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Freie und
Hansestadt Hamburg
Behörde für Schule und Berufsbildung
2 60 Jahre Grundgesetz
Programm(heft)
Vor sechzig Jahren, am 18. Mai 1949, stimmten die Abgeordneten der Hamburgi
schen Bürgerschaft über das Grundgesetz ab. Von den bei der Abstimmung anwesen
den hundert Abgeordneten stimmten 97 Abgeordnete mit „ja“, drei Abgeordnete mit
„nein“. Die Nein-Stimmen kamen von den KPD-Abgeordneten.
Zuvor hatten die Abgeordneten eine lebhafte Debatte geführt, die nun in Ausschnit
ten im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft von Schauspielern nachgespielt
wird. Dazu laden ein: die Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, die Bun
deszentrale für politische Bildung und die Hamburgische Bürgerschaft.
Es treten auf:
Friedrich Dettmann (KPD), Eduard Wilkening (FDP), Dr. Walther Fischer (CDU),
Heftig wurde über das Thema Wiedervereinigung gestritten und zu einem kleinen
Tumult kam es, als es um die Farbenbezeichnungen der Bundesflagge ging
(siehe dazu S. 6–7).
Thomas Karallus
spielt den Ersten
Bürgermeister
Max Brauer.
Moderation
und szenische
Realisierung
Dr. Rita Bake,
Landeszentrale
für politische
Bildung Hamburg.
4 60 Jahre Grundgesetz
Fritz Becker (CDU, Deutsche der HH CDU. 1932/33 und von 1946–1949 Vizepräsident der HH Bürger
Partei) 20.12.1910 Thale– schaft.
22.6.1983 Lüneburg
Bankangestellter. 1946–1953 Mit Max Brauer (SPD) 3.9.1887 Altona–2.2.1973 Hamburg
glied der Hamburgischen Bürger
schaft. 1946–Mai 1949 in der CDU- Sohn eines Glasbläsers, Angestellter der Konsum
Fraktion, trat dann genossenschaft Produktion. 1919 Stadtkämmerer
in die Deutsche und Zweiter Bürgermeister der Stadt Altona. 1924–
Partei ein. Die DP 1933 Oberbürgermeister von Altona. Mitglied des
hatte in der 1. Preußischen Staatsrats, jüngstes Präsidialmitglied
Wahlperiode (30.10. des Deutschen Städtetages. 1933 Flucht aus
1946–9.11.1949) Deutschland in die Schweiz, von dort ins Exil nach
keine Sitze in der Paris. 1936–1946 in den USA, lebte in New York,
Bürgerschaft, des dort wirtschafts- und sozialpolitische Lehrtätig
halb trat Fritz Be keit. 1946 Rückkehr nach Deutschland. 15.11.1946–
cker ab Mai 1949 19.11.1946 Senator in Hamburg; Erster nach der
als „fraktionslos“ Befreiung vom NS-Regime gewählter Bürgermeister
in der Bürgerschaft von Hamburg. 19.11.1946–2.2.1953 und 4.12.1957–
auf. 1953–1957 31.12.1960 Erster Bürgermeister von Hamburg.
Mitglied des Deut 1949–1961 Mitglied der Hamburgischen Bürger
schen Bundestages schaft. 1961–1965 Mitglied des Deutschen Bundestages.
für die DP. 1953–September 1955
stellvertretender Vorsitzender des
Dr. Paul de Chapeaurouge (CDU) 11.12.1876 Hamburg–3.10.1952
Bundestagsausschusses für Fragen
Hamburg
der öffentlichen Fürsorge.
Sohn eines Obergerichtsrats, aufgewachsen in einer
politisch und gesellschaftlich einflussreichen han
Franz Beyrich (CDU) seatischen Bürgerfamilie. Studium der Rechts- und
10.2.1887–1961 Staatswissenschaften, Rechtsanwalt und Notar, An
Vor 1933 Verwaltungsangestellter hänger der Nationalliberalen Partei, die sich 1918
in der Hamburger Sozialbehörde. in die Deutsche Volkspartei umgründete. 1917–1933
Vor 1933 Vorsitzender des Ham Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. 1918
burger Landesverbandes des ZEN Gründungsmitglied des Hamburger Landesverban
TRUMS. Für die ZENTRUMS Partei des der Deutschen Volkspartei (DVP). 1920–1924
von 1929–1933 Mitglied der HH Landesvorsitzender, 1923–1925 Vorsitzender der
Bürgerschaft. Mit der Machtüber DVP-Bürgerschaftsfraktion. 1925–1933 Mitglied
nahme der Nationalsozialisten des Hamburger Senates (zuständig für Hochschule
entlassen, dann in der Privatwirt und Wissenschaft und für wenige Tage Polizeisena
schaft tätig. Nach Attentat auf tor). Kurz nach den Reichstagswahlen Anfang März
Hitler am 20.7.1944 verhaftet und 1933 Rücktritt von seinen öffentlichen Ämtern, Er
im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. mittlungs- und Strafverfahren gegen ihn, 1936 Rehabilitierung und
Wiederzulassung als Notar. 1945 Gründungsmitglied des Vaterstädtischen
Oktober 1945 zum vorläufigen Lan
Bundes Hamburg (VBH), 1946 Eintritt in die CDU. Herbst 1946–1952
desvorsitzenden
Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, zeitweise CDU-Fraktionsvor
der Christlich-De
sitzender. Im Sommer 1948 von der Bürgerschaft in den Parlamentari
mokratischen Par
schen Rat gewählt, dort Mitglied des Ausschusses für Organisation des
tei (des späteren
Bundes sowie Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege.
Hamburger CDU-
Landesverbandes) Arbeitete maßgeblich im Verfassungsausschuss der Bürgerschaft an der
gewählt. 1946–1949 neuen Hamburger Verfassung mit, die 1952 in Kraft trat.
stellvertretender
Landesvorsitzender
der CDU. 1946 in
Friedrich Dettmann (KPD) 15.7.1897 Hamburg–7.5.1970 Stralsund
die erste Nach Bauschlosser. Seit 1911 in der Arbeiterjugend. 1919 Eintritt in die USPD,
kriegsbürgerschaft 1920 Eintritt in die KPD. Seit 1923 hauptamtlicher Funktionär der KPD
gewählt. 1959 Er und beteiligt am Hamburger Aufstand. 1924 Redakteur der kommunisti
nennung zum schen Hamburger „Volkszeitung“. 1925–1930 angestellt bei der Wohl
Ehrenvorsitzenden fahrtsbehörde in Hamburg, anschließend bis 1933 als Abteilungsleiter bei
60 Jahre Grundgesetz 5
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden alle aus der Zeit des
Nationalsozialismus stammenden deutschen Hoheitssymbole durch
das erste Kontrollratsgesetz vom 20. November 1945 offiziell aufge
hoben.
Texte aus: Meyers Lexikon und Dr. Erordo Cristoforo Rautenberg, General
staatsanwalt des Landes Brandenburg: Schwarz-Rot-Gold: Das Symbol für
die nationale Identität der Deutschen. Hrsg. vom Aktionsbündnis gegen
Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, 2007.
8 60 Jahre Grundgesetz
Zwar wurde das Grundgesetz nach dem Ende von Nationalsozialismus und Zweitem
Weltkrieg gegeben. Auch hatte es wie andere Verfassungen eine konstituierende Be
deutung für den neuen Staat, denn die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai
1949 ist zugleich die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Dennoch fehl
ten ihm entscheidende Attribute:
Das Grundgesetz war eben keine Verfassung.
Und es wurde auch nicht vom Volk in einem Referendum ratifiziert.
Zudem sollte es nicht einen neuen deutschen Nationalstaat begründen, sondern
zunächst nur aus den drei westlichen Besatzungszonen ein einheitliches
Staatsgebiet machen, also nur einen westdeutschen Staat begründen.
Paul Bebert (SPD) Fritz Becker (CDU, DP) Franz Beyrich (CDU) Erik Blumenfeld (CDU)
Am 1. Juli 1948 teilten die West-Alliierten den Konzept überzeugt. Washington und London
obersten Repräsentanten der westdeutschen ging es darum, die drei Westzonen in ein
Politik ihre Pläne für einen Weststaat mit. Die europäisch-atlantisches Staatensystem einzu
Vorbehalte der Deutschen waren groß, beson binden. In Paris bestanden dagegen aber er
ders die Angst vor einer endgültigen Teilung hebliche Bedenken.
Deutschlands. Aber die Weichen waren gestellt.
Um den französischen Sicherheitsinteressen
Im Dezember 1947, als die fünfte Außenminis zu genügen, mussten daher Zugeständnisse,
terkonferenz der vier Siegermächte des Zwei etwa in der Frage der internationalen Kon
ten Weltkriegs abgebrochen wurde, war trolle des Ruhrgebiets, gemacht werden. Da
offenbar, dass die Großmächte sich über die für nahm Paris Abstriche an seinen extre
deutsche Frage nicht einigen konnten. Als men Föderalisierungskonzepten hin.
Ersatz für die große Lösung eines aus den vier
Besatzungszonen bestehenden deutschen Die Franzosen hätten einen möglichst locke
Nachkriegsstaats, wie er seit der Potsdamer ren Bund deutscher Kleinstaaten lieber gese
Konferenz vom Sommer 1945 erstrebt und hen als eine mit hinlänglicher Zentralgewalt
verheißen war, forcierten seit Frühjahr 1948 ausgestattete Bundesrepublik. Das lag jedoch
Gerhard Brandes (SPD) Olga Brand-Knack (SPD) Rudolf Büch (SDP) Martha Damkowski (SPD)
Amerikaner und Briten die Errichtung eines nicht im Interesse von London und Washing-
Staats auf dem Gebiet der drei westlichen ton, die an der ökonomischen Leistungsfähig-
Besatzungszonen. keit des neuen Staats interessiert waren.
Heinrich Davidsen (SPD) Friedrich Dettmann, KPD Edgar Engelhard (FDP) Max Finck (SPD)
Während der amerikanische und der briti Deutschlands mittels einer föderativen Regie
sche Militärgouverneur auf die Zustimmung rungsform wieder aufgehoben werden könnte.
des französischen Parlaments zu den Lon
doner Empfehlungen warteten, versuchten Diese Verfassung war so zu gestalten, dass
sie, in ihren beiden Besatzungszonen auf sie mit den Erfordernissen der Besetzung und
die deutschen Politiker, die Ministerpräsiden der Kontrolle durch die (West-)Alliierten ver
ten und Parteiführer, einzuwirken und die einbart werden konnte.
Stimmung für die beabsichtigte Staatsgrün-
60 Jahre Grundgesetz 11
Carl Gehrmann (SPD) Hedwig Günther (SPD) Walter Heinze (SPD) Edmund Herbst (SPD)
neure wollten den Chefs der Länder in den reicht wurden, enthielten in Form des Grün
drei Westzonen dort offiziell mitteilen, was dungsauftrags für einen deutschen Nach
über die Gestalt künftiger deutscher Staat kriegsstaat die Chance der Selbstständigkeit
lichkeit beschlossen war. nach Jahren der Besatzungsherrschaft.
Von einer Konferenz zwischen alliierten und Auf französisches Betreiben geschah die offi
deutschen Vertretern kann man eigentlich zielle Übergabe der „Frankfurter Dokumente“,
nicht sprechen, denn wesentliche Elemente wie der Grundriss der westdeutschen Zukunft
einer Konferenz wie partnerschaftliche Dis seither heißt, in zeremonieller Form und fros
kussion, Austausch von Argumenten, Suche tiger Atmosphäre: Jeder der drei Militärgou
nach Kompromissen fehlten bei der Zusam verneure verlas in seiner Muttersprache (am
menkunft. Es handelte sich um die Entgegen Ende der Konferenz erhielten die Deutschen
nahme alliierter Vorstellungen, die den Cha Übersetzungen) eines der drei Dokumente,
rakter von Weisungen hatten, wenn man sich General Lucius D. Clay das erste, das die ver
nicht einfach verweigern wollte. fassungsrechtlichen Bestimmungen enthielt,
General Sir Brian Robertson das zweite über
12 60 Jahre Grundgesetz
die Länderneugliederung, und General Pierre für die Verfassung und für die künftige staat
Koenig trug in scharfem Ton das dritte Doku liche Existenz bemessen war. Die Militär
ment vor, in dem die Grundzüge eines Besat gouverneure stellten zwar die Gewährung
zungsstatuts fixiert waren. einiger Befugnisse der Gesetzgebung, Verwal
tung und der Rechtsprechung in Aussicht;
Das erste der Frankfurter Dokumente ermäch ausdrücklich ausgenommen blieben aber bei
tigte die Ministerpräsidenten, bis zum 1. Sep spielsweise die Außenbeziehungen des zu
tember 1948 eine Versammlung zur Ausar gründenden deutschen Weststaats und die
beitung einer demokratischen Verfassung Überwachung des deutschen Außenhandels.
einzuberufen, „die für die beteiligten Länder
eine Regierungsform des föderalistischen Die Besatzungsherrschaft würde also mit der
Typs schafft, die am besten geeignet ist, die Verabschiedung der Verfassung und der Staats
gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit gründung noch nicht enden, sondern lediglich
schließlich wiederherzustellen, und die Rech gelockert und juristisch neu definiert werden.
te der beteiligten Länder schützt, eine an Die Militärgouverneure würden, so hatten
gemessene Zentralinstanz schafft und die die deutschen Ministerpräsidenten in Frank
Garantien der individuellen Rechte und Frei furt vernommen, „die Ausübung ihrer vollen
heiten enthält“. Machtbefugnisse wieder aufnehmen“, und
zwar nicht nur bei drohendem Notstand für
Im zweiten Dokument war die Neugliederung die Sicherheit, sondern auch, „um nötigenfalls
der deutschen Länder empfohlen. Eine Terri die Beachtung der Verfassung und des Besat
torialreform innerhalb der westlichen Besat zungsstatuts zu sichern“.
Gustav Hermann (SPD) Henry Hildebrand (SPD) Magda Hoppstock-Huth Nikolaus Jürgensen (SPD)
(SPD)
zungszonen war angesichts der von den Alli Die Einstellung in den Westzonen zu den be
ierten geschaffenen Gebilde, vor allem im absichtigten Änderungen war, quer durch
nordwestdeutschen Raum, aber auch bei den die Parteien, eher positiv: Nach vier Jahren
drei südwestdeutschen Ländern (Württem Besatzungsherrschaft, in denen die vier Be
berg-Baden, Württemberg-Hohenzollern, Ba satzungszonen unter dem Regiment der Mili
den), erwägenswert, aber nicht dringend. tärgouverneure gefährlich weit auseinander
gedriftet waren, in denen die deutschen Poli
Im dritten Dokument waren die Grundzüge tiker hatten einsehen müssen, dass sich die
eines Besatzungsstatuts skizziert. Darin wur Dinge von allein kaum zum Besseren wandeln
de deutlich, wie eng der deutsche Spielraum würden, war die Neigung stark, wieder zu
60 Jahre Grundgesetz 13
einer staatlichen Existenz zu gelangen. Die CDU/CSU schlug vor, durch die Länder
Das Angebot einer parlamentarischen Vertre parlamente einen „Parlamentarischen Rat“ zu
tung und einer Exekutive wenigstens für wählen, der die „vorläufigen organisatori
die drei Westzonen war verlockend, aber die schen Grundlagen“ für den Zusammenschluss
Politiker scheuten das Odium einer feierli der drei Zonen schaffen und die „Interessen
chen Neugründung, die zu einem Staat unter der deutschen Bevölkerung gegenüber den Be
Ausschluss der sowjetischen Besatzungs satzungsmächten zur Geltung“ bringen sollte.
zone führen musste. Der Verlust der nationa Da, wie es schien, Verfassung und Besatzungs
len Einheit schien ein zu hoher Preis für statut eng miteinander verbunden waren,
den staatlichen Neubeginn. sollte auf jeden Fall verhindert werden, dass
Verfassung wie Besatzungsstatut durch Volks
entscheid anzunehmen waren.
Hellmut Kalbitzer (SPD) Carl Karpinski (SPD) Paula Karpinski (SPD) Else Kesting (CDU)
Rechnung aufgemacht Auch die SPD wollte auf die Ausarbeitung ei
ohne die deutschen ner Verfassung verzichten. An ihre Stelle sollte
ein „Verwaltungsstatut“, ein „Organisations
Ministerpräsidenten und statut“ oder ein „vorläufiges Grundgesetz“ tre
Teile der wiedererstan ten. Die SPD war ebenfalls gegen einen Volks
denen Parteien entscheid, dachte eher an einen Ausschuss der
von Hans Vorländer Länderparlamente, durch den die Verfassung
zu verabschieden gewesen wäre.
So sehr sich die Ministerpräsidenten durch
die Frankfurter Vorgänge zu einer eigenen
„Institution“ aufgewertet sahen und sich als
„Sprachrohr für die Deutschen“ verstehen
konnten, so sehr zögerten sie doch, dem zu bil
denden Weststaat all die Attribute zu verlei
hen, die aus ihm einen vollwertigen National
staat gemacht hätten. Die Spaltung Deutsch
lands war in ihren Augen nur eine vorüberge
hende und durfte nicht durch eine Verfassung
verfestigt werden.
Wegweiser auf dem Münsterplatz in Bonn,
23. Mai 1949
14 60 Jahre Grundgesetz
Im Februar 1949 war das Grundgesetz im raten und am 8. Mai – am vierten Jahrestag
wesentlichen fertig, aber einige Bestimmun der Kapitulation – vom Plenum verabschiedet.
gen – vor allem die Finanzverwaltung und Die Militärgouverneure genehmigten am
die Verteilung der Gesetzgebungskompeten 12. Mai das Verfassungswerk, das in den fol
zen zwischen Bund und Ländern – missfie genden Tagen den elf Landtagen zur Ratifi
len den Alliierten noch immer, von deren Ge zierung vorgelegt wurde. Mit der Ausnahme
nehmigung das Verfassungswerk letztlich Bayerns, dessen Parlamentarier sich nach
abhing. Weisungsgemäß pochten sie auf den 17-stündiger Debatte mit einer Mehrheit von
Wortlaut der Frankfurter Dokumente, dem der 101 zu 63 gegen das Grundgesetz ausspra
Grundgesetzentwurf nicht ganz entsprach. chen, wurde die Verfassung in allen Ländern
Die Länder sollten einflussreicher, die Zentral genehmigt. Das bayerische Nein hatte keine
gewalt etwas schwächer sein.
Vertretern der Militärregierungen und ande statuts die Alliierte Hohe Kommission treten,
ren Würdenträgern. die hoch über Bonn auf dem Petersberg re
sidierte und durch ihren Standort auch das
Machtgefälle zwischen den Hohen Kommis
saren und der Bundesregierung augenfällig
Die Bundesrepublik dokumentierte. Denn mit der Konstituierung
Deutschland entsteht der Bundesrepublik endete das Besatzungs
regime ja noch nicht; die Souveränitätsrechte
Das Grundgesetz trat am 24. Mai 1949 in wurden bis zum Mai 1955 noch auf dem Pe
Kraft – einen Tag nach seiner feierlichen Ver tersberg verwaltet. Es war freilich kein direk
kündigung. Mehr als die Verfassung exis tes Besatzungsregime mehr, sondern eine
tierte von der Bundesrepublik zu diesem Zeit zurückhaltend geübte Kontrolle, die sicher
punkt noch nicht. Vielerorts wurde jedoch stellen sollte, dass die Westdeutschen auf
angestrengt gearbeitet, um den vorerst nur dem von den Alliierten gewünschten Weg
als Idee existenten Staat auch mit Verfas blieben.
sungsorganen und allen nötigen Einrichtun
gen der Verwaltung auszustatten.
Annie Kienast (SPD) Erich Klabunde (SPD) Dr. Walter König (SPD) Berta Kröger (SPD)
146 Artikel umfasste das Grundgesetz von 1949 – ihnen vorangestellt wurde eine Prä
ambel. Besondere Bedeutung erhielten die Grundrechte sowie die föderale Struktur.
Zugleich wurde aber der provisorische Charakter des Grundgesetzes unterstrichen.
Das Grundgesetz ist in elf (später 14) Abschnitte unterteilt, die sich im Wesentlichen
in vier Bereiche zusammenfassen lassen, wobei die Präambel vorgeschaltet ist.
Präambel
Zu den zentralen Passagen des Grundgesetzes gehört die Präambel. Sie enthält unter
anderen vier herausragende Aussagen, die das Selbstverständnis der zu gründenden
jungen Bundesrepublik Deutschland charakterisieren sollten:
Erstens unterstrich die Präambel den Willen, „in einem vereinten Europa dem
Frieden der Welt zu dienen“.
Dr. Wilhelm Kröger (SPD) Magda Langhans (KPD) John Leyding (SPD) Gertrud Lockmann (SPD)
Zweitens sollte die geschaffene neue Ordnung staatliches Leben „für eine Über
gangszeit“ garantieren.
Drittens blieb das „gesamte deutsche Volk […] aufgefordert, in freier
Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“.
Viertens wurde in der Präambel die verbindliche Kraft mit der verfassunggeben
den Gewalt des deutschen Volkes legitimiert.
Gerade der letzte Punkt war bedeutsam: Weil die Verfassungsmütter und -väter eine
Annahme des Grundgesetzes durch ein Referendum ablehnten.
18 60 Jahre Grundgesetz
Art. 70–115).
Karl Meitmann (SPD) Friedrich Mellmann (SPD) Walter Mohr (SPD) Gerhard Neuenkirch (SPD)
Grundrechte (Freiheitsrechte)
Das Grundgesetz enthält ferner Staatszielbestimmungen und einen vor Verfassungs
aufhebung geschützten Kern (Art. 79, Abs. 3). Dieser umfasst:
die Grundrechte,
die freiheitlich-demokratische Grundordnung westlicher parlamentarischer
Tradition,
das bundesstaatliche Strukturprinzip (Föderalismus)
und den Grundsatz des Sozialstaats.
Ferner sieht das Grundgesetz keine plebiszitären Elemente vor, außer bei der geplan
ten Neugliederung des Bundesgebiets.
Dr. Paul Nevermann (SPD) Wilhelm Osterhold (SPD) Elise Ostermeier (SPD) Walter Pries (SPD)
Ebenfalls neu am Grundgesetz war die Sicherung des Verfassungsrechts durch die
Bindung des Gesetzgebers an vorstaatliche Grundrechte, eine umfassende Rechts
kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht, die Möglichkeit, durch einfaches Ge
setz Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Institutionen zu übertragen,
die Anerkennung der Parteien und deren Mitwirkung bei der politischen Willens
bildung sowie schließlich der Gleichberechtigungsartikel, infolge dessen sich die
rechtliche Stellung der Frau verbesserte.
20 60 Jahre Grundgesetz
DDR
von Wolfgang Benz
Georg Raloff (SPD) Johannes Richter (SPD) Wilhelm August Ropers Frieda Roß (SPD)
(SPD)
Die CDU-Vorsitzenden Jakob Kaiser und Ernst von der Londoner Außenministerkonferenz die
Lemmer betrachteten die Volkskongressbe- Vorbereitung eines Friedensvertrags und die
wegung als Propagandamanöver und weiger- Bildung einer gesamtdeutschen Regierung
ten sich, mit der Teilnahme an der Bewegung „aus Vertretern aller demokratischen Parteien“.
60 Jahre Grundgesetz 21
Emmy Schaumann (SPD) Friedrich Schmidtchen Louis Sellmer (SPD) Heinrich Steinfeld (SPD)
(SPD)
22 60 Jahre Grundgesetz
Verfassung?
Im Jahre 1990 hieß die Frage plötzlich nicht Dass die Auffassungen darüber so weit aus
mehr, ob es zu einer Wiedervereinigung einander gingen, hatte mit den ganz unter
Deutschlands kommt, sondern nur noch, schiedlichen Vorstellungen vom „besten Weg“
wann diese geschehen wird. Und: Sollte sich zu tun: Während das für die einen der einfa
das wiedervereinigte Deutschland eine neue che und vor allem risikoarme Weg war, konn
Verfassung geben oder sollte die DDR dem te für die anderen der beste Weg nur der sein,
Grundgesetz beitreten? der es erlaubte, die Ostdeutschen gleichbe
rechtigt einzubeziehen und sowohl den West
als auch den Ostdeutschen die Chance auf
Beitritt oder neue einen umfassenden, gemeinsamen Neubeginn
zu garantieren.
Verfassung?
Nach der auch mit Blick auf außenpolitische Die Befürworter einer Verfassungskontinuität
Konstellationen getroffenen Entscheidung für – das waren u. a. die Partner in der Bundes
eine schnellstmögliche Vereinigung drehte regierung sowie der „Allianz für Deutschland“
sich die Debatte um die Frage nach dem „bes – argumentierten sowohl inhaltlich als auch
ten“ Weg zur Einheit: Sollte dieser auf dem mit Blick auf die praktische Umsetzung: Zen
Weg eines Beitritts nach dem damaligen Art. trales Argument war der Verweis auf die Qua
23 GG erfolgen oder war die Vereinigung lität des Grundgesetzes. Dieses stellte nach
über den Prozess der gesamtdeutschen Ver ihrer Einschätzung das „Optimum des bisher
fassungsgebung nach Art. 146 GG anzustre in Deutschland und anderswo je Erreichten“
ben? Während der Weg des Art. 23 GG eine Bei dar. Während die Mitglieder des Parlamentari
behaltung bei gleichzeitiger Ausdehnung des schen Rates auf höchstem Niveau beraten hät
Grundgesetzes auf das Gebiet der bisherigen ten, sei zu befürchten, dass ein zweiter Anlauf
DDR vorsah, hätte das Grundgesetz beim Gang „matter ausfallen und manchen Freiheitswert
über Art. 146 GG seine Geltung verloren, wäre relativieren würde“. (Robert Leicht, DIE ZEIT)
also vollständig abgelöst worden.
Karl Strutz (SPD) Max Thoma (SPD) Ernst Weiß (SPD) Paula Westendorf (SPD)
24 60 Jahre Grundgesetz
Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiet der Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem
Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von
Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein- dem deutschen Volke in freier Entscheidung
Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, beschlossen worden ist.
Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern.
In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren
Beitritt in Kraft zu setzen.
Einschätzung der Bürgerbewegungen in der der deutschen Teilung meinte man auch ge
DDR eine neue deutsche Identitätsbildung vor genüber den Militärgouverneuren der West
aus – unter gesamtdeutschen Vorzeichen. mächte dafür eintreten zu müssen, den pro
visorischen Charakter des Grundgesetzes zu
Als wesentlicher Grund dafür, dass dann unterstreichen.
doch der Weg über Art. 23 und nicht über Art.
146 GG gewählt wurde, sind die Präferenzen Während der damalige Vorsitzende des Haupt
bei der Mehrheit der Bürger der DDR und ausschusses, Carlo Schmid (SPD), ausdrücklich
der Bundesrepublik zu nennen. Diese kamen erklärt hatte, dass man bewusst ein „Proviso
nicht nur in eindeutigen Meinungsumfragen rium“ schaffen wolle, steht inzwischen außer
zum Ausdruck, sondern vor allem auch im Frage, dass aus der Regelung für eine „Über
konkreten Verhalten der Menschen in der gangszeit … längst eine feste Ordnung gewor
DDR. Die Perspektive, dass immer mehr DDR- den“ ist (Ernst Benda, Bundesinnenminister
Bürger „mit den Füßen“ abstimmten, war von 1968 bis 1969 und Präsident des Bundes
angesichts der damit verbundenen negativen verfassungsgerichts von 1971 bis 1983). Das
wirtschaftlichen Konsequenzen für die DDR Grundgesetz hat sich bereits im Laufe der Ge
ein wirksameres Argument als verfassungs schichte der Bundesrepublik als Verfassung
theoretische Erwägungen. gefestigt. Durch den Beitritt der Deutschen
Demokratischen Republik zur Bundesrepublik
Vom Provisorium zur Deutschland wurde das Grundgesetz zur ge
samtdeutschen Verfassung. Dies drückt sich
festen Ordnung auch in der Änderung von Art. 146 GG aus.
Die Debatte um den sinnvollsten Weg zur Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, dass
Deutschen Einheit fand regelmäßig unter diese gesamtdeutsche Verfassung weiterhin
Bezug auf den Parlamentarischen Rat statt. die Bezeichnung „Grundgesetz“ trägt. Das
Auch dort hatten unterschiedliche Einschät Grundgesetz erfüllt nicht nur alle Funktionen
zungen bestanden, welcher Option man gege einer Verfassung, sondern wird auch den Le
benenfalls den Vorrang einräumen sollte. gitimitätsanforderungen an eine Verfassung
Nicht zuletzt ist die damalige Debatte auch gerecht. Die Beibehaltung der ursprünglichen
vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund zu Bezeichnung „Grundgesetz“ ist historisch be
sehen: Angesichts der damals noch bestehen dingt und lässt sich auch als Respekt vor der
den Hoffnung auf eine absehbare Beendigung Arbeit des Parlamentarischen Rates deuten.
26 60 Jahre Grundgesetz
Das Grundgesetz war ursprünglich als Pro und achtziger Jahren eine gewisse Beruhi
visorium geplant. Seit der Wiedervereinigung gung ein. Erst in der Zeit der deutschen und
gilt es als gesamtdeutsche Verfassung. In der etwa zeitgleichen europäischen Einigung
60 Jahren hat es 52 Verfassungsänderungen kam es erneut zu einer Intensivierung. Im
erlebt. Schnitt erging knapp ein Änderungsgesetz
pro Jahr.
zwischen Bund und Ländern (9 Änderungen). Die letzte große Verfassungsreform war die
Damit waren alle größeren Lücken geschlos Föderalismusreform 2006 (25 Neuerungen).
sen, welche der ursprünglich provisorische Deren Fortsetzung ist gegenwärtig geplant.
Charakter des Grundgesetzes gelassen hatte. Was hier detailliert aufgezählt wurde, be
Nunmehr verfügte die „alte“ Bundesrepublik wirkte nicht weniger als den Übergang von
über eine voll ausgebaute Verfassung. Deren der provisorischen Grundordnung des west
Umbau zur gesamtdeutschen Verfassung er deutschen Staats hin zur voll ausgebauten
folgte anlässlich der Vereinigung in zwei Verfassung Gesamtdeutschlands als Mitglied
Stufen (1990, 1994) mit insgesamt 19 Einzel staat eines sich einigenden Europas.
änderungen, welche zumeist inhaltlich wenig
Berührungspunkte mit der deutschen Eini
gung aufwiesen.
Feldkamp, Michael F.: Der Parlamentarische Rat Unser Angebot richtet sich an alle Hamburgerin
1948–1949. Die Entstehung des Grundgesetzes. nen und Hamburger. Die Informationen und
Göttingen 2008, S. 243 // S. 18 Unterschriftenblatt Veröffentlichungen können Sie während der Öff
Grolle, Inge/Bake, Rita: Ich habe Jonglieren mit nungszeiten des Informationsladens abholen.
drei Bällen geübt“: Frauen in der Hamburgischen Gegen eine Bereitstellungspauschale von 15 Euro
Bürgerschaft 1946 bis 1993. Hamburg 1995 // S. 9 pro Kalenderjahr erhalten Sie bis zu 6 Bücher
Hagemann, Karen/Kolossa, Jan: „Gleiche Rechte – Die Landeszentrale Hamburg arbeitet mit den
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