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Feuertaufe
Baptisms of fire
I've watched all your suffering
As the battles raged higher
And though they did hurt me so
bad
In the fear and alarm
You did not desert me
My brothers in arms...
Dire Straits
Die Alte Straße hatte sich seit der Zeit, als der
Hexer zum letzten Mal auf ihr gereist war,
etwas verändert. Aus dem einst ebenen, mit
flachen Basaltsteinen gepflasterten Weg, den
Elfen und Zwerge vor Jahrhunderten gebaut
hatten, war jetzt eine Ruine mit gähnenden
Löchern geworden. Stellenweise waren die
hineingeschlagenen Löcher so tief, dass sie an
kleine Steinbrüche erinnerten. Das
Marschtempo ließ nach, der Wagen der
Zwerge lavierte mit Mühe zwischen den
Gruben hindurch, blieb alle naselang stecken.
Zoltan Chivay wusste, warum die Straße
verfallen war. Nach dem letzten Krieg mit
Nilfgaard, erklärte er, war der Bedarf an
Baumaterial sprunghaft angestiegen. Da
erinnerten sich die Menschen an die Alte
Straße als eine ungenutzte Quelle von
behauenem Stein. Und da der vernachlässigte,
durchs Ödland von nirgendwo nach nirgendwo
führende Weg längst seine Bedeutung für den
Verkehr verloren hatte und kaum jemandem
nützte, wurde er ohne Maß und Erbarmen
ausgeschlachtet.
»Eure größeren Städte«, sagte der Zwerg
vorwurfsvoll, von gekrächzten Flüchen des
Papageien begleitet, »habt ihr samt und
sonders auf unseren Fundamenten und denen
der Elfen errichtet. Für kleinere Schlösschen
und Städtchen habt ihr selber die Fundamente
gelegt, aber darauf baut ihr immer noch mit
unseren Steinen. Dabei wiederholt ihr
unablässig, nur dank euch, den Menschen,
gebe es Fortschritt und Entwicklung.«
Geralt enthielt sich eines Kommentars.
»Aber ihr könnt nicht einmal mit Verstand
abreißen«, schimpfte Zoltan, während er
wieder einmal Anweisungen gab, ein Rad aus
einem Loch zu ziehen. »Warum reißt ihr die
Steine nicht nach und nach heraus, von den
Enden der Straße her? Ihr seid wie die Kinder!
Statt den Krapfen ordentlich aufzuessen, puhlt
ihr mit dem Finger die Marmelade aus der
Mitte und werft den Rest weg, weil er nicht
ganz so gut schmeckt.«
Geralt erklärte, an allem sei die politische
Geographie schuld. Das westliche Ende der
Alten Straße liege in Brugge, das östliche in
Temerien, die Mitte jedoch in Sodden, also
reiße jedes Königreich seinen Abschnitt nach
eigenem Ermessen ab. Zur Antwort
bezeichnete Zoltan obszön die Stelle, wo er
sich die Könige hinstecken würde, und tat
etlicher auserlesener Unanständigkeiten in
Bezug auf ihre Politik Erwähnung, indes
Feldmarschall Duda Anmerkungen zur
beruflichen Laufbahn ihrer Mütter beitrug.
Es wurde immer schlimmer. Zoltans Vergleich
vom Krapfen und der Marmelade traf immer
weniger zu - die Straße erinnerte eher an einen
Hefekuchen, aus dem alle Rosinen und
sonstigen Leckereien herausgepickt worden
waren. Es sah so aus, als nähere sich
unaufhaltsam der Moment, in dem der Wagen
auseinanderbrechen oder vollends und
unabänderlich feststecken würde. Es rettete sie
jedoch dasselbe, was die Straße zerstört hatte.
Sie trafen auf einen in südöstlicher Richtung
verlaufenden Weg, den die schweren Wagen
beim Abtransport der Steine ausgefahren
hatten. Zoltans Laune besserte sich, er meinte,
der Weg werde unweigerlich zu einem der
Forts an der Ina führen, dem Fluss, wo er
schon auf temerische Truppen zu stoßen
hoffte. Der Zwerg glaubte unbeirrbar, wie im
vorigen Krieg werde eben über die Ina hinweg,
aus Sodden, der machtvolle Gegenschlag der
nördlichen Reiche erfolgen, worauf sich die
kläglichen Reste des zerschmetterten
Nilfgaards über die Jaruga davonstehlen
würden.
Und tatsächlich brachte die Änderung der
Marschrichtung sie abermals dem Kriege
näher. Nachts erhellte plötzlich großer
Feuerschein den Himmel vor ihnen, tags aber
sahen sie Rauchsäulen, die sich im Süden und
Osten am Horizont erhoben. Da jedoch keine
Gewissheit bestand, wer da schlug und brannte
und wer geschlagen und gebrannt wurde,
rückten sie behutsam vor und schickten
Percival Schuttenbach auf weite
Erkundungsgänge voraus.
Eines Morgens erlebten sie eine Überraschung
- sie wurden von einem Pferd ohne Reiter
eingeholt, von einem kastanienbraunen
Hengst. Die grüne Schabracke mit der
Nilfgaarder Stickerei war von dunklen
Blutflecken gezeichnet. Es war nicht
festzustellen, ob es sich um das Blut des beim
Wagen des Havekars getöteten Reiters
handelte oder ob es später vergossen worden
war, als das Pferd schon einen neuen Besitzer
hatte.
»Diese Sorge wären wir also los«, sagte Milva
mit einem Blick auf Geralt. »Wenn es denn
wirklich eine Sorge war.«
»Die eigentliche Sorge ist, dass wir nicht
wissen, wer den Reiter aus dem Sattel geholt
hat«, murmelte Zoltan. »Und ob dieser Jemand
uns nicht folgt, auf unserer Spur und der Spur
unserer ehemaligen sonderbaren Nachhut.«
»Das war ein Nilfgaarder«, presste Geralt
zwischen den Zähnen hervor. »Er sprach fast
ohne Akzent, aber flüchtige Bauern können
ihn erkannt haben...«
Milva wandte den Kopf. »Du hättest ihn
damals erledigen sollen, Hexer«, sagte sie
leise. »Er hätte einen leichteren Tod
gefunden.«
»Er ist aus dem Sarg gestiegen« - Rittersporn
nickte und schaute Geralt vielsagend an -, »nur
um in irgendeinem Straßengraben zu
verfaulen.«
Damit war die Totenrede auf Cahir, den Sohn
Ceallachs, beendet, den aus dem Sarge
freigelassenen Nilfgaarder, der behauptet
hatte, kein Nilfgaarder zu sein. Mehr wurde
von ihm nicht gesprochen. Da Geralt -
entgegen seinen vielfachen Drohungen - nun
doch keine Eile zeigte, sich von der störrischen
Plötze zu trennen, bestieg Zoltan Chivay den
Braunen. Der Zwerg reichte mit den Füßen
nicht bis zu den Steigbügeln, doch der Hengst
war folgsam und ließ sich mit den Zügeln
lenken.
Physiologus
Volksliedchen
Impressum
Feuertaufe: Roman
von Andrzej Sapkowski (Autor),
Erik Simon (Übersetzer)
Preis: EUR 14,90
Taschenbuch: 432 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag (1.
November 2009)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 342324755X
ISBN-13: 978-3423247559
Originaltitel: Chrzest ognia
Ende