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Als Geschäftsführer von “Cultural Survival” wende ich mich mit diesem Schreiben an
Sie, um meine größte Besorgnis darüber zu bekunden, wie Brasilien es verfehlt, die
körperliche Unversehrtheit und Sicherheit seiner indigenen Bevölkerungsgruppen im
Lichte der COVID-19 Pandemie zu schützen und ersuche sie nachdrücklich darum,
sofort zu handeln, um die Sicherheit und den Schutz aller indigenen Völker und
Gemeinschaften, einschließlich der Quilombalas, sicherzustellen durch die Umsetzung
von Maßnahmen, die mit den Richtlinien und Empfehlungen der WHO im Einklang
stehen.
“Cultural Survival” ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in den Vereinigten
Staaten, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Selbstbestimmung der indigenen Völker
weltweit zu unterstützen und setzt sich dabei als Fürsprecherin für indigene Rechte und
Menschenrechte ein.
Darin mit inbegriffen ist auch die Zurverfügungstellung von Mitteln und Plänen, um zu
gewährleisten, dass in allen Bezirken und Einrichtungen von SESAI (Special Indian
Health Service of the Ministry of Health) jene Prozeduren angewendet werden, die es
ermöglichen, infizierte Personen einwandfrei zu identifizieren und zu behandeln.
Dabei ist es besonders wichtig, die korrekte Isolierung jener Personen zu
gewährleisten, die sich mit COVID-19 infiziert haben und dagegen behandelt werden.
Denn gelingt es nicht, Infizierte zu isolieren, werden Dritte einem hohen Risiko
ausgesetzt und die Gesundheit anderer Personen und ganzer Gemeinschaften
beeinträchtigt.
Der erste COVID-19-Fall in Brasilien, der eine Person indigener Herkunft betraf, war
eine 20 jährige Kokama, die sich Anfang April während ihrer Tätigkeit im
Gesundheitswesen von einem Arzt nicht-indigener Herkunft ansteckte. SESAI war nicht
in der Lage, angemessene Schritte zu setzen, um die weitere Ausbreitung des Virus zu
verhindern.
Daraufhin breitete es sich schnell in Parque dos Tribos aus, das in den Außenbezirken
von Manaus liegt. Manaus ist die Heimat vieler Völker, einschließlich der Tikuna, die
besonders hart getroffen wurden.Trotz des mutigen Einsatzes von
Gesundheitsfachkräften, zu denen technische SpezialistInnen, KrankenpflegerInnen,
ÄrztInnen und Gesundheitsmonitoren gehören, die an vorderster Front unter
gefährlichen Bedingungen arbeiten, starben bereits 40 Kokama seit dem ersten
bekannten Fall im April.
Das Virus bewegte sich sehr schnell den Rio Negro stromaufwärts nach São Gabriel da
Cachoeira, ebenfalls im Bundesstaat Amazonas gelegen, wo es die die dortigen
indigenen Einwohner dezimierte. Am 3. April 2020 verkündete Robson Santos da Silva,
der zuständige Sekretär für die Gesundheit der indigenen Völker, dass das SESAI nicht
mehr länger jenen Personen indigener Herkunft zur Verfügung stehen würde, die im
städtischen Raum wohnhaft sind. Dies schließt indigene Bewohner der Stadt São
Gabriel da Cachoeira, wo die Mehrheit der Bevölkerung indigener Herkunft ist, ebenso
wie indigene Stadtbewohner andernorts, vom Zugang zu medizinischer Versorgung
aus. Menschen indigener Abstammung werden aber nicht einfach weiß, weil sie in
Städten wohnen, wie das Herr da Silva andeuten möchte.
Indem das SESAI diese Position einnimmt, kündigt es seine Verantwortung auf, für die
körperliche Unversehrtheit und Sicherheit von Brasiliens indigener Bevölkerung
zu sorgen und diese zu gewährleisten.Das SESAI ist dazu verpflichtet, allen Menschen
mit indigener Herkunft zur Verfügung zu stehen und diese zu unterstützen, unabhängig
davon, wo diese ihren Wohnsitz haben.
Wenn das Gesundheitsministerium bei dieser Aufgabe versagt, begeht es eine schwere
Verletzung seines verfassungsrechtlichen Auftrages, der darin besteht, Personen
indigener Herkunft in diesem Land den Zugang zum Gesundheitssystem zu
gewährleisten. Dieser Auftrag ergibt sich sowohl aus Artikel 196 der Verfassung von
1988 als auch aus Bundesgesetz n⁰ 9.836/99, welches genauer ausführt, dass SESAI
den indigenen Einwohnern ein Netzwerk an Dienstleistungen anbieten muss, welches
den kulturellen, demographischen und geographischen Maßstäben entspricht.
Das SESAI ist daher nicht seiner Verantwortung entbunden, Brasiliens indigener
Stadtbevölkerung den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu gewährleisten.
