkurs  |       | 

Fragebogen zur Erfassung der Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA)
Der FEMOLA (Pohlmann & Möller, 2007) Interesse, das fachliche Interesse und wiesen darauf hin, dass angehende
erfasst erwartungs- und wertbezogene Nützlichkeitsaspekte. Entsprechend dem Gymnasiallehrkräfte in stärkerem Maße
Faktoren (Eccles, 2005) für die Wahl des Erwartungs-Wert-Modell bildeten sich die fachliche Interessen als Studienwahlmotiv
Lehramtsstudiums. Als erwartungs- sozialen Einflüsse als weiterer, empirisch angaben, während die zukünftigen Real-
bezogene Komponenten ließen sich trennbarer Faktor für die Studienwahl her- schullehrkräfte höhere Ausprägungen auf
die Fähigkeitsüberzeugung und die aus. . Tab. 11.3 zeigt die 6 resultierenden den Skalen „geringe Schwierigkeit“ und
wahrgenommene geringe Schwierigkeit Skalen mit jeweils einem Itembeispiel. „Nützlichkeitsaspekte“ aufwiesen.
des Studiums identifizieren, als wertbe- Vergleiche zwischen Lehramtsstudieren-
zogene Komponenten das pädagogische den des Gymnasiums und der Realschule

.. Tab. 11.3  Skalen und Itembeispiele des FEMOLA

Faktor Itembeispiel
„Ich habe das Lehramtsstudium gewählt, weil …

Pädagogisches Interesse … ich gern mit Kindern und Jugendlichen arbeite.“

Fachliches Interesse … ich die Inhalte meiner Fächer interessant finde.“

Fähigkeitsüberzeugung … ich denke, dass ich eine gute Lehrerin/ein guter Lehrer sein werde.“

Nützlichkeitsaspekte … ich neben dem Beruf auch noch Zeit für Familie, Freunde und Hobbies haben will.“

Soziale Einflüsse … mir in der Familie nahe gelegt wurde, das Lehramtsstudium aufzunehmen.“

Geringe Schwierigkeit des Studiums … es leichter ist als andere Studiengänge.“

die „Factors Influencing Teaching Choice Scale“ (FIT- 11.3.2 Enthusiasmus und intrinsische
Choice-Scale) und konnten mit diesem Instrument Motivation
12 Einflussfaktoren für die Wahl des Lehrerberufs dif-
ferenzieren. Für den deutschsprachigen Raum wurde Wie eingangs beschrieben gilt es als eine wichtige Eigen-
der „Fragebogen zur Erfassung der Motive für die Wahl schaft von Lehrern, begeistert und motiviert zu sein, häufig
des Lehramtsstudiums“ (FEMOLA; Pohlmann & Möller, wird hierfür auch der Begriff Enthusiasmus verwendet.
2010) entwickelt, dem ebenfalls das Erwartungs-Wert- Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Lehrkräfte, die ihren
Modell zugrunde liegt. Mit diesem Instrument ließen Beruf gern ausüben und sich für ihr Fach interessieren,
sich faktorenanalytisch 6 Faktoren identifizieren, wobei diese Begeisterung auch auf ihre Schüler übertragen und
auch hier intrinsische, z. B. pädagogisches oder fachli- diese anregen können, sich mit Freude und Interesse dem
ches Interesse, und extrinsische Motive, z. B. Nützlich- Lernstoff zu widmen. Diese Annahme wird durch experi-
keitsaspekte oder soziale Einflüsse, unterschieden wer- mentelle Studien empirisch gestützt: So zeigen Lernende
den können (▶  Exkurs „Fragebogen zur Erfassung der in Unterrichtssituationen günstigeres Lernverhalten und
Motivation für die Wahl des Lehramtsstudiums (FEMOLA)“). höhere Motivation, wenn sie annehmen, dass die Lehrper-
Unter Nutzung der FIT-Choice-Skala ließ sich zeigen, son aus Interesse (anstatt aus externen Gründen) unter-
dass Lehramtsstudierende mit eher intrinsischen Zie- richtet (Wild, Enzle & Hawkins, 1992) und wenn Lehr-
len eine günstigere Studiermotivation zeigten (Watt & kräfte beim Unterrichten durch nonverbale Mittel (Mimik,
Richardson, 2007). Um allerdings einzuschätzen, wie Gestik) Freude am Lerngegenstand suggerieren (Babad,
wichtig die Berufswahlmotive für die spätere Berufsaus- 2007). Studien zum Erleben bei Lehrkräften belegen, dass
übung sind, braucht es prospektive Längsschnittstudien, Lehrer, die selbst davon berichten, ihren Beruf gerne und
die bisher kaum vorhanden sind. Es ist weiterhin zu be- mit Freude auszuüben bessere Unterrichtsqualität (Roth,
rücksichtigen, dass die Mehrzahl der Studien geschlos- Assor, Kanat-Maymon & Kaplan, 2007) und hoch enga-
sene, reaktive Antwortformate verwendet und daher giertes Verhalten in und außerhalb des Unterrichts zeigen
Antworttendenzen wie selbstwertdienliche Verzerrun- (Long & Hoy, 2006). Dieses intrinsische Erleben scheint
gen oder Ja-Sage-Tendenzen bei der Angabe der Motive sich tatsächlich auch auf die Schüler zu übertragen (Bak-
nicht auszuschließen sind. ker, 2005; Frenzel et al., 2009).
274 Kapitel 11 • Lehrer

11.3.3 Zielorientierungen 11.4 Emotionale Merkmale:


1 Beanspruchungserleben
Einer der derzeit prominentesten motivationspsychologi-
2 schen Ansätze setzt an dem Konstrukt der Zielorientie- Wie eingangs gezeigt wurde, stehen Lehrer im Rahmen ih-
rungen (▶ Kap. 7) an, das unterschiedliche Tendenzen im rer beruflichen Tätigkeit vor vielseitigen Anforderungen.
Umgang mit Leistungssituationen beschreibt. Meistens Für einen Teil der Lehrkräfte scheinen diese Anforderun-
3 wird zwischen einer ▶  Lernzielorientierung („mastery gen besondere Belastungen darzustellen, denn verschie-
approach“) und einer ▶  Leistungszielorientierung un- dene empirische Untersuchungen beschreiben für manche
4 terschieden („performance approach“), wobei Letztere oft Lehrkräfte ein vergleichsweise hohes Beanspruchungser-
noch in Annäherungs- und Vermeidungsziele differenziert leben, das sowohl kurzfristige Reaktionen wie negative
5 wird (Elliot, 1999). Während Personen mit Leistungsziel- Emotionen als auch langfristige Folgen wie Stresserkran-
orientierung dazu tendieren, in leistungsthematischen kungen umfassen kann (z. B. Barth, 2001; Körner, 2003).
Situationen vor allem ihren relativen Leistungsstand im Auch wenn bisher kaum verlässliche Zahlen darüber vor-
6 Vergleich zu anderen Personen zu fokussieren, sehen Per- liegen, ob Lehrkräfte deutlich mehr als andere Berufsgrup-
sonen mit Lernzielorientierung solche Situationen eher als pen an Stresserkrankungen leiden, ist die Erforschung und
7 Möglichkeit des Lernens und Erreichens von selbstgesetz- Behandlung von Stresserkrankungen von Lehrkräften ein
ten Standards. wichtiges Aufgabengebiet von Psychologen.
Ausgehend von der Annahme, dass die Schule nicht
8 nur für Schüler, sondern auch für Lehrkräfte einen leis- Definition 
tungsthematischen Kontext darstellt, untersuchte Butler ▶ Belastungen sind berufsbezogene Umweltfakto-
9 (2007; Butler & Shibaz, 2008) die Bedeutung unterschied- ren, die auf die Person einwirken und zu positiven
licher Zielorientierungen von Lehrkräften für ihr Verhal- oder negativen Reaktionen führen können. Unter-
10 ten in und außerhalb des Unterrichts. Dabei wurde ange- schieden wird zwischen objektiven Belastungen (psy-
nommen, dass Lehrkräfte mit einer Lernzielorientierung chophysiologisch nachweisbare Umweltmerkmale
berufliche Herausforderungen – z. B. schwierige Unter- wie z. B. Lärm oder organisatorische Strukturen) und
11 richtssituationen – eher als Chance für berufliche Weiter- subjektiven Belastungen (individuelle Wahrnehmung
entwicklung begreifen, während leistungsziel­orientierte und Interpretation von Umweltbedingungen).
12 Lehrkräfte in solchen Situationen eher daran denken, wie Bei ▶ Beanspruchung handelt es sich um
ihr Handeln von anderen bewertet wird. Zusätzlich wurde individuelle Reaktionen auf Belastungen; unterschie-
eine Arbeitsvermeidungsorientierung, also die Tendenz,
13 die leistungsrelevanten Situationen mit möglichst we-
den werden kann zwischen kurzfristigen Beanspru-
chungsreaktionen (z. B. positives/negatives Empfin-
nig Aufwand zu erledigen, erfasst. Es zeigte sich nicht den, verminderte Konzentration) und langfristigen
14 nur, dass je nach Zielorientierung Lehrkräfte zu unter- Beanspruchungsfolgen (chronischer Stress, Burnout).
schiedlichen Unterrichtsgestaltungen neigten, was sich Unter ▶ Burnout versteht man langfristige Bean-
15 auch im Verhalten der Schüler niederschlug. Vielmehr spruchungsfolgen; Burnout ist ein psychologisches
neigten auch Personen mit einer Lernorientierung eher Syndrom, welches durch die Symptome emotionale
dazu, außerhalb des Unterrichts Unterstützung und An- Erschöpfung, Depersonalisierung und ein Gefühl
16 regung von anderen zu suchen. Ähnliche Befunde finden verminderter Leistungsfähigkeit gekennzeichnet ist
sich auch bei weiteren Studien, in denen Lehrkräfte oder (Maslach, Schaufeli & Leiter, 2001).
17 Lehramtsstudierende – zum Teil auch in Längsschnittstu-
dien – untersucht wurden (Dickhäuser, Butler & Tönjes,
2007; Malmberg, 2006; Nitsche, Dickhäuser, Fasching & Als eine langfristige Beanspruchungsfolge wird spezi-
18 Dresel, 2011). ell auch bei Lehrern das Burnout-Syndrom diskutiert
Insgesamt zeigt die Forschung zu Zielorientierungen (▶ Definition). Das am häufigsten verwendete Verfahren
19 von Lehrkräften, dass es fruchtbar sein kann, psychologi- zur Messung von Burnout ist das „Maslach Burnout Inven-
sche Konzepte, die in anderen Kontexten entwickelt wur- tory“ (MBI; Maslach & Jackson, 1981; s. auch Enzmann &
20 den, zu nutzen, um den unterschiedlichen Berufserfolg von Kleiber, 1989). Dieser Fragebogen erfasst drei Aspekte, die
Lehrkräften zu erklären. den Autorinnen zufolge die Kernsymptome des Burnouts
darstellen: emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung
21 und wahrgenommener Leistungsmangel. Emotionale
Erschöpfung beschreibt dabei Gefühle der emotionalen
22 Überforderung und der Ermüdung (z. B. „Am Ende des
11.4  •  Emotionale Merkmale: Beanspruchungserleben
275 11

Schultages fühle ich mich erledigt.“). Depersonalisierung Ein bekanntes Instrument zur Erfassung des berufli-
kommt in einer zunehmend zynischen und negativen Ein- chen Beanspruchungserlebens und zum Umgang mit Be-
stellung zum Ausdruck, vor allem bezogen auf die Schüler lastungen ist der von Schaarschmidt und Fischer (1997)
(z. B. „Ich glaube, ich behandle Schüler zum Teil ziemlich entwickelte „Fragebogen zu arbeitsbezogenen Verhaltens-
unpersönlich.“). Die dritte Dimension „Leistungsmangel“ und Erlebensmustern“ (AVEM). Dieses Verfahren erlaubt
hebt auf das Gefühl der verminderten Leistungsfähigkeit es, Personen hinsichtlich ihrer berufsbezogenen Ressour-
ab (z. B. „Ich fühle mich voller Tatkraft“, umgepoltes Item). cen und ihres Risikos für psychische und physische Er-
Das Burnout-Syndrom hat in den letzten Jahren viel medi- krankungen zu differenzieren. Auf Basis der Ausprägungen
ale Aufmerksamkeit erhalten, nicht zuletzt durch promi- im Arbeitsengagement, der psychischen Widerstandsfä-
nente Fälle aus dem Unterhaltungs- oder Sportbereich. Un- higkeit sowie den arbeits- und lebensbezogenen Emoti-
ter Psychologen und Psychiatern wird die Diagnose jedoch onen lassen sich verschiedene Bewältigungsmuster iden-
kontrovers diskutiert, da unklar ist, ob es sich hierbei um tifizieren. Speziell der „Gesundheitstyp“, der durch eine
ein eigenständiges Krankheitsbild mit einer spezifischen Kombination von gleichzeitig hohem Engagement und
berufsbezogenen Entstehungsgeschichte und spezifischer hoher Widerstandsfähigkeit gekennzeichnet ist, scheint
Therapie oder eine Variante von Depression handelt (Hil- wenig psychische und somatische Beanspruchungsfolgen
lert, 2010). aufzuweisen, während im Gegensatz dazu für Lehrkräfte
des Risikotyps A (hohes Engagement, aber geringe Wi-
derstandsfähigkeit) und des Risikotyps B (geringes Enga-
11.4.1 Belastungsfaktoren: gement und geringe Widerstandsfähigkeit) ein erhöhtes
Umweltfaktoren und individuelle Risiko für Burnout-Symptome sowie eine erhöhte Zahl
Ressourcen an krankheitsbedingten Fehltagen und selbstberichteten
Leistungseinbußen beobachtet werden konnten. Ein inter-
Fragt man Lehrkräfte, welche Aspekte ihres Berufslebens essantes Bewältigungsmuster stellt der „Schontyp“ dar, der
sie selbst als besonders belastend empfinden, werden häu- durch geringeres Arbeitsengagement und hohe Distanzie-
fig institutionelle Faktoren genannt, wie etwa hohe Arbeits- rungsfähigkeit gekennzeichnet ist. Lehrkräfte dieses Typus
belastungen durch große Klassen, heterogene Leistungsni- weisen in der Regel keine erhöhten Beanspruchungssymp-
veaus in den Klassen, schwierige Schüler, hohe Lärmpegel tome auf – inwieweit ein solches Bewältigungsmuster aller-
und hohe Stundenbelastungen. Darüber hinaus werden dings langfristig zu negativen beruflichen Entwicklungen
auch fehlende Unterstützung durch die Eltern und die führt, ist noch eine offene empirische Frage.
Gesellschaft sowie das Erleben von Fremdbestimmung Im Rahmen des Ansatzes der persönlichen Ressourcen
durch Verbürokratisierung, Verrechtlichung und bildungs- kommt auch der Selbstwirksamkeitserwartung eine Bedeu-
politische Maßnahmen als belastende Aspekte beschrie- tung zu (▶ Abschn. 11.3.2). Lehrer, die der Überzeugung
ben (Schaarschmidt, 2005; Burke, Greenglass & Schwarzer, sind, kompetent handeln zu können, haben anscheinend
1996). bessere Stressbewältigungsstrategien und erleben eine
Dennoch scheinen nicht alle Lehrkräfte in gleichem höhere Berufszufriedenheit (Schmitz, 2001). Als weitere
Maße von den berufstypischen Belastungen beeinträchtigt persönliche Ressourcen werden internale Kontrollüber-
zu werden. Wie in ▶ Abschn. 11.3.2 dargestellt wurde, be- zeugungen (z. B. van Dick, Wagner & Petzelt, 1999), schu-
richten viele Lehrkräfte, ihren Beruf gerne und mit Freude lisches Engagement und sinnvoll erlebte außerschulische
auszuüben – trotz teilweise ungünstiger schulischer Be- Tätigkeit (Buschmann & Gamsjäger, 1999) oder realisti-
dingungen. sche Erwartungen an den Beruf (Schmitz & Leidl, 1999)
Theoretische Ansätze zur Erklärung von Beanspru- diskutiert.
chungserleben (z. B. Antonovsky, 1987) betonen, dass
berufliche Situationen vor allem dann von Personen als
belastend empfunden werden, wenn es ihnen an Ressour- 11.4.2 Die Bedeutung
cen mangelt, um die Situation angemessen bewältigen zu von Beanspruchungssymptomen
können. Dabei wird zwischen personalen Ressourcen (z. B. für die Berufsausübung
Fähigkeiten oder Strategien) und sozialen Ressourcen (z. B.
Unterstützung durch Kollegen) unterschieden. Wichtig ist, Die beschriebenen Beanspruchungsfolgen können die
dass Lehrkräfte nicht ausschließlich als Opfer ihrer Ar- Lebensqualität und das Wohlbefinden der Lehrkräfte er-
beitsbedingungen betrachtet werden, sondern ihnen eine heblich einschränken und letztlich zum Aufgeben des Be-
aktive Rolle bei der Mitgestaltung ihrer Belastungssituation rufs führen. Da es sich bei der Lehrerschaft um die größte
zugeschrieben wird. akademische Berufsgruppe handelt, ist es von besonderer
276 Kapitel 11 • Lehrer

Relevanz, die für das Belastungserleben relevanten Be- chologie, Bildungssoziologie – zu vermitteln. Die Päda-
1 dingungen zu identifizieren. Dies gilt umso mehr, als sich gogische Psychologie hat hier ihren Ursprung: Viele der
die physische und psychische Gesundheit der Lehrkräfte ersten Pädagogischen Psychologen hatten Lehrstühle für
2 auf das Niveau ihrer Arbeit auswirken dürfte. So könnte Lehrerbildung inne, und auch heute sind Lehrveranstal-
ein erhöhtes Beanspruchungserleben zu problematischen tungen für Lehramtsstudierende ein wichtiges Tätigkeits-
Verhaltensänderungen der Lehrkräfte führen, wie z. B. feld Pädagogischer Psychologen.
3 zu ungeduldigem oder wenig wertschätzenden sozialem
Verhalten den Schülern gegenüber oder einer weniger Definition 
4 gründlichen Unterrichtsvorbereitung (Maslach & Leiter, Unter den Bildungswissenschaften werden im Rah-
1999). Erste empirische Befunde weisen darauf hin, dass men der Lehrerbildung die universitären Disziplinen
5 die Unterrichtsqualität bei Lehrkräften mit ungünstigen zusammengefasst, die den fachunabhängigen Teil
Bewältigungsmustern und erhöhtem Beanspruchungser- des Lehramtsstudiums ausmachen, also in der Regel
leben tatsächlich leidet, was wiederum mit ungünstigen Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie.
6 motivationalen Ausprägungen seitens der Schüler einher- Aufgrund der Kritik, dass in der Vergangenheit die
geht (Klusmann, Kunter, Trautwein, Lüdtke & Baumert, Lehrveranstaltungen aus diesen drei Disziplinen nur
7 2008). wenig aufeinander abgestimmt waren, sind viele Uni-
versitäten mittlerweile dazu übergegangen, stärker

8 11.5 Veränderung von Lehrermerkmalen


koordinierte Lehrangebote anzubieten, bei denen die
Abgrenzungen zwischen den einzelnen Disziplinen
in Ausbildung und Beruf weniger hervortreten.
9
Auch wenn – wie bereits diskutiert – Annahmen über
10 „geborene Lehrer“ durchaus gängig sind, entwickeln sich Kenntnisse in Pädagogischer Psychologie sind fester Be-
viele der für den Lehrerberuf notwendigen Voraussetzun- standteil des Curriculums jedes Lehramtsstudiums (Pa-
gen erst im Verlauf der Berufsausbildung oder -ausübung. trick, Anderman, Bruening & Duffin, 2011), das in der
11 Vor allem die kognitiven Merkmale wie Wissen und Über- Regel Themen wie Lernen und Lehren, Entwicklung und
zeugungen sind Kern der professionellen Kompetenz von Erziehung in sozialen Kontexten, pädagogisch-psycholo-
12 Lehrkräften, die sich vor allem im Rahmen strukturierter gische Diagnostik und Evaluation sowie Intervention und
Lerngelegenheiten herausbilden. Dabei stellt die Ausbil- Beratung umfasst (Deutsche Gesellschaft für Psychologie,
dungsphase selbst vermutlich die wichtigste Gelegenheit 2002). Lehramtsstudierende haben so die Gelegenheit, fun-
13 zum Kompetenzaufbau dar. In Deutschland ist die Lehrer- diertes Wissen über die psychologische Seite ihres Berufs
bildung konsekutiv aufgebaut, mit zunächst einer ersten aufzubauen, das – wie im ▶ Abschn. 11.2.1 gezeigt wurde
14 theoretisch angelegten Phase – dem Universitätsstudium – eine wichtige Grundlage für die erfolgreiche Berufsbe-
– und einer zweiten praktischen Phase – dem Referenda- wältigung darstellt. Auch im Hinblick auf die Verände-
15 riat. Die spätere Weiterbildung im Beruf wird gelegentlich rungen von Überzeugungen (▶ Abschn. 11.2.2) kann der
als dritte Phase bezeichnet. Die Lehrerbildung ist eines psychologische Studienanteil eine wichtige Rolle spielen
der aktuell am meisten diskutierten bildungsbezogenen –immer dann, wenn Lehramtsstudierende im Zuge ihrer
16 Themen und in allen drei Phasen wurden in den letzten Auseinandersetzung mit psychologischen Theorien und
Jahren in Deutschland zum Teil tiefgreifende Reformen Befunden angeregt werden, ihre intuitiven Vorstellungen
17 vorgenommen. Im Folgenden werden kurz einige Her- zu revidieren.
ausforderungen und Problemfelder der jeweiligen Phasen Einschränkend sei jedoch angemerkt, dass Psychologie
skizziert, um ein Bild davon zu vermitteln, wie Lehrkräfte nur einen kleinen Teil des Lehramtsstudiums umfasst: So
18 in ihrer Kompetenzentwicklung unterstützt werden kön- machen beispielsweise bei angehenden Gymnasiallehrkräf-
nen – und auch, welche Rolle die Pädagogische Psychologie ten die Anteile der Fächer und der Fachdidaktik durch-
19 dabei spielen kann. schnittlich etwa zwei Drittel aus, während die Bildungs-
wissenschaften nur mit etwa 12 % veranschlagt sind; hinzu
20 11.5.1 Das Lehramtsstudium
kommen Schulpraktika (Bauer, Diercks, Rösler, Möller &
Prenzel, 2012). Dennoch sind sich Experten einig, dass
psychologische Inhalte ein zentraler Teil des Lehramtsstu-
21 Das Lehramtsstudium an der Hochschule dient dazu, the- diums sein sollten (Kunina-Habenicht et al., 2012) – inwie-
oretische Grundlagen in den Fächern, den dazugehörigen weit dies in den derzeit an vielen Standorten betriebenen
22 Fachdidaktiken, aber auch den bildungswissenschaftlichen Reformen des Lehramtsstudiums umgesetzt wird, ist eine
Disziplinen (▶ Definition) – Erziehungswissenschaft, Psy- noch offene Frage.
11.5  •  Veränderung von Lehrermerkmalen in Ausbildung und Beruf
277 11
11.5.2 Einstieg in die Praxis: neben schulischen Einflussfaktoren vor allem auch moti-
Das Referendariat vationale Merkmale, wie etwa die unter ▶ Abschn. 11.3.3
beschriebenen Zielorientierungen, prädiktiv sind (z. B.
Das Referendariat ist ein Alleinstellungsmerkmal des deut- Nitsche, Dickhäuser, Dresel & Fasching, 2013).
schen Lehrerbildungssystems – in kaum einem anderen Fortbildungen für Lehrkräfte umfassen zahlreiche
Land ist eine vergleichbare lange Phase des begleitenden Angebote. Neben fachdidaktischen Weiterbildungen sind
Berufseinstiegs fest etabliert. Im Anschluss an das Studium auch hier Psychologen aktiv. So wurden beispielsweise un-
werden junge Lehrkräfte graduell in das Unterrichten und terrichtsorientierte Trainings entwickelt, um didaktische
andere schulbezogene Aufgaben eingeführt, begleitet durch Fertigkeiten im Unterricht zu verbessern. Besonders er-
Mentoren an den Schulen (Ausbildungslehrkräfte) und be- folgreich sind dabei Programme, die sowohl Aspekte des
gleitende Studienseminare. Während die Universitätsphase Verhaltenstrainings („microteaching“) als auch kognitive
von vielen Lehrkräften retrospektiv als theorielastig und Komponenten („reflective teaching“) einbeziehen (siehe
wenig praxisvorbereitend bewertet wird, beschreiben diese z. B. Kramis, 1991).
das Referendariat oft als sehr hilfreich (Abs, 2011; Czer- Unter ▶ Microteaching versteht man eine Methode
wenka & Näller, 2011). Die Referendars­ausbildung liegt des Unterrichtstrainings, bei der angemessenes Lehrer-
in Deutschland in den Händen der staatlichen Studiense- verhalten systematisch eingeübt werden soll. Die kom-
minare, deren Ausbilder in der Regel erfahrene Lehrkräfte plexe Unterrichtssituation wird dabei in überschaubare
sind, sodass Psychologen in dieser Phase weniger stark Sequenzen unterteilt, um dann schrittweise einzelne Teil-
praktisch involviert sind. fertigkeiten (z. B. Frageverhalten, Verstärkung, Einleiten
Dagegen hat sich die pädagogisch-psychologische For- eines neuen Unterrichtsabschnitts) zu trainieren. Nach
schung ausgiebig mit der spannenden Phase des Übergangs den Prinzipien des Modelllernens und des Verstärkungs-
von der Universität in die Praxis beschäftigt. Wie Studien lernens werden diese Fertigkeiten in Rollenspielen und
zeigen, stehen junge Lehrkräfte vor einer Reihe an spezifi- durch Videoanalysen erworben. Evaluationsstudien (im
schen Problemen, wie etwa Schwierigkeiten bei der Klas- Überblick Klinzing, 2002) weisen darauf hin, dass sich Mi-
senführung, angemessenem Umgang mit einer heterogenen croteaching zumindest für die kurzzeitige Veränderung
Schülerschaft, Unsicherheiten im Umgang mit Eltern, Pro- einzelner Verhaltensweisen gut eignet. Zur Nachhaltigkeit
blemen bei der Zusammenstellung von Unterrichtsmate- der erzielten Effekte, insbesondere im normalen Unter-
rialen oder Schwierigkeiten, angemessen auf individuelle richt, liegen allerdings widersprüchliche Ergebnisse vor
Schülerprobleme einzugehen (Veenman, 1984). Dieser (vgl. Klinzing, 2002).
„Praxisschock“ kann dazu führen, dass die Selbstwirksam- Trainingsprogramme, die versuchen, sowohl Verhal-
keitsüberzeugungen (▶ Abschn. 11.2.2) abnehmen (Wool- tensveränderungen hervorzurufen als auch handlungslei-
folk Hoy & Burke-Spiro, 2005) und die jungen Lehrkräfte tende Kognitionen zu beeinflussen, basieren oft auf der
sich stark belastet fühlen (Klusmann, Kunter & Baumert, sozial-kognitiven Lerntheorie. Die therapeutischen Kon-
2012). Gleichzeitig stehen verschiedene Unterstützungssys- zepte der Verhaltensmodifikation werden auf den schuli-
teme zur Verfügung, wie etwa die Mentoren oder andere schen Kontext übertragen, mit dem Ziel, Lehrer bei der
Referendare, also ihre Peers, die negative Entwicklungen Bewältigung beruflicher Probleme zu unterstützen und
verhindern können (Richter, Kunter, Lüdtke, Klusmann & ihnen Strategien zum verbesserten Umgang mit Schülern
Baumert, 2011). zu vermitteln. Bekannte Trainings im deutschsprachigen
Raum sind unter anderem das Konstanzer Trainingsmo-
dell (Dann & Humpert, 2002), das die Kompetenz von
11.5.3 Weiterbildung und Trainings Lehrkräften im Umgang mit aggressiven und störenden
im Beruf Schülern verbessern soll, oder das Münchener Lehrertrai-
ning (Havers & Toepell, 2002) zum Umgang mit Diszipli-
Wie viele andere Berufsgruppen sind Lehrkräfte aufgefor- nierungsschwierigkeiten im Unterricht und zur Reflexion
dert, sich auch nach abgeschlossener Ausbildung konti- der persönlichen Vorstellungen hinsichtlich des Lehrer-
nuierlich weiterzubilden. In Deutschland ist die Weiter- berufs.
bildung zwar in vielen Bundesländern als Dienstpflicht Weiterhin wurden Trainings zur Verbesserung der all-
für Lehrkräfte vorgeschrieben, doch ist sie im seltensten gemeinen beruflichen Kompetenzen entwickelt, um Lehr-
Fall explizit geregelt. Meist steht es Lehrkräften frei, sich kräften Strategien zum erfolgreichen Umgang mit nicht
aus einer großen Anzahl an Fortbildungen die für sie am unterrichtsspezifischen Situationen zu vermitteln. Zu
attraktivsten erscheinenden auszuwählen. Nachgewiesen solchen allgemeinen Programmen zählen beispielsweise
ist, dass sich Lehrkräfte in der Anzahl und Qualität ihrer Maßnahmen zur Verbesserung der Stressbewältigung (z. B.
Fortbildungsaktivitäten deutlich unterscheiden und dass Kretschmann, 2000).
278 Kapitel 11 • Lehrer

Anzumerken ist jedoch, dass die Wirksamkeit vieler


1 Fortbildungen und Trainings empirisch im seltensten Fall Das Verhalten und Erleben von Lehrern ist aber auch
aus einem weiteren Grund ein wichtiges Thema für die
bewiesen ist. Zwar werden viele Fortbildungen von Lehr-
Pädagogische Psychologie. In neueren Ansätzen wird
2 kräften oft als hilfreich bewertet, doch findet die Umset-
durchgängig davon ausgegangen, dass nicht ange-
zung des neu Gelernten im Unterricht nur selten statt und
borene Talente, sondern berufsspezifische erlernbare
Effekte auf die Schüler sind selten zu beobachten (Lipow-
3 sky, 2011). Dies liegt offenbar zu einem großen Teil daran, Kompetenzen entscheidend sind für eine erfolgreiche
Berufsausübung. Es existieren daher verschiedene
dass viele Fortbildungen zum einen punktuell angelegt
4 sind und spezifische Schulkontexte sowie die langfristige Ansätze zur Aufrechterhaltung, Verbesserung und
Erweiterung von Handlungs- und Unterrichtskompe-
Implementation nicht berücksichtigen. Weiterhin weist
tenzen, die sich an Lehramtsstudierende, Referendare
5 die Forschung darauf hin, dass Fortbildungen, die nur auf
und ausgebildete Lehrkräfte richten. Lehrer rücken
die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten ausgerich-
somit selbst als Lernende in den Fokus pädagogischer
tet sind, ohne dass Lehrkräfte angeregt werden, ihre bis-
6 herigen Praktiken und Überzeugungen zu hinterfragen, Interventionen – aus empirischer Sicht ist dieses Thema
noch längst nicht erschöpfend erschlossen.
wenig effektiv sind (Gregoire, 2003). Die dritte Phase der
7 Lehrerbildung ist somit ein Feld, das bislang Potenziale Die Lehrerforschung wurde lange Zeit durch die
Diskussion um „den guten Lehrer“ geprägt und von
brach liegen lässt. Die in den letzten Jahren zunehmend
Fallstudien sowie qualitativen Analysen dominiert. In
gewonnenen Erkenntnisse zur professionellen Kompe-
8 tenz von Lehrkräften bieten jedoch wertvolle Hinweise, den letzten Jahren ist vermehrt der Trend zu beob-
achten, stärker quantitativ ausgerichtete Ansätze zu
wie Lehrerfortbildungen zukünftig wirksamer gestaltet
9 werden könnten. verfolgen und die Generalisierbarkeit der Befunde in
besonderer Weise zu berücksichtigen. Die meisten der
aktuell vorliegenden Befunde stammen allerdings aus
10 Fazit querschnittlichen Designs und beruhen größtenteils
Die Pädagogische Psychologie beschäftigt sich mit den auf Selbstberichten. Für die zukünftige Forschung sind
11 psychischen Prozessen, die sich innerhalb von pädago- daher insbesondere längsschnittlich angelegte Studien
gischen Situationen abspielen. Die wissenschaftliche oder Interventionsstudien erforderlich, um Wirkzusam-

12 Beschäftigung mit dem Erleben und Handeln von


Lehrkräften ist daher aus mindestens zwei Gründen
menhänge nachzuweisen und die Nachhaltigkeit der
vermuteten Effekte sicherzustellen.
relevant.
13 Zum einen sind Lehrkräfte maßgeblich dafür verant-
wortlich, die Lernprozesse von Schülern zu steuern
Verständnisfragen
14 und zu begleiten. Wie wir im vorliegenden Kapitel
1. Wie hat sich die Perspektive auf Lehrer in der pädago-
gezeigt haben, können verschiedene Merkmale der
gisch-psychologischen Forschung im Verlauf der Zeit
Lehrkräfte ausschlaggebend dafür sein, wie gut ihnen
15 die Gestaltung von unterrichtlichen Lernsituatio-
geändert und welche Konsequenzen hatte das für die
empirische Forschung?
nen gelingt. Eine umfangreiche Wissensbasis über
2. Was versteht man unter Erwartungseffekten und wie ist
16 fachliche Inhalte, Methoden und Lernprozesse scheint
der derzeitige empirische Kenntnisstand hierzu?
hilfreich zu sein, um adaptiv auf Bedürfnisse der Ler-
3. Welche Formen des Lehrerwissens kann man unterschei-
17 nenden einzugehen. Gleichzeitig weisen viele empiri-
sche Befunde darauf hin, dass die Wahrnehmung und
den?
4. Haben Lehrkräfte ein höheres Risiko für Stresserkrankun-
Interpretation von Unterrichtsgegebenheiten häufig
18 durch spezifische Überzeugungen der Lehrenden
gen? Diskutieren Sie diese Frage vor dem Hintergrund
empirischer Befunde.
beeinflusst werden und ihr Handeln bestimmen. Diese
5. In Diskussionen über Ansätze zur Verbesserung der Bil-
19 Überzeugungen können – wie am Beispiel der Erwar-
dungsqualität wird gelegentlich vorgeschlagen, den Zu-
tungseffekte gezeigt – somit Einfluss auf das Lernen
gang zum Lehrerberuf stärker zu beschränken und nur
und Verhalten der Schüler nehmen. Dass sich neben
20 kognitiven Aspekten auch motivational-emotionale
hoch motivierte und talentierte Kandidaten zuzulassen.
Nehmen Sie – basierend auf Erkenntnissen der pädago-
Lehrermerkmale wie die Freude an der Tätigkeit oder
gisch-psychologischen Forschung – Stellung zu diesem
21 die erlebte Beanspruchung auf das unterrichtliche
Vorschlag.
Handeln auswirken können, wird durch neuere For-
6. Stellen Sie sich vor, Sie sind Bildungsminister(in) und sol-
22 schungsergebnisse belegt.
len die Lehrerbildung reformieren. Welche Ansatzpunkte
halten Sie für besonders wichtig?
Literatur
279 11

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283 12

Gleichaltrige
Ursula Kessels, Bettina Hannover

12.1 Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe  –  284


12.2 Beliebtheit und Freundschaft  –  286
12.2.1 Beliebtheit – 286
12.2.2 Freundschaft – 287

12.3 Merkmale von Kindern und Jugendlichen


mit unterschiedlichem Peer-Status  –  288
12.3.1 Beliebtheit als soziale Akzeptanz: Welche Kinder und Jugendlichen
werden gemocht, welche werden eher abgelehnt?  –  288
12.3.2 Beliebtheit als Reputation: Welche Kinder und
Jugendlichen gelten als beliebt?  –  288
12.3.3 Ursachen für die positiven Korrelationen zwischen
sozialer Akzeptanz und Schulleistungen  –  289

12.4 Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen  –  290


12.4.1 Gruppenzugehörigkeit als Teil der eigenen Identität:
Soziale Identität und Intergruppenbeziehungen  –  290
12.4.2 Gleich und gleich gesellt sich gern: Homophilie  –  291
12.4.3 Wie aus sozialen Normen Gruppendruck wird: Konformität  –  292

12.5 Miteinander und voneinander lernen  –  293


12.5.1 Überwindung von gruppenbedingten Feindseligkeiten
durch kooperative Lernformen  –  293
12.5.2 Peer Educator als Wissenvermittler  –  294

12.6 Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen:


Aggression und Bullying  –  294
12.6.1 Aggression und Bullying  –  295
12.6.2 Fokus: Spezifische Defizite aggressiver Kinder in der
sozialen Informationsverarbeitung – 296
12.6.3 Fokus: Bullying als soziales Geschehen im Klassenkontext  –  297
12.6.4 Maßnahmen gegen Aggression und Bullying an
Schulen: Prävention und Intervention  –  298

Literatur – 300

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
284 Kapitel 12 • Gleichaltrige

„Worauf freust du dich in der Schule?“ – Welche spontanen


1 Antworten sind auf diese Frage zu erwarten? Fragen Sie Ihre
Nichte, das Nachbarskind, den Sohn Ihrer Freundin; versetzen
2 Sie sich in Ihre Schulzeit zurück und überlegen Sie, was Sie
selbst geantwortet hätten. Würde die Freude daran, Neues
zu lernen und zu verstehen, als Erstes genannt werden? Ver-
3 mutlich nicht. Die Schule ist allein durch die Tatsache, dass
Kinder und Jugendliche dort den überwiegenden Teil ihrer
4 (mehr oder weniger) wach verbrachten Zeit zubringen, der
zentrale Ort für sie, um Freundschaften zu knüpfen und sich
5 mit Gleichaltrigen zu treffen. Und genau dieses wird auch
am häufigsten als die positive Seite von Schule empfunden:
Man freut sich darauf, in der Schule die Freundin zu sehen,
6 mit den anderen Kindern zu spielen oder mit der Clique auf
dem Schulhof herumzustehen (z. B. Preuss-Lausitz, 1999; van
.. Abb. 12.1  
7 Ophuysen, 2007).
Im folgenden Kapitel wird es darum gehen, welche Bedeu-
sogar erwünscht seien. Eine wichtige Funktion dieser Ju-
8 tung und Funktion Gleichaltrige für Kinder und Jugendliche
haben. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Bereich „Schule und gendkultur sei gerade die Ablösung von den Eltern und
Lernen“. Was ist das Besondere an den Beziehungen zwischen den von ihnen übernommenen Normen.
9 Heranwachsenden, in welcher Hinsicht bieten sie einander Andere Autoren widersprechen dieser Auffassung vor
etwas, mit dem weder Eltern noch Lehrkräfte aufwarten kön- dem Hintergrund, dass nicht nur Kinder, sondern auch
10 nen? Welche Arten von Beziehungen lassen sich im Klassen- die meisten Jugendlichen ihre Eltern als wichtige Bezugs-
kontext beschreiben? Was ist Beliebtheit und was hat Beliebt- personen bezeichnen (Schneewind & Ruppert, 1995). Die
heit im Klassenverband mit schulbezogenen Merkmalen wie vor allem ab dem Jugendalter intensiveren Beziehungen
11 Motivation und Leistung zu tun? Wie lässt sich die Abgren- zu den Peers scheinen die zu den Eltern also nicht abzu-
zung verschiedener Cliquen voneinander erklären? Wie kann lösen, sondern vielmehr zu ergänzen (Schmidt-Denter,
12 bei problematischen Interaktionen wie Bullying interveniert 2005). Von Salisch (2000) betont, dass der Einfluss von
werden? (. Abb. 12.1). Peers auf die Persönlichkeitsentwicklung gegenüber dem
der Familie aus folgenden Gründen nur sekundär sei: Kin-
13 der bauen Kontakte zu Gleichaltrigen auf der Grundlage
12.1 Bedeutung und Funktion dessen auf, was sie im familiären Kontext erworben haben
14 der Gleichaltrigengruppe (Bindungsqualität, Erziehungsstil), und Eltern beeinflussen
durch Kontaktanbahnung und Ratschläge auch ganz direkt
15 Es wird kontrovers darüber diskutiert, wie groß der Ein- die Art und Qualität der Peerbeziehungen ihrer Kinder.
fluss von Peers (▶  Exkurs „Gleichaltrige: Peers“) – im Ge- Fletcher, Darling, Steinberg und Dornbusch (1995) stell-
gensatz zum Einfluss der Eltern – auf die kognitive und ten anhand von Querschnittsdaten fest, dass nicht nur
16 soziale Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden der Erziehungsstil der eigenen Eltern einen Einfluss auf
ist. In der aktuellen Diskussion um die sozialisatorische das Leistungsverhalten und die gelungene Entwicklung
17 Bedeutung von Peers vertritt beispielsweise Harris Jugendlicher hat, sondern darüber hinaus sich auch der
(1995; 2000) die Ansicht, dass der Einfluss der Gleichalt- Erziehungsstil der Eltern der eigenen Freunde auswirkt:
rigen auf die Persönlichkeitsentwicklung gegenüber dem Wenn der Freundeskreis aus Jugendlichen besteht, deren
18 der Eltern ungleich größer sei: Ausgehend von verhaltens- Eltern einen autoritativen Erziehungsstil haben (statt ei-
genetischen Befunden, nach denen sich nur zwischen 0 nem autoritären oder Laissez-faire-Stil), so wirkt sich auch
19 und 10 Prozent der Varianz in Persönlichkeitsmerkmalen dies auf die eigenen Schulleistungen und die eigene psy-
von Geschwistern auf die „geteilte Umwelt“ des gemein- chosoziale Anpassung positiv aus. Die Autoren vermuten
20 samen Elternhauses zurückführen lassen, entwirft sie in weiter, dass sich Jugendliche vorrangig mit solchen Peers
ihrer Theorie der Gruppensozialisation ein vorrangig von anfreunden, deren Eltern einen ähnlichen Erziehungsstil
Peergruppen gesteuertes Sozialisationsmodell. Coleman haben wie die eigenen.
21 (1961) hat für die Phase des Jugendalters eine eigenstän- Ungeachtet der Differenzen bezüglich des relativen
dige, von der Erwachsenenwelt vollständig abgegrenzte Einflusses der Eltern und Peers auf die Persönlichkeits-
22 Jugendkultur postuliert, die impliziert, dass intergenera- entwicklung besteht doch Einigkeit darüber, dass die
tionale Konflikte ab dem Jugendalter unvermeidbar und Kontakte und Beziehungen zu Gleichaltrigen eine ein-
12.1  •  Bedeutung und Funktion der Gleichaltrigengruppe
285 12

Exkurs  |       |  Aushandeln von Kompromissen möglich, wodurch Ko-


operation und Konsensbildung erreicht werden können
Gleichaltrige: Peers (Ko-Konstruktion sozialer Realität; Youniss, 1994). Zu-
Wo im deutschsprachigen Raum etwas holprig von „Gleich- sammengefasst müssen die interagierenden Kinder, um
altrigen“ die Rede ist, haben die Angelsachsen mit dem die Ko-Konstruktion gemeinsam zu bewerkstelligen, we-
deutlich griffigeren „Peer“ einen eleganteren und zugleich in-
sentliche kognitive Entwicklungsschritte vollziehen, die
haltlich interessanteren und umfassenderen Begriff gewählt
– sodass dieser auch schon lange bei uns im Duden zu finden die Überwindung des kindlichen Egozentrismus sensu
ist. Der Ausdruck „Peers“ stammt aus der Welt des englischen Piaget beinhalten und insgesamt das Sprechen, Denken
Adels und meint in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht und moralische Urteilen befördern. Auch wenn nicht
gleich alte, sondern einander gleichgestellte, ebenbürtige jede Interaktion zwischen Peers so gleichberechtigt statt-
Personen (nämlich die Mitglieder des House of Lords, des
findet, wie es das Modell der symmetrisch-reziproken
Britischen Oberhauses).
Interaktion impliziert, schaffen Peerbeziehungen doch
insgesamt Gelegenheitsstrukturen, in denen solche sym-
metrisch-reziproken Interaktionen wahrscheinlicher re-
zigartige und hervorgehobene Rolle in der Entwicklung alisiert werden (v. Salisch, 1993).
von Kindern und Jugendlichen spielen. Nach Krappmann Die besondere Qualität der Interaktionen der Gleich-
(1993) bezeichnet die sogenannte „Kinderkultur“ („peer altrigen im Sinne von Gleichrangigen schließt auch nicht
culture“) eine eigenständige Sozialwelt der Kinder, die un- aus, dass Interaktionen zwischen Kindern, die im Alter
verzichtbarer Ort der Entwicklung von Autonomie und voneinander abweichen, nicht ebenfalls entwicklungsför-
Kompetenz ist. Im Folgenden wird dargestellt, welche spe- derlich wären. Gerade bei Vorschulkindern konnte beob-
zifischen Funktionen Peer-Kontakte für Heranwachsende achtet werden, dass die Interaktion erleichtert wird, wenn
haben. eines der beiden Kinder etwas älter ist und für das jüngere
Kind Modellcharakter besitzt. Die etwas älteren Kinder
Kognitive und soziale Entwicklung können den jüngeren etwas beibringen und ihnen helfen.
Schon Piaget (1954/1932) schrieb den Gleichaltrigen Dies wirkt sich sowohl auf den Erwerb von Kompetenzen
eine besondere Rolle bei der kognitiven Entwicklung der jüngeren Kinder als auch auf die Entwicklung der so-
zu: Gerade weil sie einander gleichrangig sind und sich zialen Fähigkeiten der älteren Kinder positiv aus (zusam-
auf der gleichen oder benachbarten Stufe der kogniti- menfassend Schmidt-Denter, 2005).
ven Entwicklung befinden, können sie einander Denk- Kinder spielen am liebsten mit anderen Kindern. Dem
anstöße liefern, die sie in ihrer Entwicklung befördern. kooperativen Spiel werden zahlreiche entwicklungsför-
Aufbauend auf Piaget bezeichnet Youniss (1980, 1994) dernde Funktionen aus dem kognitiven und sozialen Be-
als das Wesentliche der Beziehungen zu Peers, dass sie
unter bilateraler Kontrolle stehen und sich durch eine
-
reich zugeschrieben.
Es vermittelt soziale Kompetenzen, indem Kinder
symmetrische Reziprozität auszeichnen. Dies bedeu-
tet, dass die möglicherweise konträren Standpunkte
unter Peers zunächst gleichen Anspruch darauf haben, - lernen, wie andere einbezogen werden.
Es lehrt, dass soziale Interaktionen durch Regeln
gesteuert werden und führt so zum Erwerb sozialer
die richtige Sichtweise auf den jeweiligen Sachverhalt
darzustellen. Bei Interaktionen mit Vertretern der vo-
rangehenden Generation (unilaterale Kontrolle und -- Normen.
Es dient als Medium für den Spracherwerb.
Es fördert die kognitive Entwicklung auch durch den
komplementäre Reziprozität) steht hingegen von vorn-
herein fest, dass diese durch den Vorsprung in Wissen
- Gebrauch von Objekten im Spiel.
Es ermöglicht die Einübung von Rollen, die in der
und Lebenserfahrung und qua ihrer Rolle als Erzie-
hungsberechtigte im Recht sein werden. Durch die Aus-
einandersetzung mit einer von der eigenen Sichtweise
abweichenden Meinung eines Gleichaltrigen entstehe
-- Erwachsenenwelt beobachtet werden.
Es ist für die Konstruktion sozialer Schemata zentral.
Es fördert den Erwerb prosozialer Verhaltensweisen
(zusammenfassend Schmidt-Denter, 2005).
dagegen ein echter kognitiver Konflikt, der gleichzeitig
auch ein sozialer Konflikt ist. Die Kinder oder Heran- Insgesamt kommt den Peerkontakten eine zentrale Sozi-
wachsenden müssen die eigene Sichtweise kommunizie- alisationsfunktion zu, weil für die Aufrechterhaltung von
ren lernen, mit der differierenden Sichtweise vergleichen gelingenden Interaktionen kooperative und prosoziale Ver-
und letztlich zu einer gemeinsam erarbeiteten Lösung haltensweisen nötig sind.
kommen. Die Entwicklung einer gemeinsamen Sicht- Dass positive Interaktionen mit Peers den Kompetenz­
weise ist in symmetrisch-reziproken Beziehungen nur erwerb von Kindern fördern, spiegelt sich schließlich auch
über kooperative Perspektivenkoordination und das darin wider, dass im Klassenverband akzeptierte Kinder im
286 Kapitel 12 • Gleichaltrige

Durchschnitt bessere Schulleistungen zeigen als Kinder, der eigenen Person vermitteln (vgl. Kessels & Hannover,
1 die von anderen abgelehnt werden. In ▶ Abschn. 12.3 wird 2004). Cliquen haben häufig einen bestimmten Ruf (z. B.
ausführlicher beschrieben, wie die gelungene Integration „die Schläger“ oder „die Braven“), der auf jedes einzelne
2 in die Gleichaltrigengruppe mit schulischen Leistungen Mitglied der Clique angewendet wird und beeinflusst, wie
zusammenhängt. andere es wahrnehmen. Diese spezifische Wahrnehmung
durch andere beeinflusst wiederum, wie sich die Grup-
3 Affiliation penmitglieder selbst sehen (vgl. Hannover, Pöhlmann &
Als Affiliation wird in der Psychologie die Verhaltens­ Springer, 2004). So kann ein Junge beispielsweise über die
4 tendenz bezeichnet, die Gesellschaft anderer Menschen Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die sich deviant verhält,
zu suchen. Peerkontakte und Freundschaften sind ein anderen kommunizieren, dass er unangepasst und drauf-
5 Ausdruck dieses ganz offenbar angeborenen menschli- gängerisch ist (vgl. auch Engels, Kerr & Stattin, 2007).
chen Bedürfnisses nach Kontakt, Nähe und Austausch. In Diese Präsentation seines Selbst führt gleichzeitig dazu,
welcher Hinsicht Kinder und Jugendliche Freundschaften dass er diese Eigenschaften an sich selbst tatsächlich wahr-
6 gerade darüber definieren, dass sie einander mögen und nimmt.
unterstützen, wird in ▶ Abschn. 12.2.2 detaillierter dar-
7 gestellt.
12.2 Beliebtheit und Freundschaft
Unterstützung bei der Bewältigung
8 von Übergängen und Entwicklungsaufgaben Ein wichtiges Forschungsfeld beschäftigt sich mit Fragen,
Den Peerbeziehungen kommt eine zentrale Rolle bei der die die Art und das Ausmaß der Integration eines Kindes
9 Bewältigung von Übergängen und Entwicklungsaufgaben oder Jugendlichen in die Gruppe der Gleichaltrigen betref-
zu. Gerade die Gleichaltrigkeit der Peers impliziert, dass fen, wobei in der Regel auf den Klassenverband fokussiert
10 sie in einem ähnlichen Zeitraum die gleichen normativen wird.
Lebensereignisse und Entwicklungsaufgaben zu meistern
haben (z. B. Einschulung, Schulwechsel, Pubertät, erste sexu-
11 elle Beziehungen, Ablösung vom Elternhaus). Der Austausch 12.2.1 Beliebtheit
darüber macht vor allem in der Adoleszenz einen beträchtli-
12 chen Anteil der Interaktionen aus: Mit zunehmendem Alter Vor allem in der englischsprachigen Literatur wird bezüg-
sprechen Jugendliche immer häufiger mit ihren Freunden lich des Peer-Status zwischen zwei Konzepten unterschie-
– und relativ seltener mit ihren Eltern – über Schwierigkei- den, die sich im Deutschen zwar beide als „Beliebtheit“
13 ten oder Probleme, die sie mit sich selbst und mit anderen übersetzen lassen, aber Unterschiedliches meinen.
haben (Fend, 2005). Die Erfahrung, dass Freunde ähnlichen
14 Belastungen ausgesetzt sind wie man selbst, hat erleichternde Beliebtheit als soziale Akzeptanz
Wirkung. Die Imitation gelungener Lösungen ermöglicht es Zum einen kann Beliebtheit das Ausmaß des Gemocht-
15 den Jugendlichen, neue Orientierungen aufzubauen und die werdens im Sinne der sozialen Akzeptanz („social accep-
mit den Veränderungen der Adoleszenz einhergehenden tance“) eines Kindes meinen. Wie „beliebt“ bzw. sozial ak-
Unsicherheiten zu verringern (Schmidt-Denter, 2005). Dass zeptiert ein Kind innerhalb des Klassenverbandes ist, wird
16 Freundschaften und Cliquen vor allem zwischen Jugendli- überwiegend mit soziometrischen Verfahren gemessen.
chen bestehen, die einander hinsichtlich zentraler Merkmale Dabei handelt es sich um Fragebögen, in denen sämtli-
17 ähnlich sind, erhöht vermutlich die Nützlichkeit der Modell- che Mitglieder einer Gruppe (z. B. einer Schulklasse) eine
lösungen der Freunde für die eigene Lebensgestaltung. Dies bestimmte Anzahl (meistens drei) von Mitschülerinnen
bedeutet aber ebenfalls, dass Peers auch besonders wirkungs- und Mitschülern benennen müssen, die sie am liebsten
18 volle Modelle für entwicklungsabträgliche Verhaltensweisen mögen und/oder mit denen sie am liebsten bestimmte
sind, wie z. B. für Drogenkonsum oder kriminelles Verhalten Aktivitäten machen würden (z. B. zusammenarbeiten,
19 (z. B. Keenan, Loeber, Zhang, Stouthammer-Loeber & Van nebeneinander sitzen, zum Geburtstag einladen), und
Kammen, 1995). Mitschüler, mit denen sie dies nicht tun möchten. Aus
20 Identitätsentwicklung
den Antworten kann zum einen ein Soziogramm für die
gesamte Klasse erstellt werden, das die Strukturierung
und Selbstpräsentation der Klasse insgesamt beschreibt. Zum anderen lässt sich
21 Über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Gleich- aber auch in Bezug auf die einzelnen Schülerinnen und
altrigen können Kinder und Jugendliche sowohl der Schüler erkennen, wie oft sie von ihren Klassenkamera-
22 Außenwelt als auch sich selbst ein bestimmtes Bild von den genannt wurden.
12.2  •  Beliebtheit und Freundschaft
287 12
Definition 
Es zeigte sich, dass ältere Kinder und Jugendliche, die als
Die Beliebtheit eines Kindes im Sinne sozialer Ak- „popular“ bezeichnet werden, von ihren Klassenkamera-
zeptanz ist umso höher, je häufiger andere Kinder den nicht unbedingt auch gern gemocht wurden. Denn
angeben, dieses Kind zu mögen und mit ihm zusam- populäre Schülerinnen und Schüler setzen häufig mani-
men arbeiten oder spielen zu wollen. Aus diesen pulative Strategien zur Erhaltung der eigenen Machtposi-
Angaben kann ein Index errechnet werden, der das tion ein (Parkhurst & Hopmeyer, 1998; Rose, Swenson &
Ansehen eines einzelnen Kindes innerhalb der Klasse Carlson, 2004).
abbildet, der sogenannte Peer-Status, bei dem zwei
verschiedene Dimensionen berücksichtigt werden:
die soziale Präferenz („social preference“) und die 12.2.2 Freundschaft
soziale Beachtung („social impact“) eines Kindes
(Peery, 1979). Die soziale Präferenz leitet sich aus Freundschaften unterscheiden sich von anderen beispiels-
der Differenz zwischen der Anzahl der positiven und weise im familiären Raum bestehenden Beziehungen vor
negativen Stimmen, die ein Kind erhalten hat, ab und allem dadurch, dass sie grundsätzlich auf Freiwilligkeit und
beschreibt, wie sehr ein Kind von den Gruppenmit- Reziprozität beruhen. Dies impliziert auch, dass Freund-
gliedern gemocht wird. Die soziale Beachtung ergibt schaften störanfällig sind und nur in dem Maße bestehen,
sich aus der Summe der positiven und negativen wie beide Seiten kontinuierlich durch Stützung und Beja-
Nennungen und bildet damit ab, wie stark ein Kind hung zum Bestehen der Freundschaft beitragen (Auhagen,
von den Klassenkameraden wahrgenommen wird. 1993). Das zentrale Kriterium einer Freundschaftsbezie-
hung ist der Austausch von Gesellschaft und Zuneigung.
Was Kinder und Jugendliche genau unter Freundschaft
In der Forschung hat sich das von Coie, Dodge und Cap- verstehen, ist Gegenstand der Forschung über Freund-
potelli (1982) entwickelte zweidimensionale Schema zur schaftskonzepte. Empirische Forschung zeigt, dass sich
Beschreibung der Stellung eines Kindes durchgesetzt: Als dieses Verständnis – parallel zum gezeigten Verhalten
durchschnittliche Kinder werden jene bezeichnet, die eine zwischen Freunden – im Laufe der Kindheit und Jugend
mittlere Anzahl von Nominierungen erhalten – dies ist die verändert. Grob eingeteilt steht in der Wahrnehmung jün-
größte Untergruppe. Beliebte Kinder sind jene mit vielen gerer Kinder im Mittelpunkt einer Freundschaftsbezie-
positiven und wenigen negativen Nennungen, die also eine hung der Austausch von Handlungen und Objekten (vor
hohe Beachtung und gleichzeitig eine hohe Präferenz er- allem im gemeinsamen Spiel), während bei etwas älteren
fahren. Als abgelehnte Kinder werden diejenigen bezeich- Kindern der Austausch von dauerhafterem gegenseitigen
net, die viele negative und wenige positive Stimmen erhal- Vertrauen betont wird und schließlich ab der Adoleszenz
ten (hohe Beachtung und wenig Präferenz). Unbeachtete der Austausch von Gedanken und Gefühlen als wichtigs-
Kinder sind jene, die wenige positive und auch wenige ne- tes Merkmal einer Freundschaft gesehen wird (für einen
gative Stimmen erhalten (mittlere Präferenz und niedrige Überblick siehe Schmidt-Denter, 2005).
Beachtung). Eine meist kleine Gruppe der umstrittenen In empirischen Untersuchungen wird „Freundschaft“
Kinder vereint mit vielen positiven und vielen negativen in der Regel dadurch erfasst, dass ein Kind (bzw. bei jün-
Nennungen eine hohe Beachtung mit mittlerer Präferenz. geren Kinder seine Bezugsperson) ein anderes Kind als
„Freund“ oder „Freundin“ nominiert und diese Wahl
Beliebtheit als Reputation vom gewählten Kind bestätigt wird. Die Freundesnetze
Zum anderen kann mit Beliebtheit auch eine Reputation von Schulkindern vor der Pubertät sind im Wesentlichen
im Sinne von Popularität („popularity“) gemeint sein, die altershomogen und bestehen überwiegend innerhalb der
dadurch erfasst wird, dass die befragten Kinder angeben sol- eigenen Geschlechtsgruppe (▶ Abschn. 12.4.2). Die er-
len, für wie „popular“ sie die zu beurteilenden Kinder halten lebte Qualität der jeweiligen Freundschaft wird in Stu-
(Schwartz, Hopmeyer Gorman, Nakamoto & McKay, 2006). dien durch Fragebögen erhoben, in denen verschiedene
Funktionen von Beziehungen erfasst werden, wie z. B.
Definition  Zuneigung, Nähe im Sinne von Intimität, instrumentelle
Popularity bezeichnet die innerhalb einer Gruppe Hilfe, emotionale Unterstützung, Geselligkeit, Erhöhung
geteilte Meinung, dass ein Gruppenmitglied Prestige, des Selbstwertes und Arten der Konfliktbewältigung. Von
Sichtbarkeit, einen hohen sozialen Status oder eine Salisch (2000) weist darauf hin, dass ein gerade für jün-
machtvolle Position innerhalb dieser Gruppe erreicht gere Kinder zentraler Aspekt von Freundschaft, nämlich
hat. Spaß haben, in den meisten Instrumenten leider nicht mit
erfasst wird.
288 Kapitel 12 • Gleichaltrige

12.3 Merkmale von Kindern 12.3.2 Beliebtheit als Reputation: Welche


1 und Jugendlichen Kinder und Jugendlichen gelten
mit unterschiedlichem Peer-Status als beliebt?
2
Im Folgenden wird dargestellt, hinsichtlich welcher Merk- Während soziale Akzeptanz in der Peergruppe mit posi-
male sich Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem tivem Sozialverhalten und Leistungsverhalten korreliert
3 Peer-Status unterscheiden, wobei der Fokus auf lern- und ist, scheint Beliebtheit als Reputation, zumindest in der
leistungsbezogenen Variablen liegt. nordamerikanischen Forschung und den dort üblichen
4 Konnotationen des Begriffs „popular“, zum Teil sogar
mit weniger gut angepasstem Verhalten einherzugehen.
12.3.1 Beliebtheit als soziale Akzeptanz:
5 Welche Kinder und Jugendlichen
Es wird berichtet, dass die als „popular“ bezeichneten Ju-
gendlichen ein erhöhtes Maß an (vor allem relationaler)
werden gemocht, welche werden Aggressivität aufweisen (Cillessen & Mayeux, 2004), sich
6 eher abgelehnt? verhältnismäßig früh für Sex und Alkohol interessieren
und eher wenig schulisches Engagement zeigen (zusam-
7 In der Literatur zur sozialen Akzeptanz von Kindern und menfassend Schwartz et al., 2006). In besonderem Maße
Jugendlichen wird recht übereinstimmend berichtet, dass konfligieren Popularität und schulische Leistungen, wenn
beliebte Schülerinnen und Schüler positivere Eigenschaf- die in einem Setting dominierende Peergruppe leistungs-
8 ten aufweisen als weniger beliebte oder abgelehnte Kinder: feindliche Normen vorgibt. In Interviewstudien in den
sie gelten als kooperativ und hilfsbereit, kontaktfreudig, USA zeigte sich, dass diese Situation in den Peergruppen
9 durchsetzungsfähig und mit „Führungsqualitäten“ ausge- schwarzer Jugendlicher deutlich häufiger auftritt als in den
stattet (z. B. Newcomb, Bukowski & Pattee, 1993; zusam- Peergruppen asiatischstämmiger Jugendlicher (Steinberg,
10 menfassend Wentzel, 2005). Dagegen zeigen abgelehnte Dornbusch & Brown, 1992).
Kinder und Jugendliche im Vergleich zu den beliebten Ebenfalls sind alle Konnotationen, die der Begriff des
oder durchschnittlichen Kindern häufiger Verhaltens- „Strebers“ mit sich führt, Hinweise darauf, dass besonders
11 weisen, die es plausibel machen, dass andere Kinder den leistungsmotivierte Schüler und Schülerinnen nicht im-
Kontakt mit ihnen eher meiden: Etwa die Hälfte der ab- mer auch gleichzeitig die beliebtesten Kinder und/ oder
12 gelehnten Kinder zeigt antisoziales, negatives Verhalten, die Kinder mit den meisten Freunden sind. Im Gegenteil
was körperliche Übergriffe auf andere Kinder, Bedrohun- ist der Vorwurf, ein „Streber“ zu sein, deutlich rufschädi-
gen, und Störungen des Unterrichts umfasst („aggressiv- gend (z. B. Bishop et al., 2004; Pelkner & Boehnke, 2003).
13 abgelehnte Kinder“; Newcomb et  al., 1993). Darüber Vor allem ab der Sekundarstufe gelten Schülerinnen und
hinaus erreichen im Klassenverband abgelehnte Kinder Schüler, denen ein besonderes Bemühen um gute Schul-
14 auch überdurchschnittliche Werte auf Skalen, die Rück- leistungen unterstellt wird, als eher unbeliebt (Juvonen &
zug, Depression und Ängstlichkeit messen („submissiv- Murdock, 1995).
15 abgelehnte Kinder“; Cillessen et al, 1992; Parkhurst & Diese jugendspezifischen Normen sind nicht ohne Fol-
Asher, 1992). gen für das leistungsbezogene Verhalten von Schülern. Eine
Werden die Schulleistungen und andere schulnahe experimentelle Studie (Kessels, Warner, Holle & Hanno-
16 Variablen betrachtet, so wird deutlich, dass die Akzep- ver, 2008) konnte zeigen, dass Jugendliche im Beisein ihrer
tanz im Klassenverband in der Regel positiv mit schuli- Peers unter bestimmten Bedingungen das Ausmaß an schu-
17 schem Erfolg korreliert ist (zusammenfassend Wentzel, lischem Engagement herunterspielten (▶ Exkurs „Wer Physik
2005). Vor allem finden sich konsistente Befunde, nach mag, ist unbeliebt“). Dabei wurde folgendermaßen vorge-
denen abgelehnte Kinder schlechtere Schulleistungen zei- gangen: Nach einem Leistungstest wurde Jugendlichen im
18 gen als nicht abgelehnte Kinder (Hatzichristou & Hopf, Beisein ihrer Peers falsches Leistungsfeedback gegeben.
1996; Newcomb at al., 1993). Sie wiederholen häufiger Variiert wurde, ob bei diesem sehr positiven Leistungsfeed-
19 eine Klasse und verlassen häufiger vorzeitig die Schule back („Du hast sehr vieles richtig; du hast die Aufgaben
als andere Kinder. Eine Untersuchung von Ollendick, sehr gut und sehr clever gelöst“) dem Feedback-Empfänger
20 Weist, Borden und Greene (1992) zeigte, dass ein Drittel im Beisein von Klassenkameraden gleichzeitig eine beson-
der abgelehnten und ein Viertel der umstrittenen Kinder dere Nähe zur Lehrkraft unterstellt wurde („Du bist sicher
innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren mindestens ein Schüler, auf den deine Lehrer richtig stolz sind“) oder
21 einmal sitzen blieb. nicht. Direkt anschließend wurde die Frage gestellt, wie
viel Zeit sie jeden Tag mit ihren Hausaufgaben verbringen;
22 auch die Antwort auf diese Frage war für die anwesenden
Klassenkameraden zu hören. Erwartungsgemäß gaben die
12.3  •  Merkmale von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichem Peer-Status
289 12

Exkurs  |       | 

Wer Physik mag, ist unbeliebt


Es scheint für die Art der Beziehung Physik als Lieblingsfach haben, unter rinnen und Mitschülern zugeschrieben,
zwischen schulischem Engagement und deutschen und holländischen Jugend- vor allem beim anderen Geschlecht wenig
Beliebtheit auch eine Rolle zu spielen, lichen als deutlich weniger beliebt und angesehen zu sein, wie eine Studie von
in welchen Fächern sich Jugendliche schlechter integriert als Schülerinnen Kessels (2005) mit Neuntklässlern zeigte.
stark engagieren und ob die gezeigten und Schüler, die die Fächer Deutsch oder Weiter ergab die Studie, dass auch die
Leistungen in Übereinstimmung mit ge- Englisch bevorzugen (Hannover & Kessels, Mädchen selbst, die gute oder sehr gute
schlechtsrollenkonformen Erwartungen 2004; Taconis & Kessels, in press). Darüber Physiknoten hatten, sich von den Jungen
stehen. Beispielsweise gelten Schülerin- hinaus wird Mädchen, die in Physik die in ihrer Klasse am stärksten abgelehnt
nen und Schüler, die Mathematik oder Klassenbesten sind, von ihren Mitschüle- fühlten.

Jugendlichen nach der Unterstellung einer großen Nähe zur lagged-panel-Analyse von Petillon (1993), dass dieje-
Lehrkraft an, weniger Hausaufgaben zu machen. nigen Kinder, die zu Beginn der Schule nach Ansicht
ihrer Lehrkräfte besonders gute Leistungen zeigten,
am Ende der zweiten Klasse als Sitznachbarn beson-
12.3.3 Ursachen für die positiven ders begehrt waren. Allerdings stellt sich hier die
Korrelationen zwischen sozialer Frage, inwiefern die Bevorzugung als Sitznachbar
Akzeptanz und Schulleistungen tatsächlich das Gemochtwerden abbildet und sich die
befragten Kinder nicht schlicht unterrichtsbezogene
Warum zeigen sozial akzeptierte Schülerinnen und Schüler Vorteile vom Sitzen neben guten Schülerinnen und
bessere Leistungen als abgelehnte Kinder? Verschiedene Schülern versprachen.
Erklärungen für diesen Zusammenhang sind denkbar und Hinweise auf reziproke Einflüsse bei der Beziehung
aufgrund vorliegender Forschungsergebnisse plausibel. von Peer-Status und Schulleistungen gab eine Studie
1. Es wäre möglich, dass soziale Akzeptanz und Schul- von Chen, Rubin, und Li (1997) mit chinesischen Kin-
leistungen kausal verknüpft sind. Sollte ein kausaler dern (unter denen möglicherweise gute Schulleistun-
Zusammenhang bestehen, sind zwei Varianten der gen angesehener sind als bei US-amerikanischen oder
Verknüpfung denkbar: soziale Akzeptanz könnte zu deutschen Schulkindern, vgl. Steinberg et al., 1992).
guten Schulleistungen führen, und/ oder gute Schul- Positive Peer-Beziehungen trugen zu besseren Schul-
leistungen könnten zu höherer sozialer Akzeptanz leistungen zwei Jahre später bei, und Schulleistungen
führen. hatten ihrerseits einen Einfluss auf den Peer-Status zwei
Längsschnittstudien haben vor allem für die Phase des Jahre später (jeweils unter Kontrolle der Ausgangs-
Schuleinstiegs zeigen können, dass die Akzeptanz in werte).
der Peergruppe prädiktiv für schulisches Engagement 2. Es wäre möglich, dass die Kovariation zwischen aka-
und gute Schulleistungen war, wohingegen erfahrene demischen Leistungen und Peer-Akzeptanz nicht auf
Ablehnung im Klassenverband bei den betroffenen einer kausalen Verknüpfung dieser beiden Variablen
Kindern dazu führte, dass die Schulleistungen schlech- basiert, sondern sich daraus ergibt, dass andere Varia-
ter wurden (Ladd, Kochenderfer & Colemann, 1997). blen (sogenannte Drittvariablen) diese beiden Berei-
Über den Schulbeginn hinausgehend konnte die For- che ihrerseits beeinflussen. Crick und Dodge (1994)
schung jedoch in der Regel keinen direkten Einfluss zeigten beispielsweise, dass die Fähigkeiten, sich Ziele
von Peer-Ablehnung auf nachfolgende Schulleistungen zu setzen, eigene Emotionen zu regulieren und eigenes
nachweisen. Allerdings verweist eine Längsschnittstu- Verhalten zu überwachen („self-monitoring“), Leistun-
die von De Rosier, Kupersmidt und Patterson (1994) gen angemessen zu attribuieren und Ziel-Mittel-Ana-
von der zweiten bis fünften Jahrgangsstufe darauf, dass lysen vorzunehmen, dazu beitragen, sich in sozialen
in der Schule erfahrene Ablehnung dazu führt, dass und akademischen Domänen planvoll und strategisch
Kinder versuchen, dieser unangenehmen Erfahrung zu verhalten.
möglichst zu entgehen: Abgelehnte Kinder hatten im 3. Es wäre auch möglich, dass positive Peer-Beziehun-
vierten Jahr der Untersuchung signifikant mehr Fehl- gen „Gelegenheitsstrukturen“ beim Verfolgen von
tage als andere Kinder (bei Kontrolle der Anzahl der leistungsbezogenen Zielen bieten (zusammenfassend
Fehltage zu Beginn der Untersuchung). Wentzel, 2005). Gute Beziehungen zu Klassenkame-
Einzelne Ergebnisse legen dagegen auch die um- raden können dazu beitragen, dass sie einander schul-
gekehrte Wirkrichtung nahe: So zeigte eine Cross- bezogene Werte und Erwartungen kommunizieren,
290 Kapitel 12 • Gleichaltrige

füreinander Modelle erfolgreichen Lernverhaltens sind 12.4.1 Gruppenzugehörigkeit als Teil


1 und einander Rat und praktische Hilfe geben (z. B. Klä- der eigenen Identität:
rung von nicht verstandenen Anweisungen der Lehr- Soziale Identität
2 kraft oder Leihen von Stiften und Papier). Außerdem und Intergruppenbeziehungen
sichern Freunde im Klassenverband die emotionale
Unterstützung und bieten Schutz vor Gewalt und Be- Tajfel und Turner (1985) bezeichnen das Wissen über eigene
3 lästigung (▶ Abschn. 12.6). Gruppenzugehörigkeiten und deren Bewertung sowie die
damit verbundenen Gefühle als die soziale Identität einer
4 Insgesamt stellt sich die Frage, ob der vielfach belegte Person. Ein Beispiel für eine soziale Gruppe sind die Mit-
Zusammenhang zwischen sozialer Akzeptanz im Klas- glieder einer bestimmten Ethnie. Die soziale Identität ist in
5 senverband und individuellen Schulleistungen nicht auch diesem Fall die gemeinsame ethnische Identität (z. B. „Ich
teilweise auf einen methodischen Artefakt zurückgeführt gehöre zur Gruppe der Türken“; kognitive Komponente),
werden kann, der aus der Operationalisierung von sozialer „Ich bin stolz darauf, Türkin zu sein“ (evaluative Kompo-
6 Akzeptanz in den einzelnen Studien resultiert. Wenn zur nente), „Ich fühle mich gut als Türkin“ (emotionale Kom-
Erfassung der Akzeptanz Soziogramme verwendet wer- ponente). Ein anderes Beispiel für eine soziale Gruppe ist
7 den, in denen Kinder angeben, neben wem sie gerne im eine sogenannte Clique. Cliquen sind soziale Netzwerke,
Unterricht sitzen möchten oder mit wem sie eine Schul- in die bestimmte Personen eingebunden und von denen
aufgabe am liebsten bearbeiten würden, kann neben reiner andere ausgeschlossen sind. Sie werden einerseits definiert
8 Sympathie auch das wahrgenommene Leistungsniveau der über ihre Größe (typischerweise drei bis neun Personen)
genannten Kinder ausschlaggebend für die Wahlen sein, und andererseits darüber, dass ihre Mitglieder in der Regel
9 weil die Zusammenarbeit mit guten Schülern besonders untereinander befreundet sind (Gifford-Smith & Brownell,
attraktiv erscheint. In diesem Falle würde sich eine Über- 2003).
10 schätzung des Zusammenhanges zwischen dem Gemocht- Die Mitgliedschaft in einer bestimmten Gruppe (z. B.
werden im Klassenverband und schulischen Leistungen in einer bestimmten Clique in der Schulklasse) ist umso
ergeben. attraktiver, je positiver die Gruppe im sozialen Umfeld be-
11 wertet wird, denn entsprechend positiv sind die Gefühle,
die mit der Mitgliedschaft einhergehen. Diese Tatsache
12 12.4 Beziehungen zwischen Gruppen kann genutzt werden: Die Interessen oder das Engagement
von Gleichaltrigen von Kindern und Jugendlichen für bestimmte Inhaltsdomä-
nen oder Aktivitäten können gesteigert werden, wenn diese
13 Beginnend in der mittleren Kindheit und verstärkt in der mit dem Erwerb der Mitgliedschaft in einer attraktiven so-
Phase der Adoleszenz orientieren sich Kinder bzw. Ju- zialen Gruppe einhergehen. Beispiele sind das Engagement
14 gendliche an sozialen Gruppen. So berichten am Ende in kirchlichen Jugendgruppen oder in politischen Jugend-
der Grundschulzeit die meisten Kinder, dass sie Mitglied organisationen. Allerdings schließt das Wissen über die Zu-
15 einer Freundesgruppe sind, und die meisten Interaktionen gehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (sog. Ingroup) not-
zwischen Gleichaltrigen finden innerhalb solcher sozialer wendigerweise ein, dass man sich von anderen Gruppen, zu
Gruppen Gleichaltriger statt (z. B. Crockett, Losoff, & Pe- denen man nicht selbst gehört, abgrenzt (sog. Outgroup).
16 tersen, 1984). Die Theorie der sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1985)
beschreibt die negative Dynamik, die sich aus der Tatsache
17 Definition  ergibt, dass Menschen dazu neigen, die eigene Gruppe in
Unter einer sozialen Gruppe versteht man zwei oder einem positiv verzerrten und Outgroups in einem negativ
verzerrten Licht zu sehen. Besteht ein Konsens darüber,
18 mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden
als auch von sich selbst als zu derselben Kategorie dass bestimmte Ingroups und Outgroups existieren – z. B.
gehörig wahrgenommen werden: Die Mitglieder wis- dass es innerhalb einer Schulklasse eine Mädchenclique
19 sen um die eigene Gruppenzugehörigkeit (kognitive gibt, die sich vor allem für Mode, Jungs und Disko interes-
Komponente) und dieses Wissen geht mit einer posi- siert und eine Mädchenclique, die es ablehnt, sich hübsch
20 tiven oder negativen Bewertung (evaluative Kom- anzuziehen und den Jungs gefallen zu wollen –, ist die Vor-
ponente) sowie positiven bzw. negativen Gefühlen aussetzung dafür geschaffen, dass sich ihre Mitglieder nicht
(emotionale Komponente) einher. mehr als Individuen (interpersonales Verhalten), sondern
21 vielmehr als Mitglieder der jeweiligen Gruppe zueinander
verhalten (intergruppales Verhalten). Intergruppales Ver-
22 halten ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gruppen sich
untereinander sozial vergleichen mit dem Ziel, positive
12.4  •  Beziehungen zwischen Gruppen von Gleichaltrigen
291 12

soziale Distinktheit zu erreichen, was bedeutet, sich posi- Merkmalen wie z. B. Alter, Bildungsnähe oder Einkommen
tiv von den anderen Gruppen abzuheben (Tajfel & Turner, ähnlich sind. Darüber hinausgehend ziehen Gruppen ty-
1985). Im Ergebnis wird die eigene Gruppe auf- und die pischerweise Personen an, die bestimmte Merkmale mit-
Außengruppe abgewertet. In unserem Beispiel sagen die einander teilen. Z. B. vereint die Laienspielgruppe einer
Mädchen der einen Clique vielleicht, dass die Mädchen der Schule vermutlich Schüler, die relativ extravertiert und
anderen Clique sich nur deshalb nicht für Jungen interes- künstlerisch interessiert sind und weniger Schüler, die ex-
sieren würden, weil sie „alle hässlich und zu dick“ seien, trem schüchtern sind oder sich wesentlich über deviantes
während umgekehrt diese Mädchen entgegnen würden, die Verhalten definieren. Und schließlich sozialisieren sich
anderen interessierten sich ja nur deshalb für Mode und Gruppenmitglieder wechselseitig auf eine solche Weise,
Disko, weil sie „zu dumm“ seien, um durch Leistungen in dass sie sich über die Zeit hinweg in ihren Einstellungen
der Schule Anerkennung zu finden. In pädagogischen Kon- und Verhaltensweisen einander angleichen oder aber sol-
texten können sich solche Intergruppenprozesse als proble- che Mitglieder, die diesen Anpassungsprozess nicht durch-
matisch erweisen, z. B. zu Feindseligkeiten innerhalb einer laufen, aus der Gruppe ausschließen (▶ Abschn. 12.4.3).
Klasse oder Diskriminierung von Schülergruppen führen, Ein weiterer wichtiger Mechanismus, der zu Gruppen-
die gemeinsames Lernen verunmöglichen (▶ Abschn. 12.5). und Freundschafts-Homophilie beiträgt, liegt in der Tatsa-
che begründet, dass Menschen bestrebt sind, die Richtig-
keit ihrer Meinungen oder die Qualität ihrer Fähigkeiten
12.4.2 Gleich und gleich gesellt sich gern: durch soziales Vergleichen mit anderen zu überprüfen:
Homophilie Immer dann, wenn es keine überprüfbaren objektiven Tat-
sachen gibt, anhand derer wir die Angemessenheit unse-
Gruppen von Personen, die häufig miteinander interagie- rer Meinungen oder die Qualität unserer Fähigkeiten ein-
ren, zeichnen sich typischerweise durch eine starke Ho- schätzen können, schauen wir, was andere sagen, tun oder
mogenität hinsichtlich Merkmalen wie Alter, Geschlecht, können. Sind diese anderen derselben Meinung wie wir
Ethnizität, Bildungshintergrund und sozialen Einstellun- oder können sie etwas vergleichbar gut wie wir, so fühlen
gen aus (z. B. Giordana, 2003; Levine & Moreland, 1998). wir uns der Angemessenheit unserer eigenen Überzeugun-
Diese Tendenz zur Homogenität ist nicht spezifisch für das gen und Fähigkeiten versichert (Festinger, 1954). Dabei ist
Kindes- und Jugendalter: Auch bei Erwachsenen ist zu be- nun aber nicht jeder Mensch als Vergleichsperson geeignet:
obachten, dass „gleich und gleich sich gern gesellt“ (Levine Personen, die uns ähnlich sind, sind dazu funktionaler als
& Moreland, 1998). solche, die uns sehr unähnlich sind. Beispielsweise wer-
den Sie Ihre Zeit bei einem Lauf über 200 m weder mit
Definition  der Leistung des aktuellen Weltmeisters noch mit der Ihres
▶ Homophilie bezeichnet allgemein das Phänomen, fünfjährigen Patenkindes vergleichen, um zu beurteilen,
dass Kontakt zwischen ähnlichen Personen wahr- ob Sie einen guten oder schlechten Sprint hingelegt haben,
scheinlicher ist als Kontakt zwischen unähnlichen sondern Sie werden gleichaltrige Personen ähnlicher Kon-
Personen, Gruppen-Homophilie das Phänomen, stitution und Fitness zum Vergleich heranziehen.
dass Mitglieder einer Gruppe einander ähnlicher sind
als Nicht-Gruppenmitglieder und Freundschafts- Homophilie in Bezug auf Geschlecht
Homophilie das Phänomen, dass Menschen auch Besonders deutlich zeigt sich das Phänomen der Freund-
ihre Freunde vorzugsweise unter solchen Personen schafts-Homophilie bei einer Betrachtung der Beziehun-
wählen, die ihnen selbst auf relevanten Merkmalen gen zwischen den Geschlechtern: beginnend im Alter von
ähnlich sind. ungefähr drei Jahren bis zum Ende der mittleren Kindheit
(ca. elf Jahre) spielen Kinder vorzugsweise mit Kindern des
eigenen Geschlechts (Maccoby, 1998). Es können wiederum
Die Gründe für Gruppen-Homophilie sind sowohl in sowohl selektive als auch sozialisatorische Ursachen ausge-
Selektions- als auch in Sozialisationseffekten zu suchen: macht werden. Schon ab der Vorschulzeit versuchen Kinder
Zunächst kommen Menschen am wahrscheinlichsten aktiv herauszufinden, was es bedeutet, ein Mädchen bzw. ein
mit solchen anderen in Kontakt, die ihnen räumlich nah Junge zu sein und sich selbst entsprechend zu verhalten. Sie
sind, sei es aufgrund des Besuches derselben Schule, des sind vor allem daran interessiert zu erfahren, was andere
Wohnens in derselben Straße oder der Zugehörigkeit zum Vertreter des eigenen Geschlechts tun – dies ist z. B. darin
gleichen Sportverein. Da die Verteilung von Personen auf sichtbar, dass sie gleichgeschlechtliche Modelle häufiger und
Schulen, Wohnviertel oder Sportvereine jedoch nicht zu- länger beobachten als gegengeschlechtliche (für einen Über-
fällig, sondern sozial stratifiziert ist, treffen Menschen be- blick siehe Ruble, 1994) und dass sie gleichgeschlechtliche
sonders wahrscheinlich auf andere, die ihnen hinsichtlich Spielpartner gegengeschlechtlichen vorziehen. Die sozialisa-
292 Kapitel 12 • Gleichaltrige

torische Komponente besteht nun darin, dass Mädchen und neuen kulturellen Kontext ist. Diese Entwicklungsaufgaben
1 Jungen in den jeweils geschlechtssegregierten Gruppen un- umfassen z. B. die Entwicklung von Eigenständigkeit oder
terschiedliche „peer cultures“ (Maccoby, 1998) entwickeln von befriedigenden Beziehungen zum anderen Geschlecht
2 und sich somit wechselseitig in verschiedene Richtung so- sowie den Erwerb kulturspezifischen Wissens oder kultur-
zialisieren (für einen Überblick siehe Underwood, 2004): spezifischer Kompetenzen. Vor diesem Hintergrund ist es
So ist das Interaktionsverhalten in Jungengruppen durch bedenklich, dass verschiedene Studien unter Einbezug un-
3 körperliches Kräftemessen gekennzeichnet, z. B. beim Bal- terschiedlicher Länder und ethnischer Gruppen konsistent
gen und in sportlichen Wettkämpfen. Demgegenüber ent- finden, dass Freundschaftsbeziehungen häufiger innerhalb
4 wickeln Mädchen stärker kooperative Interaktionsformen, derselben ethnischen Gruppe entstehen und auch stabiler
z. B. kommunizieren sie stärker sprachlich untereinander über die Zeit sind, als dies für Freundschaften zwischen
5 oder spielen mit verteilten Rollen. Ausgehend von diesen Personen verschiedener ethnischer Herkunft der Fall ist
unterschiedlichen Interaktionsstilen entwickeln sich nach (z. B. Haug, 2003; Lee, Howes & Chamberlain, 2007).
Meinung verschiedener Autoren geschlechtsspezifische For- Aufgrund der Erkenntnisse der Sozialen Identitäts-
6 men von Beziehungsgestaltung, Kompetenzen und Vulne- theorie (Tajfel & Turner, 1985) muss gemutmaßt werden,
rabilitäten (für einen Überblick siehe Underwood, 2007). dass Gruppen- und Freundschafts-Homophilie zu wech-
7 So argumentieren beispielsweise Rose und Rudolph (2006), selseitiger Stereotypenbildung über die jeweilige ethnische
dass Mädchen aufgrund stärkerer Selbstoffenbarung (self- Outgroup beiträgt, die in sozialen Vorurteilen oder sozia-
disclosure) in Freundschaftsbeziehungen, aufgrund einer ler Diskriminierung ihren Ausdruck finden kann. Formen
8 Höherbewertung von Beziehungen und sozialer Eingebun- kooperativen Lernens (▶ Abschn. 12.5) können zu ihrem
denheit und aufgrund stärker empfundener Empathie ge- Abbau beitragen.
9 genüber anderen wahrscheinlicher die Kompetenz erlangen,
intensivere und intime Freundschaften zu entwickeln und
12.4.3 Wie aus sozialen Normen
10 zu bewahren als Jungen, gleichzeitig aber auch anfälliger für
Gruppendruck wird: Konformität
Angst vor sozialer Zurückweisung werden.
Die selbstinitiierte Geschlechtersegregation wird erst
11 mit dem Übergang in die Pubertät, in der (in der Regel) Beziehungen zwischen Gleichaltrigen gehen mit der Ent-
das jeweils andere Geschlecht attraktiv gefunden wird, wicklung eigenständiger sozialer Normen einher, die die
12 aufgegeben. im Elternhaus oder von anderen Erwachsenen kommuni-
zierten Normen ergänzen oder gar ersetzen können.
Homophilie in Bezug auf ethnische
13 oder kulturelle Zugehörigkeit Definition 
Ein weiteres Beispiel für Freundschafts-Homophilie stellen Unter sozialen Normen versteht man von einer
14 die sozialen Beziehungen dar, die zwischen Kindern und Gruppe geteilte Erwartungen darüber, wie sich
Jugendlichen verschiedener ethnischer oder kultureller ihre Mitglieder verhalten sollten. Diese Erwartun-
15 Herkunftsgruppen bestehen. McPherson, Smith-Lovin gen werden in Form von impliziten oder expliziten
und Cook (2001) gehen davon aus, dass Rasse oder Ethnie Regeln kommuniziert, deren Einhaltung belohnt (z. B.
noch stärker als Geschlecht oder Alter Varianz in sozialen dadurch, dass Mitglieder, die den Erwartungen am
16 Netzwerken aufklären. Titzmann, Silbereisen und Schmitt- ehesten entsprechen, den höchsten sozialen Status
Rodermund (2007) verweisen darauf, dass Freundschaf- innerhalb der Gruppe genießen) und deren Nichtbe-
17 ten zwischen Schülerinnen und Schülern mit und ohne achtung sanktioniert wird und zum Ausschluss aus
Migrationshintergrund als ein bedeutsames Kriterium der Gruppe führen kann.
für erfolgreiche Integration interpretiert werden können:
18 Freundschaften über verschiedene ethnische Gruppen
hinweg können zum Abbau von Vorurteilen und sozialer Die Einflussnahme der Gruppe auf jedes einzelne Mitglied
19 Diskriminierung beitragen und auf diese Weise die sozialen kann dabei auf zweierlei Weise geschehen. Informativer
Beziehungen zwischen den Gruppen als solchen sowie den sozialer Einfluss bedeutet, dass die Meinung anderer
20 Zugang von Migranten zu Informationen und Ressourcen Gruppenmitglieder als valider Standard für die Bildung
der Aufnahmegesellschaft verbessern. Interethnischen Kon- der eigenen Meinung übernommen wird. Dieser Einfluss
takten im Jugendalter messen Titzmann et al. (2007) dabei ist besonders stark, wenn
21 eine besondere Bedeutung bei, weil in dieser Lebensphase a) der zu beurteilende Stimulus uneindeutig ist,
Freunde wesentliche Hilfestellung bei der Bewältigung al- b) die anderen Mitglieder als Expertinnen oder Experten
22 tersspezifischer Entwicklungsaufgaben bieten können, die wahrgenommen werden und
Voraussetzung für die erfolgreiche Lebensgestaltung im c) die Person ihre eigene Kompetenz anzweifelt.
12.5  •  Miteinander und voneinander lernen
293 12

Informativer sozialer Einfluss dürfte in Peergruppen Die Verschiedenheit der tatsächlichen Lebenslagen von
in Kindheit und Jugend eine besonders große Rolle spie- Gleichaltrigen wird somit von den Betroffenen unter-
len, da sich Heranwachsende häufig mit Fragen auseinan- schätzt.
dersetzen, auf die es entweder keine eindeutig richtigen
oder falschen Antworten gibt – z. B. weltanschauliche Fra-
gen – oder aber die tabuisiert sind – z. B. auf Sexualität 12.5 Miteinander und voneinander lernen
oder Drogenkonsum bezogene Fragen. Gruppenmitglie-
der, die aufgrund ihres hohen sozialen Status innerhalb Im schulischen Rahmen werden Lernformen, in denen
der Gruppe oder aber auch aufgrund von Vorerfahrun- Kinder und Jugendliche gemeinsam arbeiten, aus verschie-
gen oder eines Altersvorsprungs als Expertinnen bzw. denen Gründen eingesetzt. In diesem Abschnitt werden die
Experten für das jeweilige Thema gelten, wirken somit Auswirkungen kooperativer Lernformen auf das soziale
in besonderem Maße als Quelle sozialen Informations- Lernen dargestellt. Die Wirkung kooperativer Lernum-
einflusses. gebungen auf den Kompetenzerwerb und die Motivation
Von dieser Form sozialer Einflussnahme ist der so- wird im ▶ Kap. 4 behandelt.
genannte normative soziale Einfluss zu unterscheiden,
der aus dem Bestreben entsteht, in der eigenen Gruppe
anerkannt zu sein und nicht ausgeschlossen zu werden. 12.5.1 Überwindung
Weil abweichendes Verhalten in Gruppen in der Regel auf von gruppenbedingten
Ablehnung oder gar Ausgrenzung stößt, passen sich die Feindseligkeiten durch kooperative
Mitglieder der Gruppenmeinung an. Normativer Einfluss Lernformen
ist dann besonders stark, wenn
a) der Person die Gruppenmitgliedschaft sehr wichtig ist, 1954 wurde in den USA die Rassentrennung an Schulen
b) die Gruppe einflussreich ist und die Person glaubt, dass per Gerichtsbeschluss abgeschafft und die Integration von
abweichendes Verhalten negativ sanktioniert würde Schülerinnen und Schülern verschiedener Abstammung
und angestrebt. Allerdings führte die Umsetzung dieses Be-
c) die Gruppe ihre Meinung konsistent äußert. schlusses zu so starken Auseinandersetzungen zwischen
Schülern der verschiedenen Ethnien, dass das Integrati-
Beide Formen der Einflussnahme innerhalb sozialer Grup- onsprogramm fast wieder aufgegeben wurde. In dieser
pen, informative und normative, führen zu Konformität, Situation wurden kooperative Lernformen wie z. B. der
d. h. zum Übereinstimmen des Individuums mit den Nor- Jigsaw-Classroom (deutsch: Gruppenpuzzle) entwickelt,
men der Gruppe. Während sozialer Informationseinfluss die helfen sollten, Feindseligkeiten zwischen Schülergrup-
dabei jedoch typischerweise zu einer tatsächlichen Anpas- pen abzubauen und gemeinsames Lernen im Klassenzim-
sung der eigenen Meinung oder des eigenen Verhaltens an mer zu ermöglichen (Aronson, 2000; Aronson & Patnoe,
die Meinung bzw. das Verhalten der Gruppe führt, kann 1997). Die Schwierigkeiten in den Schulen zeigten, dass
normativer Einfluss auch bewirken, dass zwar öffentlich bloßer Kontakt zwischen Angehörigen einander ablehnen-
den Erwartungen der Gruppe entsprochen wird, die ei- der Gruppen nicht ausreichend ist, um Feindseligkeiten
gene Meinung oder das privat praktizierte Verhalten aber zwischen ihnen zu beseitigen (was Gordon Allport in der
unverändert bleiben. Kontakthypothese zunächst postuliert hatte). Vielmehr
Weil in der Jugendphase die Akzeptanz bei der müssen gemeinsame Ziele induziert werden, deren Ver-
Peergruppe als besonders wichtig empfunden wird, ge- folgung die Grundlage für Kooperation bildet.
hen Heranwachsende oft besonders stark mit den Nor-
men ihrer Cliquen konform, indem sie z. B. ihren Klei- Definition 
dungsstil entsprechend anpassen und bestimmte, gerade Kooperative Aufgaben zeichnen sich dadurch aus,
„angesagte“ Produkte unbedingt auch besitzen möchten. dass sie nur gemeinschaftlich gelöst werden können.
Die Konformität wird dabei noch weiter durch Gruppen- Es entsteht somit positive Interdependenz zwischen
Homophilie verstärkt: Die Gruppenmitglieder werden Personen, nach dem Motto: „Sink or swim together!“
für soziale Vergleiche über die in der Umwelt vertrete- (vgl. Aronson & Patnoe, 1997). Es wird ein gemeinsa-
nen Meinungen oder Verhaltensweisen genutzt, d. h. über mes Gruppenziel definiert und gleichzeitig sicher-
das, was üblich oder „normal“ ist. Die Homogenität der gestellt, dass jedes Gruppenmitglied individuelle
Gruppen begünstigt nun, dass ein selektives und damit Verantwortung für den eigenen Beitrag übernimmt
verzerrtes Bild entsteht, in dem die Mehrheitsmeinung, und auch die Möglichkeit hat, diesen wirkungsvoll zu
das Mehrheitsverhalten oder das, was für die meisten leisten.
Gruppenmitglieder gilt, deutlich überrepräsentiert ist.
294 Kapitel 12 • Gleichaltrige

Aus der Sozialen Identitätstheorie (Tajfel & Turner, 1985; ihre Einstellungen und Verhaltensweisen zu beeinflussen
1 ▶ Abschn. 12.4.1) lässt sich genauer ableiten, auf welche versuchen (Kleiber & Appel, 1999). Die Wirkung dieser
Weise positive Interdependenz zwischen sozialen Gruppen Vorgehensweise liegt vor allem in einem Multiplikato-
2 hergestellt werden kann: Die negative Interdependenz zwi- reneffekt: Weil Peers als „ähnliche andere“ bedeutsame
schen den Gruppen muss dadurch abgeschwächt werden, soziale Vergleichspersonen sind (▶ Abschn. 12.4.2), kön-
dass der instrumentelle Wert sozialer Vergleiche für die nen sie besonders wahrscheinlich auf Einstellungen und
3 soziale Identität verringert wird; also z. B. dadurch, dass Verhaltensweisen Jugendlicher Einfluss nehmen. Kleiber
die Bedeutsamkeit der Ingroup-Outgroup-Kategorisierung und Appel (1999) verweisen auf eine Vielzahl von Studien,
4 reduziert wird. nach denen das primäre Ziel von Peer Education, nämlich
Um Feindseligkeiten zwischen Cliquen, die sich stark die Erhöhung des Wissens bei Adressatinnen und Adres-
5 voneinander abgrenzen, abzubauen, ist es deshalb wichtig, saten, tatsächlich erreicht wird – wenngleich hierbei Peer
jede Kleingruppe, die zusammen eine kooperative Aufgabe Educators nur insofern wirkungsvoller als erwachsene
bearbeitet, heterogen zu besetzen. Bestimmen beispiels- Expertinnen bzw. Experten sind, als sich die Rezipienten
6 weise Konflikte zwischen Cliquen unterschiedlicher Her- wahrscheinlicher mit Fragen an sie wenden. Vermittelt
kunftskulturen oder auch unterschiedlicher „Subkulturen“ darüber sind Peer Educators aber offenbar auch insofern
7 (wie „Gamer“ oder „Rapper“, „Prolls“ oder „Bonzen“) das besonders effektiv, als sie die Kommunikationskompetenz
Klassengeschehen, so ist die Einführung kooperativer Jugendlicher zum jeweiligen Thema besser fördern kön-
Lernformen, in denen Angehörige der verschiedenen nen (z. B. über die Verwendung von Kontrazeptiva). We-
8 Cliquen zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbei- niger eindeutig ist laut Kleiber und Appel (1999) hingegen
ten, sehr sinnvoll. Entscheidend ist, dass eine kooperative die Befundlage betreffend tatsächlicher Einstellungs- und
9 Lernaufgabe gefunden wird, die Verhaltensänderungen; hierzu liegen sowohl Studien vor,
a) nur durch den Beitrag aller gemeinschaftlich gelöst die eine besondere Wirksamkeit von Peer Educators nach-
10 werden kann und weisen als auch solche, in denen dies nicht gezeigt werden
b) die unterschiedlichen Vorerfahrungen und Kennt- konnte.
nisse der unterschiedlichen Gruppenmitglieder nutzt
11 – durch die so erfolgende Erweiterung der Vergleichs-
dimensionen zwischen den verschiedenen beteiligten 12.6 Problematische Interaktionen
12 sozialen Gruppen/Cliquen ergibt sich für jede von ih- unter Gleichaltrigen: Aggression
nen positive Distinktheit. und Bullying
13 Verschiedene Studien zeigen, dass durch solche Formen Auch wenn für die meisten Schüler die Schule positiv be-
kooperativen Lernens in heterogenen Kleingruppen nicht setzt ist, weil sie dort ihre Freunde und Klassenkameraden
14 nur Wissensinhalte besonders wirkungsvoll vermittelt treffen, gibt es doch häufig auch sehr problematische In-
werden, sondern mittelfristig auch prosoziales Verhalten teraktionen unter Gleichaltrigen, die den Schulbesuch für
15 und Sympathie zwischen sozialen Gruppen (z. B. Aronson, etliche Kinder und Jugendliche in erster Linie angstbesetzt
& Patnoe, 1997; Borsch, Jürgen-Lohmann & Giesen, 2002) und qualvoll werden lassen. Im folgenden Abschnitt wird
und die soziale Selbstwirksamkeit der Schülerinnen und aggressives Verhalten unter Kindern und Jugendlichen,
16 Schüler (Drössler, Jerusalem & Mittag, 2007) gesteigert vor allem das so genannte Bullying, behandelt. Auf Defi-
werden können. nitionen von Aggression und Bullying folgt die Darstellung
17 zweier Blickrichtungen auf die Problematik des aggressi-
ven Verhaltens im Klassenzimmer. Zuerst werden Theo-
12.5.2 Peer Educator als Wissenvermittler rien und Befunde zu den Merkmalen aggressiver Kinder
18 vorgestellt, die vor allem deren spezifische Defizite in der
Unter bestimmten Umständen können Gleichaltrige sozialen Informationsverarbeitung beschreiben. Darauf
19 besonders wirkungsvolle Lehrende sein, nämlich dann, folgt die Konzeptualisierung von Bullying als komplexes
wenn es sich um altersspezifische Themen oder Erfah- soziales Geschehen, an dem zahlreiche Mitglieder einer
20 rungsbereiche handelt. Hinter dem Begriff Peer Education Klasse in verschiedenen Rollen beteiligt sind. Schließlich
verbirgt sich die Idee, dass eigens trainierte Jugendliche werden Maßnahmen vorgestellt, die auf Prävention und/
(sog. Peer Educators) eine Gruppe Gleichaltrige (z. B. oder Eindämmung von Aggression und Bullying im Schul-
21 Schulklasse, Besucher einer Jugendfreizeiteinrichtung) kontext abzielen (▶ Kap. 18).
über ein altersspezifisch relevantes Thema (z. B. Empfäng-
22 nisverhütung, Drogen, Streitschlichtung) informieren und
295 12
12.6.1 Aggression und Bullying Definition 
Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten gefasst,
bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt
Definition  und über einen längeren Zeitraum den schädigenden
Aggression/aggressives Verhalten werden definiert Handlungen von Mitschülern ausgesetzt ist (Olweus,
als zielgerichtetes Verhalten mit Schädigungsabsicht. 2002). Kennzeichnend ist dabei ein Ungleichgewicht
Jede Handlung, die mit der Absicht ausgeführt wird, der (physischen oder psychischen oder sozialen)
eine andere Person zu schädigen oder zu verlet- Kräfte von Täter/n und Opfer. Smith und Sharp (1994)
zen, die ihrerseits versucht, dieser Schädigung zu stellen als zentrales Merkmal von Bullying den „syste-
entgehen, wird als Aggression/ aggressives Verhalten matischen Missbrauch von Macht“ heraus.
bezeichnet. Es werden drei Arten von Bullying unterschieden,
In der Literatur finden sich unterschiedliche die alleine oder als Mischform ausgeübt werden kön-
Kategorisierungen der verschiedenen Formen, die nen (Scheithauer, Hayer & Petermann, 2003):
aggressives Verhalten annehmen kann. So wird bei- 1. physisches Bullying

-
spielsweise unterschieden zwischen 2. verbales Bullying
proaktiver und reaktiver Aggression; diese 3. relationales Bullying (rufschädigendes Ver-
Unterscheidung bezieht sich auf die Initiierung halten dem Opfer gegenüber, z. B. Gerüchte
von aggressivem Verhalten (aus eigenem Antrieb und Verleumdungen in Umlauf bringen,
heraus versus ärgerlich/ defensiv auf eine Frustra- Ausgrenzung, Manipulation des Umfeldes).

-
tion oder Provokation reagierend). Eine neuere Form des Bullying stützt sich auf die
instrumenteller und feindseliger Aggression; modernen Kommunikationsmedien: Cyberbullying
in dieser Unterscheidung wird auf das Motiv der oder electronic bullying nutzt E-Mail, Chatrooms
aggressiven Handlung rekurriert (ein bestimmtes und Handys bei der gezielten Schädigung der Opfer
Ziel erreichen wollen versus impulsiv/ ärgerbe- (Kowalski & Limber, 2007; Li, 2007).

-
dingt handeln).
direkter und indirekter Aggression; bei indi-
rekter Aggression weiß das Opfer nicht, wer der Physisches Bullying wird fast ausschließlich von Jungen

- ausgeübt, relationales Bullying, das deutlich subtiler abläuft


Täter ist.
physischer, verbaler und relationaler (sozia- und damit auch oft schwerer zu erfassen ist, von Jungen
ler) Aggression; physische Aggression umfasst und Mädchen (Scheithauer et al., 2003).
körperliche Schädigungen jeder Art, verbale Durchschnittlich werden in deutschen Schulen zwi-
Aggression umfasst z. B. Verspotten, Beleidigen schen fünf und elf Prozent der Schülerinnen und Schüler
und soziale/ relationale Aggression ist definiert mindestens einmal pro Woche Opfer von Bullying. Zwi-
als Verhalten, das darauf zielt, die Beziehung einer schen fünf und neun Prozent der Schülerinnen und Schü-
Person zu ihren Peers zu beschädigen und/ oder ler nehmen regelmäßig die Rolle des Bullys wahr. Dabei
ihr soziales Zugehörigkeitsgefühl und Akzeptiert- gibt es zwischen einzelnen Klassen und Schulen erhebliche
sein zu verletzen. Schwankungen (Scheithauer, Hayer & Bull, 2007).
Aggressivität wird definiert als die relativ überdau- Auch wenn sowohl Opfer als auch Täter beim Bullying
ernde Bereitschaft einer Person, sich in unterschied- keinesfalls eine homogene Gruppe sind, haben Scheithauer
lichen Situationen aggressiv zu verhalten (Personen- und Kollegen (2003) typische Opfer- und Täter-Merkmale
merkmal). („Warnsignale“) aus der Literatur herausgefiltert, bei de-
ren Auftreten Eltern und Lehrkräfte überprüfen sollten, ob
möglicherweise Bullying vorliegt. So haben Bullying-Opfer
Im Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler und beispielsweise häufig Angst vor dem Schulbesuch, wenige
auch der erwachsenen Laien in Deutschland hat sich der oder keine Freunde, sind sozial zurückgezogen, beklagen
Begriff Bullying (noch) nicht eingebürgert; hier heißt es den Verlust von Dingen, weisen (kleinere) Verletzungen
meistens – wie in der Arbeitswelt – Mobbing. („Bully“ auf, haben Schlafstörungen, sind häufig niedergeschla-
klingt für deutsche Ohren ja auch eher nach sympathi- gen und ängstlich und weigern sich, über diese Situation
schem altem VW-Bus und überhaupt nicht nach „bruta- oder die eigenen Sorgen zu sprechen. Täter im Bullying-
lem Kerl“, was dieses Wort im Englischen bedeutet.) Die Geschehen dagegen seien häufig körperlich stark, impulsiv,
angelsächsisch geprägte Wissenschaftssprache hat aber den gegenüber Erwachsenen vorlaut und aggressiv und zeigen
Begriff Bullying übernommen. verschiedene Formen dissozialen Verhaltens.
296 Kapitel 12 • Gleichaltrige

12.6.2 Fokus: Spezifische Defizite prominente Rolle spielt in dieser Phase das Ziel, die
1 aggressiver Kinder in der sozialen eigene Erregung und Anspannung „irgendwie“ zu ver-
Informationsverarbeitung mindern. Verfolgt das besudelte Kind dagegen das Ziel,
2 Lukas zu trösten und zu erfahren, was er ihm erzählen
Ein sehr einflussreiches Modell der Beschreibung von ag- wollte, werden Verhaltensweisen wahrscheinlicher, die
gressivem Verhalten bei Kindern und Jugendlichen stammt diese Situation friedlich verlaufen lassen.
3 von Dodge und Crick (Dodge, 1986; Crick & Dodge, 1994; 4. Zugang zu Reaktionen/Konstruktion von (neuen) Re-
Crick & Dodge, 1996). Im so genannten SIP-Modell (so- aktionen: Es wird angenommen, dass nach der menta-
4 cial information processing model) werden sechs Phasen len Abbildung der Situation und der Auswahl eines zu
der sozialen Informationsverarbeitung unterschieden, die verfolgenden Zieles das Kind nun das Repertoire der
5 Menschen durchlaufen, bevor sie in einer sozialen Situa- ihm bekannten und möglichen Reaktionen durchgeht,
tion reagieren. Aggressive Kinder, so die These von Crick bevor es eine auswählt und ausführt. Aus wie vielen
und Dodge (1994), zeigen in allen Phasen des Modells spe- verschiedenen möglichen Reaktionsweisen ein Kind
6 zifische Tendenzen, die aggressives oder feindseliges Ver- auswählen kann, wie diese möglichen Reaktionen im
halten wahrscheinlicher machen als es normalerweise der Einzelnen aussehen und in welcher Reihenfolge dem
7 Fall ist. Im Folgenden werden kurz die einzelnen Phasen Kind die möglichen Reaktionen in den Sinn kommen,
beschrieben. Dabei wird jeweils verdeutlicht, auf welche ist für den weiteren Verlauf der Interaktion ganz ent-
Weise einer (unangemessenen) aggressiven Reaktion der scheidend. Aggressiven Kindern fallen offenbar als
8 Weg gebahnt werden kann (. Abb. 12.2). Erstes feindselige und aggressive Reaktionen ein (weil
1. Enkodierung der Hinweisreize: Welche sozialen Hin- positivere Reaktionen gar nicht gelernt wurden oder
9 weisreize werden in einer sozialen Situation überhaupt in der Vergangenheit keinen Erfolg zeigten oder durch
wahrgenommen und enkodiert? Es wird angenommen, seltene Ausführung wenig zugänglich sind). Eine „ty-
10 dass aggressive Kinder eine selektive Wahrnehmung pische“ und damit hoch zugängliche Reaktion für ein
aufweisen, aufgrund derer sie ihre Aufmerksamkeit vor aggressives Kind wäre beispielsweise, besagtem Lukas
allem auf solche Aspekte einer sozialen Situation len- nach seinem Missgeschick einen gezielten Kinnhaken
11 ken, die sich als feindselig oder negativ deuten lassen zu verpassen, wohingegen ein wenig aggressives Kind
(z. B. „Lukas stürzt auf mich zu und kippt mir seinen darin geübter ist, mit einem kleinen freundlichen Witz
12 Saft über die Hose“), wohingegen jene Aspekte der glei- die Spannung aus der Situation zu nehmen („Woher
chen Situation, die freundlich oder allgemein positiv wusstest du, dass ich auch Saft wollte?“).
sind, weniger wahrscheinlich wahrgenommen und en- 5. Entscheidung für eine Reaktion: Für welche der mög-
13 kodiert werden (z. B. „Lukas nähert sich mir lächelnd lichen Reaktionen sich das Kind entscheidet, hängt von
mit seinem Saftglas in der Hand, mit den Worten ‚Du, seiner Bewertung dieser Reaktionen ab („Ist es in Ord-
14 ich muss dir was erzählen‘.“). nung, jemanden zu schlagen?“), von seinen Erwartun-
2. Interpretation der Hinweisreize: Die Deutung des je- gen, was nach der von ihm gezeigten Reaktion dann
15 weils Wahrgenommenen ist ein komplexer, mehrere wohl weiter passieren wird (Ergebniserwartungen) und
Schritte umfassender Prozess, bei dem Kinder mit ei- der Einschätzung seiner eigenen Selbstwirksamkeit,
ner aggressiven „Voreinstellung“ mit größerer Wahr- also ob sich das Kind in der Lage fühlt, die jeweilige
16 scheinlichkeit zu Interpretationen gelangen, die die Reaktion selbst erfolgreich durchzuführen.
erlebte Situation als feindselig und negativ erscheinen 6. Ausführung des Verhaltens: In Folge der Phasen 1 bis
17 lassen. Dies kann zum Beispiel durch bestimmte Attri- 5 wird nun das gewählte Verhalten ausgeführt. Damit
butionen der Handlungen und Absichten der anderen ist die soziale Interaktion nicht abgeschlossen, son-
geschehen („Lukas hat mir mit Absicht seinen Saft über dern führt zur Bewertung und zu Reaktionen seitens
18 die Hose gekippt“). Eine Deutung, die dieser gleichen der Peers, die wiederum als neue Hinweisreize die
Situation jede aggressive Note nimmt, wäre beispiels- „Phase 1“ einleiten.
19 weise „Der arme Lukas ist immer so ungeschickt, das
wollte er natürlich nicht“. Wichtig ist, dass es in allen Phasen des Prozesses der sozi-
20 3. Klärung der eigenen Ziele in der jeweiligen Situation: alen Informationsverarbeitung zu einer Rückkopplung mit
Es wird angenommen, dass das Kind, das in unserem den zurückliegenden Erfahrungen des Kindes kommt, die
Beispiel den Saft abbekommen hat, für die jeweilige es in seinem Gedächtnis abgespeichert hat (in . Abb. 12.2
21 Situation ein bevorzugtes Ergebnis wählt, ein Ziel ist dies mit „Datenbasis“ bezeichnet). Aus den eigenen
verfolgt. Ein Ziel, das wahrscheinlich zur Eskalation Erfahrungen generierte und abgespeicherte Schemata
22 führt, könnte hier lauten „Ich will jetzt mal klarstellen, und Skripte beeinflussen jeweils, wie neue Hinweisreize
dass mir keiner ungestraft Saft überkippen darf “. Eine wahrgenommen werden, wie sie interpretiert werden und
12.6  •  Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: Aggression und Bullying
297 12

.. Abb. 12.2  Modell der sozialen Informationsverarbeitung bei Kindern. (Nach Crick, N. R & Dodge, K. A. (1994). A Review and Reformulation of
Social Information-Processing Mechanisms in Children’s Social Adjustment. Psychological Bulletin, 115, 74–101. Adapted with permission of the
American Psychological Association.)

welche Reaktionsmöglichkeiten dem Kind „in den Sinn rinnen und Schüler einnehmen beziehungsweise die ihnen
kommen“. zugeschrieben werden. Salmivalli, Lagerspetz, Björkqvist,
Crick und Dodge (1994) berichten zahlreiche Belege, Österman und Kaukiainen (1996) haben daraus den Par-
nach denen aggressive und/ oder abgelehnte Kinder in ticipant Role Ansatz entwickelt, mit dem sie die verschie-
den einzelnen Phasen des Modells spezifische Wahrneh- denen Rollen der am Bullying direkt oder indirekt Betei-
mungs-, Interpretations- und Reaktionsroutinen zeigen, ligten beschrieben haben. Erfasst werden diese Rollen mit
die ihren aggressiven Verhaltensweisen vorangehen. der 50 Items umfassenden Participant Role Scale. In ihrer
Studie konnten 87 % der untersuchten 573 Sechstklässler
als eine der folgenden Rollen einnehmend charakterisiert
12.6.3 Fokus: Bullying als soziales werden: 8 % wurden als aktiv, initiativ und anführend beim
Geschehen im Klassenkontext Bullying beschrieben (ringleader bully). 12 % wurden die
Rolle des Opfers (victim) zugeschrieben (dies wurde – ohne
Eine erweiterte Sicht auf Aggression im Klassenkontext Einsatz der Participant Role Scale - darüber erfragt, welche
fokussiert weniger auf bestimmte Merkmale der einzelnen Kinder in der Regel die Opferrolle einnehmen). 7 % wur-
Täter und der jeweiligen Opfer, sondern versteht Bullying den als Assistenten des Bullys bezeichnet (assistant bully),
als ein gruppendynamisches Geschehen, an dem so gut die ebenfalls aktiv am Bullying beteiligt sind, dabei aber
wie alle Mitglieder der Klasse oder Schule auf die eine oder nicht die Führungsrolle einnehmen, sondern den Bully
andere Art beteiligt sind. So haben Lagerspetz, Björkqvist, unterstützen und ihm zuarbeiten, beispielsweise das Opfer
Berts und King (1982) betont, dass Bullying unter Schul- festhalten. 20 % der Kinder einer Klasse nahmen jeweils die
kindern ein kollektives Geschehen ist, das auf sozialen Rolle von Verstärkern (reinforcer) ein, die dem Bully ein
Beziehungen und Rollen basiert, die die einzelnen Schüle- interessiertes Publikum sind, ihn zuweilen anstiften und
298 Kapitel 12 • Gleichaltrige

durch Anerkennung und Lachen verstärken. 17 % wurden Sutton und Kollegen formulierten die These, dass viele der
1 als Verteidiger (defender) klassifiziert, die das Opfer unter- Bullys im Gegenteil auch über ausgeprägte Fähigkeiten im
stützen und trösten und versuchen, die Bullys und Assis- sozialen Bereich verfügen können, die sie in „machiavellis-
2 tenten daran zu hindern, es zu drangsalieren. 24 % wurden tischer“ Manier zur Herstellung und Aufrechterhaltung der
als Außenstehende (outsider) klassifiziert, die sich in keiner eigenen machtvollen Position und zum Durchsetzen egois-
Weise an der Bullying Situation beteiligen und „nichts tun“. tischer Ziele nutzen. Denn gerade indirekte und relationale
3 Eine deutsche Untersuchung von Schäfer und Korn (2004) Aggression könne nur dann zum Erfolg führen, wenn ein
bestätigte diese Rollen für ein Sample von vier Hauptschul- Großteil des sozialen Umfeldes so manipuliert wird, dass
4 klassen, auch wenn die Verteilung auf einige Rollen etwas es dabei mitmacht, also beispielsweise Gerüchte glaubt und
anders war (weniger Verstärker, mehr Assistenten). weiter verbreitet, Personen tatsächlich ausschließt usw. Zur
5 Als besonders relevant ist hier die Erweiterung des Initiierung und Steuerung eines solchen Prozesses sei ein
Blickwinkels auf die nicht unmittelbar an der Bullying- erhebliches Maß an sozialen Kompetenzen nötig. Empi-
situation beteiligten Schülerinnen und Schüler hervorzu- risch bestätigte sich, dass bei einem Test, der anhand vom
6 heben. Schließlich wären sie in der Lage, dem Opfer zu Verständnis von Kurzgeschichten die Fähigkeiten in so-
Hilfe zu kommen – oft wird dies aber unterlassen. Aus der zialer Kognition maß (Verständnis der vermutlichen Ge-
7 sozialpsychologischen Forschung zum sogenannten By- danken und vermutlichen Gefühle anderer Personen), die
stander-Effekt ist bekannt, welche Umstände dazu führen, ringleader bullies signifikant besser abschnitten als Opfer,
dass Personen in Situationen, in denen jemand anderes be- Verteidiger oder Assistenten (Sutton et al., 1999b).
8 droht wird, lediglich zuschauen, statt helfend einzugreifen. Auch wenn dieses einzelne Ergebnis nicht überbewer-
Dieser Effekt ist sogar umso stärker, je mehr andere bystan- tet werden sollte, machen Sutton und Kollegen (2001) doch
9 der anwesend sind: dann nimmt das Gefühl, persönlich zurecht auf die Gefahr aufmerksam, den Bully zu „patholo-
für den Verlauf der Situation verantwortlich zu sein, ab gisieren“, weil dies zu einer einseitigen Defizitzuschreibung
10 (Verantwortungsdiffusion), weil man das Nichteingrei- und damit zu einer Art Betriebsblindheit im Umgang mit
fen der anderen Anwesenden als Hinweis darauf wertet, dem Problem führen würde, die das soziale Umfeld und
dass keine wirkliche Notsituation vorliegt (pluralistische die dort herrschenden Normen zu wenig berücksichtigt.
11 Ignoranz), und weil man sich vor den anderen als einzig Alsaker (2003) betont, dass nur dann Erfolge in der Bully-
Eingreifender nicht blamieren möchte (Darley & Lantané, ing Prävention und Bekämpfung zu erwarten sind, wenn
12 1968). Ein Interventionsprogramm, das sich auch auf das Bullying im Klassenkontext nicht zur Anerkennung, son-
Verhalten der Bystander beim Bullying bezieht, wird im dern zur Ächtung der Täter führen würde.
nächsten Abschnitt vorgestellt.
13 Dass Bullying auch die Funktion der Festlegung und
Stabilisierung von Hierarchien innerhalb der Gruppe hat, 12.6.4 Maßnahmen gegen Aggression
14 wird beispielsweise durch eine Untersuchung nahe gelegt, und Bullying an Schulen: Prävention
die zeigen konnte, dass Jungen nach dem Übergang von und Intervention
15 der Grundschule in die weiterführende Schule in ihrer
Psychotherapeutische Interventionen
neuen Klasse zu Beginn des Jahres zunächst mehr Bullying
zeigten, gegen Ende des Schuljahres entsprechendes Ver- Fundierte verhaltenstherapeutische Interventionen, die
16 halten aber wieder zurückging (Pellegrini & Bartini, 2001). an den spezifischen Defiziten aggressiver Kinder und Ju-
Die Autoren vermuten, dass dies damit zusammenhängt, gendlichen ansetzen und sich damit auf die Grundlagen
17 dass sich im Laufe des ersten Jahres Dominanzstrukturen des SIP-Modells von Crick und Dodge (1994) beziehen,
etabliert hatten, die dann nicht mehr permanent ausgehan- stammen in Deutschland vor allem von Petermann und
delt werden mussten. Petermann (z. B. 2005). Die für aggressive Kinder typi-
18 Dass Bullys ausschließlich als proaktiv aggressive Kin- schen „Fehler“ in den einzelnen Phasen der sozialen In-
der mit den von Crick und Dodge (1994) beschriebenen formationsverarbeitung werden in diesen Trainings gezielt
19 spezifischen Defiziten in der sozialen Informationsver- bearbeitet, indem die Selbst- und Fremdwahrnehmung
arbeitung anzusehen sind, wurde von Sutton, Smith und geschult werden, neue Problemsichtweisen vermittelt und
20 Swettenham (z. B. 1999a, 1999b, 2001) hinterfragt. Das neue Reaktionen in Rollenspielen umgesetzt und geübt
durch die Literatur transportierte Stereotyp vom Bully als werden. Sowohl gewaltfreie Selbstbehauptung wie auch
körperlich starkem, aber wenig intelligentem „Trottel“, der Einfühlungsvermögen und kooperatives Verhalten werden
21 Gewalt anwendet, weil er sich nicht anders zu helfen weiß, eingeübt. Eingeleitet werden die Übungen meist durch eine
sei empirisch nicht haltbar; vor allem nicht, wenn neben bildgeleitete Kurzentspannung, um die motorische Unruhe
22 der physischen Aggression auch andere Formen von in- der Kinder zu lindern. Für eine detaillierte Darstellung
direkter oder relationaler Aggression betrachtet werden. der Trainings sei auf die zahlreichen, ständig aktualisier-
12.6  •  Problematische Interaktionen unter Gleichaltrigen: Aggression und Bullying
299 12

ten Buchpublikationen der Autor/innen verwiesen. Diese Dieses Programm wird in 14–16 Schuldoppelstunden von
Trainings wenden sich an die Gruppe der aggressiven Kin- Lehrkräften durchgeführt, die zuvor an einer entsprechen-
der und werden in Einzel- und Gruppensitzungen durch den Lehrerfortbildung teilgenommen haben. In mehreren
ausgebildete Psychotherapeuten durchgeführt (▶ Kap. 18). Wochen werden strukturierte Rollenspiele durchgeführt
und moralische Dilemma-Diskussionen durchgeführt so-
Interventions- und Präventionsprogramme wie mit Modelllernen, Verstärkung und Verhaltensrück-
bei Bullying, die am System Klasse und meldung gearbeitet.
Schule ansetzen Auch die Schulämter der einzelnen Länder erstellen
Als sich Anfang der 80er Jahre drei norwegische Schüler Handreichungen zur Thematik, die Empfehlungen an
das Leben nahmen, weil sie die Schikanen durch Mit- Lehrkräfte darstellen, wie sie in ihrer Schule gegen Bullying
schüler nicht mehr ertragen konnten, startete dort eine vorgehen können (z. B. die Berliner Anti-Mobbing-Fibel
landesweite Kampagne gegen Bullying. Im Zentrum der von Taglieber, 2005). Dies verdeutlicht, dass der profes-
Kampagne stand das von Dan Olweus (2002; neueste deut- sionelle Umgang mit aggressiven Peer-Interaktionen in
sche Auflage) entwickelte Bullying Prevention Program, den vergangenen Jahren als eine wichtige und originäre
das inzwischen in vielen anderen Ländern durchgeführt Aufgabe von Lehrkräften zunehmend in den Blickpunkt
wird. Es setzt an allen drei am Bullying beteiligten Ebenen gerückt ist.
an: Schulebene, Klassenebene und Individualebene. Ein
wichtiger Bestandteil des Programms ist die anfängliche
Fazit
Erhebung des tatsächlichen Auftretens von Bullying in der
In diesem Kapitel haben wir uns mit der Funktion
einzelnen Schule, um ein Bewusstsein für das Problem zu
und Bedeutung von Peers beschäftigt. Dabei wurde
schaffen und dem oft praktiziertem Wegsehen und Ignorie-
dargestellt, wie die Interaktion mit Gleichaltrigen
ren – gerade auf Seiten der Lehrer und Eltern – entgegen-
Kinder und Jugendliche in ihrer sozialen und kogniti-
zuwirken. Ein anderer wichtiger Bestandteil ist die Etab-
ven Entwicklung fördert und welche Rolle die Position
lierung sozialer Normen, nach denen Bullying und Gewalt
im Klassenverband sowohl für das Wohlbefinden als
in der Klasse geächtet werden (klare Regeln zur Gewaltver-
auch für die schulischen Leistungen spielt. Auch die
meidung, klare Regeln zur Bestrafung bei Verstößen gegen
spezifischen Entwicklungsaufgaben des Kindes- und
diese Regeln) sowie die Stärkung der Klassengemeinschaft,
Jugendalters machen die Peers zu einer wichtigen
u. a. durch den Einsatz kooperativer Lernformen. Olweus‘
Orientierungshilfe und Unterstützung. Wie gut die
Ansatz stand Pate für zahlreiche weitere Programme, in de-
Bewältigung dieser Aufgaben gelingt, hängt wesent-
nen sich der Fokus nicht ausschließlich auf die unmittelbar
lich davon ab, wie wirkungsvoll ein Kind oder Jugend-
und sichtbar involvierten Täter und Opfer richtet, sondern
licher die Unterstützung durch Gleichaltrige nutzen
am gesamten System von Klasse und Schule ansetzt. So
kann. So kann die Bildung von Cliquen als ein zentraler
wird auch in dem US-amerikanischen Programm „Steps to
Faktor für die Ausbildung sozialer Identitäten gelten.
Respect“ die gesamte Schule als Rahmen der Anti-Bullying
Dabei sind jedoch ebenfalls die potentiellen Konflikte
Strategien gesetzt und das gesamte Kollegium fortgebildet,
zwischen sich voneinander abgrenzenden Gruppie-
bevor es den Schülerinnen und Schülern in einem zwölf bis
rungen zu berücksichtigen. Auch insgesamt stehen
vierzehnwöchigen Curriculum beibringt, wie sie Bullying
neben den positiven Auswirkungen von gelingenden
erkennen, verhindern und melden sollen – und auch, wie
Peerkontakten die negativen Folgen von aggressiven
sie sich selbst sozial kompetent verhalten und Freundschaf-
Verhaltensweisen unter Schülern, die den Schulgang
ten knüpfen können. In besonderem Maße konzentriert
für zahlreiche Kinder und Jugendliche zur Qual werden
sich dieses Programm auf die Rolle der Gruppe der Zu-
lassen. Programme zur Verringerung von Bullying und
schauer (bystanders). So wird versucht, den nicht direkt
Aggression gehören deshalb in vielen Schulen zum
beteiligten bystanders ein gesteigertes Verantwortungsge-
selbstverständlichen Repertoire.
fühl und klare Umgangsregeln für Situationen zu vermit-
teln, in denen jemand zum Opfer wird (Frey, Hirschstein,
Snell, Edstrom, MacKenzie & Broderick, 2005).
Eine weitere Maßnahme zur Förderung von sozia- Verständnisfragen
len Kompetenzen und Zivilcourage in der Schule und 1. Welche Erklärungen gibt es für das Phänomen der Homo-
zur Prävention von Bullying, die ebenfalls explizit an der philie?
ganzen Schulklasse ansetzt, ist das Programm fairplayer 2. Benennen Sie verschiedenen Formen sozialen Einflusses,
(Scheithauer & Bull, 2007; für eine Zusammenfassung die innerhalb einer Gruppe Jugendlicher wirksam werden
siehe Scheithauer, Hayer & Bull (2007) sowie für eine de- können!
taillierte Beschreibung im Internet unter ▶ fairplayer.de).
300 Kapitel 12 • Gleichaltrige

3. Was ist mit der „Ko-Konstruktion sozialer Realität“ unter Crick, N. R., & Dodge, K. A. (1994). A Review and Reformulation of Social
1 gleichaltrigen Kindern gemeint und weshalb ist dies in
Information‐Processing Mechanisms in Children’s Social Adjust-
ment. Psychological Bulletin, 115, 74–101.
Beziehungen zwischen Gleichaltrigen eher möglich als Crick, N. R., & Dodge, K. A. (1996). Social Information‐Processing Me-
2 in Beziehungen, die Kinder zu Erwachsenen haben? chanisms in Reactive and Proactive Aggression. Child Development,
4. Wie wird in der Forschung anhand von soziometrischen 67, 993–1002.
Crockett, L., Losoff, M., & Petersen, A. C. (1984). Perceptions of the peer
3 Verfahren der Peerstatus eines Kindes ermittelt und wel-
che fünf Kategorien des Peerstatus werden in der Literatur
group and friendship in early adolescence. Journal of Early Adole-
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22 Wenztel, K. R. (1991). Relations between social competence and aca-
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303 V

Diagnostizieren
und Evaluieren
Kapitel 13 Pädagogisch-psychologische Diagnostik – 305
Oliver Wilhelm, Olga Kunina-Habenicht

Kapitel 14 Evaluation pädagogisch-psychologischer


Maßnahmen – 329
Olaf Köller

Kapitel 15 Nationale und internationale


Schulleistungsstudien – 343
Barbara Drechsel, Manfred Prenzel, Tina Seidel
305 13

Pädagogisch-psychologische
Diagnostik
Oliver Wilhelm, Olga Kunina-Habenicht

13.1 Definition und Zielstellungen von Diagnostik   –  306


13.1.1 Definition pädagogisch-psychologischer Diagnostik  –  306
13.1.2 Diagnostische Ziele – 307
13.1.3 Anwendungsgebiete und Nachbardisziplinen
der pädagogischen Diagnostik  –  308

13.2 Beurteilung psychologischer Messverfahren   –  311


13.2.1 Besonderheiten bei der Messung psychologischer Merkmale  –  312
13.2.2 Gütekriterien zur Beurteilung psychologischer Messverfahren  –  313
13.2.3 Testtheorie: Konkurrierende Ansätze und adäquate Methoden  –  317
13.2.4 Klassifikatorische Diagnostik – 318

13.3 Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten  –  321


13.3.1 Lebensdaten – 321
13.3.2 Zensuren – 322
13.3.3 Selbstberichtsinstrumente – 322
13.3.4 Testdaten: Intelligenz- und Schulleistungsdiagnostik  –  323
13.3.5 Interviews und Beobachtungsinventare  –  325

13.4 Abschließende Kommentare – 325


Literatur – 326

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
306 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Im Alltag schreiben wir Personen, die uns umgeben, häufig


1 mit großer Selbstverständlichkeit bestimmte Ausprägungen
von Eigenschaften wie „Intelligenz“ oder „soziale Kompetenz“
2 zu. Die Datengrundlage und unsere Fähigkeit, zu zutreffenden
Urteilen zu kommen, sind dabei oft unzureichend. Somit er-
möglichen informelle Daten und unsere Urteilsfähigkeit kaum
3 zuverlässige und korrekte Aussagen über nicht direkt beob-
achtbare psychische Eigenschaften wie „Gewissenhaftigkeit“
4 oder „mathematische Begabung“.
In diesem Kapitel werden wir darauf eingehen, wie wir in der
5 pädagogisch-psychologischen Diagnostik zu geeigneten Be-
obachtungen gelangen und darauf aufbauend fundierte di-
agnostische Beurteilungen abgeben können. Hierzu werden
6 zunächst Definitionen, Ziele und Anwendungsgebiete der
pädagogisch-psychologischen Diagnostik erörtert. In einem
7 zweiten Abschnitt werden methodische Grundlagen der Be-
urteilung diagnostischer Instrumente besprochen. Im dritten

8 Abschnitt gilt die Aufmerksamkeit der Beurteilung und ex-


emplarischen Darstellung verschiedener Informationsquellen
und -arten (. Abb. 13.1).
9
13.1 Definition und Zielstellungen
10 von Diagnostik

11 13.1.1 Definition pädagogisch- .. Abb. 13.1  


psychologischer Diagnostik
12 lage und der angewandten Methoden bestehen. Eine erste
Nach Schmidt-Atzert und Amelang (2012, S. 4) dient die Besonderheit in der pädagogisch-psychologischen Dia-
psychologische Diagnostik der Beantwortung von Frage- gnostik entsteht durch den pädagogischen, schulischen
13 stellungen, die sich auf die Beschreibung, Klassifikation, oder bildungspolitischen Charakter der Probleme, die
Erklärung oder Vorhersage menschlichen Verhaltens und typischerweise an sie herangetragen werden. Eine zweite
14 Erlebens beziehen. Sie schließt die gezielte Erhebung von Besonderheit besteht in der starken Orientierung auf Fra-
Informationen über das Verhalten und Erleben eines oder gen der Veränderbarkeit. In ▶ Abschn. 13.1.2 gehen wir
15 mehrerer Menschen sowie deren relevanter Bedingungen genauer auf wichtige Anwendungsfelder der pädagogisch-
ein. Die erhobenen Informationen werden für die Beant- psychologischen Diagnostik ein.
wortung der Fragestellungen interpretiert. Das diagnosti- Diagnostik soll zur Lösung praktischer Probleme bei-
16 sche Handeln wird von psychologischem Wissen geleitet. tragen. Allerdings werden beispielsweise Entscheidungen
Zur Erhebung von Informationen werden Methoden ver- über Schullaufbahnen, Platzierungen in der beruflichen
17 wendet, die wissenschaftlichen Standards genügen. Weiterbildung, die Hochschulzulassung oder den Umgang
Diese Definition stimmt weitgehend mit zahlreichen mit Verhaltensauffälligkeiten im schulischen Kontext oft
weiteren Auffassungen zur psychologischen Diagnostik ohne die Berücksichtigung der Expertise der pädagogisch-
18 überein. Die Abgrenzung zwischen pädagogisch-psycho- psychologischen Diagnostik getroffen. Damit die pädago-
logischer und psychologischer Diagnostik wird kontrovers gisch-psychologische Diagnostik zukünftig bei solchen
19 diskutiert. Während Klauer (1982, S. XI) behauptet, dass Entscheidungen stärker einbezogen wird, sollte ihr Nutzen
„die pädagogische Diagnostik aus der psychologischen nachvollziehbar aufgezeigt werden.
20 Diagnostik herausgewachsen ist“, vertreten Autoren wie
Ingenkamp und Lissmann (2005, S.  12) die Meinung,
dass „die pädagogische Diagnostik nach ihren Angaben,
21 Zielen und Handlungsfeldern immer eigenständig war“.
Wir vertreten die Auffassung, dass zwischen psychologi-
22 scher und pädagogisch-psychologischer Diagnostik große
Überlappungen bezüglich der grundsätzlichen Problem-
13.1  •  Definition und Zielstellungen von Diagnostik
307 13
Definition 
über einen Zeitraum. Ein typisches Beispiel ist die Unter-
Der Einsatz von pädagogisch-psychologischer suchung der Veränderung sprachlicher Denkleistungen ei-
Dia­gnostik soll bei der Lösung praktischer pädagogi- nes Schulkindes, das an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche
scher, schulischer oder bildungsbezogener Probleme leidet, während des Therapieverlaufs. Methodisch spielen
und Fragestellungen helfen. Pädagogisch-psycholo- hier insbesondere Aspekte der Einzelfallanalyse (Köhler,
gische Diagnostik bezieht sich auf einzelne Merk- 2008) und der Veränderungsmessung (Collins & Sawyer,
malsträger, in der Regel Personen. Von den Merk- 2001) eine deutlich größere Rolle als bei der Statusdia­
malsträgern werden Ausprägungen interessierender gnostik.
Merkmale und Konstrukte gemessen. Hierzu werden Eine diagnostische Untersuchung dient häufig dem
unterschiedliche Verfahrensklassen (Leistungstests, Zweck, eine Veränderung (Modifikation) von Bedingun-
Fragebögen, Interviews, demografische Angaben gen oder Verhaltensweisen aufzuzeigen. Die Konzepte
etc.) eingesetzt. Die gewonnene Information wird mit der Selektions- und Modifikationsdiagnostik stellen die
möglichst transparenten, nachvollziehbaren und pro- zweite wichtige Dimension der Taxonomie von Pawlik dar.
blemadäquaten Methoden zu einem Urteil verdichtet.
Selektionsdiagnostik.  Ein typisches Beispiel für die Per-
sonenselektion ist die Auswahl geeigneter Kandidaten
für die Zulassung zu Universitäten für Studiengänge, bei
13.1.2 Diagnostische Ziele denen die Anzahl der Bewerber die Anzahl der vorhan-
denen Studienplätze deutlich übersteigt. Im Vordergrund
Bei der Beantwortung einer diagnostischen Fragestellung steht hierbei die Maximierung des Nutzens für die jewei-
können unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Pawlik lige Hochschule.
(1982) hat eine hilfreiche Taxonomie diagnostischer Pro- In der Berufsberatung werden die Intensität und das
bleme vorgeschlagen, in der folgende Dimensionen unter- Profil fachlicher Interessen und Kenntnisse ermittelt, um

--
schieden werden:
Status- versus Prozessdiagnostik
die Auswahl von passenden Bedingungen (Bedingungsse-
lektion) – mögliche Ausbildungsberufe oder Studienrich-

- Selektions- versus Modifikationsdiagnostik


kriteriums- versus normorientierte Diagnostik.

Eine wichtige Dimension zur Charakterisierung diagnos-


tungen – zu ermöglichen, die am besten auf die jeweilige
Person zugeschnitten sind. Hier werden also Fragen der
optimalen Platzierung adressiert mit dem Ziel, den Nutzen
für Klienten zu maximieren.
tischer Probleme ist nach dieser Taxonomie zunächst die
Unterscheidung zwischen ▶ Statusdiagnostik und ▶ Pro- Modifikationsdiagnostik.  Während einer Verhaltensthera-
zessdiagnostik. pie eines Grundschulkindes, bei dem eine Rechenschwä-
che (Dyskalkulie) diagnostiziert wurde, steht dagegen die
Statusdiagnostik.  Sehr häufig ist bei der Beantwortung Modifikation des Verhaltens im Vordergrund. Während
diagnostischer Fragestellungen die Ausprägung der inte- der Therapie werden häufige Fehlerquellen beim Lösen
ressierenden Eigenschaft zum gegebenen Zeitpunkt aus- von Rechen- und Sachaufgaben aufgezeigt. Der Therapeut
schlaggebend. Diese typische Fragestellung ist der sog. erarbeitet in Zusammenarbeit mit dem Kind und seinen
Statusdiagnostik zugeordnet. Die untersuchten Merkmale Eltern in verschiedenen Übungen adäquate Strategien, die
sind dabei nicht direkt beobachtbar, sondern führen im das Ausmaß und die Auswirkungen der Rechenschwäche
Sinne einer Verhaltensbereitschaft dazu, dass Personen in mildern sollen.
ähnlichen Situationen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit Bei der Entscheidung, welche weiterführende Schule
ähnlich handeln. So sind bspw. extravertierte Menschen nach der Grundschule besucht werden soll, handelt es sich
in den meisten sozialen Situationen aufgeschlossen und auf den ersten Blick um Bedingungsmodifikation. Hier
gesellig. Somit wird in der Statusdiagnostik eine wenigs- soll für die betreffende Person eine optimale Situationsver-
tens mittelfristige zeitliche und situative Stabilität der un- änderung bzw. Platzierung herbeigeführt werden. Neben
tersuchten Merkmale vorausgesetzt. Ein typisches Beispiel diesem Platzierungsaspekt spielt jedoch auch der Selekti-
für Statusdiagnostik ist die Untersuchung von Studien- onsaspekt eine wichtige Rolle. Mit der Entscheidung, ob
platzbewerbern bezüglich der Eignung für ein bestimmtes ein Kind die Haupt-, Realschule oder das Gymnasium
Hochschulstudium. besuchen soll, wird auch über zukünftige Bildungs- und
Berufsmöglichkeiten entschieden, da eine Auswahlent-
Prozessdiagnostik.  Die Prozessdiagnostik beschäftigt sich scheidung getroffen wird, die dem Kind optimale Förder-
im Gegensatz zur Statusdiagnostik mit der Beurteilung möglichkeiten bieten soll. Verschiedene Formen möglicher
spontaner oder gezielt herbeigeführter Veränderungen Fehlentscheidungen erörtern wir kurz in ▶ Abschn. 13.2.4.
308 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Ein weiteres wichtiges Problem bei der Klärung eines allgemeinen Klassenniveau berücksichtigt werden (Tent,
1 diagnostischen Problems betrifft die Frage, nach welchem 1998; Ingenkamp, 1995). Weitere Studien zeigen, dass die
Standard Ausprägungen gemessener Merkmale beurteilt herangezogenen Kriterien zu Leistungsbewertungen in der
2 werden (Klauer, 1987; Pawlik, 1982). Die dritte bedeutsame Sekundarstufe II in verschiedenen Bundesländern und an
Dimension nach Pawlik stellt daher die Differenzierung zwi- verschiedenen Schultypen (z. B. Gesamtschule vs. Gymna-
schen kriteriums- und normorientierter Diagnostik dar. sium) stark schwanken (Köller, Baumert & Schnabel, 1999).
3 So kann bspw. in Bayern für eine konkrete Klassenarbeit
Kriteriumsorientierte Diagnostik. Bei der Vergabe von eine Drei vergeben werden, während die gleiche Leistung in
4 Bildungszertifikaten liegt bspw. ein klar definiertes und Hamburg mit einer Eins bewertet wird. Für viele praktische
sachlich motiviertes Kriterium vor, das für die Zertifikat­ Probleme in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
5 erteilung wenigstens erreicht werden muss. In solchen Fäl- liegt also faktisch eine Mischung aus norm- und kriterien-
len spricht man von kriteriumsorientierter Diagnostik, da orientierter Diagnostik vor.
hierbei die Leistung der jeweiligen Person im Vergleich zu
6 einem definierten Kriterium bewertet wird. Hier geht es
also primär um die Frage, welche Personen das festgelegte 13.1.3 Anwendungsgebiete
7 Kriterium erreichen oder überschreiten. Die Unterschiede und Nachbardisziplinen
zwischen Personen sind bei diesem methodischen Ansatz der pädagogischen Diagnostik
von untergeordneter Bedeutung. Bei einer beruflichen
8 Weiterbildung mit Erteilung eines Zertifikats wird z. B. Die Anwendungsgebiete der pädagogisch-psychologischen
festgestellt, ob ein Mitarbeiter die inhaltlichen Vorgaben Diagnostik reichen von der Beurteilung der Einschulungs-
9 der Prüfung erfüllt und damit nachgewiesen hat, die in- reife über Fragen der Berufsberatung bis zur Diagnose von
frage stehenden Leistungen im beruflichen Alltag erbringen Teilleistungsstörungen. Dabei können sich Berührungs-
10 zu können. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob andere punkte mit klinisch-psychologischen Problemen, etwa bei
Personen eventuell noch bessere Leistungen gezeigt haben. der Diagnose von Teilleistungsschwächen oder Selektions-
problemen, ergeben, wie sie häufig von der Arbeits- und
11 Normorientierte Diagnostik.  Bei der normorientierten Dia- Organisationspsychologie bearbeitet werden, etwa bei der
gnostik wird den Unterschieden zwischen Personen beson- Regelung des Hochschulzugangs. Wenn sich Diagnostik
12 dere Beachtung geschenkt. Hier werden die Ausprägungen nicht auf einzelne Personen bezieht, sondern etwa auf Or-
auf interessierenden Merkmalen mit einer relevanten Be- ganisationen wie Schulen, ist für die pädagogische Diag-
zugsgruppe verglichen. So wird bspw. die Leistung eines nostik von solchen Systemen ein Transfer von Know-how
13 11-jährigen Jungen in einem Intelligenztest im Vergleich aus anderen diagnostischen Teildisziplinen notwendig –
zu anderen Jungen innerhalb seiner Altersgruppe bewertet. etwa aus der Organisationspsychologie (Felfe & Liepmann,
14 Neben dem Vergleich mit sachlichen und sozialen 2008). Ein wichtiges Teilgebiet der pädagogisch-psycholo-
Bezugsnormen kann auch der Vergleich innerhalb von gischen Diagnostik befasst sich mit Entscheidungen, die
15 Personen (sog. intraindividueller Vergleich) vorgenom- Bildungslaufbahnen betreffen. In diesem Teilgebiet re-
men werden. Hier stehen die relative Stärke verschiedener
Merkmalsausprägungen – ein Profil – zu einem Zeitpunkt
--
levant sind die folgenden diagnostischen Fragestellungen:
zur Einschulung

--
16 oder der Vergleich der Stärke einer Merkmalsausprägung zur Lernbehinderung
zu verschiedenen Messzeitpunkten im Vordergrund. Wäh- zu Teilleistungsstörungen
17 rend diese intraindividuellen Vergleiche in den letzten
Jahren verstärkt erforscht werden (z. B. Brehmer & Lin-
--
zu Verhaltensauffälligkeiten
zur Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe
18 denberger, 2007), werden sie in der diagnostischen Praxis
relativ selten angewandt. Im Rahmen von pädagogischen
--
zur Hochbegabung
zum Hochschulzugang

19
20
Förder- und Lernprogrammen sowie Interventionsstudien
erfolgt meist der Vergleich mit sachlichen Kriterien oder
sozialer Bezugsnorm.
Viele praktisch auftretende diagnostische Fragestellun-
-
zur Berufsberatung
zur beruflichen Weiterbildung.

Einschulung
gen lassen sich diesen diagnostischen Zielen jedoch nicht In der Einschulungsdiagnostik sollen soziale, emotionale,
eindeutig zuordnen. Ein anschauliches Beispiel ist die Be- motorische und kognitive Kompetenzen einzuschulen-
21 wertung einer Klassenarbeit in einer Schulklasse. Zahlreiche der Kinder beurteilt werden. Die in der Praxis eingesetzten
Untersuchungen haben gezeigt, dass bei der Leistungsbe- Testverfahren bilden jedoch vorrangig kognitive Kompe-
22 wertung sowohl die in den Lehrplänen vorgegebenen Lern- tenzen ab. Bei niedrig ausgeprägten Kompetenzen kann
ziele als auch die Leistung des Schülers im Vergleich zum ein Kind vom Schulbesuch für ein Schuljahr zurückgestellt
13.1  •  Definition und Zielstellungen von Diagnostik
309 13

werden, ggf. können Kinder bei stark ausgeprägten Kom- rungen. Für beide Störungen liegt eine Fülle recht guter
petenzen nach entsprechender diagnostischer Klärung Messinstru­mente und erfolgserprobter Behandlungsme-
auch frühzeitig eingeschult werden (für eine Übersicht zu thoden vor (Bakker, 2006; Kaufmann, 2008; ▶ Kap. 17).
aktuellen Regelungen s. Faust, 2006). Traditionelle Ein- In eher auf Störungen und Schwierigkeiten fokussier-
schulungsdiagnostik ist mit zwei Kernproblemen konfron- ten Teilgebieten der pädagogisch-psychologischen Dia­
tiert. Zum einen verhindert die verzögerte Einschulung gnostik werden die Berührungspunkte mit der klinischen
das, was Kinder mit schwächer ausgeprägten Kompetenzen Psychologie offensichtlich. Diagnose und Intervention
besonders nötig haben: schulische Förderung. Zum ande- bei Verhaltensauffälligkeiten wie hyperaktivem Verhalten
ren ist die Anzahl der Fehlentscheidungen schon dann ge- (ADHS) oder Störungen des Sozialverhaltens stehen hier
ring, wenn fast alle Personen eine bestimmte Ausprägung im Vordergrund der praktischen Arbeit.
aufweisen (d. h. für die Einschulung „geeignet“ sind) und
wenn überhaupt keine Diagnostik betrieben wird (d. h. alle Verhaltensauffälligkeiten
Kinder eingeschult werden). Eine Verbesserung gegenüber Die in der pädagogischen Praxis am häufigsten auftretenden
diesem Zustand ist aus klassifikatorischer Sicht schwer zu Verhaltensauffälligkeiten lassen sich drei Störungsgrup-
erzielen. Probleme dieser Art werden in ▶ Abschn. 13.2.4 pen zuordnen: Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstö-
näher diskutiert. rungen, Störungen des Sozialverhaltens und emotionale
Störungen des Kindesalters. Die Aufmerksamkeitsdefizit-
Lernbehinderung /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine in der Regel im
Lernbehinderung ist ein wissenschaftlich wenig präziser Kindesalter beginnende psychische Störung, die primär
Begriff, der auf ca. 2,5 % aller Kinder eines Geburtsjahr- durch leichte Ablenkbarkeit, schwach ausgeprägtes Kon-
gangs angewandt wird um auszudrücken, dass die Kinder zentrations- und Aufmerksamkeitsvermögen sowie leichte
dem Regelschulunterricht nicht hinreichend folgen können. Reizbarkeit gekennzeichnet ist – häufig in Kombination
Die Diagnose einer Lernbehinderung ist im Wesentlichen mit Hyperaktivität (motorische Unruhe bzw. übermäßiger
an eine normorientierte Klassifikation von Intelligenzmes- Bewegungsdrang). ADHS wird bei 3–10 % der Kinder dia-
sungen geknüpft. Die Diagnose der Lernbehinderung wird gnostiziert, wobei Jungen unter den betroffenen Kindern
erschwert durch regionale Variationen eingesetzter Ver- deutlich überrepräsentiert sind (WHO & Dilling, 2008). In
fahren und verwendeter Normen und Kriterien (Borchert, der ICD-10 (ICD-10 und DSM-IV sind zwei wesentliche
2000; Kanaya, Scullin & Ceci, 2003; Moog & Nowacki, Klassifikationssysteme psychischer Störungen der Weltge-
1993). Ein weiteres gravierendes Problem betrifft die starke sundheitsorganisation und der American Psychiatric Asso-
Überlappung der Sonderschulzugehörigkeit mit sozioöko- ciation) werden unter Störungen des Sozialverhaltens sich
nomischem Status und der unzureichenden Trennung der wiederholende und andauernde Muster mutwilligen disso-
Intelligenzverteilungen von Haupt- und Sonderschülern. zialen, aggressiven oder aufsässigen Verhaltens verstanden.
Diese Störungen zählen zu den häufigsten im Kindes- und
Teilleistungsstörungen Jugendalter diagnostizierten Störungen und treten oft zu-
In Abgrenzung zur Lernbehinderung oder Intelligenz- sammen mit ADHS auf (WHO & Dilling, 2008). Zu emo-
minderung sind kognitive Teilleistungsstörungen auf Be- tionalen Störungen des Kindesalters zählt insbesondere
einträchtigungen in spezifischen Bereichen beschränkt. Angst, die durch bestimmte, im Allgemeinen ungefährliche
Häufig wird diesen isolierten Beeinträchtigungen dadurch Objekte hervorgerufen wird. Diese Störungsgruppe umfasst
Rechnung getragen, dass Teilleistungsstörungen nur bei u. a. phobische Störungen, soziale Ängstlichkeit und Tren-
ansonsten unbeeinträchtigter Intelligenz vorliegen können nungsangst. Diese Störungen treten besonders häufig zu-
(DSM-IV). Diese Grundsätze finden auch in der Revision sammen mit depressiven Störungen auf (WHO & Dilling,
des DSM-IV Beachtung – auch wenn dort die Art der 2008). Die zuverlässige Erfassung der für die jeweilige Dia-
Teilleistungsstörung nachrangig kodiert wird. Eine Im- gnose in den internationalen Klassifikationssystemen defi-
plikation dieser Grundsätze ist, dass weniger intelligente nierten notwendigen und optionalen Kriterien gestaltet sich
Kinder per Definition schwerlich kognitive Teilleistungs- in der Praxis häufig schwierig. Die Methode der Wahl ist die
störungen aufweisen können. Eine weitere Implikation Verhaltensbeobachtung in problematischen Situationen. Da
der Definition besteht darin, dass, in Abhängigkeit vom dies nicht immer möglich ist, muss der Therapeut in vielen
Zusammenhang zwischen spezifischer und allgemeiner Fällen auf die Fremdbeurteilung durch die Bezugspersonen
Leistung, ein bestimmter Prozentsatz der Kinder die we- vertrauen, die jedoch subjektiv gefärbt ist. Die gebräuch-
sentliche Voraussetzung einer Teilleistungsstörung auf- lichen diagnostischen Kriterien und auch die verfügbaren
weisen muss. diagnostischen Instrumente unterscheiden sich ein wenig.
Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten und Dyskalku- Lernbehinderungen, Teilleistungsstörungen und Ver-
lie sind die beiden schwerwiegendsten Teilleistungsstö- haltensauffälligkeiten sind auch die vorrangigen Beschäfti-
310 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

gungsfelder der Erziehungsberatung. Trotz dieser Fokus- Vorhersage hochbegabter Verhaltensweisen sind neben
1 sierung ist in der Erziehungsberatung im Grunde die ganze überdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten wei-
Bandbreite der pädagogisch-psychologischen Diagnostik tere Bedingungsfaktoren von Bedeutung, die in verschie-
2 relevant. In der Regel handelt es sich in der Erziehungs- denen Hochbegabungstheorien thematisiert werden, wie
beratung um Interventionen in Einzelfällen, bei denen z. B. Kreativität, soziale Kompetenz oder nichtkognitive
sorgfältige Diagnostik und intensive Qualitätskontrolle Persönlichkeitsmerkmale wie Leistungsorientierung und
3 besonders bedeutsam sind (▶ Kap. 18). Aufgabenzuwendung (vgl. dazu Renzullis Modell; Reis &
Renzulli, 2011; Sternbergs Modell; Sternberg, 1993; oder
4 Schulformzuordnung ab der Sekundarstufe das Münchner Hochbegabungsmodell; Heller, 2001). Im
Die je nach Bundesland zwischen der 4. und 6. Klassen- Gegensatz zu Kreativität oder sozialer Kompetenz ist in-
5 stufe erfolgende Zuordnung zur weiterführenden Schule tellektuelle Hochbegabung im Sinne einer statistischen
in der Sekundarstufe sollte weitgehend am Schulleistungs- Norm hinreichend definiert über das Überschreiten einer
vermögen bzw. der Intelligenz der Kinder orientiert sein bestimmten Schwelle (z. B. Intelligenzquotient 130 oder
6 (Maaz, Trautwein, Lüdtke & Baumert, 2008). Aus der höher) in etablierten Leistungsfaktoren wie verbale, ma-
Perspektive vieler Eltern ist mit der Schulformzuordnung thematische oder räumlich-kognitive Fähigkeiten, die mit
7 weniger eine optimale Platzierung als vielmehr eine Selek- erprobten Tests erfasst werden. Solche Tests erfassen in der
tion verknüpft. Tatsächlich ist auch mit einer Haupt- oder Regel individuelle Unterschiede in anspruchsvollen Denk-
Realschulempfehlung die Chance, das Abitur zu absolvie- tätigkeiten wie etwa schlussfolgerndes Denken (Wilhelm,
8 ren, grundsätzlich gegeben. Jedoch ist die Durchlässigkeit 2005). Interessant ist, dass auch bei spezielleren – etwa
des Bildungssystems von niedrigeren zu höheren Schul- mathematischen – Hochbegabungen (Lubinski, Benbow,
9 abschlüssen geringer als in umgekehrter Richtung. Umge- Webb & Bleske-Rechek, 2006) in der Regel eine erheblich
kehrt ist mit einer Gymnasialempfehlung keinesfalls eine erhöhte Intelligenz vorliegt (Rost, 1993).
10 Erfolgsgarantie verbunden (Maaz, Neumann, Trautwein,
Hochschulzulassung
Wendt, Lehmann & Baumert, 2008). Während die Über-
schätzung des tatsächlichen Leistungsvermögens mit po- Ein in Deutschland im Vergleich zu angloamerikanischen
11 tenzieller Überforderung der Schüler verbunden ist, wird Ländern in der Praxis unterentwickeltes Anwendungs-
bei Unterschätzung den Schülern die optimale Förderung feld der pädagogisch-psychologischen Diagnostik stellen
12 verwehrt. Unstrittig sind Schulempfehlungen von Lehr- Entscheidungen im Feld der Hochschulzulassung dar. Die
kräften ebenso wie Intelligenztests gute – wenngleich hoch Hochschulen tragen im Rahmen restriktiver Landesgesetze
redundante – Indikatoren für die Vorhersage des Schuler- bei der Auswahl von Studienbewerbern die Verantwortung
13 folgs (Sauer & Gamsjäger, 1996). Die Vorhersage des Schu- für die Zulassung. In Studiengängen mit großem Bewerber­
lerfolgs weist jedoch erhebliche Ungenauigkeiten auf, die andrang und hohen Zurückweisungsquoten wirken sich
14 wenigstens teilweise überhöhten oder fehlenden elterlichen Variationen der Zulassungspraxis besonders stark aus.
Ambitionen und Kontexteffekten (Trautwein & Baeriswyl, Allerdings ist festzuhalten, dass es Hochschulen in vielen
15 2007) geschuldet sind. Fällen kaum möglich ist, die ihnen eingeräumte begrenzte

16
Hochbegabung
Ähnlich wie bei der Lernbehinderung geht es bei der Diag- --
Freiheit auszuschöpfen angesichts
fehlender finanzieller Spielräume,
juristischer Hürden wie dem jeweils geltenden Lan-

17
-
nostik der Hochbegabung nach Rost (1993) darum,
eine Gruppe besonders begabter Personen zu identifi-

-
desrecht und schwer vorhersehbarer lokaler Recht-
sprechung in Zulassungsfragen,

- zieren und
nach ihren Möglichkeiten optimal zu fördern – etwa

-
mangelnder pädagogisch-psychologischer Expertise
und

-
18 in speziellen Institutionen bzw. umständlicher Selbstverwaltung wie dem Erlass von
spezifische Probleme dieser Personengruppe be- Zulassungs- und Zugangssatzungen.
19 sonders zu adressieren – etwa vermeintlich gehäuft
auftretende Verhaltensauffälligkeiten hochbegabter Aus erfahrungswissenschaftlicher Sicht sind die Empfeh-
20 Kinder in Gruppen mit gemischtem Leistungsniveau. lungen zur Hochschulzulassung an Eindeutigkeit kaum
zu übertreffen (Formazin, Schroeders, Köller, Wilhelm &
Im Kern steht bei der Hochbegabung eine überdurch- Westmeyer, 2011). Schulabschlüsse und Schulleistungen,
21 schnittlich ausgeprägte Intelligenz. Aufbauend auf In- die zur Hochschulzugangsberechtigung führen – in der
telligenzstrukturtheorien (etwa Carroll, 1993) sollte von Regel das Abitur bzw. die Abiturdurchschnittsnote – er-
22 kognitiver Hochbegabung jedoch nur mit Blick auf eta- klären Studienleistungen recht gut. Dies gilt auch für sog.
blierte Intelligenztestverfahren gesprochen werden. Zur Studierfähigkeitstests. Aus der Perspektive der Maximie-
13.2  •  Beurteilung psychologischer Messverfahren
311 13

rung der Vorhersage ist besonders relevant, inwiefern beide besteht hauptsächlich in der Stichprobe, die diese Bera-
Prädiktoren zusammen die Vorhersage des Studienerfolgs tungsangebote wahrnimmt, in Bezug auf ihren beruflichen
verbessern. Die empirischen Belege sprechen dafür, dass Werdegang und ihr Alter. Während die Berufsberatung
die beiden untereinander teilweise redundanten Prädikto- von vorwiegend jüngeren Menschen mit keiner bzw. nur
ren sich in ihren Vorhersageleistungen ergänzen. wenig Berufserfahrung aufgesucht wird, stehen bei der
In Hinblick auf die Hochschulzulassung existieren je- beruflichen Weiterbildung in der Regel Fragen zu geeig-
doch weitere, empirisch nicht hinreichend geklärte Prob- neten Umschulungs- oder Spezialisierungsmöglichkeiten

-
leme. Hierzu zählen
Fairnessprobleme bei der Beurteilung von Schulleis-
für Arbeitnehmer, die meist über einen abgeschlossenen
Ausbildungs- oder Studienabschluss sowie ausreichende

- tungen (Michaelis & Weyer, 1972),


Ursachen für den häufig zu beklagenden Studien­
Berufserfahrung verfügen, im Vordergrund. Die Qualität
der angebotenen Fortbildungsmaßnahmen reicht dabei

- abbruch,
Konsequenzen verschiedener Zulassungsprozeduren
für die soziale und ethnische Zusammensetzung der
von wenig hilfreichen und nicht sachgerecht evaluierten
kurzfristigen Maßnahmen bis hin zu anspruchsvollen und
gut erprobten qualifizierenden Bildungslehrgängen, bei de-

- Studierenden und
die Messung des Kriteriums „Studienerfolg“, insbe-
sondere jenseits traditionell herangezogener Prü-
fungsleistungen in den Anfangssemestern.
nen spezifische Fertigkeiten erlernt und Zertifikate erwor-
ben werden können, die aufgrund von wohl definierten
Kriterien vergeben werden.
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik wer-
den Entscheidungen getroffen, deren Konsequenzen häufig
An einigen Hochschulen werden in vielen zulassungsbe- nur schwer abschätzbar sind. Daher verlangen Sachlogik
schränkten Studiengängen Verfahren eingesetzt, deren und Berufsethos, dass das Vorgehen in der diagnostischen
Nützlichkeit äußerst fragwürdig ist. So werden bspw. in Praxis juristisch abgesichert sein muss. Die deutsche Ge-
der Praxis neben der Abiturnote gewichtete, für den Studi- sellschaft für Psychologie (DGPs) und der Berufsverband
engang vermeintlich relevante Einzelnoten herangezogen Deutscher Psychologen (BDP) gaben 1998 ethische Richt-
– ein nachgewiesenermaßen nutzloses Unterfangen (Gold linien heraus, die zugleich die „Berufsordnung für Psycho-
& Souvignier, 2005; Steyer, Yousfi & Würfel, 2005). Insge- logen“ des BDP von 1998 darstellen (DGPs & BDP, 1998).
samt ist zu konstatieren, dass die Entscheidungsfindung An diesen Richtlinien sollte sich natürlich auch die päda-
im Feld der Hochschulzulassung in Deutschland häufig gogisch-psychologische Diagnostik orientieren. Darüber
ohne die Einbeziehung der pädagogisch-psychologischen hinaus unterliegt die diagnostische Praxis den rechtlichen
Diagnostik erfolgt und nur in wenigen Fällen mit den Vorgaben durch Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichte.
Empfehlungen zu vereinbaren ist, die aus der vorliegenden Die Dienstpflichten von Lehrkräften und Psychologen,
empirischen Evidenz abgeleitet werden können. die im öffentlichen Dienst tätig sind, sind durch arbeits-,
dienst- und beamtenrechtliche Vorschriften weitestgehend
Berufsberatung geregelt (Tent & Stelzl, 1993). Auch die empirische For-
Berufsberatung ist in Deutschland eine gesetzlich geregelte schung an Schulen muss zahlreiche rechtliche Regelungen
Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Eckardt (1990, einhalten, bspw. indem empirische Studien einzeln durch
1991), Eckardt und Schuler (1995) und Wottawa und Hos- die zuständige Landesbehörde für Bildung überprüft und
siep (1997) geben gute Einführungen in die psychologische genehmigt werden müssen.
Sichtweise der Berufsberatungspraxis. Aus der diagnosti-
schen Sicht steht bei der Berufsberatung bzw. Berufseig-
nungsdiagnostik die Frage nach der optimalen Platzierung 13.2 Beurteilung psychologischer
des Klienten im Vordergrund – mit dem Ziel, individuelle Messverfahren
berufliche Leistungen und berufliche Zufriedenheit des
Klienten zu maximieren (Eckardt & Schuler, 1995). Um die an sie herangetragenen praktischen Probleme lö-
sen zu können, stehen in der Diagnostik eine Reihe unter-
Berufliche Weiterbildung schiedlich formalisierter Werkzeuge wie Tests, Fragebögen,
In der beruflichen Weiterbildung werden sehr ähnliche Beobachtungsinventare und Interviews zur Verfügung. Im
Fragestellungen adressiert wie in der Berufsberatung. In ▶ Abschn. 13.3 werden verschiedene diagnostische Verfah-
beiden Fällen geht es darum, die optimale Passung zwi- ren exemplarisch vorgestellt und diskutiert. Bei allen diag-
schen den Eigenschaften und Fähigkeiten der Klienten nostischen Entscheidungen ist es von entscheidender Be-
mit den Gegebenheiten und Anforderungen des (zu- deutung auf welchen Datenquellen die Diagnosen beruhen
künftigen) Arbeitsplatzes zu schaffen. Der Unterschied und wie brauchbar die zugrunde liegenden Informationen
zwischen Berufsberatung und beruflicher Weiterbildung für die gegebene Fragestellung sind.
312 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Wir werden zunächst auf einige zentrale Begriffe der und somit die Zusammenhänge der beobachteten Variablen
1 Diagnostik eingehen und anschließend wesentliche Gü- erklären. Diesen Vorgang der Präzisierung des interessie-
tekriterien bei der Beurteilung diagnostischer Informati- renden Merkmals bezeichnet man als Operationalisierung.
2 onsquellen erörtern. Abschließend werden die Bedeutung
Definition 
unterschiedlicher methodischer Ansätze beleuchtet und
die Konsequenzen von Klassifikationen dargestellt.
3 Manifeste Variablen stellen eine Operationalisierung
der interessierenden latenten Variablen dar. Die Ope-
rationalisierung beruht auf einer möglichst präzisen
4 13.2.1 Besonderheiten bei der Messung Definition des psychologischen Konstrukts sowie
psychologischer Merkmale einer inhaltlich motivierten Ableitung der manifesten
5 Variablen (bzw. Indikatoren), mit denen individuelle
Während in der Physik und anderen sog. exakten Wis- Unterschiede oder intraindividuelle Veränderungen
senschaften die Messung interessierender Größen (z. B. in diesem Konstrukt mithilfe des Messinstruments
6 Körpergröße, Masse, Dichte etc.) häufig sehr präzise und gemessen werden sollen.
eindeutig erfolgen kann, liegen bei Messungen psycholo- Manifeste Variablen bzw. Indikatoren sind
7 gischer Größen oft beträchtliche Ungenauigkeiten vor. Mit beobachtete Variablen, von denen – geeignete Ope-
Blick auf das Verständnis psychologischer Merkmale ist es rationalisierung vorausgesetzt – auf das zugrunde
wichtig, dass diese Eigenschaften nicht direkt beobachtbar
8 sind, sondern aus beobachtetem Verhalten erschlossen wer-
liegende psychologische Konstrukt geschlossen
wird. In der psychologischen Diagnostik können die
den müssen. So lässt sich z. B. die Intelligenz eines Men- Begriffe Testkonstruktion und Operationalisierung
9 schen auf der Beobachtungsebene nicht unmittelbar fest- weitgehend synonym verwendet werden.
stellen. Diese und viele weitere nicht direkt beobachtbare
10 Eigenschaften werden in der Psychologie als Konstrukte
bezeichnet, weil sie durch den Forscher präzisiert bzw. de- Leider besteht in der Psychologie häufig kein Einverneh-
finiert werden müssen. Konstrukte werden in statistischen men darüber, mit welchen psychologischen Eigenschaf-
11 Modellen häufig als latente Variablen konzeptualisiert. ten bestimmte Verhaltensweisen assoziiert sind und wie
die interessierenden Merkmale optimal beobachtet und
12 Definition  gemessen werden können. Auch die Diskussion der zu-
Ein Konstrukt ist ein nicht direkt beobachtbarer Sach- grunde liegenden und als ursächlich geltenden Konstrukte
ist durch viele konzeptuelle und sprachliche Unschärfen
13 verhalt innerhalb einer wissenschaftlichen Theorie.
Konstrukte sind gedanklicher bzw. theoretischer und Beliebigkeiten geprägt. So wird in Handbüchern zu di-
Natur. In der pädagogisch-psychologischen Dia­ agnostischen Verfahren häufig nicht ausreichend erläutert,
14 gnostik sind Konstrukte insbesondere interessierende wie die theoretischen Konstrukte wie „Leseverständnis“
Merkmale in Beobachtungseinheiten – in der Regel definiert und operationalisiert werden. Zusätzlich werden
15 Personen. Durch Operationalisierung und statistische in der Forschung für ähnliche Konstrukte unterschiedliche
Abstraktion können aus beobachteten Variablen Bezeichnungen verwendet (z. B. „Lesekompetenz“, „Lese-
(etwa gelösten Mathematikaufgaben) Ausprägungen verständnis“ oder „Sprachbeherrschung“), sodass häufig
16 von Konstrukten (etwa mathematische Begabung unklar bleibt, inwieweit sich diese Konstrukte inhaltlich
eines Schülers) geschätzt werden. überlappen bzw. voneinander unterscheiden.
17 Eine latente Variable ist ein Parameter in einem Im alltagssprachlichen Gebrauch werden Eigenschafts-
mathematischen Modell. Sie repräsentiert das zuschreibungen häufig als bipolare kategoriale Konzepte
verwendet. Eine Person ist begabt oder nicht begabt, faul
18 psychologische Konstrukt und wird aus empirischen
Daten erschlossen. oder fleißig usw. Natürlich werden hierbei sprachliche Mo-
dulationen vorgenommen, sodass wir auch alltagssprachlich
19 für die meisten Merkmale eine stärkere oder schwächere
Ausprägungen der interessierenden Merkmale bzw. Konst- Ausprägung ausdrücken können. In der pädagogisch-
20 rukte werden aufgrund von Ausprägungen auf beobachte- psychologischen Diagnostik sind die infrage stehenden
ten Variablen (auch ▶ manifeste Variablen oder Indikato- Merkmale in der Regel kontinuierlich und nicht kategorial,
ren genannt) geschätzt. So wird etwa die Intelligenz einer d. h. dass ein Schüler mehr oder weniger mathematisch
21 Person anhand der Antworten auf verschiedene Aufgaben begabt oder gewissenhaft ist. In großen nationalen und
in einem Intelligenztest geschätzt. Eine Kernannahme bei internationalen Bildungsstudien (▶ Kap. 15) und auch im
22 der Postulierung ▶ latenter Variablen ist, dass die interes- gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprach-
sierenden Merkmale das beobachtete Verhalten bedingen beherrschung werden häufig die eigentlich kontinuierlichen
13.2  •  Beurteilung psychologischer Messverfahren
313 13

Größen in einige wenige Kategorien zusammengefasst, die 13.2.2 Gütekriterien zur Beurteilung
als geordnete Entwicklungs- oder Kompetenzstufen ver- psychologischer Messverfahren
standen werden. Bei diesem Vorgehen gehen Informationen
über die Unterschiede innerhalb der einzelnen Kategorien In der Praxis werden im Rahmen der pädagogisch-psy-
verloren (MacCallum, Zhang, Preacher & Rucker, 2002). chologischen Diagnostik häufig verschiedene Messver-
Diese Klassifikation erleichtert jedoch die Kommunikation fahren (z. B. Fragebögen oder Leistungstests) eingesetzt,
von Befunden. Sie erlaubt bspw. die Benennung des prozen- die für die konkrete diagnostische Fragestellung relevante
tualen Anteils von Schülern, die eine bestimmte Kompe- Merkmale erfassen. Zur Messung der interessierenden
tenzstufe in einem bestimmten Leistungstest erreicht haben. Konstrukte können meist ebenfalls unterschiedliche Ver-
So lässt sich z. B. prägnant der Anteil an Risikoschülern in fahren herangezogen werden. Daher stellt sich in der Pra-
verschiedenen Gruppen miteinander vergleichen. xis häufig die Frage, welches Verfahren für die konkrete
Von diesem Verständnis der gemessenen Variablen Fragestellung angemessen ist. Als wesentliche Aspekte zur
muss unbedingt die darauf aufbauende Erstellung einer Beurteilung der Qualität von Messverfahren werden in der
Diagnose unterschieden werden. Hier finden sich häufi- psychologischen Diagnostik häufig drei Kriterien heran-
ger kategoriale Aussagen über Personen, etwa eine Schüle- gezogen: ▶  Objektivität, ▶  Reliabilität und ▶  Validität.
rin leide an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche (Dyslexie) Wir besprechen zunächst kurz das Kriterium Objektivität
oder ein Schüler sei aufmerksamkeitsgestört etc. Allerdings und gehen dann etwas ausführlicher auf Reliabilität und
ist auch hier häufig ein kontinuierliches Verständnis der Validität ein.
Urteile angebracht (Rost, 2004; Kraemer, Noda & O’Hara,
2003). Personen, bei denen eine dyslexische Störung di- Objektivität
agnostiziert wurde, unterscheiden sich beispielsweise im Objektivität ist ein wesentlicher Aspekt der Messqualität
Schweregrad, in der Reaktion auf eine Intervention und psychologischer Testverfahren und nach Lienert (1969)
in der daraus resultierenden Beeinträchtigung im Alltag zu verstehen als der Grad, in dem Testergebnisse unab-
auch untereinander. Auch Personen, die nicht als dysle- hängig vom Untersucher sind. Laut Lienert spiegelt sich
xisch charakterisiert wurden, weisen große Unterschiede die Unabhängigkeit des Untersuchers in drei Aspekten
in ihren lexikalischen Begabungen auf und sind darüber wider: der Objektivität der Durchführung, der Auswer-
hinaus unterschiedlich stark gefährdet, zukünftig eine Dys- tung und der Interpretation. Diese drei Aspekte können
lexie zu entwickeln. bei Fragebögen und Leistungstests sichergestellt werden,
indem z. B. standardisierte Vorgaben für die Durchführung
Definition  und Auswertung des jeweiligen Instruments in Form von
Diagnose bzw. Prognose sind Begriffe, die der Medi- Instruktionen für Testdurchführung und Auswertungs-
zin entlehnt sind. Dort bezieht sich der Begriff Diag- schablonen zur Verfügung gestellt werden. Im Handbuch
nose auf das Erkennen einer Störung oder Krankheit zum jeweiligen Verfahren sollten dabei insbesondere bei
anhand spezifischer Zeichen oder Symptome, etwa Leistungstests eindeutige Richtigantworten für alle Auf-
ob ein Patient eine Lungenentzündung hat. Der Be- gaben vorliegen. Zusätzlich sollten Informationen zur Bil-
griff Prognose bezieht sich auf den erwarteten oder dung des Gesamtwerts für die Leistung im Test enthalten
vorhergesagten Verlauf einer Störung oder Krankheit. sein. Wünschenswert sind außerdem Erläuterungen zum
In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik Vorgehen, wie der ermittelte Gesamtwert im Leistungstest
beruhen Diagnosen und Prognosen in der Regel auf anhand der Normtabellen zu bewerten ist.
Beurteilungen von Beobachtungseinheiten (in der Etwas schwieriger ist die Sicherung der Objektivi-
Regel Personen) mit Blick auf vorgegebene Fragestel- tät bei Beobachtungsinventaren (z. B. zur Feststellung
lungen, etwa ob ein Schüler eine Gymnasialempfeh- von Verhaltensauffälligkeiten) oder Interviews. Um die
lung erhalten soll. Durchführungsobjektivität zu gewährleisten, werden bei
▶ Diagnostischer Prozess bezeichnet im Kern die Beobachtungsinventaren unter anderem standardisierte
begründete Zuschreibung einer Eigenschaft zu einer Checklisten eingesetzt, mit denen möglichst verbindliche
bestimmten Beobachtungseinheit. Der diagnostische Kriterien für die Verhaltensbeobachtung festgelegt wer-
Prozess muss wissenschaftlichen Ansprüchen unter den. Bei (halb-)standardisierten Interviews wird meist
Berücksichtigung von Kosten-Nutzen Aspekten genü- vorher ein verbindlicher Fragenkatalog erstellt. Zur Prü-
gen. Im diagnostischen Prozess lassen sich die Phasen fung, inwieweit die Auswertungsobjektivität vorliegt, wer-
der Problemanalyse, der hypothesengetriebenen In- den in der Praxis für die Beobachtung und Auswertung
formationsgewinnung, des diagnostischen Urteilens häufig mehrere Personen herangezogen und anschlie-
und der Evaluation unterscheiden (Jäger, 1988). ßend die Übereinstimmung zwischen den Beurteilern
bestimmt.
314 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Reliabilität dene Koeffizienten (z. B. Cronbach’s Alpha) und Richt-


1 Die Reliabilität eines Messverfahrens gibt dessen Zuver- werte (häufig .75 oder höher) vorgeschlagen. Zunächst ist
lässigkeit an. Traditionell werden drei Reliabilitätsarten jedoch zu beachten, dass Koeffizienten betrachtet werden,
2 unterschieden: Stabilität, Äquivalenz und Inter-Item- die der jeweiligen Fragestellung angemessen sind (etwa
Konsistenz. Stabilität versus Konsistenz). Bei der Auswahl von Instru-
Bei der Stabilität interessiert insbesondere, inwiefern menten ist aber auch zu berücksichtigen, dass die gleich
3 in der Zeit zwischen zwei Testungen Effekte wirken, die zu besprechende Validität gegenüber der Reliabilität in
die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindern. Wird ein aller Regel den Vorrang erhalten sollte. Wir vertreten die
4 Verfahren bei ein und derselben Person mehrfach ein- Ansicht, dass die Vorgabe von Richtwerten praktischen
gesetzt, so variiert die individuelle Leistung bei diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Sofern nur sehr wenig
5 Messwiederholungen auch unter strikt kontrollierten Zeit für die Erhebung von Informationen zur Verfügung
Bedingungen abhängig von Zufallsfaktoren wie Tages- steht – etwa in der Umfrageforschung –, sind auch nied-
zeit, Stimmung und Wohlbefinden. Zahlreiche Lern- und rige Reliabilitäten hinnehmbar, insbesondere wenn die
6 Gedächtniseffekte können die Leistungen bei Messwie- Alternative darin bestünde, überhaupt keine Information
derholungen beeinflussen. Die beobachteten Werte einer zu bekommen. Zusammengenommen bestehen diagnos-
7 Person zu zwei verschiedenen Zeitpunkten unterscheiden tische Herausforderungen oft darin, unter extern gesetz-
sich auch dann, wenn die Ausprägung des interessieren- ten Maßgaben bzgl. verfügbarer Ressourcen inhaltlich und
den Merkmals dieser Person sich nicht verändert hat. Da psychometrisch optimierte Informationen zusammenzu-
8 das Ausmaß des Messfehlers einer einzigen Testung in tragen.
der Regel nicht abschätzbar ist, geht man bei Untersu-
9 chungen zur Reliabilität im Sinne der zeitlichen Stabilität Validität
vereinfachend davon aus, dass Messfehler über mehrere Validität ist das entscheidende und zentrale Gütekriterium
10 Messzeitpunkte zufällig entstehen und nicht vorhersehbar bei der Bewertung und Auswahl geeigneter Messverfah-
sind. Messfehler können jedoch auch systematisch auftre- ren in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. In
ten, etwa wenn einige Bewerber sich aufgrund von hoher der Literatur werden unterschiedliche Konzeptionen des
11 Gewissenhaftigkeit nach der ersten Leistungstestung in- Validitätsbegriffs diskutiert.
tensiv auf die Folgetestung vorbereiten. Die Korrelation
12 von Erst- mit Wiederholungstestung wird auch Stabili- Definition 
tätskoeffizient genannt. Dieser Reliabilitätsaspekt wird Eine weit verbreitete Definition der Validität lautet:
in der Literatur auch als Retest-Reliabilität bezeichnet.
13 In den Stabilitätskoeffizienten geht eine Fülle von teils
Validität ist das Ausmaß, zu dem ein Test das misst,
was er zu messen vorgibt. Validität ist in diesem Ver-
zusammenhangsteigernden Aspekten (etwa direkte Er- ständnis eine Eigenschaft des Tests.
14 innerung an Angaben aus der Ersttestung) und teils zu-
sammenhangsenkenden Aspekten ein (etwa tatsächliche
15 Merkmalsänderungen zwischen den Testungen oder Wir- In älteren Konzeptionen, die mit dieser Auffassung ver-
kungen von Interventionen). einbar sind, wurde zwischen verschiedenen Validitätsar-
Die meisten Leistungstests oder Fragebögen bestehen ten – Inhalts-, Übereinstimmungs-, bzw. Vorhersage- und
16 aus mehreren Fragen bzw. Aufgaben. Beim Aspekt der Konstruktvalidität – unterschieden (American Psycholo-
Äquivalenz interessiert insbesondere, inwiefern die Zu- gical Association, 1954). In der neueren Konzeption von
17 ordnung der einzelnen Aufgaben zu Paralleltests (z. B. zu Messick (1989), an die sich auch die aktuellen Standards
Form A und B) die Zuverlässigkeit des Verfahrens mindert. der American Psychological Association (APA, 2002) für
Ein optimales diagnostisches Verfahren sollte bei ein und psychometrische Tests anlehnen, wird auf diese Unter-
18 derselben Person zu gleichen Ergebnissen führen, unab- scheidung bewusst verzichtet, wobei die oben genannten
hängig davon, welche Testform die Person bearbeitet hat. Validitätsaspekte in die umfassendere Konzeption von
19 Beim Aspekt der Inter-Item-Konsistenz wird der Ge- Messick integriert wurden.
danke des Einflusses von mehreren Testformen aufgegrif-
Definition 
20 fen und auf die Ebene der einzelnen Aufgaben erweitert.
Das bedeutet, dass es hier konkret darum geht, inwieweit In den APA-Standards (2002) wird Validität als eine
die einzelnen Aufgaben zuverlässig das gleiche Konstrukt Eigenschaft der Testwerte verstanden. Validität gibt
21 messen. In der Praxis wird die interne Konsistenz noch den Grad an, zu dem die empirischen Belege und
häufig als Cronbach‘s Alpha (Cronbach, 1951) bestimmt. theo­retischen Sachverhalte die beabsichtigte Inter-
22 Zur Beurteilung der Reliabilität und insbesondere der pretation der Testwerte unterstützen.
Inter-Item-Konsistenz werden in der Literatur verschie-
13.2  •  Beurteilung psychologischer Messverfahren
315 13

Nach Messick (1989) lassen sich mindestens zwei mitei- Konstrukt (z. B. arithmetische Fähigkeiten) erfasst, das
nander zusammenhängende Fragen unterscheiden, mit von anderen Konstrukten abgegrenzt werden kann,

-
denen sich die Validitätsprüfung befassen kann:
Gibt es Belege, die die beabsichtigte Interpretation
werden auch Zusammenhänge zu anderen Konstruk-
ten aus dem nomologischen Netzwerk (z. B. allgemeine

- bzw. Bedeutung der Testwerte unterstützen?


Gibt es Hinweise darauf, dass diese Testwerte relevant
und nützlich in Bezug auf bestimmte praktische
Anwendungen sind?
kognitive Leistungen, Leseverständnistest etc.) betrach-
tet. In diesem Fall spricht man von diskriminanter
oder divergenter Validität. Diese Zusammenhänge
sollten deutlich geringer sein als Zusammenhänge, die
konvergente Validierung reflektieren. Der Multi-Trait-
Zur Beantwortung der ersten Frage sollte man das inter- Multi–Method-(MTMM-)Ansatz erlaubt die simultane
essierende Konstrukt und die damit zusammenhängende Prüfung konvergenter und diskriminanter Validi-
Interpretation der Messwerte genau definieren und von tätsaspekte (Eid & Diener, 2006). Zusätzlich sollten die
anderen Konstrukten abgrenzen. Diese detaillierte Defi- Testleistungen (z. B. in einem Schulleistungstest) mit
nition erlaubt es, ein konzeptuelles Rahmensystem (sog. relevanten Kriterien (z. B. Schulnoten) korrelieren. In
„nomologisches Netz“) zu entwickeln. Basierend auf theo- diesem Fall spricht man von Vorhersage- bzw. prädik-
retischen Überlegungen, lassen sich Hypothesen über die tiver Validität. So sollten Hochschulzulassungstests die
Zusammenhänge in diesem Rahmensystem ableiten, die
gelten müssten, wenn die Testwerte im beabsichtigten Sinne
interpretiert werden können. So würde man beispielsweise
erwarten, dass die Testwerte aus einem neu entwickelten
- späteren Studienleistungen möglichst gut vorhersagen.
Bei der Analyse der internen Teststruktur steht die
Struktur des interessierenden Merkmals im Vorder-
grund. Dazu werden Zusammenhänge zwischen den
Mathematiktest höher mit anderen Mathematiktests kor- einzelnen Aufgaben bzw. einzelnen Testskalen näher
relieren als mit einem Leseverständnis- oder Intelligenztest. untersucht. Hierbei wird empirisch geprüft, ob ein
Die zweite Frage zielt darauf ab zu klären, ob Zusam- Test ein oder mehrere latente Konstrukte erfasst.
menhänge zwischen den Testwerten und praktisch rele- Dazu sollten in einem Handbuch Ergebnisse aus
vanten Kriterien (z. B. Schulnoten) bestehen. So sollte z. B. konfirmatorischen Strukturgleichungsmodellen oder
ein neu entwickelter Mathematiktest eine hohe Korrelation probabilistischen Item-Response-Modellen berichtet
mit der Mathematiknote aufweisen.
Relevante Evidenz für die Validität eines Tests kann
nach APA-Standards in mehrere Kategorien eingeteilt wer- - werden (vgl. dazu ▶ Abschn. 13.2.3).
Analysen individueller Strategien sollen detailliert
Aufschluss geben über Prozesse, die bei der Bearbei-

-
den:
Testinhaltsanalysen sollen die Beurteilung der Pas-
sung zwischen dem zugrunde liegenden Konstrukt
und den konstruierten Testaufgaben erlauben. Diese
tung der Testaufgaben beteiligt sind. Dies kann z. B.
über die Methode des lauten Denkens erfolgen, bei
der Versuchspersonen ihre Vorgehensweise bei der
Lösung der Aufgabe kommentieren bzw. verbali-
Passung kann zum einen durch streng theoriegelei- sieren. Ferner kann die Verwendung bestimmter
tete Aufgabenkonstruktion sichergestellt werden. Lösungsstrategien per Fragebogen erfasst werden.
Zum anderen können Expertenbefragungen durch- Solche Validitätshinweise werden in der Praxis selten
geführt werden, bei denen die Repräsentativität und in einem Handbuch berichtet.
Adäquatheit der Aufgaben beurteilt wird. Praktisch
bedeutet das, dass im Handbuch eine Definition des Borsboom, Mellenbergh und Van Heerden (2004) kritisie-
interessierenden Merkmals sowie Angaben zu dessen ren den Validitätsansatz von Messick und argumentieren,
theoretischer Einordnung enthalten sein sollten. dass Validität eine Eigenschaft des Tests und nicht wie von
Ferner sollten Informationen zum Vorgehen bei der Messick (1989) vorgeschlagen eine Eigenschaft der Test-

- Aufgabenentwicklung verfügbar sein.


Zusammenhänge mit anderen Variablen erlauben
Schlüsse über konvergente, diskriminante und prä-
diktive Validität in einem nomologischen Netzwerk
werte ist.

Definition 
Borsboom et al. (2004) definieren Validität konstrukt-
und sollten in einem Handbuch unbedingt berichtet bezogen. Ein Test ist demnach für die Erfassung eines
werden. Leistungstests (z. B. verschiedene Mathema- bestimmten Konstruktes valide, wenn
tiktests), die auf das gleiche psychologische Konstrukt a) dieses Attribut existiert und
(mathematische Begabung) abzielen, sollten hohe b) die Variation in diesem Konstrukt die Variation in
Korrelationen untereinander aufweisen. In diesem den gemessenen beobachteten Variablen kausal
Fällen spricht man von konvergenter Validität. Um si- verursacht.
cherzugehen, dass ein Messinstrument ein spezifisches
316 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Borsboom et al. (2004) argumentieren weiter, dass es nicht herangezogen werden) der Durchführung gegen den zu
1 ausreicht, die Konstruktvalidität durch korrelative  Zu- erwartenden Nutzen bzw. Informationsgewinn abgewo-
sammenhänge im nomologischen Netz bzw. zu Außen- gen werden. Etwas allgemeiner gesprochen kann bei der
2 kriterien zu begründen, sondern zeigen auf, dass eine Betrachtung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der (auch
umfassende theoretische Definition und Einordnung des monetäre) Netto-Nutzen diagnostischer Anstrengungen
interessierenden Konstrukts zentral für die Validierung analysiert werden (Brogden, 1949; Cronbach & Gleser,
3 ist. Inhaltlichen Überlegungen bei der Konstruktion von 1965; Holling & Reiners, 1999).
Messinstrumenten kommt in diesem Zusammenhang eine
4 entscheidende Bedeutung zu. Ausgehend von den älteren Probleme in der Praxis und Forschung
Validitätskonzeptionen (APA, 1954) hat sich in jüngerer In der pädagogisch-psychologischen Diagnostik werden
5 Vergangenheit damit ein Validitätsverständnis durchge- Entscheidungen getroffen, die weitreichende Konsequen-
setzt, das weniger an der Vorhersagemaximierung inte- zen für die betroffenen Personen oder Organisationen
ressiert ist als an adäquat begründeten Messungen von nach sich ziehen können. Daher ist es unerlässlich, die
6 Personeneigenschaften. Qualität und Zuverlässigkeit der Informationen, auf de-
nen die Entscheidung beruht, nach wissenschaftlichen
7 Weitere relevante Gütekriterien Kriterien zu beurteilen. Dies ist in der Psychologie keine
Bei der Beurteilung diagnostischer Messverfahren soll- einfache Aufgabe, da die infrage stehenden Größen nicht
ten alle drei beschriebenen Gütekriterien gleichwertig direkt beobachtbar sind, sondern indirekt aus beobachtba-
8 berücksichtigt werden, da sie sich gegenseitig bedingen. ren Verhaltensweisen erschlossen werden müssen.
Objektivität ist eine wesentliche Voraussetzung für die Für die Beurteilung jedes diagnostischen Messverfah-
9
10
Reliabilität eines Tests. Reliabilität ist eine wesentliche
Voraussetzung für die Validität eines Verfahrens, d. h. ein
unreliables Verfahren kann nicht im oben beschriebenen
Sinne valide sein. In der Praxis lassen sich Objektivität und
-
rens stellen sich zwei Fragen:
Sind die gewählten Indikatoren (Fragen, Aufgaben
etc.) inhaltlich-theoretisch adäquat und reflektieren
die Messinstrumente den aktuellsten Stand der For-

11
12
Reliabilität anhand der oben vorgeschlagenen Hinweise
bzw. Schwellenwerte relativ einfach beurteilen, während
die Bewertung der Validität oft anspruchsvoller ist. Neben
diesen drei Gütekriterien sind in der Praxis die Qualität
- schung?
Liefern die ausgewählten Messinstrumente metho-
disch fundierte Messungen psychischer Größen?

der Normierung und Kosten-Nutzen-Verhältnis als wei- In der Praxis ist die inhaltliche und theoretische Angemes-
tere Aspekte für die Beurteilung der Testverfahren von senheit psychologischer Testverfahren sehr viel schwieriger
13 Bedeutung. zu beurteilen als die methodische und analytische Fun-
Der im Test erzielte Gesamtwert wird in der Regel an- diertheit. Dies hat zum beklagenswerten Umstand geführt,
14 hand der Normwerte, die für ein Verfahren im Handbuch dass sich Debatten um die Qualität psychologischer Ver-
enthalten sein sollten, eingeordnet. Bei der Auswahl des fahren häufig auf leichter kommunizierbare methodische
15 geeigneten Verfahrens sollte darauf geachtet werden, dass Aspekte – wie die Beurteilerübereinstimmung, die interne
für das Instrument aktuelle Normen für die relevante Ziel- Konsistenz oder die prädiktive Validität – fokussieren.
gruppe vorliegen. Sind die Normen deutlich älter als zehn Diese und ähnliche methodische Aspekte ersetzen jedoch
16 Jahre, ist das Verfahren veraltet. Richtet sich das Verfahren keineswegs die Aussagen über die theoretische Adäquat-
an die relevante Zielgruppe? So sollte z. B. für Hauptschüler heit des jeweiligen Leistungstests oder Fragebogens. Ein
17 kein Intelligenztest verwendet werden, der ausschließlich Mathematiktest kann beispielsweise objektiv, reliabel und
an Gymnasialschülern oder Erwachsenen normiert wurde. prognostisch valide sein, ohne dabei die relevanten fach-
Wichtig ist auch, dass die untersuchte Normstichprobe didaktischen und denkpsychologischen Theorien adäquat
18 ausreichend groß und repräsentativ für die angestrebte abzubilden. Nahezu die gesamte Literatur, die sich mit
Zielgruppe ist. So sollte z. B. ein Intelligenztest für die Se- Testkonstruktion und Testanalyse befasst, ist ausschließlich
19 kundarstufe I Normen für alle Schultypen (Hauptschule, auf methodische Aspekte ausgerichtet. Umgekehrt findet
Realschule, Gymnasium) enthalten. sich in den grundlagenorientierten Fächern in der Regel
20 Zum anderen spielen Überlegungen zum Kosten- der umgekehrte Sachverhalt. Der theoretischen Erwägung
Nutzen-Verhältnis des Verfahrens eine wichtige Rolle. der zu messenden Merkmale wird intensive Beachtung
Bei der Auswahl der diagnostischen Instrumente sollten geschenkt, aber messmethodische Erwägungen werden
21 angesichts der begrenzten Zeit, die für die diagnostische vernachlässigt. Beide Zustände werden den in der Testkon-
Untersuchung zur Verfügung steht, der zeitliche und struktion bzw. Operationalisierung eigentlich zu lösenden
22 ggf. finanzielle Aufwand (z. B. wenn mehrere Beurteiler Problemen nicht hinreichend gerecht.
13.2  •  Beurteilung psychologischer Messverfahren
317 13

Theoretisch und methodisch fundierte Testentwick- einem Fehlerterm definiert ist. Der im Mittel zu erwar-
lung erfordert ein umfassendes Domänenwissen und eine tende Fehler ist in der klassischen Testtheorie gleich Null.
fundierte statistische Methodenausbildung. Testtheoreti- Fehlerterme sind nach den Axiomen komplett zufällig.
sche Überlegungen und das Verständnis wesentlicher sta- Basierend auf diesen Axiomen werden in der klassischen
tistischer Auswertungsmethoden stellen einen grundlegen- Testtheorie Konzepte wie Reliabilität und deskriptive
den Pfeiler der pädagogisch-psychologischen Diagnostik Item- und Testkennwerte wie Itemschwierigkeiten und
dar. Die inhaltliche Expertise für die in Frage stehenden Itemtrennschärfen definiert (Lienert, 1969; Nunnaly &
Messungen ist, wie bereits betont, ebenfalls von ausschlag- Bernstein, 1994).
gebender Bedeutung. Ohne inhaltliche Expertise ist es un- Die Itemschwierigkeit wird bestimmt über den
möglich, Messinstrumente nach dem aktuellen Stand der Mittelwert aller Antworten auf eine konkrete Aufgabe
Wissenschaft zu entwickeln. Inhaltliche Expertise ist auch (auch genannt Item). Bei Leistungstests, bei denen ein-
erforderlich, wenn es um die Deutung von Testergebnissen deutige richtige und falsche Antworten bekannt sind,
geht. Zu viele Messinstrumente in der psychologischen Di- liegt die Aufgabenschwierigkeit zwischen 0 und 1 und
agnostik tragen identische oder sehr verwandte Etiketten gibt den prozentualen Anteil der Personen an, die die
ohne tatsächlich Gleiches abzubilden. Verschiedene Inst- Aufgabe richtig gelöst haben. Aufgaben mit einem Wert
rumente, die das Schlagwort „Aufmerksamkeit“ enthalten, höher als 0,90 sind besonders einfach und unterschei-
bilden zum Teil recht verschiedene Denkleistungen ab (die den kaum zwischen Personen, da sie von fast allen gelöst
sog. Jingle-Fallacy; Thorndike, 1904). Der umgekehrte Fall, werden. Aufgaben mit einem Wert nahe Null oder nahe
dass Testverfahren mit gänzlich verschiedenen Etiketten der Ratewahrscheinlichkeit hingegen sind besonders
weitgehend Ähnliches messen, tritt ebenfalls auf (die sog. schwer, da sie von einem kleinen Personenkreis erfolg-
Jangle-Fallacy; Kelley, 1927). Testverfahren zur Konzent- reich bearbeitet werden. Itemtrennschärfe gibt an, in-
rationsleistung und zur Bearbeitungsgeschwindigkeit sind wieweit die Aufgabe im Sinne des Gesamttests zwischen
z. B. in vielerlei Hinsicht kaum zu unterscheiden. den Personen diskriminiert. Sie wird bestimmt durch die
Korrelation zwischen der einzelnen Aufgabe und dem
Summenwert im Gesamttest (bzw. in der interessieren-
13.2.3 Testtheorie: Konkurrierende den Skala).
Ansätze und adäquate Methoden Itemschwierigkeiten und -trennschärfen einer Aufgabe
sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Für besonders
Für die Bewertung der Angemessenheit diagnostischer schwere und besonders leichte Items findet man in der Re-
Verfahren ist es auch wichtig, neben den Gütekriterien die gel eher geringe Trennschärfen (eine korrigierbare Kon-
relevanten statistischen Kennwerte für die einzelnen Auf- fundierung), da sich für diese Items kaum Unterschiede in
gaben sowie für den gesamten Test zu kennen. Eine einfa- den individuellen Antworten zeigen. Aufgaben mit mitt-
che und in der Praxis noch gängige Art zu solchen Kenn- lerer Schwierigkeit hingegen unterscheiden gut zwischen
werten zu gelangen, bietet die sog. klassische Testtheorie. Personen im mittleren Bereich und weisen meist höhere
Im Folgenden werden kurz die Kernannahmen und Trennschärfen auf.
Grenzen der klassischen Testtheorie diskutiert und einige In einem Handbuch sollten insbesondere für Leis-
problemgerechtere Ansätze in der Testtheorie an einem tungstests Itemschwierigkeiten und -trennschärfen für
Beispiel illustriert. Das Ziel dieses Abschnitts ist es nicht, alle Aufgaben angegeben sein. Die Verteilung der Item-
die Konzeptualisierung dieser Ansätze ausführlich zu er- schwierigkeiten sollte der Verteilung der angestrebten
läutern (s. hierzu Lord & Novick, 1968, für die klassische Personenverteilung folgen. Ein Screening-Instrument für
Testtheorie; Raykov & Marcoulides, 2006, für konfirma- Hochbegabung sollte zum Beispiel viele schwere Fragen
torische Faktorenanalysen; Rost, 2004, und Embretson & enthalten, sodass unter überdurchschnittlich begabten
Reise, 2000, für probabilistische Messmodelle). Es werden und hochbegabten Personen möglichst gut unterschie-
vielmehr die wesentlichen Annahmen sowie Vorzüge und den werden kann. Analog dazu sollte ein Messinstrument
Probleme verschiedener Modellansätze diskutiert. Aus die- zur Erfassung von Teilleistungsstörungen besonders
sem Grund sind die Ausführungen zu den einzelnen Mo- gut zwischen Personen im niedrigen Fähigkeitsbereich
dellklassen vereinfacht und nicht erschöpfend dargestellt. differenzieren und viele einfache Aufgaben enthalten.
Die Trennschärfe einer Aufgabe sollte möglichst hoch
Klassische Testtheorie in ihren sein (in der Regel 0,20 oder höher). Abhängig von der
Kernannahmen und -problemen Fragestellung können aber auch hier nötigenfalls Kom-
Die Axiome der klassischen Testtheorie besagen, dass der promisse eingegangen werden (s. die Erörterungen zur
beobachtete Wert als Summe aus dem wahren Wert und Reliabilität).
318 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

In der klassischen Testtheorie werden Aufgaben, die babilistische Messmodelle stehen für grundsätzlich ver-
1 das gleiche Konstrukt messen, einer Skala zugeordnet. Der wandte Modellierungsansätze.
erzielte Wert wird häufig als Summenwert über alle Items Betrachten wir nun ein Beispiel, in dem 100 Schüler
2 der Skala gebildet. Anschließend wird häufig die interne einen Mathematiktest bestehend aus 20 Fragen bearbeiten.
Konsistenz der Skala als Cronbach’s Alpha berechnet. In ei-
nem nächsten Schritt korreliert man den Summenwert mit Beispiel  |       | 
3 einem zusätzlich erfassten Außenkriterium (z. B. Schulno-
ten). Ist die Korrelation überzufällig von Null verschieden Mathematiktest
4 und ausreichend hoch, wird meist argumentiert, der Test Wir lassen 100 Schüler einen Mathematiktest bestehend
sei valide. aus 20 Items bearbeiten (. Tab. 13.1). Zehn dieser Items
betreffen geometrische Probleme, 10 weitere Items sind
5 Dieses eher einfache Vorgehen beruht auf der un-
als Algebraaufgaben zu klassifizieren. Wir bestimmen zu-
geprüften Annahme, dass der Summenwert eines Tests
das interessierende Merkmal anhand der verwende- nächst, welche Fragen richtig und welche falsch gelöst
6 ten Aufgaben angemessen erfasst. Diese grundlegende wurden.
Annahme kann in der klassischen Testtheorie jedoch Im Rahmen der klassischen Testtheorie würden wir zu-

7 nicht adäquat überprüft werden. Die Schätzung proba- nächst für jeden Schüler die Summe richtig gelöster
Antworten über alle 20 Items berechnen. Wir würden
bilistischer und konfirmatorischer Modelle erlaubt hin-
gegen eine Überprüfung dieser Annahme. Ein weiteres ungeprüft annehmen, dass dieser Summenwert die
8 Problem der klassischen Testtheorie besteht darin, dass gesammelte Information über die zugrunde liegenden
in diesem Ansatz die relative Personenfähigkeit in der mathematischen Fähigkeiten der Schüler erschöpfend
9 untersuchten Personenstichprobe bei der Berechnung repräsentiert. Anhand der gleichen Stichprobe würden
der Itemschwierigkeit unberücksichtigt bleibt. So sollte wir anschließend die oben erläuterten Itemkennwerte
berechnen. Der Mittelwert gibt den relativen Anteil
10 zum Beispiel eine Gruppe von 100 vermeintlich hochbe-
der Richtiglösungen an und wird als Itemschwierigkeit
gabten Kindern bei einem neu entwickelten Mathematik-
test besser abschneiden als eine Gruppe dyskalkulischer, gedeutet. Die Standardabweichung gibt die Wurzel
11 versetzungsgefährdeter Problemschüler. Diese Gruppen- aus der mittleren quadrierten Abweichung vom Mittel-
unterschiede würden sich aber auch in den Itemschwie- wert an. Die Itemtrennschärfe gibt in der klassischen

12 rigkeiten niederschlagen, indem die Aufgaben für die Testtheorie die Stärke des Zusammenhangs zwischen
einem Einzelitem und dem Summenwert wieder. In kon-
Hochbegabtengruppe im Vergleich zur anderen Gruppe
deutlich leichter erscheinen. In diesem Sinne liefert die firmatorischen und probabilistischen Modellen erfolgt
13 klassische Testtheorie also stichprobenabhängige Kenn- die Schätzung der Trennschärfen (bzw. Ladungen oder
werte. Diskriminationsparameter) durch Berechnungen der Zu-
14 Die neueren Ansätze der probabilistischen Item- sammenhänge zwischen Items und latenten Variablen.
Response-Modelle sowie konfirmatorische Strukturglei-
15 chungsmodelle, die im ▶  Exkurs „Probabilistische Mess-
modelle“ kurz erläutert werden, unterscheiden sich von
der klassischen Testtheorie u. a. in einem entscheidenden 13.2.4 Klassifikatorische Diagnostik
16 Merkmal. Sie nehmen an, dass die beobachteten Antwor-
ten eine Funktion der nicht direkt beobachtbaren Merk- Am Ende eines diagnostischen Prozesses erfolgen häufig
17 malsausprägung sind und führen das Konzept „latenter kategoriale Entscheidungen, z. B. „Kandidat ist angenom-
Variablen“ ein. In diesen Ansätzen wird von mehreren be- men“, „Bewerber wird abgelehnt“ oder „Matthias Müller
obachteten, aber fehlerbehafteten Einzelindikatoren (Fra- leidet an einer Lese-Rechtschreib-Schwäche“. Merkmals­
18 gen, Aufgaben etc.), die zu einer Skala zählen, abstrahiert träger werden demnach in wenigstens zwei Kategorien
und die latenten Merkmalsausprägungen werden auf der eingeteilt. Wir bezeichnen diesen Zuordnungsprozess als
19 Grundlage der beobachteten Werte geschätzt. klassifikatorische Diagnostik. Das Vorgehen bei solchen
Zusammenfassend ist es wichtig festzuhalten, dass Mo- Klassifikationen weist beträchtliche Ähnlichkeit mit dem
20 delle, in denen pädagogisch-psychologische Konstrukte Vorgehen in der Medizin auf.
als latente Variablen abgebildet werden, überzeugendere In . Tab. 13.2 ist ein fiktives Beispiel für die Diagnos-
und wissenschaftlichere Konzepte repräsentieren, als dies tik von Dyskalkulie in einer Gruppe von 100 Kindern mit
21 in häufig inhaltlich und methodisch nicht überzeugenden schlechten Mathematikleistungen in der 3. Klasse ange-
Anwendungen der klassischen Testtheorie der Fall ist. führt. Das Ergebnis könnte etwa die Klassifikation auf der
22 Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle und pro- Grundlage eines neu entwickelten Mathematiktests sein.
13.2  •  Beurteilung psychologischer Messverfahren
319 13

.. Tab. 13.1  Daten für den Mathematiktest

Item 1 Item 2 … Item 19 Item 20 Anzahl korrekt gelöster


Aufgaben

Schüler 1 1 1 … 1 1 18

Schüler 2 0 1 … 1 0 10

… … … … … … …

Schüler 99 0 0 … 1 1 12

Schüler 100 1 1 … 0 1 14

Mittelwert 0,92 0,78 … 0,50 0,30

Streuung 0,27 0,41 … 0,50 0,46

Trennschärfe 0,15 0,20 … 0,35 0,18

Exkurs  |       | 

Probabilistische Messmodelle
Unter dem Oberbegriff „probabilistische die Anzahl der gelösten Items für die geprüft werden kann. Darüber hinaus ist
Messmodelle“ („item reponse models“) las- Schätzung der Merkmalsausprägung aus- es in vielen Fällen nicht sehr schlüssig an-
sen sich viele verschiedene Modellansätze reichend ist. Dabei spielt es keine Rolle, zunehmen, dass Items spezifisch objektiv
vereinen, die postulieren, dass das beob- welche Items genau gelöst wurden. In sind. Schließlich kann die Passung der
achte Antwortverhalten eine Funktion der diesem Sinne ist die Schätzung der Perso- Rasch-Modelle auf die empirischen Daten
Ausprägung auf dem nicht beobachtbaren nenwerte und Itemschwierigkeiten unab- oftmals nur schwer beurteilt werden.
latenten Merkmal (Θ – Theta) und der hängig von der untersuchten Stichprobe. Insbesondere die letzten beiden Punkte
Itemschwierigkeit ist. Das bedeutet, dass Diese Eigenschaft wird als „spezifische können mit dem Ansatz der Strukturglei-
die Wahrscheinlichkeit, eine Aufgabe rich- Objektivität“ bezeichnet. Aufgrund dieser chungsmodelle stringenter überprüft
tig zu beantworten, von der Ausprägung Eigenschaft werden Raschmodelle z. B. werden (▶ Exkurs „Konfirmatorische
der jeweiligen latenten Variablen abhän- häufig in nationalen und internationalen Strukturgleichungsmodelle“).
gig ist (und von Zufallseinflüssen). Somit Bildungsstudien wie PISA (▶ Kap. 15) Neben dem Rasch-Modell wurde eine
sollte – abgesehen von zufallsbedingten verwendet, in denen sehr viele Aufgaben Vielzahl weiterer probabilistischer
Schwankungen – eine Person mit einem vorgesehen sind und Personen nur einen Messmodelle vorgeschlagen, die u. a. die
hohen Fähigkeitswert alle Aufgaben mit Teil der Aufgaben bearbeiten können. Schätzung unterschiedlicher Trenn-
einer höheren Wahrscheinlichkeit lösen Die Eigenschaft der „spezifischen schärfen oder die Berücksichtigung der
als Personen mit niedrigeren Fähigkeits- Objektivität“ ist jedoch mit der strengen Ratewahrscheinlichkeit erlauben (vgl.
werten. Analog dazu sollten leichtere Voraussetzung verbunden, dass alle Items vertiefend Rost, 2004; de Ayala, 2009; und
Aufgaben von allen Personen mit einer gleiche Trennschärfen (Diskriminations- Embretson & Reise, 2000). Eine weitere
höheren Wahrscheinlichkeit gelöst werden parameter) aufweisen und somit gleich Klasse probabilistischer Messmodelle
als schwere Aufgaben. gut zwischen Personen unterscheiden. In – sog. kognitiver Diagnosemodelle –
In einem einfachen und restriktiven der Praxis erweist sich diese Annahme oft erlaubt die Schätzung latenter Fähigkeits-
probabilistischen Messmodell, dem sog. als problematisch, auch weil deren Gül- profile (vgl. dazu Kunina-Habenicht, Rupp
Rasch-Modell, wird angenommen, dass tigkeit für empirische Daten nicht einfach & Wilhelm, 2009).

Die tatsächliche Ausprägung ist in Disziplinen wie der klassifizieren (falsch-negativ). Die Folgen für dieses Kind
Pädagogik oder Psychologie in der Regel kein fehlerfrei wären die potenzielle ausbleibende Förderung und ein
feststellbarer Zustand. Man hilft sich in der medizinischen sich daraus entwickelndes kumulatives Defizit, das später
Praxis der Beurteilung von Messinstrumenten häufig da- in schulischer Überforderung münden kann. Der zweite
mit, dass die „tatsächliche Ausprägung“ durch die Anwen- Fehler liegt vor, wenn ein Kind als gestört klassifiziert wird,
dung eines diagnostischen Goldstandards – damit ist die das tatsächlich ungestört ist (falsch-positiv). In diesem Fall
unter gegenwärtigen Bedingungen optimal machbare Di- würde das Kind eine kostenintensive und aufwändige För-
agnostik gemeint – operationalisiert wird. derung erhalten, die dem Schüler zwar ggf. nicht schaden
Bei dieser Entscheidung können zwei Arten von Feh- wird, jedoch hohe Behandlungskosten verursacht und tat-
lern begangen werden. Der erste Fehler besteht darin, ein sächlich von Dyskalkulie betroffene Kinder von begrenzten
Kind, das tatsächlich dyskalkulisch ist, als ungestört zu Behandlungsressourcen ausschließt.
320 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

Exkurs  |       | 
1
Konfirmatorische Strukturgleichungsmodelle
2 Konfirmatorische Strukturgleichungsmo- die Variation in den Items 1–10 durch eine über die Passung dieser Modelle zu den
delle ermöglichen die explizite Überprü- latente Variable „Geometriewissen“ und empirischen Daten anhand zahlreicher in

3 fung der empirischen Struktur des infrage


stehenden Merkmals (einführend Byrne,
die Variation in den Items 11–20 durch
eine latente Variable „Algebrawissen“
der Forschung weithin anerkannter Gü-
tekriterien ermöglicht werden (Scher-
2001; weiterführend Bollen, 1989). Im ein- bedingt wird, wobei die beiden latenten melleh-Engel, Moosbrugger & Müller,

4 fachen Modell (sog. Generalfaktormodell)


wird postuliert, dass die Gemeinsamkei-
Variablen miteinander korrelieren dürf-
ten. In Abhängigkeit davon, wie stark die
2003). Der Ansatz, über konfirmatorische
Strukturgleichungsmodelle Testdaten zu
ten, die bei der Beantwortung aller Items beiden latenten Faktoren für „Geometrie- modellieren, ist äußerst vielseitig, flexibel
5 zu beobachten sind, auf ein einzelnes
latentes Merkmal bzw. Konstrukt zu-
wissen“ und „Algebrawissen“ miteinander
zusammenhängen, kann anhand etablier-
und analytisch weit entwickelt. Er erlaubt
z. B. die Modellierung intraindividueller
rückzuführen sind. In unserem Beispiel ter statistischer Prüfmethoden fundiert Veränderungen sowie die Betrachtung
6 wäre dieses Konstrukt „mathematische
Begabung“. In einem alternativen theo-
entschieden werden, welches Struktur-
gleichungsmodell die empirischen Daten
von Gruppenunterschieden auf latenter
Ebene. Die weniger gut entwickelte
retisch plausiblen Modell könnten auch besser erklärt (vgl. dazu Schulze, 2005). Schätzung von Personenparametern ist
7 weitergehende Modelle geprüft werden. Eine Stärke dieses Modellierungsan- in diesem Ansatz über sog. Faktorscore-
So könnte man beispielsweise testen, ob satzes besteht darin, dass Aussagen Koeffizienten möglich.

8
.. Tab. 13.2  Fiktive Klassifikationsdaten zur Diagnose von Dyskalkulie mit einem neu entwickelten Mathematiktest-Verfahren (relative

9 Häufigkeiten)

Ergebnis + (Dyskalkulie) Ergebnis − (keine Dyskalkulie) Summe


10 Ausprägung + (Dyskalkulie) 0,30 (richtig-positiv – RP) 0,12 (falsch-negativ – FN) P = 0,42

Ausprägung − (keine Dyskalkulie) 0,10 (falsch-positiv – FP) 0,48 (richtig-negativ – RN) P’ = 1 − P = 0,58
11 Summe Q = 0,40 Q’ = 1 − Q = 0,60 1

12 Basisrate/Prävalenz (Anteil der tatsächlich an Dyskalkulie leidenden Kinder in der untersuchten Stichprobe):
P = RP + FN = 0,3 + 0,12 = 0,42
Selektionsrate (Anteil der Kinder, die mit dem neuen Test als dyskalkulisch diagnostiziert wurden): Q = RP + FP = 0,3 + 0,1 = 0,40
13 Sensitivität des neuen Testverfahrens (Anteil der gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert wurden):
SE = RP / P = 0,3 / 0,42 = 0,625
Spezifität des neuen Testverfahrens (Anteil der nicht gestörten Kinder, die mit dem neuen Test korrekt klassifiziert als ungestört klassi-
14 fiziert wurden): SP = RN / P‘ = 0,48 / 0,58 ≈ 0,83
Effizienz des neuen Testverfahrens = RP + RN = 0,3 + 0,48 = 0,78. Das bedeutet, dass 22 % der Kinder mit dem neuen Testverfahren

15 falsch klassifiziert wurden.

16 Zur Beurteilung der Klassifikationen bei diagnosti-


Definition 

schen und medizinischen Entscheidungen werden die Die wichtigsten Begriffe der klassifikatorischen

17 Spezifität, Sensitivität sowie die Effizienz des Tests bzw. der Diagnostik sollen hier am Beispiel einer Dyskalku-
liediagnose kurz erläutert werden: Die Basisrate/
Entscheidungsprozedur und einige weitere Koeffizienten
herangezogen. Prävalenz gibt den Anteil der gestörten Kinder in der
18 Bei der Klassifikation mittels eines perfekten Tests Stichprobe an. Unter der Selektionsrate versteht man
treten keine Fehler auf, daher gilt in diesem Fall TP = P, den Anteil der Kinder, für die der Test eine positive Di-
19 FN = FP = 0 und TN = P’. Für einen völlig zufälligen und agnose ergibt. Sensitivität des Tests gibt an, welchem
folglich nicht legitimen Test ergeben sich die relativen Anteil der Kinder mit Dyskalkulie korrekterweise eine
Dyskalkuliediagnose zugeschrieben wird. Spezifität
20 Häufigkeiten in den Zellen der Klassifikationstabelle aus
gibt den Anteil der korrekterweise als ungestört
dem Produkt der Randsummen, es gilt also: TP = P * Q,
FN = P * Q’, FP = P’ * Q, TN = P’ * Q’. In der Realität treten diagnostizierten Kinder an. Effizienz gibt den Anteil
21 diese extremen Fälle jedoch so gut wie nie auf. Für einen korrekt klassifizierter Kinder an.
legitimen Test muss eine signifikante Korrelation zwischen
22 der diagnostischen Entscheidung und dem tatsächlichen
Zustand vorliegen.
13.3  •  Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten
321 13
Definition 
Mithilfe der Diagnostik sollen konkrete Aussagen über
Das relative Risiko ist das Verhältnis der Wahrschein- Beobachtungseinheiten getroffen werden, um dann be-
lichkeit eines positiven Ergebnisses (Dyskalkuliedi- gründete Entscheidungen zu treffen. In der Regel sind
agnose) bei positiver Ausprägung im Vergleich zu diese Beo­bachtungseinheiten Personen. Diagnostik kann
einem positiven Ergebnis (Dyskalkuliediagnose) bei aber auch in/für Situationen, Gruppen von Personen oder
negativer Eigenschaftsausprägung. Relatives Risiko Institutionen, wie etwa Schulen, gelten.
und Odds-Ratio (das Verhältnis von Wetten) sind eng Bei der Diagnostik von Personen ist es von großer Be-
miteinander verwandt. deutung, auf welcher Datenquelle die Informationen bzw.
Beobachtungen beruhen:
1. Es können Lebensdaten oder biografische Fakten wie
Wettverhältnisse (Odds) geben die Wahrscheinlichkeit an, Alter, Geschlecht oder Schulabschluss erfragt werden.
dass das positive Ereignis für eine bestimmte Personen- 2. Personen können um Aussagen über ihre Interessen,
gruppe vorliegt. Die „Chance“, dass im oben genannten Persönlichkeit oder typische Verhaltensweisen gebeten
Beispiel ein Kind mit Dyskalkulietestergebnis tatsäch- werden. Dies geschieht meist in Form von Fragebögen
lich dyskalkulisch ist, berechnet sich aus dem Verhältnis und seltener über Interviews.
„richtig-positiv“ zu „falsch-positiv“ und beträgt 0,3 : 0,1 3. Leistungsbezogenes Verhalten (sog. maximale An-
oder 3 : 1. Die „Chance“, dass ein Kind ohne auffälliges strengung; Cronbach, 1949) kann meist mithilfe von
Dyskalkulietestergebnis tatsächlich dyskalkulisch wäre, standardisierten Leistungstests erfasst werden. Hierbei
beträgt 0,12 : 0,48 oder 1 : 4. Die Odds Ratio ist ein Maß für sollen Personen in begrenzter Zeit möglichst viele Auf-
die Stärke des Unterschieds zwischen zwei Gruppen, hier gaben einer bestimmten Beschaffenheit korrekt lösen.
Kindern mit und ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis. 4. Insbesondere zur Beurteilung von Verhaltensauffällig-
Die Odds Ratio setzt die Odds der beiden Gruppen zuei- keiten können sog. Beobachtungsinventare herangezo-
nander ins Verhältnis. Im Beispiel beträgt die Odds Ratio gen werden, um das Verhalten in kritischen Situationen
3 : 0,25 = 12. Das heißt, die Chancen (bzw. das Risiko) von direkt zu beobachten.
Kindern mit auffälligem Dyskalkulietestergebnis tatsäch-
lich dyskalkulisch zu sein, sind 12-mal so groß wie die von
Kindern ohne auffälliges Dyskalkulietestergebnis, tatsäch- 13.3.1 Lebensdaten
lich dyskalkulisch zu sein. Zahlreiche weitere Koeffizienten
erlauben eine detaillierte Bewertung der klassifikatorischen Wichtige biografische Informationen, die bei Untersu-
Aspekte von Diagnostik (Kraemer, 1992). Daumenregeln chungen in der pädagogisch-psychologischen Diagnostik
für die Beurteilung solcher Koeffizienten sind schwer zu berücksichtigt werden, sind Alter, Geschlecht, erworbene
formulieren, da die in Frage stehenden Zusammenhänge Schulabschlüsse und bei Erwachsenen ggf. bisherige Er-
jeweils im Anwendungskontext und mit Blick auf etwaige werbstätigkeit. Dazu gehören aber auch Informationen da-
Implikationen beurteilt werden müssen. rüber, ob jemand in der Schule sitzen geblieben ist, ein Aus-
Wie in vielen anderen anwendungsnahen Disziplinen landspraktikum absolviert hat oder in einem bestimmten
steht bei der Beurteilung der Qualität pädagogisch-psy- Zeitintervall Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hat. Biografi-
chologischer Diagnostik nicht immer die Frage im Vorder- sche Daten können als manifeste Spuren bestimmter Merk-
grund, inwiefern eine optimale und fehlerfreie Entschei- male und Dispositionen im Lebenslauf eines Individuums
dung erreicht wurde. Es geht vielmehr häufig darum, eine verstanden werden; sie sind daher häufig das Ergebnis
Verbesserung gegenüber alternativen Vorgehensweisen lang währender Vorgänge (etwa einer Berufsausbildung),
oder dem Status quo zu erzielen. Solche Nützlichkeitser- deren Ergebnisse durch zahlreiche, häufig unbekannte
wägungen und die mit konkurrierenden Prozeduren ver- Determinanten bestimmt sind. Zu diesen Determinanten
bundenen Kosten sollten bei der Beurteilung der Qualität zählen z. B. Fähigkeiten, Interessen und Persönlichkeitsei-
des diagnostischen Prozesses berücksichtigt werden. genschaften der betreffenden Person, aber auch der sozio-
ökonomische Status der Eltern, epochale Einflüsse, zufällig
eintretende Opportunitäten und vieles mehr. Die größte
13.3 Diagnostische Verfahren Schwierigkeit bei der Beurteilung biografischer Daten be-
und diagnostische Daten steht darin, verlässlich zu bestimmen, welche konkreten
Aussagen über die Ausprägungen der in Frage stehenden
Um die an sie herangetragenen praktischen Probleme lö- Merkmale und Dispositionen sich aus Lebensdaten ableiten
sen zu können, stehen in der Diagnostik eine Reihe ver- lassen. Sitzenbleiben indiziert in den meisten Fällen eine
schieden formalisierter Werkzeuge wie Tests, Fragebögen, schwache Schulleistung, in einigen Fällen jedoch wiederho-
Beobachtungsinventare oder Interviews zur Verfügung. len Kinder mit durchschnittlichen schulischen Fertigkeiten
322 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

eine Klasse aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen. satz standardisierter Leistungstests ähnliche Phänomene
1 Neben der mangelnden Motivation oder mangelnder Be- zu erwarten sind. Auch hier können bei den Schätzungen
gabung können aber auch die Strenge der Bewertungs- Abweichungen auftreten, wie im Abschnitt über Reliabili-
2 maßstäbe und Interaktionen solcher Determinanten zur tät diskutiert wurde.
Vorhersage des Sitzenbleibens beitragen. Eine grundlegende Schwäche des Lehrerurteils, die für
Informationen wie Schulnoten, Examensleistungen an Leistungstests nicht gilt, liegt in der mangelnden Vergleich-
3 Hochschulen und weitere Beurteilungen von Lernleistun- barkeit von Noten aufgrund des fehlenden klassenübergrei-
gen nach institutionalisierter Ausbildung zählen unserer fenden Maßstabs für die Leistungsbeurteilung. Das bedeu-
4 Ansicht nach nur mittelbar zu den Lebensdaten. Da den tet, dass die objektiv gleiche Leistung in Abhängigkeit vom
Schulnoten im deutschen Bildungssystem eine herausra- allgemeinen Leistungsniveau der Klasse und der Schule
5 gende Bedeutung bei wichtigen Selektionsentscheidungen verschieden bewertet wird (▶ Kap. 8 und ▶ Kap. 11).
zukommt, werden wir im Folgenden näher auf die Qualität
der schulischen Leistungsbeurteilungen eingehen.
6 13.3.3 Selbstberichtsinstrumente

7 13.3.2 Zensuren Unter Selbstberichtsinstrumenten werden Verfahren


verstanden, bei denen eine Person sich selbst bezüglich
Schulleistungen entscheiden beispielsweise darüber, wel- interessierender Eigenschaften oder Verhaltensweisen
8 che weiterführende Schule nach der Grundschule empfoh- einschätzen soll. In Selbstberichtsinstrumenten gibt es
len und ggf. besucht wird und bilden die Grundlage für die keine objektiv richtige Antwort. Es ist ganz wesentlich zu
9 Entscheidung, welche Bewerber zum Hochschulstudium verstehen, dass die Beurteilungen der Antworten folglich
zugelassen werden. Aufgrund dieser großen Bedeutung nicht die Abweichungen von einem definierten Leistungs-
10 müssen an die schulischen Leistungsbeurteilungen hohe standard abbilden – also inwieweit sich das Antwortmuster
methodische Anforderungen gestellt werden. Sie müssen von einem Soll-Antwortmuster unterscheidet –, sondern
objektiv, reliabel und vergleichbar zwischen verschiede- subjektiv gefärbte Beurteilungen widerspiegeln, die von der
11 nen Klassen und Schulen sein. Selbstverständlich müssen Person manipuliert werden können.
Zensuren auch valide im Sinne der oben angeführten Kon- In der pädagogischen und klinischen Praxis, etwa bei
12 zeptualisierung sein. Untersuchungen von Schulfähigkeit oder Verhaltensauffäl-
Die mangelnde Objektivität und Reliabilität der Schul- ligkeiten, werden Selbst- und Fremdbeurteilungen häufig
noten sind vielfach festgestellt und kritisiert worden (vgl. eingesetzt. Typische Beispiele für Selbstberichtsverfahren
13 dazu zusammenfassend Ingenkamp, 1995). Da die Schul- stellen Persönlichkeitstests wie der NEO-PI-R (Ostendorf
leistungen von den Lehrkräften beurteilt werden, beruhen & Angleitner, 2004) dar. Zu den Selbstberichtsinstrumen-
14 die Einzelnoten auf Beurteilungsprozessen, deren Ergebnis ten zählen auch Einstellungsfragebögen, semantische Dif-
von der diagnostischen und pädagogischen Kompetenz ferenziale, Ratingskalen und einiges mehr. Dem NEO-PI-R
15 sowie von den individuellen Beurteilungstendenzen der liegt das Big-Five-Modell zugrunde, nach dem fünf breite
Lehrkraft abhängt (Langfeldt & Tent, 1999). Solche sub- und hierarchisch organisierte Persönlichkeitseigenschaften
jektiven Urteile sind zahlreichen verzerrenden Einfluss- unterschieden werden müssen (McCrae & Costa, 1999).
16 faktoren ausgesetzt wie beispielsweise Erinnerungsfehlern, In der folgenden ▶  Übersicht sind Beschreibungen dieser
fehlerhaften Attributionen, Urteilstendenzen (Milde- oder Konstrukte und jeweils ein Beispielitem angegeben.
17 Strengeeffekte, Tendenz zur Mitte), Einstellungs- und Er-
wartungseffekten sowie der aktuellen Befindlichkeit der
Typische Items zur Erfassung der „Big-Five“-
Lehrkraft (Tent, 1998). Lehrkräften geht es da, auch trotz
18 Persönlichkeitseigenschaften nach NEO-PI-R

-
umfangreicher Erfahrung in der Leistungsbeurteilung,
(Ostendorf & Angleitner, 2004)
nicht anders als anderen Menschen. Bei objektiv gleicher
19 Leistung schwanken die Lehrerbeurteilungen z. T. erheb- Extraversion: Tendenz, gesellig, aktiv, gesprächig,
sozial und optimistisch zu sein.

-
lich. Langfeldt et al. (1999) geben jedoch zu bedenken, dass
„Ich habe gern viele Leute um mich herum.“
20 die meisten Urteile nur wenig voneinander abweichen. Das
Neurotizismus: Tendenz nervös, ängstlich, traurig,
Gleiche gilt auch für die Reliabilität der Schulleistungsur-
unsicher und verlegen zu sein. Unfähigkeit, die
teile: Wenn Lehrkräfte ein und dieselbe Leistung mehrmals
21 bewerten, können sich durchaus große Unterschiede zei- Bedürfnisse zu kontrollieren und angemessen auf
Stressreaktionen zu reagieren.
gen – die Mehrheit der Zweiturteile weicht allerdings nur
22 wenig vom Ersturteil ab (Langfeldt et al., 1999). Dabei ist „Ich bin oft nervös.“
auch unbedingt in Rechnung zu stellen, dass beim Ein-
13.3  •  Diagnostische Verfahren und diagnostische Daten
323 13

- Gewissenhaftigkeit: Tendenz leistungsorientiert,


ordentlich, diszipliniert und ehrgeizig zu arbeiten.
kräften zu schließen. Konkret bedeutet das, dass zu einer
Situationsbeschreibung mehrere Handlungsalternativen

-
angeboten werden, die entweder hinsichtlich ihrer Ange-
„Ich arbeite hart, um meine Ziele zu erreichen.“
messenheit bewertet werden sollen oder aus denen eine Al-
Verträglichkeit: Neigung altruistisch, verständnis-
ternative ausgewählt werden soll. Die Antwortbewertung
voll und mitfühlend zu sein sowie zwischenmensch-
erfolgt meistens anhand des Vergleichs mit einer Experten-
liches Vertrauen, kooperatives Verhalten und
gruppe, da korrekte Antworten für solche Verfahren meist
Nachgiebigkeit zu zeigen.
unbekannt sind (Weekley & Ployhart, 2005).
„Ich komme mit den meisten Mitmenschen gut

-
Selbstberichtsinstrumente können auch zur Erfassung
zurecht.“
von relevanten Kontextaspekten wie z. B. zur Erfassung
Offenheit für neue Erfahrungen: Wertschätzungen
der Unterrichtsqualität oder der Qualität der Eltern-Kind-
für neue Erfahrungen, Bevorzugung von Abwechs-
Beziehung eingesetzt werden. So können z. B. Lehrkräfte
lung. Personen mit hohen Ausprägungen in dieser
ihren eigenen Unterricht hinsichtlich verschiedener As-
Skala sind wissbegierig und kreativ.
pekte wie kognitive Aktivierung, Klassenführung oder
„Ich führe gerne intellektuelle Diskussionen.“
konstruktive Unterstützung (▶ Kap. 4, ▶ Kap. 11) aus ih-
rer Perspektive mittels eines Fragebogens beurteilen. Zu-
sätzlich können Schüler analoge Fragebögen bearbeiten,
Zu Selbstberichtsverfahren zählen auch Interessentests die ihre Wahrnehmung des Unterrichts im Sinne einer
sowie Motivationsfragebögen, etwa zur Leistungsmoti- Fremdevaluation erfassen. Darüber hinaus werden in na-
vation. Ein empfehlenswerter Berufsinteressentest ist der tionalen und internationalen Bildungsstudien (▶ Kap. 15)
AIST (Bergmann & Eder, 2005), der auf dem Hexagon- häufig Fragebögen zur Erfassung des sozioökonomischen
Modell von Holland (Holland, 1997) beruht, in dem ein Status oder Migrationshintergrunds der Schüler eingesetzt.
Interessenprofil (Nagy, Trautwein & Lüdtke, 2010) auf Denkbar ist auch der Einsatz von Fragebögen zur Erfas-
sechs Interessendomänen (z. B. technische, intellektuelle, sung der Eltern-Kind-Interaktion aus der Perspektive der
künstlerische Interessen) erstellt werden kann. Kinder und der Eltern.
Ein schwerwiegendes Problem beim Einsatz von
Selbstberichtsinstrumenten stellt die Verfälschbarkeit
der Antworten dar (Ziegler, MacCann & Roberts, 2011). 13.3.4 Testdaten: Intelligenz-
Versuchspersonen weisen in den für sie relevanten Be- und Schulleistungsdiagnostik
wertungssituationen mehr oder weniger stark ausgeprägte
Tendenzen auf, ihre Antworten zu verfälschen – etwa Intelligenz gehört zu den am besten etablierten Konstruk-
vermeintlich sozial erwünscht zu reagieren. Der Einsatz ten der empirischen Sozialwissenschaft und wird auch als
von sog. Lügenskalen löst solche Verfälschungsprobleme „Begabung“ oder als „allgemeine kognitive Fähigkeit“ be-
nicht. In Selektions- oder Beratungssituationen, bei denen zeichnet. Trotz jahrzehntelanger Forschungstradition gibt
für Versuchspersonen viel auf dem Spiel steht, sind Selbst- es keine allgemein anerkannte Definition von Intelligenz.
berichte daher kritisch zu beurteilen. Zu diesen Testsitua- Intelligenztests lassen sich hingegen definieren.
tionen zählen neben Selektionssituationen u. U. auch Bera-
tungssituationen, die zu als stigmatisierend empfundenen Definition 
Behandlungsempfehlungen führen. Intelligenztests sind Verfahren, bei denen wesentli-
Eine weitere, weniger verbreitete Form von Selbstbe- che Anteile der Varianz auf individuelle Unterschiede
richt sind Einschätzungen der eigenen Leistungsfähig- in kognitiver Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind.
keit (z. B. Beantwortung der Frage „Wie viele Aufgaben Intellektuelle Fähigkeiten, die mit solchen Verfahren
im Test hast du deiner Meinung nach richtig gelöst?“). erfasst werden, gelten als über die Zeit relativ stabile
Diese Mischform zwischen Selbstbericht und Leistungs- Persönlichkeitseigenschaften.
tests (Stankov, 1999) lässt sich in die oben besprochene
Taxonomie von typischem und maximalem Verhalten
(Cronbach, 1949) ebenso schwierig einordnen wie Tests In unterschiedlichen Intelligenztheorien variiert die An-
zum situierten Urteilen (sog. situational judgement tests; zahl und Beschaffenheit der postulierten Fähigkeiten. In
vgl. Lievens, Peters & Schollaert, 2008). Diese Verfahren neueren Intelligenzmodellen wird aufbauend auf älteren
zielen darauf ab, aus Verhaltensabsichten in kritischen Si- Modellen ein tieferes Verständnis der ablaufenden Denk-
tuationen (z. B. „Umgang mit unaufmerksamen Kindern“) prozesse angestrebt. Ein weitgehend anerkanntes Intelli-
z. B. auf die für den Unterrichtserfolg ausschlaggebenden genzstrukturmodell, das auf der Grundlage umfangreicher
Persönlichkeitseigenschaften bzw. -fertigkeiten von Lehr- Reanalysen etabliert wurde, postuliert neben einem Gene-
324 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

.. Abb. 13.2  Typische Aufgaben zur Erfas-


1 sung fluider Intelligenz

2
3
4
5
6
7
8 ralfaktor mehrere breite Gruppenfaktoren, zu denen bei- c) Herrscher im Heiligen Römischen Reich Deutscher
spielsweise fluide und kristalline Intelligenz zählen (Car- Nation
9
10
roll, 1993). Fluide Intelligenz kann beschrieben werden
als die Fähigkeit, komplexere logische Zusammenhänge
und abstrakte Strukturen zu begreifen sowie vielfältige
Informationen verfügbar zu halten und manipulieren zu
- d) Bezwinger des Hunnenkönigs Attila
Was kennzeichnet einen „Tinnitus“?
a) Ohrgeräusche
b) Rückenschmerzen
können. Unter dem Begriff kristalline Intelligenz werden c) Blindheit
11 individuelle Unterschiede im verfügbaren und anwendba- d) Verwirrtheit
ren Wissen verstanden. Neben fluider und kristalliner In-
12 telligenz werden weitere Intelligenzfähigkeiten unterschie- Die Unterscheidung zwischen Intelligenztests und Schul-
den, wie z. B. allgemeine auditive und visuelle Fähigkeiten leistungstests ist ein schwieriges und kontroverses Thema
sowie verschiedene Gedächtnisleistungen und geschwin- (Lohman, 2006). Die oben angegebene Definition für In-
13 digkeitsbezogene Intelligenzleistungen (▶ Kap. 2). telligenztests schließt grundsätzlich alle Schulleistungstests
Mit Blick auf verfügbare Tests sind auch Gedächtnis-, ein. Schulleistungstests sind häufig auf Leistungen in spe-
14 Aufmerksamkeits- und Konzentrationstests als speziellere zifischen Schulfächern in spezifischen Jahrgangsstufen zu-
Verfahren zu nennen, die häufig eingesetzt werden. Be- geschnitten, es gibt aber auch fächer- und jahrgangsüber-
15 züglich der Aufmerksamkeitstests sind allerdings profunde greifende Verfahren. Grundsätzlich ist die Bezeichnung
Probleme der Abgrenzung gegenüber sog. Konzentrations- Schulleistungstest auch etwas irreführend, denn geht es in
leistungstests und Verfahren zur Erfassung der Bearbei- der Regel um die Messung von Schülerleistungen.
16 tungsgeschwindigkeit und der Wahrnehmungsgeschwin- Als ein Beispiel eines Schulleistungstests wird hier
digkeit festzustellen. DEMAT  4 (Gölitz, Roick & Hasselhorn, 2006) aus der
17 Die Ausprägung intellektueller Fähigkeiten wird heute DEMAT-Reihe – einer Serie gut etablierter und unter-
in der Regel in alters- und schulformspezifischen Norm­ suchter Verfahren zur Erfassung mathematischer Rechen-
skalen mit dem Mittelwert 100 und der Standardabwei- fertigkeiten in der Grundschule für die Klassenstufe 1–4
18 chung 15 ausgedrückt. Der IST 2000 R (Amthauer, Brocke, – vorgestellt. Der Testkonstruktion liegen die Mathematik-
Liepmann & Beauducel, 2001) ist ein aktueller, recht gut lehrpläne aller 16 deutschen Bundesländer zugrunde. Der
19 normierter und weit verbreiteter Intelligenztest. Test erfasst Schülerleistungen in den Bereichen Arithme-
Typische Aufgaben zur Erfassung der fluiden Intelli- tik (vgl. Beispielaufgabe in . Abb. 13.3), Sachrechnen und
20 genz sind in . Abb. 13.2 wiedergegeben. Geometrie. Der Bereich Arithmetik wird durch die Auf-
Die kristalline Intelligenz wird beispielsweise über fol- gabentypen Zahlenstrahlen, Additionen, Subtraktionen,
gende Items aus dem IST 2000 R (Amthauer et al., 2001) Multiplikationen und Divisionen gemessen. Zum Bereich

-
21 erfasst: Sachrechnen gehören die Aufgabentypen Größenverglei-
Wer war „Alexander der Große“? chen und Lösen von Sachaufgaben. Die Geometrieleis-
22 a) Feldherr der römischen Armee unter Julius Caesar tung wird mit den Aufgabentypen Lagebeziehungen und
b) griechisch-makedonischer König Spiegelzeichnungen gemessen. Die Validität des Verfah-
13.4 • Abschließende Kommentare
325 13
.. Abb. 13.3  Beispielaufgabe aus dem
DEMAT 4. (Aus Gölitz, D., Roick, T. & 105:2= 610·3=
Hasselhorn, M. (2006). Deutscher Mathe-
matiktest für vierte Klassen (DEMAT 4). © by
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen •
Nachdruck und jegliche Art der Vervielfäl-
tigung verboten. Bezugsquelle: Testzen-
trale Göttingen, Herbert-Quandt-Str. 4,
37081 Göttingen, Tel. (0551) 999-50-999,
▶ www.testzentrale.de.)

rens ist gut belegt durch substanzielle Zusammenhänge Übereinstimmung zwischen diesen errechnet werden,
mit anderen etablierten Mathematiktests und Schulnoten. um die Objektivität der Auswertung und Interpretation
Zur Diagnose spezifischer Defizite in mathematischen der Antworten (bzw. des beobachteten Verhaltens) ab-
Kenntnissen – insbesondere der Dyskalkulie können zusichern.
dann ggf. spezifischere Verfahren herangezogen werden,
etwa der ZAREKI (von Aster, Weinhold Zulauf & Horn,
2006). Weitere Informationen zur DEMAT-Reihe sowie 13.4 Abschließende Kommentare
allgemein zur Diagnostik von Mathematikleistungen fin-
den sich bei Hasselhorn, Schneider und Marx (2005). In Naturgemäß können in einem kurzen Kapitel nicht alle we-
. Abb. 13.3 ist eine Beispielaufgabe aus dem DEMAT 4 sentlichen Aspekte einer wichtigen Teildisziplin der Päd-
dargestellt. agogischen Psychologie Berücksichtigung finden. Daher
können auch nicht alle behandelten Sachverhalte im gege-
benen Rahmen ausführlich erörtert werden. Im Folgenden
13.3.5 Interviews werden einige weiterführende Aspekte aufgegriffen und
und Beobachtungsinventare Verweise für ein vertiefendes Studium gegeben.
Nachdem die psychologische Diagnostik lange Zeit
In der Praxis ist man bei der Beurteilung eines diagnos- starker Kritik sowohl inner- und außerhalb der Disziplin
tischen Problems häufig auf Auskünfte der untersuch- ausgesetzt war, ist seit einigen Jahren ein Umschwung in
ten Personen oder der Bezugspersonen wie Eltern oder der Bewertung ihrer Bedeutsamkeit feststellbar. Besonders
Lehrkräfte angewiesen, deren Urteil subjektiv gefärbt sein sichtbar wird dieser Wandel an der Vielzahl der nationa-
kann. Zur Objektivierung dieser Informationen können len und internationalen Bildungsstudien wie PISA oder
standardisierte oder halbstandardisierte Interviews TIMSS (▶ Kap. 15). Darüber hinaus hat aber auch die Ein-
eingesetzt werden. Um die Transparenz des Vorgehens führung von Bildungsstandards und Vergleichsarbeiten zu
und der getroffenen Entscheidung zu maximieren, sollte einer öffentlichen Diskussion und stärkeren Sichtbarkeit
bei der Befragung auf einen standardisierten Fragenkata- der psychologischen Diagnostik geführt.
log zurückgegriffen werden. Darüber hinaus erleichtern In der Diagnostik sind die Analyseeinheiten häufig ein-
vorab festgelegte Antwortkategorien die Einordnung und zelne oder einige wenige Personen. Spezielle Methoden
Auswertung der häufig schwer miteinander vergleichbaren der Einzelfallanalyse und Veränderungsmessung sind
Antworten. hier häufig die statistischen Verfahren der Wahl, und ihr
Eine weitere Klasse von Verfahren bietet sich insbe- Studium (etwa Köhler, 2008) ist relevant, weil diese Metho-
sondere für die Beurteilung von Verhaltensauffälligkeiten den in der Regel im Rahmen des universitären Studiums
an: die Beobachtung von kritischen Situationen mittels keinen festen Platz haben.
sog. Beobachtungsinventare (z. B. in der Eltern-Kind- Diagnostik beruht immer auf empirischer Evidenz und
Interaktion oder in der Klasse), wenn man sich nicht aus- setzt geeignete Messinstrumente voraus. In der Realität
schließlich auf die Selbst- und Fremdauskunft verlassen diagnostischer Praxis ist zu befürchten, dass zahlreiche
will. Um auch hier Transparenz zu gewährleisten, sollten diagnostische Probleme durch Laien bearbeitet und mit
bei der Beobachtung standardisierte Checklisten oder unzureichenden Instrumenten und Methoden entschieden
vorab festgelegte Kategorien für das zu beobachtende werden (Wottawa & Hossiep, 1997). Die Konsequenzen
Verhalten verwendet werden. Darüber hinaus sollten so- eines unzulänglichen Vorgehens für betroffene Personen
wohl bei Interviews als auch bei Beobachtungsinventaren werden dabei oft zu wenig beachtet. Zweifellos würden
mehrere Beobachter bzw. Beurteiler eingesetzt und die vergleichbare Zustände in der medizinischen Diagnos-
326 Kapitel 13 • Pädagogisch-psychologische Diagnostik

tik zu großem gesellschaftlichen Unbehagen führen. Wir


1 sind der Meinung, dass es in der pädagogisch-psycholo- Diagnostische Entscheidungen können schwerwie-
gende Konsequenzen nach sich ziehen. Daher muss
gischen Diagnostik einige saliente Probleme – wie etwa
man sich der möglichen Fehler, die bei einer diagnos-
2 die Begründung und die Konsequenzen der Aufteilung
tischen Entscheidung entstehen können, bewusst sein
der Grundschulkohorten in verschiedene Schulformen in
und sollte versuchen, diese durch die Verwendung
der Sekundarstufe – gibt, bei denen Betroffenen bedeut-
3 same Lebenschancen zugeteilt oder vorenthalten werden. adäquater Verfahren und Methoden zu minimieren.
Die biografischen Konsequenzen dieser Entscheidungen
4 werden in Deutschland gesellschaftlich noch nicht hinrei-
chend in Erwägung gezogen. Verständnisfragen
5 In vielen benachbarten Disziplinen, insbesondere in 1. Erklären Sie den Begriff „pädagogisch-psychologische
der Medizin, gibt es eine verbindliche und aus Kunden- Diagnostik“. In welchen Anwendungsfeldern kommt die
bzw. Patientensicht selbstverständliche Fort- und Weiter- pädagogisch-psychologische Diagnostik zum Einsatz?
6 bildungsforderung für diagnostisch tätige Personen. In 2. Welche wichtigen Taxonomien von Problemen der päda-
der psychologischen Diagnostik gibt es kein solches Qua- gogisch-psychologischen Diagnostik kennen Sie? Nennen
7 lifizierungsgebot. Dies trägt sicher zu einigen der nicht zu- Sie jeweils Beispiele für Fragestellungen.
friedenstellenden Gegebenheiten in der psychologischen 3. Nennen und erläutern Sie drei relevante Gütekriterien
Diagnostik bei (Schoor, 1995). So werden für diagnosti-
8 sche Zwecke häufig Instrumente verwendet, deren Normen
anhand derer psychologische Tests bewertet werden?
4. Erklären Sie die Begriffe Basisrate und Selektionsrate an
überaltert sind, deren Testinhalte überholt sind und die einem Beispiel. Was versteht man unter Sensitivität, Sen-
9 inhaltliche Weiterentwicklungen in der Grundlagenfor- sibilität und Effizienz eines Testverfahrens?
schung nicht abbilden. Die Aktualität des Wissens in der 5. Welche diagnostischen Informationen bzw. Verfahrens­
10 Praxis der pädagogisch-psychologischen Diagnostik muss klassen können in der pädagogisch-psychologischen
somit leider ebenso bezweifelt werden wie die Realisierung Diagnostik herangezogen werden? Welche Vorzüge und
einer problemgerechten Testpraxis. Nachteile haben diese Verfahren?
11
Vertiefende Literatur
Fazit
12 Pädagogisch-psychologische Diagnostik befasst sich
Brennan, R. L. (2006). Educational Measurement (4th ed.). Westport, CT:
Praeger Publishers.
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14 Ausprägungen der interessierenden Merkmale werden
aufgrund von beobachtetem Verhalten geschätzt. In
Bezug auf diagnostische Fragestellungen werden drei
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329 14

Evaluation pädagogisch-
psychologischer Maßnahmen
Olaf Köller

14.1 Begriffsbestimmung – 330
14.2 Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation  –  332
14.2.1 Entstehungszusammenhang von Evaluationen  –  333
14.2.2 Begründungszusammenhang von Evaluationen  –  333
14.2.3 Verwertungszusammenhang von Evaluationen  –  334

14.3 Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen  –  334


14.4 Methodische Probleme bei Evaluationen  –  337
14.4.1 Reifungs- und Entwicklungseffekte  –  337
14.4.2 Äquivalenzprobleme – 338
14.4.3 Stichprobenmortalität – 338
14.4.4 Hierarchische Daten – 339

14.5 Standards für Evaluationen  –  339


14.6 Beispiel für eine wissenschaftliche Evaluation  –  340
Literatur – 341

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
330 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

Als angewandte Disziplin bietet die Pädagogische Psychologie


1 eine Vielzahl von Präventions- und Interventionsprogrammen
im schulischen und außerschulischen Kontext an (▶ Kap. 17).
2 Motivationstrainings (z. B. Rheinberg & Krug, 1999) und
Denktrainings (Klauer, 1993) sind Beispiele für Interventio-
nen bzw. Maßnahmen auf der Mikro- bzw. Individualebene;
3 Unterrichtsentwicklungsprogramme stellen Interventionen
auf einer Mesoebene dar, und schließlich sind Schulreformen
4 Maßnahmen auf der Makro- oder Systemebene. Die Pädago-
gische Psychologie ist nicht nur bemüht, die Maßnahmen auf
5 den verschiedenen Ebenen theoriebasiert zu entwickeln, sie
bedient sich vielmehr auch der entsprechenden sozialwissen-
schaftlichen Methoden und statistischen Verfahren, um den
6 Erfolg der Maßnahmen zu überprüfen. Erfolg bedeutet hier,
dass die Zielvariablen der Maßnahmen/Interventionen op- .. Abb. 14.1  

7 timiert werden; im vorschulischen und schulischen Kontext


siert werden und enthalten nach Chen (2005) die Kom-

--
können dies motivationale, soziale und emotionale Variablen
ponenten:
8 ebenso wie die kognitive Entwicklung sein. Die Überprüfung
Input

--
der Wirksamkeit der Maßnahmen wird als Evaluation, das
dazu gehörige wissenschaftliche Vorgehen als Evaluations- Transformation
9 Output

-
forschung bezeichnet.
Im Rahmen dieses Kapitels soll eine Einführung in die Grund- Feedback
10 lagen der Evaluation gegeben werden. Begonnen wird mit ei- Umwelt.
ner Präzisierung dessen, was genau unter einer Evaluation zu
verstehen ist und welche Formen der Evaluation unterschie- Input. Hierunter fallen Ressourcen, die für eine Maß-
11 den werden können. Danach wird der Ablauf einer Evaluation nahme bereitgestellt werden, z. B. organisationale Struk-
in acht Schritten von der Entscheidung, überhaupt eine Evalu- turen, Personal, Finanzen und Infrastruktur.
12 ation durchzuführen, bis hin zum Ziehen von Konsequenzen
aus den Evaluationsbefunden skizziert. ▶ Abschn. 14.3 wid- Transformation (Prozess).  Hiermit ist die Durchführung
der eigentlichen Maßnahme/Intervention gemeint, die
13 met sich der Überprüfung der Wirksamkeit von Evaluationen,
in ▶ Abschn. 14.4 werden verschiedene methodische Prob- aufseiten der Zielobjekte (Zielpersonen) zu Veränderungen
leme beschrieben, die bei der Durchführung und Auswertung führen soll. Dies kann beispielsweise die konkrete Durch-
14 von Evaluationen entstehen können. Hieran schließt sich ein führung eines kombinierten Motivations- und Lesepro-
kurzer Abschnitt an, in dem international gültige Standards gramms bei benachteiligten Schülern sein.
15 für Evaluationsvorhaben vorgestellt werden. ▶ Abschn. 14.6
beinhaltet dann die Beschreibung eines konkreten Evaluati- Output.  Der Output umfasst die Ergebnisse der Transfor-
onsvorhabens (. Abb. 14.1). mation aufseiten der Zielobjekte (Zielpersonen). Zielkrite-
16 rien pädagogisch-psychologischer Programme beinhalten
kognitive Variablen, Leistungsmaße, Sozialverhalten, Per-
17 14.1 Begriffsbestimmung sönlichkeitsvariablen sowie emotionale und motivationale
Merkmale. Die Programme müssen sich letztendlich daran
Geht man von einer sehr breiten Definition aus, so kann messen lassen, ob es ihnen gelingt, die angesprochenen
18 Evaluation in Anlehnung an Scriven (1991; auch Mittag & Kriterien zu optimieren (Frage der Effektivität). Neben die-
Hager, 2000) als jegliche Art der zielgerichteten und zweck- sen Kriterien sind bei Evaluationen aber auch Fragen der
19 orientierten Festsetzung des Wertes einer Sache verstanden Durchführbarkeit, der Akzeptanz und der theoretischen
werden. Im Sinne dieser Definition können prinzipiell be- Fundierung eines Programms von Bedeutung (Hager,
20 liebige Objekte, Gegenstände, Maßnahmen etc. evaluiert 2008). Bei den Zielkriterien unterscheidet Hager (2008)
werden. Im pädagogisch-psychologischen Bereich sind Nah- und Fernziele. Nahziele beziehen sich auf die Effekte
dies typischerweise Interventions- und Präventionspro- einer Intervention direkt zum Zeitpunkt ihrer Beendigung.
21 gramme, vorschulische Erziehung, schulischer Unterricht Hager nennt hier als Beispiel das kognitive Denktraining
oder Fortbildungsmaßnahmen. von Klauer (1993), dessen Wirksamkeit sich unmittelbar
22 Jede beliebige Maßnahme und ihre Evaluation können nach Abschluss in einem Anstieg der Leistungsfähigkeit
systemtheoretisch im Sinne von . Abb. 14.2 konzeptuali- im induktiven Denken ausdrücken sollte. Fernziele um-
14.1 • Begriffsbestimmung
331 14

außerschulische Maßnahmen zur Förderung schulischer


Kompetenzen durchgeführt und diese verschiedenen Maß-
nahmen getrennt hinsichtlich ihrer Effektivität ausgewertet
werden. Konzediert werden muss hier, dass die Unterschei-
dung von globaler und analytischer Evaluation oft schwie-
rig ist und die Übergänge fließend sind.

Wissenschaftliche Evaluation, Evaluations-


.. Abb. 14.2  Systemtheoretische Fassung einer Intervention und
und Grundlagenforschung
ihrer Evaluation. (Modifiziert nach Chen, 2005. Republished with Von einer wissenschaftlichen Evaluation wird gesprochen,
permission of SAGE Publications, Inc. Books, © 2005; permission wenn die Bewertung des Evaluationsgegenstandes wenigs-
conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.) tens ansatzweise theoriebasiert ist und sich auf empirische
Daten stützt, die im Rahmen der Evaluationsforschung mit
fassen längerfristige Effekte von Interventionen, so könnte wissenschaftlichen Methoden bzw. Verfahren gewonnen
sich das Denktraining von Klauer nach einer gewissen Zeit und analysiert wurden. In diesem Sinne definieren Mittag
auch in besseren Schulleistungen niederschlagen. und Hager (2000, S. 103) Evaluationsforschung als

Umwelt.  Maßnahmen bzw. Interventionen finden übli- » die wissenschaftlich fundierte, empirische und hy-
cherweise in natürlichen (ökologischen) Kontexten statt, pothesenorientierte Forschung unter systematischer
in denen vielfältige Umweltfaktoren ein Programm im Po- Anwendung sozialwissenschaftlicher Forschungs-
sitiven wie im Negativen beeinflussen können. Zu solchen methoden. Die Ergebnisse der Evaluationsforschung
Faktoren zählen soziale Normen, politische Strukturen, das bilden die wesentliche, wenn auch nicht die einzige
wirtschaftliche Umfeld, Interessengruppen, Erwartungen Grundlage einer wissenschaftlichen Evaluation.
des Auftraggebers der Evaluation und Interessen von di-
rekt und indirekt Beteiligten. Wird dem Output im Umfeld Noch zielführender ist in diesem Zusammenhang die De-
keine hinreichende Bedeutung zugemessen oder liegen die finition von Rossi und Freeman (1993, S. 5):
Befunde der Evaluation quer zu den Erwartungen des Auf-
traggebers, so steigt die Wahrscheinlichkeit des vorzeitigen » Evaluation research is the systematic application of
Abbruchs einer Maßnahme. social research procedures in assessing the concep-
tualization and design, implementation, and utility of
Feedback.  Hierunter fällt die eigentliche Evaluation, die social intervention programs.
idealer Weise prozessbegleitend stattfinden sollte. Prozess-
und Produkt- bzw. Outputinformation können genutzt Im Gegensatz zur Evaluationsforschung steht bei der
werden, um Modifikationen auf der Input- und Transfor- Grundlagenforschung nicht ein Produkt, sondern eine
mationsseite vorzunehmen. Ohne eingezogene Feedback- Forschungsfrage, die aus einer Theorie abgeleitet wurde, im
schleifen steigt die Gefahr von Misserfolgen. Vordergrund (vgl. Rost, 2000). Typische Beispiele hierfür
sind Experimente, in denen abgeleitete Aussagen aus einer
Globale vs. analytische Evaluation Theorie überprüft werden.
Notwendige Voraussetzung einer Evaluation ist, dass die
ihr zugrunde liegenden Bewertungskriterien expliziert Isolierte vs. vergleichende vs. kombinierte
werden und der Evaluationsgegenstand auf der Basis die- Evaluation
ser Kriterien bewertet wird. Wird ein Programm bzw. ein Hager (2008) unterscheidet drei Evaluationsparadigmen,
Objekt als Ganzes bewertet, so sprechen wir von einer glo- die mit unterschiedlichen Hypothesen verbunden sind. Im
balen Evaluation, im Falle einer detaillierten Überprüfung Paradigma der isolierten Evaluation steht die Frage nach
einzelner Komponenten eines Programms liegt eine analy- der grundsätzlichen Wirksamkeit eines Programms im
tische Evaluation vor. Ein typisches Beispiel einer globalen Vordergrund. Eine Wirksamkeitshypothese wird in die-
Evaluation stellt der Ländervergleich zur Überprüfung der sem Paradigma beispielsweise dahingehend formuliert,
Schulleistungen in allen 16 Ländern der Bundesrepublik dass eine Trainingsmaßnahme bei den beteiligten Perso-
Deutschland (vgl. Köller, Knigge & Tesch, 2010; Stanat, nen (Interventionsgruppe) eine Veränderung in Richtung
Pant, Böhme & Richter, 2012) dar (▶ Kap. 15). Hier steht eines definierten Ziels bewirkt, während diese Verände-
das gesamte allgemeinbildende Schulsystem eines Lan- rung in einer alternativen Maßnahme, die in einer Kon-
des auf dem Prüfstand. Eine analytische Evaluation liegt trollgruppe andere Ziele verfolgt, nicht beobachtbar sein
beispielsweise vor, wenn in einem Programm inner- und sollte. Hager spricht nur dann von einer „echten“ Kontroll-
332 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

Summative vs. formative Evaluation


1 Je nachdem, ob ein Produkt oder ein Prozess evaluiert
wird, spricht man von einer summativen oder einer for-
2 mativen Evaluation. Summative Evaluationen (Produkt­
evaluationen) finden nach Fertigstellung eines Produktes
bzw. Beendigung einer Maßnahme bzw. Intervention statt.
3 Das primäre Ziel besteht darin, Fragen hinsichtlich der
Wirksamkeit von Programmen zu beantworten. Formative
4 Evaluationen (Prozessevaluationen) setzen direkt während
der Entwicklung oder Erprobung einer Maßnahme bzw.
5 Intervention ein, können aber auch interventionsbeglei-
tend sein. Sie haben die Funktion, die Komponenten eines
Programms zu modifizieren bzw. zu optimieren, um die
6 Gesamtwirkung der Maßnahme zu erhöhen.

7 Interne vs. externe Evaluation


Im schulischen Kontext wird häufig zwischen interner
und externer Evaluation unterschieden. Bei der internen
8 Evaluation werden die in . Abb. 14.3 aufgeführten Schritte
.. Abb. 14.3  Übersicht über die acht Schritte einer wissenschaft- innerhalb eines Kollegiums gegangen. Planung, Durchfüh-
9 lichen Evaluation. (Modifiziert nach Abs et al., 2006, aus Wolfgang rung und Interpretation der Evaluation liegen also in den
Böttcher, Heinz-Günter Holtappels, Michaela Brohm (Hrsg.), Evaluation
Händen der Lehrkräfte. Bei der externen Evaluation ist
im Bildungswesen © 2006 Beltz Juventa, Weinheim und Basel)
10 üblicherweise die Schulaufsicht die treibende Kraft, wie-
wohl international (z. B. in Großbritannien) die externe
gruppe, wenn auch in dieser eine Maßnahme/Intervention Schulevaluation durch unabhängige Einrichtungen durch-
11 durchgeführt wird. geführt wird (u. a. das Office for Standards in Education
Im Paradigma der vergleichenden Evaluation werden in England).
12 mindestens zwei Maßnahmen/Interventionen, welche (mit
unterschiedlichen Mitteln) dieselben Ziele verfolgen, gegen- Ranking
übergestellt. Dies betrifft vor allem Interventionsprogramme, Ein relativ neues Phänomen in der Evaluation von päd-
13 die sich bereits in isolierten Evaluationen als erfolgreich agogischen Einrichtungen, Institutionen oder Systemen
erwiesen haben. Zu dieser Gruppe zählen auch Evaluati- sind Rankings. Die Schulsysteme der 16 Länder der Bun-
14 onsstudien, in denen Einzelmaßnahmen mit Maßnahmen- desrepublik Deutschland werden im Rahmen von PISA
kombinationen verglichen werden. Denkbar ist hier, dass öffentlich in eine Reihenfolge gebracht (vgl. u. a. Köller
15 verschiedene Programme zur Steigerung von Schulleistun- et al., 2010). In England sind sog. League-Tables im In-
gen verknüpft werden. So können ein Motivationstraining ternet verfügbar, in denen Einzelschulen in eine Rangreihe
und ein Denktraining mit einem Training, das beide Pro- hinsichtlich der erreichten Schülerleistungen gebracht
16 gramme verbindet, verglichen werden (vgl. hierzu beispiels- werden. Im Bereich der Evaluation von Hochschulen ist
weise die Studie von Fries, Lund & Rheinberg, 1999). Die zu beispielhaft das CHE-Hochschulranking zu nennen, das
17 testenden Hypothesen bezeichnet Hager (2008) als Äquiva- fachbereichsspezifisch deutsche Universitäten hinsichtlich
lenzhypothesen (alle Maßnahmen sind gleich erfolgreich), ihrer Angebote für Studierende in eine Rangfolge bringt.
Überlegenheitshypothesen (eine Maßnahme hat größere Forschungsrankings liefern darüber hinaus Informatio-
18 Effekte auf die Zielvariablen als die andere bzw. die anderen) nen über die Forschungsleistungen (Zahl der Publikatio-
und Nicht-Unterlegenheitshypothese (eine Maßnahme ist nen, Promotionen, Zitationen, eingeworbene Drittmittel)
19 mindestens ebenso wirksam wie eine Alternative). von Fachbereichen an Universitäten.
Im Paradigma der kombinierten Evaluation werden
20 schließlich die isolierte und die vergleichende Evaluation
14.2 Die acht Schritte
zusammengeführt. Anlässe für diese Form ergeben sich,
wenn Programme sich zunächst in einer vergleichenden einer wissenschaftlichen Evaluation
21 Evaluation als äquivalent erweisen, man aber nicht wirklich
daraus schließen kann, wie groß die Wirksamkeit ist. Man In . Abb. 14.3 finden sich die acht Schritte einer systema-
22 wird in diesem Fall eine dritte „echte“ Kontrollgruppe hinzu tischen wissenschaftlichen Evaluation in der Form eines
ziehen müssen, um die Wirksamkeitshypothese zu prüfen. Kreislaufs (aus Abs, Maag Merki & Klieme, 2006). Die
14.2  •  Die acht Schritte einer wissenschaftlichen Evaluation
333 14

Schritte 1 und 2 umfassen den Entstehungszusammen-


6. Evaluationsorientierung
hang der Evaluation, der Begründungszusammenhang
7. Aktive und positive Beziehungen zwischen der
wird über die Schritte 3–5 hergestellt, schließlich besteht
Schule und ihrem Umfeld (z. B. Eltern, Betriebe)
der Verwertungszusammenhang aus den Schritten 6–8.
8. Klassenklima
Rost (2000) bezeichnet diese Phasen in Anlehnung an
9. Zielstrebige Führung des Unterrichts
Rossi, Freeman und Hofmann (1988) als Konzeptuali-
10. Klar strukturierter Unterricht
sierungsphase (Schritte  1–3), Implementationsphase
11. Selbstständiges Lernen
(Schritte  4 und 5) und Wirkungsforschungsphase
12. Differenzierung, lernerangepasste Methodik
(Schritte 6–8). Alle drei Phasen haben ihre Entsprechung
13. Rückmeldung
in der Grundlagenforschung.

14.2.1 Entstehungszusammenhang Bei der Planung der Intervention und ihrer Evaluation ist
von Evaluationen die zusätzliche Berücksichtigung einer oder mehrerer Kon-
troll- bzw. Vergleichsgruppen – wo immer möglich – erfor-
Jede empirische Untersuchung, so auch jede Evaluation, derlich. Kontroll- bzw. Vergleichsgruppen können alterna-
bedarf hinsichtlich des Evaluationsgegenstands eines the- tive oder keine Interventionen erhalten, nur bei alternativen
oretischen bzw. konzeptuellen Überbaus. Darin gilt es zu- Interventionen spricht Hager (2008) von „echten“ Kontroll-
nächst zu klären, welches die zentralen Zieldimensionen gruppen (s. auch den Abschnitt zu isolierter, vergleichender
sind, die infolge einer Maßnahme optimiert werden sollen. und kombinierter Evaluation). Die Berücksichtigung von
Weitere Fragen beziehen sich auf den Kontext, in dem die Vergleichsgruppen bietet einen wissenschaftlich haltbaren
Evaluation stattfinden soll. Die angestrebte Zielgruppe ist Vergleichsmaßstab für die Interpretation von Wirkungen.
zu präzisieren; der Ort, an dem die Evaluation stattfindet, Eine Interventionsmaßnahme, beispielsweise ein Trai-
muss ebenso festgelegt werden wie das zu verwendende ning zum prosozialen Verhalten von verhaltensauffälligen
Evaluationsmodell. Geht es in Interventionsmaßnahmen Schülern kann nur dann in seiner Wirksamkeit evaluiert
um die Steigerung der Schul- oder Unterrichtsqualität, so werden, wenn es mit anderen Trainingsgruppen und/oder
ist mit den jeweils Betroffenen zu klären, welchem Qua- einer Gruppe ohne Training verglichen wird.
litätsverständnis von Schule oder Unterricht gefolgt wird Unbestritten ist allerdings, dass die Forderung nach ei-
und in welche Forschungstradition dieses eingebettet ner und mehreren Kontrollgruppen zumindest im Kontext
werden kann. Scheerens und Bosker (1997) beispielsweise Kindergarten oder Schule an Grenzen stößt. So kann auf
identifizierten in einem Review der einschlägigen For- Systemebene die Wirksamkeit von Schule nicht dadurch
schungsliteratur 13 schulische Faktoren, die als relevant für untersucht werden, dass man beschulte Kinder und Ju-
die Steigerung der Schülerleistungen gelten (▶ Übersicht). gendliche mit unbeschulten Gleichaltrigen vergleicht. Letz-
Hattie (2009, 2012) kommt zu vergleichbaren Faktoren. tere wird man zumindest in den Industrienationen kaum
Weiterhin muss in dieser Phase festgelegt gelegt wer- finden. Begibt man sich auf die Ebene der Einzelschule und
den, in welchen Einrichtungen (Institutionen) die Inter- definiert hier passgenaue Indikatoren der Schul- und Un-
vention durchgeführt werden soll, welche Personengrup- terrichtsqualität, so werden an die Stelle von Kontrollgrup-
pen und welche Bereiche eingebunden werden sollen. pen Schulen treten, die in vergleichbaren Lagen ähnliche
Schließlich müssen auch Festlegungen getroffen werden, Schüler aufnehmen (Versuch eines fairen Vergleichs).
ob eine (formative) Prozessevaluation, eine (summative)
Produktevaluation oder eine Kombination aus beiden Eva-
luationsstrategien realisiert werden soll. 14.2.2 Begründungszusammenhang
von Evaluationen
Zentrale Faktoren der Qualität einer Schule (nach
Entsprechend dem Vorgehen in der Grundlagenforschung
Scheerens & Bosker, 1997)
werden im nächsten Schritt Fragestellungen bzw. Hypo-
1. Leistungsorientierung, hohe Lernerwartungen der
thesen formuliert, die das Kausalgefüge zwischen Maß-
Lehrkräfte an die Schüler
nahmen bzw. Interventionen und Kriterien beschreiben.
2. Effiziente Schulleitung
Welche Maßnahmen führen zu welchen Effekten aufseiten
3. Konsens und Zusammenhalt im Kollegium
der Qualitätsindikatoren? Wie intensiv müssen sie sein?
4. Qualität von Curriculum und Lernumgebungen
Gibt es Bedingungen, unter denen sie unwirksam werden?
5. Schulklima
Wirken mehrere, gleichzeitig implementierte Maßnahmen
jede für sich oder kumulativ oder gar kompensatorisch?
334 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

Mit der theoriebasierten Ableitung und Formulierung schnittlich ausgerichtet sein. Hier ist das einfachste aber
1 von Hypothesen über Kausalitätsgefüge folgt die Evalua- auch hinreichend flexible Design der Vortest-Nachtest-
tionsforschung dem Credo des kritischen Rationalismus Follow-up-Plan (Hager, 2008). In der Interventionsgruppe
2 (Popper, 1971) und legitimiert so ihren wissenschaftlichen und in der Kontrollgruppe wird dabei unmittelbar vor der
Anspruch. Gleichzeitig ist die Präzisierung des Zusam- Maßnahme eine Baseline-Erhebung der Zielvariablen
menhangsgefüges zwischen Maßnahmen und Zielkrite- durchgeführt, die zweite Messung erfolgt unmittelbar nach
3 rien die Voraussetzung für die Konstruktion von Messin- Ende der Maßnahme. Schließlich wird längere Zeit nach
strumenten, mit deren Hilfe Zielvariablen und potenzielle Abschluss der Maßnahme eine dritte Messung durchge-
4 Prozessindikatoren der Interventionen bzw. Maßnahmen führt um zu überprüfen, ob das Programm nachhaltige
operationalisiert werden können: „Wo quantitative Daten Effekte auf die Zielgrößen hat. Natürlich schließt dieses
5 erhoben und interpretiert werden, müssen auch die Regeln relativ elementare Design nicht aus, dass auch während der
der sozialwissenschaftlichen Methodenlehre und Statistik Maßnahme Messungen stattfinden; sei es, um Modifikati-
beachtet werden“ (Abs et al., 2006, S. 102). Die Einhaltung onen vornehmen zu wollen oder um frühzeitig abschät-
6 entsprechender Regeln gilt analog für qualitative Ansätze zen zu können, ob die Maßnahme trägt. Weiterhin können
(vgl. hierzu z. B. Mayring, 2002). auch mehr als zwei Gruppen in diesem Plan berücksichtigt
7 Auch wenn die Anwendung hoher wissenschaftlicher werden.
Standards an Evaluationsmaßnahmen nicht unwider- Zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebung sollten keine
sprochen geblieben ist (z. B. Altrichter, 1999), steht außer Unterschiede zwischen Interventions- und Kontrollgrup-
8 Zweifel, dass nur bei Verwendung adäquater Untersu- pen bestehen, da Ausgangsunterschiede methodische Pro-
chungsdesigns, messgenauer und in der Literatur etablier- bleme bei der Auswertung aufwerfen, so beispielsweise
9 ter Erhebungsverfahren und der Anwendung adäquater das Phänomen der ▶  Regression zur Mitte (Campbell
Auswertungsmethoden die Validität der in der Evaluation & Kenny, 1999), bei dem messfehlerbedingt höhere Aus-
10 gewonnenen Befunde gegeben ist. Müssen Erhebungsins- gangswerte die Chance reduzieren, dass beim Zielkrite-
trumente für eine Evaluation zunächst entwickelt werden, rium Wachstum beobachtbar ist.
so sind deren vorherige Erprobung und die Feststellung Hinsichtlich der Verläufe der Zielvariablen in isolierten
11 psychometrischer Eigenschaften notwendige Bedingungen. Evaluationen beschreibt Hager (2008) fünf Ergebnismus-
ter, die in . Abb. 14.4 präsentiert werden. Bei einer erfolg-
12 losen Intervention zeigt sich eine parallele Entwicklung
14.2.3 Verwertungszusammenhang der Mittelwerte in der Interventions- und Kontrollgruppe.
von Evaluationen Existieren keine Ausgangsunterschiede, so decken sich
13 beide Verlaufslinien.
In diesem Zusammenhang werden Entscheidungen getrof- Bei einer nur teilweise erfolgreichen Maßnahme zeigt
14 fen, wer Zugang zu den Ergebnissen haben soll, wie die sich in der Interventionsgruppe ein Anstieg in der Zielva-
Befunde zu interpretieren sind und welche Konsequen- riable zwischen Vor- und Nachtest, der allerdings bis zur
15 zen sich daraus für ein Produkt bzw. Programm ergeben. Follow-up-Messung wieder verschwunden ist. In diesem
Sofern es nicht gelingt, die Befunde von Evaluationen in Fall bleibt die Intervention also auf kurzfristige Effekte be-
konkrete Anschlussmaßnahmen umzusetzen, wird die schränkt. Bleiben die Effekte dagegen auch bei der Follow-
16 Sinnhaftigkeit des gesamten Vorgehens bei der Evalu- up-Messung stabil, so handelt es sich in der Tat um eine
ation in Frage gestellt. An die Bereitstellung von Evalu- erfolgreiche Intervention.
17 ationsbefunden wird sich dementsprechend ein Katalog Die letzten beiden Graphen in . Abb. 14.4 zeigen eben-
von Maßnahmen zur Implementation der erwünschten falls Varianten erfolgreicher Interventionen. Im ersten Fall
Veränderungen anschließen. Fehlt solch ein Begleit- bzw. setzt sich der positive Trend bis zur Follow-up-Messung
18 Implementationsprogramm, so wächst die Gefahr nicht fort, d. h. die Zielvariable verzeichnet auch nach der Inter-
intendierter Effekte der Evaluation, indem Adressaten die vention einen weiteren Anstieg. Typische Beispiele hierfür
19 Befunde einfach ignorieren oder gar abwerten. finden sich bei Gesundheitsprogrammen, wenn Teilneh-
mer auch nach der Intervention weiterhin die Verhaltens-
20 14.3 Überprüfung der Wirksamkeit
regeln befolgen und sich ihr körperlicher Zustand über
das Programm hinaus verbessert. Im zweiten Fall bleibt
von Interventionen die Intervention bis zur Nachtestmessung erfolglos, beim
21 Follow-up ist dann aber ein deutlicher Anstieg erkennbar.
Oben wurde festgestellt, dass Evaluationsdesigns immer In diesem Fall sprechen wir von einer „Schläfer-Effekt“
22 auch mindestens eine „echte“ Kontrollgruppe berücksich- („sleeper effect“). Ein Beispiel hierfür liefert eine Unter-
tigen sollten. Darüber hinaus sollte die Evaluation längs- suchung von Hall, Hall und Sirin (1996). In dieser Studie
14.3  •  Überprüfung der Wirksamkeit von Interventionen
335 14

a b

c d

e
.. Abb. 14.4a–e  Typische Ergebnismuster bei isolierten Evaluationen

erhielt eine Interventionsgruppe von Lehrkräften profes- Statistische Signifikanz und Effektstärken
sionelle Beratung über insgesamt 30 Stunden. Direkt nach in wissenschaftlichen Evaluationen
der Maßnahme ergaben sich zwischen der Interventions- Die deskriptiven Mittelwertsverläufe in . Abb. 14.4 visua-
gruppe und einer Kontrollgruppe keine Unterschiede im lisieren die Effekte einer Intervention. Im Hinblick auf die
wahrgenommenen professionellen Handeln. Erst ein Jahr inferenzstatistische Absicherung der Interventionen wer-
später wurden dann Unterschiede zwischen beiden Grup- den typischerweise Varianzanalysen mit Messwiederho-
pen in einer weiteren Untersuchung sichtbar. lung und/oder geplante Kontraste durchgeführt (Hager,
336 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

1 .. Tab. 14.1  Entscheidungen beim Hypothesentesten .. Tab. 14.2 Effektstärkenmaße

Entscheidung für Paarweise Mittelwertsver- Vergleiche zwischen mehre-


2 H0 H1
gleiche ren Gruppen

M IG − M KG QSzwischen
d= η2 =
3 Wahr ist H0 1–α α
SIG
2
+ SKG
2
QStotal
H1 β 1–β 2

4 1 − α Wahrscheinlichkeit, dass H0 beibehalten wird und wahr MIG Mittelwert in der Interventionsgruppe; MKG Mittelwert
ist; α Wahrscheinlichkeit, dass H0 verworfen wird, obwohl in der Kontrollgruppe; S2IG Varianz in der Interventionsgrup-
H0 richtig ist (α-Fehler); 1 − β Wahrscheinlichkeit, dass H0
5 verworfen wird und H1 richtig ist (Teststärke bzw. Power);
pe; S2KG Varianz in der Kontrollgruppe; QSzwischen Streuung
zwischen der Interventionsgruppe und den Kontrollgruppen;
β Wahrscheinlichkeit, dass H0 beibehalten wird, obwohl H1 QStotal Gesamtstreuung

6 wahr ist (β-Fehler)

Koeffizienten d und η2. Die entsprechenden Definitionen


7 2008). Im Falle ungleicher Ausgangswerte zwischen finden sich in . Tab. 14.2. Der Koeffizient d wird als Diffe-
Interventions- und Kontrollgruppen werden ▶ Kovari- renz zwischen zwei Mittelwerten, geteilt durch die gepoolte
anzanalysen angewendet (Pedhazur, 1997). Die statisti- Standardabweichung bestimmt. η2 ist ein deskriptives Maß
8 schen Hypothesen beziehen sich dabei üblicherweise auf für die durch die Gruppenzugehörigkeit aufgeklärte Vari-
Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe und den anz, das dem quadrierten multiplen Regressionskoeffizient
9 Kontrollgruppen in den Mittelwertsdifferenzen bzw. in R2 entspricht. In der Tradition der experimentellen Psycho-
den mittleren Trends. Mit der Nullhypothese (H0) wird logie haben sich die in . Tab. 14.3 aufgeführten Konventi-
10 angenommen, dass keine Unterschiede zwischen den onen zur Beurteilung beider Effektgrößen etabliert (Bortz
Gruppen im Verlauf bestehen. Dennoch auftretende Un- & Döring, 2002).
terschiede zwischen den Gruppen sind rein zufällig. Mit Dabei muss allerdings konzediert werden, dass η2
11 der Alternativhypothese (H1) wird angenommen, dass ebenso wir R2 nur in sehr großen Stichproben eine unver-
sich die Mittelwertsdifferenzen bzw. die Trends zwischen zerrte Schätzung der Effektstärke auf Populationsebene
12 Interventionsgruppe und Kontrollgruppen unterscheiden. darstellt. In kleinen Stichproben überschätzt η2 die Effekt-
Als Prüfgröße wird (in Varianzanalysen) die F-Statistik stärke, das hier adäquatere Maß ist die Größe ω2 (vgl. Bortz
verwendet, und die Entscheidung für oder gegen H0 er- & Döring, 2002). Die in Stichproben ermittelte Größe d ist
13 folgt entsprechend den in der Inferenzstatistik geltenden dagegen ein unverzerrter (erwartungstreuer) Schätzer für
Konventionen: Erreicht der F-Bruch einen Wert, für den die Effektstärke auf Populationsebene.
14 unter der Annahme von H0 gilt, dass dieser oder größere Inwieweit diese Konventionen geeignet sind, die
Werte nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von unter praktische Signifikanz von Maßnahmen, die Gegenstand
15 5 % (α = 0,05) oder von unter einem Prozent (α = 0,01) auf- wissenschaftlicher Evaluationen sind, zu beurteilen, ist
treten, so wird H0 verworfen. Aus der Nichthaltbarkeit von Gegenstand vielfältiger Diskussionen. So zeigen beispiels-
H0 wird dann auf die Geltung der Alternativhypothese H1 weise die großen nationalen und internationalen Schulleis-
16 geschlossen (. Tab. 14.1). tungsstudien der letzten 20 Jahre, dass der gemessene Wis-
Die F-Statistik ist allerdings wie alle Prüfstatistiken ab- senszuwachs von Schülern in den Kernfächern (Deutsch,
17 hängig von der Stichprobengröße. Sehr kleine, praktisch Mathematik, erste Fremdsprache) über ein Schuljahr ei-
unbedeutende Mittelwertdifferenzen können signifikant ner Effektstärke d von 0,25–0,50 entspricht. Dementspre-
werden, wenn die Stichprobengrößen nur hinreichend chend hat eine Maßnahme zur Unterrichtsentwicklung,
18 groß gewählt werden (vgl. hierzu Bortz & Döring, 2002). die in einer Schülergruppe einen Wissenszuwachs von
Als Folge der Stichprobengrößenabhängigkeit der Prüf- d = 0,20 erreicht, durchaus praktische Bedeutung, kor-
19 statistiken ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass respondiert doch ihr Effekt mit rund einem halben Jahr
Effektstärken relevantere Größen für die Beurteilung von Beschulung. Diese Diskussion zeigt, dass die Beurteilung
20 Mittelwertsdifferenzen sind (vgl. Bortz & Döring, 2002). der Effektstärke einer Intervention keineswegs trivial ist.
Wir vertreten eine Position, wonach zu einer angemesse- Idealerweise wird man bereits bei der Planung eines Maß-
nen Auswertung der Daten sowohl die inferenzstatistische nahmenpakets die gewünschte Effektstärke festlegen. Hat
21 Absicherung als auch die Bestimmung von Effektstärken man solch eine Festlegung getroffen, so lassen sich bei
gehört. zusätzlicher Festlegung des Signifikanzniveaus und der
22 Maße für die Effektstärke, die bei kontinuierlichen Teststärke adäquate Stichprobenumfänge kalkulieren (vgl.
Zielvariablen typischerweise berechnet werden, sind die hierzu Bortz & Döring, 2002).
14.4  •  Methodische Probleme bei Evaluationen
337 14
Frühkindliche
.. Tab. 14.3  Konventionen für die Interpretation von Effekt- Interventionen
stärken. (Nach Bortz & Döring, 2002)
Vorschulische
d η2 Interventionen

Renditen von Bildungsinvestitionen


Unbedeutender Effekt < 0,20 < 1 %
Schulische
Kleiner Effekt 0,20–0,50 1–5 % Interventionen
Nachschulische
Mittlerer Effekt 0,50–0,80 6–14 %
Interventionen
Großer Effekt > 0,80 > 15 %

Einen ganz anderen Weg, die praktische Bedeutsam-


keit einer Intervention zu beleuchten, stellt die Kosten-
0–3 4–6 Schule nach der Schule
Nutzen-Analyse (Cost-benefit-Analysis) dar, die primär
nicht auf die Wirksamkeit einer Maßnahme abzielt (Ef-
Alter
fektivität), sondern den Aufwand einer Intervention in
Relation zu den Erträgen betrachtet (Effizienz). Hier geht .. Abb. 14.5  Zusammenhang zwischen dem Alter bei Einsetzen eines
es vor allem auch um die Frage, ob die potenziellen finan- Interventionsprogramms und den Renditen (Verhältnis der Kosten
ziellen Gewinne bzw. später ausbleibenden Kosten eines pro Kind zu den langfristig eingesparten Folgekosten)

Programms höher sind als die für das Programm aufge-


wendeten Finanzmittel. Prominent geworden sind solche thodische Probleme, die aus dem hierarchischen Charakter
Kosten-Nutzen-Analysen durch die Arbeiten des ameri- der Daten resultieren, die im pädagogisch-psychologischen
kanischen Bildungsökonomen James Heckman (s. z. B. Kontext erhoben werden. Diese Probleme sollen im Fol-
Heckman, Moon, Pinto, Savelyev & Yavitz, 2010). Heck- genden kurz skizziert und Lösungsansätze angeboten wer-
man hat systematisch analysiert, mit welchen Kosten­ den.
einsparungen zu rechnen ist, wenn man Interventions-
programme zur kognitiven, sozialen und emotionalen
Förderung besonders benachteiligter Kinder einführt. 14.4.1 Reifungs- und Entwicklungseffekte
Dabei interessierte vor allem der Zeitpunkt des Einsetzens
der Intervention. Die Befunde dieser Analysen sind in Reifungs- und Entwicklungseffekte beschreiben Verän-
. Abb. 14.5 zusammengefasst, in der die Rendite von In- derungen, die nicht auf die Interventionen selbst, son-
terventionsprogrammen gegen den Zeitpunkt des Beginns dern auf organismische oder umweltbedingte Effekte
der Intervention dargestellt ist. Erkennbar ist, dass früh zurückzuführen sind. Die kognitive Leistungsfähigkeit
einsetzende Interventionsprogramme eine deutlich hö- von Schülern steigt beispielsweise keineswegs allein in
here Effizienz aufweisen als spät beginnende Programme Folge schulischen Unterrichts oder anderer gezielter
(▶ Abschn. 14.6). Maßnahmen. Entwicklungsbedingte Faktoren (Reifung)
ebenso wie unkontrollierte Umwelteinflüsse (Fernseh-
und Computerkonsum sowie andere häusliche Entwick-
14.4 Methodische Probleme lungsgelegenheiten) wirken sich auf die Veränderungen
bei Evaluationen aus und können Interventionseffekte überlagern. In der
Tat versuchen Arbeiten zur Effizienz von Schule immer
In ▶ Abschn. 14.1 wurde bereits darauf hingewiesen, dass wieder, konkurrierende Beschulungs- und Alterseffekte
Interventionen immer in spezifischen Umwelten stattfin- (z. B. Cliffordson & Gustafsson, 2008; Luyten, 2006) zu
den, die in manchen Fällen auch methodische und statis- trennen und stellen damit der „schulischen Intervention“
tische Einschränkungen zur Folge haben können. Wottawa Reifungseffekte gegenüber.
und Thierau (2003) diskutieren drei Fehlerquellen, die in Einen besonderen Fall der Entwicklungseffekte stellen

--
Evaluationsstudien auftreten können, nämlich
Reifungseffekte
Veränderungen in den Zielvariablen dar, die allein durch
die wiederholte Messung unter Verwendung desselben

- Nichtäquivalenz von Vergleichsgruppen


Stichprobenmortalität.

Hinzu kommen noch Probleme, wie sie typischerweise


Tests entstehen. So zeigen Studien zu Effekten kognitiver
Denktrainings immer wieder, dass sich auch in unbehan-
delten Kontrollgruppen die Kriterien (Intelligenztestwerte)
zwischen Pre- und Posttest aufgrund von Übungseffekten
auch in quasiexperimentellen Studien auftreten, und me- verändern („test wiseness“, vgl. Sarnacki, 1979).
338 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

14.4.2 Äquivalenzprobleme 14.4.3 Stichprobenmortalität


1
Im optimalen Fall wird man im Rahmen einer Interven- Das Problem der Stichprobenmortalität (statistischen
2 tionsstudie Personen zufällig der Interventions- und der Mortalität) stammt ursprünglich aus der medizinischen
Kontrollgruppe zuweisen (▶ Randomisierung) und die Verlaufsforschung, in der Interventionen bzw. Treatments
Evaluation dann in einem Vortest-Nachtest-Follow-up- in Patientengruppen hinsichtlich ihrer Effizienz untersucht
3 Design realisieren. Solch ein Vorgehen sichert, dass sich wurden. Patienten verstarben während des Programms
alle Personmerkmale, die jenseits der Intervention einen und standen somit für weitere Datenerhebungen nicht
4 Einfluss auf die Zielvariable haben, auf die verschiedenen mehr zur Verfügung. Dieses Problem fehlender Werte
Gruppen gleich verteilen. Als Folge wird die interne Va- tritt auch im Bereich pädagogisch-psychologischer Inter-
5 lidität der Evaluationsstudie maximiert (zu den Grenzen ventionsprogramme auf, die mit einem Pretest-Posttest-
solchen Vorgehens s. Köller, 2008; Rost, 2005). Follow-up-Design evaluiert werden, wenn Teilnehmer aus
In vielen praktischen Feldern wird es allerdings un- den unterschiedlichsten Gründen die weitere Teilnahme
6 möglich sein, Personen zufällig den Gruppen zuzuweisen. an der Maßnahme verweigern. Mit den dann fehlenden
Will man beispielsweise Effekte unterschiedlicher Unter- Werten sind drei statistische Probleme verbunden:
7 richtsmethoden im Klassenkontext erkunden, so ist es 1. ein Verlust an Effizienz, da die Stichprobengröße ein-
in der Regel unmöglich, Schüler per Zufall den Gruppen geschränkt ist;
zuzuweisen. Anstelle von Einzelpersonen werden dann in- 2. ein erschwerter Umgang mit den Daten, weil die statis-
8 takte Klassen den jeweiligen Bedingungen zugeordnet. In tischen Standardverfahren vollständige Datenmatrizen
diesem Fall kann man nicht mehr davon ausgehen, dass erwarten;
9 die Mitglieder in den Maßnahmen- und Kontrollgruppen 3. die Gefahr verzerrter Parameterschätzungen aufgrund
äquivalent hinsichtlich der Ausgangswerte auf den Ziel- möglicher Unterschiede zwischen den beobachteten
10 variablen und anderen Maßen sind. In solchen Fällen der und den fehlenden Daten.
Nichtäquivalenz ist es nötig, Ausgangsunterschiede und
Störvariablen in den Gruppen zu kontrollieren, indem Zur Lösung dieser Probleme wurde eine Vielzahl von Ver-
11 man sie aufseiten der Zielpersonen, die in ein Programm fahren vorgeschlagen, die vom Ausschluss aller Personen
eingebunden werden, in der Vortestung mit erhebt. Stör- mit ungültigen Werten bis zur Ersetzung fehlender Werte
12 variablen können z. B. das Vorwissen, das Geschlecht oder reichen. In der neueren methodischen Literatur (z. B.
der Migrationshintergrund von Schülern sein. Bei aller Lüdtke, Robitzsch, Trautwein & Köller, 2007; Schafer &
Kontrolle von Ausgangsunterschieden und Störvariablen Graham, 2002) besteht Konsens darüber, dass ein fallweiser
13 sind mit solchen Evaluationsdesigns Gefahren verbunden, Ausschluss die Validität der Befunde deutlich senken kann
wie sie für quasiexperimentelle Studien diskutiert werden und Verfahren der Mehrfachschätzung fehlender Werte
14 (vgl. Campbell & Stanley, 1970; Klauer, 2001; Köller, 2008). („multiple imputation“, Rubin, 1987) den Schwierigkeiten

15 -
Dabei sind folgende Fehlerquellen zu berücksichtigen:
Diffusion oder Imitation der Intervention kann auf-
treten, wenn beispielsweise in einer Kontrollgruppe
das Programm bekannt wird und die Mitglieder der
am besten begegnen und zu vergleichsweise validen Be-
funden in den statistischen Analysen führen. Mittlerweile
existieren zufriedenstellende Softwarelösungen zur mul-
tiplen Imputation, hervorzuheben sind das Programm
16 Kontrollgruppe sich bemühen, das Treatment zu NORM von Schafer (1997), die Imputationsmöglichkeiten

17
18
- imitieren.
Ein kompensatorischer Ausgleich der Intervention
kann auftreten, wenn Kontrollgruppen große An-
strengungen unternehmen, die fehlenden Interven-
in Mplus (Muthén & Muthén, 2010) und die implementier-
ten Routinen in R. Üblicherweise werden je nach Menge
der fehlenden Werte zwischen 5 und 50 vollständige Da-
tensätze generiert, die anschließend simultan statistisch
tionen durch andere Fördermaßnahmen auszuglei- analysiert werden. Die Berücksichtigung von Variablen,

19
20
- chen.
Von einer kompensatorischen Anstrengung inner-
halb der Kontrollgruppe spricht man, wenn sich ihre
Mitglieder benachteiligt fühlen und sich dann aber in
die den Ausfallprozess determiniert haben, führt dabei zu
weitgehend unverzerrten Schätzungen fehlender Werte.
Verfahren der Mittelung der gewonnenen Ergebnisse wer-
den ausführlich bei Little und Rubin (1987) beschrieben.

21 - der Posttestung besonders anstrengen.


Eine negative Reaktion der Kontrollgruppe liegt
vor, wenn ihre Mitglieder aus dem Gefühl der
Benachteiligung sich im Posttest nicht anstrengen,
Die aktuellen Versionen vieler Softwarepakete bieten darü-
ber hinaus sog. „Full-information-maximum-likelihood“-
Verfahren (FIML) zur unverzerrten Parameterschätzung
bei unvollständigen Daten an.
22 sodass es zu einer erheblichen Unterschätzung ihrer Stichprobenmortalität ist im pädagogisch-psychologi-
Leistungen kommt. schen Kontext nur schwer vermeidbar. Zwei Handlungs-
14.5  •  Standards für Evaluationen
339 14

richtlinien können dem Problem begegnen, zum einen Raudenbush 1987; 1989; Raudenbush & Bryk, 2002) löst
Strategien, welche die Mortalität minimieren (Stichpro- die aufgezeigten Probleme, indem er die hierarchische
benpflege), und zum anderen der Einsatz adäquater statis- Struktur der Daten nicht nur als Makel des Stichproben-
tischer Analyseverfahren, um zu unverzerrten Parameter- prozesses begreift, der eine Korrektur der Freiheitsgrade
schätzungen zu gelangen. in Abhängigkeit von der Intraklassenkorrelation erzwingt,
sondern die hierarchische Struktur selbst zum Gegenstand
der Prüfung macht. Es handelt sich um einen regressions-
14.4.4 Hierarchische Daten analytischen Ansatz, wobei Personenmerkmale auf indivi-
duelle (Ebene 1), Klassen- (Ebene 2) und Schulvariablen
In Interventionsprogrammen im Kontext Schule werden (Ebene 3) zurückgeführt werden. Eine einfache deutsch-
häufig nicht Personen, sondern ganze Klassen oder gar sprachige Einführung in das Verfahren der Mehrebenen-
Schulen einer Interventions- und einer Kontrollgruppe analyse findet man bei Lüdtke und Köller (2010).
zugewiesen. Innerhalb der Klassen und Schulen, die als
„Klumpen“ bezeichnet werden, trifft man Schüler an, die
sich hinsichtlich verschiedener Merkmale oft sehr ähnlich 14.5 Standards für Evaluationen
sind, wohingegen Schüler unterschiedlicher Klassen und
Schulen sich oftmals sehr unähnlich sind. Die Ziehung von In den USA werden seit langem Standards für Evaluatio-
Klumpenstichproben hat für die weiteren statistischen nen im Bildungsbereich diskutiert, die ihren Niederschlag
Analysen erhebliche Konsequenzen, vor allem bei der Be- in den Richtlinien des Joint Committee on Standards for
stimmung von Standardfehlern, welche das Ausmaß der Educational Evaluation (JCSEE, 1994) gefunden haben
statistischen Ungenauigkeit eines geschätzten Parameters (zu weiteren Standards s. z. B. Rost, 2000). Die vorgeschla-
ausdrücken. Die übliche Berechnung des Standardfehlers genen Standards sind in vier Gruppen unterteilt, „die ei-
setzt eine Zufallsstichprobe mit voneinander unabhängi- nerseits die Qualität von empirischen Evaluationen und
gen Beobachtungen voraus. Bei Klumpenstichproben und andererseits die Fairness oder Offenheit gegenüber allen
der resultierenden hierarchischen Datenstruktur ist das beteiligten Personen, Gruppen, Institutionen usw. sicher-
nicht der Fall. Die Berechnung des Standardfehlers auf die stellen sollen“ (Schiffler & Hübner, 2000, S. 142).
gerade beschriebene Art führt dann zu einer Unterschät- Nutzenstandards („utility standards“) fordern, dass
zung. Konsequenzen sind zum einen zu kleine Konfidenz­ mit den Ergebnissen von Evaluationen ein aktueller Wis-
intervalle für die geschätzten Parameter, zum anderen die sensbedarf befriedigt werden kann. Evaluationsberichte
Inflation möglicher Entscheidungsfehler bei inferenzsta- sollen informativ und zeitgenau zur Verfügung gestellt
tistischen Verfahren. werden, sodass die Adressaten die Informationen auch für
Das Ausmaß der Unterschätzung von Standardfehlern die Bewertung und anschließende Nutzung des Evaluati-
hängt zum einen von der Klumpengröße in der Stichprobe onsgegenstandes verwenden können.
ab: Steigt diese, so nimmt auch die Unterschätzung zu. Machbarkeits- oder Durchführbarkeitsstandards
Zum anderen bestimmt die Homogenität der Klumpen die („feasibility standards“) legen Regeln fest, nach denen das
Verschätzung der Standardfehler. Die Homogenität wird Design einer Evaluationsstudie an die Erfordernisse der
üblicherweise über die Intraklassenkorrelation bestimmt. natürlichen Umgebung, in der die Evaluation stattfinden
Die Intraklassenkorrelation beschreibt das Verhältnis der soll, angepasst werden muss. Grenzen der Realisierung von
Varianz zwischen den Klumpen zu der Varianz innerhalb wissenschaftlichen Evaluationsstudien in ökologisch vali-
der Klumpen. Auf Klassen und deren Leistungen bezogen den Kontexten werden hier aufgezeigt, und es wird für ein
bildet sich in der Intraklassenkorrelation ab, wie stark Evaluationsverständnis geworben, wonach die praktischen
die Unterschiede zwischen Klassen im Vergleich zu den Gegebenheiten häufig ein pragmatisches Vorgehen unter
Unterschieden zwischen Schülern innerhalb von Klassen Berücksichtigung ökonomischer Aspekte nahelegen.
sind. Je größer die Intraklassenkorrelation, desto stärker Standards für Anstand und ethisches Vorgehen
die Verschätzung bei der Bestimmung der Standardfehler. („propriety standards“) garantieren den Schutz individu-
Einen eleganten Weg bei der multivariaten Behand- eller Rechte, nicht zuletzt auch im Bereich des Datenschut-
lung von hierarchischen Daten aus Klumpenstichproben zes. Berücksichtigt sind hier aber auch ethische Standards,
stellen mehrebenenanalytische Verfahren dar. Bei die- wie sie in der Grundlagenforschung üblich sind und wel-
sen Verfahren wird die hierarchische Struktur der Daten che auf die Unversehrtheit der Untersuchungsteilnehmer
direkt modelliert. Ihr großer Vorteil besteht darin, dass sie abzielen.
adäquate Schätzungen der Standardfehler liefern und die Genauigkeitsstandards („accuracy standards“) bezie-
gleichzeitige Modellierung von Effekten auf der Individual- hen sich vor allem auf den Begründungszusammenhang
und Clusterebene ermöglichen. Der HLM-Ansatz (Bryk & von Evaluationen und sollen sichern, dass eine Evaluation
340 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

0–5 Jahre 5–8 Jahre .. Abb. 14.6  Design des Carolina Abeceda-
1 rian Projects

Interventions-
2 gruppe

Interventions-
3 gruppe
Kontroll-
gruppe
4
Gesamt-
stichprobe Interventions-
5 gruppe

Kontroll-
6 gruppe
Kontroll-
gruppe
7
8 aufseiten der Abnehmer verwertbare Informationen liefert. wurde einem schulischen Förderprogramm zugewiesen,
Eine Evaluation soll danach umfassend sein und möglichst die andere Hälfte nicht. In vergleichbarer Weise wurde mit
9 viele Programmkomponenten in die Analyse einbeziehen. den Kindern der Kontrollgruppe verfahren, so dass sich
Gleichzeitig sollten Regeln wissenschaftlichen Arbeitens das in . Abb. 14.6 dargestellte Design ergab.
10 eingehalten werden, um die Interpretierbarkeit der Ergeb- Alle vier Gruppen wurden bis ins Erwachsenalter wis-
nisse zu gewährleisten. senschaftlich begleitet. Dabei zeigten sich die günstigsten
Die JCSEE-Standards (zu weiteren Details s. Schiffler & sozialen und kognitiven Effekte in der Gruppe, die über
11 Hübner, 2000) zielten ursprünglich auf größere, flächende- den gesamten Zeitraum gefördert wurde. Für die Gruppe,
ckende Programme ab, können allerdings auch als Richt- die in den ersten fünf Jahren gefördert wurde, nicht aber
12 linien bei kleineren Evaluationsvorhaben herangezogen in der Schule, ergaben sich günstigere Entwicklungsver-
werden. läufe als für die Gruppe, die nur in der Schulzeit gefördert
wurde. Insgesamt waren die Interventionseffekte substan-
13 ziell, und die bildungsökonomischen Analysen ergaben ei-
14.6 Beispiel für eine wissenschaftliche nen Cost-Benefit-Quotienten von ungefähr 1 : 3, d. h. aus je-
14 Evaluation dem pro Kind investierten Dollar resultierten später mehr
als drei Dollar. Diese Gewinne resultierten durch geringere
15 Im Folgenden wird kurz und beispielhaft auf ein Inter- Sozialleistungen und höhere Steuerzahlungen der Kinder
ventionsprogramm und seine Ergebnisse eingegangen. Es aus den Maßnahmengruppen im Vergleich zu den Kindern
handelt sich um das Carolina Abecedarian Project (CAP). aus den Kontrollgruppen.
16 In diesem Programm wurden in den Jahren 1972 bis 1977
vier Stichproben mit jeweils 28 Risikokindern (insgesamt
17 N = 112) aus sozial und kulturell benachteiligten Familien Fazit
In den angewandten Disziplinen der Psychologie, zu
North Carolinas gezogen. Die fast ausnahmslos afroame-
denen auch die Pädagogische Psychologie zählt, wird
rikanischen Eltern wiesen niedrige Bildungsstände auf,
18 waren im Schulsystem gescheitert, arbeitslos bzw. hatten wissenschaftlich fundiertes Wissen genutzt, um in
verschiedenen praktischen Kontexten Zielvariablen zu
geringe Einkommen und nahmen Wohlfahrtsleistungen
19 in Anspruch. Die berücksichtigten Kinder waren zu Be- optimieren. In pädagogisch-psychologischen Zusam-
menhängen zielen die Maßnahmen vor allem auf
ginn des Programms zwischen sechs Wochen und sechs
die Förderung von Lernenden ab. Mit diesem Kapitel
20 Monate alt. Je 14 Kinder wurden einer Maßnahmen- bzw.
wurde der Versuch unternommen zu dokumentieren,
einer Kontrollgruppe zugewiesen. Die Maßnahmengruppe
welche Anforderungen an die Abläufe einer wissen-
erhielt in Betreuungszentren an fünf Wochentagen eine
21 Ganztagesunterstützung, die mit zunehmendem Alter der schaftlichen Evaluation solcher Maßnahmen gestellt
werden, welche Probleme auftreten können und
Kinder immer mehr kognitive Anteile enthielt. Mit dem
22 Eintritt in die Schule wurde eine weitere experimentelle welche Ansätze zu ihrer Lösung existieren. Allein eine
Variation vorgenommen, die halbe Maßnahmengruppe
Literatur
341 14
Bryk, A. S., & Raudenbush, S. W. (1989). Toward a more appropriate
Evaluationsforschung, die sich an ihren eigenen, hoch conceptualization of research on school‐effects: A three‐level hi-
gesetzten wissenschaftlichen Standards orientiert, erarchical linear model. In R. D. Bock (Hrsg.), Multilevel analysis of
educational data (S. 159–204). San Diego, CA: Academic Press.
kann aussagekräftige Ergebnisse zur Effizienz von
Campbell, D. T., & Kenny, D. A. (1999). A primer on regression artifacts.
Interventionsprogrammen liefern. Dies erfordert große New York: Guilford Press.
Sorgfalt in den jeweiligen Schritten der Evaluation und Campbell, D. T., & Stanley, J. C. (1970). Experimentelle und quasi‐ex-
hohe Expertise aufseiten derjenigen, die die Evaluation perimentelle Anordnungen in der Unterrichtsforschung. In K. In-
verantworten. Die angesprochenen methodischen genkamp, & E. Parey (Hrsg.), Handbuch der Unterrichtsforschung (S.
445–632). Weinheim: Beltz.
Herausforderungen (Umgang mit fehlenden Werten,
Chen, H.-T. (2005). Practical program evaluation. Thousand Oaks: Sage.
Umgang mit hierarchischen Daten) sollten in diesem Clausen, M. (2002). Unterrichtsqualität. Eine Frage der Perspektive? Müns-
Zusammenhang deutlich gemacht haben, dass ein sehr ter: Waxmann.
hohes methodisches Know-how vonnöten ist, um zu Cliffordson, C., & Gustafsson, J.-E. (2008). Effects of age and schooling
validen Aussagen auf der Basis der generierten Daten on intellectual performance: Estimates obtained from analysis of
continuous variation in age and length of schooling. Intelligence,
zu gelangen.
36, 143–152.
Gleichzeitig wurde aber auch argumentiert, dass Fend, H. (1986b). „Gute Schulen – schlechte Schulen“. Die einzelne
potenzielle Restriktionen des Umfeldes, in dem eine Schule als pädagogische Handlungseinheit. Die Deutsche Schule,
Evaluation stattfindet, nicht selten im Gegensatz zu 78, 275–293.
den wissenschaftlichen Ansprüchen des Evaluators ste- Fend, H. (2000). Qualität und Qualitätssicherung im Bildungswesen.
Wohlfahrtsstaatliche Modelle und Marktmodelle. In A. Helmke, W.
hen. Evaluationen werden demzufolge immer wieder
Hornstein & E. Terhart (Hrsg.), Qualität und Qualitätssicherung im
das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses zwischen Bildungsbereich: Schule, Sozialpädagogik, Hochschule. Zeitschrift
Auftraggeber und -nehmer sein. für Pädagogik, 41, Beiheft, 55–72.
Fries, S., Lund, B., & Rheinberg, F. (1999). Läßt sich durch gleichzeitige
Motivförderung das Training des induktiven Denkens optimieren?
Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 13, 37–49.
Verständnisfragen Gruehn, S. (2000). Unterricht und Lernen. Münster: Waxmann.
1. Beschreiben Sie kurz, was unter einer Evaluation zu ver- Hager, W. (2008). Evaluation von pädagogisch‐psychologischen Inter-
stehen ist und welche Unterscheidungen diesbezüglich ventionsmaßnahmen. In W. Schneider, & M. Hasselhorn (Hrsg.),
Handbuch der Pädagogischen Psychologie (S. 721–732). Göttingen:
vorgenommen werden können.
Hogrefe.
2. Beschreiben Sie den idealtypischen Ablauf einer wissen- Hall, E., Hall, C., & Sirin, A. (1996). Professional and personal development
schaftlichen Evaluation. for teachers: The application of learning following a counselling
3. Beschreiben Sie ein Untersuchungsdesign, mit dem sich module. British Journal of Educational Psychology, 66, 383–398.
Maßnahmen wissenschaftlich evaluieren lassen. Hattie, J. A. C. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta‐analy-
ses relating to achievement. Oxon: Routledge.
4. Nennen Sie typische methodische Probleme bei wissen-
Hattie, J. A. C. (2012). Visible learning for teachers. Maximizing impact on
schaftlichen Evaluationen und beschreiben sie diese kurz. learning. Oxon: Routledge.
Heckman, J. J., Moon, S. H., Pinto, R., Savelyev, P., & Yavitz, A. (2010). A
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In J. Thonhauser, & J.-L. Patry (Hrsg.), Evaluation im Bildungsbereich.
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342 Kapitel 14  •  Evaluation pädagogisch-psychologischer Maßnahmen

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1 2008. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergän- Schülerinnen und Schülern am Ende der vierten Jahrgangsstufe in
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11 Rossi, P. H., & Freeman, H. E. (1993). Evaluation. A systematic approach (5.
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Rossi, P. H., Freeman, H. E., & Hofmann, G. (1988). Programm‐Evaluation.
12 Einführung in die Methoden angewandter Sozialforschung. Stuttgart:
Enke.

13 Rost, J. (2000). Allgemeine Standards für die Evaluationsforschung. In


W. Hager, J.-L. Patry, & H. Brezing (Hrsg.), Handbuch Evaluation psy-
chologischer Interventionsmaßnahmen (S. 129–140). Bern: Huber.

14 Rost, D. H. (2005). Interpretation und Bewertung pädagogisch‐psycholo-


gischer Studien. Weinheim: Beltz.
Rubin, D. B. (1987). Multiple imputation for nonresponse in surveys. New
15 York: Wiley.
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17 Schafer, J. L. (1997). Analysis of incomplete multivariate data. New York:
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Scheerens, J., & Bosker, R. (1997). The foundations of educational effec-
tiveness. Oxford: Pergamon.
19 Schiffler, A., & Hübner, S. (2000). Allgemeine Standards für die Evalu-
ationspraxis. Die Standards des „Joint Committee on Standards
for Educational Evaluation“ und ihre Anwendung auf praktische
20 Aspekte bei der Evaluation von psychologischen Interventions-
maßnahmen. In W. Hager, J.-L. Patry, & H. Brezing (Hrsg.), Handbuch

21 Evaluation psychologischer Interventionsmaßnahmen (S. 141–152).


Bern: Huber.
Scriven, M. (1991). Evaluation Thesaurus (4. Aufl.). Newbury Park, CA:

22 Sage.
343 15

Nationale und internationale


Schulleistungsstudien
Barbara Drechsel, Manfred Prenzel, Tina Seidel

15.1 Was können Schüler? Das Interesse an


Schülerleistungen – 344
15.1.1 Outputsteuerung von Bildungssystemen  –  345
15.1.2 Evaluation und Qualitätssicherung im
Bildungssystem: Ein Rückblick  –  346
15.1.3 Bildungsmonitoring heute – 347

15.2 Klassifikation von Vergleichsstudien   –  347


15.3 Drei beispielhafte Vergleichsstudien – 348
15.3.1 Flächendeckende Erhebung des Lern- und Leistungsstands: VERA  –  348
15.3.2 Eine Internationale Vergleichsstudie: PISA  –  350
15.3.3 Überprüfen von Bildungsstandards  –  351

15.4 Vergleichsstudien – Von der Idee zur Testdurchführung  –  352


15.4.1 Designs und Stichproben  –  352
15.4.2 Theoretische Rahmenkonzeptionen – 354
15.4.3 Testkonstruktion und Itementwicklung  –  355
15.4.4 Itemanalysen und Skalierung  –  356

15.5 Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen)  –  357


15.5.1 Vergleiche von Gruppen  –  357
15.5.2 Kompetenzstufen – 358
15.5.3 Disparitäten – 360
15.5.4 Analysen von Zusammenhängen und deren Grenzen  –  361
15.5.5 Trends – 363
15.5.6 Vergleichsstudien als politische Instrumente?  –  363

15.6 Erweiterungen von Vergleichsstudien – 363


15.6.1 Ergänzungen – 363
15.6.2 Systematische Vernetzung von Vergleichsstudien
mit pädagogisch-psychologischer Forschung  –  364

15.7 Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien  –  365


Literatur – 366

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
344 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

Deutsche Schülerinnen und Schüler sind dumm! – PISA-


1 Zeugnis für Kultusminister: Versetzung gefährdet. – Kinder
besser als die Schulen. – Zehn Jahre Pisa: Die Bildungsscho-
2 cker. – Für derlei Schlagzeilen sorgten in Deutschland in den
letzten Jahren PISA und andere Vergleichsstudien, deren
Ergebnisse zu intensiven Bildungsdiskussionen führten, die
3 an vielen Stellen dazu beigetragen haben, unser Bildungs-
system weiterzuentwickeln. Immer wieder wurden solche
4 Studien aber auch kritisiert, da sie beispielsweise einseitig
von Wirtschaftsinteressen beeinflusst seien oder deutsche
5 Schüler aufgrund bestimmter Aufgabenformate benachtei-
ligten. Das vorliegende Kapitel beschreibt zentrale Aspekte
der theoretischen Fundierung, der Testkonstruktion und der
6 Interpretation der Ergebnisse von internationalen und natio- .. Abb. 15.1  
nalen Schulleistungsstudien und legt dar, welche Funktionen
7 diese Studien im Bildungssystem übernehmen können. ▶ Ab- Rückschlüsse auf die Frage, wie gut ein ▶ Schulsystem
schn. 15.1 beleuchtet zunächst den historischen Zusammen- seinen Aufgaben gerecht wird, erwartet. So wie Leistungs-
hang, aus dem Schulleistungsstudien entstanden sind. ▶ Ab- beurteilungen bei der (individuellen) Diagnostik von
8 schn. 15.2 betrachtet Schulleistungsstudien systematisch: Schülern als Grundlage für Schlussfolgerungen dienen,
Welche Varianten solcher Studien gibt es und wie kann man aufgrund derer Lehrende Lernprozesse unterstützen, kön-
9 sie klassifizieren? Welche Studien ziehen internationale und nen Ergebnisse aus Vergleichsstudien Aufschluss über die
welche nationale Vergleiche? Anhand dreier Beispiele wird Qualität des Bildungssystems geben: Sie bringen Stärken
10 in ▶ Abschn. 15.3 ein Spektrum von Schulleistungsstudien und Schwächen im Vergleich zu anderen Staaten oder
vorgestellt. Danach behandeln wir die theoretischen Grund- Gruppen zutage (Benchmarkingfunktion) und liefern eine
lagen und die verschiedenen Konzeptionen, technische und Datengrundlage für Überlegungen zur Veränderung und
11 methodische Voraussetzungen, wie Designs und Stichproben Verbesserung (Monitoringfunktion; ▶ Exkurs „Was können
sowie Besonderheiten der Datenerhebung und -aufbereitung Erwachsene?“). Anders als bei individuellen Diagnosen
12 (▶ Abschn. 15.4), und wenden uns Fragen der Auswertung (▶ Kap. 13, Definition von Amelang & Schmidt-Atzert, 2006)
und der Ergebnisdarstellung zu (▶ Abschn. 15.5). Wie jeder steht hier gewissermaßen das Bildungssystem als „Merkmals­
träger“ im Blickpunkt.
13 Forschungszugang haben auch Schulleistungsstudien nur
eine begrenzte Reichweite. Deshalb gehen wir auf ihre Gren- Je nach Konzeption verwenden Vergleichsstudien ver-
zen in ▶ Abschn. 15.6 ein und beschreiben verschiedene Er- schiedene Begriffe für das zu Messende. Eher curricular
14 gänzungen und Erweiterungen im Design bzw. in den Stich- orientierte Studien wie TIMSS (Trends in Mathematics and
proben von Schulleistungsstudien, die den beschriebenen Science Study) oder landesbezogene Vergleichsarbeiten
15 Problemen Rechnung tragen. In diesem Zusammenhang sind Studien, die sich stark auf Fächer und Fachleistun-
wird auch thematisiert, wie Fragestellungen sich entwickeln: gen in bestimmten Jahrgangsstufen beziehen (Mullis et al.,
Schulleistungsstudien werden erweitert, um bestimmte 2005; Mullis et al., 2001). Sie können unter dem Begriff
16 Fragen aus der pädagogisch-psychologischen Forschung Schulleistungsstudie zusammengefasst werden. Bei PISA,
tiefergehend bearbeiten zu können. Darüber hinaus tragen dessen Konzeption stärker die Voraussetzungen für die ge-
17 Befunde aus der pädagogisch-psychologischen Forschung sellschaftliche Teilhabe in den Mittelpunkt stellt, stehen die
zur Weiterentwicklung der Studien bei (▶ Abschn. 15.7). Das bis zu einem spezifischen Zeitpunkt erworbenen Kompe-
tenzen im Vordergrund. PISA setzt daher nicht bei einer
18 Kapitel schließt mit einem Ausblick auf aktuelle Trends bei
Vergleichsstudien (. Abb. 15.1). bestimmten Jahrgangsstufe (z. B. 9. Klasse) an, sondern
untersucht ein bestimmtes Lebensalter (z. B. 15-Jährige),
19 etwa weil die Mehrheit der Jugendlichen in diesem Alter
15.1 Was können Schüler? Das Interesse vor dem Übertritt in das Berufsleben steht (OECD, 2009).
20 an Schülerleistungen Die Aufgaben, die in solchen ▶  Tests gestellt werden,
sind anwendungsbezogen und realitätsnah. Das Wissen,
Studien wie das „Programme for International Student die Fertigkeiten und die Strategien, die zur erfolgreichen
21 Assessment“ (PISA) oder die „Progress in International Bearbeitung dieser Probleme notwendig sind, werden in
Reading Literacy Study“ (PIRLS) betrachten Bildungssys- neueren Studien meist unter dem Begriff ▶ Kompetenz
22 teme aus einer ergebnisorientierten Perspektive. Von der zusammengefasst. Im Mittelpunkt des Interesses steht we-
Beantwortung der Frage „Was können Schüler?“ werden niger die Fähigkeit, bestimmte Schulleistungen zu erbrin-
15.1  •  Was können Schüler? Das Interesse an Schülerleistungen
345 15

Exkurs  |       |  punkt auf die Beurteilung der Ergebnisse und Erträge
von Bildungsprozessen legt (Dunkin & Biddle, 1974). Im
Was können Erwachsene? Grundmodell wird zwischen Input-, Prozess-, Kontext- und
Auch mit Erwachsenen werden Vergleichsstudien durch- Output-Faktoren in einem Bildungssystem differenziert
geführt, um das Kompetenzniveau in einem bestimmten (vgl. auch Seidel, 2008; auch ▶ Kap. 14). Eine Fortführung
Bereich für eine ganze Gesellschaft zu überprüfen. PIAAC, das
bzw. Erweiterung dieses Grundmodells stellt beispielsweise
Programme for the International Assessment of Adult Com-
petencies (OECD, 2013; Rammstedt, 2013), ist eine aktuelle das Angebot-Nutzen-Modell in der Unterrichtsforschung
Studie der OECD, die in 24 Ländern speziell den Übergang dar (▶ Kap. 4). Allerdings fokussiert dieses auf die indivi-
von der Schule in das Berufsleben und die Kompetenzen duellen Verarbeitungsprozesse der Lernenden, während das
Erwachsener untersucht. 2011/2012 wurden dafür erstmalig Grundmodell von Dunkin & Biddle (1974) einen allgemei-
Erwachsene im Alter von 16 bis 65 Jahren befragt. PIAAC soll
nen strukturellen Rahmen für Prozesse im Bildungssystem
in regelmäßigen Abständen wiederholt werden, um gesell-
schaftliche Veränderungen in den untersuchten Bereichen liefert. Im Zentrum der vermittelnden Faktoren für Bildung
Lesekompetenz, alltagsmathematische Kompetenz und tech- (Prozesse) stehen vor allem formelle Bildungseinrichtungen
nologiebasiertes Problemlösen nachverfolgen zu können. wie die Schule und der Unterricht.

Inputfaktoren.  In den ersten Statistiken über Bildungssys-


gen, als vielmehr die Frage, wie gut Schüler auf bestimmte teme wurden vorwiegend Inputfaktoren berücksichtigt,
Anforderungen vorbereitet sind. beispielsweise der Anteil der Bildungsausgaben am Brutto-
sozialprodukt, die Größe von Schulklassen oder die Lehrer-
Definition  ausstattung. Dieser Input wurde als aussagekräftig für Bil-
Weinert (2001) definiert Kompetenz als beim Indivi- dungsbemühungen angesehen (Bos & Postlethwaite, 2001).
duum verfügbare oder durch Individuen erlernbare
bereichsspezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, um Prozessfaktoren.  Im Bereich der Prozessfaktoren werden
bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit ver- relevante schulische Faktoren und Merkmale des Unter-
bundenen motivationalen, volitionalen und sozialen richts in den Blick genommen. Auf der Ebene der Schul-
Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problem- qualität fallen darunter beispielsweise Aspekte wie die
lösungen in variablen Situationen erfolgreich und Schulkultur, das Schulmanagement, die Kooperation zwi-
verantwortungsvoll nutzen zu können. schen Lehrpersonen und die Personalentwicklung. Im Be-
reich der Unterrichtsqualität stellen sich Fragen nach den
Handlungsweisen der Lehrkräfte. Prozessfaktoren wurden
Beide Zugangsweisen sind insofern nicht unabhängig von- intensiv im Rahmen der Prozess-Produkt-Forschung in
einander, als sich die von Schülern erworbenen Kompe- den Blick genommen (Gage & Needles, 1989).
tenzen auch in deren Schulleistungen niederschlagen. Da
außerschulische Lernorte (z. B. Elternhaus, Freundeskreis, Outputfaktoren.  Der Output beschreibt die Ergebnisse und
Medien) erheblich zum Kompetenzerwerb von Kindern Erträge von Bildungssystemen (Seidel, 2008). Generell un-
und Jugendlichen beitragen, wird in einigen Studien von terscheidet man zwischen kurzfristigen Wirkungen (sog.
Bildungsergebnissen gesprochen. Entsprechend werden Outputs, z. B. Schulleistungen) und langfristigen Ergeb-
Testleistungen, Einstellungen oder Werthaltungen von nissen (sog. Outcomes, z. B. Schulabschlüsse, beruflicher
Schülern auch allgemein als Ergebnisse von Bildungs- Werdegang, Schulabbrecherquoten (Scheerens & Bosker,
prozessen verstanden (▶ Abschn. 15.4.1). 1997)). Kurzfristige Wirkungen betreffen nach Ditton
Wenn wir im Folgenden also über Vergleichsstudien (2000) die Leistungen der Schüler, aber auch ihre Einstel-
oder Large-Scale-Assessments sprechen, sind damit so- lungen und Haltungen. Im Rahmen von Schulleistungsstu-
wohl Studien gemeint, die eng an Lehrplänen oder Bil- dien wird der Output zum entscheidenden Bezugspunkt
dungsstandards orientiert Schulleistungen erfragen, als für die Beurteilung des Schulsystems und für Maßnahmen
auch Studien, die umfassender die Ergebnisse verschiede- zur Verbesserung und Weiterentwicklung. Als Kriterien
ner Bildungsprozesse in den Blick nehmen. zur Überprüfung der Wirksamkeit von Schulsystemen
werden Testleistungen in bestimmten Schulfächern oder
Kompetenzbereichen, fächerübergreifende Kompetenzen
15.1.1 Outputsteuerung und Merkmale der motivationalen, personalen und sozia-
von Bildungssystemen len Entwicklung verwendet.

Aktuelle Vergleichsstudien nutzen ein Grundmodell über Kontextfaktoren. Neben der individuellen Kompetenz-
die Wirkungsweise von Bildungssystemen, das den Schwer- entwicklung hat ein Bildungssystem weitere Ziele zu be-
346 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

1 .. Tab. 15.1  Internationale Vergleichsstudien im Bildungssystem

Jahr Studien mit deutscher Beteiligung Studien ohne deutsche Beteiligung


2 2009 Programme for International Student Assessment (PISA)
2009
3 2008 Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007), Trends in Mathematics and Science Study (TIMSS 2007),
4. Jahrgang 8. Jahrgang

4 Progress in International Reading Literacy Study (PIRLS)


2006
Programme for International Student Assessment (PISA)

5 2006

2005 Second Information Technology in Education Study III Third International Mathematics and Science Study 2003
(SITES III) (TIMSS 2003)
6 PISA 2003 PIRLS – keine Beteiligung an der Replikation von IRLS– Tei-
PIRLS 2001 len (International Reading Literacy Study)

7
PISA 2000 mit nationalen Ergänzungen und Erweiterungen Civic Education Study (CIVICS) – ältere Population, (Second
der Stichprobe, SITES II Information Technology in Education Study) SITES I
Civic Education Study (CIVICS)

8 1995 Third International Mathematics and Science Study Third International Mathematics and Science Study
(TIMSS; – Beteiligung an TIMSS II und TIMSS III und TIMSS- (TIMSS; – keine Beteiligung an TIMSS I)
Video) Languages in Education Study (LES)
9 International Reading Literacy Study (IRLS) Computers in Education Study (ComPed; keine Beteiligung
Computers in Education Study (ComPed; Beteiligung an an ComPed)
ComPed II und ComPed III) International Assessment of Educational Progress (IAEP I-
10 Studie)

1985 Study of Written Composition Second International Science Study (SISS)


11 Classroom Environment Study Second International Mathematics Study (SIMS)

1975 Six Subject Study – Beteiligung an First International Sci- Six Subject Study – keine Beteiligung an Französisch, Lese-
12 ence Study (FISS), Leseverständnis Englisch, Civic Education verständnis, Literatur

1965 First International Mathematics Study (FIMS)

13
rücksichtigen: Bedeutsame Kriterien für ein entwickeltes, Weitere Mathematik- und Naturwissenschaftsstudien – die
14 modernes Bildungssystem betreffen auch Aspekte wie Second International Mathematics Study (SIMS) und die
beispielsweise die Chancengerechtigkeit. Wie gut gelingt Second International Science Study (SISS) – wurden in den
15 es in den Bildungssystemen, Schüler unabhängig von ih- 1980er-Jahren veröffentlicht (Postlethwaite & Wiley, 1992;
rer sozialen oder soziokulturellen Herkunft oder ihrem Robitaille & Garden, 1989).
Geschlecht zu fördern? Diese Aspekte ordnen sich nach Betrachtet man die Geschichte internationaler Schul-
16 dem Grundmodell in den Bereich der Kontextfaktoren ein leistungsstudien, so fällt auf, dass Deutschland auf die
(Scheerens & Bosker, 1997). In Vergleichsstudien werden Teilnahme an den ersten Studien weitgehend verzichtet
17 deshalb Fragen zur Stärke des Zusammenhangs zwischen hat. Nur einzelne Bundesländer nahmen an FIMS und
sozialer Herkunft und Kompetenzerwerb untersucht. Teilen der Six-Subjects-Study teil. Erst in den 90er-Jahren
orientierte sich Deutschland mit der Beteiligung an den
18 IEA-Studien TIMSS (Third International Mathematics and
15.1.2 Evaluation und Qualitätssicherung Science Study), RLS (Reading Literacy Study) und CIVICS
19 im Bildungssystem: Ein Rückblick (Civic Education Study) wieder am internationalen Ge-
schehen. Mit systematischen und umfassenden nationa-
20 Die ersten großen internationalen Vergleichsstudien er- len Bildungsforschungsstudien wurde in den 90er-Jahren
folgten in den 1960er-Jahren (. Tab. 15.1). Die First Inter- begonnen (Baumert et al., 1996; Lehmann, Peek, Pieper
national Mathematics Study wurde beispielsweise 1967 pu- & von Stritzky, 1995). Eine „empirische Wende“ erfolgte
21 bliziert (Husén, 1967). Die Six-Subjects-Study, die Englisch erst seit Anfang des neuen Jahrtausends, als Deutschland
und Französisch als Fremdsprachen, Naturwissenschaften, an der damals neuen OECD-Studie PISA teilnahm. Seit
22 Literatur, Lesekompetenz und politischer Bildung unter- diesem Zeitpunkt wurde damit begonnen, die Qualität
suchte, erschien in den 1970er-Jahren (Thorndike, 1973). des deutschen Bildungssystems regelmäßig, systematisch,
15.2 • Klassifikation von Vergleichsstudien
347 15

fortlaufend und gestützt auf empirische Daten zu über- Indikator für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch au-
prüfen. ßerhalb der Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder
ein vergleichbares Problem lösen zu können. Aus der Test-
leistung eines Schülers oder einer Schülerin wird also auf
15.1.3 Bildungsmonitoring heute das Potenzial bzw. die Kompetenz der Person geschlossen.
Das zentrale Kriterium zur Klassifikation von Ver-
Eine wichtige Erkenntnis aus den im vorangegangenen gleichsstudien sind ihre Fragestellungen. Von den Fra-
Abschnitt angesprochenen Vergleichsstudien war, dass gestellungen hängt es ab, welche Art von Stichprobe aus
deutsche Schüler bezüglich ihres Kompetenzniveaus in welcher Population gezogen werden muss, ob die Studien
zentralen Basiskompetenzen einen deutlichen Abstand national oder international angelegt sein müssen oder
gegenüber der Weltspitze aufwiesen. Zugleich wurde deut- welche Domänen und Hintergrundvariablen betrachtet
lich, dass es an empirisch fundiertem Wissen über Erklä- werden.
rungszusammenhänge mangelte. So wurde in den letzten Je nach Fragestellungen einer Studie sind bestimmte
Jahren damit begonnen, in Deutschland ein umfassendes Vergleichsperspektiven zur Bewertung der Testleistun-
und auf modernen Methoden basierendes Bildungsmoni- gen einer umschriebenen Gruppe anzulegen (z. B. Klauer,
toring aufzubauen. 1987; Rheinberg, 1998). Die Kompetenz einer Person oder
einer Gruppe kann beispielsweise an der Kompetenz ei-
Definition  ner anderen Gruppe gemessen werden. Dies geschieht in
Der Begriff Bildungsmonitoring bezeichnet die syste- internationalen Vergleichsstudien wie PISA, wo jedem
matische und regelmäßige Erfassung von Indikatoren teilnehmenden Staat die Ergebnisse der Tests auf einer
für die Qualität eines Bildungssystems oder dessen gemeinsamen Skala zurückgemeldet werden. Jeder Staat
Teilsysteme. kann sich so einem normorientierten Vergleich stellen.
Diese Ergebnisse informieren über relative Stärken und
Schwächen eines Bildungssystems. Diese Daten können
Ein Monitoring gibt Informationen über den Zustand eines auch für ein Benchmarking verwendet werden, um zu
Systems und dient als Datenbasis für Bildungsberichte. Da klären, wie andere (etwa erfolgreichere) Staaten vorgehen.
Bildungsergebnisse Auskunft über die erreichte Qualität Über mehrere Messzeitpunkte entsteht zusätzliches Steu-
geben und eventuell Nachsteuerungsbedarf anzeigen, kön- erungswissen.
nen sie zur Steuerung des Systems genutzt werden. Eine Einen kriteriumsorientierten Vergleich stellt man
wichtige Voraussetzung für ein erfolgreiches Bildungs- an, wenn man die erreichten Kompetenzen an inhaltlich
monitoring besteht darin, gezielt Indikatoren zu identi- definierten Standards oder Bildungszielen misst, wie etwa
fizieren, die relevante Aspekte der Ergebnisqualität, also den in Lehrplänen oder Bildungsstandards definierten
der Outcomes, repräsentieren. Diese Indikatoren werden Wissensbeständen oder auch den in theoretischen Rah-
durch die Verwendung empirischer Verfahren erfasst. Her- menkonzeptionen beschriebenen Ansprüchen an eine
vorzuheben ist, dass einzelne Schulleistungsstudien nicht Grundbildung („literacy“) in einer bestimmten Domäne.
alle Aspekte des Bildungssystems erfassen und Vergleichs- So wird beispielsweise in PISA über die inhaltlich begrün-
studien nur einen Teil aller für das Bildungssystem relevan- dete Abstufung der Schwierigkeitsskala ermittelt, wie groß
ten Indikatoren bereitstellen können; weitere Aspekte von die Gruppe besonders schwacher oder besonders leistungs-
Bildungsqualität müssen über zusätzliche Zugänge und mit starker Schüler pro Land ist.
anderen Mitteln erfasst werden, beispielsweise können die Schließlich gibt es eine ipsative Perspektive, die be-
prozentualen Anteile von Schulabbrechern in vielen Staa- trachtet, wie sich die Kompetenzen einer Person oder
ten über nationale Statistiken festgestellt werden. Gruppe über die Zeit verändern oder auch, wie die Kom-
petenzen in einem Staat auf einer bestimmten Klassenstufe
sich über die Jahre voneinander unterscheiden (Trends).
15.2 Klassifikation von Vergleichsstudien Trendanalysen geben Aufschluss, ob und wie weit ergrif-
fene Maßnahmen zur Beseitigung von Schwächen (wie z. B.
Vergleichsstudien verwenden verschiedene Messinst- ein Leseförderprogramm oder spezielle Unterstützung für
rumente, darunter Fragebögen, Interviews und Quellen Kinder mit Migrationshintergrund) greifen.
z. B. von statistischen Ämtern, zur Ermittlung von Hin- Abhängig von den Fragestellungen lassen sich Ver-
tergrundinformationen. Der Kern einer Vergleichsstudie gleichsstudien nach weiteren Gesichtspunkten klassifizie-
ist jedoch die Testkomponente: Schüler werden mit Test- ren (Seidel & Prenzel, 2008).
aufgaben konfrontiert, die Kompetenz messen. Die Ant- Die ▶ Stichproben von Vergleichsstudien unterschei-
worten der Person auf bestimmte Testaufgaben dienen als den sich insofern, als entweder eine gesamte Population
348 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

Exkurs  |       |  probe der entsprechenden Alters- oder Jahrgangsstufe


1 gezogen.
Kombinierte Vergleichsstudien Ein letzter Gesichtspunkt zur Einordnung von Ver-
2 Es gibt auch besondere Kombinationen internationaler
Studien mit nationalen Komponenten, etwa die Stichpro-
gleichsstudien ist schließlich die Organisation, die die
Studie verantwortet. Je nach Reichweite der Studie sind die
benerweiterungen in mehreren OECD-Teilnehmerstaaten,
Organisatoren häufig die Bildungsadministration von Län-
3 die ihre PISA-Stichprobe so vergrößert haben, dass nicht nur
dern oder Staaten. Viele Internationale Vergleichsstudien
Ergebnisse auf nationaler, sondern auch auf regionaler Ebene
berichtet werden können (z. B. in Deutschland, Spanien, werden von der IEA (International Association for the Eva-
4 Italien und Kanada). Neben dem Mittelwert für Deutschland luation of Educational Achievement) oder der OECD (Or-
werden in der Erweiterung PISA-E Mittelwerte für jedes Land ganisation for Economic Cooperation and Development)
der Bundesrepublik Deutschland ermittelt. Der besondere
5 Vorteil solcher Kombinationen liegt darin, dass neben dem
initiiert, die über langjährige Erfahrung mit solchen Stu-
sehr aufschlussreichen nationalen Binnenvergleich der dien verfügen. Weitere Organisatoren sind beispielsweise
Länder untereinander auch der internationale Bezugspunkt die UNESCO (United Nations Educational, Scientific, and
6 erhalten bleibt (▶ Abschn. 15.3.2 und ▶ Abschn. 15.6). Cultural Organisation) oder das IBE (International Bureau
of Education). Die Organisatoren der Studien beauftragen
7 wissenschaftliche Institute oder Konsortien, die aus meh-
getestet (beispielsweise bei Vergleichsarbeiten in einem reren Instituten besetzt werden, mit der Durchführung der
Bundesland) oder eine Zufallsstichprobe aus einer um- Studie. . Tab. 15.2 gibt einen Überblick wichtiger und im
8 schriebenen Population gezogen wird. Entsprechend va- Kapitel beschriebener Studien.
riiert die Reichweite einer Studie bzw. die Generalisier-
9 barkeit der Ergebnisse. Vergleichsstudien können eine
Anzahl von Staaten, einen bestimmten Staat und seine 15.3 Drei beispielhafte Vergleichsstudien
10 Untergliederungen (wie z. B. die kanadischen Provinzen
oder die Länder der Bundesrepublik Deutschland), eine Im folgenden Abschnitt stellen wir drei Vergleichsstudien
bestimmte Region oder ein Bundesland, eine Schulart oder genauer vor, um einen Eindruck von der Bandbreite der
11 eine bestimmte Gruppe von Schulen (beispielsweise Ganz- unterschiedlichen Varianten zu geben. VERA und die
tagsschulen) umfassen (▶  Exkurs „Kombinierte Vergleichs- „Überprüfung der Bildungsstandards“ sind nationale Stu-
12 studien“). dien, PISA hat den internationalen Vergleich zum Ziel.
Ein wichtiges Merkmal von Vergleichsstudien ist die Während VERA Grundschüler als Zielgruppe hat, setzen
inhaltliche Ausrichtung: Welche Domänen werden un- die beiden anderen Varianten von Vergleichsstudien im
13 tersucht und auf welcher theoretischen Basis werden die Sekundarbereich an. Während VERA und PISA mit wie-
Bereiche definiert? In der Vergangenheit wurden insbe- derkehrenden Erhebungsrunden arbeiten, sollte die „Über-
14 sondere die mathematische und die naturwissenschaftliche prüfung der Bildungsstandards“ einen Test konzipieren
Kompetenz sowie die erstsprachliche und die Fremdspra- und erproben, dessen Aufgaben eine Grundlage für die
15 chenkompetenz untersucht. Manche Studien fokussieren regelmäßige Überprüfung der Bildungsstandards sein soll.
auf die Inhalte bestimmter Schulfächer (curriculumorien-
tierte Studien), in anderen Studien steht eher die anschluss-
16 fähige, zur Bewältigung des Berufs- und Privatlebens er- 15.3.1 Flächendeckende Erhebung
forderliche Kompetenz im Mittelpunkt. des Lern- und Leistungsstands:
17 Eng verknüpft mit der inhaltlichen Ausrichtung ist die VERA
Auswahl von Hintergrund- und Kontextmerkmalen. Die
entsprechenden Daten werden meist durch Fragebögen Das Projekt Vergleichsarbeiten (VERA) ist eine flächen-
18 erhoben. Vergleichsstudien beziehen bisher oft nur die deckende Lernstandserhebung, die in den Fächern Mathe-
Schüler ein, die Teil des allgemeinbildenden Schulsystems matik und Deutsch durchgeführt wird. Die Studie ist ein
19 sind. Die Zielgruppe ist dabei wahlweise eine bestimmte Beispiel für eine Vergleichsstudie nationaler Reichweite,
Altersgruppe (z. B. 15-Jährige) oder die Angehörigen einer die nicht mit einer Stichprobe, sondern mit einer Voller-
20 oder mehrerer Klassenstufen (z. B. Viertklässler). hebung der 3.  und 8.  Klassen arbeitet. Entwickelt wurde
Bezüglich des Designs von Vergleichsstudien kann die Konzeption des Projekts im Jahr 2002 von Helmke und
zwischen quer- und längsschnittlich angelegten Untersu- Hosenfeld in Kooperation mit dem rheinland-pfälzischen
21 chungen differenziert werden. Wenn Daten zu mehreren Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kul-
Erhebungszeitpunkten gewonnen werden, kann entwe- tur (Helmke & Hosenfeld, 2003a; Helmke & Hosenfeld,
22 der ein und dieselbe Stichprobe immer wieder untersucht 2003b). Mittlerweile wird VERA vom Institut zur Quali-
werden oder es wird zu jeder Erhebungsrunde eine Stich- tätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und den Landes-
15.3 • Drei beispielhafte Vergleichsstudien
349 15

.. Tab. 15.2  Klassifikation wichtiger Studien. (Modifiziert nach Seidel & Prenzel, 2008, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe,
Göttingen)

PISA TIMSS PIRLS VERA Bildungsstandards

Stichprobe Zufallsstichprobe Zufallsstichprobe Zufallsstichprobe Vollerhebung Zufallsstichprobe

Reichweite International International International Einige Länder National


Deutschlands

Domänen Lesen Mathematik Lesen Mathematik Mathematik


Mathematik Naturwissenschaf-
Naturwissenschaften ten

Ausrichtung Literacy Curriculum Literacy Bildungsstandards Bildungsstandards


Primarbereich mittlerer Schulab-
schluss

Zielgruppe 15-Jährige Klassen 4/8/12 Klassen 3/4 Klassen 3/4 Klasse 9

Design Trend (3-jähriger Trend (4-jähriger Trend (5-jähriger


Zyklus) Zyklus) Zyklus)

Initiator OECD IEA IEA Land Rheinland- KMK


Pfalz

Vergleichsperspektive

Normorientier- Internationaler Internationaler Internationaler Vergleich auf Lan- Verkoppelung mit


ter Vergleich Vergleich Vergleich Vergleich desebene internationalem
Vergleich

Kriterialer Kompetenzstufen Kompetenzstufen Kompetenzstufen Fähigkeitsniveaus Standards


Vergleich

Ipsativer Ver- Vergleiche über die Vergleiche über Vergleiche über – –


gleich Zeit die Zeit die Zeit

Wissenserwerb Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv: Deskriptiv:


Monitoring Monitoring Monitoring Monitoring Monitoring
Benchmark Benchmark Benchmark Benchmark
Korrelationsstudie Korrelationsstudie Korrelationsstudie

PISA Programme for International Student Assessment; TIMSS Trends in Mathematics and Science Study; PIRLS Progress in Internatio-
nal Reading Literacy Study; VERA Vergleichsarbeiten in der Grundschule; OECD Organisation for Economic Cooperation and Develop-
ment; IEA International Association for the Evaluation of Educational Achievement; KMK Kultusministerkonferenz

instituten bzw. Qualitätsagenturen der Länder gemeinsam nach genau vorgegebenen Regeln aus. Für jede Klasse
organisiert und durchgeführt (▶ https://www.iqb.hu-berlin. geben die Lehrer über das Internet die Rohdaten sowie
de/vera). relevante Klassen- und Schülerdaten (z. B. Klassengröße)
Ziel des Projekts ist es, flächendeckend und jahrgangs- ein. Die Auswertungen und Rückmeldungen der Ergeb-
bezogen zu untersuchen, welche Kompetenzen Schüler zu nisse auf Schüler-, Klassen- und Schulniveau sind Sache
einem bestimmten Zeitpunkt in den Bereichen Mathe- der Länder und erfolgen per E-Mail. Beispielaufgaben zu
matik und Deutsch erreicht haben. Die Ergebnisse bie- VERA finden sich u. a. unter ▶ https://www.iqb.hu-berlin.
ten eine empirische Basis, auf der Schulen die Schul- und de/vera/aufgaben.
Unterrichtsentwicklung vorantreiben können. Die für
die Vergleichsarbeiten benötigten Testaufgaben werden
von Lehrkräften entwickelt und in mehreren Durchgän-
gen überarbeitet und empirisch anhand von Stichproben
- VERA erlaubt mehrere Vergleichsperspektiven:
Normorientierter Vergleich: Die Vergleichsarbeiten
ermöglichen eine Standortbestimmung durch den
Vergleich der Ergebnisse von Klassen untereinander
überprüft. Leitend für die Testentwicklung sind hierbei die und mit den jeweiligen Landesergebnissen. Ein sog.
jeweiligen Bildungsstandards für die Fächer Deutsch und fairer Vergleich gibt zudem die Möglichkeit, das
Mathematik. Klassenergebnis mit dem Ergebnis aus einer Klasse in
In den Schulen führen die Lehrkräfte der teilnehmen- Bezug zu setzen, deren Schülerschaft bezüglich ihrer
den Klassen die Vergleichsarbeiten durch und werten sie Hintergrundbedingungen vergleichbar ist.
350 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

1
2
3
Lernansätze, Ein-
Lernansätze, Lernansätze, stellung zu den
4 Leseengage-
ment, -motivation
Einstellung zur
Mathematik
Naturwissenschaf-
ten, kooperatives
und -strategien Problemlösen

5 (computerbasiert)

.. Abb. 15.2  Jahr der Erhebungsrunde, Untersuchungsbereiche mit Schwerpunktdomäne (PISA Broschüre – Die internationale Schulleistungs-

-
studie der OECD, OECD 2007, ▶ http://www.oecd.org/pisa, mit freundlicher Genehmigung)
6
Kriteriumsorientierter Vergleich: Dieser Vergleich KMK zusammen mit dem Bundesministerium für Bildung
7 wird gezogen, indem die Leistungen der Klassen mit und Forschung (BMBF) das „Zentrum für Internationale
inhaltlich definierten Fähigkeitsniveaus verglichen Bildungsvergleichsstudien“ (ZIB) gegründet. Dieses Zent-
werden. Die Ergebnisse lassen sich auf Bildungs- rum plant und verbindet Forschungsarbeiten zu Large Scale
8 standards sowie Lehrpläne und Kerncurricula der Assessments in drei Instituten (DIPF, IPN und TUM School
Grundschulen beziehen. of Education); es führt – mit Sitz an der TUM School of
9 Education in München – regelmäßig PISA in Deutschland
durch und stimmt sich eng mit dem IQB in Berlin ab, das
15.3.2 Eine Internationale
10 Vergleichsstudie: PISA
für die nationalen Schulleistungsstudien verantwortlich ist.
PISA ist vor allem darauf gerichtet, zentrale und
grundlegende Kompetenzen zu erheben, die für die indi-
11 PISA, das „Programme for International Student Assess- viduellen Lern- und Lebenschancen und die persönliche
ment“, ist der zentrale Teil eines umfassenden Indika- wie berufliche Entwicklung über die Lebensspanne ebenso
12 torensystems, das die Organisation für wirtschaftliche bedeutsam sind wie für die gesellschaftliche, politische und
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) organisiert. wirtschaftliche Weiterentwicklung. Die Zielgruppe von
PISA untersucht, wie gut junge Menschen am Ende der PISA sind Jugendliche im Alter von 15 Jahren. Diese Fest-
13 Pflichtschulzeit auf Herausforderungen der Wissensgesell- legung wurde gewählt, da sich Jugendliche dieser Alters-
schaft vorbereitet sind. Die erste Erhebungsrunde fand im gruppe in den OECD-Staaten normalerweise noch alle im
14 Jahr 2000 statt, seither wird PISA alle 3 Jahre durchgeführt. Pflichtschulsystem befinden, sich zugleich aber dem Ende
An PISA nehmen die 30 OECD-Mitgliedsstaaten teil, welche der Pflichtschulzeit und dem Übergang in das Berufsleben
15 die Referenz darstellen, an der sich alle teilnehmenden Staa- oder in weiterführende Bildungsgänge nähern.
ten messen. PISA ist auch für Staaten interessant, die selbst Welche Anforderungen die Testaufgaben stellen, ist
nicht der OECD angehören, aber ihre Bildungsergebnisse in ausführlichen Testkonzeptionen beschrieben und be-
16 am OECD-Standard beurteilen möchten. An PISA  2006 gründet, die von Expertenkommissionen in Hinblick auf
nahmen 57 Staaten teil, bei PISA 2012 waren es bereits 68. die generelle Zielstellung von PISA ausgearbeitet wurden
17 Die OECD beauftragt in jeder Erhebungsrunde inter- (z. B. OECD, 2009). PISA verwendet eine Literacy-ori-
national zusammengesetzte Konsortien mit der Durchfüh- entierte Rahmenkonzeption, die sich nicht auf das Ab-
rung von PISA. In den Teilnehmerstaaten wird PISA nach prüfen von Lehrplanstoff beschränkt und fokussiert bei
18 den internationalen Vorgaben und Standards von natio- den Untersuchungen drei Kompetenzbereiche, die in der
nalen Institutionen durchgeführt. In Deutschland hat die Wissensgesellschaft eine wichtige Rolle spielen. Jede Erhe-
19 Kultusministerkonferenz (KMK) die Durchführung und bungsrunde umfasst alle drei Kompetenzbereiche, wobei
Berichterstattung für jede Erhebungsrunde ausgeschrieben bei jedem Durchgang ein Bereich vertieft untersucht wird
20
21
und in Folge nationale Konsortien mit Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Institute (z. B.
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin; Leib-
niz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und
-
(. Abb. 15.2):
Die Lesekompetenz, die in der ersten PISA-Erhe-
bungsrunde den Schwerpunkt bildete und seither re-
gelmäßig getestet wird, wird als Schlüssel für den
Mathematik (IPN), Kiel; oder Deutsches Institut für Inter- Zugang zu Wissen schlechthin betrachtet, denn der
22 nationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt) mit größte Teil des Wissens wird über Texte (unterschied-
der Durchführung beauftragt. Ende 2010 wurde von der licher Sorten) transportiert und erschlossen.
15.3 • Drei beispielhafte Vergleichsstudien
351 15

- Die ebenfalls regelmäßig untersuchte mathematische


Kompetenz steht weniger für alltägliche Rechenfer-
tigkeit, sondern für die Nutzung von Mathematik als
Exkurs  |       | 
Welche Rolle spielen Bildungsstandards
im Schulsystem?
Werkzeug für die Modellierung von Zusammenhän-

- gen und für das Lösen von Problemen. Die inhaltliche Diskussion um die Einführung der Bildungs-
standards wurde maßgeblich von der BMBF-Expertise „Zur
Der dritte in jeder Runde erneut untersuchte Bereich Einführung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al.,
der naturwissenschaftlichen Kompetenz trägt der 2003) angeregt. Sie beschreibt die Funktionen, konzeptuellen
Tatsache Rechnung, dass Gesellschaft und Kultur von Grundlagen und die Entwicklung von Bildungsstandards.
den sich dynamisch weiterentwickelnden Natur- Mit der Einführung von Bildungsstandards soll ein weiterer
wissenschaften und der Technik nachhaltig geprägt Schritt beim Wechsel von der Input- hin zur Outputorientie-
rung vollzogen werden. Qualitätssicherung im Bildungssys-
werden. tem wird dann nicht mehr allein durch Bildungsprogramme
(Lehrpläne) gesteuert, sondern auch über zu erzielende
Die PISA-Rahmenkonzeptionen für die drei Testbereiche Lernergebnisse (Bildungsstandards).
liefern die Grundlage für die Konstruktion der Tests. Das
Aufgabenmaterial wird in Test- und Forschungsinstituten
aus mehreren Ländern in Zusammenarbeit mit dem in- 15.3.3 Überprüfen von Bildungsstandards
ternationalen PISA-Konsortium entwickelt. Darüber hin-
aus haben alle teilnehmenden Staaten Gelegenheit, selbst Die Erhebungen zur Erreichung von Bildungsstandards
Aufgaben einzureichen, die in den Test aufgenommen stehen exemplarisch für standardorientierte Vergleichs-
werden, wenn sie den Kriterien der Rahmenkonzeption studien, die auf nationaler Ebene die Qualität der Ausbil-
entsprechen. Die so entstandenen Aufgaben werden in ei- dung bei Schülern vor dem mittleren Bildungsabschluss
nem Feldtest erprobt. An der Hauptstudie nimmt in jedem prüfen.
Teilnehmerstaat eine repräsentative Stichprobe von Schü- Als eine Reaktion auf PISA 2000 führte die ständige
lern teil. Die PISA-Ergebnisse werden zentral analysiert Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundes-
und schließlich in internationalen und nationalen Berich- republik Deutschland (KMK) Bildungsstandards als wich-
ten veröffentlicht (z. B. Klieme et. al., 2010; OECD, 2007a; tigen Bestandteil eines umfassenden Systems der Quali-
OECD, 2007b; OECD, 2010; Prenzel et al., 2007a). tätssicherung schulischer Bildung ein. Für den mittleren
Auch PISA lässt unterschiedliche Vergleichsperspek- Schulabschluss und für den Hauptschulabschluss wurden

-
tiven zu:
Die internationale Einordnung der Befunde eines
damit Bildungsstandards definiert und verbindliche Ziele
und Kriterien festgelegt, anhand derer das Erreichen eines

- Landes entspricht einem normorientierten Vergleich.


Kompetenzstufen, die eine inhaltliche Beurteilung
der Kompetenzen enthalten, gestatten kriteriumsori-
Standards erfasst und gemessen werden kann (▶  Exkurs
„Welche Rolle spielen Bildungsstandards im Schulsystem?“).
Eine an PISA 2006 gekoppelte Studie sollte erstmals

- entierte Vergleiche.
Da PISA in aufeinander folgenden Erhebungsrunden
durchgeführt wird, können ipsative Vergleiche ge-
zogen und die Ergebnisse für ein Land über die Zeit
empirisch überprüfen, inwieweit die Schüler der 9. Klassen
die durch die Bildungsstandards beschriebenen Anforde-
rungen in Mathematik für den mittleren Bildungsabschluss
bewältigen können (Prenzel & Blum, 2007). Die Aufgaben
betrachtet werden. können darüber hinaus als Grundstock für weitere Test-
entwicklungen zur Überprüfung der Bildungsstandards in
PISA ist offen für Ergänzungen und Erweiterungen, so- Mathematik genutzt werden (Blum, Drüke-Noe, Hartung
lange sichergestellt ist, dass die Studie exakt nach den in- & Köller, 2006; Prenzel & Blum, 2007).
ternationalen Vorgaben erfolgt (▶ Abschn. 15.6). Eine Va- Die Konzeption der Bildungsstandards im Fach Ma-
riante der Ergänzung bestand in den ersten Runden von thematik orientiert sich an den Vorarbeiten der Standards,
PISA in Deutschland darin, die PISA-Stichprobe für einen die vom National Council of Teachers of Mathematics
zweiten Testtag zu nutzen. An diesem zweiten Tag wurden (NCTM, 2000) entwickelt wurden, und an der PISA-Rah-
die Schüler gebeten, weitere Tests und Fragebögen zu bear- menkonzeption für Mathematik (OECD, 2003). Beide
beiten, die für Forschungsfragen von nationalem Interesse Rahmenkonzeptionen beschreiben die Mathematikkom-
genutzt wurden. In PISA 2006 wurde am zweiten Testtag petenz aus einer inhaltlichen und einer prozessorientier-
ein Verfahren zur Überprüfung der Bildungsstandards in ten Sicht. Die KMK-Bildungsstandards unterscheiden
Mathematik für den mittleren Schulabschluss erprobt, das „mathematische Leitideen“ und „mathematische Kompe-
im folgenden Abschnitt näher erläutert wird. Beispielauf- tenzen“ (Kultusministerkonferenz, 2004) und definieren
gaben zu PISA finden sich unter ▶ http://www.pisa.tum.de/ Kompetenzstandards (vgl.  auch Ehmke, Leiß, Blum &
kompetenzbereiche/beispielaufgaben/. Prenzel, 2006).
352 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

1 .. Tab. 15.3  Untersuchungsdesigns in Vergleichsstudien. (Modifiziert nach Seidel & Prenzel, 2008, mit freundlicher Genehmigung von
Hogrefe, Göttingen)

2 Design Datenerhebungen Zielgruppe Stichproben

Querschnittlich
3 Eine Erhebung 1 ≥ 1 (z. B. Klasse 4, 8, 12) Zufallsstichproben für jede Population
zu jedem Erhebungszeitpunkt

4 In mehrjährigen Runden wiederkeh- > 1 ≥ 1 Zufallsstichproben für jede Population


rende Erhebungen (Trend) zu jedem Erhebungszeitpunkt

5 Längsschnittlich

Einfaches Panel > 1 1 Eine Zufallsstichprobe wird zu Beginn


gezogen und zu allen Erhebungszeit-
6 punkten erneut getestet/befragt

Komplexes Panel > 1 ≥ 1 Mehrere Zufallsstichproben werden


7 gezogen und zu allen Erhebungszeit-
punkten erneut getestet/befragt

8
In den Schuljahren 2004/5 bzw. 2005/6 wurden Bil- 15.4 Vergleichsstudien – Von der Idee
9 dungsstandards in allen Ländern der Bundesrepublik ver- zur Testdurchführung
bindlich eingeführt. Für die Hauptschule und den mittleren
10 Bildungsabschluss liegen Bildungsstandards für die Fächer Die bisherigen Ausführungen illustrieren, dass es nicht
Deutsch und Mathematik sowie die erste Fremdsprache „die“ Vergleichsstudie gibt, sondern sich das konkrete
(Englisch und Französisch) und die naturwissenschaftli- Vorgehen in den einzelnen Studien deutlich unterscheidet.
11 chen Fächer vor, im Primarbereich in den Fächern Deutsch Was dies für den konkreten Forschungsprozess bedeutet
und Mathematik. Standards für die Fächer Deutsch, Ma- und welche Arbeitsschritte im Rahmen der Planung und
12 thematik und die erste Fremdsprache werden auch für die Durchführung der meisten Vergleichsstudien anfallen,
allgemeine Hochschulreife entwickelt. wird in den nächsten Abschnitten behandelt.
Die Testaufgaben werden von Lehrkräften und fach-
13 didaktischen Experten entwickelt. Auf der Grundlage
einer Normierungsstudie werden – ähnlich wie bei PISA 15.4.1 Designs und Stichproben
14 (▶ Abschn. 15.5.2) – Kompetenzstufenmodelle entwickelt.
Die Überprüfung der Bildungsstandards erfolgt anhand Das Zentrum von Vergleichsstudien ist die Testkompo-
15 einer repräsentativen Stichprobe, im Falle der Standards nente. Hinzu kommen Daten zu Hintergrundvariablen,
für den mittleren Bildungsabschluss an Schülern der die mittels Fragebogen, Interview oder Beobachtung er-
9. Jahrgangsstufe. Ob und inwieweit es gelingt, die in den fasst werden. Gegenstand der Analysen sind Relationen
16 Bildungsstandards formulierten Lernziele zu erreichen, zwischen diesen Variablen.
wird in Deutschland mittlerweile regelmäßig in mehrjäh- Die Entscheidung für ein quer- oder längsschnittliches
17 rigen Abständen überprüft und berichtet. Das IQB stellt Design wirkt sich auf die Möglichkeiten der Interpretation
regelmäßig die Ergebnisse dieser Standardüberprüfungen aus. Vergleichsstudien, die nur zu einem Messzeitpunkt
in sogenannten „Ländervergleichen“ dar (Köller, Knigge durchgeführt werden, liefern deskriptive Befunde, die zur
18 & Tesch, 2010; Stanat et al., 2012). Ähnlich wie bei PISA Standortbestimmung und Bestandsaufnahme beitragen.
erlauben die Ergebnisse keinen Vergleich auf individueller Will man solide Hinweise auf kausal bedeutsame Bedin-
19 oder Schulebene. Die Befunde werden vergleichend für die gungsfaktoren erhalten, dann sind Längsschnittdesigns
Länder der Bundesrepublik dargestellt. Beispielaufgaben erforderlich. . Tab. 15.3 gibt einen Überblick über die
20 zu Bildungsstandards finden sich in den Dokumenten un- verschiedenen Möglichkeiten, eine Vergleichsstudie zu
ter ▶ http://www.kmk.org/bildung-schule/qualitaetssiche- gestalten.
rung-in-schulen/bildungsstandards/dokumente.html. Zwei der Designs sind querschnittlich angelegte Stu-
21 dien, die wahlweise eine oder mehrere Zielgruppen (Al-
ters- oder Jahrgangsstufen) einbeziehen, die entweder
22 einmal getestet werden oder die in mehreren Runden zu
jedem Erhebungszeitpunkt immer an neuen Stichpro-
15.4  •  Vergleichsstudien – Von der Idee zur Testdurchführung
353 15

ben in der jeweiligen Population untersucht werden. Pa- benziehung sind die Angaben der statistischen Ämter eines
nelstudien verwenden längsschnittliche Designs. Dabei Staates (in der Bundesrepublik beispielsweise die Angaben
wird eine Stichprobe aus einer Population über mehrere der 16 statistischen Landesämter; vgl. z. B. auch Carsten-
Messzeitpunkte hinweg immer wieder getestet und befragt sen, Frey, Walter & Knoll, 2007).
(einfache Panelstudien). Komplexe Panelstudien starten Innerhalb der stratifizierten Stichproben werden
mit mehreren Stichproben unterschiedlicher Alters- oder dann Klumpenstichproben gezogen, die sich dadurch
Jahrgangsstufen und begleiten diese über mehrere Mess- auszeichnen, dass die zu testenden Personen in Gruppen
zeitpunkte oder Erhebungsrunden. Die Erhebungen in sol- zusammengefasst sind (▶ Kap. 14). In Vergleichsstudien
chen komplexen Panelstudien können gewinnbringend mit ist es gängige Praxis, mehrere Klumpenstichproben nach-
querschnittlichen Designs ergänzt werden (vgl. auch Dun- einander zu ziehen: Die primären Stichprobeneinheiten
can & Kalton, 1987). Viele Vergleichsstudien verwenden sind Schulen, die sekundären Stichprobeneinheiten sind
auch eine Kombination der beschriebenen Designs oder Schüler (vgl. auch Lohr, 1999; Walter & Rost, 2011).
verkoppeln Teilstichproben einer querschnittlichen Studie Es werden Schulen gezogen, deren Zahl von der ange-
mit Komponenten längsschnittlicher Designs. strebten Genauigkeit der Stichprobenergebnisse abhängt.
Vergleichsstudien streben an, repräsentative Aussagen In den Schulen werden Zufallsstichproben von Schülern
über Kompetenzen und andere Merkmale in einer Popula- gezogen. Das Beispiel PISA 2006 illustriert, wie aus der laut
tion zu treffen. Um den Aufwand einer Erhebung zu redu- „sampling frame“ vorgesehenen Stichprobe eine realisierte
zieren, werden Stichproben von Personen (bzw. von Schu- Stichprobe wird.
len, s. unten) gezogen. Die Ziehung der Stichproben ist Wie bereits ausgeführt, werden in Vergleichsstudien
ein sehr bedeutsamer (und methodisch anspruchsvoller) alters- bzw. jahrgangsbasierte Stichproben gezogen (▶ Ab-
Schritt im Laufe der Realisierung einer Vergleichsstudie, schn. 15.4.1).
da die Aussagekraft auf Populationsebene mit der Quali- In altersbasierten Stichproben entscheidet man sich
tät einer Stichprobe steht und fällt. Ein Sonderfall, in dem für eine Untersuchungspopulation, die das Lebensalter
Stichproben keine Rolle spielen, sind Vollerhebungen wie der Schüler als Kriterium nimmt. In diesen Studien wird
beispielsweise flächendeckende Lernstandserhebungen, in danach gefragt, welche Kompetenzen Jugendliche bis zu
denen alle Schüler einer Population in eine Vergleichsstu- einem bestimmten Alter entwickeln, unabhängig davon,
die einbezogen werden. auf welcher Klassenstufe sie sich zu diesem Zeitpunkt be-
In Vergleichsstudien werden aus verschiedenen Grün- finden. Diese Definition bringt es mit sich, dass sich Schü-
den häufig komplexe Stichproben gezogen. Das bedeu- ler der Stichprobe auf mehrere Klassenstufen verteilen,
tet, dass mehrere Arten der Stichprobenziehung mitein- in Abhängigkeit davon, wie die Einschulungspraxis und
ander kombiniert werden müssen. Dies hat verschiedene die Regeln zur Klassenwiederholung in den teilnehmen-
Gründe: Einfache Zufallsstichproben setzen voraus, dass es den Staaten sind. Ein Problem der altersbasierten Stich-
Listen sämtlicher Schüler gibt, die der Zielpopulation an- proben tritt auf, wenn ein nennenswerter Anteil der Ziel-
gehören. Dies stellt vor allem bei altersbasierten Stichpro- population nicht (mehr) die Schule besucht. Dies ist für
ben ein Problem dar. Ebenso wichtig ist jedoch ein zweiter, 15-Jährige in einigen Staaten der Fall, beispielsweise in der
praktischer Grund: Theoretisch können sich die in einer Türkei (über 40 %), in Mexiko (über 35 %) oder Portugal
einfachen Zufallsstichprobe gezogenen Schüler geografisch (über 10 %). Man kann vermuten, dass die Jugendlichen,
sehr weit und auf sehr viele verschiedene Schulen vertei- die aus diesem Grund nicht an PISA teilnehmen, zu den
len. Der organisatorische Aufwand, der mit einer solchen kompetenzschwächeren gehören. Das bedeutet, dass so
Stichprobe verbunden wäre, ist kaum zu leisten. das Kompetenzniveau der Population der 15-Jährigen in
Stichproben in Vergleichsstudien werden deshalb stra- diesen Staaten u. U. überschätzt wird.
tifiziert. Das heißt, die Zielpopulation wird in verschiedene
Teilstichproben (Strata) unterteilt. Man unterscheidet hier Beispiel  |       | 
explizit und implizit stratifizierende Variablen. Um einen
Stichprobenziehung bei PISA 2006
„sampling frame“, also die Listen dieser Teilstichproben, zu
Im ersten Schritt wurden 227 Schulen für den interna-
erstellen, aus denen die Stichproben dann gezogen werden,
tionalen Vergleich gezogen. In vier dieser Schulen gab
wird die Zielpopulation unterteilt. Die Schulstichprobe
es zum Testzeitpunkt keine Fünfzehnjährigen mehr. Für
wird nach Ländern geschichtet, d. h. separat für jedes
zwei dieser Schulen konnten Ersatzschulen ermittelt
Land behandelt (explizit stratifiziert). Die Ziehung wird
werden. Insgesamt wurden Daten von Schülerinnen
so angelegt, dass sich die gezogenen Schulen innerhalb der
und Schülern aus 225 Schulen ausgewertet, die Teilnah-
Schichten proportional zur Zahl der unterrichteten Schüler
mequote beträgt auf Schulebene somit 100 Prozent.
je nach Schulart auf die unterschiedlichen Schulen vertei-
len (implizit stratifiziert). Die Grundlage für die Stichpro-
354 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

15.4.2 Theoretische Rahmenkonzeptionen


1 Auf Schülerebene liegt die Teilnahmequote bei
92,3 Prozent, weil meist wegen Krankheit oder fehlen-
Die Rahmenkonzeption einer Vergleichsstudie beschreibt
der Elterngenehmigungen Schülerinnen und Schüler
2 nicht an der Erhebung teilnahmen. […] Vom Test
die Anforderungen an die Konstruktion der Testverfahren
und Fragebögen. Die Testkonzeptionen beziehen sich auf
ausgeschlossene Schülerinnen und Schüler wurden
die zugrunde liegende bildungstheoretische Auffassung
3 nicht in die Berechnung der Untersuchungsbeteili-
und berücksichtigen den aktuellen Forschungsstand. Sie
gung einbezogen; ihr Anteil lag bei 0,66 Prozent. Den
sind an der zu testenden Zielpopulation und den Zielen
4 internationalen PISA-Regelungen folgend wurden
der jeweiligen Studie orientiert.
Schülerinnen und Schüler innerhalb der Schulen
Es gibt im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, Kompe-
dann ausgeschlossen, wenn sie weniger als ein Jahr in
5 Deutschland Deutschunterricht erhalten hatten oder
tenzmessungen normativ zu verankern: Die IEA orientiert
sich beispielsweise an curricularen Vorgaben und prüft,
wenn ihnen aufgrund einer körperlichen, geistigen
inwieweit diese von den Schülern erreicht werden. Aus der
6 oder emotionalen Beeinträchtigung die Teilnahme am
Sicht von Schule erscheint ein curricularer Bezugspunkt
Test nicht möglich war.
als naheliegend, denn man hofft so zu erfahren, inwieweit
7 (Zitiert nach Carstensen et al., 2007, S. 371).
die Lehrpläne in Wissen und Können umgesetzt werden.
Für den internationalen Vergleich können die Überschnei-
dungsbereiche der Curricula in den teilnehmenden Staaten
8 Eine definierte Zielpopulation sollte innerhalb der Staaten der Kompetenzmessung in einer bestimmten Jahrgangs-
möglichst vollständig ausgeschöpft werden. Von vollstän- stufe zugrunde gelegt werden. Da in der Mathematik und
9 diger Ausschöpfung spricht man dann, wenn potenziell in den Naturwissenschaften am ehesten international
alle Personen der Zielpopulation für die zu untersuchende gemeinsame curriculare Anforderungen vorliegen, sind
10 Stichprobe ausgewählt werden können. Es gibt einige, diese Fächer traditionell die Favoriten für internationale
wohldefinierte Ausschlussgründe. Ausgeschlossen werden Vergleichsstudien. Dennoch stellen sich auch bei diesen
in der Regel Schüler, die aus körperlichen, geistigen oder Fächern zahlreiche Probleme, die vor allem auf Unter-
11 seelischen Gründen nicht in der Lage sind, selbstständig schiede in der Organisation und Sequenzierung der nati-
den Test zu bearbeiten. Ein weiterer Grund kann sein, dass onalen Curricula zurückzuführen sind.
12 Schüler die Testsprache nicht gut genug beherrschen, weil Unter anderem deshalb wird in neueren Vergleichsstu-
sie gerade erst zugewandert sind. Neben diesen Gründen dien (wie in PISA) eine andere Vorgehensweise gewählt.
könnten sich (je nach Regelung) in manchen Ländern Schü- Statt der Erfüllung bestehender Curricula steht bei Lite-
13 ler oder ganze Schulen weigern, an der Studie teilzuneh- racy-orientierten Studien die Frage im Mittelpunkt, wie
men. Um Verzerrungen der Stichproben, die durch diese gut Schüler eines bestimmten Lebensalters Kompetenzen
14 Ursachen zustande kommen könnten, möglichst gering zu entwickelt haben, die für ein lebenslanges Lernen in der
halten, werden in Vergleichsstudien auf Schulebene und Wissensgesellschaft und für die aktive Teilhabe am Leben
15 auf der Ebene der Schüler jeweils Mindestausschöpfungs- einer Gesellschaft von Bedeutung sind. Nun steht diese
quoten definiert. Diese Mindestquoten müssen erreicht Perspektive nicht unbedingt einer curricularen Sicht entge-
werden, damit die Daten eines Landes berichtet werden. gen – die Präambeln von Lehrplänen sprechen ja auch ver-
16 Die Wahrscheinlichkeit, in die Stichprobe aufgenom- gleichbar anspruchsvolle Zielvorstellungen an. Allerdings
men zu werden, ist aufgrund der expliziten Stratifizierung verfolgen die Literacy-orientierten Ansätze die Absicht,
17 nach Schularten nicht für alle Schüler gleich. Die Stichprobe sich zu vergewissern, welche Kompetenzen relevant und
ist damit zwar zufällig gezogen, was aber nicht bedeutet, anschlussfähig sind. Da solche Anforderungen nicht (wie
dass sie repräsentativ für die Zielpopulation ist. Um diese bei Lehrplänen) in kodifizierter Form vorliegen, müssen
18 Repräsentativität herzustellen, wird für jede Schülerin und sie von Expertengruppen unter Berücksichtigung des For-
jeden Schüler ein sog. individuelles Gewicht berechnet. schungsstandes erarbeitet werden. Dabei verspricht man
19 Die Gewichte drücken aus, wie viele Schüler der Popu- sich auch, der Gefahr zu entgehen, am Ende nur typisches
lation jede Schülerin bzw. jeder Schüler repräsentieren soll. Schulbuchwissen abzufragen, das Schüler sich kurzfristig
20 Das Gewicht gibt somit die Zahl der Jugendlichen in der angeeignet haben. Vielmehr möchte man sie mit lebens-
Population je Person in der Stichprobe an. Die Auswertun- nahen Anforderungen konfrontieren, die eine flexible, si-
gen von Ergebnissen, auf die die so konstruierten Gewichte tuationsangemessene Anwendung von Wissen verlangen.
21 angewendet werden, beziehen sich auf die Fallzahlen der Die Erhebungen bei Vergleichsstudien beschränken
zugrunde liegenden Population, und die Stichprobener- sich nicht nur auf Tests. Unter dem Begriff „Hintergrund-
22 gebnisse lassen sich auf diese Population verallgemeinern und Kontextmerkmale“ verbergen sich Merkmale, die mit
(vgl. auch Walter & Rost, 2011). den Bildungsergebnissen der Schüler (Outputs) assoziiert
355 15

sind und deren Lern- und Lebensumgebungen zugeordnet


werden können (Kontextfaktoren). Es werden Lern- und
Entwicklungsbedingungen erhoben, die vor allem das El-
ternhaus, die Schule und den Unterricht charakterisieren
(Prozessfaktoren; ▶ Abschn. 15.1.1). Mit der Erhebung
von Hintergrundmerkmalen auf diesen unterschiedlichen
Ebenen können nicht nur aufschlussreiche Informationen
über Bedingungen des Aufwachsens und diesbezügliche
Unterschiede gewonnen werden. Die Erhebungen geben
auch die Möglichkeit, die unter verschiedenen Bedingun-
gen entwickelte Kompetenz von Schülern zu vergleichen,
auf der nationalen wie internationalen Ebene. Damit kön-
nen auch Aussagen darüber getroffen werden, inwieweit
bestimmte Lebensbedingungen (z. B. Merkmale der Her-
kunft) in den einzelnen Ländern systematisch mit Kompe-
tenzunterschieden – also unterschiedlichen Chancen auf
eine erfolgreiche Kompetenzentwicklung – verknüpft sind.
In vielen Studien werden neben den teilnehmenden
Schülern auch die Schulleitungen und/oder Lehrpersonen .. Abb. 15.3  Das Verfahren zur Aufgabenentwicklung im Überblick
mittels Fragebögen befragt, um Prozessinformationen
über die schulische und unterrichtliche Lernumgebung jektmanager aus den Teilnehmerstaaten beurteilt. Unter
zu sammeln. Einen Einblick in die familiäre Situation und anderem werden die fachliche Richtigkeit der Aufgaben,
das soziale Umfeld der Familie geben immer häufiger auch die Nähe zum jeweiligen Curriculum des Landes, eine
Fragebögen an die Eltern der Schüler. mögliche kulturelle oder geschlechterbezogene Benach-
teiligung durch die Art oder das Thema der Aufgabe, die
Interessantheit und die Schwierigkeit der Aufgaben bewer-
15.4.3 Testkonstruktion tet. Diejenigen Aufgaben, die den Aufgabenentwicklungs-
und Itementwicklung prozess bis zu diesem Punkt „überlebt“ haben, werden
dann in einem internationalen Feldtest erprobt (Drechsel
Die Testentwicklung erfolgt auf der Basis der Rahmen- & Prenzel, 2008).
konzeption und erfordert festgelegte Arbeitsschritte. Die
zentralen Kriterien für die Aufgabenkonstruktion sind Antwortformate. Die in Vergleichsstudien eingesetzten

-
folgende:
Die Aufgaben müssen die bildungstheoretischen
Grundgedanken der jeweiligen Testkonzeption ver-
Aufgaben weisen unterschiedliche Antwortformate auf.
Bei einem Teil der Aufgaben müssen die Schüler unter
mehreren vorgegebenen Antwortmöglichkeiten eine oder

- körpern.
Die Aufgaben müssen die in der Testkonzeption
unterschiedenen inhaltlichen Aspekte umsetzen und
mehrere korrekte Lösungen markieren (Mehrfachwahl
bzw. Multiple Choice). Bei anderen Antwortformaten sol-
len die Schüler eine eigene Antwort formulieren, die aus

- repräsentieren.
Die Aufgaben müssen eine reliable, valide und inter-
national vergleichbare Leistungsmessung ermögli-
chen.
einem einzigen Wort oder einer Zahl (Kurzantwort) oder
aus mehreren Sätzen (manchmal auch Zeichnungen) be-
steht (offenes Antwortformat).

Übersetzungen.  In internationalen Vergleichsstudien ist


Die Aufgabenentwürfe werden in einem mehrstufigen die Übersetzung der Testinstrumente eine besondere Her-
Verfahren überprüft und weiterentwickelt (. Abb. 15.3). ausforderung, denn die Testaufgaben, Fragebögen und Ma-
Einzelne Schüler werden beispielsweise gebeten, Aufgaben nuale in den verschiedenen Sprachen müssen mehr oder
zu bearbeiten und dabei „laut zu denken“. Es folgen erste weniger identisch sein. Das heißt, dass die Übersetzungen
Überprüfungen der Aufgaben mit kleinen Schülergruppen, auch bezüglich ihrer sprachlichen Komplexität und der
die die Aufgaben bearbeiten und die man dann bittet, diese Schwierigkeit der Begriffe vergleichbar sein müssen. Die
nach verschiedenen Gesichtspunkten aus ihrer Perspek- Übersetzungen werden nach festgeschriebenen Überset-
tive zu bewerten. Nach diesen Prüfungen und eventuellen zungsregeln angefertigt.
Überarbeitungen werden die Aufgabenentwürfe innerhalb Aufgrund der z. T. großen organisatorischen Unterschiede
der Expertengruppen und im Kreis der nationalen Pro- zwischen den Schulsystemen der Staaten, die an Vergleichs-
356 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

1
2
3
4
5
.. Abb. 15.4  Design des internationalen Tests in PISA 2006. (Aus Prenzel, M., Carstensen, C. H., Frey, A., Drechsel, B. & Rönnebeck, S. (2007b).
6 PISA 2006 – Eine Einführung in die Studie. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Ver-
gleichsstudie (S. 49). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)

7
studien teilnehmen, sind Anpassungen der Fragebögen nö- alle Schüler zusätzlich die Fragebögen aus. Die Testitems
tig. Beispielsweise gilt es, gegliederte und nicht gegliederte sind in sog. Units gruppiert: Mehrere thematisch zusam-
8 Schulsysteme vergleichbar zu machen, die Qualifikations- mengehörende Items sind in eine Aufgabe (Aufgabenein-
niveaus von Lehrkräften zu vergleichen oder – beispiels- heit) eingebaut. Die Aufgabe beginnt normalerweise mit
9 weise für die Beschreibung des sozialen und kulturellen einer einführenden Passage (einem Text, oft mit einem Bild
Hintergrundes – Indikatoren für Wohlstand zu finden. oder einer Tabelle, etc.), die dazu dient, die Schüler in eine
10 Diese Prozedur ist aufwändig und erfolgt unter der Leitung bestimmte realitätsbezogene Situation (zugleich einen An-
der Organisatoren der Studie, die die Anpassungen und wendungskontext für Wissen) einzuführen. Dann folgen
Spezifikationen prüfen und auf Vergleichbarkeit achten. 3 oder 4 Items (also Testfragen), die auf diese Situation
11 Jede Anpassung, die im Fragebogen vorgenommen wird, bezogen sind.
muss sorgfältig geprüft und genehmigt werden.
12
Testdesign.  Die Aussagekraft von Vergleichsstudien hängt 15.4.4 Itemanalysen und Skalierung
davon ab, inwieweit es gelingt, die Kompetenzen (auf der
13 Ebene von Staaten oder Personengruppen) möglichst ge- Aus den Angaben der Schüler in Test und Fragebogen, den
nau zu schätzen. Dazu ist es einerseits erforderlich, eine Angaben der Schulleitungen und ggf. der Eltern oder Lehr-
14 große Zahl von Aufgaben zu verwenden, um den jeweili- kräfte werden Datensätze erstellt, die zur zentralen Auswer-
gen Bereich umfassend und in der nötigen Breite zu testen. tung weitergegeben werden. Die Skalierung der Tests ist der
15 Anderseits kann man die Schüler nicht tagelang mit Aufga- erste und grundlegende Auswertungsschritt. Auf der Basis
ben testen. Um diesen gegenläufigen Ansprüchen gerecht von Modellen der Item-Response-Theorie werden sog. Pa-
zu werden, nutzt man in Vergleichsstudien ein besonderes rameter bestimmt, die nach Personenfähigkeiten und Auf-
16 Testdesign, das sog. Multi-Matrix-Design. Die Menge der gabenschwierigkeiten differenzieren. Aus beiden ergibt sich
Testaufgaben wird nach einem bestimmten Verfahren auf die Lösungswahrscheinlichkeit für eine richtige oder falsche
17 mehrere Schüler verteilt. Sie erhalten jeweils eine Teil- Bearbeitung der einzelnen Aufgabe durch jede Person (Rost,
menge der Aufgaben aus den Aufgabenblöcken, die da- 2004; ▶ Exkurs „Modelle der Item-Response-Theorie“).
mit eine umfassende und statistisch präzise Schätzung der Das Ziel der Skalierung ist es, die Antworten der Schü-
18 Kompetenzwerte für Staaten oder Schülergruppen ermög- ler auf die Testfragen so zu analysieren, dass sie auf einer
licht (allerdings können darüber die Kompetenzen indivi- gemeinsamen Skala betrachtet werden können und die
19 dueller Schüler nicht exakt bestimmt werden). Kompetenzen der Jugendlichen verglichen werden kön-
. Abb. 15.4 zeigt als Beispiel für ein solches Multi- nen. Damit die Personen bzw. Personengruppen bezüglich
20 Matrix-Design das Testdesign des internationalen Tests in der gemessenen Kompetenz miteinander verglichen wer-
PISA 2006: Insgesamt wurden 13 Testhefte eingesetzt, die den können, muss eine Skala eindimensional sein. Außer-
in verschiedenen Varianten Teile der drei Tests in Natur- dem muss eine Skala möglichst messgenau sein, d. h. die
21 wissenschaften, Lesen und Mathematik enthalten (Prenzel, anvisierte Kompetenz möglichst zuverlässig und präzise
Carstensen, Frey, Drechsel & Rönnebeck, 2007b). erfassen.
22 Die Testhefte bei PISA sind in verschiedene Aufgaben- Die Fragebögen werden analog zum Vorgehen bei den
blöcke à 30 Minuten eingeteilt. Am Schluss des Tests füllen Testaufgaben skaliert (ebenfalls häufig unter Anwendung
15.5  •  Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen)
357 15

Exkurs  |       | 
Modelle der Item-Response-Theorie
Mit Vergleichsstudien wird das Ziel verfolgt, Aussagen über
die Qualität von Bildungssystemen zu treffen. Zu diesem
Zweck werden die Ergebnisse für Personengruppen (wie
z. B. Schüler eines Staates, Mädchen in einer Schulart, die
kompetentesten Schüler in Mathematik etc.) analysiert und
in Zusammenhang mit verschiedenen Hintergrundmerkma-
len gebracht. Es wird eine Auswertungsmethode verwendet,
die optimierte Schätzwerte für große Gruppen liefert. Bei
Vergleichsstudien spielen damit die Testleistungen einzelner
Personen (z. B. einzelner Schüler) nur insofern eine Rolle,
als sie einen Beitrag zum Gesamtbild liefern. Individuelle
Kompetenzen kann man mit dieser Methode nicht optimal
bestimmen. Die zur Skalierung verwendeten Modelle haben
die Eigenschaft, dass die Fähigkeit bzw. Kompetenz einer Per-
son bezüglich einer Aufgabe und gleichzeitig die (empirisch
bestimmte) Schwierigkeit der Aufgabe auf derselben Skala
abgebildet werden kann (für einen genaueren Überblick vgl.
z. B. Carstensen, Knoll, Rost & Prenzel, 2004; Rost, 2004).

von Modellen der Item-Response-Theorie). Die Analysen


zur Dimensionalität und Zuverlässigkeit informieren über
die Qualität und die Eignung der Fragebogenskalen für die
weiteren Auswertungen.

15.5 Auswertungsverfahren
und Ergebnisse (mit Beispielen)

Die in ▶ Abschn. 15.3.2 beschriebenen Vergleichspers- .. Abb. 15.5  Mittelwerte und Streuungen für Lesekompetenz in
pektiven bestimmen, welche Ergebnisse ermittelt werden PISA 2006; M arithmetisches Mittel; SD Standardabweichung; SE
und entscheiden dementsprechend auch über die Auswer- Standardfehler. (Nach Drechsel, B. & Artelt, C. (2007). Lesekompetenz.
In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert, W. Blum, M. Hammann, E. Klieme &
tungsverfahren. Im Folgenden werden Auswertungsver- R. Pekrun (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen
fahren und Ergebnisse dargestellt, mit denen man bei der Vergleichsstudie (S. 229). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag.
Auseinan­dersetzung mit Ergebnisberichten zu Vergleichs- Verwendung mit freundlicher Genehmigung)
studien häufig konfrontiert ist.
gruppe erreichten Kompetenzwerte an. Diese sog. Kompe-
tenzskalen werden häufig normiert, d. h. es gibt einen über
15.5.1 Vergleiche von Gruppen alle beteiligten Gruppen berechneten Durchschnittswert,
der die Referenz für die einzelnen Teilgruppen bildet. In
Wie bereits ausgeführt, steht in Vergleichsstudien meist PISA beispielsweise liegt dieser normierte Mittelwert bei
eine normorientierte Perspektive im Vordergrund. In 500  Punkten und entspricht dem OECD-Durchschnitt.
diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass sich Ver- Bei PISA 2006 wurde der OECD-Mittelwert zur exakten
gleichsstudien in erster Linie zum Vergleich der Ergebnisse Betrachtung über die Zeit am OECD-Mittel von PISA 2000
von Gruppen eignen und nur bedingt Aufschluss über die normiert. Die Lesekompetenz hat sich in den 6  Jahren
Leistung oder die Bildungsergebnisse einzelner Individuen seit PISA 2000 im Mittel der OECD-Staaten verringert.
(z. B. einzelner Schüler) geben (zur Individualdiagnostik Deshalb liegt der OECD-Mittelwert in . Tab. 15.4 bei
▶ Kap. 13). Zur Illustration zeigt . Abb. 15.5 die Ergebnisse 492 Punkten. Der normierte Mittelwert bildet die Referenz
aus PISA 2006 zur Lesekompetenz. für die Ergebnisse aller anderen Teilgruppen (z. B. einzel-
Die Festlegung einer gemeinsamen Skala für die Test- ner Staaten), die mit dem OECD-Mittelwert verglichen
ergebnisse erleichtert den Vergleich von Mittelwerten zwi- und beurteilt werden.
schen den Gruppen. Dabei bietet sich das arithmetische Neben dem arithmetischen Mittel sind weitere Kenn-
Mittel für Vergleiche der im Durchschnitt von einer Teil- werte der Verteilung der Leistungen für die Interpretation
358 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

1 .. Tab. 15.4  Kompetenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz in PISA

Kompetenzstufe Aufgaben auf der jeweiligen Kompetenzstufe erfordern vom Leser/von der Leserin …
2 V > 625 Punkte … komplexe, unvertraute und lange Texte für verschiedene Zwecke flexibel nutzen zu können. Die Schü-
ler sind in der Lage, solche Texte vollständig und detailliert zu verstehen. Dieses Verständnis schließt auch
3 Elemente ein, die außerhalb des Hauptteils des Textes liegen und die in starkem Widerspruch zu den eigenen
Erwartungen stehen. Die Bedeutung feiner sprachlicher Nuancen wird angemessen interpretiert. Sie sind in
der Lage, das Gelesene in ihr Vorwissen aus verschiedenen Bereichen einzubetten und den Text auf dieser
4 Grundlage kritisch zu bewerten.

IV 553–625 Punkte … mit Texten umzugehen, die ihnen im Hinblick auf Inhalt und Form relativ unvertraut sind. Die Schüler sind

5 in der Lage, eingebettete Informationen zu nutzen und sie den Anforderungen der Aufgabe entsprechend
zu organisieren. Potenzielle Hürden wie Mehrdeutigkeiten, Sprachnuancen oder den eigenen Erwartungen
widersprechende Elemente können sie weitgehend bewältigen. Sie sind in der Lage, ein genaues Verständnis
6 komplexer, relativ langer Texte zu erreichen und diese unter Rückgriff auf externes Wissen zu beurteilen.

III 481–552 Punkte … verschiedene Teile des Textes zu integrieren, auch wenn die einzubeziehende Information wenig offen-
sichtlich ist, mehrere Kriterien zu erfüllen hat und ihre Bedeutung teilweise indirekt erschlossen werden muss.
7 Die Schüler können mit relativ auffälligen konkurrierenden Informationen umgehen. Sie sind in der Lage, ein
genaues Verständnis von Texten mittleren Komplexitätsgrades zu entwickeln und spezifisches Wissen gezielt

8 zu nutzen, um das Gelesene auf dieser Grundlage zu beurteilen.

II 408–480 Punkte … einfache Verknüpfungen zwischen verschiedenen Teilen eines Textes herzustellen und mit einer begrenz-
ten Anzahl von konkurrierenden Informationen umzugehen. Die Schüler verfügen auch über die Fähigkeit,
9 die Bedeutung einzelner Elemente durch einfache Schlussfolgerungen zu erschließen. Auf dieser Grundlage
kann der Hauptgedanke eines im Hinblick auf Inhalt und Form relativ vertrauten Textes identifiziert und ein
grobes Verständnis des Textes entwickelt werden. Die gelesenen Informationen können mit Alltagswissen in
10 Beziehung gesetzt und unter Bezugnahme auf persönliche Erfahrungen und Einstellungen beurteilt werden.

I 335–407 Punkte … mit einfachen Texten umzugehen, die in Inhalt und Form vertraut sind. Die zur Bewältigung der Leseauf-
11 gabe notwendige Information im Text muss deutlich erkennbar sein, und der Text darf nur wenige konkurrie-
rende Elemente enthalten, die von der relevanten Information ablenken könnten. Es können nur offensicht-
liche Verbindungen zwischen dem Gelesenen und allgemein bekanntem Alltagswissen hergestellt werden.
12 Kompetenzstufe I bezeichnet mithin lediglich elementare Lesefähigkeiten.

13 von Bedeutung. Ein typischer Kennwert für die Streuung rer Mittelwerte in einer Tabelle angeordnet werden. Diese
ist die Standardabweichung. Um die Vergleiche zwischen Rangfolgen alleine bilden die Mittelwertunterschiede ab.
14 Gruppen auch in dieser Hinsicht zu erleichtern, normiert Anhand der Standardfehler für die Populationsschätzung
man Kompetenzskalen für Mittelwert und Standardabwei- kann man jedoch erkennen, dass die Unterschiede in den
15 chung. Für das Beispiel PISA bedeutet dies: Die Standard- Stichprobenmittelwerten nicht immer substanzielle Unter-
abweichung aller Messwerte über die OECD-Staaten wird schiede (zwischen den Populationen) abbilden. Deshalb
bei der Normierung der Skalen auf 100 Punkte festgelegt. werden geeignete statistische Verfahren zum Mittelwert-
16 Tabellen mit Mittelwertvergleichen enthalten außer- vergleich angewendet. In unserem Beispiel, den interna-
dem Angaben über den sog. Standardfehler der Schätzung tionalen Vergleichstabellen in PISA, werden entsprechend
17 des Populationskennwertes. Mithilfe von Zufallsstichpro- drei Blöcke gebildet (OECD-Durchschnitt, oberhalb und
ben wird versucht, Aussagen über Merkmalsverteilungen unterhalb des OECD-Durchschnittes). Innerhalb dieser
in einer Population (Grundgesamtheit) zu treffen (▶ Ab- Blöcke sind Unterschiede zwischen den Staaten statistisch
18 schn. 15.4.3). Allerdings sind diese Schätzungen auf der nicht mehr zuverlässig abzusichern. Folgt man dieser Be-
Basis von Stichproben immer fehlerbehaftet. Die Größe trachtung, dann verbietet es sich, die Tabellenplätze ent-
19 des Fehlers wiederum lässt sich anhand der (gemessenen) sprechend einer einfachen Rangfolge „durchzunumme-
Streuung in der Stichprobe im Verhältnis zur Stichpro- rieren“.
20 bengröße schätzen. Die angegebenen Standardfehler kann
man auch nutzen, um anhand der geschätzten Populations-
werte zu prüfen, ob sich die Mittelwerte von zwei Gruppen 15.5.2 Kompetenzstufen
21 überzufällig (mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 %)
unterscheiden. In den aktuellen Vergleichsstudien werden Kompetenz-
22 Eine Rangfolge der untersuchten Teilgruppen wird stufen („proficiency levels“) differenziert und anhand von
erzeugt, indem die teilnehmenden Gruppen anhand ih- Aufgabenanforderungen inhaltlich beschrieben (▶ Exkurs
15.5  •  Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen)
359 15
.. Abb. 15.6  Anteile der Schüler in Prozent
unter oder auf Kompetenzstufe I bzw. auf
Kompetenzstufe V der Leseskala. (Nach
Drechsel, B. & Artelt, C. (2007). Lesekompe-
tenz. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert, W.
Blum, M. Hammann, E. Klieme & R. Pekrun
(Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten
internationalen Vergleichsstudie (S. 233).
Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Ver-
wendung mit freundlicher Genehmigung)

Exkurs  |       |  von allen Schülern erreicht werden, da den Schülern un-
terhalb dieser Kompetenzstufe ungünstige Perspektiven für
Was sind Kompetenzstufen?
die weitere Bildungskarriere und die gesellschaftliche Teil-
Verfahren zur Festlegung von Kompetenzstufen waren
habe zugesprochen werden. Die Aufgaben im unteren Be-
erstmals in der TIMS-Studie angewendet und berichtet
worden. Dieser methodische Zugang wurde bei PISA weiter reich einer Kompetenzskala sind in einfache und bekannte
verfeinert (OECD, 2002) und scheint inzwischen Routine zu Kontexte eingebunden und verlangen im Wesentlichen nur
sein. Beispielsweise ist die Festlegung von Kompetenzstufen eine direkte Anwendung bestimmter Wissenselemente und
derzeit auch das Verfahren der Wahl bei der Umsetzung der ein Verständnis einfacher, allgemein bekannter Konzepte.
Bildungsstandards. Hier wird eine Kompetenzstufe als Krite-
Die Aufgaben im oberen Bereich der Kompetenzskala
rium für das Erreichen eines Standards (z. B. Minimal- oder
Regelstandard) gesetzt. Es wird inhaltlich begründet, warum verlangen hingegen die Interpretation komplexer und un-
diese Kompetenzstufe die Minimalanforderung in einem bekannter Inhalte sowie die Übertragung von Konzepten
Bereich darstellt. und die Anwendung domänenspezifischer Prozesse auf
unbekannte Situationen und Fragestellungen.
. Tab. 15.4 präsentiert exemplarisch die Kompe-
„Was sind Kompetenzstufen?“). Kompetenzstufen dienen in tenzstufenbeschreibungen für die Lesekompetenz aus
erster Linie der anschaulichen Charakterisierung dessen, PISA 2000 (Artelt, Schneider & Schiefele, 2002).
wozu ein Schüler oder eine Schülerin mit einem bestimm- Analysiert man die Verteilung der Schüler auf den
ten Skalenwert in der entsprechenden Domäne in der Lage Stufen der Lesekompetenz, kann man einerseits Spitzen-
ist. Kompetenzstufen sind eine wichtige Grundlage dafür, gruppen und andererseits Schüler mit grundlegenden
eine kriteriale Vergleichsperspektive einnehmen zu kön- Leseschwierigkeiten identifizieren. . Abb. 15.6 zeigt ex-
nen. In den Rahmenkonzeptionen wird hierzu meist eine emplarisch die Anteile der Schüler in Prozent, deren Lese-
bestimmte Kompetenzstufe als Standard oder Mindestni- kompetenz unter oder auf Stufe I und auf Stufe V liegt, im
veau festgelegt (Mindestkriterium). Dieser Standard sollte internationalen Vergleich.
360 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

Im Durchschnitt der OECD-Staaten gehören 20,1 % der naturwissenschaftliche Kompetenz dar. In allen Staaten
1 Schüler zu der Gruppe, deren Lesekompetenz unter und besteht ein Zusammenhang zwischen der sozialen Her-
auf Kompetenzstufe I liegt. Die Kompetenzstufe V errei- kunft von Schülern und ihrer Kompetenz, jedoch variiert
2 chen 8,6 % der 15-Jährigen. Ein ähnliches Bild zeigt sich für die Höhe des Zusammenhangs. Bei einem Vergleich der
Deutschland: Die Lesekompetenz von 20 % der Schüler liegt Steigungen der sozialen Gradienten muss beachtet werden,
auf und unter Stufe I, die Kompetenzstufe V hingegen errei- dass das Niveau des sozioökonomischen Index in den Staa-
3 chen 9,9 %. Die durchschnittlichen Werte der Jugendlichen ten unterschiedlich sein kann (Ehmke & Baumert, 2007).
in allen OECD-Staaten setzen sich aus sehr unterschiedli- Ebenfalls findet man zwischen den Staaten beträchtliche
4 chen Mischungen von besonders leistungsstarken oder leis- Unterschiede in der naturwissenschaftlichen Kompetenz
tungsschwachen 15-Jährigen zusammen: In einigen Staa- (Prenzel et al., 2007c).
5 ten, wie beispielsweise Finnland oder Korea, stehen sehr Betrachtet man die Unterschiede in den Steigungen, so
kleine Gruppen auf Stufe I und darunter (4,8 bzw. 5,8 %) lassen sich die Staaten hinsichtlich der Ausprägung des so-
relativ großen Anteilen von Schülern gegenüber, die Stufe V zialen Gradienten in drei Gruppen einteilen (je nachdem,
6 erreichen (16,7 bzw. sogar 21,7 %). Andere Konstellationen ob die Steigung der Gradienten vom Durchschnitt der
finden sich z. B. in der Tschechischen Republik oder in OECD-Staaten abweicht oder nicht). Demnach bildet die
7 Frankreich, in denen vergleichsweise große Gruppen auf Tschechische Republik zusammen mit Luxemburg, Frank-
Stufe I und darunter (24,8 bzw. 21,7 %) mit nennenswerten reich, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und
Anteilen an 15-Jährigen auf Kompetenzstufe V einhergehen Belgien eine Gruppe von Staaten, in denen der Zusam-
8 (9,2 bzw. 7,3 %). In Island steht einem im OECD-Vergleich menhang vergleichsweise am stärksten ausgeprägt ist und
durchschnittlichen Anteil von 20,5 % auf Kompetenzstufe I signifikant über dem OECD-Durchschnitt liegt. Deutsch-
9 und darunter ein eher unterdurchschnittlicher Anteil von land befindet sich mit einer Steigung von 36 Punkten in der
6,0 % auf Kompetenzstufe V gegenüber. Gruppe von Staaten, für die der soziale Gradient mit seiner
10 Steigung im OECD-Durchschnittsbereich lokalisiert ist.
Zu dieser Gruppe gehören u. a. auch einige der deutschen
15.5.3 Disparitäten Nachbarländer (die Schweiz, Österreich, Dänemark, Polen).
11 Zu den Staaten, in denen die Steigung des sozialen Gradien-
Zu den wichtigsten Bildungszielen gehört der Anspruch, ten niedriger ausgeprägt ist als im OECD-Durchschnitt, ge-
12 gerechte Chancen für alle Mitglieder einer Gesellschaft her- hören Kanada, Mexiko, Island, Finnland, Korea und Japan.
zustellen. Chancen zur Teilhabe an Bildungsangeboten und Die letzten Spalten der Tabelle in . Abb. 15.7 stellen
auf Bildungserfolg sollten nicht von Merkmalen der sozia- dar, welcher Varianzanteil im Kompetenzniveau durch
13 len Herkunft oder des ethnisch-kulturellen Hintergrundes den sozioökonomischen Status aufgeklärt wird. Wird ein
abhängen. Gegenstand der Betrachtung sind dabei meistens großer Anteil der Gesamtvarianz durch den sozioökono-
14 allgemeine Merkmale der sozialen Herkunft und die Dis- mischen Status aufgeklärt, so kann das Kompetenzniveau
paritäten, die mit einem Migrationshintergrund verbunden sehr genau vorhergesagt werden. Das Maß der Varianzauf-
15 sind. Wie unterscheiden sich die Sozialschichtverteilungen klärung zeigt, dass in einigen Staaten bei vergleichbaren
der 15-Jährigen zwischen den Teilnehmerstaaten einer Steigungen des sozialen Gradienten die Vorhersage der
Vergleichsstudie? Erreichen Jugendliche aus Familien mit Kopplung stärker ist als in anderen. Das durchschnittliche
16 einem höheren sozioökonomischen Status höhere Kom- Kompetenzniveau geht nicht systematisch mit der Varianz-
petenzen in den getesteten Bereichen als Schüler, die aus aufklärung einher. Es gibt keine Hinweise darauf, dass ein
17 weniger privilegierten Verhältnissen stammen? Sind diese hohes Kompetenzniveau nur durch starke soziale Unter-
Unterschiede zwischen den Sozialschichten in allen Teil- schiede erreicht werden kann. Eher deutet sich das Gegen-
nehmerstaaten gleich hoch ausgeprägt? Solchen Fragen zu teil an: Gerade in Staaten, in denen der sozioökonomische
18 Disparitäten wird in Vergleichsstudien nachgegangen. Status einen unterdurchschnittlichen Vorhersagewert für
Wie wird der Zusammenhang zwischen der sozialen die Kompetenz hat (wie etwa in Finnland, Japan und Ka-
19 Herkunft und der Kompetenz analysiert und beschrieben? nada), erreichen Jugendliche ein hohes Kompetenzniveau.
Es gibt zwei Maße, die diesen Zusammenhang quantifizie- Weitere Möglichkeiten, die Kopplung von sozialer Her-
20 ren (vgl. auch Ehmke & Baumert, 2007), beiden liegt ein kunft und Kompetenzerwerb darzustellen, beziehen sich

21 --
regressionsanalytischer Ansatz zugrunde:
den sozialen Gradienten und
das Maß der aufgeklärten Varianz.
auf andere Indikatoren der sozialen Herkunft, beispiels-
weise die EGP-Klassen (Erikson, Goldthorpe & Portoca-
rero, 1979). Die im Zusammenhang mit PISA und PIRLS
bekannt gewordene Berechnung relativer Chancen (Odds
22 . Abb. 15.7 stellt die Steigungen der sozialen Gradienten Ratios) ist beispielsweise bei Arnold, Bos, Richert & Stubbe
für die OECD-Staaten bei PISA  2006 in Bezug auf die (2007) oder Ehmke & Baumert (2007) nachzulesen.
15.5  •  Auswertungsverfahren und Ergebnisse (mit Beispielen)
361 15

.. Abb. 15.7  Soziale Gradienten der naturwissenschaftlichen Kompetenz im internationalen Vergleich. (Nach Ehmke, T. & Baumert, J. (2007).
Soziale Herkunft und Kompetenzerwerb: Vergleiche zwischen PISA 2000, 2003 und 2006. In M. Prenzel, C. Artelt, J. Baumert, W. Blum, M.
Hammann, E. Klieme & R. Pekrun (Hrsg.), PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichsstudie (S. 318). Münster: Waxmann.
© Waxmann Verlag. Verwendung mit freundlicher Genehmigung)

15.5.4 Analysen von Zusammenhängen sale Interpretationen überstrapaziert werden, finden sich
und deren Grenzen in der Literatur immer wieder, beispielsweise im themati-
schen Bericht der OECD zur Vertrautheit mit Informati-
Ein umfassendes Modell, das alle Bedingungen des Kom- onstechnologien zu PISA 2003 (OECD, 2005; vgl. hierzu
petenzerwerbs in und außerhalb der Schule berücksich- auch Wittwer & Senkbeil, 2008).
tigt, kann in einer Vergleichsstudie nie abgedeckt werden. Einer der ersten Ansätze, mit den Restriktionen ei-
Wenn dann auch noch mit Querschnittdesigns gearbeitet nes querschnittlichen Designs umzugehen, wurde in der
wird, können Vermutungen über beeinflussende Faktoren PISA-I-plus-Studie bei PISA 2003 realisiert (Prenzel et al.,
nicht empirisch fundiert zurückgewiesen oder bekräftigt 2006a). Hier wurde der internationale Untersuchungs-
werden. Beispiele, in denen solche Ergebnisse durch kau- ansatz (querschnittlich) durch ein längsschnittliches Er-
362 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

festgestellt werden. 58 % der Zehntklässler erreichen einen


1 höheren Wert beim zweiten Messzeitpunkt. Allerdings wei-
sen auch 8 % der Schüler eine negative Entwicklung auf,
2 d. h. sie verschlechtern sich im Verlauf eines Schuljahres.
Für die verbleibenden 34 % können keine Veränderungen
im Niveau der lebensbezogenen Kompetenz in Mathema-
3 tik festgestellt werden.
Dieses Ergebnis wird zum Bezugspunkt für die zweite
4 Fragerichtung, die über die Beschreibung von Entwicklun-
gen (generell und bei Teilgruppen) hinausgeht: Lässt sich
5 die Kompetenzentwicklung innerhalb eines Schuljahres
unter Kontrolle verschiedener Bedingungen vorhersagen?
Sie nutzt die Information aus den beiden Messzeitpunkten,
6 um Bedingungsfaktoren für die Kompetenzentwicklung
zur 10. Jahrgangsstufe zu analysieren. Die Grundstruktur
7 von PISA legt es nahe, sich bei diesen Analysen auf einige
Bedingungsbereiche zu konzentrieren, nämlich auf das
Elternhaus (Ehmke, Hohensee, Siegle & Prenzel, 2006),
8 den Mathematikunterricht (Kunter et al., 2006) und die
Schule (Senkbeil, 2006) sowie auf einige Merkmale auf der
9 Individualebene (vgl. auch Prenzel, Carstensen, Schöps &
.. Abb. 15.8  Streudiagramm der mathematischen Kompetenz zum Maurischat, 2006b).
10 Ende des 9. Schuljahres 2003 und zum Ende des 10. Schuljahres 2004
auf Individualebene; MBG Schulen mit mehreren Bildungsgängen;
Einen weiteren Ansatz des Umgangs mit der Restriktion
des querschnittlichen Designs bildet die Ziehung zusätz-
RS Realschulen; IG Integrierte Gesamtschulen; GY Gymnasien. (Aus
licher Stichproben. Die Ebene der Schulklasse hat sich in
11 Ehmke, T., Blum, W., Neubrand, M., Jordan, A. & Ulfig, F. (2006). Wie
verändert sich die mathematische Kompetenz von der neunten zur der Unterrichtsforschung beispielsweise als eine zentrale
zehnten Klassenstufe? In M. Prenzel, J. Baumert, W. Blum et al. (Hrsg.), Analyseeinheit erwiesen, die in den Blick genommen wer-
12 PISA 2003. Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines
Schuljahres (S. 74). Münster: Waxmann. © Waxmann Verlag. Verwen-
den muss, um Unterrichtsaspekte genauer betrachten zu
können (z. B. Seidel, Prenzel, Wittwer & Schwindt, 2007).
dung mit freundlicher Genehmigung)
Auf der Grundlage von Befunden aus Vergleichsstudien, die
13 meist einzelne Schüler einer Schule und damit keine kom-
hebungsdesign erweitert. Auf diese Weise konnten zwei pletten Klassen untersuchen, ist es daher nicht möglich,
14 übergeordnete Fragestellungen verfolgt werden: sich einen umfassenden Überblick über das Unterrichtsge-
1. die Untersuchung von Veränderungen und Entwick- schehen zu verschaffen oder gar Verbesserungsvorschläge
15 lungen im Verlauf eines Schuljahres und abzuleiten. In einer nationalen Erweiterung der Stichprobe
2. die Identifizierung von Bedingungsfaktoren im Eltern- wurde in Deutschland seit PISA 2000 neben der Stichprobe
haus, im Unterricht und in der Schule, die Einfluss auf der 15-Jährigen auch immer eine Stichprobe von Neunt-
16 die Kompetenzentwicklung der Schüler haben. klässlern untersucht. Seit PISA 2003 sind dies komplette
9. Klassen, deren Ergebnisse auch mit Aussagen der jewei-
17 Die erste Fragerichtung nutzt die Erhebungen zu zwei ligen Lehrperson in Verbindung gebracht werden können.
Messzeitpunkten, um die Entwicklung der mathemati- Dies schafft die Voraussetzung dafür, Fragestellungen zum
schen und der naturwissenschaftlichen Kompetenz im Unterrichtsgeschehen auch im Large-Scale-Format zu the-
18 Verlauf eines Schuljahres zu beschreiben. matisieren. Allerdings sind auch hier die Möglichkeiten
. Abb. 15.8 veranschaulicht die Verteilung der ma- eingeschränkt, da die querschnittliche Anlage der Unter-
19 thematischen Kompetenz in der 9. und 10. Klassenstufe: suchung keine Aussage über die Wirkungen bestimmter
Ein Punkt entspricht dem Testwert eines Schülers. Die Unterrichtsmodelle erlaubt (Baumert et al., 2004).
20 Punktewolke repräsentiert also die gesamte in PISA-I-plus Beide Beispiele verdeutlichen, dass internationale Ver-
getestete Stichprobe von etwa 6.000 Schülern. Die Abbil- gleichsstudien – so umfangreich sie auch gestaltet sind –
dung präsentiert eines der Hauptergebnisse der Studie: Die spezifische Designs verfolgen und damit in der Aussagefä-
21 Punktewolke der Messwerte liegt größtenteils oberhalb der higkeit an diese Designs gebunden sind. Am Beispiel von
eingezeichneten Diagonalen. Für die Mehrheit der Schü- PISA haben wir aber gezeigt, wie zumindest in Deutsch-
22 ler kann daher ein deutlicher Kompetenzzuwachs in der land sinnvolle Erweiterungen vorgenommen werden, um
mathematischen Kompetenz innerhalb eines Schuljahres die methodischen Grundlagen für weiterführende Frage-
15.6 • Erweiterungen von Vergleichsstudien
363 15

stellungen und belastbare Ergebnisse zu legen. Diese Zu- onen der Studienergebnisse. Die „Wie-PISA-zeigt-Argu-
satzuntersuchungen sind für die empirische Bildungsfor- mente“ sind schon beinahe sprichwörtlich geworden, sie
schung von erheblicher Bedeutung. verhelfen beliebigen Aussagen mit dem Verweis auf PISA
zu Glaubwürdigkeit. PISA-Befunde werden häufig selektiv
benutzt, vereinfacht und vorschnell kausal interpretiert.
15.5.5 Trends Verdeutlichen lässt sich dies an der Diskussion um die
„richtige“ Schulstruktur in Deutschland. Aus den her-
Teilnehmende Staaten sind interessiert an der Verände- vorragenden Ergebnissen für Finnland ist immer wieder
rung von Kompetenzen und anderen Merkmalen über die der Schluss gezogen worden, dass man Ergebnisse eines
Zeit, nicht zuletzt als Erfolgskontrolle für gezielt ergriffene Staates verbessern kann, indem man sich dem finnischen
Maßnahmen in bestimmten Bereichen. Untersuchungen Beispiel anschließt. In Finnland, wie in einigen anderen
solcher Veränderungen über die Zeit werden als Trends Staaten, die bei PISA sehr gut abschneiden, wird in einem
bezeichnet. Studien wie PIRLS, TIMSS oder PISA tragen Gesamtschulsystem unterrichtet. Kritiker des geglieder-
diesen Bedürfnissen Rechnung, indem sie, in regelmäßi- ten Schulsystems nehmen dies zum Anlass, eine Reform
gen Erhebungsrunden durchgeführt, Aussagen zu Trends der Schulstruktur in Deutschland zu fordern. Es ist aller-
machen. Dabei gilt es, die substanziellen Unterschiede dings sehr leicht, für ein bestimmtes Ergebnis in einem
zwischen zwei oder mehreren Erhebungsrunden heraus- Staat das Gegenbeispiel eines anderen Staates zu finden:
zuarbeiten, wobei verschiedene Fehlerquellen, wie z. B. Es gibt auch Staaten mit hochdifferenzierten Schulsyste-
Stichprobenfehler, Unterschiede zwischen den Erhebungs- men, die bei PISA sehr gut abschneiden, beispielsweise die
runden bezüglich der Ausschöpfung der Stichproben oder Niederlande oder Belgien. Andererseits finden wir in PISA
der Testadministration oder fehlende Daten durch das auch Gesamtschulsysteme, in denen die Kompetenzen der
Multi-Matrix-Design berücksichtigt werden müssen. Das 15-Jährigen tendenziell unter dem OECD-Durchschnitt
Ausloten der Möglichkeiten und Grenzen von Trendana- liegen, beispielsweise Norwegen, die USA oder Italien.
lysen in internationalen Vergleichsstudien mit komplexen Wie die vorangegangenen Abschnitte zeigen, sind Ver-
Testdesigns stellt derzeit eine große Herausforderung der gleichsstudien komplexe Studien, sodass auch die sachkun-
Methodenforschung dar. Insbesondere eine international dige Interpretation der Ergebnisse alles andere als trivial
vergleichende Interpretation scheint problematisch zu sein ist. Gerade weil Vergleichsstudien keine Rezepte oder
(vgl. Carstensen, Prenzel & Baumert, 2008). Ein Ausweg Anleitungen geben, die erfolgreiche Entwicklungen im
zur konsistenten Beschreibung von Veränderungen über Schulsystem garantieren, muss den Entscheidungsträgern
die Zeit scheint in der Vereinfachung der Testdesigns zu im Bildungssystem die eingeschränkte Reichweite und
liegen: Werden in den Studien mehr gemeinsame Test- Aussagekraft solcher Studien bewusst sein.
aufgaben verwendet, stabilisiert dies die Verknüpfbarkeit
zwischen den Erhebungsrunden.
15.6 Erweiterungen
von Vergleichsstudien
15.5.6 Vergleichsstudien als politische
Instrumente? Vergleichsstudien machen Probleme sichtbar, die gesell-
schaftlich relevant sind und deshalb hohe Aufmerksam-
Die Bildungsdiskussion in Deutschland wurde durch keit erfahren. Dabei wird leicht übersehen, dass wissen-
TIMSS, PIRLS und PISA maßgeblich bestimmt und hat schaftliche Konsortien mit den Studien betraut sind, die
viele Anstöße gegeben und Entwicklungsmöglichkeiten dafür Sorge tragen, dass die Erkenntnisse in die Diszip-
aufgezeigt. Eine umfassende öffentliche Bildungsdiskus- linen zurückwirken und hier neu aufgeworfenen Fragen
sion ist für die Weiterentwicklung von Bildungssystemen nachgegangen wird. Mit Blick auf das Zusammenspiel
von großem Wert. Sie regt das Nachdenken darüber an, von Vergleichsstudien und anderen Untersuchungen der
welche Ziele von Schule und Unterricht im Vordergrund Bildungsforschung lassen sich zwei Arten von Studien
stehen sollen und inwieweit diese Ziele erreicht werden. unterscheiden: Ergänzungsstudien und Forschungen mit
Diese Überlegungen verhelfen den an Schule und Unter- explikativem und technologischem Fokus.
richt Beteiligten dazu, sich ihrer Ziele zu vergewissern und
sich selbst in Frage zu stellen. Das öffentliche Interesse und
das Bewusstsein für die Bedeutung eines hochentwickelten 15.6.1 Ergänzungen
und international konkurrenzfähigen Bildungssystems ei-
nes Staates sind unabdingbar. Jedoch kam es in den letzten Ergänzungen und Erweiterungen von Vergleichsstudien
Jahren auch zu zahlreichen Fehl- oder Überinterpretati- betreffen in der Regel den Umfang und die Zusammen-
364 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

setzung der Stichprobe, die Erhebungsinstrumente sowie Interventionsprogrammen umgesetzt werden kann (für
1 die Erhebungszeitpunkte. Sie eröffnen die Möglichkeit, die einen Überblick vgl. Prenzel & Allolio-Näcke, 2006).
Aussagekraft der Studien zu validieren, zusätzliche Varia- Da die Grenzen des Querschnittsdesigns von interna-
2 blen zu überprüfen oder Fragestellungen von besonderem tionalen und nationalen Leistungsvergleichen schnell er-
oder aktuellem Interesse zu bearbeiten. kannt waren, wurden Möglichkeiten diskutiert, zusätzliche
In Deutschland wurden beispielsweise in PIRLS und Erhebungsprogramme zu starten, die Längsschnittinforma-
3 PISA die Stichproben so erweitert, dass die Daten für je- tionen, möglichst über weite Bereiche der Lebensspanne,
des der 16 Bundesländer aussagekräftige Befunde lieferten. liefern. In vielen Staaten wurden und werden solche Stu-
4 Darüber hinaus wurde in PISA 2003 die Stichprobe um dien (Panels) mit großem Erkenntnisgewinn durchgeführt
Jugendliche mit Migrationshintergrund ergänzt, um von (Kristen, Römmer, Müller & Kalter, 2005). Vor diesem
5 dieser Teilgruppe der Schüler in Deutschland ein genaue- Hintergrund wurde schließlich in Deutschland ein sorg-
res Bild zu bekommen. fältig vorbereitetes und umfassend angelegtes nationales
Veränderungen bzw. Erweiterungen der Erhebungs- Bildungspanel (National Educational Panel Study, NEPS)
6 instrumente zielen darauf ab, aktuelle Entwicklungen und eingerichtet (Blossfeld, Roßbach & von Maurice, 2011). Die-
Fragestellungen berücksichtigen zu können. In PISA 2006 ses Panel verfolgt die Entwicklung von sechs Alterskohorten
7 etwa wurden die Schulleitungen um Auskunft zu Ganz- durch wiederkehrende Tests zu Fähigkeiten in den Berei-
tagsangeboten an ihren Schulen gebeten. chen Lesen/Schreiben, Mathematik, Naturwissenschaften
und Informationstechnologien. Diese Tests wurden, einer
8 übergreifenden theoretischen Konzeption folgend, für die
15.6.2 Systematische Vernetzung verschiedenen Altersstufen entwickelt (Weinert et al., 2011).
9 von Vergleichsstudien Natürlich gehen Impulse für die empirische Bildungs-
mit pädagogisch-psychologischer forschung nicht nur von Vergleichsstudien aus. Auch
Forschung
10 müssen Vergleichsstudien ihrerseits immer auf dem neu-
esten Stand der Forschung sein und Innovationen auf dem
TIMSS und PISA haben eine Reihe von Fragen aufgewor- Gebiet der inhaltlichen Beschreibung der Testdomänen,
11 fen, die in der pädagogisch-psychologischen und in der der Aufgabenentwicklung, der Testdurchführung und der
fachdidaktischen Forschung aufgegriffen und bearbeitet Auswertungsmethoden darstellen. Das computerbasierte
12 werden. Exemplarisch für systematische Erweiterungen sei Testen ist ein Beispiel für einen innovativen Aspekt von
auf das DFG-Schwerpunktprogramm BIQUA hingewiesen, Large-Scale-Studien. Computerbasiertes Testen ist einer-
das als direkte Antwort auf PISA und TIMSS organisiert seits aussichtsreich, weil es verspricht, Vergleichsstudien
13 wurde und in vielfältiger Weise zeigt, wie die Befunde aus auf ökonomischere Weise als bisher durchzuführen, neue
Vergleichsstudien aufgegriffen und im Rahmen entspre- und anregende Aufgabenformate zu ermöglichen und
14 chender Small-Scale-Designs weiterentwickelt werden die Auswertungsprozeduren erheblich zu vereinfachen
(Prenzel, 2007; Prenzel & Allolio-Näcke, 2006). BIQUA (z. B. Wirth, 2008). Die Anwendung und Durchführung
15 beschreibt Bildungsqualität aus verschiedenen Perspekti- computerbasierter Assessments hat zum Teil immer noch
ven: Neben fachbezogenen kognitiven Kompetenzen wer- Grenzen, die zum Beispiel in der Computerausstattung der
den motivationale Orientierungen, Werthaltungen und Schulen begründet sind. Interessanter und herausfordern-
16 fächerübergreifende Kompetenzen der Schüler berück- der sind jedoch Effekte der unterschiedlichen Test- und
sichtigt. Die Einzelprojekte untersuchten die Wirkungen Aufgabenformate, die letztlich zu der Frage führen, ob
17 schulischer Lernumgebungen auf die Entwicklung ent- computerbasierte Tests das Gleiche messen wie Papier-
sprechender Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen. und-Bleistift-Tests, selbst dann, wenn identische Aufgaben
Darüber hinaus wurden Bedingungsfaktoren in den Blick verwendet werden. Wenn die Möglichkeiten computerba-
18 genommen, beispielsweise das Elternhaus, die Gruppen sierter Assessments ausgeschöpft werden (z. B. Animati-
der Gleichaltrigen und die Medien. Darauf aufbauend un- onen, Simulationen, andere Antwortformate, interaktive
19 tersuchten Studien aus BIQUA, wie durch gezielte Maß- Aufgaben), liegt die Frage auf der Hand, ob dann noch
nahmen die Qualität von Bildungsprozessen und -ergeb- das gleiche Konstrukt erfasst wird wie in herkömmlichen,
20 nissen verbessert werden kann. Der Fachunterricht stand papiergestützten Tests. Für die Beschreibung und Berech-
im Mittelpunkt aller Untersuchungen, die das gesamte nung von Trends – zum Beispiel über verschiedene PISA-
Schulspektrum erfassten. Runden – bedeutet das eine große Herausforderung. Von
21 Ziel der Studien war es, generalisierbares Erklärungs- besonderer Bedeutung sind hier zum Beispiel Studien zu
und Veränderungswissen zu entwickeln, das einerseits die den sogenannten „mode-effects“, den Auswirkungen un-
22 Befunde aus Vergleichsstudien ergänzt und differenziert terschiedlicher Präsentations-, Bearbeitungs- und Aus-
und das andererseits in weiteren Untersuchungen und wertungsmodi auf die Testergebnisse. PISA 2012 greift das
15.7  •  Ausblick: Aktuelle Trends bei Vergleichsstudien
365 15

computerbasierte Testen auf. Zusätzlich zu den herkömm- Deutschland nicht beteiligt. Weitere Planungen für inter-
lichen papiergestützten Tests bearbeiten Teilgruppen der nationale Vergleichsstudien beziehen sich derzeit auch auf
Schüler computerbasierte Aufgaben in den Bereichen Le- die berufliche Bildung (Assessment of Skills and Compe-
sen, Mathematik und Problemlösen. Vor diesem Hinter- tencies (ASCOT); vgl. auch Baethge, 2010) und auf den
grund ist derzeit beabsichtigt, das gesamte Erhebungspro- Hochschulbereich (z. B. die OECD-Studie Assessment of
gramm bei PISA 2015 computerbasiert zu administrieren. Higher Education Learning Outcomes (AHELO)), letzteres
ohne deutsche Beteiligung.

15.7 Ausblick: Aktuelle Trends


bei Vergleichsstudien Fazit
In modernen Gesellschaften wird die Qualität von
Bildungssystemen mithilfe eines empirisch fundierten
Vergleichsstudien können nur dann aussagekräftig und
Bildungsmonitoring regelmäßig überprüft und auf der
glaubwürdig sein und bleiben, wenn sie auf dem höchsten
Grundlage der zusammengetragenen Daten gesteuert
technischen Niveau und sensibel für innovative Entwick-
und verbessert. Zentral ist dabei die Frage, wie gut ein
lungen sind. Dazu gehört zum einen, dass neue Inhalte und
Schul- bzw. Bildungssystem seinen Aufgaben gerecht
Verschiebungen in Bildungszielen in die Rahmenkonzepti-
wird. Schulleistungsstudien oder Vergleichsstudien
onen der Studien aufgenommen werden. Häufig betreffen
gehören als wichtiger Bestandteil zu einem systemati-
solche Verschiebungen neue Herausforderungen unserer
schen Bildungsmonitoring. Sie haben zum Ziel, in ihrer
wissens- und technologiebasierten Gesellschaft. Dies sind
Testkomponente Auskunft über den Stand der Kom-
beispielsweise die Kompetenz im Umgang mit Kommuni-
petenzen einer Personengruppe zu einem bestimmten
kationstechnologie oder das Lesen elektronischer Texte,
Zeitpunkt in der Bildungskarriere zu geben. Neben
wie es in PISA 2009 als internationale Option (nicht jedoch
diesen wichtigen Ergebnissen (Outputs) von Bildungs-
in Deutschland) untersucht wurde (Naumann et al., 2010).
prozessen werden auch Prozess- und Kontextfaktoren
Neue Testkomponenten werden zukünftig das Spekt-
berücksichtigt, die Aussagen über die Wirkungsweise
rum an Kompetenzmessungen erweitern, z. B. Fremdspra-
eines Bildungssystems erlauben (beispielsweise über
chenkompetenzen oder die Fähigkeit, Texte zu schreiben.
Chancengerechtigkeit). Diese Daten werden meist über
Ebenfalls von großer Bedeutung für die Zukunft von Ver-
Fragebögen erhoben. Die inhaltliche Ausrichtung einer
gleichsstudien sind innovative Testformate, wie das com-
Vergleichsstudie wird in ihrer Rahmenkonzeption fest-
puterbasierte Testen, das perspektivisch auch dynamische
gelegt: Unter Rückgriff auf eine bildungstheoretische
Aufgabentypen und Itemformate zulässt (Hartig & Klieme,
Auffassung und den aktuellen Forschungsstand in der
2007). Ein weiterer Aspekt ist das adaptive Testen, also das
Domäne bildet die Rahmenkonzeption die Grundlage
an die Fähigkeiten der Testperson angepasste Erfassen von
der Test- und Fragebogenkonstruktion.
Kompetenzen (z. B. Frey & Ehmke, 2007).
Abhängig von ihren Fragestellungen legen Vergleichs-
Weiterführende Befunde zu Bedingungsfaktoren
studien unterschiedliche Perspektiven an: Sie geben
des Kompetenzerwerbs oder Modelle zur Erklärung von
Auskunft über den Zustand des Bildungssystems im
Bildungsprozessen, die über typische Befunde aus Quer-
(internationalen) Vergleich mit anderen Systemen, sie
schnittstudien hinausgehen, werden im nationalen Bil-
lassen sich anhand von inhaltlichen Kriterien (z. B. Kom-
dungspanel (NEPS) mit einem Längsschnittdesign ange-
petenzstufen) verorten und geben – bei wiederholten
strebt: Bestimmte, zufällig gezogene Kohorten werden über
Erhebungsrunden – Auskunft über Veränderungen
Etappen des Bildungssystems begleitet (Blossfeld, Roßbach
über die Zeit. Um diesen Fragen nachgehen zu können
& von Maurice, 2011).
sind Vergleichsstudien spezifische Designs zugrunde
Auch Vergleichsstudien beschränken sich nicht nur
gelegt. Die Auswertung von Vergleichsstudien erfolgt
auf die Etappe des schulischen Lernens. Sie nehmen auch
mit Modellen der Item-Response-Theorie. IRT-Modelle
andere Altersgruppen und Lernorte in den Blick. Inter-
sind am besten geeignet, präzise Aussagen über die
nationale Vergleichsstudien, deren Zielgruppe Erwach-
Ergebnisse für Personengruppen (und nicht auf Indi-
sene sind, haben bereits eine gewisse Tradition, z. B. der
vidualebene) zu machen und Aufgabenschwierigkeit
International Adult Literacy Survey (IALS; OECD & Sta-
und Personenfähigkeit auf derselben Skala zu messen.
tistics Canada, 1997) oder das OECD Programme for the
Die Ergebnisse von Vergleichsstudien beschreiben die
International Assessment for Adult Competencies (PI-
Stärken und Schwächen eines Bildungssystems und
AAC). An einer weiteren OECD-Studie mit dem Namen
geben viele wertvolle Hinweise zu seiner Steuerung.
Teaching and Learning International Survey (TALIS), die
Die begrenzte Reichweite und die eingeschränkten
auf internationaler Ebene die Lernumgebungen und Ar-
beitsbedingungen von Lehrkräften untersucht, hat sich
366 Kapitel 15  •  Nationale und internationale Schulleistungsstudien

Grundschulkindern in Deutschland im internationalen Vergleich (S.


1 „Interpretationsmöglichkeiten“ von Vergleichsstudien, 271–297). Münster: Waxmann.
die jeweils spezifische Fragen verfolgen und meist Artelt, C., Schneider, W., & Schiefele, U. (2002). Ländervergleich zur Le-
sekompetenz. In J. Baumert, E. Klieme, & M. Neubrand et al. (Hrsg.),
nicht kausal interpretierbare Ergebnisse liefern, geben
2 Impulse für Forschungsarbeiten, die an den Verfahren
PISA 2000 – Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich
(S. 55–94). Opladen: Leske + Budrich.
und Ergebnissen von Vergleichsstudien ansetzen und Baethge, M. (2010). Ein europäisches Berufsbildungs‐PISA als metho-
3 Erkenntnisse und Zusammenhänge in Small-Scale- disches und politisches Projekt. In D. Münk, & A. Schelten (Hrsg.),
Studien überprüfen und vertiefen. Eine besondere Kompetenzvermittlung für die Berufsbildung (S. 19–36). Bonn: bibb.
Baumert, J., Kunter, M., Brunner, M., Krauss, S., Blum, W., & Neubrand,
4 Herausforderung für die Zukunft ist es, in der Anlage
M. (2004). Mathematikunterricht aus Sicht der PISA‐Schülerinnen
und Umsetzung von Vergleichsstudien auf Verände- und ‐Schüler und ihrer Lehrkräfte. In M. Prenzel, J. Baumert, & W.
rungen in den Bildungszielen (beispielsweise durch
5 Veränderungen im IT-Bereich; auch ▶ Kap. 6) sensibel
Blum et al. (Hrsg.), PISA 2003. Der Bildungsstand der Jugendlichen in
Deutschland – Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs (S.
und zeitnah zu reagieren. Die Entwicklungen von 314–354). Münster: Waxmann.

6 Kompetenzen und Kontextmerkmalen über die Zeit, Baumert, J., Roeder, P. M., & Gruehn, S. (1996). Bildungsverläufe und psy-
chosoziale Entwicklung im Jugendalter (BIJU). In K.-P. Treumann, G.
die sogenannten Trends, methodisch fundiert zu be- Neubauer, R. Möller, & J. Abel et al. (Hrsg.), Methoden und Anwen-
7 schreiben, ist eines der bedeutsamen Probleme in der
Forschung zu Vergleichsstudien. Computerbasiertes
dungen empirischer pädagogischer Forschung (S. 170–180). Münster:
Waxmann.
und adaptives Testen stellen bedeutsame Fortschritte Blossfeld, H.-P., Roßbach, H.-G., & von Maurice, J. (Hrsg.). (2011). Educa-
8 für die Durchführung von Vergleichsstudien dar, die tion as a Lifelong Process ‐ The German National Educational Panel
Study (NEPS). Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bd. Special Issue
notwendigen Vorarbeiten dazu sind jedoch bisher 14. Heidelberg: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
9 nicht vollständig erledigt. Blum, W., Drüke-Noe, C., Hartung, R., & Köller, O. (Hrsg.). (2006). Bildungs-
standards Mathematik: konkret – Sekundarstufe I: Aufgabenbeispiel,
Unterrichtsanregungen, Fortbildungsideen. Berlin: Cornelsen Scrip-
10 tor.
Verständnisfragen Bos, W., & Postlethwaite, T. N. (2001). Internationale Schulleistungs-
1. Erklären Sie, was für unterschiedliche Grundausrichtun- forschung – Ihre Entwicklungen und Folgen für die deutsche Bil-
11 gen von Vergleichsstudien es gibt und was dabei jeweils dungslandschaft. In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in
Schulen (S. 251–267). Weinheim: Beltz Verlag.
gemessen werden soll.
Carstensen, C. H., Frey, A., Walter, O., & Knoll, S. (2007). Technische Grund-
12 2. Beschreiben Sie verschiedene Untersuchungsdesigns, die lagen des dritten internationalen Vergleichs. In M. Prenzel, C. Artelt,
man bei Vergleichsstudien unterscheidet. J. Baumert, W. Blum, M. Hammann, E. Klieme, & R. Pekrun (Hrsg.),

13 3. Erklären Sie, welche Rolle die theoretische Rahmenkon-


zeption einer Vergleichsstudie für deren Durchführung
PISA 2006. Die Ergebnisse der dritten internationalen Vergleichsstudie
(S. 367–390). Münster: Waxmann.
Carstensen, C. H., Knoll, S., Rost, J., & Prenzel, M. (2004). Technische
spielt.
14 4. Erklären Sie, was Kompetenzstufen sind und wie sie zu
Grundlagen. In M. Prenzel, J. Baumert, & W. Blum et al. (Hrsg.), PISA
2003. Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland – Ergeb-
interpretieren sind? nisse des zweiten internationalen Vergleichs (S. 371–387). Münster:
15 5. Beschreiben Sie, unter welchen Perspektiven man die Er- Waxmann.
Carstensen, C. H., Prenzel, M. & Baumert, J. (2008). Trendanalysen in PISA:
gebnisse von Vergleichsstudien betrachten kann.
Wie haben sich die Kompetenzen in Deutschland zwischen PISA
16 Vertiefende Literatur
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369 VI

Intervenieren
Kapitel 16 Pädagogisch-psychologische Lernförderung
im Kindergarten- und Einschulungsalter  –  371
Marco Ennemoser, Kristin Krajewski

Kapitel 17 Training – 401
Stefan Fries, Elmar Souvignier

Kapitel 18 Die Förderung psychosozialer


Kompetenzen im Schulalter  –  421
Arnold Lohaus, Holger Domsch
371 16

Pädagogisch-psychologische
Lernförderung
im Kindergarten-
und Einschulungsalter
Marco Ennemoser, Kristin Krajewski

16.1 Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen  –  373


16.1.1 Die präventive Funktion vorschulischer Fördermaßnahmen  –  374
16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte beim Einsatz von pädagogisch-
psychologischen Trainingsprogrammen – 375
16.1.3 Fazit – 376

16.2 Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule  –  376


16.2.1 Möglichkeiten einer effektiven Sprachförderung  –  377
16.2.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit des dialogischen Lesens  –  378
16.2.3 Fazit – 379

16.3 Förderung des induktiven Denkens  –  379


16.3.1 Möglichkeiten einer effektiven Förderung induktiven Denkens  –  380
16.3.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von Denktrainings  –  383

16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten des


Schriftspracherwerbs – 383
16.4.1 Die Bedeutung von phonologischer Bewusstheit und Buchstaben-
Laut-Zuordnung in der schriftsprachlichen Entwicklung  –  383
16.4.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von phonologischer
Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung  –  386
16.4.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung von phonologischer
Bewusstheit und Buchstaben-Laut-Zuordnung  –  388

16.5 Förderung mathematischer Kompetenzen im


Kindergarten und im Schuleingangsbereich  –  388
16.5.1 Die Bedeutung von Zahl-Größen-Kompetenzen
in der mathematischen Entwicklung  –  389
16.5.2 Möglichkeiten einer effektiven Förderung von
Zahl-Größen-Kompetenzen – 391

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16.5.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit der Förderung
von Zahl-Größen-Kompetenzen – 394

Literatur – 395
16.1  •  Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen
373 16

Die Kinder eines Einschulungsjahrgangs bringen bereits am


ersten Schultag sehr unterschiedliche Ausgangsvorausset-
zungen mit. Diese Unterschiede haben einen nachhaltigen
Einfluss auf die weitere Schullaufbahn. Mit dem Ziel ungüns-
tigen Entwicklungsverläufen frühzeitig vorzubeugen, wird in
den letzten Jahren ein immer größeres Augenmerk auf Mög-
lichkeiten der vorschulischen Prävention gerichtet. Da das
konventionelle Bildungsangebot in dieser Hinsicht bislang
wenig erfolgreich ist, bieten sich insbesondere pädagogisch-
psychologisch fundierte Förderansätze an. Diese stützen
sich nicht nur auf solide theoretische Grundlagen, sondern
können in vielen Fällen auch empirische Wirksamkeitsnach-
weise vorlegen. Das vorliegende Kapitel befasst sich mit der
Frage, in welchen Lernbereichen die Implementation von .. Abb. 16.1  (© Jupiterimages/Getty Images)
pädagogisch-psychologisch fundierten Präventionsmaßnah-
men besonders sinnvoll ist, welche vorschulisch vorhandenen Hintergrund der oben beschriebenen, eher ernüchternden
(Vorläufer-)Kompetenzen für diesen Zweck vielversprechende Befunde gewinnt dabei zunehmend das Kriterium der Evi-
Ansatzpunkte bieten, welche konkreten Förderansätze jeweils denzbasierung an Bedeutung.
existieren und welche empirischen Befunde bislang zur Wirk-
samkeit dieser Maßnahmen vorliegen (. Abb. 16.1). Definition 
Fördermaßahmen gelten als evidenzbasiert, wenn
sie nicht nur eine solide theoretische Fundierung auf-
16.1 Notwendigkeit vorschulischer weisen, sondern darüber hinaus auch überzeugende
Fördermaßnahmen empirische Belege für ihre Wirksamkeit vorliegen. Ide-
alerweise liegen mehrere empirische Untersuchun-
Schulische Bildung gilt als wesentliche Voraussetzung für gen vor, die bestimmten methodischen Anforderun-
die individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. gen genügen (▶ Kap. 17, Fries & Souvignier), sodass
Dementsprechend zählt es zu den wichtigsten Zielen un- die Befunde eine möglichst klare Aussage darüber
seres Bildungssystems, jedem Kind einen angemessenen, erlauben, ob die jeweilige Maßnahme tatsächlich
das heißt einen aufgrund der jeweiligen individuellen wirksam ist.
Voraussetzungen erreichbaren Bildungserfolg zu ermög-
lichen. Allerdings zeigen die Befunde internationaler Ver-
gleichsstudien, dass unser Bildungssystem diesbezüglich Hintergrund der Forderung nach einer stärkeren Evi-
nicht allzu erfolgreich ist. Insbesondere gelingt es offenbar denzbasierung im Bildungswesen ist der international
nicht, herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen aus- vielfach replizierte Befund, dass viele Maßnahmen in
zugleichen, wie etwa die Herkunft aus sozial schwächeren Unterricht und Lernförderung nicht die gewünschte
Verhältnissen oder einen Migrationshintergrund. In die- Wirkung entfalten (Mayer, 2005; Hsieh et al., 2005). Un-
sem Sinne benachteiligte Kinder treten häufig bereits am ter den zahlreichen Maßnahmen, die mit präventiver In-
ersten Schultag mit ungünstigen Eingangsvoraussetzungen tention in den Kindergärten zum Einsatz kommen, wird
zum Unterricht an. Wie aus den Befunden verschiedener das Kriterium der Evidenzbasierung jedoch nur von sehr
Längsschnittstudien hervorgeht, können diese anfängli- wenigen erfüllt. Selbst in so prominenten Bereichen wie
chen Rückstände in den nachfolgenden Schuljahren nur der Sprachförderung liegen viel zu wenige aussagekräftige
noch bedingt aufgeholt werden (z. B. Klicpera & Gasteiger- Studien vor, die Gewissheit geben könnten, welche Maß-
Klicpera, 1993; Stern, 2003). nahmen tatsächlich die erhofften präventiven Förderpo-
Die Erkenntnis, dass die Ursachen für spätere Lern- tenziale entfalten (Weinert & Lockl, 2008). Erschwerend
schwierigkeiten bereits vor dem Schuleintritt zum Tragen kommt hinzu, dass viele Studien methodische Schwächen
kommen, hat das Augenmerk in den letzten Jahren zuneh- aufweisen, sodass die Befunde oft nur eingeschränkt in-
mend auf Möglichkeiten der Prävention und damit auf terpretierbar sind.
vorschulische Bildungsprozesse gelenkt. Früh einsetzende Wertvolle Beiträge zur Verbesserung dieser Situation
Fördermaßnahmen sollen drohenden Entwicklungsrück- stammen aus der pädagogisch-psychologischen Inter-
ständen vorbeugen und allen (insbesondere auch sozial ventionsforschung. Diese definiert, welche methodi-
benachteiligten) Kindern eine gute Ausgangslage für den schen Anforderungen an empirische Evaluationsstudien
Anfangsunterricht in der Schule ermöglichen. Vor dem zu stellen sind und welche Kriterien erfüllt sein müssen,
374 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

damit die Wirksamkeit der evaluierten Maßnahme be- 16.1.1 Die präventive Funktion
1 urteilet werden kann (▶ Kap. 14, Köller). Die entspre- vorschulischer Fördermaßnahmen
chenden Maßnahmen orientieren sich üblicherweise an
2 theoretischen Modellen der natürlichen Kompetenzent- Im Allgemeinen dienen vorschulische Fördermaßnahmen
wicklung. Die Programme zielen auf einen systemati- dazu, Kinder auf die Schule und das spätere Leben vorzu-
schen Kompetenzaufbau ab, sie sind klar strukturiert und bereiten. Insbesondere sollen sie Problemen in der späte-
3 beinhalten standardisierte Durchführungsrichtlinien. ren Bildungslaufbahn vorbeugen, das heißt, sie verfolgen
Hierdurch wird sichergestellt, dass die Förderpotenziale eine präventive Zielsetzung. Um die präventive Funktion
4 der Maßnahmen nicht durch willkürliche Abweichungen vorschulischer Fördermaßnahmen genauer definieren
und Ausschmückungen untergraben werden (Sicherung zu können, muss berücksichtigt werden, dass Prävention
5 der Treatment-Validität; Pressley & Harris, 1994). Idea- als Fachbegriff weiter gefasst wird als dies in der alltags-
lerweise liegen mehrere und aussagekräftige empirische sprachlichen Begriffsverwendung der Fall ist. Einer gängi-
Studien vor, die die Wirksamkeit des jeweiligen Förder- gen Einteilung zufolge können drei Stufen der Prävention
6 programms belegen. unterschieden werden.
Von anderen Fachdisziplinen im Bereich der Bildungs-
7 forschung wird der programmatische Aufbau pädago- Definition 
gisch-psychologischer Trainings gelegentlich kritisch be- Drei Stufen der Prävention Präventiondrei Stufen
wertet. Dabei wird häufig die Auffassung vertreten, dass
8 durch die standardisierte Vorgehensweise individuelle
(vgl. von Suchodoletz, 2007)
1. Maßnahmen, die allen Personen einer bestimm-
Lernwege und Entfaltungsmöglichkeiten unterdrückt ten Population (z. B. allen Kindergartenkindern)
9 würden. Als alternative Ansätze werden vielfach „ganz- zuteilwerden, dienen der primären Prävention.
heitliche“ Methoden oder „selbstentdeckendes Lernen“ Das heißt, hier wird keine Auswahl danach ge-
10 hervorgehoben, die individuellen Entwicklungsbedürf- troffen, ob ein Kind im anvisierten Bereich einen
nissen angemessen entgegen kämen. Eine differenzierte besonderen Förderbedarf hat oder nicht.
Diskussion dieser Kontroverse würde den Rahmen des 2. Maßnahmen der sekundären Prävention bezie-
11 vorliegenden Beitrags sprengen (vgl. hierzu Probst & Kuhl, hen demgegenüber nur Kinder ein, bei denen
2005). Insgesamt kann jedoch der Nutzen pädagogisch- bereits ein gewisses Risiko für die Entstehung
12 psychologischer Trainingsprogramme angesichts der entsprechender Probleme identifiziert wurde.
internationalen Befundlage nicht grundsätzlich in Frage Die betreffenden Kinder weisen zwar noch keine
gestellt werden. Zudem kann ein global konstruktivisti-
13 sches, allein auf selbstentdeckendes Lernen ausgerichtetes
substanziellen Schwierigkeiten (beispielsweise im
Sinne einer Rechenstörung) auf, es sind jedoch
Vorgehen unter präventiven Gesichtspunkten als unge- bereits ungünstige Ausgangsvoraussetzungen
14 eignet gelten, da dies gerade für Kinder mit Lern- und erkennbar (z. B. fehlendes Zahlverständnis).
Vorwissensdefiziten regelmäßig Überforderungen mit sich 3. Der Begriff der tertiären Prävention bezieht sich
15 bringt (Grünke, 2006; Heward, 2003; Krajewski & Enne- schließlich auf Maßnahmen, die erst dann einset-
moser, 2010). zen, wenn bereits massive Probleme im jeweiligen
Da vorschulische Förderprogramme üblicherweise Bereich evident sind. Dies ist beispielsweise der
16 mit präventiven Zielsetzungen verbunden sind, wird im Fall, wenn eine Lese-Rechtschreib-Schwäche oder
Folgenden zunächst beleuchtet, was unter dem Begriff eine Rechenschwäche diagnostiziert wurde oder
17 Prävention zu verstehen ist und welche präventive Funk- wenn im klinischen Sinne von einer Erkrankung
tion pädagogisch-psychologische Trainingsprogramme in oder einer Störung gesprochen werden kann.
einem institutionellen Bildungskontext erfüllen (können).
18 Anschließend soll diskutiert werden, in welchen Lernbe-
reichen eine Prävention durch entsprechende Trainings- Bei den Trainingsprogrammen für das Kindergarten- und
19 programme besonders sinnvoll scheint. Hierbei werden Einschulungsalter, die in diesem Kapitel behandelt werden,
vier Bereiche vorgeschlagen, die für die weitere Bildungs- handelt es sich naturgemäß eher um primär- und sekun-
20 laufbahn besonders wichtig sind. Jedem dieser Bereiche därpräventive Maßnahmen, da sie Schwächen beziehungs-
wird ein eigener Abschnitt gewidmet, in dem zunächst die weise Störungen im schulischen Lernen vorbeugen sollen,
Relevanz der jeweiligen Kompetenz für den Bildungserfolg die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht manifestiert sind.
21 begründet wird und anschließend geeignete Förderansätze Tertiärpräventive Maßnahmen fallen demgegenüber eher
im Detail beschrieben werden. Dabei wird auch auf die in den Bereich der Therapie (schulischer Lernstörungen)
22 jeweils vorliegende Befundlage zur Wirksamkeit der ein- und können im Rahmen vorschulischer Fördersettings
zelnen Maßnahmen eingegangen. nicht geleistet werden.
16.1  •  Notwendigkeit vorschulischer Fördermaßnahmen
375 16
16.1.2 Inhaltliche Schwerpunkte Vorschulbereich konnte jedoch bislang nicht überzeugend
beim Einsatz von pädagogisch- belegt werden, dass sich eine Förderung des Arbeitsge-
psychologischen dächtnisses auch tatsächlich in späteren Schulleistungen
Trainingsprogrammen niederschlägt (Melby-Lervåg & Hulme, 2013).
Ähnliche Einschränkungen gelten für Trainings zur
Unter den Begriff der primären Prävention könnten the- Förderung exekutiver Funktionen. Die unter diesen Be-
oretisch sämtliche Maßnahmen gefasst werden, die im griff gefassten kognitiven Regulations- und Kontrollmecha-
Kindergartenalltag durchgeführt werden, um Kinder auf nismen (z. B. Hemmung von Denk- und Handlungsimpul-
die Schule beziehungsweise ganz allgemein auf das Leben sen, Wechseln des Aufmerksamkeitsfokus, Aktualisieren
in der Gesellschaft vorzubereiten. Wie bereits eingangs von Informationen im Arbeitsgedächtnis; Drechsler, 2007;
dargestellt, werden unsere konventionellen Bildungsange- Miyake, Friedman, Emerson, Witzki & Howerter, 2000)
bote dieser präventiven Zielsetzung jedoch nicht in vollem haben ebenfalls einen substanziellen Einfluss auf zukünf-
Umfang gerecht. Um die präventive Wirksamkeit vorschu- tige Lernentwicklungen (z. B. Blair & Razza, 2007; Mischel,
lischer Bildungsangebote sicherzustellen, scheint es daher Shoda & Peake, 1988; Roebers, Röthlisberger, Cimeli, Mi-
sinnvoll, die konventionellen Routinen durch strukturierte chel & Neuenschwander, 2011). Wie im Falle des Arbeits-
Fördermaßnahmen im Sinne pädagogisch-psychologischer gedächtnisses liegt jedoch auch für vorschulische Trainings
Trainings (▶ Kap. 17, Fries & Souvignier) zu ergänzen. der exekutiven Funktionen keine hinreichende empirische
Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Umfang Evidenz vor, aus der sich überzeugend ableiten ließe, dass
und in welchen Lernbereichen eine Ergänzung durch ent- die Maßnahmen präventiv wirksam sind, das heißt, dass
sprechende Förderprogramme sinnvoll und zielführend sie sich auch tatsächlich positiv auf die spätere Schulleis-
ist. Nicht zuletzt angesichts der begrenzten Ressourcen tungsentwicklung auswirken.
des vorschulischen Bildungssystems scheint es zwingend Anders verhält es sich mit Maßnahmen zur Förde-
notwendig, eine gewisse Priorisierung vorzunehmen. rung des induktiven Denkens. Unter induktivem Denken
Grundsätzlich ist es naheliegend, vorrangig solche Fähig- wird das Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten
keiten und Fertigkeiten in den Blick zu nehmen, die für Beobachtungen verstanden (Klauer, 1989). Das induktive
den weiteren Entwicklungsverlauf beziehungsweise die Denken gilt als eine zentrale Komponente der allgemeinen
nachfolgende Schullaufbahn besonders relevant sind und Intelligenz, die bekanntermaßen substanzielle Zusammen-
die – im Falle einer ungünstigen Entwicklung – zusätzliche hänge mit der Schulleistung aufweist. Die Annahme, dass
Sekundärproblematiken nach sich ziehen. Es sollten also eine erfolgreiche Förderung nicht nur spezifisch auf das
Kompetenzbereiche im Fokus stehen, die für die anschlie- induktive Denken wirkt, sondern auch Transfereffekte auf
ßende Entwicklung eine besonders breite „Streuwirkung“ das schulische Lernen nach sich zieht, ist daher theoretisch
aufweisen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sollten überaus plausibel. Zudem liegen inzwischen umfangrei-
theoretisch insbesondere die nachfolgend beschriebenen che empirische Wirksamkeitsnachweise vor, die diese An-
drei Bereiche einen jeweils vielversprechenden Ansatz- nahme bestätigen.
punkt für präventive Maßnahmen bieten.
Sprachkompetenz
Allgemeine kognitive Fähigkeiten Ein Kompetenzbereich, der das Kriterium einer großen
Mit Blick auf die geforderte Streuwirkung der Maßnah- Streuwirkung auf den späteren Schulerfolg in besonderem
men bieten sich zunächst allgemeine kognitive Fähigkei- Umfang erfüllt, ist die Sprachkompetenz. Da die Sprache
ten und Fertigkeiten als potenzielle Ansatzpunkte für eine als wichtigstes Kommunikationsmedium auch das domi-
Förderung an. Diese haben auf breiter Front leistungslimi- nierende Medium der Wissensvermittlung darstellt, hat sie
tierende Einflüsse auf den Lernprozess sind damit lernge- einen entsprechend nachhaltigen Einfluss auf die gesamte
genstandsübergreifend relevant. Naheliegend ist beispiels- schulische Leistungsentwicklung und zählt somit zu den
weise eine gezielte Förderung des Arbeitsgedächtnisses, wichtigsten Ansatzpunkten für eine wirksame Prävention.
das beim Lernen allgemein als eine Art „Flaschenhals“ gilt
(Hasselhorn & Gold, 2006). Die präventiven Potenziale Bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten
von Arbeitsgedächtnistrainings sind allerdings umstritten. Einen weiteren Ansatzpunkt für präventive Fördermaßnah-
So genügt es für den Zweck der Prävention nicht nach- men, die eine breite Streuwirkung erwarten lassen, stellen
zuweisen, dass nach der Förderung bessere Leistungen sogenannte bereichsspezifische Vorläuferfertigkeiten
in verschiedenen Arbeitsgedächtnistests erzielt werden. für den Erwerb der Kulturtechniken Schriftsprache und
Vielmehr muss zudem sichergestellt sein, dass mit dem Mathematik dar. Hierbei handelt es sich um Fähigkeiten
Training auch die gewünschten Transferwirkungen auf und Fertigkeiten, die zwar noch nicht im engeren Sinne
andere Lernbereiche erzielt werden. Insbesondere für den als Lesen, Schreiben oder Rechnen zu bezeichnen sind, die
376 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

aber eine wichtige Voraussetzung für deren Erwerb dar- sind. Davon abgesehen sollte bei der Entscheidung, welche
1 stellen. Bezogen auf den Schriftspracherwerb ist dies vor und wie viele Fördermaßnahmen letzten Endes implemen-
allem die phonologische Bewusstheit, also die Einsicht in tiert werden, schließlich auch ein ausgewogenes Verhältnis
2 die Lautstruktur der Sprache. Analog hierzu werden für den zwischen fokussierten, formalen Förderangeboten und Frei-
mathematischen Kompetenzerwerb sogenannte mathema- räumen beziehungsweise informellen Lerngelegenheiten be-
tische Basiskompetenzen, also grundlegende Fähigkeiten rücksichtigt werden.
3 im Umgang mit Zahlen und Mengen oder Größen, als zen-
trale Voraussetzung betrachtet (Krajewski & Ennemoser,
4 2013). Die genannten Vorläuferfertigkeiten entwickeln sich 16.2 Sprachförderung in Kindergarten
in der Auseinandersetzung mit der Umwelt bereits vor dem und Vorschule
5 Schuleintritt und sind in der Regel nicht, oder zumindest
nicht in hinreichendem Umfang, Gegenstand der formalen Die Sprache ist ein extrem flexibles Kodiersystem, das es
Instruktion im Unterricht. Das heißt, sie werden im An- uns einerseits ermöglicht, komplexe, abstrakte Informati-
6 fangsunterricht weitgehend vorausgesetzt oder implizit als onen „nach außen“ zu kommunizieren, und das uns um-
„beiläufig erlernbar“ betrachtet. Für Kinder, die aufgrund gekehrt auch dabei hilft, Wahrgenommenes verbal „nach
7 fehlender Anregungen im sozialen Umfeld mit unzurei- innen“ zu kodieren, Informationen zu strukturieren, sie
chend entwickelten Vorläuferfertigkeiten in die Schule problemlösend zu verarbeiten und in größere Zusammen-
kommen, hat dies weitreichende Konsequenzen. Viele die- hänge einzubetten. Um Sprache in diesem Sinne nutzen zu
8 ser Kinder gehen in den beiden wichtigsten Grundschul- können, muss jedoch das ihr zugrunde liegende Regelsys-
fächern bereits mit Rückständen an den Start, die im An- tem erworben werden (vgl. Weinert & Lockl, 2008). Die
9 fangsunterricht nicht gezielt ausgeglichen werden. Kompetenzen, die hierbei aufgebaut werden müssen, las-
sen sich im Wesentlichen auf vier Ebenen verorten.
10 16.1.3 Fazit
Ebenen der Sprachkompetenz (vgl. Weinert &
11 Ausgehend von der Argumentation, dass im Rahmen vor-
Grimm, 2008)
1. Die phonetisch-phonologische Ebene bezieht sich
schulischer Präventionsbemühungen vor allem Maßnahmen
12 zu priorisieren sind, die – idealerweise nachweislich – eine auf die Kenntnis des Lautsystems und die Verarbei-
tung lautlicher Information.
breite Wirkung auf die spätere Schulleistung entfalten, sollte
2. Die morphologisch-syntaktische Ebene umfasst
das Augenmerk vor allem auf folgende vier Schwerpunkte
13 gerichtet werden: induktives Denken, Sprache sowie jeweils Regularitäten der Wort- und Satzbildung und damit
den Erwerb der Grammatik.
spezifische Vorläuferfertigkeiten für den Erwerb der Schrift-
14 sprache (phonologische Bewusstheit) und der Mathematik 3. Auf der lexikalisch-semantischen Ebene stehen der
Wortschatz sowie auch wortübergreifende Bedeu-
(mathematische Basiskompetenzen). Die vorgeschlagene
tungszusammenhänge im Vordergrund.
15 Fokussierung auf bestimmte Schwerpunkte bedeutet nicht,
4. Die kommunikativ-pragmatische Ebene bezieht
dass man andere Lernbereiche nicht ebenfalls für eine frühe
sich schließlich auf den sachgerechten, situations-
Förderung in Erwägung ziehen oder als erstrebenswert be-
16 trachten kann. Wie bereits dargelegt, scheint es jedoch vor angemessenen Gebrauch von Sprache.
dem Hintergrund der begrenzten finanziellen, personellen
17 und zeitlichen Ressourcen im Bereich der frühkindlichen
Bildung notwendig, eine klare Abgrenzung vorzunehmen Der Erwerb dieser Kompetenzen zählt zweifellos zu den
zwischen Kompetenzbereichen, die im oben beschriebenen wichtigsten Entwicklungsaufgaben des Kindesalters. De-
18 Sinne als „must have“ zu bezeichnen sind, und solchen, die fizite in der Sprachkompetenz ziehen langfristige Beein-
zusätzlich in den Fokus genommen werden können, wenn trächtigungen im späteren Bildungserfolg nach sich, was
19 die zuerst genannten hinreichend gesichert sind. So kann nicht zuletzt durch die massiven Bildungsbenachteiligun-
etwa über Sinn und Unsinn der frühkindlichen Vermittlung gen von Kindern mit Migrationshintergrund dokumentiert
20 von Chinesisch in hiesigen Bildungseinrichtungen trefflich wird (Baumert et al., 2001; Bos et al., 2007; Stanat, 2003).
diskutiert werden. Die meisten Menschen in unserem Kul- Aber auch über den Bildungserfolg hinaus stellt die Spra-
turkreis kommen jedoch auch ohne Chinesisch-Kenntnisse che eine zentrale Voraussetzung für die Teilhabe am ge-
21 ganz gut zurecht, ohne in ihren Möglichkeiten zur gesell- sellschaftlichen Leben dar. Die Unterstützung des Sprach­
schaftlichen Teilhabe nennenswerte Einschränkungen in erwerbs zählt somit zu den wichtigsten Zielen frühkindlicher
22 Kauf nehmen zu müssen. Es handelt sich also um Kompe- Bildung und ihr gebührt auch unter präventiven Gesichts-
tenzen, die eher der Kategorie „nice to have“ zuzuordnen punkten besondere Beachtung.
16.2  •  Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule
377 16
16.2.1 Möglichkeiten einer effektiven Exkurs  |       | 
Sprachförderung
Implizite vs. explizite Vermittlungsstrategien
Vor dem geschilderten Hintergrund ist es erstaunlich, wie In der Sprachförderung und insbesondere in der Zweitspra-
wenig über die Wirksamkeit vorschulischer Fördermaß- cherwerbsforschung wird häufig zwischen impliziten und
expliziten Vermittlungsstrategien unterschieden (Gasparini,
nahmen bekannt ist. Obwohl inzwischen eine Vielzahl an 2004; Hulstijn, 2005). Im Rahmen impliziter Vermittlungs-
Förderkonzepten existiert (vgl. Jampert, Best, Guadatiello, strategien werden formale Aspekte der Sprache üblicher-
Holler & Zehnbauer, 2005), liegt bislang kein Programm weise nicht zum Gegenstand der Betrachtung gemacht. Die
vor, für das in einem hinreichenden Umfang empirische Förderung setzt hier, wie dies auch beim dialogischen Lesen
Wirksamkeitsnachweise existieren und das in diesem der Fall ist, weitgehend auf die kommunikative Auseinan-
dersetzung mit relevanten Inhalten. Demgegenüber rückt
Sinne als „evidenzbasiert“ gelten kann (▶ Abschn. 16.1). der Bedeutungsaspekt der Sprache im Rahmen expliziter
Darüber hinaus gelangen jüngste Begleitstudien zu ver- Vermittlungsstrategien in den Hintergrund. Ein Fokus liegt
schiedenen Förderinitiativen in Deutschland vergleichs- hier auf der expliziten Vermittlung sprachlicher Strukturen
weise konsistent zu ernüchternden Ergebnissen (z. B. und grammatischen Regelwissens (vgl. hierzu auch die Un-
Gasteiger-Klicpera, Knapp & Kucharz, 2010; Roos et al., terscheidung zwischen Focus on Meaning vs. Focus on Form;
z. B. Darsow et al., 2012). Während im Kindergartenbereich
2010; Wolf, Felbrich, Stanat & Wendt, 2011; für einen noch implizite Förderansätze dominieren (Hofmann et al.,
Überblick vgl. Lisker, 2011). Folglich ist es an dieser Stelle 2008), gelten im späteren Entwicklungsverlauf zunehmend
nicht möglich, ein bestimmtes Förderprogramm im Sinne explizite oder auch kombinierte Vermittlungsansätze als
eines empirisch bewährten „Gesamtpakets“ hervorzuhe- potenziell überlegen (Stanat, Becker, Baumert, Lüdtke &
ben. Allerdings lassen sich aus der internationalen For- Eckhardt, 2012).

schung Hinweise auf bestimmte übergeordnete Prinzipien


ableiten, die im Rahmen der vorschulischen Sprachför-
derung vielversprechend sind. Insbesondere kann es als dialogische Lesen im Grunde ausschließlich auf die konse-
vergleichsweise gesichert gelten, dass große Förderpoten- quente Anwendung sprachförderlicher Interaktionsprinzi-
ziale in der Art der sprachlichen Interaktion mit dem Kind pien setzt (Ennemoser, Kuhl & Pepouna, 2013). Das heißt,
liegen. Richtungsweisend sind in diesem Zusammenhang der Förderansatz umfasst weder elaborierte Programmbau-
die inzwischen als klassisch zu bezeichnenden Arbeiten steine, die jeweils gezielt auf die Vermittlung bestimmter
von Whitehurst und Kollegen zur Wirksamkeit des so- Sprachkompetenzen (z. B. Pluralbildung, Wortschatz) zu-
genannten dialogischen Lesens (dialogic reading; White- geschnitten sind, noch werden hierfür bestimmte Übungs-
hurst et al., 1988). materialien vorgehalten, wie dies in verfügbaren Trainings-
programmen üblicherweise der Fall ist (z .B. Penner, 2005;
Definition  Küspert & Schneider, 2006). Neben der Vorlesesituation,
Das dialogische Lesen basiert auf der konsequenten die als Plattform für die Realisierung sprachförderlicher
Anwendung einfacher Sprachlehrstrategien, wie sie Interaktionen genutzt wird, gilt lediglich die Vorgabe, dass
auch im Rahmen der natürlichen Eltern-Kind-Interak- sich die Auswahl der Bücher an den Interessen und Be-
tion beobachtbar sind („Motherese“; Hoff-Ginsberg, dürfnissen der Kinder orientieren soll.
1986; Weinert & Lockl, 2008). Als Plattform für die Was genau ist nun mit sprachförderlichen Interak-
Umsetzung sprachförderlicher Dialoge wird die klas- tionen im Sinne des dialogischen Lesens gemeint? Nach
sische Vorlesesituation gewählt, die hierfür ideale Ennemoser und Kollegen (2013) lassen sich die von White-
Möglichkeiten bietet (Ennemoser, 2008). Im Zuge hurst und Kollegen (1988) beschrieben Interaktionsprin-
des kommunikativen Austauschs über möglichst zipien drei sprachstimulierenden Funktionen zuordnen
interessante Inhalte erhalten Kinder die Gelegenheit, (. Tab. 16.1; Ennemoser et al., 2013):
eher beiläufig neue Wörter zu erlernen und aus dem 1. Anregung der kindlichen Sprachproduktion
„wohlgeformten“ Input intuitiv sprachliche Regelmä- 2. Modellierung sprachlicher Äußerungen
ßigkeiten abzuleiten (vgl. Ritterfeld, 2000; Polotzek 3. Verstärkung/Motivation.
et al., 2008).
Die hierunter gefassten Maßnahmen sind allerdings kei-
nesfalls spezifisch dem Ansatz des dialogischen Lesens
Das dialogische Lesen stellt somit – wie die meisten zuzuordnen. Vielmehr handelt es sich um Techniken, die
Sprachfördermaßnahmen für das Kindergartenalter – ei- in der Forschung zu elterlichen Sprachlehrstrategien allge-
nen impliziten Vermittlungsansatz dar (Polotzek et al., mein als besonders geeignet gelten, um Kindern implizite
2008; ▶  Exkurs „Implizite vs. explizite Vermittlungsstrate- Kenntnisse über die formale Struktur der Sprache zu ver-
gien“). Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass das mitteln (Weinert & Lockl, 2008). Im Rahmen des dialogi-
378 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

festigen und grammatische Strukturen salient zu machen.


1 .. Tab. 16.1  Sprachförderliche Interaktionsmerkmale im Sinne
des dialogischen Lesens und ihre jeweilige Funktion (Ennemo- Bei sprachlich unkorrekten Äußerungen wird auf eine ex-
ser et al., 2013) plizite, tadelnde Benennung von Fehlern (z. B. „Es heißt
2 Funktion Maßnahme/Technik
nicht Teppe, sondern Treppe!“) verzichtet. Stattdessen wer-
den die Äußerungen aufgegriffen und in korrigierter Form
wiederholt, eventuell etwas erweitert und zum Anlass für
3 Anregung der
Sprachpro-
– W-Fragen
– offene Fragen weitere Nachfragen genommen. So könnte eine Förder-
duktion – Nachfragen zu Äußerungen des Kindes kraft auf die Aussage „Teppe nunterfallt!“ beispielsweise
4 – Sätze vervollständigen lassen erwidern: „Ja, genau! Die Puppe ist die Treppe hinunterge-
Modellierung – korrektive Wiederholung der Äußerun- fallen! Warum ist sie denn die Treppe hinunter gefallen?“.
5 gen des Kindes/Wiederholung eigener
Äußerungen
Da die genannten Modellierungstechniken direkt an
den sprachlichen Äußerungen des Kindes ansetzen, entfal-
– Erweiterung und Umformulierung
tet sich der anschließende Dialog jeweils ausgehend vom
6 – Unterstützung
individuellen Entwicklungsniveau des Kindes. Die Äuße-
Verstärkung/ – Lob und Verstärkung
rungen des Kindes stellen gleichsam das Grundgerüst dar,
Motivation – Orientierung an Interessen und Erfahrun-
7 gen des Kindes das im gemeinsamen Dialog weitergebaut und ausgestaltet
– Spaß haben wird. Hierbei werden durch die Modellierung im Idealfall
Reize gesetzt, die in der Zone der nächsten Entwicklung
8 (Vygotskij, 1934) liegen und die die weitere Sprachentwick-
schen Lesens sollen diese Prinzipien lediglich systematisch lung optimal stimulieren.
9 angewendet werden. Wie bereits erwähnt, spielen neben den spezifisch
sprachbezogenen Interaktionsprinzipen auch allgemeine
10 >> Eine der wichtigsten Strategien zur Anregung der motivationspsychologische Aspekte eine wichtige Rolle.
Sprachproduktion ist der gezielte Einsatz von Fragen Hierzu zählen Lob und Bekräftigung der kindlichen Äuße-
(Arnold, Lonigan, Whitehurst & Epstein, 1994; White- rungen, die Beachtung der Interessen des Kindes und nicht
11 hurst et al., 1988), wobei jedoch die Art der Fragen zuletzt eine unterhaltsame Gestaltung der Fördersituation
eine Rolle spielt. (vgl. auch Ritterfeld, Niebuhr, Klimmt & Vorderer, 2006).
12
Beispielsweise gelten Entscheidungsfragen für die Anre-
gung der Sprachproduktion als weniger geeignet, da sie ge- 16.2.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit
13 gebenenfalls schlicht mit Ja oder Nein zu beantworten sind. des dialogischen Lesens
Dem vorzuziehen sind Ergänzungs- und offene Fragen
14 beziehungsweise W-Fragen (z. B. Wie  …? Warum  …?), Die Wirksamkeit des dialogischen Lesens wurde zunächst
deren Beantwortung es erfordert, im Text enthaltene Wör- im Kontext der elterlichen Vorlesesituation mit Kleinkin-
15 ter und grammatische Strukturen zu reproduzieren oder dern im Alter von zwei bis drei Jahren untersucht. Den
diese auf alternative Weise auszudrücken. Vertiefende Ergebnissen zufolge zeigen Kinder, deren Eltern eine
Nachfragen auf die Äußerungen des Kindes halten den Einführung in die genannten Sprachlehrstrategien erhal-
16 bereits initiierten Dialog aufrecht und können etwa dazu ten haben, im Anschluss substanziell größere sprachliche
anregen, die wiedergegebenen Inhalte zu vervollständigen Kompetenzzuwächse, als eine Kontrollgruppe, in der die
17 oder präziser sprachlich zu elaborieren. Eltern gemäß ihren üblichen Gewohnheiten vorlesen
Die durch Fragetechniken stimulierten sprachlichen (Whitehurst et al., 1988; Whitehurst, Arnold et al., 1994).
Äußerungen der Kinder bieten der Förderkraft zum einen Inzwischen wurde das dialogische Lesen in verschiedenen
18 die Gelegenheit, den Sprachgebrauch konsequent zu lo- Kontexten jenseits des häuslichen Eltern-Kind-Settings
ben und zu verstärken, um ihnen Zutrauen in die eigene und auch bei älteren Kindern evaluiert. So wurde es er-
19 sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu vermitteln. Zum an- folgreich im Kleingruppenformat in Kindergärten und
deren ermöglichen sie der Förderkraft, diese Äußerun- Tagesstätten sowie als Maßnahme innerhalb des Head
20 gen gezielt zu modellieren. Die Modellierungstechniken Start Programms1 eingesetzt (vgl. Lonigan & Whitehurst,
umfassen neben der lobenden Wiederholung korrekter
Verbalisierungen gezielte Ergänzungen (Expansion) so-
21 wie unterstützende bzw. korrektive Modellierungen bei 1 Head Start ist ein Programm zur kompensatorischen Erziehung in
den USA, das bereits in den 1960er Jahren initiiert wurde und das
Fehlern (recasts). So greift die Förderkraft Äußerungen Ziel verfolgt herkunftsbedingte Bildungsbenachteiligungen aus-
22 des Kindes wiederholend auf und ändert diese gegebe- zugleichen beziehungsweise in sozial schwachen Familien brach-
nenfalls geringfügig ab, um die verwendeten Wörter zu liegende Bildungsressourcen zu mobilisieren.
16.3  •  Förderung des induktiven Denkens
379 16

1998; Whitehurst, Epstein et al., 1994; Whitehurst et al., Sprachfördermaßnahmen vorliegen. Ein Problem ist da-
1999). Neben unausgelesenen Normalstichproben wur- rin zu sehen, dass die verfügbaren Programme gar nicht
den auch für Risikokinder (Fielding-Barnsley & Purdie, oder bestenfalls als Gesamtpaket evaluiert wurden, sodass
2003; Hargrave & Sénéchal, 2000) sowie für Kinder mit aus den Befunden keine Schlussfolgerungen darüber ab-
Hörschädigungen positive Effekte gefunden (Fung, Chow geleitet werden können, welche Programmanteile Förder-
& McBride-Chang, 2005; Dale, Crain-Thoreson, Notari- potenziale bergen und welche nicht. Die Befunde zum
Syverson & Cole, 1996). Die hierbei registrierten Förderer- dialogischen Lesen lassen zumindest darauf schließen,
folge betreffen eine breite Palette sprachlicher Kompeten- dass die systematische Anwendung einfacher Sprachlehr-
zen und reichen von einer Erweiterung des Wortschatzes strategien wirksam ist und insofern auch im Sinne eines
über Zugewinne in der mittleren Äußerungslänge (mean eigenständigen Förderansatzes Beachtung verdient. Dabei
length of utterances; MLU) beziehungsweise in den mor- bleibt festzuhalten, dass es sich beim dialogischen Lesen
phologisch-syntaktischen Fähigkeiten bis hin zu verbesser- streng genommen nicht um ein klassisches Trainingspro-
ten schriftsprachlichen Vorläuferkompetenzen (vgl. Mol gramm handelt. Die angewendeten Sprachlehrstrategien
et al., 2008; Mol et al., 2009). Einschränkend ist jedoch sind keinesfalls an die Vorlesesituation oder an spezielle
festzuhalten, dass das dialogische Lesen in vielen Studien (additive) Einzel- oder Kleingruppensitzungen gebun-
nicht isoliert eingesetzt wurde, sondern mit anderen Maß- den. Vielmehr handelt es sich um allgemeine Interakti-
nahmen kombiniert war, sodass nicht eindeutig bestimmt onsprinzipien, die im Kindergarten quasi alltagsintegriert
werden kann, welcher Anteil der Fördererfolge ausschließ- einsetzbar sind und idealerweise zum standardmäßigen
lich dem dialogischen Lesen zugeschrieben werden kann. „Handwerkszeug“ pädagogischer Fachkräfte gehören soll-
Für den deutschen Sprachraum lagen bis vor kurzem ten. Inwiefern das dialogische Lesen auch als ein solcher
keine Untersuchungen vor, in denen das dialogische Le- alltagsintegrierter Ansatz erfolgversprechend ist, kann
sen im Sinne eines eigenständigen Förderansatzes evalu- jedoch mangels empirischer Befunde derzeit nicht beur-
iert wurde. Ennemoser und Kollegen (2013) konnten in teilt werden. Aktuelle Befunde sind sehr ermutigend, sie
einer ersten Studie zeigen, dass Migrantenkinder, die auf- deuten aber auch darauf hin, dass die konkrete Umset-
grund mangelnder Sprachkenntnisse von der Einschulung zung dieser Interaktionsprinzipien nicht ganz so einfach
zurückgestellt worden waren, bereits nach wenigen För- ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, und dass
dersitzungen vom dialogischen Lesen profitieren. Dabei es vielen Förderkräften selbst in einer klar umgrenzten
wurde eine Trainingsgruppe, die nach den Prinzipien des Trainingssituation nicht gelingt, die entsprechenden
dialogischen Lesens gefördert wurde, mit einer paralleli- Sprachlehrstrategien konsequent und gewinnbringend
sierten Kontrollgruppe verglichen, die in derselben Zeit anzuwenden. Für eine erfolgreiche Implementierung in
konventionell angebotene Sprachfördersitzungen absol- die Praxis liegt somit eine besondere Herausforderung da-
vierte (hessische Vorlaufkurse). Die Trainingsgruppe er- rin sicherzustellen, dass die mit der Förderung betrauten
zielte im Untersuchungszeitraum signifikant größere Leis- Fachkräfte durch geeignete Trainingsmaßnahmen in die
tungszuwächse in den durchgeführten Sprachtests als die Lage versetzt werden, die vermittelten Sprachlehrstrate-
Kinder der Kontrollgruppe. Eine deutlich größer angelegte gien konsequent anzuwenden.
Folgestudie, die nicht nur auf Migrantenkinder begrenzt
war, belegt ebenfalls kurzfristige Fördereffekte des dialo-
gischen Lesens auf die Entwicklung der Sprachkompetenz 16.3 Förderung des induktiven Denkens
(Ennemoser, Pepouna & Hartung, in Vorb.). Die Befunde
deuten jedoch auch darauf hin, dass die Trainingserfolge Bereits als Neugeborene nehmen wir unsere Umwelt nicht
massiv von der realisierten (per Videoanalyse erfassten) nur passiv wahr, sondern beginnen unmittelbar, die Ein-
Durchführungsqualität abhängen und dass zur Sicherung drücke und Beobachtungen in unserer Umwelt zu struk-
langfristiger Erfolge größere Bemühungen in die Qualifi- turieren. Als Motor fungiert dabei eine intuitive Strategie
zierung der Förderkräfte investiert werden müssen. des Vergleichens (Klauer, 1989).

>> Vergleiche ermöglichen es uns, Ähnlichkeiten und


16.2.3 Fazit Unterschiede zu entdecken und daraus Annahmen
über Regelhaftigkeiten abzuleiten. Sie dienen dazu,
Angesichts der fundamentalen Bedeutung, die dem Wissen nicht lediglich unsystematisch anzuhäufen,
Sprach­erwerb zur Teilhabe an der Gesellschaft und im sondern es zu organisieren und strukturieren.
Besonderen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn zu-
kommt, überrascht, wie wenige gesicherte Erkenntnisse So können bereits als Neugeborene die Stimme der Mutter
über die Wirksamkeit primär- und sekundarpräventiver von anderen Stimmen unterscheiden und lernen – einige
380 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter


  

  .. Abb. 16.2  Kognitive Vergleichsprozesse
1      ­€­ 

‚
‚  ...
nach Klauer (1989, mit freundlicher Geneh-
migung von Hogrefe, Göttingen)

2 Feststellung der ... von ... bei ...

c1 verbalem
a1 Gleichheit
3 b1 Merkmalen c2 bildhaem
a2 Verschiedenheit c3 geometr.-figuralem
4 b2 Relaonen c4 numerischem
a3 Gleichheit und

5 Verschiedenheit c5 sonsgem

...
6     
   

7 Zeit später –, dass bestimmte Gegenstände allesamt als auch in anderen Bereichen zu verbesserten Lernerfolgen
„Ball“ bezeichnet werden, obwohl sie sich gleichzeitig in führen (Theorie des paradigmatischen Transfers; Klauer,
vielerlei Hinsicht (z. B. in Farbe, Größe, Material) unter- 2011).
8 scheiden und im Grunde nur ein einziges Merkmal ge-
meinsam haben (rund). Auf diese Weise können nach und
9 nach auch abstrakte Begriffe sowie komplexe Schemata er- 16.3.1 Möglichkeiten einer effektiven
worben werden, die sich im Entwicklungsverlauf immer Förderung induktiven Denkens
10 weiter präzisieren und ausdifferenzieren. Das beschriebene
Ableiten von Regelhaftigkeiten aus konkreten Beobachtun- Um eine gezielte Förderung spezieller Denkstrukturen zu
gen bezeichnet man als induktives Denken (Klauer, 1989). ermöglichen, schlägt Klauer eine präskriptive Definition
11 Auch wenn der Begriff „induktiv“ dies nahelegt, ist damit des induktiven Denkens vor (z. B. Klauer, 2001). Diese
allerdings nicht zwingend gemeint, dass hierbei tatsächlich zeichnet sich zum einen dadurch aus, dass sie die kogni-
12 verallgemeinerbare Gesetzmäßigkeiten abgeleitet werden. tiven Prozesse spezifiziert, die für das induktive Denken
Vielmehr werden auf der Grundlage von wahrgenomme- charakteristisch sind. Zum anderen lassen sich auf Grund-
nen Beobachtungen lediglich Hypothesen über Regelhaf- lage dieser Definition bestimmte Aufgabenklassen festle-
13 tigkeiten generiert, die im Zuge weiterer Erkenntnisse gen, deren Lösung die genannten „induktiven Prozesse“
gegebenenfalls wieder verworfen oder relativiert werden erfordert. Dies ermöglicht eine systematische Konzeption
14 müssen (z. B. kleine pelzige Objekte mit vier Beinen fallen von Trainingsaufgaben, die sehr gezielt auf die Förderung
in die Kategorie „Hund“). induktiver Denkprozesse abzielen. Die kognitiven (Ver-
15 Unter präventiven Gesichtspunkten ist das induktive gleichs-)Prozesse, die es ermöglichen sollen, aus konkre-
Denken von besonderem Interesse, weil es grundlegende ten Beobachtungen Regelhaftigkeiten abzuleiten, werden
Strategien und Verarbeitungsprozesse umfasst, die in sehr nach Klauers Theorie des induktiven Denkens durch zwei
16 vielen Lernbereichen und bei verschiedensten Problem- Kernfacetten (A und B) sowie eine Materialfacette (C) cha-
stellungen anwendbar sind. Sie versetzen den Lernenden rakterisiert (. Abb. 16.2).
17 in die Lage, auch neuartige Probleme zu lösen, indem Ana- Facette A bezeichnet zunächst das Ergebnis der Ver-
logien zu bereits Bekanntem hergestellt und entsprechende gleichsprozesse. Dabei kann der vorgenommene Abgleich
Erkenntnisse und Strategien auf das jeweils aktuelle Prob- von Ähnlichkeiten und Unterschieden grundsätzlich zu
18 lem angewendet werden. drei Ergebnissen führen: Gleichheit, Verschiedenheit oder
Es steht außer Frage, dass das induktive Denken für Gleichheit und Verschiedenheit (z. B. gleiche Farbe, ver-
19 den Bildungserfolg von sehr großer Bedeutung ist. Diese schiedene Form). Facette B kennzeichnet die Vergleichsdi-
Bedeutung ist auch daran abzulesen, dass das induktive mension. Hier geht es um die Frage, worauf sich der Ver-
20 Denken eine zentrale Komponente in etablierten Intel- gleich bezieht. Diesbezüglich werden zwei übergeordnete
ligenzmodellen darstellt (im Sinne eines „allgemeinen“ Vergleichsdimensionen unterschieden: zum einen Merk-
Intelligenzfaktors bzw. des g-Faktors nach Horn & Cat- male (z. B. Farbe, Größe, übliche Art der Nutzung) und
21 tell, 1966). Eine erfolgreiche Förderung des induktiven zum anderen Relationen (z. B. „mehr als“, „weiter entfernt
Denkens sollte demnach eine vergleichsweise breite Wirk- von“, „wohnt in“). Facette C ist eine Materialfacette, die le-
22 samkeit erzielen, das heißt, die durch das Training erzielte diglich bezeichnet, auf welche Art von Material sich die
Verbesserung spezieller, induktiver Denkprozesse sollte vorgenommenen Vergleichsprozesse beziehen. Hier unter-
16.3  •  Förderung des induktiven Denkens
381 16
.. Abb. 16.3  Aufgabenklassen zum Die 6 Kernaufgaben des indukven Denkens
induktiven Denken nach Klauer (1989, mit
freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Aufgabenklasse Beispielaufgabe
Göttingen)
- Klassen bilden
gleich Generalisierung
- Klassen ergänzen

Merkmal verschieden Diskriminierung - Unpassendes streichen

gleich + - 4-Felderschema
verschieden Kreuzklassifikaon
- 6-Felderschema

- Folgen ergänzen
gleich Beziehungserfassung - Folgen ordnen
- einfache Analogie

Relaonen verschieden Beziehungsunterscheidung - gestörte Folge

gleich + - Matrizenaufgaben
verschieden Systembildung
- komplexe
Analogien

scheidet Klauer verbales, bildhaftes, geometrisch-figurales, sich um Lastenfahrzeuge; Generalisierung). Alle anderen
numerisches sowie „sonstiges“ Material. Fahrzeuge sind also in diesem Punkt ähnlich bzw. gleich.
Die theoretische Abgrenzung der beiden Aufgabentypen
Aufgabenklassen zum induktiven Denken basiert demnach im Wesentlichen darauf, welche Art Fest-
Lässt man die Materialkomponente einmal unberücksich- stellung in der Fragestellung ausdrücklich gefordert wird:
tigt, ergeben sich aus Facette A und Facette B sechs grund- Ähnlichkeit (Generalisierung) oder Unterschied (Diskri-
legende Aufgabentypen, die induktives Denken erfordern. mination).
Diese unterscheiden sich einerseits darin, ob Merkmale Die Aufgaben zur Kreuzklassifikation erfordern
oder Relationen verglichen werden müssen, und anderer- demgegenüber explizit eine gleichzeitige Feststellung von
seits in der Art der geforderten Feststellung (Gleichheit, Gleichheit und Verschiedenheit von Merkmalen. Im Ge-
Verschiedenheit oder beides). Die Systematik der Aufga- gensatz zu den beiden anderen Aufgabentypen muss hier
bentypen ist in . Abb. 16.3 illustriert. notwendigerweise mehr als ein Merkmal in den Vergleich
einbezogen werden. So kann man beispielsweise bei vier
Aufgabenklassen zum Vergleich von Merkmalen vorliegenden Objekten einerseits feststellen, welche sich
Als Aufgabentypen für den Vergleich von Merkmalen hinsichtlich ihrer Farbe gleichen beziehungsweise sich
nennt Klauer Generalisierung (Gleichheit von Merkma- darin unterscheiden (z. B. rot vs. gelb), und andererseits,
len), Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) welche dieser vier Objekte sich in ihrer Form gleichen –
und Kreuzklassifikation (Gleichheit und Verschiedenheit oder diesbezüglich verschieden sind (z. B. rund vs. eckig).
von Relationen). Es können also, je nachdem welches der beiden Merkmale
Die theoretisch voneinander abgegrenzten Aufgaben zugrunde gelegt wird, unterschiedliche Klassen von Ob-
zur Generalisierung und zur Diskrimination sind jedoch jekten gebildet werden, die sich sozusagen „überkreuzen“
nicht ganz trennscharf. So geht etwa die Feststellung, dass (daher der Begriff Kreuzklassifikation, z. B. rot und rund,
drei von fünf dargestellten Möbeln „zusammen gehören“ rot und eckig).
(also gleich sind, weil es sich um Sitzmöbel handelt; Ge-
neralisierung) einher mit der Einschätzung, dass die üb- Aufgabenklassen zum Vergleich von Relationen
rigen zwei Möbelstücke (z. B. ein Tisch und ein Schrank) Beim Vergleich von Relationen werden die Aufgabenty-
die entscheidende Gemeinsamkeit eben nicht teilen, also pen Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen),
in diesem Punkt von den anderen verschieden sind (Dis- Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Re-
krimination). In ähnlicher Weise erfordert die Feststellung, lationen) und Systembildung (Gleichheit und Verschie-
welches von fünf Fahrzeugen nicht zu den anderen passt denheit von Relationen) unterschieden (. Abb. 16.3). Eine
(also von ihnen verschieden ist; Diskrimination) gleich- typische Aufgabe zur Beziehungserfassung besteht darin,
zeitig die Erkenntnis, dass die anderen vier Fahrzeuge ein mehrere Schwäne der Größe nach (d. h. entsprechend der
bestimmtes Merkmal gemeinsam haben (z. B. es handelt Relation „größer als“) zu sortieren, während bei der Be-
382 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

ziehungsunterscheidung ein Element identifiziert werden und bildlichen Darstellungen gearbeitet wird, enthalten die
1 muss, das die ansonsten bereits korrekte Größensortierung Programmversionen für ältere Kinder zu gleichen Teilen
stört. Streng genommen müssen also auch hier bei vielen verbale, numerische sowie figurale Aufgaben (▶ Kap. 17,
2 Aufgaben sowohl Gleichheit als auch Verschiedenheit in Fries & Souvignier). Davon abgesehen sind die Programme
irgendeiner Weise berücksichtigt werden. Die Gleichheit im Wesentlichen identisch strukturiert. Die Durchführung
von Relationen wird neben Aufgaben zu Folgenergänzun- kann sowohl als Einzelförderung als auch paarweise oder
3 gen auch durch einfache Analogien erfasst. Hier muss bei- im Rahmen eines Gruppentrainings erfolgen. Im Verlauf
spielsweise erkannt werden, dass ein Fisch zum Aquarium von zehn 45-minütigen Sitzungen werden insgesamt je
4 eine ganz ähnliche Beziehung hat wie ein Vogel zum Käfig. 120 Aufgaben aus den sechs beschriebenen Aufgabenklas-
Analog zur Kreuzklassifikation hebt sich auch die sen bearbeitet. Für die einzelnen Sitzungen sind bestimmte
5 Systembildung, also die Feststellung von Gleichheit und inhaltliche Schwerpunkte vorgesehen, um einen schritt-
Verschiedenheit, von den beiden anderen Aufgabentypen weisen Aufbau und eine zunehmend flexiblere Anwendung
dadurch ab, dass mindestens zwei Vergleichsdimensionen der vermittelten Strategien zu gewährleisten. Dieser Auf-
6 – in diesem Fall zwei verschiedene Arten von Beziehun- bau erfolgt in drei Phasen. In den ersten Sitzungen wird
gen – gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Dies ist zunächst die Grundstruktur der Aufgabenklassen erarbei-
7 beispielsweise dann erforderlich, wenn bestimmte Anord- tet und es werden die Begriffe Eigenschaft und Beziehung
nungen so ergänzt werden müssen, dass sie die erkennba- eingeführt. Anschließend bildet die Einübung metakog-
ren Beziehungen zwischen bereits vorgegebenen Objekten nitiver Kontrollstrategien einen Schwerpunkt. Das heißt,
8 systematisch fortführen beziehungsweise vervollständigen. ergänzend zu den induktiven Strategien werden Strategien
Ein einfaches Beispiel ist ein Vierfelderschema, in dem Fi- eingeübt, die darauf abzielen, die eigenen Problemlösever-
9 sche abgebildet sind. Im Feld oben links befindet sich ein suche zu planen, zu überwachen und zu regulieren. Dies
großer Fisch. Rechts daneben sind zwei Fische dargestellt, geschieht anhand der Leitfragen: (1) „Was ist gesucht?“ (2)
10 die genauso groß sind wie der im ersten Feld. Unten links „Was kann ich tun, um die Lösung zu finden? (3) Wie kann
ist ebenfalls ein Fisch abgebildet, der jedoch wesentlich ich meine Lösung kontrollieren?“ In den letzten Sitzun-
kleiner ist. Wenn das Feld unten rechts frei ist, liegt die gen liegt der Schwerpunkt schließlich auf der Festigung
11 Vermutung nahe, dass hier zwei kleine Fische hingehören. und Automatisierung sowie der flexiblen Anwendung des
Das „System“ besteht darin, dass von oben nach unten die Gelernten.
12 Relation „größer als“ gilt, während die Beziehung von links Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunkten sollen
nach rechts „eins weniger als“ heißen könnte (alternativ in jeder Sitzung 12 Aufgaben aus allen sechs Aufgaben-
wäre in diesem Fall auch „ist halb so viel wie“ plausibel). klassen bearbeitet werden. Generell steht dabei weniger
13 Mit einer zunehmenden Anzahl von Feldern können deut- das Ergebnis beziehungsweise die jeweilige Lösung als
lich komplexere Matrizen gebildet werden. vielmehr die angewendete Lösungsstrategie im Fokus. So
14 soll im Verlauf des Trainings zunehmend deutlich werden,
Trainingsprogramme zur Förderung dass die vermittelten Strategien nicht nur bei der konkret
des induktiven Denkens
15 vorliegenden Aufgabe zielführend sind, sondern dass die
Die Förderung induktiven Denkens ist nicht allein als vor- Vorgehensweise systematisch auf sehr viele verschiedene
schulische Präventionsmaßnahme zu betrachten, sondern Problemstellungen angewendet werden kann. Um die
16 es werden auch im Grundschulalter und darüber hinaus Lösungsstrategien zu verinnerlichen und deren Übertrag-
noch bedeutsame Förderpotenziale gesehen. So gibt es ne- barkeit auf andere Problemstellungen zu erkennen, spielt
17 ben dem „Denktraining für Kinder I“ (Klauer, 1989), das die explizite Verbalisierung der jeweiligen Vorgehensweise
für Kinder im Alter von fünf bis acht Jahren konzipiert eine große Rolle. Dies wird im Training durch die Methode
wurde, zwei weitere Programme mit älteren Zielgruppen. der verbalen Selbstinstruktion gezielt unterstützt (Mei-
18 Während das „Denktraining für Kinder II“ (Klauer, 1991) chenbaum & Goodman, 1971). Hierbei fungiert die För-
den Altersbereich zwischen zehn und 13 Jahren abdeckt, derkraft zunächst als Modell, indem sie eine Lösungsstra-
19 richtet sich das „Denktraining für Jugendliche“ (Klauer, tegie anwendet und die Vorgehensweise laut kommentiert.
1993) schließlich speziell an Schüler mit Lernschwierigkei- Anschließend soll das Kind die Durchführung und die be-
20 ten im Altersbereich zwischen 14 und 17 Jahren. gleitende Verbalisierung schrittweise selbst übernehmen
Die Trainingsaufgaben der drei Programmversionen (sich sozusagen „selbst instruieren“) und so zunehmend
sind sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf Schwierig- in die Lage versetzt werden, seine Problemlöseversuche ei-
21 keit und Abstraktionsniveau an die jeweilige Zielgruppe genständig zu planen und zu regulieren. Leistungsstärkere
angepasst. Zudem unterscheiden sie sich hinsichtlich Kinder, bei denen eine Modellierung durch die Förderkraft
22 der verwendeten Materialkomponenten. Während im nicht erforderlich ist, können ihre Vorgehensweise auch
Denktraining  I vorwiegend mit konkreten Materialien direkt begleitend verbalisieren (Methode des lauten Den-
16.4  •  Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs
383 16

kens) oder diese im Nachhinein kommentieren (Selbstre- Reime erkennen, Wörter in Silben untergliedern oder ein-
flexion). Der Förderperson kommt im Wesentlichen die zeln vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenzie-
Rolle zu, den Lösungsprozess durch gezielte Fragen zu un- hen kann. Genau genommen handelt es sich also um eine
terstützen (Methode des „gelenkten Entdeckenlassens“). metasprachliche Fähigkeit, da sie sich nicht auf den seman-
tischen Gehalt (die Bedeutung) sprachlicher Äußerungen
bezieht, sondern allein auf formale Aspekte, nämlich das
16.3.2 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit Wissen über die lautliche Struktur der Sprache.
von Denktrainings Die unter den Begriff der phonologischen Bewusstheit
gefassten Fähigkeiten entwickeln sich – mit gewissen Ein-
Die Wirksamkeit der oben beschriebenen Programme zur schränkungen – bereits vor dem Schuleintritt und haben
Förderung des induktiven Denkens wurde in zahlreichen nachgewiesenermaßen einen substanziellen Einfluss auf
Studien überprüft. Eine Meta-Analyse von Klauer und den späteren Schriftspracherwerb in der Schule (Ennemo-
Phye (2008), die auf den Ergebnissen von 74  Evaluati- ser, Marx, Weber & Schneider, 2012). Insofern gilt die pho-
onsstudien basiert, liefert vergleichsweise eindrucksvolle nologische Bewusstheit als grundlegende Voraussetzung
Belege für die Effektivität der drei Denktrainings. Die für den Erwerb unseres alphabetischen Schriftsystems,
Wirksamkeit spiegelte sich nicht nur in den Ergebnissen weshalb sie auch als spezifische Vorläuferfertigkeit des
von Intelligenztests wider (die einen substanziellen An- Schriftspracherwerbs bezeichnet wird.
teil an induktiven Denkaufgaben enthalten), sondern es
konnten darüber hinaus auch substanzielle Transfereffekte
auf schulische Lernleistungen in verschiedenen Inhalts- 16.4.1 Die Bedeutung von phonologischer
bereichen registriert werden. Die vergleichsweise breiten Bewusstheit und Buchstaben-
Transferwirkungen belegen zugleich die Annahme, dass Laut-Zuordnung
die trainierten induktiven Denkprozesse tatsächlich ih- in der schriftsprachlichen
ren Niederschlag in vielen anderen Lernbereichen finden. Entwicklung
Interessanterweise fielen diese Transfereffekte mit einer
Effektstärke von knapp 0.7 Standardabweichungen sogar In der Forschung wurden bereits früh Hinweise darauf ge-
noch größer aus als die Effekte auf die Intelligenz, die etwa funden, dass metasprachliche Fähigkeiten wie die phono-
eine halbe Standardabweichung betrugen. Zudem deuten logische Bewusstheit mit dem Lesen- und Schreibenlernen
die Befunde darauf hin, dass die gefundenen Effekte tat- in Verbindung stehen. Sowjetische Psychologen wiesen be-
sächlich nachhaltig sind und im Falle der Intelligenz nach reits in den 1960er-Jahren auf Zusammenhänge zwischen
Abschluss des Trainings sogar geringfügig weiter zuneh- der Fähigkeit, Wörter in Laute zerlegen zu können, und
men. Wie aus einer Studie von Möller und Appelt (2001) der späteren Leseleistung hin (Zhurova, 1963; Elkonin,
hervorgeht, können die langfristigen Effekte durch eine 1963). Auch ältere, in der ehemaligen DDR entwickelte
Auffrischung der geförderten Strategien (sog. Booster-Sit- Förderansätze zur Überwindung von Lese-Rechtschreib-
zung) sieben Monate nach Abschluss der Trainingsphase Schwierigkeiten basierten schon auf der Annahme, dass
weiter verbessert werden. Probleme im Schriftspracherwerb primär auf mangelnden
Fähigkeiten der Lautanalyse, -artikulation und -unter-
scheidung beziehungsweise einer Lautdifferenzierungs-
16.4 Förderung von Vorläuferfertigkeiten und Wortaufgliederungsschwäche basieren (Kossakowski,
des Schriftspracherwerbs 1962; Kossow, 1972). In den folgenden Jahrzehnten hat sich
die internationale Forschung intensiv mit der phonologi-
Zum Schulanfang bringen Kinder unterschiedliche Fä- schen Bewusstheit befasst und ihre Rolle als bedeutsame
higkeiten mit, die für den Erwerb der Lese- und Recht- Voraussetzung für das Lesen- und Schreibenlernen viel-
schreibkompetenz bedeutsam sind. Sie verfügen bereits fach bestätigt (z. B. Bradley & Bryant, 1985; de Jong & van
im Vorschulalter über sprachliche, auditive, visuelle und der Leij, 1999; Ennemoser et al., 2012; Landerl & Wimmer,
motorische Fähigkeiten, auf die beim späteren Lesen- 1994; Lundberg, Olofsson & Wall, 1980; Mann & Liber-
und Schreibenlernen zurückgegriffen werden muss. Eine man, 1984; Lyytinen et al., 2004; Schneider & Näslund,
Schlüsselrolle kommt dabei der Einsicht in die Lautstruk- 1993, 1999; Vellutino & Scanlon, 1987; Schneider, Roth &
tur der Sprache zu, der sogenannten phonologischen Ennemoser, 2000; Krajewski, Schneider & Nieding, 2008).
Bewusstheit (Wagner & Torgesen, 1987). Damit gemeint Allerdings wurde die Annahme, dass es sich bei der
ist die Fähigkeit, den sprachlichen „Lautstrom“ in kleinere phonologischen Bewusstheit um eine Vorläuferfertigkeit
Einheiten zerlegen und mit diesen Einheiten operieren zu des Schriftspracherwerbs handelt, im Forschungsverlauf
können. Sie äußert sich beispielsweise darin, dass ein Kind auch angezweifelt. In den betreffenden Arbeiten wurde ar-
384 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

gumentiert, dass sich die phonologische Bewusstheit erst erst mit der Einführung in das alphabetische Prinzip. Die
1 durch die Auseinandersetzung mit dem alphabetischen gelernten Buchstaben stehen nun als externe Repräsentan-
Schriftsystem entwickelt und somit eher eine Folge als ten für bestimmte Phoneme zur Verfügung (Buchstabe-
2 eine Ursache für den ungestörten Schriftspracherwerb sei Laut-Verknüpfung). Durch die Verknüpfung eines Buch-
(z. B. Morais, Cary, Alegria & Bertelson, 1979). Der ver- stabens mit dem zugehörigen Laut wird es für die Kinder
meintliche Widerspruch konnte durch eine differenziertere leichter, das betreffende Phonem als abstrakte, aus dem
3 Betrachtung der phonologischen Bewusstheit aufgelöst Sprachfluss heraus isolierbare Einheit zu begreifen und es
werden. So wird nun unterschieden zwischen der pho- beispielsweise in einem gehörten Wort zu identifizieren.
4 nologischen Bewusstheit im weiteren Sinne und der pho- Die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne ent-
nologischen Bewusstheit im engeren Sinne (Skowronek & wickelt sich also erst im Wechselspiel mit der expliziten
5 Marx, 1989). Schriftsprachinstruktion (Küspert et al., 2007; Schneider,
1997).
Definition 
6 Einteilung der phonologischen Bewusstheit nach >> Für die Mobilisierung der in der phonologischen
Skowronek und Marx (1989): Bewusstheit liegenden Förderpotenziale hat das
7 Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn be- Wechselspiel mit der Buchstabeninstruktion weitrei-
zieht sich auf die Fähigkeit, den Lautstrom in größere chende Konsequenzen, denn es macht deutlich, dass

8 sprachliche Einheiten zu unterteilen und diese zu


manipulieren. Sie ermöglicht es beispielsweise, Wör-
eine Förderung der phonologischen Bewusstheit (im
engeren Sinne) sinnvollerweise an die Vermittlung
ter in Sätzen zu isolieren, sie in Silben zu zergliedern von Buchstabenkenntnissen gekoppelt werden
9 oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusst- sollte.
heit im engeren Sinn bezeichnet die Einsicht, dass
10 sich der Sprachfluss in noch kleinere, abstrakte Dies wird auch durch Befunde zur phonologischen Ver-
Einheiten – einzelne Laute bzw. Phoneme – zerlegen knüpfungshypothese bestätigt, aus denen hervorgeht,
lässt, weshalb sie auch als phonemische Bewusstheit dass die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung der
11 bezeichnet wird. Phonologische Bewusstheit im phonologischen Bewusstheit durch die Verknüpfung mit
engeren Sinne ist beispielsweise erforderlich, um den einem Buchstaben-Laut-Training deutlich verbessert wer-
12 Anlaut eines Wortes identifizieren zu können, einzeln den kann (Hatcher, Hulme & Ellis, 1994; Schneider, Roth
vorgesprochene Laute zu einem Wort zusammenzu- & Ennemoser, 2000).
13 schleifen (Phonemsynthese) oder ein Wort in seine
Einzellaute zu zerlegen (Phonemanalyse). Präventive Potenziale der phonologischen
Bewusstheit und ihre Grenzen
14 In den letzten Jahrzehnten sind zahlreiche Forschungsar-
Mit Blick auf das oben angesprochene Henne-Ei-Problem beiten publiziert worden, die sich mit der Bedeutung der
15 wird heute davon ausgegangen, dass sich die phonologi- phonologischen Bewusstheit befassen. Durch diese starke
sche Bewusstheit im weiteren Sinn grundsätzlich auch Fokussierung ist allerdings etwas aus dem Blick geraten,
ohne spezielle Schriftsprachinstruktion im Kindergarten- dass die in der phonologischen Bewusstheit liegenden Prä-
16 alter entwickelt. Sie bezieht sich lediglich auf die Verar- ventionspotenziale für den Schriftspracherwerb auch klare
beitung natürlicher, bedeutungstragender sprachlicher Grenzen haben. Diese Grenzen werden besonders deutlich,
17 Einheiten, die keinerlei Einsicht in das (abstrakte) alpha- wenn man sich zunächst vor Augen führt, welche kogniti-
betische Schriftsystem erfordern. Die Entwicklung der ven Prozesse (später in der Schule) am sinnentnehmenden
phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn geht dem Lesen eines Textes beteiligt sind, und anschließend analy-
18 Schriftspracherwerb voraus und kann somit tatsächlich siert, welche dieser Prozesse durch eine gute phonologische
als Voraussetzung beziehungsweise als Vorläuferfertigkeit Bewusstheit begünstigt werden. Aus einer solchen Analyse
19 für das Lesen- und Schreibenlernen bezeichnet werden. des Wirkmechanismus lässt sich theoretisch differenziert
Demgegenüber erfordert die phonologische Bewusstheit ableiten, wo genau die Förderpotenziale der phonologi-
20 im engeren Sinn den Umgang mit Phonemen, also mit schen Bewusstheit liegen – und wo sie an ihre Grenzen
abstrakten sprachlichen Einheiten, die keine bedeutungs- stoßen, sodass gegebenenfalls eine Ergänzung durch an-
tragende (sondern lediglich eine bedeutungsunterschei- dere Maßnahmen sinnvoll ist.
21 dende) Funktion haben. Grundsätzlich kann sich zwar Im Erstunterricht geht es zunächst um den Erwerb ba-
auch diese Fähigkeit bereits vor dem Schriftspracherwerb saler Lesefertigkeiten; das Verstehen von Texten steht hier
22 herausbilden; im Allgemeinen geschieht dies jedoch le- noch im Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt bestehen die
diglich rudimentär. Der größte Entwicklungsschub erfolgt zentralen Herausforderungen etwa darin, eine vorgegebene
16.4  •  Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs
385 16

Buchstabensequenz (d. h. ein geschriebenes Wort) in eine Exkurs  |       | 


lautliche Entsprechung zu übersetzen. Dieser Vorgang, der
als phonologische Rekodierung bezeichnet wird, erfordert Einflüsse von phonologischer Bewusstheit vs.
allgemeiner Sprachkompetenz auf das spätere
den Abruf gelernter Buchstabe-Laut-Beziehungen sowie
Leseverständnis
das „Zusammenschleifen“ der durch die vorliegende Buch-
Ennemoser und Kollegen (2012) analysierten die Daten
stabensequenz repräsentierten Einzellaute (phonologische zweier Längsschnittstudien, um die Einflüsse der phonologi-
Bewusstheit). Das resultierende Klangbild kann dann mit schen Bewusstheit und der allgemeinen Sprachkompetenz
dem mentalen Lexikon abgeglichen werden, wodurch – auf die Lesekompetenzentwicklung in der Schule zu unter-
sofern eine Übereinstimmung mit einem bekannten Wort suchen. In beiden Studien erwies sich die phonologische
gefunden wird – der Zugriff auf die Wortbedeutung erfol- Bewusstheit im Kindergarten als starker Prädiktor für die
Dekodierfertigkeiten am Ende der 1. Klasse. Diese beeinfluss-
gen kann (Dekodierung). In diese basalen Leseprozesse ten wiederum das in der 4. Klasse erfasste Leseverständnis.
des Rekodierens und Dekodierens ist die phonologische Die phonologische Bewusstheit hatte somit einen indirekten
Bewusstheit unmittelbar involviert, das heißt, sie hat einen Effekt auf das spätere Leseverstehen. Demgegenüber hatten
direkten Einfluss auf die Effizienz dieser Prozesse. die im Kindergartenalter erhobenen sprachlichen Kompe-
Auf indirektem Wege nimmt die phonologische Be- tenzen („oberhalb“ der phonologischen Ebene) zwar noch
keinen signifikanten Einfluss auf die anfänglichen Dekodier-
wusstheit damit auch Einfluss auf Verstehensprozesse fertigkeiten. Im erst vier Jahre später erfassten Leseverständ-
oberhalb der Wortebene (z. B. Bildung lokaler und globaler nis klärten sie allerdings ebenso viel Varianz auf wie die De-
Kohärenz, Aufbau eines Situationsmodells; vgl. van Dijk & kodierleistung in der 1. Klasse. Diese Befunde deuten darauf
Kintsch, 1983). Denn insbesondere in frühen Erwerbspha- hin, dass die phonologische Bewusstheit einen wichtigen,
aber keinesfalls hinreichenden Ansatzpunkt für präventive
sen beeinflusst die Effizienz basaler Dekodierfertigkeiten
Maßnahmen im Vorschulalter darstellt.
das Leseverstehen noch maßgeblich (Perfetti, 1985). Eine
Schlüsselrolle nimmt hierbei das Arbeitsgedächtnis ein.
Der anfänglich mühevolle Vorgang der phonologischen
Rekodierung stellt eine große Belastung für das Arbeits- „Einflüsse von phonologischer Bewusstheit vs. allgemeiner
gedächtnis dar, sodass nur begrenzte Ressourcen für das Sprachkompetenz auf das spätere Leseverständnis“).
Leseverstehen zur Verfügung stehen. Wenn der Reko- Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für
diervorgang durch eine gute phonologische Bewusstheit die Potenziale phonologisch orientierter Fördermaßnah-
erleichtert wird, werden Arbeitsgedächtnisressourcen für men ziehen? Trainings der phonologischen Bewusstheit
hierarchiehöhere Verstehensprozesse freigesetzt, was letzt- erleichtern den Einstieg in den Schriftspracherwerb. Sie
lich in einem besseren Leseverständnis resultiert. begünstigen den Erwerb des alphabetischen Prinzips und
Obwohl die phonologische Bewusstheit also (lediglich) damit insbesondere basale Prozesse der phonologischen
basale Leseprozesse beeinflusst, nimmt sie doch einen Rekodierung und des Dekodierens. Vor allem in frühen
– wenn auch nur indirekten – Einfluss auf das Lesever- Erwerbsphasen sollte sich dies auch in verbesserten Lese-
ständnis. Dennoch greift ein rein phonologisch orientierter verständnisleistungen niederschlagen. Mit stetig wachsen-
Präventionsansatz speziell im Hinblick auf die langfristige den Dekodierfertigkeiten sollte sich dieser Effekt jedoch
Leseverständnisentwicklung zu kurz. Diese Einschätzung zunehmend erschöpfen, da dann nicht mehr die Effizienz
lässt sich mit dem „Simple View of Reading“ begründen des Dekodierens, sondern das vorhandene Sprachverständ-
(Gough & Tunmer, 1986; Hoover & Gough, 1990), dem nis den leistungslimitierenden Faktor darstellt. Im ungüns-
zufolge das Leseverständnis ein Produkt aus Dekodier- tigen Fall ist ein Kind nun zwar in der Lage Wörter flüssig
fertigkeit und Hörverstehen ist. Das heißt, sobald die zu dekodieren, das Textverständnis bleibt aber dennoch
Dekodierfertigkeiten hinreichend automatisiert sind (ein- auf einem unzureichenden Niveau, weil das hierfür erfor-
zelne Wörter also zügig und ohne größere Mühen erlesen derliche Sprachverständnis fehlt. Wenn durch präventive
werden können), stellen sie keinen leistungslimitierenden Maßnahmen nachhaltig bessere Ausgangsbedingungen für
Faktor mehr dar. Stattdessen gewinnt nun das das Hör- die Leseverständnisentwicklung in der Schule geschaffen
beziehungsweise Sprachverständnis eine immer größere werden sollen, muss demnach neben der phonologischen
Bedeutung. Genau genommen stellt das Hörverstehen be- Bewusstheit auch die allgemeine Sprachkompetenz bezie-
reits von Anfang an die Obergrenze für das Leseverstehen hungsweise das Hörverstehen gezielt gefördert werden.
dar (Marx & Jungmann, 2000). Der maßgelbliche Einfluss Analog gelten diese Überlegungen für die Schreibkom-
des Hörverstehens kann jedoch anfänglich noch gar nicht petenz. Auch hier beschränkt sich das Einflusspotenzial
sichtbar werden, da mit dem Schuleintritt zunächst einmal der phonologischen Bewusstheit auf den Erwerb des abs-
– notwendigerweise – der Erwerb des schriftsprachlichen trakten schriftsprachlichen Symbolsystems. Dies befähigt
Symbolsystems und damit basaler Dekodierfertigkeiten zwar zur „Übersetzung“ von sprachlich formulierten In-
im Vordergrund steht (Ennemoser et al., 2012; ▶  Exkurs halten in die Schriftsprache und erfüllt damit zweifellos
386 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

eine außerordentlich wichtige Funktion. Es ersetzt jedoch inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, z. B. Schnecke
1 nicht die Notwendigkeit einer angemessenen sprachlichen – Ecke). In Übungen zu Sätzen und Wörtern sollen die
Ausdrucksfähigkeit beziehungsweise der hierfür erforder- Kinder unter anderem eine Vorstellung davon erhalten,
2 lichen lexikalischen und morphologisch-syntaktischen dass Wörter nicht nur zu Sätzen, sondern auch zu neuen
Kompetenzen (▶ Abschn. 16.2). Wörtern zusammengesetzt werden (z. B. „Schnee“ und
„Mann“ ergeben „Schneemann“) und umgekehrt manche
3 Wörter in kleinere Wörter zerlegt werden können („Fuß-
16.4.2 Möglichkeiten einer effektiven ball“ besteht aus „Fuß“ und „Ball“). In den anschließen-
4 Förderung von phonologischer den Silbenspielen wird dieses Prinzip fortgeführt, wobei
Bewusstheit und Buchstaben-Laut- Wörter nun nicht mehr in andere Wörter, sondern in
Zuordnung
5 Silben zerlegt und durch motorische Elemente wie Hän-
deklatschen, Tanzen und Marschieren rhythmisch betont
Um Kindern den Einstieg in den Schriftspracherwerb zu oder künstlich auseinandergezogene Silben zu Wörtern
6 erleichtern, sollten sie dazu in die Lage versetzt werden, zusammengesetzt werden sollen (z. B. „Scho-ko-la-de“ zu
den Sprachfluss in Sätze, Wörter, Silben (phonologische „Schokolade“).
7 Bewusstheit im weiteren Sinn) und schließlich in einzelne Der Bereich phonologische Bewusstheit im engeren
Laute zerlegen (phonologische Bewusstheit im engeren Sinn beinhaltet zunächst Übungen zur Identifikation des
Sinn) sowie mit diesen Segmenten operieren zu können. Anfangslauts. Hier sind die Kinder herausgefordert, auf-
8 Darüber hinaus sollten die Kinder Buchstaben kennenler- merksam auf den Anfang eines Wortes zu hören, um den
nen und verstehen, dass die Einzellaute der gesprochenen ersten Laut bestimmen zu können (z. B. Rrrrrreis → /r/).
9 Sprache verschiedenen schriftlichen Zeichen – den Buch- Zudem lernen die Kinder – ähnlich wie bei den Silben –,
staben – zugeordnet werden können (Buchstaben-Laut- dass Anfangslaute entfernt oder hinzugenommen werden
10 Zuordnung). Wie dies konkret umgesetzt werden kann, können und dass dadurch neue Wörter mit anderer Bedeu-
wird im Folgenden exemplarisch anhand von zwei aufein- tung entstehen (z. B. „rot“ - „B...rot“). Schließlich folgen die
ander aufbauenden Programmen dargestellt. abstrakteren Aufgaben zur Phonemanalyse und -synthese.
11 Hier lauschen die Kinder beispielsweise einem Kobold, der
Förderung von phonologischer Bewusstheit – wie ein Roboter – Wörter so ausspricht, als seien sie in
12 Das Förderprogramm „Hören, lauschen, lernen“ (HLL; ihre Laute zerlegt (z. B. /n/ - /a/ - /s/ - /e/). Die Aufgabe
Küspert & Schneider, 2006) wurde in Anlehnung an ein der Kinder besteht darin, die Einzellaute zu einem Wort
skandinavisches Training entwickelt, das sich zuvor im zu verbinden (Phonemsynthese). Umgekehrt sollen die
13 Rahmen einer viel beachteten Interventionsstudie em- Kinder Wörter in ihre Einzellaute zerlegen, das heißt, sie
pirisch bewährt hatte (Lundberg, Frost und Peterson, in lautierter Form aufsagen und dabei für jeden einzelnen
14 1988). Das Training wird im letzten Kindergartenjahr Laut ein Klötzchen legen (Phonemanalyse).
durchgeführt und umfasst tägliche Fördersitzungen über
Förderung der Buchstaben-Laut-Zuordnung
15 einen Zeitraum von 20 Wochen. Das Programm besteht
aus spielerischen Übungen zu beiden Bereichen der pho- Um das Training der phonologischen Bewusstheit – wie
nologischen Bewusstheit, die systematisch aufeinander in den vorangegangenen Abschnitten gefordert – mit
16 aufbauen (. Abb. 16.4). In den ersten Wochen stehen der Vermittlung von Buchstaben-Laut-Zuordnungen
zunächst verschiedene Spiele zur phonologischen Be- zu verknüpfen, kann das Ergänzungsprogramm „Hö-
17 wusstheit im weiteren Sinn (Reimen, Sätze und Wörter, ren, lauschen, lernen 2“ herangezogen werden (HLL 2;
Silben) auf dem Programm, bevor im Anschluss die pho- Plume & Schneider, 2004). Das an eine amerikanische
nologische Bewusstheit im engeren Sinn immer stärker Trainingskonzeption von Ball und Blachman (1991) ange-
18 in den Fokus genommen wird (Anlaut, Phonem). Die lehnte Programm wird in den letzten zehn Trainingswo-
vorgeschalteten Lauschspiele dienen dazu, die Kinder chen des HLL in dessen Durchführung integriert (Roth,
19 für das genaue Hinhören zu sensibilisieren, indem ihre 1999). Das Training umfasst nicht das gesamte Alphabet,
Aufmerksamkeit auf akustische Reize in ihrer Umgebung sondern konzentriert sich auf jene 12 Buchstaben, die im
20 gelenkt wird. deutschen Sprachgebrauch am häufigsten vorkommen
Im Bereich phonologische Bewusstheit im weiteren (A, E, M, I, O, R, U, S, L, B, T, N). Die entsprechenden
Sinn finden sich Reimspiele, die den Kindern verdeutli- Buchstabe-Laut-Beziehungen werden in zwei Schritten
21 chen sollen, dass Wörter klangliche Ähnlichkeiten aufwei- verdeutlicht (. Abb. 16.4). Zunächst werden die Buch-
sen können (sich reimen), was zugleich bedeutet, dass ein staben anhand kurzer Geschichten eingeführt. Diese
22 Wort in Teile untergliedert werden kann, die sich auch in Geschichten sind allesamt dadurch gekennzeichnet, dass
anderen Wörtern wiederfinden (selbst wenn diese Wörter jeweils ein bestimmter markanter Laut eine zentrale Rolle
16.4  •  Förderung von Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracherwerbs
387 16


   
        
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.. Abb. 16.4  Die drei Ziele früher schriftsprachlicher Förderung, exemplarisch dargestellt an den Förderprogrammen HLL („Hören, lauschen,
lernen“; Küspert & Schneider, 2006) und HLL 2 („Hören, lauschen, lernen 2“; Plume & Schneider, 2004)
388 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

spielt, der anschließend von den Kindern nachgeahmt den Erwerb des schriftsprachlichen Symbolsystems be-
1 werden soll. So geht es beispielsweise um einen Zahnarzt- günstigen, aber naturgemäß nichts dazu beitragen können,
besuch, anlässlich dessen die Kinder laut /aaaaa/ sagen das Hörverstehen zu verbessern, das – in langfristiger Per-
2 müssen. Dem jeweils fokussierten Laut wird in diesem spektive – die letztendliche Obergrenze für das Leseverste-
Zusammenhang auch gleich der entsprechende Buch- hen markiert. Frühe Präventionsmaßnahmen sollten sich
stabe („A“) zugeordnet. Anschließend lernen die Kinder, daher nicht lediglich auf eine Förderung der phonologi-
3 dass diese Laute nicht nur isoliert vorkommen, sondern schen Bewusstheit beschränken, sondern sich auch auf die
tatsächlich in vielen Wörtern enthalten sind. Zu diesem Sprachkompetenz erstrecken.
4 Zweck müssen etwa bildlich dargestellte Objekte benannt,
der Anlaut des entsprechenden Wortes identifiziert und
16.5 Förderung mathematischer
5 dem richtigen Buchstaben zugeordnet werden. Die um-
Kompetenzen im Kindergarten
gekehrte Aufgabe besteht darin, Buchstaben bestimmten
Objektbildern zuzuordnen, deren Bezeichnung mit dem und im Schuleingangsbereich
6 korrespondierenden Anlaut beginnt (z. B. das A dem Ap-
fel). Ziel des Ergänzungsprogramms HLL 2 ist es also, Wie bei der schriftsprachlichen Förderung sollten auch
7 dass die Kinder das Zuordnungsprinzip zwischen Lauten Präventionsmaßnahmen zur mathematischen Kompetenz­
und Buchstaben erkennen. entwicklung auf Vorläuferkompetenzen abzielen, die im
Anfangsunterricht mehr oder weniger vorausgesetzt wer-
8 den, aber eben nicht bei allen Kindern vorhanden sind.
16.4.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit Das Pendant zur phonologischen Bewusstheit stellen hier
9 der Förderung von phonologischer Zahl-Größen-Kompetenzen dar, die häufig auch als mathe-
Bewusstheit und Buchstaben-Laut- matische Basiskompetenzen bezeichnet werden.
Zuordnung
10 Definition 
Die Wirksamkeit von Trainings der phonologischen Be- Zahl-Größen-Kompetenzen bezeichnen die Ent-
11 wusstheit kann als empirisch sehr gut belegt gelten. Zahl- wicklungsschritte auf dem Weg zum Verständnis der
reiche Interventionsstudien zeigen, dass die Fördermaß- Zahlen. Dies umfasst zunächst die bloße Kenntnis von
12 nahmen nicht nur eine Verbesserung der phonologischen Zahlwörtern und Ziffern sowie darauf aufbauend das
Bewusstheit bewirken, sondern dass die Fördereffekte Verständnis dafür, dass Zahlen Mengen und Mengen-
auch langfristig in verbesserten Schriftsprachkompeten-
13 zen resultieren (z. B. Lundberg, Frost & Peterson, 1988;
relationen – beziehungsweise allgemeiner Größen
und Größenrelationen – repräsentieren (vgl. Krajewski
Schneider, Küspert, Roth, Visé & Marx, 1997). Insbeson- & Ennemoser, 2013).
14 dere konnte gezeigt werden, dass diese Effekte auch bei
Risikokindern zum Tragen kommen, die eine schwache
15 phonologische Informationsverarbeitung und damit eine Wenn ein Kind dieses Verständnis zum Schuleintritt
besonders ungünstige Ausgangslage aufweisen (Schneider noch nicht erworben hat, bringt es ein deutlich erhöhtes
et al., 2000). Eine Förderung der phonologischen Bewusst- Risiko für spätere Rechenschwierigkeiten mit (Krajewski
16 heit ist demnach nicht nur als primär- sondern auch als & Schneider, 2009a), denn im konventionellen Anfangs-
sekundärpräventive Maßnahme wirksam und führt zu unterricht wird vergleichsweise schnell mit dem Rechnen
17 einem substanziell verminderten Anteil von Kindern mit begonnen. Das heißt, es werden kaum nennenswerte Be-
Lese-Recht-Schreibschwierigkeiten. Allerdings deuten die mühungen investiert um sicherzustellen, dass die Kinder
Befunde auch darauf hin, dass phonologisch orientierte grundlegende Zahl-Größen-Kompetenzen aufbauen und
18 Fördermaßnahmen mit einem Buchstaben-Laut-Training festigen konnten. Grundschulkinder mit Schwierigkeiten
kombiniert werden sollten, da in diesem Fall mit deutlich im Rechnen weisen üblicherweise eine in diesem Sinne
19 größeren Effekten zu rechnen ist (Ball & Blachmann, 1991; verzögerte mathematische Entwicklung auf. Sie haben
Bus & van IJzendoorn, 1999; Hatcher et. al, 1994; Schnei- noch nicht verstanden, dass hinter Zahlen Mengen oder
20 der et al., 2000). Größen stehen (Größenverständnis von Zahlen). Ohne
Auch für die in der einschlägigen Forschung lange Zeit diese Einsicht können sie weder Additions- noch Subtrak-
vernachlässigte Zielgruppe der Migrantenkinder liegen in- tionsaufgaben verständnisbasiert lösen und sind folglich
21 zwischen ermutigende Befunde vor (Armand, Lefrancois, auch mit Sachaufgaben oder komplexeren Rechenoperatio-
Baron, Gomez & Nuckle, 2004; Stuart, 1999, 2004; Blatter nen völlig überfordert. Ziel der Frühförderung sollte es da-
22 et al., 2013; Weber, Marx und Schneider, 2007). Grenzen her sein, das Verständnis für Zahl-Größen-Verknüpfungen
phonologischer Trainings liegen darin, dass sie lediglich spätestens bis Schulbeginn aufzubauen.
16.5  •  Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich
389 16
16.5.1 Die Bedeutung von Zahl- führt, Mengen und Größen in entsprechende Zahlwörter
Größen-Kompetenzen und Ziffern übersetzen zu können und umgekehrt (z. B. von
in der mathematischen Entwicklung Aster & Shalev, 2007; Dehaene, Molko, Cohen & Wilson,
2004; Landerl, Bevan & Butterworth, 2004). Nach diesen
Inzwischen liegen zahlreiche Studien vor, die die Bedeu- Modellvorstellungen nehmen normal entwickelte Kinder
tung der Zahl-Größen-Kompetenzen für das Rechnenler- also von Geburt an Stückzahlen wahr, die sie aufgrund feh-
nen belegen. Sie zeigen unter anderem, dass diese Kom- lender Wörter nur noch nicht benennen können. Mit den
petenzen eine deutlich größere Rolle für die schulischen später gelernten Zahlwörtern jedoch (z. B. „drei“, „zwei“)
Mathematikleistungen spielen als beispielsweise die Intel- werden die zugehörigen Bezeichnungen geliefert, die ein
ligenz oder Fähigkeiten des Arbeitsgedächtnisses (z. B. Jor- Kind dann sofort problemlos den entsprechenden Stück-
dan, Glutting & Ramineni, 2010; Krajewski & Schneider, zahlen (z. B. drei Murmeln, zwei Schachteln) zuordnet.
2006, 2009b; Stern, 2003; von Aster, Schweiter & Weinhold
Zulauf, 2007). So konnte etwa in zwei unabhängigen Lang- Auffassung 2: Unzureichend entwickelte
zeitstudien mithilfe der im Vorschulalter erfassten Zahl- Zahl-Größen-Verknüpfung als Ursache
Größen-Kompetenzen jeweils ein Viertel der Unterschiede von Rechenschwierigkeiten
in den drei und vier Jahre später erfassten Mathematikleis- Dem Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung
tungen erklärt werden, während Intelligenz oder Arbeits- (ZGV-Modell) zufolge basiert die oben beschriebene An-
gedächtnisfähigkeiten keinen direkten Einfluss auf die Ma- nahme, dass einzelne Zahlwörter nach dem Erlernen sofort
thematikleistungen hatten (Krajewski & Schneider, 2006, entsprechenden Stückzahlen zugeordnet werden können,
2009b). Zahl-Größen-Kompetenzen stellen somit einen auf unzulässigen Kompetenzzuschreibungen, da allein
wesentlichen Grundpfeiler in der mathematischen Ent- das Aufsagen von Zahlwörtern oder einer Zahlwortfolge
wicklung und einen potenziellen Ursachenfaktor für die keinesfalls auf ein vorhandenes Zahlverständnis schließen
Entwicklung einer Rechenstörung dar. Dennoch existieren lasse (Prinzip der minimalistischen Kompetenzzuschrei-
in der Literatur unterschiedliche Auffassungen darüber, wo bung; Krajewski & Ennemoser, 2013). Anstelle eines an-
genau die Ursache von Rechenstörungen zu lokalisieren ist. geborenen Zahlensinns wird hier postuliert, dass jedes
Kind den „Zahlensinn“ und das Verständnis dafür, dass
Auffassung 1: Defekter angeborener Stückzahlen und Größen mit (Zahl-)Wörtern belegt wer-
Zahlensinn als Ursache von den können, erst erwerben muss. Den Erwerbsverlauf be-
Rechenschwierigkeiten schreibt das Modell über drei Kompetenzebenen, die durch
Viele Forscher gehen davon aus, dass Kinder bereits dann eine zunehmende Verknüpfung von Zahlen mit Größen
die Bedeutung von Zahlwörtern verstehen, wenn sie diese und Größenrelationen charakterisiert sind (▶ Exkurs „Ent-
erstmalig einzeln aufsagen (z. B. Fuson, 1988; Resnick, wicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell;
1989; von Aster & Shalev, 2007; Fritz & Ricken, 2008; Krajewski, 2007, 2013)“; . Abb. 16.5). Defizite in dieser –
Kaufmann & von Aster, 2012). Wiederholt ein Kind bei- potenziell von außen steuerbaren – Entwicklung werden
spielsweise die Handlung seiner Mutter, indem es „drei“ als Ursache von Rechenstörungen gesehen. Den Ausgangs-
sagt und dabei auf drei Clementinen zeigt, meint das Kind punkt dieses Ansatzes bilden Studien, die einen angebore-
dieser Auffassung folgend sofort die Anzahl „drei“ und nen „(An-)Zahlensinn“ in Zweifel ziehen und nahe legen,
nicht die Clementinen oder deren andere Eigenschaften. dass Säuglinge zwar zwischen Flächen und Volumen von
Dementsprechend müsste ein Kind im Laufe seiner ma- Mengen, nicht aber zwischen Stückzahlen differenzieren
thematischen Entwicklung lediglich noch verstehen, dass können (z. B. Clearfield & Mix, 1999; Feigenson, Carey &
Zahlen auch für Unterschiede, Veränderungen und Relatio- Spelke, 2002).
nen zwischen Mengen stehen (Resnick, 1989; Fuson, 1988) Das ZGV-Modell geht also davon aus, dass ein Zahlen-
und zudem ins visuell-arabische Ziffernsystem und in eine sinn (bzw. ein „Zahldefekt“) nicht angeboren ist, sondern
innere Zahlenstrahlvorstellung übersetzt werden können sich im natürlichen Entwicklungsverlauf erst herausbil-
(von Aster & Shalev, 2007). Dieser Grundgedanke, wonach det. Damit eröffnet es einen Ansatzpunkt für präventive
Kinder Zahlwörter sofort als „Label“ für eine betrachtete Fördermaßnahmen, der in der Forschung aufgrund allzu
Menge erkennen, beruht auf der Annahme, dass Neuge- optimistischer Kompetenzzuschreibungen lange Zeit völlig
borene zwischen Stückzahlen unterscheiden können und übersehen wurde (und in Teilen auch heute noch überse-
daher bereits mit einem Sinn für Anzahlen („Zahlensinn“) hen wird). Denn anders als bei Annahme eines angeboren
zur Welt kommen (z. B. Antell & Keating, 1983; Feigenson, „defekten Zahlensinns“ lässt sich daraus die Möglichkeit
Dehaene & Spelke, 2004). Ausschließlich rechengestörten ableiten, die Entwicklung eines Zahlensinns systematisch
Kindern wird hierbei ein angeborener „defekter Zahlen- zu fördern und so der Entstehung von Rechenschwierig-
sinn“ zugeschrieben, der nachfolgend auch zur Unfähigkeit keiten vorzubeugen.
390 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

Exkurs  |       | 
1
Entwicklungsmodell der Zahl-Größen-Verknüpfung (ZGV-Modell; Krajewski, 2007, 2013)
2 Kompetenzebene 1: Dem Prinzip der gebracht (Größenrepräsentation von um die präzise Größenrepräsentation auf
minimalistischen Kompetenzzuschreibun- Zahlen, einfaches Zahlverständnis; Ebene 2b zu erwerben.
gen folgend, wird im Modell der Zahl-Grö- Das Verständnis dafür, dass Zahlen Grö-
3 ßen-Verknüpfung lediglich die Fähigkeit
. Abb. 16.5). Hierdurch wird den Zahlen
ein numerischer Inhalt verliehen, sodass ßen repräsentieren, wird hier als der wich-
zur (nichtnumerischen) Größenunter- sie erstmals aufgrund ihrer „Größe“ tigste Meilenstein betrachtet, den Kinder

4 scheidung als angeboren betrachtet


und auf einer ersten Kompetenzebene
miteinander verglichen werden können.
Dieser Entwicklungsschritt vollzieht sich
bis zum Schuleintritt vollzogen haben
sollten. Dieses Verständnis stellt das Fun-
verortet. Die Fähigkeit zur Unterschei- üblicherweise in zwei Phasen. So ordnen dament dafür dar, dem mathematischen

5 dung von Anzahlen wird Säuglingen nicht


zugeschrieben. Darüber hinaus wird im
Kinder in der Phase der unpräzisen Grö-
ßenrepräsentation (Ebene 2a) Zahlwör-
Anfangsunterricht überhaupt folgen zu
können. Wie Untersuchungen mit rechen-
Modell postuliert, dass ein Kind ab etwa ter zunächst groben Größenkategorien schwachen Grundschülern zeigen, kann
6 zwei Jahren zwar dazu in der Lage sein
mag eine Zahlwortfolge aufzusagen, dass
zu (z. B. eins, zwei und drei der Kategorie im Fehlen dieses Entwicklungsschritts
das Kerndefizit einer Rechenschwäche
„wenig“, zwanzig und fünfundzwanzig
dies aber nicht notwendigerweise auf der Kategorie „viel“, hundert und tausend gesehen werden (Krajewski & Ennemoser,
7 ein Verständnis für die hinter den Zahlen
stehenden Anzahlen und Größen schlie-
der Kategorie „sehr viel“). Hierfür ist es 2013). Daher sollte in der Diagnostik und
Förderung bei Rechenschwäche und vor
weder notwendig, Mengen aufgrund
ßen lässt. Vielmehr kann die Abfolge auch ihrer exakten Stückzahl voneinander zu allem bei präventiven Fördermaßnahmen
8 ohne dieses Verständnis „nachgeplap- unterscheiden noch die Zahlwortfolge hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt
pert“ werden – ähnlich wie auch Gedichte exakt zu beherrschen. Vielmehr wird werden.
und Kinderreime aufgesagt werden eine noch sehr unpräzise Zuordnung Obwohl auf der zweiten Kompetenz­
9 können, ohne dass die wiedergegebenen von Zahlwörtern zu Mengen und Größen ebene Zahlen bereits mit Mengen und
Inhalte auch verstanden sein müssen. vorgenommen, wodurch weit auseinan- Größen verknüpft werden, entwickelt
Da ein fehlendes Sinnverständnis weder sich parallel hierzu das Verständnis für
10 ein Hindernis für das Auswendiglernen
der liegende Zahlen (nämlich diejenigen,
die nicht in dieselbe grobe Kategorie Größenrelationen zunächst noch ohne
von Gedichten oder Reimen noch für fallen), größenmäßig verglichen werden einen Bezug zu Zahlen. So gelangen
Kinder durch verschiedene Erfahrungen
11
das Aufsagen von Zahlwörtern darstellt, können. Im Beispiel könnte bereits an-
kann nach diesen Annahmen die korrekte gegeben werden, dass zwanzig weniger (oder eine entsprechende Förderung)
Zahlwortfolge vorwärts und rückwärts ist als hundert, weil „viel“ weniger ist als zur Einsicht, dass Mengen oder Größen

12 prinzipiell auch ohne eine Verknüpfung


mit Mengen und Größen erlernt werden.
„sehr viel“. Welche der beiden Zahlwörter
zwanzig („viel“) oder fünfundzwanzig
zueinander in Beziehung stehen und
beispielsweise eine größere Menge oder
So ist die erste Kompetenzebene dadurch (ebenfalls „viel“) mehr repräsentiert, Größe aus zwei kleineren Mengen oder

13 gekennzeichnet, dass Zahlwörter und


Mengen oder Größen noch nicht mitei-
könnte jedoch noch nicht entschieden
werden.
Größen zusammengesetzt werden kann
(. Abb. 16.5). Zahlwörter können für
nander in Verbindung gebracht werden. Dies wird erst in der Phase der präzi- diese Überlegungen allerdings noch nicht
14 Läuft ein Kind also beispielsweise die
Treppen hinauf und „zählt“ dabei laut
sen Größenrepräsentation (Ebene 2b) herangezogen werden.
Kompetenzebene 3: Damit der Übergang
möglich, wenn Zahlwörter durch genaue
„eins, zwei, drei, vier, …“, spiegelt dies Eins-zu-Eins-Zuordnung auch ihren zum Rechnen gelingt, müssen die Kinder
15 nach dem ZGV-Modell nicht zwangsläu-
fig, nur möglicherweise, wieder, dass das
exakten Anzahlen zugewiesen werden schließlich auch die zuletzt beschriebene
Einsicht mit Zahlen verknüpfen. Sie
können. Erst diese Fähigkeit ermöglicht
Kind beim Benennen der vierten Treppe es, eng nebeneinander liegende Zahlen müssen verstehen, dass Zahlen nicht nur
16 („vier“) auch versteht, dass es bereits vier anhand ihrer Größe zu unterscheiden Mengen und Größen abbilden, sondern
Stufen (= zugehörige Menge) erklommen (z. B. vierundzwanzig ist weniger als fünf- dass sie auch Größenrelationen zwischen
hat. Nach dieser Modellvorstellung ist undzwanzig). Im Gegensatz zur Phase der Zahlen beschreiben (tiefes Zahlverständ-
17 eine „Mengenbewusstheit von Zahlen“ unpräzisen Größenrepräsentation, in der nis). So müssen sie erkennen, dass der
beziehungsweise eine Zahl-Größen-Re- es etwa für einen Vergleich von „zwanzig“ Größenunterschied zwischen zwei Zahlen
präsentation für das Aufsagen einzelner (z. B. „drei“ und „fünf“) nicht nur mit „grö-
18 Zahlwörter oder der korrekten Zahlwort-
und „hundert“ nicht zwingend notwendig
ist, bis hundert zählen zu können, ist es ßer“ oder „kleiner“ bzw. „mehr“ oder „we-
folge also nicht notwendig. Dies kann in der Phase der präzisen Größenreprä- niger“ beschreibbar ist („drei sind kleiner/

19
auch ohne eine solche gelingen. sentation unabdingbar (im betreffenden weniger als fünf“, Ebene 2), sondern auch
Kompetenzebene 2: Erst auf einer Zahlenraum) die exakte Zahlwortfolge mit einer exakten Zahl angegeben wer-
zweiten Kompetenzstufe, die etwa zu beherrschen. Dies macht deutlich, den kann („drei sind zwei kleiner/weniger

20 ab dem Alter von drei bis vier Jahren


erworben wird, werden Zahlwörter – und
wie wichtig es ist die -- stur auswendig
lernbare -- Folge der einzelnen Zahlwör-
als fünf“) und dass eine Zahl aus anderen
Zahlen zusammengesetzt werden kann
gegebenenfalls auch schon Ziffern – mit ter (vorwärts wie rückwärts, Ebene 1) oder in diese zerlegbar ist (Ebene 3).

21 Mengen und Größen in Verbindung auch tatsächlich auswendig zu können

22
16.5  •  Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich
391 16
16.5.2 Möglichkeiten einer effektiven Exkurs  |       | 
Förderung von Zahl-Größen-
Kompetenzen Exkurs: Einfluss phonologischer Bewusstheit
auf die mathematische Entwicklung
Eine frühzeitige entwicklungsorientierte Förderung von Wie eine aktuelle Längsschnittuntersuchung von Krajewski,
Simanowski und Greiner (2013) zeigt, weisen Kinder, die
Zahl-Größen-Kompetenzen sollte zunächst entlang der als Vierjährige über eine gute phonologische Bewusstheit
im ZGV-Modell beschriebenen Entwicklungsebenen ge- im weiteren Sinn verfügen, als Fünfjährige auch einen
schehen. flexibleren Umgang mit der Zahlwortfolge auf als Kinder
mit schwächerer phonologischer Bewusstheit im weiteren
Entwicklungsorientierte Förderung Sinn. So wurden 45 % der Unterschiede im Aufsagen der
von Zahl-Größen-Kompetenzen Zahlwortfolge vorwärts und rückwärts sowie dem Bestim-
men von Vorgänger- und Nachfolgerzahlen (ZGV-Modell
Wie . Abb. 16.5 zeigt, sollten hierbei zunächst sprachli- Kompetenzebene 1) durch die vorher bestehenden Unter-
che Begriffe thematisiert werden, mit denen Unterschiede schiede in der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinn
zwischen Größen beschrieben werden können (Ebene 1). erklärt, also durch die Fähigkeit gesprochene Sätze in ihre
Anfangs sind dies insbesondere die Begriffe größer/ klei- einzelnen Wörter und Silben zerlegen oder Reime bilden zu
können. Eine gut ausgeprägte phonologische Bewusstheit
ner/ länger/ kürzer/ mehr/ weniger als. Darüber hinaus auf Wort- und Silbenebene hilft demnach, die üblicherweise
sollte mit den Kindern frühzeitig die Zahlwortfolge ein- zusammenhängend erlernte und aufgesagte Zahlwortfolge
geübt werden (Ebene 1). Dies sollte idealerweise so gut („einszweidreivierfünfsechs…“) in ihre einzelnen Bestandteile
gelingen, dass die Kinder diese nicht nur vorwärts („eins, zu zerlegen („eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, …“) und als
zwei, drei, …“) und rückwärts („zehn, neun, acht, …“) einzelne Zahlwörter zu begreifen.

aufsagen können. Vielmehr sollten sie auch zu einem


beliebigen Zahlwort (z. B. „vier“) problemlos das Nach-
folger- („fünf “) oder Vorgängerzahlwort („drei“) finden Die Bedeutung geeigneter
können. So wird sichergestellt, dass ein Kind die einzelnen Darstellungsmittel
Zahlwörter als separate Einheiten wahrnimmt (z. B. „vier, Im Rahmen der Förderung ist es wichtig, die zu erkennen-
fünf, sechs“) und nicht miteinander vermengt (z. B. zum den Größenverhältnisse von Zahlen hinreichend salient zu
vermeintlich dreisilbigen Zahlwort „vierfünfsechs“). Diese machen. Dies gilt insbesondere für Kinder mit Schwächen
Entwicklung scheint auch durch eine gut ausgeprägte pho- im Bereich der Aufmerksamkeitsregulation und des Ar-
nologische Bewusstheit im weiteren Sinn unterstützt zu beitsgedächtnisses. Aus diesem Grund ist eine sorgfältige
werden (Krajewski, Simanowski & Greiner, 2013; ▶ Exkurs Auswahl der Darstellungsmittel für die Zahlen erforder-
„Einfluss phonologischer Bewusstheit auf die mathematische lich.
Entwicklung“).
Die Förderung der Größenrepräsentation von Zahlen >> Die Veranschaulichung der Zahlen sollte idealerweise
(Ebene 2) sollte zunächst über die Zuordnung von Zahl- anhand von Mengen erfolgen, die aus gleichen
wörtern beziehungsweise Ziffernzahlen zu abzählbaren Elementen bestehen. Diese sollten sich durch nichts
Mengen erfolgen (z. B. „drei“ steht für ■■■, . Abb. 16.5). unterscheiden als allein durch ihre Anzahl (Krajewski
Wenn Kindern dies gelingt, kann sich der Größenver- & Ennemoser, 2013).
gleich von (An-)Zahlen anschließen (z. B. „drei sind we-
niger als fünf “). Bevor schließlich zu Ebene 3 übergegan- Wie die Veranschaulichungen in . Abb. 16.5 zeigen,
gen werden kann, sollte sichergestellt sein, dass die Kinder korrespondieren dargestellte Mengen (z. B. drei vs. fünf
sprachliche Begriffe, die für die Beschreibung von Grö- Rechtecke) nur dann exakt mit der Flächen- oder Vo-
ßenrelationen wichtig sind (z. B. „sind zusammen genauso lumenausdehnung beziehungsweise der „Größe“ der
viel/ groß/ lang wie“), sicher verwenden. So kann die För- jeweiligen Zahlen, wenn alle einzelnen Elemente der
derung schließlich darauf zielen, den Kindern bewusst zu Mengen identisch und damit gleich groß sind (hier z. B.
machen, dass eine (An-)Zahl nicht nur in kleinere (An-) Rechtecke: ■■■ vs. ■■■■■). Nur in diesem Fall gibt die Flä-
Zahlen zerlegt und aus diesen wieder zusammengesetzt chen- oder Volumenausdehnung der einzelnen Stück-
werden kann (z. B. „drei und zwei sind zusammen genauso zahlen auch das exakte Größenverhältnis der beiden zu
viele wie fünf “), sondern dass auch der Unterschied zwi- vergleichenden Zahlen wieder. Dies stellt ein sehr wichti-
schen zwei Zahlen wieder eine Zahl ist und dass diese ges Prinzip dar, um Kindern im wörtlichen Sinne Einsicht
Zahl den Größenunterschied zwischen den beiden ande- in die Größenverhältnisse der Zahlen und damit in die
ren Zahlen exakt angibt (z. B. „drei sind zwei weniger als Zahl-Größen-Verknüpfung (Ebene 2) sowie die Größen-
fünf “; Ebene 3). relationen zwischen Zahlen (z. B. drei sind zwei weniger
392 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

.. Abb. 16.5  Zunehmendes semantisches


1
  

       
Verständnis von Zahlwörtern und Ziffern
und zugehörige Förderziele in Anlehnung
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an das ZGV-Modell (Krajewski, 2007, 2013)
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15
16
17
als fünf; Ebene 3) zu ermöglichen. Dennoch finden sich
für den Kindergarten-, Vorschul- und Schuleingangs-
bereich nur wenige Materialien für die Beschäftigung
- Systematischer entwicklungsorientierter Aufbau
des Zahlverständnisses. Die Förderung sollte sich
an der Abfolge der natürlichen mathematischen Ent-
mit Zahlen, die diesem Prinzip folgen. Die Auffassung, wicklung orientieren (vgl. ZGV-Modell). Das heißt,
dass derart strukturiertes Material langweilig, nicht ab- es macht keinen Sinn, Rechenoperationen oder das
18 wechslungsreich genug und damit nicht kindgerecht sein Teile-Ganzes-Verständnis von Zahlen (Ebene 3) zu
könnte, führt dazu, dass die Materialien tatsächlich nicht fördern, wenn eine Größenrepräsentation von Zahlen
19 kindgerecht, weil nicht an der kindlichen Entwicklung (Ebene 2) oder gar ein flexibler Umgang mit der
orientiert sind (▶  Exkurs „Beispiel für irreführende Darstel- Zahlwortfolge (Ebene 1) noch nicht (sicher) vorhan-
20
21
lungsmittel“).

Anforderungen an mathematische
Präventionsmaßnahmen
- den sind.
Verwendung gleichartiger, abstrakter Veranschau-
lichungsmaterialien. Hierdurch wird sichergestellt,
dass quantitative Relationen zwischen den darge-
Zusammenfassend lassen sich folgende drei Anforderun- stellten Zahlen sichtbar werden. Wie im ▶ Exkurs
22 gen an eine mathematische Frühförderung ableiten (vgl. „Beispiel für irreführende Darstellungsmittel“ näher
Krajewski, 2008). beschrieben, sollten also nicht „Äpfel mit Birnen“,
16.5  •  Förderung mathematischer Kompetenzen im Kindergarten und im Schuleingangsbereich
393 16
.. Abb. 16.5 (Fortsetzung) Zunehmendes   

semantisches Verständnis von Zahlwörtern        
und Ziffern und zugehörige Förderziele in
           
Anlehnung an das ZGV-Modell (Krajewski,
   ­        ­      
2007, 2013)   
      
  
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‡ˆƒ ‰­ €  

Exkurs  |       |  sondern allenfalls Äpfel mit (exakt gleich großen,


exakt gleichfarbigen) Äpfeln verglichen werden.
Beispiel für irreführende Darstellungsmittel Besonders gut geeignet scheinen Materialien, die
Wenn Kinder noch kein Zahlverständnis (Ebene 2) erworben möglichst wenige „ablenkende“ Eigenschaften haben,
haben, sollten Darstellungsmittel zunächst so gewählt werden, wie beispielsweise einfarbige Chips oder Klötzchen.
dass numerische und räumliche Größen nicht, wie im darge- Hierdurch wird vermieden, dass Kinder irrelevante
stellten Beispiel (. Abb. 16.6), in Konflikt geraten. Gerade für Assoziationen mit Zahlen verbinden, wie dies insbe-
schwächere Kinder ist es schwer nachvollziehbar, warum die
sondere dann geschehen kann, wenn Zahlen bewusst
flächenmäßig größere Menge (3 Teller) „weniger“ sein soll als
die flächenmäßig kleinere (5 Nüsse). Zudem ist es gänzlich un- durch Phantasiegestalten repräsentiert werden (z. B.
möglich zu erkennen, dass von der hier flächenmäßig größe- wenn die Zahl 2 – aufgrund der gebogenen Halsform
ren Zahl drei (Teller) die Zahl zwei (Teller? Nüsse?) hinzukommt, – durch einen Schwan repräsentiert werden soll).
um die hier flächenmäßig kleinere Zahl fünf (Nüsse) zu erhal- Letzteres kann gerade bei rechenschwachen Kindern
ten. Die Verwendung verschiedenartiger Materialien erschwert
den Aufbau eines Zahlverständnisses systematisch er-
es also aufgrund von irrelevanten Verschiedenheitsaspekten
(Größe, Volumen, aber auch Farbe, Art, Funktion), Anzahlen als schweren. Denn die quantitativen Eigenschaften der
relevantes Unterscheidungsmerkmal von Zahlen zu erkennen Zahlen werden durch eine Einbettung in Phantasie-
und zwei Mengen aufgrund ihrer Stückzahl miteinander geschichten systematisch verschleiert, was langfristig
in Beziehung zu setzen. Nur wenn alle irrelevanten, nicht- zu schwächeren schulischen Rechenleistungen führen

-
zahlbezogenen Materialaspekte konstant gehalten werden,
kann (von Aster, 2005).
wird die Anzahl als Unterscheidungsmerkmal zwischen den zu
repräsentierenden Zahlen unmittelbar sichtbar. Verbalisierung mathematischer Inhalte. Um
sicherzustellen, dass die Kinder den numerischen
Gehalt von Zahlen in der Förderung nicht nur sehen
können, sondern diesen auch bewusst wahrnehmen,
verarbeiten und verstehen, ist es notwendig die zent-
ralen numerischen Inhalte auch sprachlich benennen
zu lassen. So sollten Verbalisierungen wie beispiels-
weise „[Zahlwort] ist größer/ kleiner als [Zahlwort]“,
.. Abb. 16.6
„[Zahlwort] sind mehr/ weniger als [Zahlwort]“ oder
394 Kapitel 16  •  Pädagogisch-psychologische Lernförderung im Kindergarten- und Einschulungsalter

„[Zahlwort] sind genauso viele wie [Zahlwort] und Entwicklung zu als eine Kontrollgruppe ohne Förderung
1 [Zahlwort] zusammen“ in der Förderung explizit sowie zwei Gruppen von Kindern, die ein allgemeines
verwendet werden. Denktraining oder eine andere mathematische Förde-
2 rung erhalten hatten (Krajewski et  al., 2008). Darüber
hinaus zeigten sich bei einer MZZ-Förderung von rechen-
16.5.3 Evaluationsstudien zur Wirksamkeit schwachen Erstklässlern beachtliche Transfereffekte auf
3 der Förderung von Zahl-Größen- die Mathematikleistungen der Kinder, die weder durch
Kompetenzen ein Lesetraining (Ennemoser & Krajewski, 2007) noch
4 durch ein allgemeines Denktraining (Sinner, 2011) er-
Es gibt einige Programme, die vereinzelte Aspekte der oben reicht werden konnten. Zeitverzögert auftretende, lang-
5 dargestellten Entwicklung von Zahl-Größen-Kompetenzen fristige Transfereffekte auf die schulischen Mathematik­
fördern. In aller Regel werden jedoch die hierbei genann- leistungen deuten darauf hin, dass durch eine Förderung
ten Anforderungen nicht umfänglich beachtet. Zudem mit dem Programm „Mengen, zählen, Zahlen“ zunächst
6 schließen die empirischen Wirksamkeitsuntersuchungen Entwicklungslücken im Zahlverständnis geschlossen wer-
– sofern vorhanden – neben ungeförderten Kontrollgrup- den konnten, woraufhin die Kinder anschließend auch
7 pen keine alternativ trainierten Kontrollgruppen ein, an- vom regulären Mathematikunterricht besser profitieren
hand derer sich Zuwendungseffekte kontrollieren und die konnten (Sinner, 2011).
tatsächlich auf das Training zurückzuführenden Effekte
8 quantifizieren ließen (z. B. „Zahlenzauber“, Clausen-Suhr,
Fazit
Schulz & Bricks, 2008; „Komm mit ins Zahlenland“, Fried-
9 rich & Munz, 2006). Die pädagogisch-psychologische Interventionsfor-
schung hat inzwischen eine Reihe theoretisch fundier-
Ein pädagogisch-psychologisches Programm, das die
ter Förderansätze hervorgebracht, die problemlos in
10 oben beschriebenen drei Kriterien hingegen erfüllt und in
die institutionellen Förderangebote des Kindergartens
kontrollierten Trainingsstudien umfassend empirisch eva-
implementierbar sind und deren präventive Potenziale
luiert wurde, ist das Förderprogramm „Mengen, zählen,
11 Zahlen“ (MZZ; Krajewski, Nieding & Schneider, 2007). Es für die spätere Schullaufbahn auch empirisch belegt
werden konnten. Am wenigsten zufriedenstellen kann
orientiert sich am ZGV-Modell und baut unter Rückgriff
12 auf die Zahlwortfolge (Ebene 1) systematisch zunächst eine die Lage im Bereich der Sprachförderung. Zwar liegen
hier (inzwischen auch für den deutschen Raum) posi-
Größenrepräsentation von Zahlen (Ebene 2) auf, bevor es
tive Befunde zum dialogischen Lesen vor, das auf der
auf das Verständnis von Zahlrelationen (Ebene 3) zielt.
13 Hierfür werden Darstellungsmittel verwendet, die für alle systematischen Anwendung einfacher Sprachlehrstra-
tegien basiert (Ennemoser et al., 2013). Allerdings ist zu
Zahlen gleich sind (z. B. Chips, Holzklötze), sodass sich
14 die dargestellten Mengen für unterschiedliche Zahlen nur vermuten, dass eine systematische, jeweils gezielt auf
bestimmte Ebenen der Sprachkompetenz fokussierte
in ihrer Anzahl und – damit exakt korrespondierend – in
Vorgehensweise zusätzliche Potenziale birgt. Diese
15 ihrer räumlichen Ausdehnung voneinander unterschei-
können jedoch durch undifferenzierte „Paketevaluatio-
den. Bei der Beschäftigung mit den Materialien wird gro-
nen“ nicht eindeutig ausgemacht werden und benöti-
ßer Wert darauf gelegt, dass die Kinder ihre Erkenntnisse
16 über die Zahlen auch verbalisieren (z. B. fünf sind [zwei] gen einen kleinschrittigeren Vorlauf an Interventions-
studien (für eine Kritik an so genannten „horse races“ in
mehr als drei; von einer zur nächsten Zahl kommt immer
17 eins dazu). der Evaluationsforschung vgl. Pressley & Harris, 1994).
Deutlich ermutigender sind die Befunde zur Förderung
Das Programm wird in 24 etwa halbstündigen Sit-
des induktiven Denkens, die zeigen, dass die entspre-
zungen über acht Wochen durchgeführt. Es hat sich für
18 die Förderung der Zahl-Größen-Kompetenzen im letz- chenden Maßnahmen langfristige Transfereffekte
zeigen, welche auch in erwarteter Weise auf ein breites
ten Kindergartenjahr (Krajewski, Nieding & Schneider,
19 2008), in Vorklassen (Ennemoser, 2010; Hasselhorn & Spektrum an Lernleistungen transferieren. Angesichts
der relativ eindeutigen Befundlage wäre jedoch eine
Linke-Hasselhorn, 2013) und bei Risikokindern in der
stärkere Dissemination in die institutionelle Förderpra-
20 ersten Klasse bewährt (Ennemoser & Krajewski, 2007;
xis wünschenswert.
Sinner, 2011). Inzwischen liegen auch für Lernhilfeschü-
Die Förderung der phonologischen Bewusstheit hat
ler sowie für Schüler mit einer geistigen Behinderung
21 erste ermutigende Hinweise vor (Kuhl, Sinner & Enne- unter den vorgestellten Ansätzen die mit Abstand
längste Tradition und sie verzeichnet dementspre-
moser, 2012; Sinner & Kuhl, 2010). In der ersten Studie
22 legten Vorschulkinder, die mit MZZ trainiert wurden, chend auch die größte Verbreitung in die Praxis.
kurz- und langfristig deutlich mehr in ihrer numerischen
Literatur
395 16
Schneider, W. & Marx, P. (2008). Früherkennung und Prävention von
So können die Entwicklungen in diesem Bereich Lese- Rechtschreibschwächen. In F. Petermann & W. Schneider
zweifelsohne als Erfolg für die pädagogisch-psycho- (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie, Serie V (Entwicklungspsycho-
logische Interventionsforschung gewertet werden. In logie), Band 7: Angewandte Entwicklungspsychologie (S. 237–273).
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der Praxis wird allerdings häufig die Notwendigkeit
Weinert, S. & Lockl, K. (2008). Sprachförderung. In F. Petermann (Hrsg.),
übersehen, die Maßnahmen mit der Vermittlung von Angewandte Entwicklungspsychologie (Enzyklopädie der Psychologie
Buchstabe-Laut-Beziehungen zu verknüpfen. Wird C/V/7) (S. 91–134). Göttingen: Hogrefe.
dies nicht umgesetzt, ist mit deutlich geringeren
Effekten zu rechnen. Zudem werden die Maßnah-
men häufig nicht programmgetreu, sondern eher Literatur
sporadisch und selektiv durchgeführt, was den
empirischen Befunden zufolge sehr schnell die Antell, S. E., & Keating, D. P. (1983). Perception of numerical invariance
eigentlich vorhandenen Förderpotenziale unter- in neonates. Child Development, 54, 695–701.
gräbt (z. B. Schneider et al., 1997; vgl. auch Pressley & Armand, F., Lefrançois, P., Baron, A., Gomez, M.-C., & Nuckle, S. (2004).
Improving reading and writing learning in underprivileged pluri‐
Harris, 1994). Nicht zuletzt bleibt festzuhalten, dass
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Bewusstheit zweifelsohne einen wichtigen Präven- Arnold, D. H., Lonigan, C. J., Whitehurst, G. J., & Epstein, J. N. (1994). Ac-
tionsansatz darstellen. Insbesondere mit Blick auf celerating language development through picture book reading:
die späteren Leseverständnisleistungen können sie Replication and extension to a videotape training format. Journal
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jedoch eine präventive Förderung der „allgemeinen“
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Die Förderung spezifischer Vorläuferfertigkeiten im Baumert, J., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., & Schnei-
Bereich Mathematik wurde demgegenüber erst in den der, W. et al. (Hrsg.). (2001). PISA 2000. Basiskompetenzen von Schü-
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letzten zehn Jahren zunehmend in den Blick genom-
& Budrich.
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Modellkonzeptionen zentrale Meilensteine identifiziert ability in kindergarten. Child Development, 78(2), 647–663.
werden konnten, die einen wirksamen Ansatzpunkt für Blatter, K., Faust, V., Jäger, D., Schöppe, D., Artelt, C., Schneider, W., &
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1. Worauf sollte bei der Auswahl von präventiven Förder- (Hrsg.). (2007). IGLU 2006. Lesekompetenzen von Grundschulkindern
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2. Was ist unter sprachförderlichen Interaktionen zu verste- Bradley, L., & Bryant, P. E. (1985). Rhyme and reason in reading and spel-
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hen und welche Funktionen haben sie?
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3. Beschreiben Sie, wie kann grundlegende Denkprozesse early reading: A meta‐analysis of experimental training studies.
wirksam fördern kann? Journal of Educational Psychology, 91, 403–414.
4. Was ist unter Vorläuferfertigkeiten des Schriftspracher- Clausen-Suhr, K., Schulz, L., & Bricks, P. (2008). Mathematische Bildung im
werbs zu verstehen und was ist bei der Förderung zu be- Kindergarten – Ergebnisse einer quasi‐experimentellen Evaluation
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5. Wo liegt aus entwicklungspsychologischer Sicht das Kern- Clearfield, M. W., & Mix, K. S. (1999). Number versus contour length in
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401 17

Training
Stefan Fries, Elmar Souvignier

17.1 Was ist ein Training? Begriffsbestimmung


und Klassifikation – 402
17.2 Training kognitiver Grundfunktionen  –  404
17.2.1 Aufmerksamkeit – 404
17.2.2 Denken – 407

17.3 Motivationstraining – 408
17.4 Training kultureller Grundkompetenzen am
Beispiel des Lesens und Schreibens  –  410
17.4.1 Training des Leseverständnisses  –  410
17.4.2 Schreiben – 413

17.5 Implementation von Trainingsprogrammen – 415


Literatur – 417

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
402 Kapitel 17 • Training

Lernerfolg wird wesentlich durch die kognitiven, motivatio-


1 nalen und selbstregulativen Fähigkeiten des Lernenden be-
stimmt. Es verwundert daher nicht, dass in der Pädagogischen
2 Psychologie spezielle Verfahren entwickelt wurden, die sich
den Aufbau und die Verbesserung solcher Fähigkeiten zum
Ziel setzen. Von solchen Trainingsverfahren handelt dieses
3 Kapitel (. Abb. 17.1).

4
17.1 Was ist ein Training?
Begriffsbestimmung
5 und Klassifikation

6 Trainingsverfahren stellen eine der wichtigsten Interven-


tionsmethoden in der Pädagogischen Psychologie dar. In
7 diesem Kapitel wird anhand ausgewählter Trainingsver-
fahren beschrieben, wie unterschiedliche pädagogisch
relevante Kompetenzen durch Trainingsmaßnahmen ge-
8 fördert werden können. Dazu soll zunächst erläutert wer-
den, was ein ▶ Training i. Allg. kennzeichnet und anhand
9 welcher Kriterien Trainingsverfahren klassifiziert werden
können. Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass jeder
10 Leser sich schon einmal mit einem konkreten pädago-
gisch-psychologischen Training befasst hat, wird vor der
Begriffsklärung ein exemplarisches Trainingsprogramm
11 im ▶ Exkurs „Ein Training zur Förderung des induktiven Den- .. Abb. 17.1  
kens“ kurz skizziert und ausführlicher im ▶ Abschn. 17.2.2
12 erklärt. ning anhand von Beispielen eine Aufgabenklassifikation
Am Beispiel des Denktrainings nach Klauer lassen sich entwickelt. Oder im Training „Wir werden Textdetektive“,
13
--
die drei zentralen Merkmale eines Trainings identifizieren:
die wiederholte Übung an spezifischen Aufgaben,
einem Programm zur Förderung der Lesekompetenzen
in den Klassenstufen 4–6 (Gold et al., 2006), erarbeiten

14
15
- die Vermittlung von prozeduralem Wissen und
die Strukturiertheit der Maßnahme.

Wiederholte Übung an spezifischen Aufgaben.  Das erste


die Teilnehmer gemeinsam mit dem Trainer Merkblätter,
auf denen die wichtigsten Funktionen von Lesestrategien
festgehalten sind.

Merkmal betrifft die eingesetzte Methode. So besteht das Vermittlung von prozeduralem Wissen.  Das zweite zent-
Denktraining im Wesentlichen in der angeleiteten oder rale Merkmal von Trainings ergibt sich aus einer inhaltli-
16 eigenständigen Bearbeitung von Aufgaben des induktiven chen Perspektive. Es geht um die Frage, was mit welchem
Denkens. Auch in anderen Trainingsverfahren steht die Ziel trainiert wird. Durch Trainings soll das Können der
17 wiederholte Ausübung von Tätigkeiten und Aktivitäten im Trainierten verbessert oder wiederhergestellt werden. Im
Mittelpunkt (Klauer, 2001a; Langfeldt & Büttner, 2008): Falle des Denktrainings ist das Ziel die verbesserte Leis-
In verschiedenen Lesetrainings werden kurze Texte un- tungsfähigkeit im induktiven Denken. In typischen Auf-
18 ter Anwendung neuer ▶ Strategien gelesen (z. B. Gold, merksamkeitstrainings (s. unten) sind das verbesserte
Mokhlesgerami, Rühl, Schreblowski & Souvignier, 2006), Fertigkeiten im konzentrierten Bearbeiten von Aufgaben.
19 in Schreibtrainings Texte nach konkreten Vorgaben ei- Betrachtet man die zentralen Ziele von Trainings vor dem
genständig verfasst (z. B. Harris & Graham, 1996) oder in Hintergrund der Unterscheidung zwischen deklarativem
20 Motivationstrainings spielerische Aufgaben unter Anwen- und prozeduralem Wissen (▶ Kap. 1), dann ist der Ge-
dung einer motivationalen Strategie ausgeführt (Rheinberg genstand eines Trainings immer die Verbesserung proze-
& Krug, 2005). Verallgemeinernd kann man festhalten, duralen Wissens. Natürlich kann es sein, dass mit einem
21 dass ein Training immer durch die wiederholte Ausübung Training auch weitere Ziele verfolgt werden. So war z. B.
von Tätigkeiten und Aktivitäten gekennzeichnet ist. Selbst- ein Element bei einem Gedächtnistraining für ältere Men-
22 verständlich kommen in vielen Trainings auch weitere Me- schen von Knopf (1993), diese zunächst von ihren nach
thoden zum Einsatz. So wird beispielsweise im Denktrai- wie vor vorhandenen Leistungspotenzialen zu überzeu-
17.1  •  Was ist ein Training? Begriffsbestimmung und Klassifikation
403 17
Definition 
Exkurs  |       | 
Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
Ein Training zur Förderung des induktiven begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter
Denkens Ausübung von Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird,
Eine wichtige kognitive Kompetenz stellt das induktive Fertigkeiten und Fähigkeiten aufzubauen oder zu
Denken dar. Induktives Denken liegt immer dann vor, wenn
verbessern.
wir aus konkreten Beobachtungen auf Regelhaftigkeiten
z. B. von Formen schließen. Der Aachener Erziehungswissen-
schaftler und Psychologe Karl Josef Klauer hat für Kinder und
Jugendliche Trainings zur Förderung dieser Denkkompetenz Bedenkt man die Vielzahl von Fertigkeiten, die einem er-
vorgelegt (Klauer, 1989, 1991, 1993). Die Trainings umfassen folgreichen Lernen oder erfolgreicher Lebensgestaltung
jeweils 10 Trainingssitzungen. Pro Sitzung werden jeweils
zugrunde liegen, dann überrascht es nicht, dass Trainings
12 Aufgaben durchgenommen. Vielfältige Aufgabeninhalte
und -formate kommen dabei zum Einsatz. So müssen Reihen für eine Vielzahl von Fertigkeiten entwickelt wurden (für
fortgesetzt, unpassende Elemente entdeckt oder Objekte einen Überblick z. B. Hamers & Overtom, 1997; Klauer,
in ein System eingeordnet werden (für Aufgabenbeispiele 2001a; Langfeldt & Büttner, 2008; Lohaus & Domsch,
▶ Beispielkasten „Zwei Aufgaben aus dem Denktraining II“ 2009). Bevor wir jedoch weitere Trainings vorstellen, sol-
in ▶ Abschn. 17.2.2). Im Verlauf der Trainingssitzungen
len zunächst noch zentrale Klassifikationskriterien geklärt
erlernen die Trainingsteilnehmer, verschiedene Typen von
Aufgaben des induktiven Denkens zu unterscheiden und werden, auch um die Vielfalt und Anwendungsbreite päda­
bei der Lösung der Aufgaben nach einer speziellen Strategie gogisch-psychologischer Trainings zu verdeutlichen.
vorzugehen. Hierdurch sollen die Trainierten, auch über die
konkreten Trainingsaufgaben hinaus, all jene schulischen Trainierter Funktionsbereich.  Man kann zwischen Trai-
und außerschulischen Anforderungen besser bewältigen, in
nings für kognitive, motivationale, selbstregulative, soziale
denen Kompetenzen des induktiven Denkens von Relevanz
sind. und emotionale Funktionsbereiche unterscheiden. Insbe-
sondere für den kognitiven Funktionsbereich existiert eine
Vielzahl von Trainingsverfahren, wobei man zwischen dem
Training allgemeiner intellektueller Kompetenzen (Auf-
gen. Hier sollte durch die entsprechenden Trainingsinhalte merksamkeit, Gedächtnis, Denken etc.) und dem Training
eine Einstellung der Trainierten modifiziert werden. Und kulturbezogener Grundkompetenzen (Lesen, Schreiben
auch deklaratives Wissen kann in einem Training ver- und Rechnen) unterscheiden kann (Souvignier, 2008). Eine
mittelt werden. So wird z. B. ein Trainer im Denktraining Reihe weiterer Trainingsprogramme zielt auf die Verbes-
sicherstellen, dass die Trainierten auch über das dekla- serung psychosozialer Kompetenzen ab (▶ Kap. 18).  Trai-
rative Wissen verfügen, das sie zur Lösung spezifischer ningsverfahren können dabei auch mehr als einen Funkti-
Aufgaben benötigen. Oder in begleitenden Elterntrainings onsbereich zum Gegenstand haben. So soll z. B. durch das
zu Aufmerksamkeitstrainings erhalten die Eltern häufig Integrierte Training (Fries, 2002; ▶ Abschn. 17.3) sowohl
ausführliche Informationen zu den bei ihren Kindern das induktive Denken als auch das leistungsmotivierte
vorliegenden Aufmerksamkeitsstörungen. Doch dienen Verhalten trainiert werden. Gerade die Förderung selbst-
solche Trainingsinhalte, die auf Einstellungsänderungen regulierten Lernens (▶ Kap. 3) erfolgt mittlerweile nahezu
oder die Erweiterung deklarativen Wissens abzielen, letzt- ausschließlich in Kombination mit weiteren Funktionsbe-
lich immer dem übergeordneten Ziel der Verbesserung reichen (Landmann & Schmitz, 2007). Dies gilt insbeson-
von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne prozeduralen dere für Trainingsverfahren zur Förderung des Lesens und
Wissens (Klauer, 2001b). Schreibens (z. B. Gold et al., 2006; ▶ Abschn. 17.3).

Strukturiertheit der Maßnahme.  Die beiden bisher be- Allgemeine Trainingsintention. Trainings werden mit
sprochenen Merkmale genügen noch nicht, um den unterschiedlichen allgemeinen Trainingsintentionen
Trainingsbegriff von anderen Interventionsmethoden eingesetzt (Hager & Hasselhorn, 2008). Trainings kön-
abzugrenzen. Die Verbesserung des Könnens durch die nen darauf abzielen, bereits bestehende nichtdefizitäre
übende Wiederholung einer Tätigkeit stellt eine allge- Fertigkeiten weiterzuentwickeln. In einem solchen Fall
meine Lernform dar. Von einem Training sollte man spricht man von einer allgemeinen Förderung. Das ein-
daher erst dann sprechen, wenn eine strukturierte und gangs dargestellte Denktraining (Klauer, 1989, 1991, 1993;
zeitlich begrenzte Intervention vorliegt. Typischerweise ▶ Abschn. 17.2) wird meist mit dieser Trainingsintention
haben Trainings eine Lektionsstruktur und die Vorge- eingesetzt. Hiervon lassen sich drei weitere Trainings-
hensweise im Training ist durch geeignete Anweisungen intentionen abgrenzen, bei denen es jeweils um bereits
an den Trainer und den Trainierten z. B. in einem Trai- existierende oder zu vermeidende Fähigkeits- und Fer-
ningsmanual vorab festgelegt. tigkeitsdefizite beim Trainierenden geht. Im Fall der prä-
404 Kapitel 17 • Training

ventiven Nutzung soll durch den Einsatz von Trainings Trainingsintention, wenngleich sich in den einzelnen Ab-
1 sichergestellt werden, dass drohende Defizite nicht auf- schnitten Beispiele für allgemeine, präventive und kurative
treten. Dies ist z. B. der Fall, wenn Kindergartenkinder, Trainings finden. Wir stellen ausschließlich Trainingsver-
2 bei denen potenzielle Probleme hinsichtlich des späteren fahren für Kinder und Jugendliche vor, da diese in der
Erwerbs von Lese- und Schreibkompetenzen diagnos- Regel eine breitere Implementierung erfahren haben als
tiziert wurden, ein Training zur Förderung phonologi- Trainingsverfahren für andere Adressaten. Bei den Funk-
3 scher Bewusstheit erhalten (Küspert & Schneider, 2006; tionsbereichen verzichten wir bewusst auf die Darstellung
▶ Kap. 16). Andere Trainings werden dagegen kurativ ein- von Trainings zur Förderung der Selbstregulation, obwohl
4 gesetzt. Wenn Schüler Defizite in bestimmten Funktions- diese in der aktuellen Diskussion eine wichtige Rolle spie-
bereichen zeigen, wird durch das Training versucht, diese len (Landmann & Schmitz, 2007). Wir tun dies zum ei-
5 zu minimieren oder aufzuheben. Dies ist z. B. der Fall, nen, weil entsprechende Trainings ausführlich in ▶ Kap. 3
wenn Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyper- dargestellt werden. Wir tun dies jedoch auch, weil – auf
aktivitätsstörung ein Aufmerksamkeitstraining erhalten der Basis theoretischer Grundlagen selbstregulierten Ler-
6 (z. B. Lauth & Schlottke, 2009; ▶ Abschn. 17.2). Schließlich nens – zunehmend metakognitive und selbstregulative Ele-
gibt es noch den Fall, dass ein Training zur Rehabilitation mente in vielen Trainingsprogrammen integriert wurden.
7 eingesetzt wird. Hier sollen Fähigkeiten und Fertigkeiten Insbesondere im Bereich der Förderung des Lesens und
wiederhergestellt werden, die aufgrund äußerer Einflüsse des Schreibens gibt es hierzu verschiedene Ansätze. Bei der
beeinträchtigt wurden oder verloren gegangen sind. Zu- Darstellung der Trainingsverfahren wird deutlich werden,
8 letzt sei noch angemerkt, dass die Systematisierung der wie die Kombination mit dem Training selbstregulativer
Trainingsintentionen auch ausschließlich über den Prä- Fertigkeiten erfolgt, sodass auch Rückschlüsse auf ange-
9 ventionsbegriff erfolgen kann, indem zwischen Primär- messene Vorgehensweisen beim Training selbstregulativer
prävention (Nutzung des Trainings vor dem Auftreten Fertigkeiten gezogen werden können. Ausgeblendet wer-
10 von Problemen) und Sekundärprävention (Nutzung des den im vorliegenden Kapitel die vielfältigen Trainings- und
Trainings nach dem Auftreten erster Probleme) unter- Interventionsmaßnahmen zur Förderung psychosozialer
schieden wird (s. hierzu die einleitenden Bemerkungen Kompetenzen (▶ Kap. 18).
11 im nachfolgenden ▶ Kap. 18).

12 Adressaten und Zielgruppen. Trainingsverfahren rich- 17.2 Training kognitiver


ten sich an unterschiedliche Adressaten (Personen, die Grundfunktionen
an einem Training teilnehmen). So gibt es Trainingsver-
13 fahren für Kinder, für Jugendliche, für Eltern, für Lehrer Unter kognitiven Grundfunktionen versteht man jene Ba-
oder auch für Mitarbeiter in einem Unternehmen. In der sisfähigkeiten der Informationsaufnahme, -verarbeitung
14 Regel sind die Adressaten eines Trainings identisch mit und -speicherung, wie sie sich insbesondere in Aufmerk-
der Zielgruppe (denjenigen, bei denen in erster Linie samkeits-, Denk- und Gedächtnisleistungen ausdrücken.
15 Veränderungen angestrebt sind). Jedoch gibt es auch ver- Für diese wichtigen kognitiven Lernvoraussetzungen exis-
schiedene Trainings oder Trainingsbausteine, bei denen tiert eine Vielzahl von Trainingsverfahren (für einen Über-
die eigentliche Zielgruppe indirekt erreicht werden soll. blick Klauer, 2001a; oder auch Langfeldt & Büttner, 2008;
16 Wenn z. B. in einem Elterntraining im Rahmen eines Auf- ▶ Exkurs „Sind kognitive Grundfunktionen trainierbar?“). Die
merksamkeitstrainings über Störungsmodelle informiert meisten dieser Trainings richten sich an Kinder und Ju-
17 wird (Lauth & Schlottke, 2009), dann kommt dies nicht gendliche, aber es gibt auch Trainingsverfahren für andere
nur den Eltern, sondern vor allem deren Kindern zugute Adressatengruppen (z. B. Oswald, 1998). Im Folgenden ge-
(▶ Abschn. 17.2). hen wir auf Trainingsverfahren für die Funktionsbereiche
18 Nach diesen einleitenden Klärungen zum Trainingsbe- Aufmerksamkeit und Denken ein.
griff und zu klassifikatorischen Kriterien sollen nun – ent-
19 lang unterschiedlicher Funktionsbereiche – verschiedene
Trainings mit ihren theoretischen Grundlagen, mit kurzen 17.2.1 Aufmerksamkeit
20 Darstellungen zur Vorgehensweise sowie mit exemplari-
schen empirischen Befunden dargestellt werden (für all- Aufmerksamkeit ist eine Voraussetzung für Informations-
gemeine Hinweise zur Evaluation von Trainingsverfahren aufnahme und damit für Lernen. Liegen bei einem Schüler
21 ▶  Exkurs „Wirksamkeitsüberprüfung“). Bei der Gliederung Störungen der Aufmerksamkeitsleistung vor, dann drohen
des Beitrags haben wir uns daran orientiert, eine mög- kumulierte Lerndefizite. Die betroffenen Kinder und Ju-
22 lichst große Breite inhaltlicher Funktionsbereiche abzu- gendlichen zeigen häufig ein impulsives und überaktives
bilden. Dem untergeordnet wurde die Frage der jeweiligen Verhalten, neigen zum Träumen und Trödeln und verfügen
17.2  •  Training kognitiver Grundfunktionen
405 17

Exkurs  |       | 

Wirksamkeitsüberprüfung
Aufgrund der praktischen Bedeutsam- mit einem Placebotraining ist notwendig, Offenheit für neue Erfahrungen bei einem
keit und des zu betreibenden zeitlichen um etwaige Zuwendungs- oder Neuheits- Training sozialer Kompetenzen) beziehen.
und personellen Aufwandes sollten nur effekte als Alternativerklärungen für Fort- Dieser Befund spiegelt im Hinblick auf die
Trainingsverfahren eingesetzt werden, für schritte der Trainingsgruppe ausschließen höheren Trainingseffekte bei Schülern mit
die ein Wirksamkeitsnachweis im Rahmen zu können. höheren Ausgangsleistungen den in der
geeigneter empirischer Untersuchungen Der zweite Aspekt betrifft den gezeigten Trainingsforschung häufig beobachteten
erbracht wurde. Es muss gezeigt werden, Transfer. Die Wirksamkeit des Trainings „Matthäus-Effekt“ – gemäß der Bibelstelle
dass ein Training auch tatsächlich jene muss mit geeigneten Messinstrumenten Mt 25,29 „Denn wer hat, dem wird ge-
Fähigkeiten und Fertigkeiten fördert, zu angemessenen Testzeitpunkten nach- geben, und er wird im Überfluss haben“
die es zu fördern beansprucht. Idealiter gewiesen werden (Hasselhorn & Hager, – wider. Ein Training ist nicht per se für
erfolgt eine solche Überprüfung unter 2008). Die Leistungsverbesserungen jeden gleich wirksam und vor dem Hin-
der Nutzung von experimentellen oder sollten über die spezifischen, im Training tergrund des „Matthäus-Effekts“ scheint
quasi-experimentellen Trainingsstudien. genutzten Aufgaben hinausgehen und es wichtig zu überprüfen, ob ein Training
Um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu sich auch noch längere Zeit nach dem tatsächlich seine Zielgruppe erreicht.
gelangen, sind zwei Aspekte bei der Wirk- Ende des Trainings in Follow-up-Messun- Für Trainingsautoren stellt sich meist
samkeitsüberprüfung zentral (für eine gen nachweisen lassen. Darüber hinaus die Problematik, dass die Wirksamkeits-
ausführliche Diskussion Hager, 2008; oder ist es wünschenswert, dass der Nachweis überprüfung im Feld erfolgen muss. Dies
Hager, Patry & Brezing, 2000). Der erste der Wirksamkeit eines Trainingsverfahrens bringt häufig mit sich, dass die methodi-
Aspekt ist das Untersuchungsdesign: Das mehrfach erbracht wird (Replikation). schen Anforderungen an Evaluationen pä-
zu überprüfende Training muss seine Wirksamkeitsüberprüfungen können dagogisch-psychologischer Interventio-
Wirksamkeit im Vergleich zu geeigneten differenzielle Wirksamkeiten eines Trai- nen (Hager et al., 2000) nur eingeschränkt
Kontrollgruppen zeigen. Die Wirksamkeit nings zu Tage fördern. Hierunter versteht realisiert werden können (z. B. hat man
eines Trainings ist noch nicht gezeigt, man, dass die Wirksamkeit eines Trainings in vielen Untersuchungskontexten keine
wenn sich die Trainingsteilnehmer von beim Vorliegen bestimmter individu- Möglichkeit, die Probanden randomi-
Trainingsbeginn zu Trainingsende in der eller Voraussetzungen höher ist als bei siert den verschiedenen Bedingungen
trainierten Fertigkeit verbessern. Ein anderen Ausprägungen dieser Merkmale. zuzuweisen, weil z. B. das Herausnehmen
solcher Befund könnte ja auch die Konse- So fanden Souvignier und Lienert (1998), von Schülern aus dem Klassenverband
quenz von Reifungseffekten sein. Um die dass eine Förderung räumlichen Denkens nicht möglich ist). Es erscheint daher
Wirksamkeit eines Trainings zu belegen, insbesondere bei solchen Schülern angebracht, sich bei der Überprüfung der
sollte es mit unbehandelten Wartekon­ hohe Effekte bewirkte, die zwar über ein Wirksamkeit neben methodischen Stan-
trollgruppen (Test gegen Reifungsef- vergleichsweise hohes Ausgangsniveau dards auch daran zu orientieren, was im
fekte), mit einem Alternativtraining (das räumlicher Fähigkeiten verfügten, die Feld machbar ist, solange die resultieren-
sind Trainings, die die gleichen oder ähnli- sich in der Auseinandersetzung mit den Einschränkungen bei der Interpreta-
che Trainingsziele haben) und mit einem dem konkreten Trainingsmaterial aber tion von Untersuchungen angemessen
Placebotraining (das sind Trainings, die eher schwer taten. Eine solche „optimale berücksichtigt werden.
nicht auf die anvisierte Fertigkeit wirken Passung“ kann sich natürlich auch auf
sollen) verglichen werden. Der Vergleich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z. B.

Exkurs  |       | 

Sind kognitive Grundfunktionen trainierbar?


Kognitive Grundfunktionen sind über stehen vielfältige Trainingsstudien, entere Nutzung des kognitiven Apparats
Bestandteil des kognitiven Apparats. die erstaunliche Trainingseffekte auf Ge- erlauben. In der Untersuchung von Kliegl
Dieser ist durch strukturelle Merkmale dächtnis- oder Denkleistungen belegen. et al. (1989) ist das die Merkstrategie der
(z. B. begrenzte Kapazität des Arbeitsge- So berichten z. B. Kliegl, Smith und Baltes „Methode der Orte“. Durch die Nut-
dächtnisses) gekennzeichnet, die nicht (1989) davon, dass bei entsprechender zung solcher Strategien lassen sich die
veränderbar sind (▶ Kap. 1). Angesichts Übung Individuen ihre Merkleistung kognitiven Leistungen deutlich steigern,
dieser Eigenschaft des kognitiven Ap- beim Listenlernen vervielfachen. Wie auch wenn die strukturellen Merkmale
parats stellt sich die Frage, ob kognitive kann dieser offenkundige Widerspruch des kognitiven Apparats davon unberührt
Grundfunktionen überhaupt trainiert wer- aufgelöst werden? In kognitiven Trainings bleiben. Kognitive Grundfunktionen
den können. Manche Autoren vertreten geht es keineswegs um eine Modifikation sind also in einem praktisch relevanten
die Auffassung, dass dies nur in einem struktureller Merkmale des kognitiven Umfang trainierbar.
engen Rahmen möglich ist (z. B. Weinert, Apparats. Trainingsziel ist vielmehr die
2001; Hartig & Klieme, 2006). Demgegen- Vermittlung von Strategien, die eine effizi-
406 Kapitel 17 • Training

nur über eine geringe Ausdauer (Barkley, 2005; Lauth & im Basistraining in der 7. Lektion eine Stopp-Signal-Karte
1 Schlottke, 2009). Trainingsprogramme zur Förderung der eingeführt. Unter Nutzung dieser Karte sollen die Kinder
Aufmerksamkeit sind auf diese Kinder und Jugendlichen in entsprechenden Übungen lernen, ihre Reaktionen zu
2 zugeschnitten; mit den Trainingsverfahren sollen kurative verzögern und damit ihre Impulsivität zu kontrollieren.
Ziele erreicht werden. Gegen Trainingsende sollen die Kinder sich die Karte nur
Verschiedene Ansätze sind in diesem Bereich erprobt noch vorstellen und sich mental eine entsprechende An-
3 worden. Lauth (2004) konstatiert, dass ursprünglich ver- weisung zur Reaktionsverzögerung geben.
sucht wurde, die Defizite durch wiederholtes Bearbeiten Das Strategietraining baut auf dem Basistraining auf
4 einfacher Konzentrationsaufgaben zu beseitigen. Es ist be- und besteht aus 12 Lektionen. Im Strategietraining wird
kannt, dass die Bearbeitung von Aufgaben aus Konzentra- eine allgemeine Problemlösestrategie vermittelt. Diese be-
5 tionstests zu enormen Übungseffekten führt, jedoch lassen steht aus einer Abfolge von 6 Schritten:
sich keine Transfereffekte auf andere Aufgabenstellungen 1. Was ist meine Aufgabe?
nachweisen (Westhoff & Dewald, 1990; Westhoff & Hage- 2. Ich mache mir einen Plan.
6 meister, 2001). Es verwundert daher nicht, dass sich solche 3. Kenne ich etwas Ähnliches?
Trainingsverfahren als ungeeignet erwiesen, um Aufmerk- 4. Sorgfältig und bedacht!
7 samkeitsdefizite im schulischen Bereich nachhaltig zu re- 5. Halt-Stopp, überprüfe!
duzieren. 6. Das habe ich gut gemacht!
Aktuelle Programme zur Aufmerksamkeitsförderung
8 verfolgen einen grundlegend anderen Ansatz. Dabei wird Die Anwendung der einzelnen Schritte wird durch die
von Bedingungsmodellen der Aufmerksamkeitsdefizit- Nutzung entsprechender Strategiekarten unterstützt. Im
9 /Hyperaktivitätsstörung ausgegangen, die neben neuro- Verlauf des Trainings nehmen die Komplexität und die
biologischen Besonderheiten (z. B. gestörte autonome Schulnähe der zu bearbeitenden Aufgaben zu. Durch die
10 Regulationsprozesse) bei den betroffenen Kindern und wiederholte Übung der Strategie soll ihre Nutzung weit-
Jugendlichen Defizite im Bereich der Selbstkontrollkom- gehend automatisiert werden, um so die vorhandenen
petenzen sehen. Während die neurobiologischen Störungs- Defizite in der Verhaltenssteuerung zu reduzieren. Gerade
11 grundlagen potenziell medikamentös beeinflusst werden, die Inhalte des Strategietrainings verdeutlichen, dass der
bietet sich für die Defizite im Bereich der Selbstkontroll- Förderanspruch des Trainingspakets weit über das pure
12 kompetenzen der Einsatz von Trainingsverfahren an, in Training von Aufmerksamkeitsleistungen hinausgeht.
denen Aufmerksamkeitskontrollstrategien vermittelt wer- Die Wirksamkeit des Aufmerksamkeitstrainings ist in
den (Naumann & Lauth, 2008). mehreren Evaluationsstudien untersucht worden. In einer
13 Das Vorgehen soll exemplarisch an dem von Lauth Untersuchung von Lauth, Neumann, Roggenkämper und
und Schlottke (2009) entwickelten „Training mit auf- Heine (1996) zeigten sich in der Eltern- und Lehrerbeur-
14 merksamkeitsgestörten Kindern“ beschrieben werden. teilung der Verhaltenssymptomatik deutliche Vorteile zu-
Es handelt sich dabei um ein kognitiv-behavioriales Inter- gunsten der trainierten Kinder im Vergleich zu einer War-
15 ventionsprogramm für aufmerksamkeitsgestörte/hyper- tekontrollgruppe. Trainingseffekte ließen sich teilweise bis
aktive Kinder im Alter von 7–12 Jahren. Eine Besonder- zu 6 Jahre nach Trainingsende nachweisen (Linderkamp,
heit des Trainings von Lauth und Schlottke (2009) ist sein 2002). Allerdings muss kritisch angemerkt werden, dass
16 modularer Charakter. Das Training besteht aus insgesamt die Wirksamkeit des Trainings meist durch Eltern- und
5 Therapiebausteinen. Neben einem Basistraining und ei- Lehrerbeurteilungen der Schüler, nicht jedoch durch ob-
17 nem Strategietraining sind dies eine Elternanleitung, eine jektive Testverfahren überprüft wurde.
Wissensvermittlung sowie ein Modul zur Vermittlung Neben dem Training von Lauth und Schlottke (2009)
von sozialen Kompetenzen. Zentrale Elemente sind das existieren einige weitere Trainingsverfahren. Zu nennen
18 Basistraining und das Strategietraining. Das Basistraining sind hier insbesondere das „Marburger Konzentrations-
besteht aus 13 Lektionen. Im Basistraining werden Grund- training“ (Krowatschek, Krowatschek & Reid, 2011; Kro-
19 fertigkeiten zur Aufmerksamkeit eingeübt. Die Kinder watschek, Krowatschek, Wingert & Schmidt, 2010) und
üben anhand einfacher Aufgaben „genau hinzuschauen“, das „Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem
20 „genau hinzuhören“ oder auch „genau nachzuerzählen“. und oppositionellem Problemverhalten“ (THOP; Döpfner,
Dazu werden u. a. komplexes Bildmaterial, Audiodateien Schürmann & Fröhlich, 2002). Zudem gibt es Trainings-
mit sprachlichen Informationen, die von Störgeräuschen programme, die explizit auf Kindergarten- und Vorschul-
21 überlagert sind und kurze Geschichten verwendet. Die kinder zugeschnitten sind (Ettrich, 1998; Krowatschek,
Übungen setzen an einer basalen Verhaltenssteuerung an, Albrecht & Krowatschek, 2013; ▶ Kap. 16).
22 die die Voraussetzung für komplexere Aufmerksamkeits-
leistungen bildet. Im Anschluss an diese Übungen wird
17.2  •  Training kognitiver Grundfunktionen
407 17
17.2.2 Denken Beispiel  |       | 

Intelligenzleistungen, so wie sie mit den typischen Test- Zwei Aufgaben aus dem „Denktraining für Kinder II“
verfahren erfasst werden, erfordern im Wesentlichen (Klauer, 1991)
Denkleistungen (▶ Kap. 2). Es verwundert nicht, dass ver- Aufgabe A (Generalisierung, Aufgabe 25):
schiedene Trainingsverfahren das Ziel haben, Denkkom- Klaus hat verschiedene Lieblingszahlen:
petenzen zu verbessern. Im deutschen Sprachraum hat 484 – 55 – 1621 – 878 – 323
insbesondere das Denktraining nach Klauer (1989, 1991, Welche dieser Zahlen gehört noch dazu? Begründe.
1993; für weiteres Aufgabenmaterial s. Marx & Klauer, 768 – 32 – 767 – 423 – 113
2007, 2009, 2011; für eine computergestützte Version siehe Aufgabe B (Beziehungsunterscheidung, Aufgabe 101)
Lenhard, Lenhard & Klauer, 2012) eine breite Beachtung Im Geometrieunterricht hat euer Lehrer eine Folge von
gefunden und vielfältige Diskussionen zur Trainierbarkeit Figuren an die Tafel gezeichnet (. Abb. 17.2). Leider
intellektueller Leistungen angestoßen (z. B. Hager & Has- hat er einen Fehler gemacht. Findest Du ihn?
selhorn, 1998). (Lösung Aufgabe A: 767; Lösung Aufgabe B: Parallelo-
Das Denktraining hat differenzierte theoretische gramm und Rechteck müssen getauscht werden.)
Grundlagen. Die spezifischen Trainingsinhalte ergeben
sich aus einer Definition des induktiven Denkens und der
von Klauer entwickelten präskriptiven Theorie des induk-
tiven Denkens. Klauer definiert induktives Denken als je-
nes Denken, das „in der Entdeckung von Regelhaftigkeiten
.. Abb. 17.2 
durch Feststellung der Gleichheit oder Verschiedenheit
oder Gleichheit und Verschiedenheit bei Merkmalen oder
Relationen besteht.“ (Klauer, 1993, S. 17). Diese Definition
enthält zwei Facetten: Facette A – Gleichheit, Verschieden- Auch die präskriptive Theorie des induktiven Denkens
heit, Gleichheit und Verschiedenheit; Facette B – Merk- (z. B. Klauer, 1993) ist von zentraler Bedeutung für die
male, Relationen. Durch die Kombination der einzelnen Trainingskonzeption. Diese Theorie beschreibt eine Stra-
Elemente der Facetten ergeben sich 6 Kernaufgabentypen tegie, die effizient und zuverlässig zur erfolgreichen Lö-
des induktiven Denkens: sung von Aufgaben des induktiven Denkens führt. Als
1. Generalisierung (Gleichheit von Merkmalen) präskriptive Theorie hat sie keinen beschreibenden und
2. Diskrimination (Verschiedenheit von Merkmalen) erklärenden Anspruch für das induktive Denken im Alltag.
3. Kreuzklassifikation (Gleichheit und Verschiedenheit Die Theorie legt aber fest, welches strategische Vorgehen
von Merkmalen) im Denktraining erlernt werden soll. Die Strategie besteht
4. Beziehungserfassung (Gleichheit von Relationen) im Wesentlichen aus einer Abfolge systematischer Ver-
5. Beziehungsunterscheidung (Verschiedenheit von Re- gleichsprozesse. Im Training wird sie durch eine Abfolge
lationen) von Fragen umgesetzt, anhand derer die Bearbeitung der
6. Systembildung (Gleichheit und Verschiedenheit von einzelnen Aufgaben strukturiert wird:
Relationen). 1. Was ist gesucht? (Identifikation des Aufgabentyps)
2. Wie muss ich vorgehen, um die Lösung zu finden? (Lö-
Für die Trainingsinhalte folgt aus der Definition zum ei- sungsprozedur)
nen, dass die Trainingsaufgaben (möglichst gleichmäßig) 3. Wie kann ich meine Lösung kontrollieren? (Kontroll-
aus den 6 Kernaufgabentypen stammen sollten, und zum prozedur).
anderen, dass die Trainingsteilnehmer beliebige Aufgaben
des induktiven Denkens den Kernaufgabentypen zuord- Im Gegensatz zum bereits vorgestellten Training mit auf-
nen können. Im nachfolgenden Beispielkasten sind zwei merksamkeitsgestörten Kindern (Lauth & Schlottke, 2009)
Aufgaben aus dem „Denktraining für Kinder II“ (Klauer, wird das Denktraining meist mit allgemeiner Förderab-
1991) dargestellt. Bei der ersten Aufgabe handelt es sich sicht eingesetzt, d. h. die bereits bestehenden Kompetenzen
um eine Generalisierung, bei der zweiten um eine Bezie- im induktiven Denken sollen durch das Training weiter-
hungsunterscheidung. entwickelt werden. Die unterschiedlichen Varianten des
Denktrainings umfassen jeweils 10 Lektionen, in denen
jeweils 12 Aufgaben bearbeitet werden (▶  Beispiel „Zwei
Aufgaben aus dem „Denktraining für Kinder II“ (Klauer, 1991)).
Das Denktraining hat eine zweiphasige Struktur. In den
ersten 4 Lektionen wird die Aufgabenklassifikation erar-
408 Kapitel 17 • Training

beitet. Die Trainingsinhalte ergeben sich in dieser Phase 2001) auf der gezielten Vermittlung einer Denkstrategie
1 aus der Definition des induktiven Denkens. Ab der 5. Lek- beruhen, gibt es andere Förderansätze, die auf eine Ent-
tion steht dann die Vermittlung der Lösungs- und Kont- wicklungsförderung hinauslaufen. Hier ist insbesondere
2 rollprozedur im Vordergrund. Die 2. Phase des Trainings der im deutschsprachigen Raum noch recht wenig be-
ist also an der präskriptiven Theorie des induktiven Den- kannte, von Adey und Shayer (2002) entwickelte Ansatz
kens orientiert. Die erwarteten Leistungssteigerungen im zur kognitiven Akzellerierung durch das angeleitete Be-
3 induktiven Denken ergeben sich als Konsequenz der kom- arbeiten kognitiver Konflikte im naturwissenschaftlichen
petenten Anwendung der neuen Strategie auf Aufgaben des Unterricht zu nennen. Über einen Zeitraum von 2 Jahren
4 induktiven Denkens. werden hier in einem 14-tägigen Rhythmus im Rahmen
Es gibt wenig andere Trainingsprogramme, die des regulären Unterrichts sog. „thinking science lessons“
5 so häufig und umfangreich evaluiert wurden wie das mit dem Ziel durchgeführt, Denk- und Arbeitsweisen im
Denktraining. Klauer und Phye (2008) berichten von ins- Sinne formaler Operationen nach Piaget zu fördern.
gesamt 74 Untersuchungen mit insgesamt fast 3.600 Pro-
6 banden. Die mittlere Effektstärke für aus Intelligenztests
entnommene Aufgaben des induktiven Denkens beträgt 17.3 Motivationstraining
7 dabei d = 0,52, d. h. die trainierten Kinder und Jugendli-
chen sind unter Einbezug etwaiger Vortestunterschiede in Erfolgreiche Lernprozesse setzen einen gewissen Grad an
der Nachtestung im Mittel ein wenig mehr als eine halbe Motivation aufseiten des Lerners voraus. Lehrende ste-
8 Standardabweichung besser als Kinder und Jugendliche hen somit vor dem Problem, wie sie eine ausreichende
aus nicht trainierten oder mit einem Alternativtraining Bereitschaft zum Lernen bei den Lernenden sicherstellen
9 trainierten Gruppen. In 19  Untersuchungen wurden können. Die aktuelle Motivation der Lernenden ist eine
Follow-up-Erhebungen durchgeführt. Die Ergebnisse Funktion aus Personenmerkmalen (hierunter fallen im
10 sprechen für die Stabilität der Effekte. Auch im Anschluss Wesentlichen die motivationsrelevanten Dispositionen;
an die umfangreiche Metaanalyse von Klauer und Phye ▶ Abschn. 7.2) und Situationsmerkmalen (insbesondere
wurde eine Reihe weiterer Trainingsstudien durchgeführt den Anreizen). Somit bestehen zwei Ansatzpunkte zur
11 (z. B. Barkl, Porter & Ginns, 2012), sodass sich die empi- Motivierung (Rheinberg & Fries, 1998; ▶ Abschn. 7.1):
rische Basis für die Bewertung des Trainings nochmals 1. Man kann Merkmale der Situation verändern und z. B.
12 verbreitert hat. zusätzliche Anreize in die Lernsituation einführen,
Daneben gibt es eine Reihe von Untersuchungen, in welche das Lernen attraktiver und damit motivieren-
denen die Wirksamkeit des Denktrainings für das Erler- der machen. Dieses Vorgehen zielt auf eine kurzfristige
13 nen schulischer Inhalte untersucht wurde. Hierzu erhält Steigerung der Motivation ab und ist damit Bestandteil
mindestens eine Gruppe von Schülern das Denktraining, des Unterrichts (▶ Kap. 6 und ▶ Kap. 11), nicht aber
14 während eine andere Gruppe nicht trainiert wird oder an eines Trainings und soll hier nicht weiter besprochen
einem Alternativtraining teilnimmt. In der 2. Phase der werden.
15 Untersuchung bearbeiten die Schüler dann kürzere Un- 2. Der zweite Ansatzpunkt besteht in einer Veränderung
terrichtseinheiten. So nahmen z. B. in einer Untersuchung von Personenmerkmalen. Bei diesem Vorgehen wird
von Klauer (1994) Schüler an einer Unterrichtsstunde zum durch geeignete Interventionen versucht, lernrelevante
16 Thema der Klassifikation von Tieren teil. Die im Unter- motivationale Dispositionen langfristig positiv zu be-
richt geforderten klassifikatorischen Leistungen sollten den einflussen. Hierfür existiert eine Reihe von Trainings-
17 zuvor trainierten Schülern leichter fallen, da induktives verfahren (für einen Überblick Fries, 2010; Rheinberg
Denken das Erkennen von Klassifikationen umfasst. Wie & Fries, 2001, 2010; Ziegler & Finsterwald, 2008).
erwartet erzielten die zuvor trainierten Schüler deutlich
18 bessere Leistungen (Klauer, 1994). Über alle Studien hin- Wir beschränken uns nachfolgend auf die Darstellung von
weg, in denen die Einflüsse des Denktrainings auf schu- Verfahren, die eine Veränderung eines zentralen motivati-
19 lisches Lernen untersucht wurden (insgesamt 38 Verglei- onalen Personenmerkmals, nämlich des ▶  Leistungsmo-
che), liegen die mittleren Effektstärken bei d = 0,69 (Klauer tivs (▶ Kap. 7), zum Ziel haben.
20 & Phye, 2008). Das Denktraining hat offenbar positive
Wirkungen auf das Erlernen schulrelevanter Lerninhalte.
Allerdings stehen Studien aus, in denen die Wirkung des
21 Denktrainings auf den Lernerfolg im normalen Schulun-
terricht untersucht wird.
22 Während das Denktraining nach Klauer wie auch ei-
nige weitere Trainingsansätze (z. B. Sydow & Schmude,
17.3 • Motivationstraining
409 17

Exkurs  |       | 

Realistische Zielsetzungen fördern


Misserfolgsängstliche Schüler meiden Punkte vergeben. Die Wahrscheinlichkeit eine größere Anzahl von Punkten erzielt.
mittelschwere Anforderungen, da eines Treffers sinkt mit größer werdendem So ist z. B. bei 5 Würfen das Gesamtergeb-
Misserfolge bei mittelschweren Aufgaben Abstand. In den ersten Trainingssitzun- nis von 3 Treffern vom 5-Punkte-Abstand
besonders negative Selbstbewertungen gen wird als Aufgabe vorgegeben, mit günstiger als ein fünfmaliges Treffen vom
nach sich ziehen. Im Training steht man einer bestimmten Anzahl von Würfen 2-Punkte-Abstand oder ein einmaliges
daher vor dem Problem, wie man solche (z. B. 5 Würfe) eine möglichst hohe Treffen vom 7-Punkte-Abstand. Die Struk-
Schüler überhaupt dazu bringt, sich rea- Gesamtpunktzahl zu erreichen. Es ist also tur der Aufgabe legt den Teilnehmern
listische Ziele zu setzen. Hierzu nutzt man noch keine Anspruchsniveausetzung nahe, von einem angemessenen Abstand
Wurfspiele wie z. B. das Ringwurfspiel. Bei notwendig. Bei dieser Aufgabenstellung aus zu werfen. Aufbauend auf dieser
diesen Wurfspielen soll von einem selbst- ist man am erfolgreichsten, wenn man Erfahrung kann man dann in den weite-
gewählten Abstand aus das Wurfziel ge- von Entfernungen mit einer mittleren ren Trainingssitzungen ein realistisches
troffen werden und es werden in Abhän- Erfolgswahrscheinlichkeit aus wirft, da Zielsetzungsverhalten vermitteln.
gigkeit vom Abstand mehr oder weniger man mehrfach trifft und pro Wurf auch

Definition  mer entgegen ihrer bisherigen Verhaltenstendenzen lernen


Motive sind zeitlich stabile Wertungs- und Verhal-

-
sollen,
sich realistische Ziele zu setzen (▶ Exkurs „Realisti-

-
tensdispositionen für thematisch abgrenzbare und
zugleich allgemeine Klassen von Handlungssituatio- sche Zielsetzungen fördern“),
nen. Das Leistungsmotiv umfasst die Wertungs- und erfolgszuversichtliche Ursachenzuschreibungen
zu zeigen (Erfolge eher internal und Misserfolge eher

-
Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich,
wobei das Leitthema des Leistungsmotivs in der variabel zu attribuieren) und
„Auseinandersetzung mit einem als verbindlich aus ihren Erfolgen mehr positive Selbstbewertungen
erachteten Gütemaßstab“ besteht. Wie bei Motiven zu ziehen als negative Selbstbewertungen aus ihren
i. Allg. wird auch beim Leistungsmotiv zwischen einer Misserfolgen (positive Selbstbewertungsbilanz).
Annäherungskomponente (Hoffnung auf Erfolg) und
einer Meidungskomponente (Furcht vor Misserfolg) Ausgehend von diesem Modell wurden verschiedene Eva-
unterschieden. luationsstudien mit Schülern durchgeführt (z. B. Krug
& Hanel, 1976; Rheinberg & Günther, 2005). Zu Beginn
kommen in diesen Motivationstrainings einfache Spiele
Schon früh wurde in der Leistungsmotivationsforschung wie z. B. das Ringwurfspiel oder das Labyrinthspiel zum
versucht, das Leistungsmotiv durch gezielte Interven- Einsatz. Im Verlauf der Trainings werden die eher spieleri-
tionen zu verändern (DeCharms, 1979; McClelland schen Materialien immer mehr durch schulnahes Material
& Winter, 1969). Eine präzisere Differenzierung zwi- ersetzt. Die Aufgaben haben jeweils einfache Schwierig-
schen verschiedenen Ansatzmöglichkeiten für die Vor- keitsstaffelungen (z. B. Abstände bei Wurfspielen) und die
gehensweise lieferte jedoch erst das Selbstbewertungs- Erfolge bzw. Misserfolge hängen zentral von der eigenen
modell der Leistungsmotivation (Heckhausen, 1975; Anstrengung ab. An diesen Materialien werden die drei
Fries, 2002; Rheinberg & Vollmeyer, 2011). Im Selbst- Prozesskomponenten einer erfolgszuversichtlichen Mo-
bewertungsmodell wird die erfolgszuversichtliche oder tivausprägung eingeübt. Die Trainingsteilnehmer setzen
misserfolgsängstliche Ausprägung des Leistungsmotivs sich vor der Bearbeitung der Aufgaben Ziele. Im Anschluss
als Resultat dreier Prozesskomponenten gesehen. Es sind an die Aufgabenbearbeitung benennen sie Gründe für ihr
dies: erfolgreiches oder nicht erfolgreiches Abschneiden (Ursa-
1. Ziel- und Anspruchsniveausetzung chenzuschreibung). Abgeschlossen wird die Sequenz durch
2. Ursachenzuschreibung Selbstbewertungsprozesse, die im Training z. B. durch das
3. Selbstbewertung. Beantworten entsprechender Abfragen angeregt werden.
Obwohl diese Trainingsverfahren eine dauerhafte Verän-
Diese Prozesskomponenten beeinflussen sich gegenseitig derung des Leistungsmotivs und damit eines Persönlich-
und stabilisieren sich dabei wechselseitig. Im Motivations- keitsmerkmals anstreben, ist es durchaus angemessen, den
training muss daher an allen drei Komponenten angesetzt Trainingsbegriff auf solche Interventionen anzuwenden:
werden. Durch das Training soll eine erfolgszuversichtliche Im Training wird prozedurales Wissen hinsichtlich motiva-
Ausprägung des Leistungsmotivs erzielt werden. Konkret tionsförderlicher Anspruchsniveausetzungen, Ursachenzu-
bedeutet das, dass misserfolgsängstliche Trainingsteilneh- schreibungen und Selbstbewertungen vermittelt und geübt.
410 Kapitel 17 • Training

Die auf der Basis des Selbstbewertungsmodells entwi- (Fries, Lund & Rheinberg, 1999; Fries, 2002). Die Koppe-
1 ckelten Motivationstrainings wurden in einzelnen Studien lung von Motivationsförderung mit anderen Trainingszie-
evaluiert. Dabei zeigte sich, dass die trainierten Schüler len erfolgt auch in anderen Trainingsverfahren. So wird in
2 sich im Anschluss an das Training im Vergleich zu nicht Verfahren zur Förderung des Leseverständnisses mit den
trainierten Schülern günstigere Ziele setzen sowie Misser- Teilnehmern das Setzen realistischer Ziele geübt (Gold
folge stärker auf Anstrengung und weniger auf mangelnde et al., 2006; ▶ Abschn. 17.4) oder auf die motivationsför-
3 Fähigkeit attribuieren. Auch die Ausprägung des Leis- dernde Wirkung der Trainingsinhalte geachtet (Guthrie,
tungsmotivs – gemessen mit dem LM-Gitter nach Schmalt Wigfield & Perencevich, 2004; ▶ Abschn. 17.4).
4 (1976) – wurde durch das Training in vorhergesagter Weise Neben den skizzierten Programmen gibt es weitere
beeinflusst (Steigerung der Hoffnung auf Erfolg, Sinken der Trainingsverfahren, die sich auf spezifische Teilziele rich-
5 Furcht vor Misserfolg; Krug & Hanel, 1976; Rheinberg & ten. Zu nennen sind hier insbesondere Reattribuierungs-
Günther, 2005). Trotz dieser positiven Evaluationsbefunde trainings (Ziegler & Schober, 2001; Ziegler & Finsterwald,
sollten weitere Evaluationsstudien zur Wirksamkeit von 2008) und Trainings zur Bezugsnormorientierung (Rhein-
6 Motivationstrainings durchgeführt werden. Insbesondere berg & Krug, 2005).
fehlen Untersuchungen, in denen langfristige Effekte des
7 Trainings nachgewiesen werden konnten. Es ist zu ver-
muten, dass gerade der langfristige Erfolg von Motivati- 17.4 Training kultureller
onstrainings in besonderer Weise davon abhängt, ob die Grundkompetenzen am Beispiel
8 trainierten Schüler auf ein Umfeld treffen, in dem sie ihre des Lesens und Schreibens
veränderten Motivationsstrategien auch tatsächlich anwen-
9 den können; so muss z. B. im schulischen Kontext Raum Bislang lag der Fokus dieses Kapitels auf Trainingsmaß-
für eigene Anspruchsniveausetzungen bestehen (Problem nahmen zur Förderung kognitiver Grundfunktionen und
10 der Nachhaltigkeit; ▶ Abschn. 17.5). der Motivation. Solche Inhalte zeichnen sich durch ihre
Die bislang dargestellten Trainingsverfahren haben bereichsübergreifende Bedeutung aus: Wir können nur
ausschließlich motivationale Förderziele. Man kann die lernen, wenn unsere Aufmerksamkeit die Aufnahme von
11 Motivationsförderung jedoch auch mit anderen Förder- Informationen zulässt, die dann im Gedächtnis verarbeitet
zielen verbinden. So hat z. B. Fries (2002) ein Motivati- werden. Wir initiieren nur dann (Lern-)Handlungen, wenn
12 onstraining mit dem Denktraining nach Klauer (1991; wir dazu motiviert sind.
▶ Abschn. 17.2) kombiniert. Gerade die Motivationsför- In den folgenden Abschnitten wird dieser Blickwin-
derung sollte hiervon profitieren, weil gleichzeitig lern- kel verändert, indem kulturbezogene Grundkompetenzen
13 relevante Kompetenzen vermittelt werden, durch welche wie Rechnen, Lesen und Schreiben ins Zentrum gerückt
die zusätzlich investierte Anstrengung auch in einem tat- werden. Weil in der Pädagogischen Psychologie vor allem
14 sächlichen Lernerfolg mündet. Das „Integrierte Training“ die beiden zuletzt genannten Bereiche intensiv erforscht
(Fries, 2002) umfasst 16  Lektionen und richtet sich an wurden, fokussieren wir im Folgenden auf Programme zur
15 10- bis 13-jährige Schüler. Neben Trainingsmodulen, die Förderung des Leseverständnisses, des Rechtschreibens
ausschließlich das Denken bzw. die Motivation fördern, und des Schreibens von Texten für Kinder im Schulalter
umfasst das Training sog. integrierte Module. In diesen (zu Ansätzen zur vorschulischen Förderung von Vorläufer-
16 Modulen wird die Methode aus dem Motivationstraining kompetenzen für den Schriftspracherwerb vgl. ▶ Kap. 16).
übernommen, das Material stammt hingegen aus dem Dabei wird deutlich werden, dass viele Erkenntnisse und
17 Denktraining (▶ Abschn. 17.2.2). Die Bearbeitung der in- Prinzipien, die bislang beschrieben wurden, auch in diesen
tegrierten Module erfolgt in 3 Schritten. Im 1. Schritt legen beiden Domänen zum Einsatz kommen.
die Teilnehmer fest, wie viele von insgesamt 6 Denkaufga-
18 ben sie anschließend korrekt lösen wollen (Zielsetzung).
Im 2. Schritt werden die 6 Denkaufgaben eigenständig be- 17.4.1 Training des Leseverständnisses
19 arbeitet. Im 3. Schritt erfolgt die Leistungsfeststellung sowie
im Anschluss daran eine Ursachenzuschreibung („Ich hatte Übersichtsarbeiten über Ansätze zur Förderung des Lese-
20 Misserfolg, weil …“) und eine Selbstbewertung. Innerhalb verständnisses weisen übereinstimmend darauf hin, dass
der integrierten Module werden also die für die Motivför- jenseits aller spezifischen Unterschiede vorliegender Trai-
derung zentralen Übungen der realistischen Zielsetzung, ningsmaßnahmen ein gemeinsames Ziel wirksamer Pro-
21 der erfolgszuversichtlichen Ursachenzuschreibung und gramme darin besteht, Leser zum Überprüfen des eigenen
der positiven Selbstbewertung direkt auf die Aufgaben des Leseverstehens anzuleiten (Gersten, Fuchs, Williams &
22 induktiven Denkens bezogen. Empirische Untersuchun- Baker, 2001; Souvignier, 2009; Streblow, Schiefele & Rie-
gen belegen die Wirksamkeit des „Integrierten Trainings“ del, 2012). Ein solchermaßen aktiv reflektierendes Lesen
17.4  •  Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens
411 17

Exkurs  |       | 

Textdetektive
Das Programm „Wir werden Textdetek- „Wichtiges zusammenfassen“ (wie komme und Reflexion über den Leseerfolg als
tive“ (Gold et al., 2006) ist für Schüler der ich zu einer verkürzten Darstellung in Arbeitsroutine vorgegeben werden. Zur
Klassenstufen 5 und 6 konzipiert und eigenen Worten?) erarbeitet werden. Vor Unterstützung der nachhaltigen Wirksam-
umfasst etwa 28 Unterrichtsstunden. dem Hintergrund des Trainingsbausteins keit des Programms wurde ein Wieder-
Eingebettet in die Rahmenhandlung einer zur individuellen Zielsetzung werden die holungsprogramm entwickelt, das etwa
Ausbildung zu Textdetektiven – in dieser Schüler angeleitet zu reflektieren, ob die 1 Jahr nach Durchführung des Trainings
Analogie wird der systematisch planvolle neuen Strategien sich tatsächlich als hilf- zur Auffrischung des Gelernten eingesetzt
Charakter erfolgreichen Lesens deutlich – reich erweisen. Die so individuell wahrge- werden kann (Trenk-Hinterberger & Sou-
werden den Schülern 7 Lesestrategien in nommene Wirksamkeit der Strategien soll vignier, 2006). Bei diesem strategiezent-
Verbindung mit Strategien zur motivati- deren kontinuierliche Anwendung unter- rierten Ansatz wird eine Verbesserung der
onalen und kognitiven Selbstregulation stützen. Schließlich werden die Schüler Lesemotivation durch die Wahrnehmung
vermittelt. Zunächst lernen die Schüler, in einem letzten Trainingsbaustein eines Kompetenzzuwachses angestrebt.
dass individuelle Erfolge davon abhängig dafür sensibilisiert, die Lesestrategien Insgesamt führte das Textdetektive-Pro-
sind, sich realistische Ziele zu setzen zielgerichtet einzusetzen. Sie lernen hier, gramm zu Verbesserungen hinsichtlich
(▶ Abschn. 17.3). Anschließend folgt sich nicht nach dem Prinzip „Viel hilft viel“, des Lesestrategiewissens (d = 0,82), des
ein umfangreicher Trainingsbaustein, sondern adaptiv in Abhängigkeit von der Leseverständnisses (d = 0,51) und der le-
bei dem Lesestrategien wie „Überschrift jeweiligen Lesesituation zu verhalten. sebezogenen Selbstwirksamkeit (d = 0,49)
beachten“ (zur Bewusstmachung Alle Inhalte des Textdetektive-Programms (Souvignier & Mokhlesgerami, 2006; für
vorhandenen Wissens), „Klären von Text- werden abschließend in Form eines „Lese- eine ähnliche Befundlage zum Training
schwierigkeiten“ (Umgang mit unklaren plans“ strukturierend zusammengefasst, siehe Souvignier & Trenk-Hinterberger,
Wörtern), „Verstehen überprüfen“ (indem in dem die Schritte Zielformulierung, 2010).
Fragen zum Text generiert werden) und Strategieauswahl, Strategieregulation

wird dadurch unterstützt, dass Schüler sich selbst Fragen erfolgreich war, um gegebenenfalls zu entscheiden, die
zum Text stellen und versuchen, wichtige Inhalte zusam-
menzufassen. Nicht zuletzt unter motivationalen Gesichts-
punkten ist es wichtig, dass Leser sich klar machen, dass sie
selbst den Prozess des Leseverstehens positiv beeinflussen
- Lernaufgabe in einer alternativen Weise anzugehen.
Das eigene Lernverhalten muss motivational un-
terstützt werden, indem beispielsweise klare Ziele
formuliert werden, indem ein Anwendungsbezug des
können. Dieses zunächst schlicht anmutende Grundprin- Gelernten deutlich gemacht wird oder indem Anreize
zip erfolgreichen Lesens – Nachdenken über das, was man gesetzt werden.
gelesen hat – wird bei unterschiedlichen Förderansätzen in
Anlehnung an je unterschiedliche theoretische Rahmen- Dieses Grundmuster aus dem Einsatz von Lesestrategien
konzepte mit abweichenden Nuancierungen umgesetzt. In und einer motivationalen Unterstützung kann in der Pra-
diesem Abschnitt sollen zwei Ansätze exemplarisch vor- xis auf deutlich unterschiedliche Weise umgesetzt werden.
gestellt werden, bevor eine Zusammenstellung zentraler Bei dem deutschsprachigen Unterrichtsprogramm „Wir
Komponenten von Programmen zur Förderung des Lese- werden Textdetektive“ (Gold et al., 2006; ▶ Exkurs „Textde-
verständnisses vorgenommen wird. tektive“) liegt der Fokus auf einer Anleitung zu strategieo-
Ein Grundmuster vieler Förderprogramme, das in rientiertem Lesen. Der amerikanische Ansatz der „Concept
Einklang mit Theorien zum selbstregulierten Lernen steht Oriented Reading Instruction CORI“ (Guthrie et al., 2004)
(Pintrich, 2000; Zimmerman, 2000), lässt sich in drei basiert hingegen stärker auf Überlegungen zum motivier-

-
Punkten zusammenfassen:
Lerner müssen über bereichsspezifische Strate-
gien verfügen. Beim Lesen sind das beispielsweise
Strategien wie „unklare Begriffe klären“, „Wichtiges
ten aktiven Lesen (▶  Exkurs „Concept Oriented Reading
Instruction“). Beide Programme haben sich als wirksame
Maßnahmen zur Förderung des Leseverständnisses erwie-
sen (z. B. Souvignier & Mokhlesgerami, 2006).
zusammenfassen“, „Textaussagen auf Kohärenz prü- Neben diesen beispielhaft vorgestellten Programmen
fen“ oder „sich Anwendungsbeispiele zu Textinhalten gibt es noch eine Reihe von Ansätzen, die das Thema

- überlegen“.
Der Einsatz dieser Strategien muss reflektiert und
deren Wirksamkeit muss überprüft werden. Der Leser
muss überlegen, welche Strategie in einer gegebenen
„motivierter Einsatz von Lesestrategien“ variieren. Als
„Klassiker“ der Leseförderung kann hier der „Reciprocal-
Teaching-Ansatz“ von Palincsar und Brown (1984) gelten,
bei dem zunächst vier Lesestrategien vermittelt werden
Situation hilfreich sein könnte, und es muss kont- (Fragen formulieren, zusammenfassen, vorhersagen, Text-
rolliert werden, ob der Strategieeinsatz tatsächlich schwierigkeiten klären), die anschließend in Kleingruppen
412 Kapitel 17 • Training

Exkurs  |       | 
1

-
Concept Oriented Reading Instruction
2 Das CORI-Programm (Guthrie, Wigfield & Praktische Tätigkeiten („real world der Schüler, und sie drücken dieses
Perencevich, 2004) richtet sich an Schüler interaction“): Die Schüler führen Interesse auch explizit aus.
der 3. Jahrgangsstufe und wird über einen selbst – begleitend zur Lektüre von Diese motivationstheoretisch begrün-
3 Zeitraum von 12 Wochen durchgeführt, Sachtexten – Experimente und Beob- deten instruktionalen Prinzipien werden

4
während derer täglich eine Doppelstunde
für die Leseförderung aufgewandt wird.
Thema des Programms ist das „Leben an
Land und im Wasser“, sodass ein erfah-
- achtungen durch.
Kontinuierliche Kompetenzunterstüt-
zung („competence support“): Ziele
und effektive Strategien um die Ziele
durch eine gezielte Strategievermittlung
unterstützt. Diese Strategien beziehen
sich darauf, dass die Schüler beim Lesen
ihr Vorwissen nutzen, sich selbst Fragen

5 rungs- und anwendungsbezogener fä-


cherübergreifender Unterricht möglich ist.
zu erreichen werden klar strukturiert
vorgegeben, sodass die Lernenden
zum Text stellen, verschiedene Texte
lesen, kritische Inhalte extrahieren, Infor-
Da motiviertes Lesen und der motivierte selbst erfahren, wie sie Wissen und mationen integrieren sowie Verstandenes
6
7
Einsatz von Lesestrategien der Ansatz-
punkt des CORI-Programms sind, wird
eine integrierte Lesemotivations- und
-strategieförderung durch die Realisierung
- Kompetenz erwerben.
Förderung der Autonomie („auto-
nomy support“): Schülern werden
Entscheidungsspielräume bei der
kommunizieren und darstellen. Der
CORI-Unterricht wird über weite Unter-
richtsphasen in selbstständig arbeitenden
Kleingruppen umgesetzt. Den Lehrern

-
von 5 Instruktionsprinzipien angestrebt:
Lesebezogene Lernzielorientierung
Auswahl von Texten eingeräumt, um
das selbstbestimmte Lernen und
werden umfangreiche Materialien und
ein Instruktionshandbuch zur Verfügung
8
9
(„learning goals orientation“): Es wird
vermittelt, dass die Aneignung von
Wissen und ein tieferes Verstehen
Ziel des Lernens sind und nicht die
- Lesen zu fördern.
Förderung von Interaktion mit dem
Lehrer („relatedness support“): Die
Lehrer befassen sich fortlaufend
gestellt, die während einer zweiwöchigen
Schulung zur Vorbereitung auf den Unter-
richt genutzt werden.

Noten am Ende des Schuljahres. mit den individuellen Interessen

10
angewandt werden. Dabei übernehmen Schüler wechsel- zur Verfügung, in dessen Struktur konkrete Informa-

11
12
seitig die Lehrerrolle und bekommen so die Verantwor-
tung für den selbstständigen, kooperativen Strategieeinsatz
übertragen. Kombiniert mit einem zusätzlichen Baustein
zur Förderung selbstregulierten Lernens, konnte die Nach-
- tionen eines Textes eingebaut werden können.
Explizite Instruktion von Strategiewissen: Die initi-
ale Vermittlung von Lesestrategiewissen muss explizit
durch Trainer vorgenommen werden. Hier hat sich
haltigkeit dieses Ansatzes noch einmal gesteigert werden die modellhafte Demonstration des Einsatzes und
(Schünemann, Spörer & Brunstein, 2013). In ähnlicher der Reflexion über den Nutzen einer Lesestrategie
13 Weise gilt für fast alle in der Praxis bewährten Konzepte, bewährt, indem ein Trainer laut denkend illustriert,

14
15
dass zentrale Trainingsbausteine benannt werden können,
die in je unterschiedlicher Gewichtung miteinander kom-
biniert wurden. Eine Sichtung der Literatur zur Förderung
des Leseverständnisses führt hier zu sechs Merkmalen ef-
- wie er mit Leseanforderungen umgeht.
Peer-Tutoring-Methoden: Aufbauend auf einer
lehrergeleiteten Strategievermittlung hat sich das
eigenverantwortliche Einüben der Strategienutzung

16 -
fektiver Leseförderung (Souvignier, 2009):
Vermittlung von Lesestrategien: Es sollten sowohl
Strategien, die einer Verdichtung der Textvorlage
in Kleingruppen bewährt. Auf diese Weise steigt die
Übungsintensität und Lernende müssen (metakogni-
tiv) reflektieren, welche Strategie in welcher Situation

17
dienen (Zusammenfassen) als auch solche Strategien
vermittelt werden, die über den konkreten Textin-
halt hinausweisen (Fragen generieren). Ergänzt um
Strategien zum Klären unklarer Begriffe bilden solche
- zielführend eingesetzt werden kann.
Motivationale Unterstützung: Zur Förderung der
Lesemotivation sind die 4 Aspekte
1. soziale Einbindung,

-
18 Strategien das Grundgerüst von Strategieprogrammen. 2. Kompetenzerleben,
Aufbau metakognitiver Kompetenzen: Die Schüler 3. Selbstbestimmung und

-
19 müssen in die Lage versetzt werden, den Einsatz von 4. Bedeutung des Lernstoffs entscheidend.
Strategien zu planen und zu regulieren. Hier ist auch Entsprechend wird Lesen dann als motivierend
20 das zentrale Trainingsziel zu verorten, dass Leser zur empfunden, wenn in Kleingruppen ein hohes Maß an
Überwachung des eigenen Leseverstehens angeleitet Austausch und Auseinandersetzung mit den Texten

21
22
- werden müssen.
Vermittlung von Textstrukturwissen: Das Wissen
über den Aufbau von Texten in Form einer Geschich-
tengrammatik oder von Strukturmerkmalen von
ermöglicht wird, wenn thematisches Vorwissen oder
der Einsatz von Lesestrategien das Erleben eigener
Kompetenz unterstützen und Schüler sich durch
Einbindung in die Themenwahl als selbstbestimmt
Sachtexten stellt dem Leser ein (Vorwissens-)Gerüst erleben können.
17.4  •  Training kultureller Grundkompetenzen am Beispiel des Lesens und Schreibens
413 17

Wenngleich nicht all diese sechs Merkmale umgesetzt sein (auch) eine notwendige Kompetenz für das (Recht-)
müssen (dies ist bisher nur bei dem CORI-Programm der Schreiben. Das Würzburger Trainingsprogramm
Fall), hat sich in Untersuchungen mit unterschiedlich kom- „Hören, lauschen, lernen“ (Küspert & Schneider,
plex aufgebauten Förderprogrammen gezeigt, dass jeweils 2006) stellt somit auch eine wirksame Möglichkeit
die „theoretisch vollständigere“ Version die höchsten Ef-
fekte bewirkte (Guthrie et al., 2004; Souvignier & Mokhles-
gerami, 2006). Wenngleich dieser Befund aus einer theo-
riebezogenen Position zu erwarten ist (und letztlich auch
- zur Prävention von Rechtschreibschwierigkeiten dar.
Lautgetreue Schreibung: Im Übergang zur Beach-
tung orthografischer Muster lernen Kinder Wörter
lautgetreu zu schreiben. Zunächst werden Wörter
eine Bestätigung theoretischer Konzepte darstellt), so stellt rhythmisiert und in Silben zerlegt, bevor einfache
er für die Förderpraxis doch eine nennenswerte Hypothek Rechtschreibregeln (z. B. Konsonantenverdopplung
dar: Mit der Überlegenheit theoretisch fundierter, inhalt- lässt sich beim Zerlegen in Silben heraushören)
lich komplexer Programme steigt die Anforderung an Trai- behandelt werden. Das Programm „Lautgetreue Lese-
ner und Lehrkräfte, diese umfassenden Konzepte in den Rechtschreibförderung“ von Reuter-Liehr (2001) hat
alltäglichen Unterricht zu übertragen. Dies unterstreicht sich in diesem Bereich als eine wirksame Möglichkeit
auch für den Bereich der Leseförderung die Bedeutung
der Frage nach wirksamen Implementationskonzepten
(▶ Abschn. 17.5). - zur Förderung erwiesen.
Orthografische Strategie: Darauf aufbauend ist eine
gezielte Förderung von Rechtschreibregeln anzustre-
ben, wie sie beispielsweise in dem „Marburger Recht-
schreibtraining“ von Schulte-Körne und Mathwig
17.4.2 Schreiben (2000) vermittelt werden.

Im Hinblick auf das Training von Schreibkompetenzen ist Daher gilt insbesondere für den Bereich des Rechtschrei-
es sinnvoll, zwei Domänen zu unterscheiden: Das Recht- bens, dass eine frühzeitige Diagnose möglichen Förder-
schreiben und das Schreiben von (informativen, spannen- bedarfs, beispielsweise durch den Einsatz des „Bielefelder
den, gut gegliederten) Texten. Parallelen zur Leseförderung Screenings zur Früherkennung von Lese-Rechtschreib-
liegen insofern vor, als vorschulische präventive Maßnah- schwierigkeiten“ (BISC; Jansen, Mannhaupt, Marx &
men zur Förderung phonologischer Bewusstheit und der Skowronek, 1999), und eine unmittelbar einsetzende För-
Buchstabe-Laut-Zuordnung als wirksamste Möglichkeit derung die Chance einer erfolgreichen Intervention deut-
zur Vermeidung von Rechtschreibschwierigkeiten an- lich erhöhen.
gesehen werden können (Schneider & Marx, 2008) und
wirksame Programme zur Förderung des Schreibens von Schreiben von Texten
Texten auf theoretischen Modellen zum selbstregulierten Schreiben ist ein komplexer Prozess. Namhafte Schriftstel-
Lernen basieren (z. B. Harris & Graham, 1996). ler weisen – bei individuell sehr unterschiedlichen Strate-
gien – gerne darauf hin, wie arbeitsintensiv und aufwändig
Rechtschreiben das Planen, Erstellen und Überarbeiten eines Textes sind.
Am Beispiel des Rechtschreibens lässt sich sehr gut ver- So berichtet Truman Capote („Kaltblütig“, „Frühstück bei
deutlichen, wie wichtig ein frühzeitiger Einstieg in för- Tiffany“), dass er einem ersten handschriftlichen Entwurf
dernde Maßnahmen ist. Anfangsunterricht im Schreiben eine vollständige handschriftliche Überarbeitung folgen
ist häufig dadurch gekennzeichnet, dass Kinder Buchstabe- lässt, bevor er eine zweite maschinengeschriebene Revision
Laut-Korrespondenzen lernen. Verbunden mit dem Ziel, auf gelbem Papier erarbeitet, der dann – mit einigem zeit-
die Schreibmotivation durch freies Schreiben und vielfäl- lichem Abstand – eine weitere Überarbeitung auf weißem
tige Schreibanlässe zu unterstützen, erfolgt eine gezielte Papier folgt. Andere Autoren berichten von einer minuti-
Überprüfung und Rückmeldung von Rechtschreibleistun- ösen Planung ihrer Texte, sodass einer vollständigen Fest-
gen häufig erst zeitlich verzögert. Eine späte Feststellung legung der Handlung in einem zweiten Schritt die „schrift-
von Rechtschreibschwierigkeiten (etwa in der 3.  Klasse) stellerische“ Phase der Ausformulierung folgt (Graham,
erschwert die Förderung insofern, als der Aufbau von 2006). Solchen eher anekdotischen Annäherungen an den
Rechtschreibkompetenzen einer klaren Abfolge von Pha- Schreibprozess stehen mehrere wissenschaftlich fundierte
sen unterliegt (vgl. Marx, 2007) und entsprechend viele Modelle des Schreibens zur Seite (Hayes & Flower, 1980;

-
Lernschritte „nachgeholt“ werden müssen:
Einsicht in Buchstabe-Laut-Korrespondenzen: Den
Kindern muss deutlich werden, dass jedem gehörten
Laut ein geschriebener Buchstabe zugeordnet werden
Bereiter & Scardamalia, 1987). Indem diese Modelle auf
der Basis von Protokollen lauten Denkens oder experimen-
tellen Analysen der Auslastung kognitiver Ressourcen be-
schreiben, welche Anforderungen beim Schreiben eines
kann. Phonologische Bewusstheit (▶ Kap. 16) ist also spannenden oder überzeugenden Textes zu bewältigen
414 Kapitel 17 • Training

Exkurs  |       | 
1

-
Self-Regulated Strategy Development (SRSD)
2 Harris und Graham (1996) haben ein Diskussion: Es werden Strategien Hilfen durch die Lehrkräfte werden

3
Programm entwickelt, mit dem Schüler
ab der zweiten Klasse an das Schrei-
ben von Texten herangeführt werden
können. Systematisch werden bei diesem
zum Aufbau von Geschichten erklärt
(z. B. Anfang, Hauptteil, Abschluss),
die aktuelle Schreibleistung wird
ermittelt und es werden individuelle
- zurückgenommen.
Unabhängige Leistung: In dieser
abschließenden Stufe setzen die
Schüler die Strategien selbstständig

4 „Self-Regulated-Strategy-Development“-
(SRSD-)Programm domänenspezifische
Schreibstrategien und metakognitives - Ziele besprochen.
Modellieren: Planungs- und Revisi-
onsphase werden von einer Lehrkraft
ein, besprechen und bewerten ihre
Texte in kleinen Gruppen.
Dieses Programm zeichnet sich durch eine

5 Strategiewissen mit der Vermittlung von


Überwachungs- und Steuerungsfertigkei-
mit der Methode des lauten Denkens
modelliert, indem Ideen generiert
systematische Anleitung zur Strategiean-
wendung, zur selbstständigen Reflexion
ten und einer Förderung motivationaler und in eine sinnvolle Abfolge ge- des Arbeitsprozesses und der Bewertung
6 Kompetenzen integriert. Konkret verläuft bracht werden und die erste Fassung des (Schreib-)Produkts sowie durch einen

7 -
das Programm über 6 Instruktionsstufen:
Entwickeln und Aktivieren von
Hintergrundwissen: Es wird Wissen
über den Aufbau von Geschichten
- des Textes überarbeitet wird.
Einprägen: Die Schüler üben, die
gelernten Strategien ohne Merk-
hilfen (z. B. Arbeitsblätter) aus dem
sukzessiven Übergang von expliziter
Strategievermittlung, Modellierung des
Strategieeinsatzes durch Lehrkräfte und
kooperative Arbeitsformen (Schreibkon-

8
vermittelt, Stilmittel werden bespro-
chen, und es werden Kriterien zur Be-
wertung von Geschichten erarbeitet. - Gedächtnis abzurufen.
Unterstützen: Die Strategien werden
nun von den Schülern angewendet,
ferenzen, gemeinsame Bewertung von
Texten) zur eigenverantwortlichen Umset-
zung der gelernten Fähigkeiten aus.

9
sind, geben sie gleichzeitig Hinweise auf Aspekte, die für Aufbau von Texten und sie benötigen mentale Ressourcen,
10 ein Schreibtraining von zentraler Bedeutung sind. um den Schreibprozess zu planen, zu überwachen und Ge-
Generell werden drei Makroprozesse des Schreibens schriebenes zu revidieren (Bereiter & Scardamalia, 1987).
unterschieden: das Planen, das Erstellen und das Überar- Insbesondere die metakognitiven Fähigkeiten der Koordi-
11 beiten (Hayes & Flower, 1980: „planning, translating and nation von Schreibaktivitäten sind eine Schwierigkeit für
reviewing“). ungeübte Schreiber. Wie diese theoretischen Grundlagen
12 Planungsaktivitäten umfassen für ein Training von Schreibfähigkeiten umgesetzt werden
a) das Generieren von Ideen, können, soll beispielhaft an einem Programm von Harris
b) eine Auswahl von Ideen, die sich in einer kohärenten und Graham (1996) illustriert werden (▶  Exkurs „Self-Re-
13 Weise darstellen lassen und gulated Strategy Development (SRSD)“).
c) das Benennen von Zielen, die bei der Erstellung des Mehrere Evaluationsstudien belegen die hohe Wirk-
14 Textes realisiert werden sollen. samkeit des SRSD-Programms (Graham, 2006). Untersu-
chungen von Glaser und Brunstein (2007a, b) spezifizieren
15 Beim Erstellen eines Textes müssen die Befundlage dahingehend, dass die hohe Wirksamkeit
a) Ideen in eine sprachliche Form (Sätze) transformiert dieses Programms maßgeblich durch Maßnahmen zur
werden, die anschließend Förderung selbstregulatorischer Kompetenzen erzielt
16 b) in eine Schriftform übertragen wird. wird. Neben einer Programmversion, in der Schülern
der 4. und 6. Klasse Schreibstrategien in Anlehnung an
17 Bei der Überarbeitung wird schließlich das SRSD-Programm vermittelt wurden, wurden in einer
a) der geschriebene Text mit einem angestrebten Endzu- zweiten Gruppe zusätzlich Selbstregulationskompeten-
stand verglichen, es werden zen der Planungsfähigkeit („self-monitoring and strategic
18 b) Strategien ausgewählt, die eine Realisierung dieser planning“), Selbstbewertung („self-assessment“), Über-
Ziele erlauben und in einer abschließenden Phase wer- wachung von Revisionsaktivitäten („self-monitoring of
19 den revision activities“) sowie ergebnis- und prozessbezogene
c) diese Strategien angewandt. Ziele („criterion setting and procedural goals“) trainiert.
20 Es zeigte sich, dass die Kombination aus Selbstregulations-
Die Komplexität des Schreibprozesses bedingt eine Vielzahl und Strategietraining eine deutlich höhere Wirksamkeit
simultaner Anforderungen, deren Bewältigung durch struk- aufwies als das reine Strategietraining und „klassischer“
21 turierende Trainings unterstützt werden sollte. Darüber hi- Schreibunterricht, der mit Kontrollschülern durchgeführt
naus deutet sich an, worin eine zentrale Herausforderung wurde. Zusammenfassend stellt Graham (2006) fest, dass
22 für Schreibanfänger und Schüler mit Schreibschwierigkei- bei der Förderung von Fähigkeiten zum Schreiben von
ten liegt: Sie benötigen Wissen über den genrespezifischen Texten drei Prinzipien beachtet werden sollten:
17.5 • Implementation von Trainingsprogrammen
415 17

- Strategien zum Schreiben von Texten, Schreibfertig- Forschungssetting durchgeführt und nicht in Praxis-

-
keiten und Wissen über Textgenres sollten direkt und
explizit durch Lehrkräfte vermittelt werden.
Der eigentliche Schreibprozess sollte durch klare
Strukturierungshinweise unterstützt werden, sodass
- feldern umgesetzt wurden.
Ein zweiter kritischer Punkt liegt in der Akzeptanz
neuer Förderkonzepte. So stellen Gräsel und Parch-
mann (2004) in einem Übersichtsartikel deutliche
Schüler unmittelbare Erfolgserlebnisse haben, die Widerstände gegenüber von administrativer Seite

- wiederum motivierend sind.


Die Entwicklung von Schreibkompetenzen sollte
durch den Einsatz von Peer-tutoring-Methoden und
Kleingruppen unterstützt werden, die eine intensive
verordneten Veränderungen wie der Einführung
alternativer Unterrichtskonzepte fest. Nicht zu ver-
nachlässigen ist auch der zeitliche Mehraufwand, der
mit der Auseinandersetzung mit neuen Fördermaß-
Auseinandersetzung mit dem Schreibprozess und den nahmen einhergeht. Kline, Deshler und Schumaker
Schreibprodukten bewirken. (1992) haben im Zuge der Einführung strategieorien-
tierten Unterrichts spezifische „Barrieren“ aufseiten
der Lehrenden festgestellt. Diese bestanden sowohl in
17.5 Implementation Unsicherheiten darüber, ob die innovativen Unter-
von Trainingsprogrammen richtskonzepte adäquat umgesetzt werden konnten
als auch in einer Grundhaltung, dass Schüler notwen-
Die Trainingsforschung erhebt zu Recht Anspruch auf eine dige Fähigkeiten als Folge von Entwicklungsprozes-
hohe Praxisrelevanz. Hohe methodische Standards wie die
Überprüfung der langfristigen Wirksamkeit in Follow-
up-Erhebungen, die Kontrolle der Durchführungsqualität
und der (Un-)Abhängigkeit der Effekte von den jeweiligen
- sen „von alleine“ erwerben.
Ein dritter Punkt, der gerade im Zusammenhang
mit „fertigen“ Trainingsprogrammen von Bedeu-
tung ist, liegt in der Frage der Nachhaltigkeit: Was
Lehrkräften tragen dazu bei, die Wirksamkeit vorliegen- passiert, wenn ein Programm zur Förderung von
der Programme realistisch einschätzen zu können (z. B. Motivation, sozialer Kompetenz oder der Schreibfä-
Glaser & Brunstein, 2007b; Klauer, 2001b). Ein nächster higkeit abgeschlossen ist? Übernehmen Lehrkräfte
Schritt, der über die theoriegeleitete Entwicklung und den und Lernende die wesentlichen Prinzipien in ihren
empirischen Nachweis der Wirksamkeit von Trainingspro- (Lern-)Alltag oder werden im Anschluss an ein Trai-
grammen hinausgeht, liegt allerdings darin, die Umsetzung ningsprogramm wieder die alten Lerngewohnheiten
solcher Konzepte in der Breite von Beratungsangeboten, aufgenommen? Gräsel und Parchmann (2004, S. 204)
Kindergarten- und Schulalltag zu sichern. Insofern bewegt weisen darauf hin, „dass es unrealistisch ist, den
sich die Frage nach wirksamen Implementationskonzep- Unterricht dadurch verändern zu wollen, indem man
ten an einer Schnittstelle zwischen „Training“ und „Un- Schulen und Lehrkräften neue Materialien zur Ver-
terricht“, in dem Trainingskonzepte und Materialangebote fügung stellt und darauf hofft, dass diese wie geplant
nicht als isolierte Programme vermittelt werden, sondern umgesetzt werden“.
in den umfassenderen Rahmen institutionalisierter Bil-
dungsangebote eingebettet werden. Damit hat die Frage Diese drei für eine breite Umsetzung von Trainingspro-
der ▶ Implementation (Umsetzung bzw. Verbreitung) ei- grammen kritischen Punkte zielen jenseits der Qualität
nen eigenständigen Stellenwert, der über die Feststellung solcher Programme darauf ab, dass Umsetzung und Nach-

-
des Vorliegens wirksamer Trainingskonzepte hinausgeht:
Zum einen ist die Wirksamkeit eines Programms
abhängig von der Qualität seiner Durchführung.
So zeigte sich in Studien von Klauer (1996) sowie
haltigkeit durch begleitende Maßnahmen unterstützt wer-
den sollten. Im Hinblick auf die Qualität der Umsetzung
müssen Programme also weitestgehend selbsterklärend
sein und/oder durch entsprechende Fortbildungsmaß-
Schneider, Küspert, Roth, Visé und Marx (1997), dass nahmen vermittelt werden. Um eine hohe Akzeptanz zu
die Effekte des Aachener Denktrainings (▶ Ab- erreichen, ist es wichtig, dass Lehrende bei der Entschei-
schn. 17.2) und des Würzburger Trainingsprogramms dung zur Einführung neuer Programme beteiligt werden,
„Hören, Lauschen, Lernen“ in Abhängigkeit von den die zeitliche Belastung durch Fortbildungsmaßnahmen
jeweiligen Trainern deutliche Unterschiede aufwie- möglichst gering gehalten wird, die Programme praktisch
sen. Auch metaanalytische Befunde zur Wirksamkeit erprobt sind und die Wirksamkeit der Programme unmit-
von Trainings sozial-emotionaler Kompetenzen telbar zu erfahren ist (Gräsel & Parchmann, 2004; Guskey,
(Beelmann, 2006) sowie von Programmen zur Förde- 1986; Van Keer & Verhaeghe, 2005). Eine Nachhaltigkeit
rung des Leseverständnisses (Souvignier & Antoniou, kann schließlich nur dann erreicht werden, wenn die
2007) weisen darauf hin, dass deren Effekte deutlich Durchführung eines Programms ein Umdenken und eine
höher ausfallen, wenn sie in einem kontrollierten Veränderung des Lehrerhandelns („teacher change“) zur
416 Kapitel 17 • Training

Folge hat, was in aller Regel weiterer Unterstützung und derholungsstunde, die 7 Monate nach dem eigentlichen
1 einer (angeleiteten) Reflexion von Trainingseffekten bedarf Training durchgeführt wurde, die Effektivität noch einmal
(Kline et al., 1992; Souvignier & Trenk-Hinterberger, 2010; deutlich gesteigert und stabilisiert werden konnte.
2 Wahl, 2002). Ein kritischer Punkt im Hinblick auf die Akzeptanz
Angesichts dieser vielfältigen Anforderungen an einen von Fördermaßnahmen liegt in dem Faktor der aufzuwen-
erfolgversprechenden Implementationsprozess ist es gut denden Zeit. In einer Studie mit mehr als 1.000 Lehrkräf-
3 nachvollziehbar, dass Kline et al. (1992, S. 380) skeptisch ten zur Wirksamkeit eines breit angelegten Lehrerfortbil-
fragen, ob es überhaupt funktionieren kann, Ergebnisse dungsprogramms (Eisenhower Professional Development
4 der Trainingsforschung in die breite Praxis zu übertragen: Program) in den USA zeigte sich, dass sowohl die Zeit-
„Can strategy instruction be incorporated into educational spanne als auch der absolute zeitliche Umfang der Fort-
5 practices in thousands of schools throughout the nation?“ bildungen gute Prädiktoren dafür waren, ob Lehrkräfte
In einem umfassend angelegten Forschungsprogramm langfristig einen Zuwachs an professionellem Wissen und
überprüften sie daher, ob Lehrkräfte vorgegebenes Unter- Veränderungen ihres Unterrichtshandelns berichteten
6 richtsmaterial in sinnvoller Weise in die schulische Praxis (Garet, Porter, Desimone, Birman & Yoon, 2001). Bei der
übertrugen und welche Maßnahmen notwendig sind, um Implementation neuer Programme muss daher das sen-
7 die langfristige Anwendung innovativer Konzepte zu si- sible Gleichgewicht zwischen zeitlicher Belastung und
chern. Während Kline et al. (1992) generell eine gelungene zur Qualitätssicherung notwendiger Investition von Zeit
Adaptation vorgegebener Unterrichtsmaterialien berich- gewahrt werden. Van Keer und Verhaeghe (2005) konn-
8 ten, weisen Beobachtungen von Souvignier, Küppers und ten zeigen, dass im Anschluss an eine erste erfolgreiche
Gold (2003) darauf hin, dass die Vorgabe fertiger Unter- Implementation eines Programms zur Leseverständnisför-
9 richtsprogramme auch leicht damit einhergehen kann, derung, bei der eine intensive Begleitung der Lehrkräfte
dass Lehrkräfte solche Materialien „stur“ abarbeiten. Zur mit einem zeitlichen Umfang von 35 Stunden stattfand, in
10 Implementation eines Programms sollte daher immer eine einer zweiten Studie eine Reduzierung des Fortbildungs-
praxisbegleitende Reflexion des (veränderten) Lehrerhan- aufwands auf 13 Stunden gelang. Dieser reduzierte Lehr-
delns gehören (Wahl, 2002). So geht auch Guskey (1986; gang umfasste drei 3-stündige Fortbildungen zur Infor-
11 vgl. Clarke & Hollingsworth, 2002) in seinem Modell der mation über das Förderkonzept sowie zur Illustration und
Lehrerfortbildung davon aus, dass Lehrkräfte in Folge einer Diskussion von Realisierungsmöglichkeiten, denen später
12 Veränderung ihres Unterrichtshandelns zunächst bewusst zwei 2-stündige intensive Reflexionen von Unterrichtser-
höhere Lernerfolge aufseiten der Schüler erleben müssen, fahrungen folgten. Dass eine solche Reduzierung der Fort-
bevor sie ihre generellen Einstellungen gegenüber Förder- bildungszeit als Anpassung an die Praxis (im Sinne einer
13 programmen bzw. den Prinzipien neuer Unterrichtskon- Verbesserung der Akzeptanz) erst im Anschluss an eine
zepte verändern. Das bedeutet, dass es für einen erfolg- erste erfolgreiche Evaluation des Unterrichtsprogramms
14 reichen Implementationsprozess in einem ersten Schritt erfolgte, entspricht dem wissenschaftlichen Vorgehen in
notwendig ist, die Akzeptanz zur Durchführung eines der Tradition von „Design-Experimenten“. Ähnlich wie
15 Förderprogramms zu gewinnen. In einem zweiten Schritt dies Gräsel und Parchmann (2004) für die „Top-down“-Im-
müssen die Erfahrungen mit diesem Programm reflektiert plementation vorliegender Unterrichtsprogramme fordern,
werden, um zu einer nachhaltigen Veränderung des Un- sollte zunächst in einem kontrollierten Rahmen gesichert
16 terrichtshandelns zu kommen. Im Hinblick auf eine Un- werden, dass ein Programm wirksam ist und sich in der
terstützung der Nachhaltigkeit fanden Kline et al. (1992), Praxis generell bewährt. Erst dann wird es möglich sein,
17 dass mit einem zeitlichen Abstand von einigen Monaten Schritte zur Optimierung von Implementationsprozessen
zu dem eigentlichen Programm durchgeführte Wiederho- durchzuführen. Bei der Implementation des „Textdetek-
lungseinheiten („booster-sessions“) die langfristige Über- tive-Programms“ zur Förderung des Leseverständnisses
18 nahme der neuen Konzepte wirksam unterstützten. Auch (▶ Abschn. 17.3) wurde in diesem Sinne sukzessive ein
Befunde von Souvignier und Trenk-Hinterberger (2010) Drei-Stufen-Modell entwickelt und empirisch überprüft

-
19 zeigen, dass Lehrkräfte, die einen solchen Wiederholungs- (Souvignier & Trenk-Hinterberger, 2010).
baustein zu einem Programm der Leseverständnisförde- In einer einführenden Lehrerfortbildung werden
20 rung durchführten, nicht nur langfristig mehr profitierten, theoretische Hintergründe zur Konzeption des Pro-
sondern auch in höherem Maße angaben, Programmin- gramms mit direktem Bezug zur Unterrichtspraxis
halte im kommenden Schuljahr sowie in anderen Klassen vermittelt, um die generelle Akzeptanz gegenüber der

-
21 und Fächern umzusetzen. Eindrucksvoll konnte auch in Durchführung des Programms zu sichern.
einer Studie von Möller und Appelt (2001) zur Optimie- Indem fertig konzipiertes Unterrichtsmaterial zur
22 rung nachhaltiger Effekte des Denktrainings von Klauer Verfügung gestellt wird, soll die Durchführung des
(▶ Abschn. 17.2) gezeigt werden, dass mit nur einer Wie- für viele Lehrkräfte ungewohnten strategieorientier-
Literatur
417 17

ten Unterrichts in einer theoriekonformen Weise


tigen Übernahme von Trainingsprinzipien – auch über
ermöglicht werden. Dazu enthält das Lehrermanual
die konkreten Programme hinaus – in den Förder- und
nicht nur ausgearbeitete Stundenentwürfe, sondern
Unterrichtsalltag.
darüber hinaus explizite Hinweise auf die theoreti-

- sche Fundierung der jeweiligen Unterrichtsinhalte.


Durch eine Wiederholungseinheit, die etwa 1 Jahr
nach dem ursprünglichen Programm durchgeführt
werden soll, wird die nachhaltige Übernahme der
Verständnisfragen
1. Durch welche zentralen Merkmale zeichnet sich Training
Programmprinzipien in den weiteren Unterricht aus?
unterstützt. Lehrende und Schüler erfahren hier, dass 2. Das Denktraining nach Klauer gilt als eines der am besten
grundlegende Inhalte des Programms auch im weite- evaluierten Trainings. Inwiefern wurden in den Evaluatio-
ren Verlauf des Unterrichts und in anderen Fächern nen des Denktrainings zentrale Aspekte der Wirksamkeits-
von Nutzen sind. überprüfung von Trainingsverfahren realisiert?
3. Warum sollten vor dem Hintergrund des Selbstbewer-
Dieses Drei-Stufen-Modell greift zentrale kritische Punkte tungsmodells der Leistungsmotivation nur solche Trai-
der Implementation wie Akzeptanz, adäquate Durchfüh- nings zu einer überdauernden Veränderung der Effekte
rung und Sicherung der Nachhaltigkeit auf. Auch die führen, in denen alle drei Prozesskomponenten des Leis-
zeitliche Belastung der Lehrkräfte ist auf ein Minimum tungsmotivs trainiert werden?
reduziert. Grenzen eines derart primär materialgestütz- 4. Welche Parallelen finden sich bei effektiven Programmen
ten Vorgehens liegen allerdings darin, dass die konkrete zur Förderung des Leseverstehens auf der einen und des
Anpassung an unterrichtliche Notwendigkeiten sowie die Schreibens auf der anderen Seite?
Reflexion von Erfolgen und Schwierigkeiten alleine in der 5. Welche zentralen Problemstellungen lassen sich im Hin-
Verantwortung der Lehrkräfte liegen. Als sinnvolle Maß- blick auf die Implementation von Trainingsprogrammen
nahme zur Optimierung von Implementationsprozessen nennen?
sollten daher mehrere Kollegen einer Einrichtung gemein-
sam Fortbildungsmaßnahmen besuchen und die Einfüh- Vertiefende Literatur
rung neuer Programme parallel betreiben. Die Ergebnisse Klauer, K. J. (Hrsg.). (2001). Handbuch Kognitives Training (2. Aufl.). Göt-
tingen: Hogrefe.
der Studie von Garet et al. (2001) unterstreichen, dass Ver-
Langfeldt, H.-P. & Büttner, G. (Hrsg.). (2008). Trainingsprogramme zur För-
änderungen des Lehrerhandelns langfristig eher gelingen, derung von Kindern und Jugendlichen (2. Aufl.). Weinheim: Beltz PVU.
wenn Lehrerteams (auch „Pädagogische Doppeldecker“)
gemeinsam an Fortbildungen teilnehmen. Eine solche ge-
meinsame Veränderung von Unterrichtsroutinen macht Literatur
zudem den gegenseitigen Austausch und die Reflexion von
Erfahrungen wahrscheinlicher, die idealerweise durch be- Adey, P., & Shayer, M. (Hrsg.). (2002). Learning intelligence: Cognitive acce-
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gleitendes Feedback wie in der Studie von Van Keer und
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keit von Fördermaßnahmen maßgeblich von der
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418 Kapitel 17 • Training

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421 18

Die Förderung psychosozialer


Kompetenzen im Schulalter
Arnold Lohaus, Holger Domsch

18.1 Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder


und Jugendliche als Zielgruppe  –  422
18.1.1 Förderkonzepte für einzelne Problembereiche  –  423
18.1.2 Problemübergreifende Förderprogramme – 429
18.1.3 Förderung des Umgangs mit kritischen Lebensereignissen  –  430

18.2 Primärpräventive Förderkonzepte für


Eltern als Zielgruppe  –  431
18.3 Organisationsbezogene primärpräventive
Förderkonzepte – 433
18.3.1 Maßnahmen auf Klassenebene  –  433
18.3.2 Maßnahmen auf Schulebene  –  435
18.3.3 Maßnahmen auf makrosozialen Ebenen  –  436

18.4 Evaluation der Effekte von Programmen zur


Förderung psychosozialer Kompetenzen  –  436
18.5 Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten  –  437
Literatur – 438

E. Wild, J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie, Springer-Lehrbuch,


DOI 10.1007/978-3-642-41291-2_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
422 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

Mit dem Beginn der Grundschulzeit wartet nicht nur die


1 Schultüte mit ihren süßen Versprechungen auf die Schulan-
fänger. Sie müssen sich die Aufmerksamkeit eines Lehrers mit
2 oftmals 25 anderen Kindern teilen. Haben einige Kinder im
Kindergarten möglicherweise noch den Umgang mit Schere
und Stift aufgrund von Schwierigkeiten in der Feinmotorik
3 vermieden, werden sie nun in diesen Bereichen herausgefor-
dert und benötigen die notwendige Frustrationstoleranz. Was
4 bereits im Kindergarten galt, gilt in der Schule umso mehr.
In der großen Gruppe einer Klasse wird verlangt, sich sozial
5 kompetent zu verhalten: eigene Emotionen wahrnehmen
und regulieren, Perspektivenübernahme, positive Beziehun-
gen eingehen und halten, Regeln des Miteinanders einhalten,
6 angemessene Konfliktlösestrategien zeigen etc. Die Anforde-
rungen sind groß. Gleichzeitig bestimmt diese psychosoziale
7 Seite des Lernens auch einen nicht zu vernachlässigen Teil
des Lernerfolgs und des Wohlbefindens in der Klasse. Doch

8 auch außerhalb der Schule sind psychosoziale Kompetenzen


wichtig. Das folgende Kapitel beginnt mit einer kurzen Einfüh-
rung in die primärpräventive Förderung psychosozialer Kom-
9 petenzen. Anschließend wird ein Überblick über verschiedene
Förderkonzepte gegeben. Abschließend wird auf besondere
10 Aspekte der Evaluation und Möglichkeiten zur Optimierung
solcher Fördermaßnahmen eingegangen (. Abb. 18.1).

11
18.1 Primärpräventive Förderkonzepte
12 für Kinder und Jugendliche
.. Abb. 18.1  
als Zielgruppe
13 Nach dem Gesundheitsverständnis der WHO bezieht sich höht ist. Die indizierte Prävention richtet sich dagegen an
Gesundheit nicht nur auf körperliches, sondern auch auf Kinder und Jugendliche, bei denen ein individuell erhöh-
14 psychisches und soziales Wohlbefinden. Die Förderung tes Problemrisiko besteht. So könnte man beispielsweise
psychosozialer Kompetenzen fällt dementsprechend in mit Hilfe eines Screening-Tests Kinder und Jugendliche
15 den Bereich der Gesundheitsförderung. Als primärprä- mit besonders niedrigen sozialen Kompetenzen identifi-
ventiv sind dabei Förderkonzepte einzustufen, die einge- zieren, um mit ihnen gezielt ein Training zur Steigerung
setzt werden, bevor Probleme eingetreten sind. Davon sind der sozialen Kompetenzen durchzuführen (Heinrichs &
16 insbesondere sekundärpräventive Förderkonzepte abzu- Lohaus, 2011).
grenzen, die mit einer korrektiven Zielsetzung eingesetzt Universelle Förderkonzepte haben den Vorteil, dass
17 werden, wenn bereits erste Probleme erkennbar sind, um alle Kinder und Jugendlichen einer Altersgruppe damit
eine weitere Stabilisierung oder Ausweitung dieser Prob- erreicht werden. Der Nachteil besteht gleichzeitig darin,
leme zu vermeiden. dass auch relativ viele Kinder und Jugendliche in die Ziel-
18 Bei vielen der im Folgenden vorgestellten Förderkon- gruppe eingeschlossen werden, bei denen kein Förderbe-
zepte handelt es sich um universelle Präventionsmaß- darf besteht. Die entstehenden Kosten sind dadurch höher
19 nahmen, die sich prinzipiell an alle Kinder und Jugend- als notwendig. Selektive und indizierte Prävention setzen
lichen einer Altersgruppe wenden. Davon abzugrenzen wiederum voraus, dass es möglich ist, eine umgrenzte Ziel-
20 sind primärpräventive Förderkonzepte mit selektivem gruppe zu identifizieren, was nicht immer gelingt. Hinzu
bzw. indiziertem Charakter. Bei der selektiven Präven- kommt, dass die Gefahr einer Stigmatisierung besteht,
tion richten sich Maßnahmen an bestimmte Gruppen, bei wenn einige Kinder und Jugendliche an einem Programm
21 denen ein erhöhtes Problemrisiko besteht. So könnte man teilnehmen sollen und andere nicht. Da alle Förderansätze
beispielsweise gezielt ein Gewaltpräventionsprogramm mit spezifischen Problemen behaftet sind, lässt sich nur im
22 für Jungen in bestimmten städtischen Sozialräumen an- konkreten Anwendungsfall entscheiden, welcher Ansatz
bieten, wenn bekannt ist, dass dort das Gewaltrisiko er- jeweils geeignet ist.
18.1  •  Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
423 18

In den nachfolgenden Abschnitten werden zunächst Verfolgt wird daher das Eintrainieren konkreten Verhal-
Förderansätze dargestellt, die sich an einzelnen Problembe- tens (nonverbal und/oder verbal) in sozialen Situationen.
reichen (wie soziale Kompetenz, Abbau von Ängsten etc.) Dies kann beispielsweise im nonverbalen Verhaltensreper-
orientieren. Es folgt die Darstellung von problemübergrei- toire auf einen angemessenen Augenkontakt sowie eine ad-
fenden Förderansätzen. Anschließend werden Förderan- äquate Mimik und Gestik bezogen sein und im verbalen
sätze vorgestellt, die greifen, wenn Kinder und Jugendliche Bereich die Tonlage, Intonation sowie Geschwindigkeit
mit kritischen Lebensereignissen konfrontiert sind (z. B. und Umfang der Sprachäußerungen betreffen. Zudem
der Scheidung der Eltern). In diesem Bereich stehen ver- werden Verhaltensskripts für häufiger auftretende sozi-
stärkt Ansätze der selektiven und indizierten Prävention ale Situationen trainiert. Beispiele hierfür sind positives
im Vordergrund. oder negatives Feedback geben, jemanden einladen, mit
Hänseleien umgehen oder ein Vorstellungsgespräch wahr-
nehmen. Verwendung finden beispielsweise Methoden wie
18.1.1 Förderkonzepte für einzelne Instruktion, Modelllernen, Rollenspiel, positive Verstär-
Problembereiche kung und praktische Hausaufgaben bezüglich konkreten
Verhaltens. Eltern, Lehrer oder auch Gleichaltrige können
Es existiert eine Vielzahl an Förderprogrammen, die auf dabei mit einbezogen und z. B. angeleitet werden, positive
die Stärkung psychosozialer Kompetenzen in einzelnen Rückmeldung über angemessenes Verhalten zu geben. Da-
Problembereichen ausgerichtet sind. Im Folgenden wird mit soll der Transfer in den Alltag erhöht werden. Zudem
exemplarisch auf die Bereiche soziale Kompetenz, Ag- macht man sich damit den positiven Effekt zunutze, dass
gression, Hyperkinetische Störungen, Depressionen und die Umgebung von einer Verhaltensänderung ausgeht und
Ängste, Sexualität sowie Alkohol-, Nikotin- und Drogen- soziale Interaktionen sich somit positiver gestalten. Dies
konsum eingegangen. ist vor allem dann wichtig, wenn die soziale Umgebung
aufgrund von Etikettierungstendenzen (z. B. „Er ist immer
Soziale Kompetenz aggressiv“) ansonsten unangemessenes Verhalten erwartet
Nach Pfingsten (2007) besteht soziale Kompetenz in der und sich dementsprechend verhält (Spence, 2003).
Verfügbarkeit und Anwendung von Fertigkeiten, die es
dem Handelnden ermöglichen, soziale Situationen zielfüh- Sozial-kognitives Problemlösen:  Bei diesem Ansatz wird
rend und bedürfnisgerecht zu bewältigen. Dazu gehören in den Vordergrund gerückt, ob eine Situation richtig ein-
a) kognitive, geschätzt wird, mögliche Verhaltensalternativen generiert
b) emotionale und werden können, Konsequenzen überschaut werden sowie
c) aktionale Fertigkeiten. ein Prozess des Problemlösens in sozialen Situationen
möglich ist. Trainiert wird, das Auftreten eines sozialen
Beispiele für (a) kognitive Fertigkeiten sind unter ande- Problems wahrzunehmen, innezuhalten und über alterna-
rem, sich in andere Personen hineinversetzen oder Hand- tive Lösungen nachzudenken sowie die möglichen Konse-
lungsalternativen für eine soziale Situation entwickeln zu quenzen der jeweiligen Lösung abzuschätzen, Hindernisse
können. Der Bereich (b) emotionaler Fertigkeiten be- zu bedenken, eine angemessene Lösung auszusuchen, aus-
inhaltet, eigene Gefühle oder Stimmungen wahrnehmen zuführen und zu bewerten.
oder eigene (soziale) Ängste zeitweise ignorieren zu kön-
nen. In den Bereich der (c) aktionalen Fertigkeiten ge- Soziale Perspektivenübernahme:  Trainiert werden Empa-
hört, laut und deutlich sprechen zu können oder jemanden thiefähigkeit und Perspektivenübernahme sowohl auf der
während eines Gesprächs anzusehen (Pfingsten, 2009). Das emotionalen Ebene (z. B. wie fühlt sich der andere in der
Ziel besteht darin, ein selbstsicheres bzw. sozial kompeten- Interaktion?) als auch auf der kognitiven Ebene (z. B. wie
tes Verhalten in sozialen Situationen realisieren zu können, nimmt mein Gegenüber die Interaktion wahr und bewertet
während umgekehrt ein aggressives oder unsicheres Ver- diese?).
halten abgebaut werden soll (Hinsch & Pfingsten, 2007).
Damit wird die Förderung sozialer Kompetenzen auch in Selbstmanagement:  Das primäre Ziel besteht bei diesem
vielen Ansätzen verfolgt, die auf die Prävention in Prob- Ansatz in der Erhöhung des Selbstmanagements bzw. der
lembereichen wie Aggression- oder Angstabbau abzielen. Selbststeuerungskompetenzen. Diese beziehen sich auf
Beelmann, Pfingsten und Lösel (1994) unterscheiden die Fähigkeit, eigenes Verhalten bewusst zu steuern und
vier Trainingsansätze im Bereich sozialer Kompetenzen: aufkommende konkurrierende Impulse ggf. zu unterdrü-
cken. Verwendung finden Techniken wie z. B. Selbstinst-
Behaviorale Modelle:  Fehlende soziale Kompetenzen wer- ruktionen. Sie machen sich innere Dialoge bzw. Selbst-
den vornehmlich auf ein Verhaltensdefizit zurückgeführt. anweisungen zunutze, die in komplexen Situationen eine
424 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

Stress (Beyer & Lohaus, 2006) oder auch die Förderung der
1 .. Tab. 18.1  Klassifikation aggressiven Verhaltens nach Frick
(1998) Lebenskompetenz (Silbereisen & Weichold, 2009).
Übersichtsarbeiten deuten darauf hin, dass sich im di-
2 offen verdeckt rekten Anschluss an Trainings sozialer Kompetenzen posi-
tive Effekte abbilden lassen (Beelmann et al, 1994). Aller-
destruktiv offene Aggressio- (heimliche) Zerstö-
dings fallen die Langzeiteffekte ernüchternder aus. Neben
3 nen (z. B. tätliche
Angriffe)
rung des Eigentums
anderer der Generalisierung in den Alltag von Kindern und Jugend-
lichen stellt damit auch die zeitliche Generalisierung wei-
4 nicht destruktiv oppositionelles
Verhalten
Normverletzungen
(z. B. heimliche terhin eine Herausforderung dar (Beelmann et al., 1994).
Regelverstöße)
Aggression
5
Form der Selbststrukturierung darstellen (Meichenbaum & Die Vermeidung eines aggressiven Auftretens in sozialen
Goodman, 1971). Daneben werden Methoden der Selbst- Interaktionen gilt als Bestandteil sozialer Kompetenz und
6 beobachtung, Selbstevaluation sowie Selbstbelohnung an- kann daher auch im Rahmen sozialer Kompetenztrai-
gewendet. nings bearbeitet werden. Es gibt darüber hinaus Präven-
7 In der Regel werden diese Ansätze in den vorhandenen tions- und Interventionsprogramme, die unmittelbar auf
Förderprogrammen nicht isoliert verfolgt, sondern mitei- die Vermeidung aggressiven Verhaltens ausgerichtet sind.
nander kombiniert. Die Metaanalyse von Beelmann et al. Nach Frick (1998) lassen sich aggressive Verhaltensweisen
8 (1994) deutet darauf hin, dass eine Kombination unter- nach den Dimensionen offen vs. verdeckt und destruktiv
schiedlicher Ansätze zu höheren Effektstärken führt. vs. nicht destruktiv klassifizieren (. Tab. 18.1). Grund-
9 Der Gedanke liegt nahe, dass ein Training sozialer sätzlich können alle Aggressionsbereiche Gegenstand von
Kompetenzen am ehesten in Gruppen gelingen kann, da Anti-Aggressionstrainings sein, wobei der Schwerpunkt in
10 die Einübung sozialer Fertigkeiten idealerweise im unmit- vielen Trainings auf den offenen Aggressionen in sozialen
telbaren sozialen Kontakt erfolgt. Auf der anderen Seite Interaktionen liegt.
kann es Aspekte geben, die in einem Einzeltraining erfolg- Ähnlich wie bei der Förderung sozialer Kompeten-
11 versprechend bearbeitet werden können. Dies gilt insbe- zen werden auch bei Trainings zum Aggressionsabbau
sondere für individuelle Gedanken, die ein angemessenes in der Regel verschiedene psychosoziale Dimensionen
12 Sozialverhalten erschweren können (wie z. B. irrationale angesprochen (▶ Kap. 12). Dazu gehören unter anderem
Gedanken). Es gibt daher Trainings, die neben Gruppen- kognitive, affektive und verhaltensbezogene Elemente.
sitzungen auch Einzelsettings integrieren (wie z. B. das Betrachtet man zunächst die kognitive Ebene, so geht es
13 Training mit sozial unsicheren Kindern von Petermann & um die Beeinflussung von Gedanken, die zur Auslösung
Petermann, 2006). und Aufrechterhaltung aggressiven Verhaltens beitragen.
14 Der überwiegende Teil der vorliegenden Trainings ist Besonders hervorzuheben sind dabei unangemessene
im Bereich der selektiven bzw. indizierten Prävention an- Attributionsmuster, mangelnde Problemlösekompeten-
15 zusiedeln. Es gibt jedoch auch Programme mit universell- zen und unzureichende Selbstkontrollmechanismen. Als
präventiver Zielrichtung, was insofern sinnvoll ist, als eine unangemessenes Attributionsmuster gilt vor allem der
breit angelegte Stärkung sozialer Kompetenzen für viele feindselige Attributionsfehler, der darin besteht, anderen
16 Lebensbereiche (wie Familie, Schule oder Beruf) hilfreich Kindern oder Jugendlichen eine feindselige Absicht zu un-
ist. Soziale Kompetenztrainings gibt es für verschiedene terstellen, auch wenn sie sich neutral verhalten. Es kommt
17 Altersbereiche, angefangen vom Kindesalter. Beispielhaft dadurch in verstärktem Maße zu aggressiven Handlungen,
zu nennen ist dabei das Gruppentraining sozialer Kom- um der vermeintlichen Feindseligkeit zu begegnen (Crick
petenzen von Hinsch und Pfingsten (2007), das in ver- & Dodge, 1994). In Anti-Aggressionstrainings geht es da-
18 schiedenen Varianten vom Grundschulalter bis in das rum, die Attributionsmuster offen zu legen und alternative
Jugend- und junge Erwachsenenalter einsetzbar ist. Wie Verhaltensinterpretationen einzuüben.
19 bereits angeführt, werden darüber hinaus Elemente eines Im Bereich der Problemlösekompetenzen geht es
sozialen Kompetenztrainings in Programmen zu verschie- darum, einseitige Problemlösungen durch den Einsatz ag-
20 denen Problembereichen integriert. Kazdin, Siegel und gressiven Verhaltens zu vermeiden. Viele aggressive Kin-
Bass (1992) verwendeten beispielsweise ein Problemlöse- der und Jugendliche verfügen über ein recht einseitiges
training für soziale Situationen bei Kindern und Jugendli- Verhaltensrepertoire und haben im Wesentlichen gelernt,
21 chen mit einer Störung des Sozialverhaltens, wobei bessere sich mit aggressiven Verhaltensweisen durchzusetzen. In
Effekte erzielt wurden, wenn es mit einem Elterntraining Trainingsmaßnahmen werden daher häufig Elemente von
22 kombiniert war. Andere Problembereiche betreffen soziale Problemlösetrainings eingesetzt. Ein weiterer Ansatzpunkt
Angst (Spence, Donovan & Brechman-Toussaint, 2000), ist in unzureichenden Selbstkontrollmechanismen zu se-
18.1  •  Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
425 18

hen. Dazu gehört, dass betroffene Kinder und Jugendliche Auf der Verhaltensebene steht die Erweiterung des
nicht in hinreichendem Maße gelernt haben, Selbstkont- Verhaltensrepertoires im Zentrum, um Verhaltensalterna-
rollstrategien bei ausgelösten Emotionen (wie Ärger oder tiven zum aggressiven Verhalten zu erlernen. Hier kann es
Wut) einzusetzen. Hier hilft beispielsweise der Aufbau von unter anderem darum gehen, prosoziales Verhalten ein-
Selbstinstruktionstechniken (wie sich selbst zu sagen, dass zuüben, um dadurch die Integration in sozialen Gruppen
man ruhig bleibt). Mangelnde Selbstinstruktionstechniken zu erleichtern. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass viele
spielen nicht nur bei der Auslösung, sondern auch der Auf- Elemente von Trainings zur sozialen Kompetenz gleich-
rechterhaltung aggressiven Verhaltens eine Rolle. zeitig auch Elemente von Anti-Aggressionstrainings sind,
wobei besondere Schwerpunkte im Bereich der Aggres-
Beispiel  |       |  sion gesetzt werden. Nicht zu vergessen ist, dass es neben
aggressiven Kindern und Jugendlichen auch deren poten-
Jannik rennt mit vielen anderen Kindern die Treppe zielle Opfer gibt, sodass auch die Opfer eines „Bullying“ in
zum Pausenhof hinunter. Sie haben es eilig, die große den Blick genommen werden müssen. In manchen Trai-
Pause hat begonnen. Von der Seite wird Jannik von nings geht es also auch darum, die Opfer von aggressiven
einem anderen Jungen angerempelt. Jannik schubst Handlungen zu stärken.
zurück, sodass der Junge die letzten Treppenstufen Trainings zum aggressiven Verhalten gibt es vom Kin-
hinunterfällt. Was ist in dieser Situation in Jannik vor- desalter (z. B. Cierpka, 2001; Petermann & Petermann,
gegangen? Warum musste er sich gleich aggressiv ver- 2005) bis in das Jugend- und Erwachsenenalter, wobei hier
halten? Vielleicht würden andere Kinder diese Situation vor allem die indizierte Prävention im Vordergrund steht
ignorieren – Jannik nicht. Er nimmt solche Situationen (z. B. bei Personen, die bereits durch Gewalttätigkeiten auf-
besonders wahr. Das Anrempeln interpretiert er schnell fällig geworden sind).
als aggressive Handlung gegen seine Person (feindse-
liger Attributionsfehler). Er wird wütend. Es fällt ihm Hyperkinetische Störungen
schwer, diese Wut zu unterdrücken (unzureichende Hyperkinetische Störungen sind durch eine Symptomtrias
Selbstkontrollmechanismen), er schubst zurück (man- charakterisiert, zu der Beeinträchtigungen im Bereich der
gelnde Problemlösekompetenzen). An unterschiedli- Aufmerksamkeit, der Impulskontrolle und des Aktivitäts-
chen Stellen könnte Jannik lernen, einen anderen Weg levels gehören. Je nach der Kombination dieser drei Haupt-
einzuschlagen, damit die Situation nicht eskaliert: Er symptome werden verschiedene Subtypen unterschieden.
könnte weniger sensibel für solche Situationen sein Da eine mangelnde Impulskontrolle auch bei Aggressionen
(Wahrnehmung). Anstatt die Situation als Angriff zu eine wichtige Rolle spielt, gibt es Überschneidungen, die zu
interpretieren, könnte er nach alternativen Erklärun- teilweise ähnlichen Ansatzpunkten bei Präventions- und
gen suchen (möglicherweise war der Rempler ein Ver- Interventionsmaßnahmen führen (z. B. durch das Erlernen
sehen, die Treppe ist eng und alle wollen schnell nach von Selbstkontrolltechniken). Es ist eine multifaktorielle
draußen). Er könnte seine Wut zunächst unterdrücken, Verursachung der hyperkinetischen Störungen anzuneh-
um die Situation zu klären (Selbstregulation). Er könnte men, die sowohl genetische Dispositionen (wie ungüns-
dem anderen Jungen sagen, dass es ihn gestört hat, tige Temperamentsmerkmale oder Regulationsstörungen)
und fragen, ob dieser es absichtlich gemacht hat (Er- als auch psychosoziale Elemente (ungünstiges Erziehungs-
weiterung der Problemlösekompetenz). verhalten) umfasst. Ein inkonsistentes Erziehungsverhalten
und eine mangelnde Kontrolle seitens der Eltern kann zu-
dem zur Aufrechterhaltung einer hyperkinetischen Störung
Auf der affektiven Ebene geht es zum einen um Emoti- beitragen (Döpfner & Kinnen, 2009).
onserkennung und -ausdruck und zum anderen um den Der Präventions- und Behandlungsansatz erfolgt am
Aufbau eines empathischen Mitempfindens. Um die günstigsten multimodal. Neben einem Training mit dem
Empfindungen und Intentionen anderer Personen zu er- Kind bzw. Jugendlichen werden auch die Bezugspersonen
kennen, ist es beispielsweise wichtig, emotionale Signale zu wie Eltern und Lehrer mit eingebunden (DuPaul & Stoner,
verstehen. Gleichzeitig ist es für ein angemessenes Interak- 2003). So bezieht beispielsweise das THOP (Döpfner,
tionsverhalten wichtig, auch selbst entsprechende Signale Schürmann & Frölich, 2007) sowohl die betroffenen Kin-
zu kommunizieren. Dies lässt sich durch Übungen zum der und Jugendlichen als auch deren Erziehungsberechtigte
Gefühlserkennen sowie zu einem angemessenen Gefühls- mit in das Training ein. Dabei sind die familien- und die
ausdruck trainieren. Weiterhin kann es sinnvoll sein, sich kindzentrierten Interventionen aufeinander abgestimmt.
gefühlsmäßig (oder auch kognitiv) in andere Personen hin- Neben einer Psychoedukation werden beispielsweise auch
einzuversetzen, um die Folgen eines aggressiven Handelns die positive Eltern-Kind-Interaktion gestärkt und operante
nachvollziehen zu können. Techniken eingeführt.
426 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

Konzentrations- und Selbstinstruktionstrainings


1 verfolgen unter anderem das Ziel, die Aufmerksamkeit stelle, um konkreter zu besprechen, wie Jannik in eine
höhere Selbstständigkeit bei der Erledigung seiner
und Impulskontrolle zu steigern. Zu nennen ist in diesem
Aufgaben begleitet werden kann.
2 Zusammenhang beispielsweise das Marburger Konzen-
Für das schulische Setting wird vereinbart, mit einem
trationstraining, das für verschiedene Altersabschnitte
Token-Programm anzufangen. Dafür bespricht seine

--
vorliegt (Krowatschek, Albrecht & Krowatschek, 2004;
3 Krowatschek, Krowatschek, Wingert & Schmidt, 2010). Lehrerin mit Jannik
eine konkrete Verhaltensweise,
Bei hyperkinetischen Störungen steht insgesamt die indi-
4 wie viele Punkte (Token) er für das Einhalten der

-
zierte Prävention im Vordergrund, wobei die Übergänge
Verhaltensweise wann erhält,
in die Therapie fließend sind. Unterschiedliche Ansätze
wie viele Punkte er gegen welchen Preis eintau-
5 lassen sich zudem im schulischen Kontext verfolgen, um
schen kann.
eine Verbesserung in diesem Setting zu bewirken (s. Du-
Sie einigen sich darauf, dass Jannik bei der Stillarbeit
Paul & Stoner, 2003). So haben sich beispielsweise Beloh-
6 nungssysteme gerade bei Kindern und Jugendlichen mit ruhig auf seinem Stuhl sitzen bleiben soll. Schafft er
dies, kann er sich auf seinem Punkteplan anschließend
einer hyperkinetischen Störung bewährt. Neben der ge-
7 zielten positiven Rückmeldung (soziale Verstärkung) bei einen Punkt eintragen. Zwanzig Punkte kann er gegen
einen Hausaufgabenfrei-Gutschein eintauschen, den er
erwünschtem Verhalten sind dies beispielsweise Token-
aufheben und bei Bedarf einlösen kann.
Systeme oder auch Verhaltensverträge (Krowatschek &
8 Domsch, 2009). Janniks Lehrerin beginnt den Punkteplan zu verändern,
nachdem sich das Verhalten während der Stillarbeits-
9 Beispiel  |       |  phasen deutlich verbessert hat. Sie trifft eine neue
Verabredung mit Jannik: In der letzten Stunde, die sie
Gerade während der Stillarbeit wandert Jannik gehäuft Jannik an einem Schulvormittag unterrichtet, findet die
10 durch den Klassenraum. Immer mit einer Ausrede für Bewertung statt, ob er während der Arbeitsphasen gut
seine Ausflüge parat, fällt es ihm schwer, ruhig auf dem sitzen bleiben konnte oder nicht. Dafür geben Jannik
11 Stuhl sitzen zu bleiben. Damit stört er nicht nur seine und seine Lehrerin jeweils getrennt voneinander eine
Mitschüler beim konzentrierten Arbeiten, er beendet Bewertung ab. Anschließend vergleichen sie, ob die

12 die Aufgaben auch selten in der vorgegebenen Ar-


beitszeit. Seine Lehrerin holt sich in Absprache mit den
Bewertungen übereinstimmen und besprechen mög-
liche Diskrepanzen. Schließlich kann sich Jannik die
Eltern Hilfe bei der zuständigen Schulpsychologischen vereinbarte Punktezahl in seinen Punkteplan eintragen.
13 Beratungsstelle. Dafür vereinbart sie einen Termin zur Jannik soll so lernen, sein eigenes Verhalten besser zu
Unterrichtshospitation, bei der der Schulpsychologe beobachten (Selbstbeobachtung), zu bewerten (Selbst-
14 Jannik im Unterricht beobachtet. Im Anschluss findet evaluation) und ggf. zu belohnen (Selbstbelohnung).
ein Gespräch zwischen Schulpsychologe, Lehrerin und Ein wichtiger Schritt zu verbesserten Selbstregulations-
Eltern statt, bei dem die Beobachtungen zusammen- kompetenzen. Und bei Familienfesten oder wichtigen
15 getragen und Maßnahmen abgesprochen werden. Fußballtrainings gönnt er sich einen Nachmittag
Die Eltern berichten, dass sie das unaufmerksame hausaufgabenfrei!
16 Verhalten ihres Sohnes zu Hause bei den Hausauf-
gaben erleben. Täglich käme es daher zu Konflikten.

17 Nach einer halben Stunde lege Jannik den Stift zur


Seite. „Unsere Lehrerin behauptet, wir sollen nur eine
In einer Metaanalyse von DuPaul und Eckert (1997) wur-
den verschiedene schulische Interventionen verglichen, die
halbe Stunde an den Hausaufgaben sitzen. Die Zeit ist
sich in drei Bereiche gliedern ließen:
18 um!“ Durch sein ständiges Trödeln hat er jedoch fast
1. Kontingenzmanagement: Bei diesem Ansatz wird an-
nichts geschafft. In der Folge käme es immer wieder zu
gemessenes Verhalten durch positive Konsequenzen
19 Machtkämpfen zwischen Jannik und seinen Eltern, das
(z. B. Token-Systeme) verstärkt und unangemessenes
sei sehr anstrengend.
Verhalten durch negative Konsequenzen reduziert.
Gemeinsam einigt man sich darauf, dass Janniks Lehre-
20 rin ihm konkret benennt, welche Aufgaben er zu Hause
2. Interventionen in der Lehrstrategie: Darunter wur-
den besondere Lehrstrategien (z. B. Peer-Tutoring) ge-
zu erledigen hat. Die Diskussion um die halbe Stunde
bündelt.
21 Arbeitszeit entfällt dadurch, was bereits zu einer deutli-
3. Kognitiv-verhaltensbezogene Interventionen: Dieser
chen Entspannung führt. Zudem vereinbaren die Eltern
Ansatz enthält Interventionen wie beispielsweise Prob-
22 einen Termin in der Schulpsychologischen Beratungs-
lemlösestrategien oder Maßnahmen mit dem Ziel einer
höheren Selbstkontrolle.
18.1  •  Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
427 18

Alle drei Ansätze zeigten deutliche Effekte, wobei diese sonders ist auf die Verhaltensebene zu achten, wenn z. B.
bei verhaltensbezogenen Variablen größer ausfielen als bei soziale Ängste (Angst vor der negativen Bewertung durch
akademischen Variablen. Zudem zeigten sich die ersten andere) begründet sind, da ein Kind oder Jugendlicher
beiden Interventionsarten effektiver als kognitiv-verhal- tatsächlich Defizite in seinem Sozialverhalten aufweisen
tensbezogene Interventionen. Einschränkend muss jedoch kann.
bedacht werden, dass die von den Autoren vorgenommene Ein universelles Präventionsprogramm, das sowohl
Einteilung artifiziell ist, da Maßnahmen häufig miteinan- auf Ängste als auch Depressionen gerichtet ist, liegt mit
der kombiniert werden. So kann beispielswiese ein Kon- dem Freunde-Programm von Barett, Webster und Turner
tingenzmanagement-Ansatz auch mit dem Ziel verwendet (2003) vor. Es wird in Schulklassen durchgeführt und rich-
werden, die Selbstkontrolle zu trainieren. tet sich an Schüler im Altersbereich von sieben bis zwölf
Jahren. Das Programm integriert mehrere Ebenen, wobei
Ängste und Depressionen es im kognitiven Bereich darum geht, innere Gedanken
Mit Ängsten sind fast alle Kinder im Laufe ihrer Entwick- zu erkennen und gegebenenfalls im positiven Sinne zu
lung konfrontiert. Schon im Säuglingsalter lassen sich verändern. Im physischen Bereich steht die Entwicklung
Ängste vor lauten Geräuschen oder – etwas später – vor eines Bewusstseins für Körpersignale und ihre Beeinflus-
fremden Menschen identifizieren. Im Vorschulalter fin- sung (z. B. durch Entspannungsübungen) im Vordergrund.
den sich Ängste vor der Trennung von Bezugspersonen Zusätzlich erfolgt das Einüben von Bewältigungsstrategien
ebenso wie Ängste vor Phantasiegestalten (wie Geister (wie Problemlösefertigkeiten, graduelle Annäherung an
oder Monster). Im Schulalter werden die Ängste konkre- angstauslösende Ereignisse, Suche nach Unterstützung
ter und beziehen sich häufig auf Verletzungen, Krankheit etc.).
oder Tod, aber auch auf eigenes Versagen in der Schule An etwas ältere Schüler (im Alter von 14 bis 18 Jah-
oder in den Augen der Gleichaltrigengruppe. Ängste sind ren) richtet sich das (vorrangig universell ausgerichtete)
evolutionsbiologisch fundiert, indem sie eine Schutzfunk- Programm „Gesundheit und Optimismus (GO!)“ von
tion in potenziellen Gefahrensituationen übernehmen. Junge, Neumer, Manz und Margraf (2002), das ebenfalls
Sie bereiten Verhaltenstendenzen vor, die in Flucht, An- sowohl Angst als auch Depression adressiert. Neben der
griff oder Erstarren bestehen können (Heinrichs & Lo- Vermittlung von Basisinformationen werden auch hier die
haus, 2011). Ebenen Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen und Ver-
Nach Parritz und Troy (2011) kann ein gemeinsamer halten angesprochen. Einen wichtigen Bestandteil bilden
Entwicklungspfad für das Entstehen von Ängsten und dabei potenzielle Fehlinterpretationen von Körperreak-
Depressionen vermutet werden. Die Gemeinsamkeit liegt tionen, Bewältigungsstrategien (z. B. Selbstkonfrontation
darin, dass in beiden Fällen negative Emotionen überwie- mit angstauslösenden Situationen) und dysfunktionale
gen und Schwierigkeiten bestehen, negative Emotionen zu Gedanken.
regulieren. Daraus ergibt sich gleichzeitig ein wichtiger Speziell zur Prävention von Depressionen liegt wei-
Ansatzpunkt für mögliche präventive Bemühungen: Es terhin das vorrangig universelle Programm „Lust an
kommt darauf an, frühzeitig mit negativen Emotionen realistischer Sicht & Leichtigkeit im sozialen Alltag
umgehen zu lernen und sie erfolgreich zu regulieren. (LARS&LISA)“ von Pössel, Horn, Seemann und Hautzinger
Wichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass (2004) vor. Es richtet sich in erster Linie an Jugendliche der
Ängste sich auf der emotionalen Ebene äußern, dass aber 8. und 9. Klasse. Die Wahl der Zielgruppe ist vor allem da-
auch die kognitive Ebene (durch angstauslösende Gedan- durch begründet, dass die Prävalenzraten für Depressionen
ken), die Verhaltens- (durch Flucht- oder Angriffsverhal- über das Jugendalter hinweg deutlich ansteigen. Neben der
ten) und die körperliche Ebene (durch somatische Reak- Wissensvermittlung wird das Setzen persönlicher (realisti-
tionen wie Erhöhung der Herzfrequenz) involviert sind. scher) Ziele thematisiert. Darüber hinaus finden sich Ele-
Diese verschiedenen Ebenen spielen auch bei Depressio- mente zur kognitiven Umstrukturierung, zur Veränderung
nen eine Rolle, wobei auf der kognitiven Ebene negative dysfunktionaler Gedanken sowie Trainingselemente zum
Gedanken in Bezug auf die eigene Person, die Welt und die Einüben selbstsicheren Verhaltens und zur Verbesserung
Zukunft bestehen. Auf der Verhaltensebene dominiert sozialer Kompetenzen. Mit dem Training sozialer Kom-
das Rückzugsverhalten und auf der körperlichen Ebene petenzen soll die soziale Einbindung von Jugendlichen
die Antriebslosigkeit. Im Rahmen der Prävention kann unterstützt werden, was einer Depressionsentwicklung
es also sinnvoll sein, nicht nur auf Emotionsregulations- entgegenwirken kann.
strategien zu fokussieren, sondern beispielsweise auch Neben den universellen Programmen, die teilweise
auslösende und aufrechterhaltende Kognitionen zu the- auch indiziert oder selektiv eingesetzt werden können (z. B.
matisieren. Auch der Umgang mit Verhaltensreaktionen in Mädchengruppen, weil internalisierende Symptomati-
kann Gegenstand von Interventionsbemühungen sein. Be- ken ab der Pubertät häufiger bei Mädchen vorkommen),
428 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

gibt es Programme, die durch einen stärker therapeuti- Alkohol-, Nikotin- und Drogenkonsum
1 schen Anspruch charakterisiert sind (s. zusammenfassend Vor allem im Jugendalter nimmt der Konsum legaler und
Pössel & Hautzinger, 2009; Melfsen & Warnke, 2009). illegaler Substanzen zu. Legale Substanzen sind beispiels-
2 weise Alkohol, Tabak oder Medikamente, illegale Subs-
Sexualität tanzen Cannabis oder Opiate. Will man im Bereich des
Ein wichtiges Präventionsanliegen im Bereich der Sexu- Substanzmittelkonsums präventiv tätig werden, dann ist
3 alität ist die Vermeidung von Schwangerschaften und es zunächst wichtig, sich verschiedene Konsumphasen vor
von Infektionskrankheiten (wie HIV). Als mindestens Augen zu halten. So lassen sich beispielsweise
4 genauso wichtig ist jedoch der Aufbau eines angemesse- a) antezedente Bedingungen, die bereits vor dem Kon­
nen Verhältnisses zu Fragen der Sexualität anzusehen. sumbeginn eine Rolle spielen,
5 Hier geht es darum, positive Einstellungen zur Sexualität b) eine Phase der Initiierung,
zu entwickeln und in angemessener Weise sexuelle Bezie- c) der Stabilisierung und
hungen aufzubauen und gegebenenfalls aufrechtzuerhal- d) der Habitualisierung
6 ten. Es geht also nicht nur um die biologischen, sondern
auch um die psychosozialen Dimensionen von Sexualität. unterscheiden (Lohaus, 1993). Zu den antezedenten Be-
7 Es liegen für diesen Problembereich nur wenige evalu- dingungen gehören unter anderem frühe Einstellungen
ierte Präventionsprogramme vor, die sich überwiegend zum Suchtmittelkonsum, das Vorhandensein von Model-
an das Jugendalter richten. Es gibt zwar eine Vielzahl an len (z. B. Suchtmittelkonsum bei Eltern oder Geschwis-
8 Programmen und Materialien (wie z. B. Aufklärungsbro- tern), eine erhöhte Risikobereitschaft und mangelnde Be-
schüren etc.), die sich an verschiedene Altersgruppen wältigungsressourcen (z. B. indem Alkohol und Drogen als
9 wenden, der überwiegende Teil wurde jedoch nicht sys- Wege zur Problembewältigung gesehen werden). In der
tematisch evaluiert. Phase der Initiierung spielen das Angebot von Suchtmit-
10 Ein breiter Zugang zum Thema Sexualität mit Einbe- teln durch Gleichaltrige, das Suchmittelverhalten in der
zug biologischer und psychosozialer Dimensionen wird Gleichaltrigengruppe und das Bedürfnis nach Anerken-
bei dem Medienpaket zur Sexualerziehung von Eichholz, nung durch die Gleichaltrigengruppe eine entscheidende
11 Niehammer, Wendt und Lohaus (1994) gewählt. Neben der Rolle. Die Gleichaltrigengruppe ist auch in der Phase der
Vermittlung einer Wissensbasis finden sich hier Elemente Stabilisierung wichtig, da sie den Substanzmittelkonsum
12 zum Aufbau positiver Einstellungen zur Sexualität und weiter unterstützen und zu seiner Aufrechterhaltung bei-
zur Verhaltensbeeinflussung (wie z. B. in Form von Rol- tragen kann. In diesen Phasen stehen also die sozialen
lenspielen zur Kontaktaufnahme etc.). Ähnlich breit ist der Funktionen des Suchtmittelkonsums im Vordergrund,
13 Zugang beim LiZA-Programm (Liebe in Zeiten von Aids), während in der Phase der Habitualisierung zunehmend
das einen Schwerpunkt auf die Aids-Prävention setzt, da- die individuellen Funktionen im Vordergrund stehen. Dies
14 bei jedoch gleichzeitig die Stärkung des Selbstwertgefühls, bedeutet, dass das Suchtmittelverhalten sich weiter stabi-
sozialer Kompetenzen und der Kommunikationsfertigkeit lisiert und zunehmend individuelle Bedürfnisse erfüllt,
15 thematisiert (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht indem Abhängigkeiten vom Suchtmittel entstehen. Das
und Kultus, 2004). Ein weiteres Element ist auf Gruppen- Phasenmodell ist in . Abb. 18.2 zusammengefasst.
druck und Medien gerichtet, um Jugendliche gegen Ein- Das Phasenmodell verdeutlicht, dass eine Präventions-
16 flussnahmeversuche und verzerrte Normwahrnehmungen arbeit zum Suchtmittelkonsum frühzeitig ansetzen kann,
zu wappnen. Ein deutlich anderer Zugangsweg wird bei um bereits vor der Initiierung beispielsweise die Einstel-
17 dem Programm Peer Education von Backes und Schön- lung zu Suchtmitteln in eine angemessene Richtung zu
bach (2002) gewählt, das sich an Jugendliche zwischen 15 verändern oder um mangelnde Bewältigungsressourcen
und 17 Jahren richtet und sie dazu befähigen soll, eigene auszugleichen. Diesen Weg beschreiten beispielsweise
18 Projekte zu sexualitätsbezogenen Themen (wie Liebe oder Lebenskompetenztrainings, die in Kombination mit ei-
Schwangerschaftsverhütung) durchzuführen, ohne dass ner Informationsvermittlung zum Substanzmittelkonsum
19 Erwachsene anwesend sind und Hilfestellung leisten (Vier- eingesetzt werden. Hinzu kommen vielfach Elemente
haus, 2009). zur Stärkung der Widerstandsmöglichkeiten gegen Ein-
20 Insgesamt gibt es in diesem Bereich nur wenig standar- flussnahmeversuche durch Gleichaltrige, um die sozialen
disierte und evaluierte Programme, wobei insbesondere Ressourcen für die Phase der Initiierung zu stärken (z. B.
zum Vorschul- und Grundschulalter wenig vorzufinden ist. Nein-sagen-Können beim Angebot von Substanzmitteln).
21 Hier dominieren ad hoc zusammengestellte Programmele- Beispielhaft für diesen Ansatz sind die Programme „All-
mente, die z. B. in Unterrichtsreihen in der Schule genutzt gemeine Lebenskompetenzen und Fertigkeiten (ALF)“ von
22 werden. Eine wissenschaftliche Evaluation liegt in diesen Walden, Kröger, Kirmes, Reese und Kutza (2000) sowie
Fällen nicht vor. das Lebenskompetenzprogramm IPSY von Silbereisen und
18.1  •  Primärpräventive Förderkonzepte für Kinder und Jugendliche als Zielgruppe
429 18

Bahnende Funktionen: Soziale Funktionen und Motive Individuelle Funktionen und


- Modellwirkungen - Annahmen über die soziale Wirkung des Motive:
- Einstellungen Suchtmielkonsums (z.B. Anerkennung) - Physische und psychische
- Risikobereitscha - Einflussnahmen durch die Gleichaltrigen Wirkung des Suchtmiel-
- Bewälgungsressourcen (z.B. Suchtmielangebote) konsums
- Medien - Unterstützung der Aufrechterhaltung - Entstehen von Abhängigkeiten

Antezedente Bedingungen Initiierung Stabilisierung Habitualisierung

.. Abb. 18.2  Phasenmodell des Suchtmittelkonsums. (In Anlehnung an Lohaus, 1993, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe, Göttingen)

Weichold (2009) zu nennen. Für Jugendliche, die sich be- führen kann, durchdachte Entscheidungen trifft, erfolg-
reits in der Phase der Stabilisierung bzw. Habitualisierung reich Probleme löst sowie Gefühle und Stress bewälti-
befinden, existieren Angebote zur Sekundärprävention, um gen kann“ (Jerusalem & Meixner, 2009, S. 141).
die Entstehung von Abhängigkeiten zu vermeiden. In ei-
nigen Suchtmittelbereichen (wie Alkoholkonsum) besteht Die Idee dabei ist, dass viele Risikoverhaltensweisen von
das Präventionsziel nicht darin, einen Konsum grundsätz- Kindern und Jugendlichen auf einen Mangel an Bewäl-
lich zu vermeiden, sondern zu einem kontrollierten Kon- tigungsmechanismen zur Lösung von Alltagsproblemen
sum zu gelangen. Eine weitere Zielrichtung, die ebenfalls zurückgehen (Silbereisen, 1997). Durch das Vorhandensein
teilweise verfolgt wird, besteht darin, den Zeitpunkt der In- eines Problemlöse- und Bewältigungspotenzials werden
itiierung hinauszuzögern, da bei einem späteren Einstieg in Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aufgebaut und damit
den Substanzmittelkonsum die Wahrscheinlichkeit steigt, die Persönlichkeit gestärkt (Jerusalem & Meixner, 2009).
dass es nicht zu einer Stabilisierung oder Habitualisierung Die Lebenskompetenzprogramme basieren dementspre-
kommt. Ein Beispiel für ein Programm, bei dem die Hin- chend auf einem ganzheitlichen Förderansatz, der davon
auszögerung eines Konsums eine wichtige Rolle spielt, ist ausgeht, dass sich die erfolgte Ressourcenstärkung posi-
„Be smart – Don’t start“ zur Primärprävention des Rau- tiv auf unterschiedliche Problembereiche auswirkt. Teil-
chens, das sich an Schüler der Klassenstufen 6 bis 8 richtet. weise erfolgt eine Verbindung mit problemspezifischen
Das Programm wird in Form eines Wettbewerbs in Schul- Elementen (z. B. zu Rauchen und Alkoholkonsum), um
klassen durchgeführt, wobei alle Klassen, die nach Ablauf dadurch die Wirkung auf einzelne Problembereiche wei-
des Wettbewerbszeitraums (sechs Monate) noch rauchfrei ter zu verstärken. Lebenskompetenzprogramme werden
sind, ein Zertifikat erhalten und an einer Preisverlosung typischerweise universell eingesetzt. Neben den bereits ge-
teilnehmen (Hanewinkel, 2007). nannten substanzspezifischen Lebenskompetenztrainings
sind hier beispielsweise Programme wie Lions Quest („Er-
wachsen werden“) von Wilms und Wilms (2004) oder das
18.1.2 Problemübergreifende Programm „Klasse 2000“ zu nennen.
Förderprogramme Als problemübergreifend können auch Stresspräven-
tionsprogramme für Kinder und Jugendliche aufgefasst
Die bisher dargestellten Förderansätze sind auf einzelne werden. Auch hier werden allgemeine Grundlagen für den
Problembereiche (wie Ängste oder Substanzmittelkon- Umgang mit Problemen gelegt, die in verschiedenen Kon-
sum) gerichtet. Eine andere Zielrichtung wird mit prob- texten genutzt werden können, um das individuelle Be-
lemübergreifenden Förderprogrammen eingeschlagen, lastungserleben zu reduzieren. Die zentralen Programm­
bei denen es darum geht, die allgemeinen psychosozialen elemente sind typischerweise darauf gerichtet,
Ressourcen zu stärken, damit Kinder und Jugendliche in a) stressauslösende Situationen zu erkennen,
die Lage versetzt werden, verschiedenste Problemlagen b) die Bewertung stressauslösender Situationen zu verän-
im positiven Sinne zu meistern, ohne auf unangemessene dern (kognitive Umstrukturierung),
Bewältigungswege zurückgreifen zu müssen. Nach dem c) das Bewältigungspotenzial zu erweitern und
Konzept der World Health Organization (WHO) ist le- d) mit Stressreaktionen (wie beispielsweise Kopf- oder
benskompetent, Bauchschmerzen) umgehen zu lernen.

» „wer sich selbst kennt und mag, empathisch ist, kritisch Es geht dabei nicht nur darum, angemessene Bewäl-
und kreativ denkt, kommunizieren und Beziehungen tigungsformen zum Umgang mit individuellen Prob-
430 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

Exkurs  |       | 
1
Stress nicht als Katastrophe erleben – SNAKE
2 Das Stresspräventionstraining SNAKE bewertet wird, und das Problem somit Modul zur Entspannung und zum Zeit-
richtet sich an Jugendliche der 7. bis „verdaut“ ist. management thematisiert unterschiedli-
9. Klassenstufe und wird in der Regel im Im Zusatzmodul zu den Kognitiven che Entspannungstechniken (von Musik
3 schulischen Setting durchgeführt. Dafür Strategien werden Methoden der hören bis progressive Muskelrelaxation)
wird eine Splittung der Schulklasse in kognitiven Umstrukturierung verwendet. und übt einige dieser Entspannungsfor-

4 zwei Gruppen empfohlen. Je nach Zusam-


mensetzung der Schulklasse können zwei
Dafür wird der Zusammenhang zwischen
Situation, Stressgedanken, Emotion und
men praktisch ein. Zudem erhalten und
besprechen die Jugendlichen unter-
geschlechtsheterogene oder aber zwei Verhalten veranschaulicht. Beobachtet schiedliche Strategien zum Thema Zeit-

5 geschlechtshomogene Gruppen gebildet


werden. Das Training erstreckt sich über
eine Schülerin beispielsweise auf dem
Schulhof, dass ihre Klassenkameradin-
management. Ergänzend zum Training
existiert außerdem eine Internet-Seite
acht Doppelstunden, wobei das Basismo- nen lachen, könnte ihre Bewertung der (▶ http://www.snake-training.de). Hier
6 dul „Wissen zu Stress und Problemlösen“
(4 Sitzungen) je nach Bedürfnislage der
Situation darauf hinauslaufen, dass sie
ausgelacht wurde (Gedanke). Sie würde
lassen sich begleitend Inhalte nach und
nach freischalten und Übungen online
Schüler mit einem von drei möglichen sich daher beschämt, niedergeschlagen durchführen.
7 Zusatzmodulen (jeweils 4 Sitzungen)
kombiniert wird. Diese beziehen sich auf
und unsicher fühlen (Emotion). In der
Folge würde sie sich möglicherweise ab-
In einer Evaluationsstudie konnte die
Wirksamkeit des Trainings untermauert
kognitive Strategien, wenden und die Pause alleine verbringen werden (Beyer & Lohaus, 2005). Bei den
8 Suche nach sozialer Unterstützung und (Verhalten). Eine hilfreichere Bewertung Jugendlichen konnten signifikante
Entspannung und Zeitmanagement. wäre z. B., dass ihre Klassenkameradinnen Wissenszuwächse sowie eine Verbesse-
Im Basismodul „Wissen zu Stress und über einen Witz oder Ähnliches lachen rung im Bereich der Stressbewältigung
9 Problemlösen“ sollen die Problemlöse- (Gedanke), wodurch sich ein positiveres verzeichnet werden. Zudem ließ sich eine
kompetenzen verbessert werden. Das Gefühl in der Situation und auch ein Reduktion der wahrgenommenen Pro-
Symbol des Trainings ist (dem Namen des adäquateres Verhalten ergeben würden. bleme nachweisen. Diese Effekte zeigten
10 Trainings entsprechend) eine Schlange. Zur Förderung von Bewältigungsstra- sich auch in einer Follow-up-Erhebung
Anhand dieser Schlange wird ein Prob- tegien wird im Zusatzmodul zur Suche zwei Monate nach Trainingsende. Eine
lemlöseprozess symbolisiert, wobei die nach sozialer Unterstützung die soziale additive Nutzung des Internet-Angebots
11 einzelnen Schritte im Bauch der Schlange Unterstützung durch Bezugsgruppen in führte zudem zu einer weiteren Steige-
weiterwandern: Problemdefinition, der Schule, Familie oder im Freundeskreis rung des Wissenserwerbs sowie zu einer

12 Lösungssuche, Entscheidungsfindung,
Erprobung einer Lösung, Bewertung der
sowie durch Beratungsinstitutionen in der
Umgebung thematisiert. Darüber hinaus
positiveren Einschätzung des Trainings
durch die Jugendlichen (Fridrici & Lohaus,
Lösung. Der Prozess wird fortgesetzt, bis werden die sozialen Kompetenzen z. B. 2009).

13 es zu einer Lösung kommt, die positiv durch Rollenspielübungen gefördert. Das

14 lemlagen zu erlernen, sondern auch in der Lage zu sein, darum, betroffenen Kindern und Jugendlichen die Anpas-
die emotionalen, kognitiven und verhaltensbezogenen sung an die neu eingetretene Situation zu erleichtern und
15 Stressreaktionen zu regulieren. Als Stresspräventionspro- Folgeprobleme zu reduzieren. Ein besonderes Problem
gramme stehen das Programm „Bleib locker“ von Klein- stellen dabei abrupt eintretende kritische Lebensereig-
Heßling und Lohaus (2012) für Grundschulkinder der 3. nisse dar, da in diesen Fällen keine Vorbereitung erfol-
16 und 4.  Klasse, das Anti-Stress-Training für Kinder von gen konnte und daher erst im Nachhinein Maßnahmen
Hampel und Petermann (2003) und das SNAKE-Training greifen können, um die psychosoziale Anpassung zu ver-
17 („Stress nicht als Katastrophe erleben“, ▶  Exkurs „Stress bessern (Heinrichs & Lohaus, 2011). Beim Umgang mit
nicht als Katastrophe erleben – SNAKE“) von Beyer und Lo- kritischen Lebensereignissen stehen daher indizierte Prä-
haus (2006) zur Verfügung. ventionsansätze im Vordergrund, die sich an betroffene
18 Kinder und Jugendliche richten. Je nach Schwere der Aus-
wirkungen können auch therapeutische Interventionen
19 18.1.3 Förderung des Umgangs erforderlich sein.
mit kritischen Lebensereignissen Ein mögliches kritisches Lebensereignis, mit dem be-
20 reits Kinder und Jugendliche konfrontiert sein können,
Als kritische Lebensereignisse werden einschneidende bezieht sich auf chronische Erkrankungen (wie Diabe-
Veränderungen im Leben eines Kindes oder Jugendlichen tes mellitus oder Asthma bronchiale). Ein angemessener
21 bezeichnet, die eine umfassende Neuorientierung verlan- Umgang mit den Anforderungen der Erkrankung und
gen (wie der Neueintritt einer chronischen Erkrankung eine gute psychosoziale Anpassung können entscheidend
22 oder Tod, Trennung oder Scheidung der Eltern). Bei der für den Krankheitsverlauf sein. Dementsprechend gibt es
Konfrontation mit kritischen Lebensereignissen geht es mittlerweile für viele Erkrankungsformen altersentspre-
18.2  •  Primärpräventive Förderkonzepte für Eltern als Zielgruppe
431 18

Exkurs  |       | 

Kinder psychisch erkrankter Eltern


Nach Röhrle und Christiansen (2009) Regel den Lebenspartner. Sowohl eine liche eine wichtige Erfahrung darstellen.
stellt das Zusammenleben mit psychisch Fixierung auf die psychische Erkrankung Neben dem Austausch erleben sie, dass
erkrankten Eltern einen erheblichen innerhalb des Familiensystems als auch auch andere Kinder und Jugendliche
Risikofaktor für die Entwicklung einer eine Verheimlichung oder Verleugnung ähnliche Erfahrungen machen. Auch
eigenen psychischen Erkrankung dar (s.a. innerhalb der Familie kann zu weiteren daraus ergibt sich ein Anlass für eine indi-
Cummings & Davis, 1994). Bei depressiven Belastungen für die Kinder und Jugend- zierte Prävention (s. hierzu ausführlicher
Müttern finden sich beispielsweise häufig lichen führen (Mattejat & Lisofsky, 2001). Röhrle & Christiansen, 2009). Zuneh-
negative Eltern-Kind-Interaktionen. Gerade Kinder konstruieren eigene Erklä- mend werden solche Angebote auch in
Akute Wahnvorstellungen im Rahmen rungen über das Verhalten des Elternteils, Erziehungsberatungsstellen angeboten.
einer Psychose können auf das Kind sehr was mit Ängsten und Schuldgefühlen Dies ist auch darin begründet, dass – wie
bedrohlich und oftmals auch verwirrend einhergehen kann. Für Kinder kann oben angesprochen – Kinder psychisch
wirken. Remschmidt und Mattejat (1994) daher eine entwicklungsangemessene erkrankter Eltern ein erhöhtes Risiko ha-
schätzen, dass in Deutschland allein Aufklärung über die psychische Störung ben, selbst psychische Auffälligkeiten zu
etwa 300 000 Kinder mit psychotisch besonders relevant sein (Wagenbass, entwickeln und ihre Eltern somit verstärkt
erkrankten Elternteilen leben. Dennoch 2003). Auch der Austausch mit Gleichalt- Erziehungsberatungsstellen aufsuchen.
beschränkt sich die Angehörigenarbeit rigen in ähnlichen Problemsituationen
oftmals lediglich auf Erwachsene – in der kann sowohl für Kinder als auch Jugend-

chende Schulungsmöglichkeiten (z. B. das Luftikurs- kungen eines Elternteils (z. B. eine depressive Störung der
Programm für Kinder mit Asthma-Erkrankungen von Mutter, ▶ Exkurs „Kinder psychisch erkrankter Eltern“).
Theiling, Szczepanski & Lob-Corzilius, 2001, oder das
Neurodermitis-Verhaltenstraining für Kinder, Jugendliche
und deren Eltern von Scheewe et al., 1997). Die vorhande- 18.2 Primärpräventive Förderkonzepte
nen Programme sind in der Regel darauf ausgerichtet, den für Eltern als Zielgruppe
Kindern und Jugendlichen ein altersangemessenes Wissen
über ihre Erkrankung zu vermitteln sowie erforderliche Der überwiegende Teil der bisher dargestellten Präventi-
medizinische Maßnahmen bzw. Verhaltensänderungen onsmaßnahmen richtete sich unmittelbar an Kinder und
(z. B. bei notwendigen Diäten) zu trainieren. Einen be- Jugendliche. Wenn man auf das Erleben und Verhalten von
sonderen Stellenwert nehmen dabei die Bewältigung der Kindern und Jugendlichen Einfluss nehmen will, kann es
besonderen Anforderungen, die die jeweilige Erkrankung jedoch ebenso sinnvoll sein, auf das soziale Umfeld zu
stellt, sowie die Patienten-Compliance (Einhaltung der er- fokussieren, um dadurch indirekt die Kinder und Jugend-
forderlichen medizinischen Maßnahmen) ein. Teilweise lichen zu erreichen. Wichtigste Zielgruppe sind dabei die
wird – je nach Alter der Patienten – auch das soziale Um- Eltern, da sie in der Regel als zentrale Bezugspersonen für
feld einbezogen. ihre Kinder fungieren. Bei Fragen der Erziehung können
Besondere Aufmerksamkeit unter den kritischen Eltern sich an Erziehungsberatungsstellen wenden. Hier
Lebensereignissen, von denen Kinder und Jugendli- wird oftmals auch mit speziellen Methoden wie z. B. der
che betroffen sein können, haben Tod, Trennung oder Gesprächspsychotherapie oder der Familientherapie ge-
Scheidung der Eltern erhalten, da diese Ereignisse zu arbeitet. Zudem bieten einige Erziehungsberatungsstellen
den gravierendsten gehören, mit denen Kinder und Ju- gezielte Elterntrainings an.
gendliche konfrontiert sein können. Dementsprechend Maßnahmen, die sich an Eltern richten, können insbe-
zeigen Metaanalysen (z. B. Amato, 2001), dass bei betrof- sondere in problemübergreifende und problemspezifische
fenen Kindern ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung Elterntrainings unterschieden werden. Bei problemüber-
von Störungen besteht. Um den Risiken entgegenzuwir- greifenden Trainings sind die Hauptzielrichtungen darin
ken, gibt es verschiedene Trainingsprogramme, die in ers- zu sehen, die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken und das
ter Linie als Gruppenprogramme für betroffene Kinder Erziehungsverhalten der Eltern zu verbessern. So werden
konzipiert sind. Das Altersspektrum reicht dabei vom beispielsweise bei dem PALME-Training (Präventives El-
Vorschul- bis in das Jugendalter (s. zusammenfassend terntraining für alleinerziehende Mütter geleitet von Er-
Beelmann, 2009).
Kinder und Jugendliche können auch indirekt von
--
zieherinnen; Franz, 2009) als zentrale Ziele
die Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung,
kritischen Lebensereignissen betroffen sein, die in erster
Linie auf Personen ihres unmittelbaren sozialen Umfelds
bezogen sind. Ein Beispiel dafür sind psychische Erkran- - die Stärkung der intuitiven Elternfunktionen,
die Verbesserung der Einfühlung in das Erleben des
Kindes,
432 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

1 Ebene 1 Allgemeine Informa onskampagnen


(Bereitstellung von Informa onsmaterial Niedrig

2 Universelles Triple P über verschiedene Medien)

3
Ebene 2
4 Niedrigschwellige Angebote mit
allgemeinen Informa onen zu
Triple P – Elterngespräche und Entwicklung und Erziehung
Vortragsreihe
5
6
Kurzberatung zur Unterstützung bei
Ebene 3
einzelnen Erziehungsproblemen (ggf.
7 mit kurzem Training von
Triple P – Kurzberatung Erziehungskompetenzen)
8
9
Ebene 4
Intensives Elterntraining im Einzel-,
10 Triple P – Elterntraining
Gruppen- oder Selbsthilfeformat

11
12 Ebene 5 Intensives und individuell Hoch
zugeschni enes Elterntraining im
13 Triple P – Plus Einzelkontakt
Intensivierungsgrad

14 .. Abb. 18.3  Ebenenkonzept des Triple-P-Trainings. (In Anlehnung an Heinrichs & Lohaus, 2011, mit freundlicher Genehmigung von Beltz,

-
Weinheim)

15 die Bearbeitung unbewusster Wahrnehmungs- und Das Programm richtet sich an Eltern von Kindern zwi-

16 - Erziehungstendenzen und
die Einübung sozialer und elterlicher Kompetenzen

genannt. Es handelt sich um ein strukturiertes Elterntrai-


schen von 0 bis 16 Jahren. Bei diesem Programm kann ab-
hängig vom Schwergrad der Erziehungsproblematik die In-
tensität des Programmeinsatzes variiert werden. Die fünf
Ebenen des Triple-P-Programms sind in der . Abb. 18.3
17 ning, das sich an alleinerziehende Mütter von Kindern im zusammengefasst.
Alter von 4 bis 6 Jahren richtet und von geschulten Erzie- Von den problemübergreifenden sind die problemspe-
herinnen durchgeführt wird. Das Training richtet sich also zifischen Elterntrainings abzugrenzen, die auf bestimmte
18 an Mütter in einer besonderen Problemlage und versucht, Verhaltensprobleme von Kindern und Jugendlichen bezo-
ihre Erziehungskompetenzen zu steigern und dabei gleich- gen sind. So wendet sich das Präventionsprogramm für
19 zeitig der besonderen Situation als alleinerziehende Mutter expansives Problemverhalten (PEP) von Plück, Wieczor-
Rechnung zu tragen. rek, Wolff Metternich und Döpfner (2005) an die Eltern
20 Als problemübergreifendes Elternprogramm kann das und Erzieher von Kindern im Vorschulalter und an die
Triple-P-Programm (Sanders, Markie-Dadds & Turner, Eltern von Kindern im Grundschulalter. Es geht hier vor
2003) angesehen werden, dessen Besonderheit darin be- allem darum, durch eine Verbesserung des Erziehungsver-
21 steht, dass es fünf Ebenen umfasst, die von der universel- haltens die expansiven bzw. externalisierenden Verhaltens­
len Prävention (mit allgemeinen Informationskampagnen auffälligkeiten der Kinder zu reduzieren.
22 und niederschwelligen Angeboten) bis hin zu intensiver Ergänzend ist zu betonen, dass Elemente von El-
Betreuung im Sinne von indizierter Prävention reichen. terntrainings auch teilweise in Trainings enthalten sind,
18.3  •  Organisationsbezogene primärpräventive Förderkonzepte
433 18

die sich an Kinder und Jugendliche richten. So sieht bei- und Schülern abbilden sollten, signifikant mehr Varianz
spielsweise das Stresspräventionstraining „Bleib locker“ bei späteren Schulnoten auf als andere Variablen, darunter
von Klein-Heßling und Lohaus (2012) zwei ergänzende auch die Ergebnisse eines IQ-Tests.
Elternabende vor, um die Unterstützung der Eltern bei der
Umsetzung der Programmelemente zu gewinnen. Auch Beispiel  |       | 
eine begleitende Elternarbeit in einem Training für Kin-
der und Jugendliche ist also denkbar. Belohnungsaufschub und Selbstregulation im Schul-
alltag
Als Paul in die Schule kommt, werden neben kognitiven
18.3 Organisationsbezogene Kompetenzen auch seine Frustrationstoleranz, seine
primärpräventive Förderkonzepte Selbstregulation und seine Fähigkeit zum Belohnungs-
aufschub gefordert. Statt die direkte Aufmerksamkeit
Der überwiegende Teil der bisher vorgestellten Förder- der Lehrerin zu erhalten, muss er diese mit 26 Mitschü-
konzepte richtete sich an spezifische Zielgruppen (Kinder, lern teilen. Er soll sich melden, wenn er etwas sagen
Jugendliche, Eltern etc.). Es gibt jedoch auch Förderkon- möchte (Selbstregulation), wird aber wiederholt nicht
zepte, die auf unterschiedlichen organisatorischen Ebenen drangenommen (Frustrationstoleranz). Während der
angelegt sind, z. B. die Klassenebene, die Schulebene oder Stillarbeit wird er öfter angehalten, die Buchstaben
auch einen ganzen Stadtteil. in sein Schreibheft zu übertragen, anstatt mit seinem
Bezogen auf die Klassen- und Schulebene kann fest- Nachbarn zu reden und seinen Tagträumen nachzu-
gehalten werden, dass an bestimmten Schulformen emo- hängen. Paul fällt es schwer, die direkten Belohnungen
tionale und Verhaltensauffälligkeiten häufiger auftreten (Reden und Tagträumen) auszublenden, um stattdes-
als an anderen. Die Prävalenzrate psychischer Störungen sen die spätere Belohnung (Beendigung der Aufgabe,
im Kindes- und Jugendalter liegt in Deutschland bei ca. Lob) zu erreichen (Belohnungsaufschub). Dies zieht sich
18 % (Ihle & Esser, 2002), wobei sich an Grundschulen, durch seinen Schulalltag: Im Frontalunterricht bastelt
Haupt- und Förderschulen die höchsten Prävalenzzahlen er lieber aus seinem Radiergummi Wurfgeschosse für
finden (Remschmidt & Walter, 1990; Hillenbrand, 2009). die anstehende Pause (kurzfristig Belohnung), anstatt
Da Kinder und Jugendliche einen großen Teil ihres Tages zuzuhören und anschließend die Aufgabe richtig zu be-
im schulischen Kontext verbringen, sind Schulen zwangs- arbeiten (langfristige Belohnung); bei der Hausaufga-
läufig mit Fragen der Prävention und Intervention auch im benbetreuung lenkt er sich ab und fängt erst gar nicht
Bereich psychischen Wohlbefindens konfrontiert. mit den Aufgaben an (kurzfristige Belohnung), anstatt
sich zu beeilen und somit früher zum Spielen entlassen
zu werden (langfristige Belohnung).
18.3.1 Maßnahmen auf Klassenebene

Lehrer benennen emotionale und verhaltensbezogene Selbstregulationskompetenzen beinhalten auch Fähigkei-


Regulationsprobleme von Schülern unter den Haupt- ten zur Emotionsregulation. Eine hohe negative Emotio-
stressoren ihrer beruflichen Tätigkeit (Friedman, 1995). nalität geht dabei mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit
Gleichzeitig hat Schule in Deutschland sowohl einen Bil- für Unaufmerksamkeit, Überaktivität und geringeren
dungs- als auch einen Erziehungsauftrag. Neben der Ver- schulischen Kompetenzen bzw. Leistungen einher (z. B.
mittlung von Wissen soll sie Kinder und Jugendliche in Bulotsky-Shearer & Fantuzzo, 2004; Gumora & Arsenio,
ihrer Entwicklung zu sozialem und eigenverantwortlichem 2002). Dies ist auch der Fall, wenn andere kognitive, auf-
Handeln unterstützen. Daraus folgt, dass Lehrer angehal- merksamkeitsbezogene oder soziale Variablen kontrolliert
ten sind, die Entwicklung der psychosozialen Kompeten- werden (z. B. Graziano, Reavis, Keane & Calkins, 2007).
zen ihrer Schüler zu fördern. Dies ist auch deshalb sinnvoll, Dies zeigt, wie entscheidend auch aus schulischer Sicht
weil psychosoziale Kompetenzen und Lernen im schuli- die Förderung psychosozialer Kompetenzen ist. Gelegen-
schen Kontext miteinander zusammenhängen. Ein Schüler, heiten dazu ergeben sich in unterschiedlichen Momenten
der sich durch eine geringe Selbstregulation auszeichnet, des Schulalltags. Dies kann beispielsweise integriert in den
mag beispielsweise Probleme haben, dem Unterricht kon- Unterricht oder auch in Poolstunden mit psychosozialen
zentriert zu folgen. In der Folge können kumulierte Lern- Lernzielen oder in spezifischen Programmen erfolgen.
lücken entstehen. Wie wichtig solche Kompetenzen für die
schulischen Leistungen sind, zeigt eine Studie von Duck- In den Unterricht integrierte Maßnahmen
worth und Seligman (2005). In dieser Längsschnittstudie Am häufigsten wird die psychosoziale Entwicklung eines
klärten Variablen, die die Selbstdisziplin von Schülerinnen Schülers beiläufig im Schulalltag beeinflusst. Beispielsweise
434 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

ergeben sich Möglichkeiten zu positiven Erfahrungen in zu positionieren. Wie weiter oben beschrieben, gilt es
1 der Lehrer-Schüler-Interaktion (Tausch & Tausch, 1973). daher beide Aspekte von Gleichaltrigen in Programmen
So zeigen sich Schüler, die ihre Lehrer als wertschätzend und zur Förderung psychosozialer Entwicklung (wie z. B.
2 unterstützend wahrnehmen, im Unterricht eher engagiert zum Umgang mit Drogen) in den Blick zu nehmen. In
und motiviert (Ryan & Patrick, 2001). Eine Rolle spielt da- einem Klassenklima, in dem sowohl ein unterstützendes
bei auch die Bezugsnormorientierung des Unterrichtenden. Lehrerverhalten als auch eine kollegiale Schüler-Schüler-
3 Liegt z. B. der Fokus des Lehrenden auf einer sozialen Be- Interaktion wahrgenommen wird, kann sich eher eine
zugsnorm, bei der die Leistungen eines Schülers immer nur positive soziale Selbstwirksamkeitserwartung bei den
4 im Bezug zu seinen Klassenkameraden betrachtet werden, Schülern ausbilden. Diese ermöglicht, sozial kompetenter
und werden akademische Leistungen zudem in den Vor- und selbstsicherer in schwierige soziale Interaktionen zu
5 dergrund gerückt? Oder meldet der Lehrer gezielt zurück, treten und führt letztendlich zu einer höheren psychoso-
wenn er wahrnimmt, dass ein Schüler sich verbessert hat, zialen Gesundheit.
unabhängig von seiner Leistungsposition in der Klasse (in- Sowohl die Interaktion zwischen Gleichaltrigen als
6 dividuelle Bezugsnorm)? Eine individuelle Bezugsnormo- auch ein positives Klassenklima wird durch ein gelingen-
rientierung zeigt positive Auswirkungen auf unterschiedli- des classroom management (▶ Kap. 5) unterstützt (Evert-
7 che Schülervariablen wie z. B. eine geringere Prüfungsangst, son & Weinstein, 2006). Unter classroom management
eine höhere Selbstwirksamkeitserwartung und Motivation, wird dabei das gesamte Lehrerverhalten gefasst, das darauf
eine realistischere Selbstbewertung etc. (s. Lissmann & Paet- abzielt, Lernprozesse positiv zu gestalten. Dies schließt mit
8 zold, 1982; Mischo & Rheinberg, 1995). Die Verengung auf ein, dass Schüler zu einem eigenverantwortlichen und ko-
eine soziale Bezugsnorm scheint dagegen eher mit einem operativen Verhalten begleitet werden, was sich wiederum
9 schlechteren Klassenklima einherzugehen, was wiederum günstig auf den Lernprozess auswirkt.
die Entwicklung sozialer Kompetenzen erschwert. Es gibt also unterschiedliche Möglichkeiten im Schul-
10 Tausch und Tausch (1973) benennen zwei Dimen- alltag, sich mit Aspekten psychosozialer Kompetenz aus-
sionen des Lehrerverhaltens: „maximale Lenkung vs. einanderzusetzen und dabei fachliches, emotionales und
minimale Lenkung“ sowie „Wertschätzung vs. Gering- soziales Lernen zusammenzubringen (Greenberg et  al.,
11 schätzung“. Während ein eher demokratisches Lehrer- 2003). Eine enge Verknüpfung kann auch z. B. mit spezi-
verhalten sich durch eine hohe Wertschätzung bei einer fischen Aufgabenstellungen verfolgt werden: Integriert in
12 mittleren Lenkung auszeichnet, ist ein autokratisches den Fachunterricht wird anhand eines Textes in Deutsch
Lehrerverhalten durch eine hohe Lenkung und Gering- über Werte und Moral diskutiert. Die Schüler erhalten die
schätzung und ein Laissez-fairer-Lehrertyp durch eine Aufgabe, eine schwierige Interaktion (z. B. einen Streit un-
13 minimale Lenkung und emotionale Gleichgültigkeit ge- ter Freunden) aus unterschiedlichen Perspektiven schrift-
kennzeichnet. Demokratisches Lehrerverhalten zeigt sich lich zu beschreiben; anschließend findet ein Austausch in
14 für die Entwicklung sozialer Einstellungen am förderlichs- der Klasse statt, um die Facetten sozialer Interaktion zu-
ten. Schüler, die ihre Lehrer als wertschätzend wahrneh- sammenzutragen und zu diskutieren. Die Klasse entwickelt
15 men, zeigen mehr prosoziales Verhalten im Klassenraum ein Theaterstück zum Thema „Mobbing“ etc.
(Kienbaum, 2001). Zudem sind sie wahrscheinlicher der Unterstützung finden Lehrer bei der Bearbeitung
Aufgabe zugewandt und zeigen mehr Anstrengungs- solcher Themen auch durch die Schulpsychologischen
16 bereitschaft (Davis, 2003). Es wäre jedoch verkürzt, die Dienste bzw. Beratungsstellen (Fleischer, Grewe, Jötten &
Lehrer-Schüler-Interaktion lediglich als unidirektional zu Seifried, 2007, ▶ Exkurs „Schulpsychologie“).
17 verstehen, bei der die Schüler dem Lehrer bedingungs-
los ausgeliefert sind und entsprechend geformt werden. Poolstunden und Programme
Jeder wird aus seinen eigenen schulischen Erfahrungen Zur Verfügung stehende Poolstunden werden häufig zum
18 erinnern, dass die Lehrer-Schüler-Interaktion sich in der Verfolgen psychosozialer Lernziele verwendet. So werden
Regel vielmehr als ein reziproker Prozess darstellt (Minsel beispielsweise in einer Klassenlehrerstunde alltägliche
19 & Roth, 1978). Konflikte in der Klasse angesprochen und Schüler in ad-
Zudem sind Interaktionen mit den Gleichaltrigen äquaten Konfliktlösestrategien angeleitet. Im pädagogi-
20 (▶ Kap. 12) hervorzuheben, die mit zunehmendem Alter schen Kontext existieren hierfür mittlerweile unterschied-
noch einmal an Bedeutung gewinnen (Jerusalem & Klein- liche Methoden wie z. B. der Klassenrat (z. B. Keller, 2011,
Heßling, 2002). Diese Interaktionen können sowohl eine ▶ Exkurs „Klassenrat“).
21 Ressource, die für die psychosoziale Entwicklung förder- Zur Förderung der Perspektivenübernahme sowie der
lich ist, als auch eine Risikovariable darstellen. Im letz- moralischen Entwicklung wird von Lind (2003) aufbauend
22 teren Fall ist z. B. ein Jugendlicher herausgefordert, sich auf Kohlbergs Überlegungen zur moralischen Urteilsbil-
gegen das Drängen seiner Freunde zum Drogenkonsum dung (Kohlberg, 1995) die Diskussion über moralische
18.3  •  Organisationsbezogene primärpräventive Förderkonzepte
435 18

Exkurs  |       |  Exkurs  |       | 


Schulpsychologie Klassenrat
Schulpsychologen unterstützen alle an Schule Beteiligten Der Klassenrat ist ein Zeitfenster, in dem die Klasse zum
mit psychologischem Wissen, um letztendlich Kinder und Besprechen unterschiedlicher Themen zusammenkommt.
Jugendliche in ihrer Entwicklung positiv zu beeinflussen und Oftmals wird die Gesprächsführung von einem Schüler über-
beim Erreichen adäquater Schulabschlüsse zu unterstützen. nommen. Neben der Vermittlung von Kommunikationskom-
Das Aufgabenfeld der Schulpsychologie ist breit gefä- petenzen nimmt die Lehrperson damit bewusst eine andere
chert. Neben Diagnostik und Beratung können u. a. auch Position ein. Besprochen werden können z. B. Konflikte in der
Fortbildungen, Supervision von pädagogischen Fachkräften, Klasse, die sich über die Woche angesammelt haben und in
Beteiligung an Schulentwicklungsprozessen, Öffentlichkeits- einem Klassenratsbuch festgehalten worden sind. Ritualisiert
oder Projektarbeit (z. B. Implementierung eines Präventions- werden die Konflikte besprochen und Lösungen ausgehan-
projekts an einer Schule) hinzugezählt werden. delt.
Seitdem Amokläufe auch an deutschen Schulen vorgekom- Darüber hinaus können auch andere Themen besprochen
men sind, ist das Thema Krisenmanagement innerhalb der werden, die die Klasse betreffen. Denkbar ist beispielsweise,
Schulpsychologie noch einmal stärker in den Vordergrund über gemeinsame Unterrichtsprojekte zu entscheiden, die
gerückt. Dies schließt auch andere Formen der Krise, z. B. Aufgabenverteilung in der Klasse zu regeln oder Positives
versuchter oder vollzogener Suizid, Tod einer Mitarbeiterin, aus der letzten Woche zu benennen. Damit lassen sich auch
gewaltsame Übergriffe etc., ein. demokratische Kommunikationsformen und Entscheidungs-
Schulpsychologen sind in Deutschland leider immer noch findungen fördern.
Mangelware. Laut einer Erhebung des Bundesverbandes
deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP, 2012) gibt
es im Durchschnitt pro ca. 9.170 Schülerinnen und Schüler Daneben gibt es eine Reihe spezifischer Programme,
einen Schulpsychologen. Die WHO empfiehlt ein Verhältnis
von 5.000 : 1. Damit liegt Deutschland im internationalen
die im schulischen Setting durchgeführt werden können.
Vergleich weit hinten. Einige von ihnen, wie beispielsweise das Stresspräventions-
Die Anzahl an Schulpsychologen in einer Beratungsstelle training SNAKE (Beyer & Lohaus, 2006), wurden bereits
schwankt stark (abhängig vom Bundesland sowie der benannt (▶ Exkurs „SNAKE“). Der schulische Kontext wird
Kommune bzw. dem Kreis). Dementsprechend sind auch die gerne für solche Programme genutzt, da eine hohe Erreich-
Arbeitsbedingungen sehr heterogen.
barkeit der Kinder und Jugendlichen gewährleistet ist.
Dies ist besonders bei primärpräventiven Programmen
sinnvoll. Neben der guten Erreichbarkeit ist zudem her-
Dilemmata vorgeschlagen. Dabei wird den Schülern ein vorzuheben, dass eine Implementierung im schulischen
ethisches bzw. moralisches Dilemma präsentiert, das einen Setting mit Einbeziehung von Lehrern vor allem auch
kognitiven Konflikt erzeugen soll. Am bekanntesten dürfte Vorteile für die Nachhaltigkeit eines Programms bringt.
das Heinz-Dilemma von Kohlberg (1995) sein. Der Ehe- Interventionen können somit in den Schulalltag integriert
mann, Heinz, einer im Sterben liegenden Frau versucht ein werden, was sowohl den Transfer als auch die zeitliche Ge-
Medikament zu bekommen, bei dem die Ärzte von Hei- neralisierung unterstützt.
lungschancen ausgehen. Das ohnehin teure Medikament In einer Metaanalyse von Durlak, Weissberg, Dymni-
wird von dem Apotheker mit einem zehnfachen Aufschlag cki, Taylor und Schellinger (2011) wurden die Ergebnisse
auf die Produktionskosten verkauft. Heinz bekommt le- unterschiedlicher Evaluationsstudien zu schulischen In-
diglich die Hälfte des Kaufpreises zusammen, der Apothe- terventionen und Programmen zum sozialen und emotio-
ker besteht jedoch weiterhin auf seinen angesetzten Preis. nalen Lernen zusammengetragen. Es zeigten sich positive
Heinz steht vor dem Dilemma, ob er das Medikament Einflüsse auf eine Reihe unterschiedlicher Variablen, zu
stehlen soll oder nicht. Kohlberg verwendete unter ande- denen physische und mentale Gesundheit, moralisches
rem dieses Dilemma zur Kategorisierung von Personen in Urteil, Leistungsbereitschaft sowie schulische Leistungen
seinem moralischen Stufenmodell. Dabei interessierten ihn gehörten.
vor allem die Beweggründe und Begründungen für eine
entsprechende Entscheidung. In der Dilemmadiskussion
setzt sich die Klasse mit einem solchen Dilemma ausei- 18.3.2 Maßnahmen auf Schulebene
nander. In der Diskussion werden die Schüler besonders
angehalten, möglichst genaue Begründungen für ihren Über das Schulprogramm legt eine Schule ihr Leitbild fest.
Standpunkt zu liefern. Unterschiedliche Vorschläge zum Oftmals werden auch Schwerpunkte gesetzt wie z. B. im
konkreten Vorgehen liegen vor (z. B. Blatt & Kohlberg, Fall einer sogenannten Gesundheitsfördernden Schule.
1975; Lind, 2003). Eine Metaanalyse von Schläfli, Rest und Der Aspekt der Gesundheitsförderung wird dabei als in-
Thoma (1985) deutet auf positive Effekte eines solchen An- tegrativer Bestandteil des Schulalltags aufgefasst, der in
satzes hin. unterschiedlichen Kontexten kontinuierlich aufgegriffen
436 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

wird. Gesundheitsförderung wird dabei zum Bestand- und so Schwerpunkte wie die Förderung psychosozialer
1 teil der Schulentwicklung, um prinzipiell den gesamten Kompetenzen verfolgt werden.
Lern- und Lebensraum Schule gesundheitsförderlich zu Darüber hinaus sind unterschiedliche Ansätze unter
2 gestalten. Neben den Schülern werden auch die Lehrer, Einbeziehung von Medien zu benennen. In Australien
das nicht lehrende Personal sowie die Eltern einbezogen. wurde beispielsweise im Rahmen des Triple-P-Ansatzes
Die Maßnahmen können strukturelle Veränderungen über das Fernsehen eine Erziehungskampagne ausge-
3 (wie eine Veränderung der Schulhofgestaltung) und ver- strahlt (Sanders, 1999). Neben der Informationsweiter-
haltensbezogene Maßnahmen (wie Etablierung von Ent- gabe wurde damit auch das Ziel verfolgt, die Schwelle zur
4 spannungsmöglichkeiten in den Schulalltag) umfassen und Teilnahme an Elterntrainings zu senken. Mittlerweile lie-
sich an alle Personen richten, die am Alltagsleben in der fert auch das Internet eine Fülle an Informationen und
5 Schule beteiligt sind. Durch den zielgruppenübergreifen- bietet Beratungsangebote. Auf der einen Seite stellt sich
den und kontinuierlichen Charakter der Maßnahmen soll dabei das Problem, dass die Informationsquelle oftmals
eine stärkere Beständigkeit der Maßnahmenwirkung er- nicht eindeutig ist und auch falsche Informationen zu fin-
6 reicht werden (Lohaus & Domsch, 2008). den sind. Auf der anderen Seite ergeben sich eine niedrig-
Die Einbindung von Schülern kann beispielsweise schwellige Informationsweitergabe und die Möglichkeit zu
7 auch durch die schulübergreifende Implementierung eines einer anonymen Beratung. Dies ist vor allem bei Themen,
Streitschlichter-Projekts (Jefferys-Duden, 1999) erreicht die von Jugendlichen als peinlich besetzt bewertet werden
werden. Hierbei werden einige Schüler als Streitschlichter (z. B. Probleme in der Sexualität), von besonderem Vor-
8 eingesetzt, die bei Konflikten hinzugezogen werden kön- teil. Schließlich finden sich im Internet auch Lernmodule,
nen. Einen zielgruppenübergreifenden Ansatz verfolgen die ein schrittweises Erarbeiten eines Themenbereichs er-
9 auch Konzepte zur Reduktion von Aggression und Gewalt lauben. Ein Beispiel hierfür stellt das Internetmodul des
in der Schule (▶ Kap. 12). So umfasst das Gewaltpräventi- Stresspräventionstrainings SNAKE (Beyer & Lohaus, 2006;
10 onsprogramm von Olweus (1991) Maßnahmen auf s. oben) dar.
a) der Schulebene,
b) der Klassenebene und
11 c) der individuellen Ebene. 18.4 Evaluation der Effekte
von Programmen zur Förderung
12 Auf der Schulebene werden beispielsweise Maßnahmen- psychosozialer Kompetenzen
pakete zur Gewaltreduktion beschlossen, die alle Ebenen
des Schulalltags umfassen können und an denen alle Ak- Ein zentrales Problem bei der Evaluation primärprä-
13 teure im Schulbetrieb partizipieren. Auf der Klassenebene ventiver Maßnahmen ist darin zu sehen, dass es vielfach
werden Regeln und Konsequenzen bei Nichtbeachtung schwierig ist, Programmeffekte nachzuweisen, wenn ein
14 vereinbart. Auch ein verstärkter Einsatz von kooperativen Maßnahmeneinsatz stattfindet, bevor überhaupt Probleme
Lernmethoden kann zu den Maßnahmen auf der Klasse- aufgetreten sind. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in
15 nebene gehören. Auf der individuellen Ebene werden spe- Metaanalysen die mittleren Effektstärken primärpräven-
zifische Maßnahmen für Täter und Opfer von aggressiven tiver Programme auf einem deutlich niedrigeren Niveau
Aktionen festgelegt (z. B. angemessene Strafen, Gespräche bewegten, als dies bei sekundärpräventiven Program-
16 mit den Eltern, Suche nach Unterstützungsmaßnahmen für men der Fall war (s. Pinquart & Silbereisen, 2004). Hinzu
die Opfer von Gewalthandlungen etc.). Auch hier handelt kommt, dass Follow-up-Erhebungen vergleichsweise sel-
17 es sich um ein Schulentwicklungsprogramm, das jedoch ten durchgeführt werden, sodass unklar ist, über welche
stärker auf eine spezifische Problematik bezogen ist. Zeiträume gefundene Effekte stabil bleiben, und dass in
Evaluationsstudien unterschiedliche Evaluationsmaße ein-
18 gesetzt werden, wodurch die Vergleichbarkeit stark einge-
18.3.3 Maßnahmen auf makrosozialen schränkt wird.
19 Ebenen Dass die Wahl des Evaluationsmaßes einen entschei-
denden Einfluss auf die Ergebnisse hat, wird schnell deut-
20 Durch den Aufbau gesundheitsförderlicher Netzwerke lich, wenn man den Zugewinn an Wissen als Effektmaß
können auch Adressaten auf kommunaler Ebene einbe- betrachtet. Wenn beispielsweise eine primärpräventive
zogen werden (wie Beratungseinrichtungen etc.). Zudem Maßnahme zu einem Themenbereich wie Depression
21 kann beispielsweise durch eine stärkere Stadtteilarbeit oder Stress über mehrere Trainingssitzungen hinweg mit
(Öffnung der Schule im Nachmittagsbereich, gemein- Kindern oder Jugendlichen durchgeführt wird, wäre es
22 same Feste, Aufführungen, Sprachkurse für Eltern etc.) eher verwunderlich, wenn kein Wissenszuwachs einträte.
die stadtteilbezogene Einbindung einer Schule erhöht Wenn dies als primäres Ergebnismaß verwendet wird, ist
18.5  •  Maßnahmen zur Optimierung von Programmeffekten
437 18

es dementsprechend wahrscheinlich, dass sich auch im sozialer Kompetenzen sind Rückmeldungen über das
primärpräventiven Bereich Programmeffekte nachweisen konkrete Verhalten und ggf. die Möglichkeit, durch
lassen. Dies gilt insbesondere für universell ausgerichtete erneutes Ausprobieren Erfolge zu sichern, besonders
primärpräventive Programme, da hier der Nachweis von
Verhaltensänderungen voraussetzt, dass eine relevante
Prävalenzrate von problematischen Verhaltensweisen vor - wichtig.
fokussiert: Den einzelnen Trainingsschritten muss
ausreichend Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet
dem Maßnahmeneinsatz existierte. Es überrascht daher
nicht, dass viele primärpräventiven Maßnahmen eher auf
vergleichsweise „weiche“ Evaluationsmaße (wie Wis-
sens- oder Einstellungsänderungen) setzen, wobei unklar
- werden – die Dosierung muss stimmen.
explizit: Die Ziele des Programms sollen möglichst
genau formuliert und zudem transparent sein. Dies
schafft Einigkeit und Transparenz bei allen Betei-
bleibt, inwieweit dadurch auch Veränderungen bei den ligten, welche Ziele durch die Maßnahme verfolgt
angezielten Problemen erreicht werden. werden.
Wünschenswert wäre es, die Effekte von primärprä-
ventiven Maßnahmen über längere Zeiträume hinweg zu Die Autoren weisen in einer Metaanalyse nach, dass Pro-
betrachten, um so den Nachweis führen zu können, dass gramme mit diesen Merkmalen tendenziell höhere Effekt-
dadurch problematisches Verhalten bis hin zu klinisch stärken aufweisen.
relevanten Störungen reduziert wird. Wenn sich belegen Es lässt sich weiterhin konstatieren, dass es zur Op-
ließe, dass durch frühzeitige primärpräventive Maßnah- timierung von Programmeffekten sinnvoll ist, Einzel-
men längerfristig psychosoziale Probleme und die damit maßnahmen in größeren Kontexten zu verankern, um
häufig verbundenen vergleichsweise teuren sekundärprä- dadurch die Effekte zu stabilisieren. Dazu können bei-
ventiven Maßnahmen verhindert werden können, könnte spielsweise Auffrischungssitzungen in gewissen Zeitab-
die Bereitschaft steigen, stärker in diesen Maßnahmenbe- ständen gehören, um an zentrale Programmbotschaften
reich zu investieren. zu erinnern. Dazu kann auch gehören, Einzelmaßnahmen
in Kontexte wie Schulentwicklungsprojekte zu integrie-
ren, um dadurch einen größeren Einbindungskontext zu
18.5 Maßnahmen zur Optimierung schaffen. So könnte beispielsweise ein Problemlöseansatz
von Programmeffekten als Bestandteil eines Stressbewältigungsprogramms ver-
mittelt werden, der danach dann in unterschiedlichen
Einen wichtigen Stellenwert bei der Optimierung von Unterrichtskontexten wieder aufgegriffen wird (z. B. zur
Programmeffekten hat die Qualität der Implementation Lösung mathematischer oder biologischer Problemstellun-
einer präventiven Maßnahme. Es ist sinnvoll, bei der Im- gen). Zudem erweisen sich Trainingsansätze, die nicht nur
plementation einer Maßnahme neben der summativen die Kinder und Jugendlichen selbst fokussieren, sondern
Evaluation der Programmeffekte auch eine formative auch ihre Bezugspersonen (Eltern, Lehrer, Peers) einbin-
Evaluation vorzusehen, mit der die Implementationsqua- den, oftmals als erfolgswahrscheinlicher.
lität überwacht werden kann (z. B. durch Teilnehmerbe-
fragungen, Videoaufzeichnungen des Trainerverhaltens
Fazit
etc.). Vor allem, wenn eine kontinuierliche Überprüfung
Angemessene psychosoziale Kompetenzen stellen eine
der Prozessqualität stattfindet (durch Supervision etc.),
wichtige Ressource dar, die positive Auswirkungen auf
kann eine gleichbleibende Programmqualität gewährleistet
die weitere Entwicklung von Kindern und Jugendli-
werden. Aus den kontinuierlichen Prozessanalysen lassen
chen haben. Auswirkungen finden sich beispielsweise
sich in der Regel auch Hinweise auf Verbesserungsmög-
auf die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben, die
lichkeiten ableiten.
Schulleistungen und letztendlich die psychische und
Des Weiteren ist der Frage nachzugehen, welche Merk-
körperliche Gesundheit. Der Förderung psychosozialer
male erfolgreiche Programme aufweisen. Durlak, Weiss-
Kompetenzen kommt damit ein wichtiger Stellenwert
berg und Pachan (2010) benennen vier Eigenschaften, die
zu. Während in den USA durch große Programme wie
Programme zur Verbesserung sozialer Fähigkeiten erfüllen

-
z. B. das Head Start Programm (McKey et al., 1985)
sollten: sequenziell, aktiv, fokussiert und explizit (SAFE).
die Diskussion und Forschung bezüglich einer frühen
sequenziell: Programminhalte müssen schrittweise

-
Förderung größere Ausmaße angenommen hat, wer-
vermittelt werden und dabei aufeinander aufbauen.
den in Deutschland vergleichsweise kleinere Projekte
aktiv: Kinder und Jugendliche lernen besonders
durchgeführt. Wie das Kapitel aufzeigt, liegt auf der
gut durch Ausprobieren und Handeln. Nach einem
anderen Seite eine Vielzahl von universell, indiziert und
Input sollte daher immer auch die Möglichkeit des
Ausprobierens gegeben sein. Gerade beim Erlernen
438 Kapitel 18  •  Die Förderung psychosozialer Kompetenzen im Schulalter

Beyer, A., & Lohaus, A. (2005). Stressbewältigung im Jugendalter. Ent-


1 selektiv ausgerichteten präventiven Maßnahmen für wicklung und Evaluation eines Präventionsprogramms. Psychologie
das Kindes- und Jugendalter vor, die sich entweder an in Erziehung und Unterricht, 52, 33–50.
die Betroffenen selbst oder das soziale Umfeld richten. Beyer, A., & Lohaus, A. (2006). Stresspräventionstraining im Jugendalter.
2 Zudem liegen im pädagogisch-psychologischen Be-
Göttingen: Hogrefe.
Blatt, M., & Kohlberg, L. (1975). The effect of classroom moral discussion
reich weitere Methoden und Maßnahmen vor, die sich upon children’s level of moral judgment. Journal of Moral Education,
3 in den Schulalltag integrieren lassen. Wünschenswert 4, 129–161.
wäre, dass einzelne Programme nicht punktuell und Bulotsky-Shearer, R., & Fantuzzo, J. (2004). Adjustment scales for

4 losgelöst von anderen Maßnahmen durchgeführt wer- preschool intervention: Extendingvalidity and relevance across
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den, sondern die Förderung psychosozialer Kompeten-
Cierpka, M. (2001). Faustlos. Ein Curriculum zur Prävention von aggres-
zen beispielsweise als selbstverständlicher Bestandteil
5 des gesamten schulischen Lernens angesehen und
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9 3. Wodurch ist gegründet, dass die Effektstärken bei primär- gramme für das Kindes‐ und Jugendalter (S. 18–34). Heidelberg:
präventiven Programmen häufig geringer sind als bei se- Springer.
Döpfner, M., Schürmann, S., & Fröhlich, J. (2007). Therapieprogramm für
10 kundärpräventiven Programmen?
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4. Welche Interventionsebenen lassen sich bei dem Triple P THOP (4. Aufl.). Weinheim: Psychologie Verlags Union.
Programm als Elternprogramm unterscheiden? Duckworth, A. L., & Seligman, E. P. (2005). Self‐disciplin outdoes IQ in
11 5. Wie könnte man vorgehen, wenn man die Moralentwick- predicting academic performance of adolescents. Psychological
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442

Glossar

Verhaltenswissenschaft). Intrapsychische (z. B. kognitive) Vorgänge


Memocards zum Trainieren der Glossarbegriffe und der werden aus der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen.
englischen Übersetzungen finden Sie auf der Website zum
Lehrbuch unter ▶ http://www.lehrbuch-psychologie.de. Belastungen (strain).  Berufsbezogene und andere Umweltfaktoren,
die auf eine Person einwirken. Unterschieden wird zwischen objekti-
ven Belastungen (wie z. B. Lärm als psychophysiologisch nachweis-
Aktive Lernzeit (active learning time).  Das Konzept der aktiven
bare Belastungsquelle) und subjektiven Belastungen (wie z. B. die
Lernzeit ist eng mit dem Konzept der Klassenführung verbunden.
individuelle Wahrnehmung und Interpretation von Arbeitsplatzbe-
Um die in formalen Lehr-Lehr-Settings anberaumte Zeit (z. B. eine
dingungen oder finanziellen Härten).
Klassenstunde) möglichst vollständig für eine aktive Auseinander-
setzung mit Lerninhalten nutzen zu können, müssen Lehrende vo-
Beratung, pädagogisch-psychologische (counseling, educatio-
rausschauend handeln und durch die Organisation und Strukturie-
nal psychological).  Meist kurzfristige angelegte und prinzipiell
rung des Unterrichts dafür sorgen, dass die zur Verfügung stehende
freiwillige Beziehung, in der Berater vorwiegend mittels sprachlicher
Lernzeit optimal genutzt wird.
Interaktion und unter Rückgriff auf pädagogisch-psychologisches
Wissen versuchen, Personen oder Gruppen von Personen aus dem
Allgemeines pädagogisches Wissen (pedagogical know-
erzieherischen Feld in die Lage zu versetzen, ihr Problem zu lösen,
ledge).  Wissen über die Schaffung und Optimierung von Lehr-Lern-
um Entwicklungsprozesse zu optimieren.
Situationen sowie entwicklungspsychologisches und pädagogisch-
psychologisches Grundwissen.
Bezugsgruppeneffekt (reference group effect). ▶ Big-Fish-Little-
Pond-Effekt
Angebots-Nutzungs-Modell (Model of the uptake of learning op-
portunities).  Dem Angebots-Nutzungs-Modell liegt die Auffassung
Big-Fish-Little-Pond-Effekt (Big-Fish-Little-Pond-Effect).  Der
zugrunde, dass Bildungsangebote Lerngelegenheiten darstellen, die
BFLPE beschreibt die negativen Auswirkungen der Leistungsstärke
von den Lernenden – in teilweise unterschiedlicher Weise – wahrge-
einer Bezugsgruppe (z. B. Schulklasse) auf das Selbstkonzept
nommen und genutzt wird. Das Modell drückt auch aus, dass den
einzelner Schüler: Danach hat von zwei Schülern identischer Leis-
Eingangsvoraussetzungen der Lerner (z. B. ihre Motivation, die die
tungsstärke mit einiger Wahrscheinlichkeit derjenige ein höheres
Wahrnehmung, Nutzung und Verarbeitung der Lernangebote durch
Selbstkonzept, der sich in der leistungsschwächeren Klasse befindet.
die Lernenden steuert) eine wichtige moderierende Funktion im
Lehr- und Lernprozess zukommt. Neben schulischen Bildungsange-
Bildungssystem (educational system).  Das Bildungssystem
boten (Unterricht), die im Zentrum des Modells stehen, berück-
bezeichnet das Gefüge aller schulischen Einrichtungen und
sichtigt das Modell auch außerunterrichtliche und außerschulische
Möglichkeiten des Erwerbs von Bildung in einem Staat. Es umfasst
Einflussfaktoren.
das ▶ Schulsystem als solches, seine angegliederten Bereiche, das
Appraisals (appraisals).  Kognitive Bewertungsprozesse von Anfor-
▶ Hochschulwesen und den Bereich der persönlichen ▶ Weit-
erbildung. Im Schulsystem werden Qualifikationen erworben
derungssituationen, die unterschiedliche Emotionen hervorrufen
und bescheinigt, die für die berufliche Laufbahn von Personen
und Handlungsweisen begründen.
entscheidend sind. Es hat neben der Selektionsfunktion auch die
Aufgabe, Chancengerechtigkeit herzustellen: Alle Mitglieder einer
Armut (poverty).  Im engeren Sinne ist arm, wer nicht über ge-
Gesellschaft sollen gerechte Bildungschancen erhalten unabhängig
nügend Mittel zum physischen Überleben verfügt. Psychologisch
von ihrer sozialen oder kulturellen Herkunft, ihrem Geschlecht oder
entscheidend und hierzulande relevant ist jedoch die relative öko-
anderen Personenmerkmalen.
nomische Deprivation. Relative Armut bezieht sich auf die relative
Einkommensarmut, auch relatives Armutsrisiko genannt, bei der das
Bindung.  Dieser Begriff bezieht sich zunächst auf die Interaktioner-
mittlere Einkommen einer betrachteten Gesellschaft die Referenz-
fahrungen von Kindern in den ersten Lebensmonaten. Je nachdem,
größe darstellt.
wie prompt und feinfühlig (responsiv) die primären Bezugsperso-
nen auf kindliche Signale reagieren, entwickelt sich eine sichere,
Basking in Reflected Glory (basking in reflected glory).  „Sich im
unsichere, ambivalente oder diffuse Bindung. Aus bindungstheo-
Glanze anderer zu sonnen“ meint hier die Erhöhung des Selbst-
retischer Sicht werden diese Beziehungserfahrungen als internale
konzepts durch die Zugehörigkeit zu einer leistungsstarken und
Arbeitsmodelle gespeichert und prägen damit die Gestaltung
prestigeträchtigen Bezugsgruppe (z. B. Schulform).
nachfolgender Beziehungen.
Beanspruchung (stress).  Individuelle Reaktionen auf Belastungen;
Bullying (bullying).  Unter Bullying wird ein aggressives Verhalten
unterschieden werden kann zwischen kurzfristigen Beanspru-
gefasst, bei dem ein Schüler oder eine Schülerin wiederholt und
chungsreaktionen (z. B. positives/negatives Empfinden, verminderte
über einen längeren Zeitraum den schädigenden Handlungen von
Konzentration) und langfristigen Beanspruchungsfolgen (chroni-
(einer Gruppe von) Mitschülern ausgesetzt ist. Kennzeichnend ist
scher Stress, Burnout).
dabei ein Ungleichgewicht der (physischen oder psychischen oder
sozialen) Kräfte von Täter/n und Opfer. Es werden in der Literatur
Behavioristische Theorien (behaviorist learning theories).  Waren
drei Arten von Bullying unterschieden: physisches, verbales und
in den 1970er Jahren verbreitet und akzeptieren nur Aussagen
relationales Bullying.
über beobachtbares Verhalten als wissenschaftlich (Psychologie als
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Glossar

Burnout (burnout).  Der Begriff beschreibt ein psychologisches Syn- Effektstärke (effect size).  Statistisches Maß, das aufzeigt, inwiefern
drom, das meist in Folge langfristiger Beanspruchung auftritt. Es ist Unterschiede zwischen Populationen, Korrelationen, Prozent-
gekennzeichnet durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung wertdifferenzen o. Ä. nicht nur statistisch, sondern auch praktisch
und ein Gefühl verminderter Leistungsfähigkeit. bedeutsam sind.

Chunking (chunking).  Prozess des Bildens Bedeutung tragender Emotionale Intelligenz (emotional intelligence).  Bezeichnet die
Informationseinheiten im Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis, mit des- Fähigkeit, eigene Emotionen und die anderer wahrnehmen, verste-
sen Hilfe erklärt werden kann, weshalb Menschen trotz vergleichba- hen und im Handlungsvollzug integrieren sowie eigene Emotionen
rer Gedächtniskapazität unterschiedlich viel erinnern können. sinnvoll regulieren zu können.

Clique (clique).  Cliquen sind soziale Netzwerke, in die bestimmte Emotionen (emotions).  Mehrdimensionales Konstrukt, besteht aus
Personen eingebunden und von denen andere ausgeschlossen affektiven, physiologischen, kognitiven, expressiven und motivatio-
sind. Sie werden einerseits definiert über ihre Größe (typischerweise nalen Komponenten.
3–9 Personen) und andererseits darüber, dass ihre Mitglieder in der
Regel untereinander befreundet sind. Emotionsregulation (emotion regulation).  Zielgerichtete, bewusste
oder unbewusste Aktivitäten zur Aufrechterhaltung, Steigerung oder
Cognitive-Load-Theorie (cognitive load theory).  Betont vor allem Senkung der eigenen Emotionen oder der anderer Menschen.
die Begrenztheit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses und
begründet instruktionale Maßnahmen (z. B. integrierte Darbietung Entdeckendes Lernen (discovery learning).  Hinter diesem didak-
von Bildern und Texten, Vorgabe von Lösungsbeispielen), durch tischen Ansatz steht die Vorstellung, dass ein tieferes Verständnis
die einerseits eine unnötige Arbeitsgedächtnisbelastung mini- erreicht und das eigenständige Problemlösen gefördert wird, wenn
miert und andererseits eine fokussierte Informationsverarbeitung Lernende grundlegende Sachverhalte (z. B. Prinzip des Unterdrucks)
erleichtert wird. nicht präsentiert bekommen sondern sich selbst erarbeiten. Die
Funktion des Lehrenden ist es, passende Materialien bereitzustellen
Constructivist View (constructivist view).  Nach konstruktivisti- und – je nach Ansatz – den Entdeckungsprozess zu begleiten bzw.
schem Verständnis wird in der sozialen Interaktion zwischen Lernen- zu strukturieren.
den und Lehrenden geteiltes Wissen im gemeinsamen Diskurs mit
Lehrenden und Lernenden aufgebaut. Lernen ist demnach grund- Epistemologische Überzeugungen (epistemological beliefs).  Sub-
sätzlich als Ergebnis von Ko-Konstruktionsprozessen zu verstehen, in jektive Vorstellungen über die Beschaffenheit (d. h. Objektivität,
deren Rahmen auch (implizite) Werte, Normen und Handlungsrouti- Richtigkeit oder Aussagekraft) von Wissen. Sie beeinflussen Informa-
nen weitergegeben bzw. modifiziert werden. tionsverarbeitung, Lernverhalten, Lernmotivation und Lernleistung.

Curriculares Wissen (curricular knowledge).  Wissen über die in Erwartungseffekt (expectancy effect).  Bezogen auf Unterrichtspro-
Lehrplänen festgehaltene Anordnung von Inhalten und Lehrmate- zesse bezeichnet der Begriff ein Phänomen, bei dem eine Lehrkraft
rialien. bestimmte Überzeugungen über das Potenzial eines Schülers hat,
und allein diese Erwartungen dazu beitragen, dass sich der Schüler
Deklaratives Wissen (declarative knowledge).  Entspricht in etwa so verhält oder Leistungen zeigt, wie die Lehrkraft es erwartet hat;
dem Begriff des „Faktenwissens“ im deutschen Sprachgebrauch – in vgl. Pygmalioneffekt.
Abgrenzung zum Können (Beherrschung von Fertigkeiten), welches
in der Psychologie als prozedurales Wissen bezeichnet wird. Dekla- Erwartungs-Wert-Modell (Expectancy-Value Model of Motiva-
ratives Wissen kann sich auf „Wissen, dass“ über einzelne Fakten, tion).  Motivationspsychologisches Modell zur Erklärung leistungs-
aber auch über komplexe Zusammenhänge (z. B. Verständnis des bezogener Entscheidungsprozesse und Verhaltensweisen. Als zent-
Zusammenspiels von ökologischen Faktoren) beziehen. rale Determinanten werden die subjektive Erfolgserwartung („Kann
ich dieses Ziel erreichen?“) und der subjektive Wert des Handlungs-
Diagnostische Kompetenz (diagnostic competence).  Hebt darauf ergebnisses („Ist mir das Ziel wichtig?“) angenommen.
ab, inwiefern Fachkräfte in der Lage sind, individuelle Lernstände
(z. B. aktuelle Lesekompetenzen) und Lernvoraussetzungen (z. B. Erziehung (education).  Zielt auf eine Förderung der psychischen
Wortschatz, Lesemotivation) korrekt (d. h. objektiv, reliabel und Entwicklung Heranwachsender sowie die intergenerationale
valide) einzuschätzen. Transmission von gesellschaftlich als relevant erachteten Wissensbe-
ständen, Werten und Normen ab. Erziehungsziele und -praktiken va-
Diagnostische Strategien (diagnostic strategies).  Stellen je nach riieren daher interkulturell und unterliegen historischen Wandlungs-
Fragestellung variierende methodische Vorgehensweisen im diag- prozessen. Auch wird in gängigen Definitionen der Selbsttätigkeit
nostischen Prozess dar. Unterschieden wird zwischen Status- vs. Pro- der zu Erziehenden Rechnung getragen, indem Erziehung immer
zessdiagnostik; normorientierte vs. kriteriumsorientierte Diagnostik nur als (absichtsvolles) „Versuchshandeln“ charakterisiert wird.
und Modifikations- vs. Selektionsdiagnostik.
Erziehungsberatungsstellen (child guidance center).  Die institu-
Diagnostischer Prozess (diagnostic process).  Begründete Zuschrei- tionelle Erziehungsberatung obliegt dem achten Sozialgesetzbuch
bung eines Attributs oder einer Eigenschaft zu einer bestimmten der Kinder- und Jugendhilfe. Es wird – im Sinne des Subsidiaritäts-
Beobachtungseinheit (z. B. einer Person, Gruppe oder Institution). prinzips – meist von Erziehungsberatungsstellen in freier Träger-
schaft (z. B. Diakonie, AWO) geleistet. Um den vielfältigen Anlässen
Dimensionale Vergleiche (dimensional comparisons).  Vergleiche gerecht werden zu können, arbeiten in der Regel Fachkräfte mit
der Leistungsfähigkeit einer Person in einem Fach mit der Leistungs- unterschiedlicher Expertise (z. B. Ärzte, Psychologen, Pädagogen
fähigkeit derselben Person in einem anderen Fach. und Sozialarbeiter) im Team zusammen (vgl. Interdisziplinarität).
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Die Inanspruchnahme der Beratungsangebote ist grundsätzlich Hypermedia (hypermedia).  Verschiedene Medien werden über
freiwillig und kostenlos. analoge oder elektronische Verknüpfungen miteinander in Bezie-
hung gesetzt.
Explorations- und Neugierverhalten (exploring and inquisitive
behavior).  Kann sowohl bei Menschen als auch Tieren beobachtet Hypertext (hypertext).  Hierbei handelt es sich um Texte, die in
werden und richtet sich auf die Erkundung neuer bzw. unbekannter nichtlinearer Form (meist über elektronische Verknüpfungen, sog.
Umweltbereiche. Hyperlinks) miteinander verbunden sind.

Fachdidaktisches Wissen (pedagogical content knowledge).  Wis- I/E-Modell (Internal External Frame of Reference Model).  Das
sen darüber, wie fachliche Inhalte durch Instruktion vermittelt Internal-External-Frame-of-Reference-Modell beschreibt die Effekte
werden können. sozialer und dimensionaler Vergleiche auf fachbezogene Selbstkon-
zepte.
Fachwissen (content knowledge).  Wissen über den zu unterrich-
tenden (Schul-)Stoff. Implementation (implementation).  Umsetzung von Prinzipien
oder Programmen in einen konkreten Kontext. Das Konzept der
Familie (family).  Gruppe von Menschen, die durch nahe und Implementation ist eng mit dem Transferbegriff verbunden. In der
dauerhafte Beziehungen miteinander verbunden sind und (pers- Pädagogischen Psychologie ist wichtig, dass es sich dabei immer um
pektivisch) einen erzieherischen/sozialisatorischen Kontext für die einen Transfer – beispielsweise von grundlagenwissenschaftlichen
Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bereitstellt. Erkenntnissen (Lern- oder Motivationstheorien) oder Trainings-
programmen – in einen Anwendungskontext wie z. B. schulischen
Feedback (feedback).  Rückmeldung, die den Lernenden über Unterricht handelt.
die Richtigkeit seiner Antwort bzw. seiner Aufgabenlösung im
Anschluss an eine bearbeitete Aufgabenstellung informiert oder die Informationsverarbeitungstheorie (information processing
dem Lernenden inhaltliche und/oder strategische Informationen zu theory).  Wissenschaftstheoretische Sichtweise, die (vor allem
dessen Bearbeitungsprozess zur Verfügung stellt. Rückmeldungen kognitive) menschliche Prozesse als Informationsverarbeitungs-
können informativ sein (d. h. sachliche Informationen über Lücken prozesse interpretiert. Wichtige Gegenstandsbereiche sind die
und Verbesserungsmöglichkeiten beinhalten) und Bewertungen Repräsentation und Organisation von Wissen und Gedächtnis sowie
enthalten, die je nach herangezogener Bezugsnorm (z. B. individuell die Prozesse, die sich auf das Aufnehmen, Behalten und Verwenden
vs. sozial) divergieren und damit auch in unterschiedlichem Maß von Wissen beziehen.
motivierend sein können.
Informelles Lernen (informal learning).  Lernprozesse, die nicht
Flow (flow).  Positives emotionales Erleben, wenn man in der Bear- absichtlich herbeigeführt werden und vornehmlich außerhalb
beitung einer Aufgabe völlig aufgeht. Vertreter des Flow-Ansatzes formaler Bildungsinstitutionen (z. B. in der Familie) erfolgen. Auch
postulieren, dass Flow eine optimale Erlebensqualität darstellt, die in institutionellen Bildungseinrichtungen (z. B. in der Pause, in der
Höchstleistungen begünstigt. Nachmittagsbetreuung der Ganztagsschule) findet jedoch informel-
les Lernen statt.
Fremdwahrnehmungen (external perceptions).  Einschätzungen
anderer Personen (Eltern, Lehrer, Mitschüler) bezüglich der Eigen- Inhaltliche Klarheit (content clarity).  Unterricht, in dem die inhalt-
schaften einer Person (eines Schülers, Elternteils etc.). lichen Aspekte des Unterrichtsgegenstands sprachlich prägnant und
verständlich, fachlich korrekt und inhaltlich kohärent dargestellt
Gruppe (group).  Unter einer sozialen Gruppe versteht man zwei und/oder entwickelt werden. Dabei übernehmen variantenreiche
oder mehr Personen, die sowohl von Außenstehenden als auch Erklärungen und Erläuterungen, die Herausarbeitung von Gemein-
von sich selbst als zu derselben Kategorie gehörig wahrgenommen samkeiten und Unterschieden in Konzepten sowie die Verwendung
werden: Die Mitglieder wissen um die eigene Gruppenzugehörigkeit und Verbindung unterschiedlicher Repräsentationsformen eine
(kognitive Komponente) und dieses Wissen geht mit einer positiven wichtige verständnisfördernde Funktion.
oder negativen Bewertung (evaluative Komponente) sowie positi-
ven bzw. negativen Gefühlen (emotionale Komponente) einher. Intelligenz (intelligence).  Fähigkeit eines Menschen zur Anpassung
an neuartige Bedingungen und zur Lösung neuer Probleme auf
Handlungsphasenmodell (Rubicon Model of Action Pha- der Grundlage vorangehender Erfahrungen im gesellschaftlichen
ses).  Handlungsphasenmodelle (wie das Rubikon-Modell von Heinz Kontext.
Heckhausen und Peter M. Gollwitzer) unterteilen eine Handlung in
unterschiedliche Phasen mit jeweils unterschiedlichen motivationa- Intelligenzforschung (intelligence research).  Forschungsrichtung
len und volitionalen Prozessen. Meist wird zwischen (mindestens) der Psychologie, in der vor allem thematisiert wird, wie sich Perso-
einer Phase vor der Handlung (präaktional), während der Handlung nen rasch mit neuartigen Denkaufgaben zurechtfinden, welche Fä-
(aktional) und nach der Handlung (postaktional) unterschieden. higkeiten sie bezüglich intellektueller Operationen wie Analysieren,
Synthetisieren, Generalisieren, Induzieren, Deduzieren, Abduzieren
Homophilie (homophily).  Homophilie bezeichnet das Phänomen, oder Abstrahieren besitzen.
dass Kontakt zwischen ähnlichen Personen wahrscheinlicher ist als
Kontakt zwischen unähnlichen Personen. „Gruppenhomophilie“ Intelligenzmodelle (models of intelligence).  Globale Intelligenz-
bedeutet, dass Mitglieder einer Gruppe einander ähnlicher sind als modelle sehen Intelligenz als ganzheitliche und homogene Fähig-
Nicht-Gruppenmitglieder, „Freundschaftshomophilie“ bedeutet, dass keit an. Hierarchische Intelligenzmodelle nehmen eine hierarchische
Menschen auch ihre Freunde vorzugsweise unter solchen Personen Ordnung von Intelligenzkomponenten an. Auf der obersten Ebene
wählen, die ihnen selbst auf relevanten Merkmalen ähnlich sind.
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Glossar

steht der Generalfaktor „g“, der die allgemeine Intelligenz erfasst Korrelation (correlation).  Enge des Zusammenhangs zwischen
und in Teilkomponenten aufgespaltet wird. Merkmalen. Dieser kann zwischen + 1 (je mehr Merkmal A, desto
mehr Merkmal B) und −1 (je mehr Merkmal A, desto weniger Merk-
Interdisziplinarität (interdisciplinarity).  Bezeichnet die Bear- mal B) liegen. Unabhängig von deren Höhe dürfen Korrelationen
beitung von Inhalten aus verschiedenen Disziplinen mit ihren je nicht als Kausalbeziehung interpretiert werden.
eigenen theoretischen Perspektiven und forschungsmethodischen
Zugängen. Im Kinder- und Jugendhilfebereich ist das Grundprinzip Kovarianzanalyse (analysis of covariance).  Die Kovarianzanalyse
der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichsten fachlichen ist ein allgemeines lineares Modell mit einer kontinuierlichen abhän-
Richtungen unter dem Begriff der „Komplexleistung“ im Sozialge- gigen Variable und einem oder mehreren Prädiktoren. Sie ist eine
setzbuch (SGB IX) rechtlich verankert. Verknüpfung von Varianzanalyse und Regressionsanalyse und prüft,
ob Prädiktoren einen Effekt haben, wenn der Effekt einer Kovariate
Intervention (intervention).  Intervention (lat. dazwischentreten, kontrolliert wird.
sich einschalten) steht im Kontext der Pädagogischen Psychologie
für das direkte Eingreifen in ein Geschehen, um ein unerwünschtes Kriteriale Vergleiche (criteria-based comparison).  Vergleiche der ei-
Phänomen zu beseitigen oder gar nicht erst entstehen zu lassen genen Leistung mit einem vorliegenden Kriterium wie beispielsweise
(z. B. Trainingsinterventionen). Bildungsstandards, Kompetenzstufen oder Lehrplanvorgaben.

Kanaltreue (channel loyalty).  Bindung eines Medienrezipienten an Kritische Lebensereignisse (critical life events).  Hierunter werden
ein institutionalisiertes Informationsangebot wie z. B. eine Tageszei- außerordentliche Veränderungen im Leben von Personen verstanden
tung, einen Fernseh- oder Radiosender. (wie Krankheit, Trennungen oder Arbeitslosigkeit), die stressbedingte
Langzeitfolgen hervorrufen können, sofern sie die (individuellen
Klassenführung (classroom management).  Unter dem Begriff oder kollektiven) Bewältigungskapazitäten überschreiten. Kritische
der Klassenführung werden verschiedene Unterrichtsmerkmale Lebensereignisse werden von kumulativen „Mikrostressoren“ (daily
gebündelt. Zentral ist, dass Lernumgebungen so gestaltet werden, hassles) und normativen Entwicklungsaufgaben abgegrenzt.
dass Lernen störungsarm abläuft, die vorgegebene Lernzeit maximal
ausgeschöpft wird und die Lehrenden die Lernprozesse optimal Kybernetik (cybernetics).  Kybernetik (griech. Steuermannskunst)
begleiten und unterstützen. ist die Wissenschaft von der Funktion komplexer Systeme, insbeson-
dere der Kommunikation und der Steuerung eines Regelkreises.
Klumpenstichprobe (cluster sampling).  Stichprobe, die aus
mehreren zufällig ausgewählten Teilmengen der Zielpopulation (z. B. Latente Variable (latent variable).  Parameter in einem mathe-
mehrere Schulen oder Schulklassen) besteht. matischen Modell, der nicht direkt beobachtet werden kann. Die
latente Variable soll das in Frage stehende psychologische Konstrukt
Kodalität (codality).  Informationen können in unterschiedlicher repräsentieren – der Grad der Ausprägung wird anhand empirischer
Zeichenform repräsentiert werden, indem man analoge (z. B. Bilder, Daten geschätzt.
lautmalerische Töne) oder abstrakte Zeichen (z. B. Buchstaben,
Sprachlaute) verwendet. Lehrerüberzeugungen (teacher beliefs).  Vorstellungen und
Annahmen von Lehrkräften über schul- und unterrichtsbezogene
Kognitive Aktivierung (cognitive activation).  In Abgrenzung zu Phänomene und Prozesse mit einer bewertenden Komponente.
handlungsorientierten Konzepten wird betont, dass der Wissenser-
werb nicht von der sichtbaren Aktivität des Lerners (z. B. Experimen- Leistungsmotiv (achievement motive).  Zeitlich stabile Wertungs-
tieren im Schülerlabor) abhängt sondern von dem Grad, indem er im und Verhaltensdispositionen für den Leistungsbereich. Leistungs-
Unterricht zu einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Ge- motiviertes Verhalten ist gekennzeichnet durch die Auseinan-
genstand motiviert wird. Zur kognitiven Aktivierung der Lernenden dersetzung mit einem als verbindlich erachteten Gütemaßstab.
kann die Lehrperson beitragen, indem sie herausfordernde Aufgaben Leistungsmotiviertes Verhalten (z. B. etwas besonders gut machen
und Fragen stellt, kognitive Widersprüche und Konflikte „provoziert“ wollen, etwas besser als andere machen wollen etc.) kann somit
und das Vorwissen und die Konzepte der Lernenden einbezieht. gelingen oder scheitern. Die Selbstbewertung eigener Tüchtigkeit
vor dem Hintergrund des Gütemaßstabs bildet den Anreiz der
Kompetenz (competence).  Bereichsspezifische Fähigkeiten und leistungsmotivierten Zielverfolgung.
Fertigkeiten, Wissen und Strategien, die notwendig sind, um mit
Anforderungen eines Bereichs erfolgreich umgehen zu können. Bei Leistungszielorientierung (achievement goal orientation).  Mo-
Vergleichsstudien stehen Kompetenzen im Blickpunkt: Vergleichs- tivationale Tendenz, eigene Stärken zu demonstrieren bzw. eigene
studien erfassen bereichsspezifische Kompetenzen (z. B. Lesekompe- Schwächen zu verbergen. Das Leistungsverhalten wird vornehmlich
tenz) und bereichsübergreifende Kompetenzen (z. B. Lernstrategien, durch den Vergleich mit anderen bestimmt.
Problemlösen). Aus den Antworten auf die Testfragen (Testleistung
oder Performanz) zu einem bestimmten Teilgebiet wird die Kompe- Lernbegleitung (learning support).  Die Qualität der Interaktion
tenz in diesem Bereich erschlossen. zwischen Lehrenden und Lernenden in der Begleitung, Unter-
stützung und Rückmeldung von Lernprozessen sowie das Klima
Kooperatives Lernen (cooperative learning).  Bezeichnet die innerhalb einer Klassengemeinschaft sind Kennzeichen einer Lern-
Zusammenarbeit von Lernenden in Kleingruppen (einschließlich begleitung im Unterricht. Ziel einer Lernbegleitung im Unterricht ist
Tandems), um Lernaufgaben zu bewältigen. Es steht dabei nicht es, die Schüler zu einer möglichst lang andauernden und intensiven
(alleine) die Qualität eines „Produktes“ oder einer Problemlösung im Auseinandersetzung mit Lerninhalten anzuregen.
Vordergrund, wie etwa bei einer Gruppenarbeit im Arbeitskontext,
sondern das Lernen eines jeden Einzelnen.
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Lernen aus Lösungsbeispielen (learning from worked-out Lernprozesses lenken. Zur systematischen Beobachtung und Do-
examples).  Bezeichnet üblicherweise nicht (!) das Lernen mit kumentation von Lernverhalten haben sich neben standardisierten
Lösungsbeispielen im traditionellen Unterricht oder in typischen Lerntagebüchern auch Portfolios und Lernprotokolle etabliert.
Lehrbüchern. Dort wird meist nach der Einführung eines Prinzips
oder Gesetzes ein Beispiel gegeben, dann werden Aufgaben zum Medialität (mediality).  Art und Weise, mit der eine Information
Bearbeiten präsentiert. Beim Lernen aus Lösungsbeispielen wird die repräsentiert wird (z. B. als gedruckter Text, Audiofile, Bild, Film etc.).
Phase des Beispielstudiums verlängert, damit sichergestellt wird,
dass die Lernenden ein Prinzip oder Gesetz und dessen Anwendung Mediator (mediator variable).  Mediatorvariablen vermitteln den
verstanden haben, bevor sie selbst verständnisorientiert Aufgaben Einfluss einer Variablen auf eine andere Variable. Beispielsweise
lösen. Komplexe Beispiele, bei denen eine Person aufzeigt, wie mediieren unterschiedliche Freizeitinteressen die Effekte des Ge-
man ein Problem löst, werden meist Modelle genannt (Lernen von schlechts auf die Lesekompetenz.
Modellen).
Medien (media).  Vermittler von Zeichen (z. B. Sprachlaute, Buch-
Lernen aus Texten (learning by text).  Bei dieser Lernart wird den staben, Bilder) zwischen Subjekten und/oder Objekten mit dem Ziel
Lernenden schriftlicher und mündlicher Text dargeboten, den es der Informationsübertragung.
zunächst zu „verstehen“ gilt. Gelernt werden sollen dabei meist
nicht der ganze Text in seinen einzelnen Aussagen, sondern die Metaanalyse (meta-analysis).  Eine Metaanalyse fasst verschiede-
Kernaussagen des Textes und „naheliegende“ Schlussfolgerungen. nen Untersuchungen zu einem wissenschaftlichen Forschungsge-
Für das Lernen ist ein „Verstehen“ des Textes, im Vergleich z. B. zu biet zusammen. Durch die Zusammenfassung und systematische
einem oberflächlichen Auswendiglernen, ein günstige Bedingung. Analyse der im Forschungsgebiet vorhandenen, inhaltlich homo-
Für tiefes Verstehen muss der Lernende sein Vorwissen mit der genen, empirischen Einzelergebnisse, soll die übergreifende Effekt-
Textinformation in Verbindung bringen; dieser Prozess fördert auch größe in Bezug auf den Forschungsgegenstand (z. B. Wirksamkeit
die Speicherung im Langzeitgedächtnis, also Lernen. von Interventionen zur Selbstregulation) geschätzt werden.

Lernen durch Tun (learning by doing).  Diese Bezeichnung wird für Metakognitives Wissen (meta-cognitive knowledge).  Bezieht sich
im Detail ganz unterschiedliche Lernarrangements verwendet, die auf das „Wissen über Wissen“ bzw. über eng mit Wissen verbundene
aber alle gemeinsam haben, dass die Lernenden selbst Aufgaben Phänomene. Dabei wird die Grenzziehung von Kognition und Me-
bearbeiten bzw. Probleme lösen. Bisweilen ist diese Lernform durch takognition von verschiedenen Autoren unterschiedlich vorgenom-
ein Versuch-Irrtum-Vorgehen gekennzeichnet; andererseits kann das men. Manche Autoren bezeichnen es z. B. als Metakognition, wenn
Lernen durch Tun auch stark strukturiert und angeleitet sein, etwa in Lernende einen Problemlöseschritt, den sie vornehmen, mit einer
intelligenten tutoriellen Systemen, die die Lernaufgaben, Rück- Gesetzmäßigkeit (z. B. aus der Physik) begründen. Die Begründung
meldungen und Hilfen auf das spezifische Vorwissen des einzelnen wird als Metastatement über eine eigene Aktion (prozedurales
Lernenden abstimmen. Wissen) gesehen. Andere sehen diese Art der Begründungen als
Selbsterklärungen an, die in einem Fachgebiet Verbindung zwischen
Lernen am Modell (observational learning).  Beim Lernen von Prinzipien und Lösungsverfahren herstellen, sodass ihnen kein
Modellen (auch: Modelllernen) wird typischerweise eine Person be- metakognitiver Status zugesprochen wird. Der Kern von Metakogni-
obachtet, die ein exemplarisches Problem löst (Lernen aus Lösungs- tion, und da besteht Einigkeit, bezieht sich aber auf das Wissen um
beispielen). Die Lernenden können dabei sehen, wie man beim Pro- Strategien-, Aufgaben- und Personmerkmale sowie die Regulation
blemlösen sinnvollerweise vorgehen kann und wie Sackgassen und der eigenen Kognition.
Schwierigkeiten überwunden werden können. Das „Modell-Lernen“
gilt als ein zentraler Mechanismus für Sozialisationsprozesse (Kinder Microteaching (microteaching).  Eine Methode des Unterrichts-
lernen am Modell ihrer Eltern) und wurde in instruktionspsycholo- trainings in der Lehreraus- und -fortbildung, bei der angemessenes
gischen Ansätzen (z. B. cognitive apprenticeship) systematisch zu Lehrerverhalten systematisch eingeübt werden soll.
nutzen versucht; häufig wird hiermit auch die Wirkung von Medien
(z. B. aggressionsfördernde Wirkung von Gewaltdarstellungen im Modalität (modality).  Hebt auf die Sinneskanäle ab, über die
Fernsehen) zu erklären versucht. Informationen aufgenommen werden (z. B. visuell vs. auditiv). Wird
eine Information (z. B. Tonfilm) über mehrere Sinneskanäle (hier:
Lernstandserhebungen (measuring pupil achievements).  Über- visuell und akustisch) rezipiert, spricht man von einer multimodalen
prüfen Lernergebnisse im Hinblick auf Standards, wie sie in den Informationsverarbeitung.
länderübergreifenden Bildungsstandards bzw. den daran gekop-
pelten Anforderungen/Kerncurricula der Länder formuliert werden. Multimedia (multimedia).  Der Begriff Multimedia ist nicht einheit-
Sie zielen darauf ab, nach vorgegebenen Aufgaben und Beurtei- lich definiert. Heute bezeichnet er normalerweise integrierte, inter-
lungsmaßstäben Aussagen über die zu fest definierten Zeitpunkten aktive, digitale Informationsressourcen, in denen unterschiedliche
erreichten Lernergebnisse von Schülern und damit über erreichte Medien (Multimedialität) in unterschiedlichen Kodierungsformen
Kompetenzniveaus machen zu können. (Multikodalität) miteinander verknüpft sind. Die multimedialen In-
formationsressourcen müssen dabei in der Regel über verschiedene
Lernstrategie (learning strategy).  Handlungsplan zur Steuerung Sinneskanäle (Multimodalität) durch die Rezipienten verarbeitet
des eigenen Lernens. Weit verbreitet ist die Differenzierung in kogni- werden.
tive, metakognitive und ressourcenbezogene Lernstrategien.
Normative Entwicklungsaufgaben (normative developing
Lerntagebücher (learning diaries).  Standardisierte, strukturierte tasks).  Beschreiben Anforderungen, die erwartbar in verschiedenen
Beobachtungsleitfäden, die die Aufmerksamkeit des Lerners mittels Phasen der kindlichen Entwicklung auftreten (z. B. Identitätsfin-
offener und geschlossener Fragen auf wesentliche Aspekte des dung in der Adoleszenz) und bei unzureichender Bewältigung die
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Glossar

Bearbeitung nachfolgender Entwicklungsaufgaben beeinträchtigen Maßnahmen mit einer korrektiven Zielsetzung eingesetzt werden,
können. Familienentwicklungsaufgaben bezeichnen analog die in wenn bereits erste Probleme erkennbar sind, um eine weitere
verschiedenen Phasen des Familienzyklus auftretenden, das ganze Stabilisierung oder Ausweitung zu vermeiden. Bei der tertiären
Familiensystem betreffenden Anforderungen. Prävention geht es darum, mögliche Folgeprobleme einzudämmen,
die aus bereits entstanden Problemen erwachsen können.
Objektivität (objectivity).  Wesentliches Gütekriterium zur Beur-
teilung diagnostischer Verfahren; bezeichnet den Grad, in dem Projektive Verfahren (projective tests).  Verfahren, bei denen mehr-
Testergebnisse unabhängig von der Durchführung, Auswertung und deutiges bzw. auslegungsfähiges Bildmaterial (z. B. Tintenkleckse,
Interpretation sind. Zeichnungen von motivrelevanten Situationen) von den Probanden
zu interpretieren ist. Es wird angenommen, dass Einstellungen,
Online (online).  Wissenserwerb kann online (Rezipienten sind aktu- Motive und Persönlichkeitsmerkmale sich in diesen Interpretationen
ell über das Internet verbunden) oder offline erfolgen (z. B. können äußern bzw. auf das Bildmaterial „projiziert“ werden. Projektive Tests
sich Studierende eine aufgezeichnete Vorlesung anhören, wann sind weniger anfällig für gezielte Selbstdarstellungen als Fragebo-
immer sie dies tun wollen). gen, aber auch weniger objektiv und reliabel.

Ontogenese (ontogenetics).  Entwicklung des Menschen von der Prozedurales Wissen (procedural knowledge).  Entspricht in etwa
Geburt bis ins hohe Alter. dem Begriff des Könnens im deutschen Sprachgebrauch – in Ab-
grenzung zu (deklarativem) Wissen. Prozedurales Wissen bezeichnet
Optimalklassen (optimal class size).  Schulklassen, die sich im „Wissen, wie“, z. B., wie man bestimmte Aufgaben aus der Mathe-
Vergleich zu anderen Klassen in verschiedenen Dimensionen positiv matik oder Physik ausrechnet oder auch wie man eine bestimmte
entwickelt haben, also z. B. eine durchschnittlich besonders positive Maltechnik zum Einsatz bringt (z. B. im Kunstunterricht).
kognitive und motivationale Entwicklung zu verzeichnen haben.
Prozessdiagnostik (process diagnostics).  Im Zentrum steht die
Peer group (peer group).  Unter einer sozialen Gruppe versteht Erfassung von Veränderungen (z. B. in Einstellungen oder Verhal-
man zwei oder mehr Personen, die sowohl von Außenstehen- tensweisen) über mehrere Zeitpunkte hinweg.
den als auch von sich selbst als zu derselben Kategorie gehörig
wahrgenommen werden: Die Mitglieder wissen um die eigene Prüfungsangst (test anxiety).  Unlustvolles emotionales Erleben
Gruppenzugehörigkeit (kognitive Komponente) und dieses Wissen von Aufgeregtheit, Nervosität und Unsicherheit vor und während
geht mit einer positiven oder negativen Bewertung (evaluative Prüfungen und ähnlichen Bewertungssituationen. Es wird typischer-
Komponente) sowie positiven bzw. negativen Gefühlen (emotio- weise zwischen der „Worry-Komponente“ und der „Emotionality-
nale Komponente) einher. Bereits im Kindesalter (z. B. in der Kita, Komponente“ von Prüfungsangst unterschieden.
der Schule) formieren sich Gruppen von (z. B. gleichgeschlecht-
lichen) Gleichaltrigen. Im Jugendalter spielen peer groups eine Psychosoziale Risiken (psychosocial risks).  Entwicklungsgefähr-
zentrale Rolle für die Identitätsentwicklung. dende Umweltbedingungen überwiegend im familiären Bereich,
die die Befriedigung grundlegender physischer und psychischer
Peerstatus (peer status).  Der Peerstatus eines Kindes wird daraus Bedürfnisse verhindern. Hierunter fallen vor allem deprivierende
errechnet, wie häufig bei soziometrischen Verfahren andere Kinder Lebensumstände, psychische Erkrankungen mindestens eines El-
angeben, dieses Kind zu mögen und mit ihm zusammen arbeiten ternteils und Armut. Das Risiko für eine ungünstige Entwicklung der
oder spielen zu wollen. Dieser Index bildet das Ansehen eines Kinder steigt, je schwerwiegender die Unterversorgungen ausfallen.
einzelnen Kindes innerhalb der Klasse ab. Dabei werden zwei ver-
schiedene Dimensionen berücksichtigt: die soziale Präferenz (social Pygmalioneffekt (pygmalion effects).  Speziell auf die Interaktion
preference) und die soziale Beachtung (social impact) eines Kindes. zwischen Lehrern und Schülern bezogene Form der sich selbst
Die soziale Präferenz leitet sich aus der Differenz zwischen der An- erfüllenden Prophezeiung, bei der sich die Leistungen der Schüler
zahl der positiven und negativen Stimmen, die ein Kind erhalten hat, entsprechend der Lehrererwartungen entwickeln; vgl. Erwartungs-
ab und beschreibt, wie sehr ein Kind von den Gruppenmitgliedern effekt.
gemocht wird. Die soziale Beachtung ergibt sich aus der Summe der
positiven und negativen Nennungen und bildet damit ab, wie stark Randomisierung (randomization).  Zufallsauswahl; bei der Zusam-
ein Kind von den Klassenkameraden wahrgenommen wird. menstellung von Stichproben werden Personen zufällig ausgewählt
bzw. auf verschiedene Untersuchungsgruppen aufgeteilt, sodass
Phylogenese (phylogenetics).  Entstehung bzw. Entwicklung des jedes Individuum exakt die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, in eine
Menschen (und aller anderen Lebewesen) im Laufe der Evolution. Gruppe aufgenommen zu werden.

Piktogramme (pictogram).  Sie benutzen meist vereinfachte Reaktivität (reactivity).  Maß zur Beschreibung von Reaktionen. In
bildhafte Darstellungen des darzustellenden Gegenstandes oder der Sozialforschung unterscheidet man reaktive (z. B. teilnehmende
Sachverhaltes zur Informationsvermittlung. Beobachtung) von nichtreaktiven (z. B. verdeckte Beobachtung)
Verfahren und meint damit das Ausmaß der Veränderung des zu
Praktische Intelligenz (tacit knowledge).  Fähigkeit, mit realen untersuchenden Gegenstandes durch das angewendete Verfahren.
Problemen erfolgreich umzugehen.
Regression zur Mitte (regression towards the mean).  Phänomen,
Prävention (prevention).  Als Prävention werden Maßnahmen bei dem extreme (weit vom Mittelwert abweichende) Ausprägungen
zusammengefasst, die der Vermeidung physischer oder psychischer einer unabhängigen Variablen mit weniger extremen Ausprägun-
Probleme dienen. Primärpräventive Maßnahmen werden eingesetzt, gen (d. h. weniger vom Mittelwert abweichend) in der abhängigen
bevor Probleme eingetreten sind, während sekundärpräventive
448 Glossar

Variablen einhergehen. Beispielsweise sind Kinder besonders hoch Selbstwirksamkeitsüberzeugung (self efficacy).  Geht zurück
gewachsener Eltern im Mittel im Vergleich zu ihren Eltern kleiner. auf Albert Bandura. Konkrete Erwartung, dass eine Aufgabe oder
Herausforderung aus eigener Kraft trotz Hindernissen erfolgreich
Reliabilität (reliability).  Wesentliches Gütekriterium zur Beurtei- bewältigt werden kann.
lung diagnostischer Verfahren; gibt die Zuverlässigkeit eines Tests
an. Klassische Formen der Reliabilitätsermittlung beruhen im We- Self-Enhancement-Ansatz (self enhancement approach).  Das
sentlichen auf der Untersuchung der Stabilität einer Rangreihe von zentrale Postulat lautet, dass günstige Selbstkonzepte zu einer
Personen über Itemstichproben oder Messzeitpunkte. positiven Leistungsentwicklung beitragen.

Ressourcen (resources).  Ressourcen (franz. Mittel, Quelle) ermög- Skill-Developement-Ansatz (skill development approach).  Das
lichen die Realisierung von Handlungen oder Vorhaben. Hierzu zentrale Postulat lautet, dass hohe Leistungen zu einer positiven
zählen materielle oder immaterielle Mittel wir Betriebsmittel, Geld- Selbstkonzeptentwicklung beitragen.
mittel, Boden, Rohstoffe, Energie oder Personen. Im Rahmen der
Selbstregulation werden interne (z. B. Fähigkeiten, Konzentration, Sozial abweichendes Verhalten (deviance).  Mit dem Begriff des
Selbstwirksamkeit) von externen Ressourcen (z. B. Lernumgebung, sozial abweichenden Verhaltens von Kindern und Jugendlichen
Literatur, kollegiales Lernen) unterschieden. wird hervorgehoben, dass klinisch relevante „Verhaltensstörungen“
weder genetisch oder biologisch begründet sein müssen und der
Schema (schema).  Kognitive Struktur, mit der Informationen Grad der „Abweichung“ letztlich auf sozialen Konventionen beruht.
interpretiert und organisiert werden. Es resultiert aus Erfahrungen In der aktuellen Literatur werden darunter meist aggressive, opposi-
in wiederholt vorkommenden (Problem-)Situationstypen (z. B. tionelle, gewalttätige, delinquente und kriminelle Verhaltensweisen
Probleme zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen gefasst. Um eine klinisch relevante Störung des Sozialverhaltens
Auftretens von unabhängigen Ereignissen), die in abstrahierter diagnostizieren zu können, gilt es Anzahl, Intensität und Dauer der
Weise repräsentiert werden. Ein Schema ist eine skelettartige Wis- Verhaltensprobleme sowie damit einhergehende Beeinträchtigun-
sensstruktur, die mit den Spezifika einer aktuellen Problemsituation gen der kindlichen Entwicklung zu berücksichtigen. Eine sehr un-
angereichert wird (z. B. wird der Multiplikationssatz für unabhängige günstige Entwicklungsprognose haben Kinder, bei denen Störungen
Ereignisse mit den konkreten Zahlen ausgefüllt und auf die konkre- sehr früh, sehr massiv und in vielfältigen Lebensbereichen auftreten.
ten Ereignisse bezogen). In einem Schema können deklaratives und
prozedurales Wissen integriert werden. Soziale Kompetenz (social competence).  Soziale Kompetenz
bezieht sich auf die Verfügbarkeit und Anwendung von Fertigkeiten,
Schulentwicklung (school development).  Systemischer und die es dem Handelnden ermöglichen, soziale Situationen zielfüh-
systematischer Prozess, in dem alle Beteiligten für die Schule vor rend und bedürfnisgerecht zu bewältigen. Sie umfasst Fertigkeiten
Ort gemeinsam Ziele aufstellen und versuchen, sie umzusetzen und auf den Ebenen Kognition, Emotion und Verhalten.
zu evaluieren mit dem Ziel, die Qualität der Schule zu verbessern.
Schulentwicklung ist kein eng umrissenes Projekt, sondern ein ziel- Soziale Vergleiche (social comparisons).  Vergleiche der eigenen
gerichteter Veränderungsprozess. Schulentwicklung realisiert sich in Leistung mit der Leistung anderer (z. B. der Mitschüler).
den Aufgabenbereichen Unterrichtsentwicklung, Personalentwick-
lung und Organisationsentwicklung. Sozialisation (socialisation).  Wird zu analytischen Zwecken meist
von Erziehung abgegrenzt, indem der Begriff auf Einstellungs- und
Schulpsychologische Dienste (school counseling services).  Sol- Verhaltensänderungen abhebt, die auf das Lebensumfeld und die
len die Arbeit von Bildungseinrichtungen durch psychologische hier stattfindenden Interaktionen mit relevanten Bezugspersonen
Theorien, Erkenntnisse und Methoden in ihrem Entwicklungs-, zurückzuführen sind, obwohl diese keiner bewussten pädago-
Veränderungs- und Anpassungsprozess unterstützen. Schulpsy- gischen Absicht folgen. Dennoch (oder gerade deshalb) können
chologische Beratung kann sich an Einzelpersonen (Schüler, Lehrer, Sozialisationsprozesse die Veränderung oder Stabilisierung von
Eltern), Gruppen (Klassen, Lehrergruppen, Elterngruppen) sowie die Personmerkmalen während verschiedener Ausschnitte der Lebens-
ganze Schule oder Schulnetzwerke richten. spanne erheblich beeinflussen.

Selbsterklärungen (self-explanation).  Erklärungen, die zum einen Stage-Environment-Fit-Theorie (Stage-Environment Fit The-
von einem Lernenden selbst generiert werden und die er zum an- ory).  Diese Theorie geht von der Erkenntnis aus, dass bestimmte
deren auch primär an sich selbst richtet. Sie enthalten Information, Lern- bzw. Erziehungsumwelten nicht generell für eine Person güns-
die nicht direkt im Lernmaterial enthalten ist. Typisch dafür wäre ein tig oder ungünstig sind, sondern dass die Passung mit einer Umwelt
Lernender, der sich den Sinn eines Lösungsschritts (z. B. in Hinblick von der jeweiligen Entwicklungsphase („stage of development“) der
auf das Zwischenziel, das damit erreicht wird) bewusst macht oder Person abhängt.
von den Spezifika einer Problemstellung die strukturellen Merkmale
abstrahiert, die für die Wahl des korrekten Lösungswegs von Bedeu- Statusdiagnostik (status assessment).  Im Zentrum steht die Fest-
tung sind. stellung der relativen Ausprägung eines interessierenden Konstrukts
(z. B. Intelligenz) zu einem gegebenen Zeitpunkt. Zentral ist die
Selbstkonzept (self-concept).  Einschätzung der eigenen Person; in Annahme, dass für das interessierende Konstrukt von einer relativen
der Pädagogischen Psychologie häufig als schulisches oder fachspe- (situations- und zeitüberdauernden) Stabilität auszugehen ist.
zifisches Selbstkonzept untersucht.
Stichprobe (sample).  Um den Aufwand von Untersuchungen mit
Selbstwertgefühl (self-esteem).  Gesamtheit der affektiven Einstel- Tests zu reduzieren und dennoch repräsentative Aussagen treffen
lungen einer Person zu sich selbst. zu können, werden Stichproben von Personen gezogen. Um eine
449
Glossar

Stichprobe ziehen zu können, muss man zunächst die Population Schülers wird also auf das Potenzial bzw. die Kompetenz der Person
definieren, über die die Stichprobe etwas aussagen soll. Kann man geschlossen.
die Stichproben nicht durch eine völlig zufällige Auswahl treffen,
muss entschieden werden, nach welchen Gesichtspunkten eine Training (training).  Ein Training ist eine strukturierte und zeitlich
Stichprobenziehung optimiert wird. In Vergleichsstudien werden begrenzte Intervention, in der mittels wiederholter Ausübung von
häufig komplexe Stichproben gezogen, d. h., dass verschiedene Tätigkeiten die Absicht verfolgt wird, Fertigkeiten und Fähigkeiten
Arten der Stichprobenziehung miteinander kombiniert werden aufzubauen oder zu verbessern. Es gibt pädagogisch-psychologi-
müssen (z. B. die Ziehung einer Stichprobe von Schulen mit einer sche Trainings für kognitive, motivationale, selbstregulative, soziale
Ziehung von Schülern in den Schulen. und emotionale Funktionsbereiche. Trainings können zur allgemei-
nen Förderung, zur Prävention, zur Rehabilitation und zur Behebung
Strategien (strategies).  Allgemein versteht man unter Strategien von Defiziten eingesetzt werden.
das planvolle Anstreben eines Ziels. Im Zusammenhang mit Lernver-
halten spricht man entsprechend von Lernstrategien und bezeich- Transfer (transfer).  Transfer (lat. hinüberbringen) oder Lerntransfer
net damit Verhaltensweisen und Gedanken, die Lernende aktivieren, bezeichnet in der Pädagogischen Psychologie die Übertragung von
um Prozesse des Wissenserwerbs und ihre Motivation zu steuern. durch Lernen erworbenes Wissen über konkrete Gegenstände oder
Durch den Einsatz von Lernstrategien können Lernende mithin ihr Zusammenhänge auf mehr oder weniger ähnliche (naher vs. weiter
eigenes Lernen selbst beeinflussen. Transfer) Phänomene oder Anwendungsbereiche, indem diese
verallgemeinert oder abstrahiert werden.
Stress (stress).  Zustand der „Alarmbereitschaft“ eines Organismus,
der sich auf erhöhte Leistungsanforderungen einstellt, wenn die Transmission View (transmission view).  Lerntheoretische Über-
eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Anforderungen in der zeugung im Sinne des Informationsverarbeitungsansatzes, wonach
Umwelt übertroffen bzw. in Frage gestellt werden. eine fest umschriebene Menge an Informationen von der Lehrkraft
effektiv an die Schüler „weitergegeben“ wird.
Stukturiertheit des Unterrichts (structured instruction). Struk-
turiertheit des Unterrichts meint zum einen eine klare erkennbare Üben (practice).  Zumeist eine Form des Lernens durch Tun, bei der
Gliederung des Unterrichts in einzelne Phasen und Abschnitte. Zum nicht die Erarbeitung von neuem Stoff angestrebt wird, sondern die
zweiten wird Strukturiertheit häufig als Konsistenz von Regeln, Festigung und Automatisierung. Gegebenenfalls kann dabei noch
Erwartungen und Grenzen begriffen und drückt sich somit in einer eine Feinabstimmung des Wissens erfolgen, etwa indem noch klei-
effektiven Unterrichts- und Klassenführung aus. Zum dritten wird nere Fehler korrigiert, Wissenslücken geschlossen oder die Auswahl
der Begriff Strukturiertheit von Unterricht häufig kognitionspsycho- jeweils effizienter Lösungsvarianten für verschiedene Problemtypen
logisch verwendet, um Maßnahmen und Handlungen zu beschrei- (Transfer!) optimiert werden.
ben, die der Verknüpfung des Vorwissens der Lernenden mit neuen
Wissenselementen und einem geordneten Aufbau von Wissen Unterricht (lesson).  Abfolge von Lehr- und Lernsituationen, die
dienen (z. B. advanced organizer). von ausgebildeten Lehrpersonen in institutionalisierten Kontexten
(Schule, Weiterbildung) absichtsvoll geplant und initiiert werden
Stressprävention (stress preventing).  Bei der Stressprävention und die dem Aufbau von Wissen sowie dem Erwerb von Fertigkeiten
geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen, die und Fähigkeiten der Lernenden dienen.
sich einem Individuum stellen, und den Bewältigungsressourcen,
die zum Umgang mit den Anforderungen vorhanden sind, herzu- Validität (validity).  Das entscheidende Gütekriterium in der
stellen. In Stresspräventionsprogrammen wird typischerweise ein psychologischen Diagnostik. Auf einer theoretischen Ebene geht
multimethodaler Zugang zur Stressprävention genutzt, der neben es vorrangig darum, inhaltlich-psychologisch zu beurteilen und zu
verhaltensorientierten auch verhältnisorientierte Maßnahmen begründen, inwiefern eine spezifische Messung geeignet ist das
umfasst. Verhaltensorientierte Maßnahmen richten sich auf eine intendierte Konstrukt abzubilden. Auf einer empirischen Ebene
Verbesserung der individuellen Stressbewältigungskompetenzen, geht es insbesondere darum, datengestützt zu demonstrieren, dass
während verhältnisorientierte Maßnahmen an der Verbesserung der Kernannahmen über die Eigenschaften einer Messung zutreffen.
Lebensverhältnisse bzw. der Lebenssituation ansetzen, um dadurch Ergebnisse zur konvergenten und diskriminanten Validität helfen
Stress zu reduzieren. hier häufig auch die Relevanz psychologischer Diagnostik zu unter-
streichen.
Systemmonitoring (system monitoring).  Zielt auf Informationen
über Organisationen (z. B. Bildungssysteme) ab. Dies impliziert eine WHO (World Health Organisation).  Die Weltgesundheitsorgani-
stichprobenbasierte Erhebung von Schülerleistungen zur Feststel- sation (World Health Organisation) ist Koordinationsbehörde der
lung der Leistungsfähigkeit von Schulsystemen. Vereinten Nationen für das internationale öffentliche Gesundheits-
wesen. Eine zentrale Aufgabe der WHO stellt die Entwicklung und
Temporale Vergleiche (temporal comparisons).  Vergleiche der weltweite Durchsetzung von Leitlinien, Standards (z. B. ICD) und
eigenen aktuellen Leistung mit vorherigen Leistungen. Methoden in gesundheitsbezogenen Bereichen dar.

Test (test).  Verfahren zur Untersuchung eines empirisch abgrenzba- Wissen (knowledge).  Relativ dauerhaft (im LZG) gespeicherte
ren Merkmals (z. B. der Kompetenz) mit dem Ziel einer quantitativen Gedächtnisinhalte, deren Bedeutsamkeit durch soziale Übereinkunft
Aussage über den relativen Grad der individuellen Ausprägung des festgelegt wird („Allgemeinwissen“). Vom Wissen eines bestimmten
Merkmals. Die Antworten der Person auf bestimmte Testaufgaben Menschen ist in der Regel nur die Rede, wenn er Überzeugung von
dienen als Indikator für die (latente) Fähigkeit einer Person, auch der Gültigkeit dieses Wissens besitzt.
außerhalb der Testsituation eine vergleichbare Aufgabe oder ein
vergleichbares Problem lösen zu können. Aus der Testleistung eines
450 Glossar

Wissenspsychologie (psychology of knowledge).  Forschungsrich-


tung der Psychologie, in der aus einer informationsverarbeitungs-
theoretischen Sichtweise vor allem vier Themenbereiche analysiert
werden: Erwerb von Wissen, Repräsentation und Organisation von
Wissen im Gedächtnis, Prozesse des Abrufs von Wissen, Anwendung
des Wissens beim Denken und Handeln.
451 A–E

Stichwortverzeichnis

Bezugsnormorientierung  410 Disparitäten  233


A Bezugsrahmenmodell  184
Big-Fish-Little-Pond-Effekt  188
–– soziale  233
Disziplin  108
ACT*-Theorie  34 Big-Five  185 Disziplinierungsmaßnahme  110
Adoleszenz  186 Bild  126 –– Festigkeit  110
Aggression  116, 145 Bildungsmonitoring  347 –– Härte  110
aktive Lernzeit  109 Bildungspanel  365 –– Klarheit  110
Alleinerziehende  232, 244, 249 Bildungsstandard ((f ))  351
Amotivation  116 Bildungssystem  345
Analphabeten  125
–– funktionaler  125
Bildungsungleichheit  231
Blended Learning  138
E
Analphabetismus  125 Blended-Learning-Szenarium  140 Effektivität  330
Angebot-Nutzen-Modell  345 Buchstaben-Laut-Zuordnung  386 –– Akzeptanz  330
Angebots-Nutzungs-Modell  75 –– Förderung  386 –– Durchführbarkeit  330
Ängste  427 Burnout  274 –– Evaluation  330
Animation  128 –– Fernziel  330
Anlage-Umwelt-Debatte  28 –– Nahziel  330
Anregungsgehalt  230
–– häuslicher  230
C –– theoretische Fundierung  330
Ein-Elternteil-Familie  242
Anspruchsniveau  196 Capability Approach  250 Einschulung  309
Anspruchsniveausetzung  409 chronische Erkrankung von Kindern  246, Einzelfallanalyse  307
Anstrengung  187 247 Elaboration  9
Anti-Aggressionstrainings  424 –– Entwicklungsverzögerung  247 E-Learning  42
Appraisal  212 –– juvenile Diabetes  247 Eltern-Kind-Interaktionen  233
Arbeitsgedächtnis  8, 130, 133 –– Krankheitsmanagement  247 –– lernbezogene  233
Arbeitsgedächtniss  123, 129 –– Zuckerkrankheit  247 Elterntrainings  431
Armut  232, 250 chunking  34 Emotion  202
Armut - Arbeitslosigkeit  248 classroom management  434 Emotionsregulation  204, 433
Attribution  210 Cognitive Load Theory  133 Emotionsregulationsstrategie  221
Attributionsmuster  192, 424 Computerspiel  146 Enthusiasmus  273
Aufgabenorientierung  161 Concept Map  40 Entscheidung  154, 270, 306, 308, 310, 316,
Aufmerksamkeitsdefizitsstörung  406 conceptual change  166, 272 318
Aufmerksamkeitstraining  402 Coping  205 –– bildungsbezogene  154
Autonomieerleben  79 –– emotionsorientiertes  205 Entwicklungsverlauf  210
Autonomiegewährung  216 –– meidensorientiertes  205 epistemologische Überzeugung  5
Autonomieunterstützung  235 –– problemorientiertes  205 Epistemologische Überzeugung  26
Coping-Strategie  221 –– Entwicklungsphase  28
–– relativer Wissensbegriff  28
B D
–– Verantwortungsübernahme  28
Erkrankung der Eltern  247, 248
Basisdimensionen guten Unterrichts  96 –– Erblichkeit von Psychosen  248
Basisemotion  203 Daten  321 –– Erziehungskompetenz psychisch gestör-
Basiskompetenzen  376, 388 –– biografische  321 ter  248
–– mathematische  376, 388 Denktraining  402 –– körperliche  247
basking-in-reflected-glory  189 Depressionen  427 –– Pflege  247
Begabung  37 Diagnostik  306, 308 –– psychisch gestört  248
Begleitung von Lernprozessen  114 –– kriteriumsorientierte  308 Erlebensqualität  154
behavioristisch orientiertes Instructional- –– normorientierte  308 Erwartungseffekt  267, 269
Design-Modell  72 –– pädagogisch-psychologische  306 Erwartungs-Wert-Modell  167, 194, 272
–– Lernzeit  72 –– psychologische  306 Erwartungs-Wert-Modell der Leistung  234
Belastung  264, 274 diagnostisches Verfahren  311 Erwerbstätigkeit und Familie  231
Berufsberatung  311 Didaktische Theorie  70 Erziehung  237, 249
Berufswahl  272 –– Berliner Didaktik  70 –– Armut  249
Bewältigungsziel  162 dimensionaler Vergleich  187 –– Autorität  237
Bezugsgruppe  211 direkte Förderung  233 –– Baumrind  237
Bezugsgruppeneffekt  188 –– Hausaufgabe  233 –– Eltern-Kind-Beziehung  237
Bezugsnorm  156, 167, 192, 308 –– Leistungsproblem  233 –– freier Wille  237
–– individuelle  156, 167, 192 –– Lernprobleme  233 –– Gehorsam  237
–– sachliche  156 direkte Instruktion  74 Erziehungsberatung  310
–– soziale  156, 192 Erziehungspartnerschaften  236
452 Stichwortverzeichnis

Erziehungsstil  109, 238, 239 Frühförderung  392 –– BIS  40


–– Autonomiegewährung  239 –– mathematische  392 –– emotionale  31, 205
–– autoritär  238 –– faktorenanalytische  29
–– autoritativ  238 –– fluide  31, 324
–– autoritatives Erziehungsverhalten  109
–– Involvement  238
G –– Gardner  32
–– g-Faktor  30
–– Kindesmisshandlung  238 Gedächtnis  8 –– HAWIE  31, 40
–– permissiv  238 Gedächtnisleistung  218 –– HAWIK  31, 40
–– Verhaltenskontrolle  238 Geschlecht  191 –– HAWIVA  40
–– vernachlässigend  238 Geschlechterstereotyp  187, 191 –– Induktion  30
Evaluation  330, 331, 332, 333, 334, 339 Geschlechtsunterschied  133 –– Intelligenzforschung  29
–– analytische  331 gesundheitsfördernden Schule  435 –– IST-70  40
–– externe  332 Grundbedürfniss  157 –– KFT  40
–– Feedback  330 guter Unterricht  96 –– kognitive Phase  37
–– formative  332 –– kreative  38
–– Forschung  331 –– kristalline  31, 37, 324
–– globale  331 H –– LPS  40
–– hierarchische Daten  339 –– mechanisches Gedächtnis  30
–– Implementationsphase  333 Handlungsplanung  48, 62 –– Messung  39
–– Input  330 Hausaufgabe  241 –– multiple  32
–– interne  332 Helicopter Parenting  240 –– praktische  31, 38
–– isolierte  331 Herausforderung  116 –– Primärfaktorenmodell  30
–– Klumpenstichprobe  339 Hochbegabung  310 –– Raumvorstellung  30
–– kombinierte  331 Hochschulzulassung  310 –– Rechenfertigkeit  30
–– Kontrollgruppe  331 Hyperaktivität  309 –– Schlussfolgern  30
–– Konzeptualisierungsphase  333 Hyperaktivitätsstörung  406 –– s-Faktor  30
–– Mehrebenenanalyse  339 Hyperkinetische Störungen  425 –– SPM  40
–– Output  330 Hypertext  124 –– Sprachverständnis  30
–– Standard  339 –– Struktur  29
–– summative  332
–– Transformation  330 I –– Strukturmodell  30
–– verbale  31
–– Umwelt  330 –– Wahrnehmungsgeschwindigkeit  30
Ich-Orientierung  161
–– vergleichende  331 –– Wortflüssigkeit  30
Ideal-Selbst  181
–– Vortest-Nachtest-Follow-up-Plan  334 –– Zwei-Faktoren-Modell  30
–– working self  181
–– Wirkungsforschungsphase  333 Intelligenzmodell  323
I/E-Modell  188
Expertise  264, 317 Intelligenztest  39
Implementation  413, 415
Expertiseforschung  28 Interesse  162, 166
indirekte Instruktion  75
–– individuelles  162
Individualdiagnostik  357
–– situationales  162
F induktives Denken  380, 381, 403, 407
–– Aufgabenklassen  381
Internal/External-Frame-of-Reference-Modell
(I/E-Modell)  184
Fähigkeitskonzept  167 –– Förderung  380
Intervention  57, 58, 169, 217
Fähigkeitsselbstkonzept  195, 209 Informationsverarbeitung  26
Interview  40, 110
Familie  228 Informationsverarbeitungskapazität  130
Item-Response-Theorie  357
Familiengründung  229 informatives Bild  127
Feedback  82 inhaltliche Klarheit und Kohärenz des Unter-
–– Ebenen der Rückmeldung  84
–– einfache Rückmeldung  83
richts
–– Lernen mit Lösungsbeispielen  81 J
–– elaboriertere Rückmeldeform  83 –– Verstehenselemente  81 James  179
–– Zeitpunkt der Rückmeldung  83 Innere Differenzierung  93 –– I  179
Fernsehkonsum  143, 145 Innere Differenzierung, Individualisierung –– Me  179
Flow  158, 204, 218 und Scaffolding
Förderkonzepte –– gestufte Lernhilfen  93
–– primärpräventive  422
–– universelle  422
Instructional Design  124
Instructional-Design-Modell  71
K
Fördermaßnahmen  374 Instruktion  215 Kausalattribution  212, 214
–– vorschulische  374 Instruktionsdesign  140 Klassenarbeit  187
Förderprogrammen, problemübergreifen- Intelligenz  29, 30, 32, 38, 39, 165, 205, 310, Klassenführung  108, 109
de  429 323, 324, 407 –– Adaptivität  115
Fortbildung  141, 272 –– analytische  38 –– classroom management  114
–– berufliche  141 –– APM  40 –– Flexibilität  115
Fragebogen  110 –– autonome Phase  38 –– Regelsystem  114
Fremdwahrnehmung  180 –– Begabungsforschung  28 –– souveränen  115
–– Berliner Intelligenzstrukturmodell  31 –– Welleneffekt  109
453 E–M
Stichwortverzeichnis

Klassenklima  116 –– Herausforderung  110 Lernmedien  123, 129


Klassenspiegel  186 –– Reibungslosigkeit  110 –– computergestützte  129
Klassenzusammensetzung  77 –– Schwung  110 Lernmotivation  109, 154, 155, 195
Kognition  209 –– Sprunghaftigkeit  112 –– extrinsische  155
kognitionspsychologischen Didaktik  71 –– Überlappung  110 –– intrinsische  155
–– Aebli  71 Krankheit  245, 246 Lernstrategie  5, 11, 54, 218
–– Anwenden  71 –– Adaptationsphase  246 –– kognitive  47, 54
–– Durcharbeiten  71 –– Anpassungphase  246 –– metakognitive  47, 54
–– problemlösendes Aufbauen  71 –– chronische Erkrankung eines Kindes  246 –– ressourcenbezogene  54
–– Üben  71 –– chronische Erkrankungen eines Eltern- –– ressourcenorientierte  47
kognitionspsychologisch fundiertes Instruc- teils  246 Lerntagebuch  52
tional-Design-Modell  72 –– Eltern  246 Lerntagebücher  54
–– Advance  72 –– familienstresstheoretischer Ansatz  246 Lernumgebung  11, 124
–– darbietendes Verfahren  72 –– Kinder  246 –– computerbasierte  11
–– deduktives Vorgehen  72 kriterialer Vergleich  187 –– computergestützte  124
–– Entdecken  73 kriteriales Bezugssystem  186 Lernzeit  154
–– integrative Aussöhnung  72 kritisches Lebensereignis  241 Lernziel  161
–– Organizer  72 Kurswahl  195 Leseförderung  412
–– sequenzielle Organsation  72 Lesekompetenz  124, 350
–– Verfestigung  72 Lesen  377
kognitive Aktivierung  8, 89
kognitive Psychologie  29
L –– dialogisches  377
Lesestrategie  402
kognitive Überlastung  132 Langeweile  208 logisches Bild  126, 129
kognitive Wende  181 Langzeitgedächtnis  9 Lymphsinus.  Siehe Initialer Lymphsinus
Kommunikationstechnologie  365 Langzeitspeicher  9
Kompetenz  6, 265, 322, 344, 412 lautes Denken  41
–– diagnostische  265, 322
–– metakognitive  412
Lebensereignisse
–– kritische  430
M
–– pädagogische  322 Lehramtstudierende  108 Makroproposition  13
Kompetenzerleben  79 Lehrer  76, 108 Management von Lernzeit  114
Kompetenz, soziale  423 –– kompetenz  76 Marburger Rechtschreibtraining  413
Kompetenzstufe ((f ))  358 –– merkmal  76 Matthäus-Effekt  405
komplexe Simulation  41 Lehrerbildung  276 Mediationsdefizit  57
Konstrukt  312 Lehrerfragen  80, 86, 87 Mediator  195
Konstruktivismus  7 –– High-Level-Fragen  80 Medien  122, 129
Konstruktivistischer Ansatz  73 –– Low-Level-Fragen  80 –– digitale  129
–– anchored instruction  74 Lehrerrolle  271 –– primäre  122
–– cognitive apprenticechip  74 Lehrerurteil  322 –– quartäre  122
–– problemorientiertes Lernen  73 Leistungsbeurteilung  269 –– sekundäre  122
–– situiertes Lernen  73 Leistungsemotion  206 Medienkompetenz  138, 139, 147
Kontrasteffekt  189 Leistungsmotiv  160, 164, 409 Mehrebenenanalyse  78
Kontrollüberzeugung  220 –– explizites  164 mentales Modell  125, 127, 131
Kontrollwahrnehmung  212 –– implizites  164 Merkmal  96
Konzentration  116 Leistungsmotivationsforschung  163 Merkmale der Schule  77
Konzentrations- und Selbstinstruktionstrai- Leistungsrückmeldung  188 Metaanalyse  82, 190
nings  426 Leistungsziel  161 Metakognition  11
kooperatives Lernen  85 Leistungszielorientierung  164 metakognitive Förderung  91
–– gegenseitige Unterstützung  85 Lernbegleitung  117 Methode des lauten Denkens  315
–– Gruppenzusammensetzung  86 Lernbehinderung  309 methodische Probleme bei Evaluatio-
–– individuelle Verantwortung  85 lernen  33, 36 nen  337
–– Jigsaw  85 Lernen  11, 15, 19, 20, 142, 166, 170, 411 –– nichtäquivalenz von Vergleichsgrup-
–– metakognitive Tätigkeit  85 –– aus Lösungsbeispielen  15 pen  337
–– peer-assisted learning  85 –– beispielbasierte  15 –– Reifungseffekte  337
–– positive Interdependenz  85 –– entdeckendes  11, 19 –– Stichprobenmortalität  337
–– reflexive Tätigkeit  85 –– informelles  142 Microteaching  277
–– soziale Fähigkeit  85 –– kooperatives  20, 170 Migration ((ff )  360
–– STAD-Konzept  85 –– mit Text  166 Minderheit  270
–– Strukturierungsmaßnahme  86 –– rezeptiv  19 Modalitätseffekt  133
Kounin  109 –– selbstreguliertes  46, 411 Modell  47
–– Abwechslung  110 Lernen aus Texten  13 –– kybernetisches  47
–– Allgegenwärtigkeit  110 Lernende  76 Modelllernen  277
–– Disziplinierung  110 Lernmanagement-System  138 Modifikationsdiagnostik  307
–– Gruppenmobilisierung  110
454 Stichwortverzeichnis

Motiv  160
–– Annäherung  160
Q –– Kompetenzerleben  235
–– soziale Eingebundenheit  235
–– explizites  160 Qualitätssicherung  351 Selbstbewertung  182, 209
–– implizites  160 Selbstbewertungsmodell  409

R
–– Vermeidung  160 Selbstbild  178
Motivation  154, 218, 219, 220, 272 Selbsterklärung  16
Motivationstraining  402 Selbstkonzept  166, 178, 179, 181, 182, 183,
Ranking  332
Motive  409 184, 185
Reattribuierungstraining  410
Motivierung  408 –– affektives  186
Regel  115
Multikodalität  130 –– bereichsspezifisches  178
Rekodierung  385
Multi-Matrix-Design  356 –– der Begabung  179
–– phonologische  385
Multimedia  129 –– entwicklungspsychologische Arbeit  182
Reliabilität  314
Multimodalität  130 –– Erfassung  183
Repräsentation  131
Multiple-Choice-Frage  40 –– Fähigkeitsselbstkonzept  179
–– mentale  131
–– Gedächtnis-Struktur  181
–– situationale  14
–– Genese  182
N Ressource  218, 275
–– kognitive  218
–– implizites  187
–– Informationsverarbeitung  181
Nachhaltigkeit  415 –– personale  275
–– intraindividuelle Stabilität  185
Netzwerkanalyse  41 –– soziale  275
–– kognitive Entwicklung  182
Neue Medien  137, 140 Rückmeldung  109, 181
–– kognitiv-evaluative Komponente  186
Neugier  157 –– direkte  181
–– Kompetenzüberzeugung  179
Nutzungsdefizit  57 –– indirekte  181
–– Konstruktstabilität  185
Ruhe  114
–– materielles  179
–– mathematisches  179, 184
O S –– Mittelwertsstabilität  185
–– multidimensionales  179
Objektivität  313 –– normatives  185
Ordnung  114 Scaffolding  94
–– schulisches  178
Scheidung  242, 243, 244, 245
–– selektive Wahrnehmung  181
–– allein erzogenes Kind  243

P –– Erziehungsverhalten  244
–– jugendliches Problemverhalten  243
–– situationale  181
–– soziales  179
–– spirituelles  179
Panelstudie  353 –– kindliches Wohlbefinden  243
–– Stabilität  183
parental involvement in schooling  233 –– Kontakthäufigkeit  244
–– Struktur  183
Persönlichkeit  322 –– Loyalitätskonflikt  244
–– strukturelle Stabilität  185
Phasen der Handlung  48 –– Ressource  244
–– training  196
–– aktionale  48 –– Scheidungsfamilie  242
–– überdauernde  181
–– postaktionale  48 –– sozioökonomischer Faktor  244
–– verbales  184
–– präaktionale  48 –– Stiefeltern  245
–– Wissensstruktur  181
phonologische Bewusstheit  383, 386 –– Stieffamilie  245
–– zunehmende Differenzierung  183
–– Förderung  386 –– Stiefkind  243
Selbstkonzept als Einstellung  183
Piktogramm  129 –– Stressor  244
Selbstkonzeptforschung  182
Präsenzlehre  138 –– Stressoren  242
–– sozialpsychologische  182
–– digitalisierte  138 –– Trennung  242
Selbstregulation  219, 221, 263, 411
Prävention  375 –– Vereinbarkeit von Familie und Beruf  244
Selbstregulationskompetenz  414
–– indizierte  422 Schemata  5
Selbstverbesserung  183
–– primäre  375 Schereneffekt  94
Selbstvertrauen  178
–– selektive  422 Schreiben von Texten  414
Selbstwertgefühl  178, 179
Praxisschock  268 Schreibtraining  402
–– globales Selbstkonzept  179
Primärstrategie  50 Schuleffektivitätsforschung  77
Selbstwertschutz  183
Problemlösen  6 Schulentwicklungsprogramme  436
Selbstwertsteigerung  183
Produktionsdefizit  57 Schulleistung  165
Selbstwirksamkeit  48, 166, 167, 268
Professionalität  267 Schulleistungstest  324
Selbstwirksamkeitsüberzeugung  179, 268
Prognose  313 Schulnote  322
Self-Enhancement-Ansatz  193
Prokrastination  210 Schulpädagogik  70
Self-Handicapping  210
Proposition  13 Schulpsychologie  435
Self-Monitoring  49
propositionales Modell  124 Schulqualität  345
Sexualität  428
Prozessdiagnostik  307 Schulstruktur  363
Shavelson  183
Prüfungsangst  203, 208, 217, 219 Selbstbestätigung  183
Sinneskanal  131
psychometrische Forschung  29 Selbstbestimmung  169
Skill-Development-Ansatz  193
Pubertät  185 Selbstbestimmungstheorie  79, 157, 234,
sozaler Gruppenprozess  108
Pygmalioneffekt  270 235
–– sozialer  108
–– Autonomieerleben  235
455 M–Z
Stichwortverzeichnis

soziale Herkunft  360 Übergangsempfehlung  271 –– curriculares  265


soziale Interaktion  114 Überlernen  18 –– deklaratives  4, 34, 264, 402
sozialer Vergleich  187 Überzeugung  267 –– Experten  35
soziale Vergleichsinformation  182 Umgang mit Störungen  114 –– Fach  265
sozioökonomischer Index  360 Unterhaltungsmedien  142 –– fachdidaktisches  265
Split-Attention-Effekt  133 Unterminierungseffekt  157 –– Fakten  34
Sprachkompetenz  376 Unterricht  70, 78, 81, 108 –– Informationsverarbeitungstheorie  33
–– Ebenen  376 –– inhaltliche Klarheit  81 –– Kompilation  34
Stabilität des Selbstkonzepts  185 –– Kohärenz  81 –– konditionales  56
Stage-Environment-Fit-Theorie  168 –– Strukturierheit  78 –– konzeptuelles  34
Standard  339 Unterrichtqualität  108 –– Messung  40
–– ethisches Vorgehen  339 Unterrichtsforschung  70 –– metakognitives  5
–– Genauigkeit  339 Unterrichtsklima  92 –– Nutzung  34
–– Machbarkeit  339 –– indirekter Effekt  92 –– pädagogisches  265
Statistik  336 –– individuelles  92 –– Problemlösen  35
–– Alternativhypothese  336 –– kollektives  92 –– Problemlösestrategie  33
–– Effektstärken  336 –– Lehrer-Schüler-Beziehung  92 –– prozedurales  4, 34, 264, 402
–– Nullhypothese  336 Unterrichtsqualität  345 –– Schachspielen  33
–– Varianzanalyse  336 Ursachenzuschreibung  187, 214, 409 –– situationales  34
Statusdiagnostik  307 –– Speicherung  34
Stereotype Threat  191, 192 –– strategisches  34
Sternberg  38
Stichprobenziehung  353
V –– träges  7
–– Tuning  34
Stimmung  204 Valenzüberzeugung  163 Wissensarten  4
Stimmungsforschung  217 –– gefühlsbezogene  163 Wissenserwerb  4
Störung  108 –– wertbezogene  163 Wissenspsychologie  29
Stress  204, 264 Validität  314, 316 Wohlbefinden  204
Stressbewältigungs  275 Veränderungsmessung  307
Stresspräventionsprogramme für Kinder und Vergleich  167
Jugendliche  429
subjektive Theorie  267
–– sozialer  167
Vergleichsperspektive  347, 351
Z
Suchtmittelkonsum Vergleichsstudie  345 Zahlensinn  389
–– Phasen  428 Vergleich von Merkmalen  381 Zahl-Größen-Kompetenzen  388, 391
symbolischer Interaktionismus  180 Vergleich von Relationen  381 –– Förderung  391
Verhalten  309 Zahl-Größen-Verknüpfung  389
–– aggressives  309 Zahlverständnis  374, 390, 391
T –– dissoziales  309
Verhaltensauffälligkeit  309
Zeitreihenanalyse  56, 57
Zensur  322
Teilleistungsstörung  309 Verhaltensregulation  159 Zielorientierung  160, 164, 274
Teleteaching  140 –– externale  159
temporaler Vergleich  187 –– identifizierte  159
Test  344 –– integrierte  159
Testtheorie  317 –– introjizierte  159
–– klassische  317 verteilte Übung  19
Textkohärenz  125 Videoanalyse  111, 114
–– globale  125 Videoaufzeichnung  110
–– lokale  125 virtuelle Hochschule  139
Textverständlichkeit  126 Vorläuferfertigkeiten  375, 383, 388, 395
Training  168, 402 Vorwissen  9, 15, 33, 125, 129, 132
Trainingsstudie  405
Trainingsverfahren  406
–– kuratives  406
Transfer  7, 405
W
Trendanalyse  363 Wahrnehmungsebene  131
Triple-P-Programm  432 Wahrnehmungsgesetz  127
Weiterbildung  141, 311
–– berufliche  311
U –– betriebliche  141
Wert  213
Üben  88 Wertinduktion  216
–– Overlearning  89 Wertschätzung  116
–– vermischtes/verschachteltes Üben  88 Wissen  26, 29, 32, 40, 56, 264, 265, 402
–– verteiltes  88 –– Abruf  34
–– wünschenswerte Erschwernisse  88 –– Aufnahme  34

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