Covid-19 breitet sich ungebremst unter Brasiliens indigener Bevölkerung aus. Dem
“Boletim Epidemiologico” zufolge, einer epidemiologischen Mitteilung des SESAI vom
5.Juni 2020, gibt es innerhalb der indigenen Bevölkerung 1737 bestätigte
COVID-19-Fälle, 70 Verstorbene und 420 Verdachtsfälle. Das APIB (“Articulação dos
Povos Indígenas do Brasil” - ”Koordination indigener Völker Brasiliens”) meldet jedoch
höhere Zahlen.
Mit Stand 26. Mai 2020 meldete dessen “National Committee for Indigenous Life and
Memory” 1900 Infektionen und 160 Todesfälle, die in Zusammenhang mit COVID-19
stehen, in mehr als 71 eigenständigen indigenen Gruppen, verteilt auf 13
Bundesstaaten.
Die höchste Häufung von COVID-19-Todesfällen unter indigenen Einwohnern hat der
Bundesstaat Amazonas aufzuweisen.
Dem APIB zufolge ist die Sterblichkeitsrate unter den indigenen Einwohnern mehr als
doppelt so hoch als gegenüber dem Rest der Bevölkerung.
Dieser Zustand ist inakzeptabel. Die hohe Sterblichkeitsrate unter Brasiliens indigener
Bevölkerung ist das Ergebnis von grober Fahrlässigkeit sowie dem Versagen des
Staates, die Gesundheit und Sicherheit seiner indigenen Völker zu schützen.
Ein COVID-19-Fall, der jüngst unter den Xavante von Mato Grosso festgestellt wurde,
illustriert das Versagen von SESAI, die Isolation von COVID-19-Infizierten ausreichend
sicherzustellen und dadurch sorgt das SESAI dafür, dass COVID-19 sich weiterhin
unkontrolliert verbreitet.
Anstatt einem Plan zu folgen, der übereinstimmt mit den Richtlinien und Empfehlungen
der WHO bezüglich der Behandlung von bestätigten COVID-19-Fällen, sprich
“Zurückverfolgen, Testen und Behandeln”, wobei eine Behandlung auch die Isolation
einschließt, um Nachbarn und Gemeinschaften zu schützen und in Verletzung der
Strategien des FUNAI (Fundação Nacional do Índio), welche sicherstellen sollen, dass
das häusliche Umfeld angemessen ist für die Isolierung bestätigter Fälle, führten
Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums in der Stadt Sao Felix do Araguaia einen
infizierten Mann zurück in das Dorf Marawãitsédé, wo die hygienischen und
gesundheitlichen Bedingungen höchst bedenklich sind.
Krankenhausangestellte entließen den infizierten Mann mit einigen Medikamenten, der
dann der Obhut eines indigenen Mitarbeiters im Gesundheitsministerium überantwortet
werden sollte und die Anweisung erhielt, sich in "häusliche Quarantäne" zu begeben.
Tatsächlich sind die Richtlinien des SESAI irreführend, ungenau und unzureichend für
die aktuelle Situation. Dessen standardisiertes COVIS-19-Protokoll, das die Testung
und Rückkehr nach Hause zum Zwecke häuslicher Quarantäne vorsieht, wie z.b.
skizziert im COVID-19-Notfallplan vom März 2020 für den gesundheitlichen
Sonderbezirk der Xavante, der die Behandlung von Mensch zu Mensch Infektionen
unter indigenen Völkern betrifft, ist unverantwortlich und völlig außerhalb der
Lebensrealität von Menschen indigener Herkunft, wo Quarantäne unmöglich ist. Diese
Strategie führt unvermeidlich dazu, dass viele Menschen indigener Herkunft einem
Infektionsrisiko ausgesetzt werden und vorzeitig sterben.
Brasiliens derzeitige COVID-19-Politik und deren Pläne für die indigene Bevölkerung
sind kriminell und völkermörderisch. Sie unterminieren alle jene Institutionen (FUNAI,
SESAI, IBAMA=Brasiliens Institut für umweltfreundliche und regenerative Rohstoffe),
deren Aufgabe darin besteht, die Rechte indigener Völker zu achten, zu schützen und
umzusetzen.
Die Politik Brasiliens verletzt sowohl die Rechte indigener Völker auf Gesundheit und
Sicherheit, welche von Artikel 231 der Staatsverfassung garantiert werden, als auch das
ILO-Übereinkommen 169 und die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte
indigener Völker.
“Cultural Survival” fordert daher nachdrücklich, dass Brasilien unverzüglich Pläne
umsetzt, welche im Einklang stehen mit den Richtlinien und Empfehlungen der WHO.
Brasilien muss SESAI mit ausreichend Mitteln versorgen, sodass dieses in der Lage ist: