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PW511 dG 100-prozentige Erbschaftssteuer gegen Vermögensungleichheit?

Dies ist ihre Klausurersatzleistung für das zweite Halbjahr der Q1. Bitte bearbeiten Sie die
folgenden Aufgaben bis zum 27.05. (unter Vorbehalt).

Aufgaben:
1. Fassen Sie das Konzept zur Erbschaftssteuer sowie deren Begründung zusammen.
2. Ordnen Sie das Konzept in die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit ein.
3. Nehmen Sie Stellung zur Forderung nach einer 100-prozentigen Erbschaftssteuer.

Aufgabe 1

In ihrem Beitrag „Erben ist ungerecht - und sollte mit 100 Prozent besteuert werden“, den die
deutschen Ökonomen Volker Grossmann und Guy Kirsch am 21.03.2016 auf der Onlinepräsenz der
Süddeutschen Zeitung veröffentlichten, thematisieren sie den Vorschlag einer 100% Erbschaftssteuer
und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Der Vorschlag der 100% Erbschaftsbesteuerung sieht im Wesentlichen vor, dass das Vermögen eines
Erblassers post mortem an einen Fond zu übertragen sei. Aus diesem Fond solle dann ein gleicher
Betrag an alle Mitglieder der heranwachsenden Generation zu ihrer freien Verfügung ausgezahlt
werden. Dieser Vorschlag fördere laut Grossmann und Kirsch nicht nur den individualisierten
Liberalismus, sondern sei essentiell für eine Gleichberechtigung und Chancengleichheit unabhängig
vom Elternhaus. Weiterhin führen die Autoren des Beitrags an, dass die Beträge von Schenkungen
ebenfalls partiell in den Fond fließen sollen. Um die Ersparnisbildung im Hinblick auf das
Schenkungsmotiv nicht einzudämmen, seien Schenkungen dafür steuerlich maßvoller zu behandeln.
Die Ökonomen kritisieren zudem wie auch das Bundesverfassungsgericht, die weitgehende oder
komplette Freistellung von Erbschafts- und Schenkungssteuern unter Voraussetzungen für das Erben
von Familienbetrieben. Dass Erben anders als andere, eventuell gleichermaßen talentierte
Entrepreunere keinen Kredit aufzunehmen hätten, betrachten Grossmann und Kirsch kritisch. Der
Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Ordnung gehe eine Chancengleichheit voraus und nur eine
gerechte Vermögensverteilung beflügele das Funktionieren von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.
Aufgabe 2

Einordnung des Konzeptes in die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit

Dass das Konzept der 100-prozentigen Erbschaftsbesteuerung kontrovers diskutiert wird, steht
außer Frage. Doch in welchem Verhältnis steht das Konzept zu den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit?
Unter sozialer Gerechtigkeit versteht man gesellschaftliche Zustände, die hinsichtlich ihrer relativen
Verteilung von Rechten, Möglichkeiten und Ressourcen als fair oder gerecht bezeichnet werden
können. Wie in Z. 1-3 beschrieben, sieht der Vorschlag vor, dass das Vermögen einer Person in einen
Fond fließt, welcher dann die Mitglieder der nachfolgende Generation zu gleicher Maßen
unterstützen soll. Ein Ziel dieser Maßnahme ist beispielsweise die Chancengleichheit. Durch die
Verteilung des Vermögens der Vererbenden wird gewährleistet, dass nicht einige wenige einen
privilegierten Startbonus ihr Eigen nennen können, sondern dass alle Mitglieder einer Generation
über zumindest annähernd ähnliche Startchancen und Zugangsmöglichkeiten verfügen. Im
Wettbewerb um die Erlangung von Gütern und die Vermeidung von Lasten haben somit auch
Generationsmitglieder mit niedrigerem Erwerbs- und Bildungsstand die Möglichkeit
Leistungsfähigkeit zu entwickeln und am Leistungswettbewerb teilzunehmen. Diese 100-prozentige
Erbschaftsbesteuerung in Verbindung mit der Auszahlung an Generationsmitglieder wäre insofern
gerecht und fördere Chancengleichheit.

Anders verhält es sich im Hinblick auf die Leistungsgerechtigkeit, die die persönlichen Bemühungen
nach dem Konzept thematisiert, dass Menschen so viel zu erhalten haben, wie ihr persönlicher
Beitrag und Aufwand für die Gesellschaft ausmacht. Die Leistungsgerechtigkeit sieht also ungleiche
Belohnungen für ungleiche Bemühungen und ungleiche Effektivität vor, welche zur weiteren
Anstrengung motivieren sollen. Hier ergeben sich insofern Diskrepanzen, als dass die 100-prozentige
Erbschaftsbesteuerung und die damit einhergehende Auszahlung an alle zunächst einmal nicht an
Bedingungen geknüpft und soweit unabhängig von der persönlichen Leistung ist. Natürlich muss der
Vererbende in erster Linie Vermögen hinterlassen, welches dann in den Fond fließen kann. Doch
auch das Erben im Allgemeinen kann im Regelfall nicht als leistungsgerecht bezeichnet werden, da es
subjektiv von dem Erwerbs- und Bildungsstand der Vorfahren abhängig ist und in diesem Kontext
persönliche Bemühungen derer, die nicht über die gleichen Voraussetzungen verfügen, nicht
beachtet und nicht zwangsläufig motiviert. Wenn jemand durch viel Fleiß und Disziplin das erreicht
hat, was einem anderen möglicherweise allein durch die Geburt in die Wiege gelegt wurde, ist das
nicht leistungsgerecht.

Ähnlich verhält es sich bei der Bedarfsgerechtigkeit. Die Auszahlungen des Fonds sollen an alle
Gesellschaftsmitglieder der nachfolgenden Generation in gleicher Höhe gerichtet sein, somit in erster
Linie unabhängig vom persönlichen und familiären Vermögen. Folglich ergibt sich, dass auch die
private wirtschaftliche Lage, der persönliche „Bedarf“ nicht mit eingerechnet wird. Wenn davon
auszugehen ist, dass ausnahmslos alle heranwachsenden Gesellschaftsmitglieder Auszahlungen zu
erhalten haben, so müssten auch geistig und körperlich Behinderte, unzurechnungsfähige und auch
in Justizvollzugsanstalten befindliche Gesellschaftsmitglieder ein Anrecht darauf haben. Das
entspreche im Wesentlichen der egalitären Gleichheit, da die Güter des Fonds zu gleichen Teilen
unter allen Mitgliedern der heranwachsenden Gesellschaft geteilt werden. Somit ergibt sich, dass die
Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und der Bedarfsgerechtigkeit nicht im Einklang mit dem
Konzept der 100-prozentigen Erbschaftsbesteuerung stehen, aber das Konzept ist ein Vorstoß zur
Etablierung von Chancengleichheit und egalitärer Gerechtigkeit.
Aufgabe 3

Nehmen Sie Stellung zur Forderung nach einer 100-prozentigen Erbschaftssteuer

Das Erben – gerechtfertigt oder archaisches Instrument der familiären Vermögenssicherung? Der
Vorschlag der deutschen Ökonomen Grossmann und Kirsch, eine 100-prozentige
Erbschaftsbesteuerung einzuführen, ist Thematik dieser Stellungnahme. Wie bereits in der zweiten
Aufgabe benannt, ist die gänzliche Erbschaftsbesteuerung mit dazugehörigen Auszahlungen an
nachfolgende Generation eine Idee, um einen Vorstoß zur Chancengleichheit zu leisten. Doch wie
realistisch ist diese Vision?

Seit Jahren wird in Deutschland für Chancengleichheit und gegen Ungerechtigkeiten gekämpft – ob
nun für Frauen, die das gleiche Entgelt wie Männer in ihrer Position bekommen sollen, gegen
Rassismus und Diskriminierung gegenüber Menschen anderer Herkunft, der LGBTQ-Szene – doch das
Erben ist nur selten Thema dieser Debatten. Dabei verstößt es im Wesentlichen gegen einen der
Grundgedanken unserer Gesellschaft: “Wer was bekommt, soll was dafür getan haben“. Häufig ist
nicht ersichtlich, was genau für diesen unverhofften Vermögenszuwachs getan wurde, oder ob etwas
dafür getan wurde. Der Vorschlag der Ökonomen sieht vor, dass das Vermögen Erblassender in einen
Fonds gespeist wird, von dem die nachfolgende Generation in Form von Auszahlungen in gleicher
Höhe profitieren könnte. Auch mit Schenkungen sei nach ähnlichem Muster zu verfahren, ein Anteil
des Wertes der geschenkten Sache sei an den Fonds abzutreten. Dieses „Erbe“ wäre unabhängig von
dem Bildungsstand und der wirtschaftlichen Situation der Eltern. Zwar ist das Erbe in der jetzigem
Form ein stabilisierender Faktor für die Volkswirtschaft, aber gleichzeitig könnte durch eine
gerechtere Verteilung des Vermögens mehr Innovation entstehen, weil diejenigen, die aus Ihrem
Elternhaus nicht die nötigen Voraussetzungen mitbekommen haben, die Möglichkeit haben, sich
selber fortzubilden oder sich etwas aufzubauen, zu dem man sonst nicht im Stande wäre. Nun
könnte man meinen, dass das Vererben von Vermögen an die nachfolgenden Generationen durchaus
als liebevolle Geste zur Wertschätzung seiner Gunst gemeint sei, doch es gibt durchaus andere Mittel
und Wege, um Wertschätzung und Zuneigung auszudrücken. Auch könnte man anführen, dass es sich
lediglich um Missgunst und Neid derer handele, die nicht als Erben einsetzbar sind. Aber es handelt
sich weniger um Neid und Missgunst, sondern primär um simple Ungerechtigkeit. Häufig rühmt sich
die Gesellschaft damit, dass jeder mit Fleiß, Engagement und Disziplin in die höchsten Ämter und
Gesellschaftsklassen aufsteigen kann. Diese Privilegien werden dann der Folgegeneration in die
Wiege gelegt, ohne dafür Leistung erbracht zu haben. Ein Wesentlicher Bestandteil der
Ungerechtigkeit liegt darin, dass man sich vieles aussuchen kann, aber nicht die Familie, in die man
hineingeboren wird.

Im Hinblick auf die Effizienz zeigt sich jedoch, dass eine 100-prozentige Versteuerung mit enormen
Aufwand und Kosten verbunden ist. Zum einen müssen klare Regelungen aufgestellt werden, ab
wann diese Regelung überhaupt in Kraft treten solle. Hier kann nur eine graduelle Einführung
möglich sein, ohne bestimmte Generationen von Erbenden massiv zu benachteiligen. Auch wird hier
die Frage aufgeworfen, in welcher Frequenz Auszahlungen an welche Personen getätigt werden
sollten. Soll es sich stets um denselben Betrag für jede Generation handeln? Ab wann kann man hier
von einer neuen Generation sprechen? Diese strukturellen Fragen sind vor der Einführung einer
solchen Versteuerung zu beantworten.

Ist ein solcher Eingriff in die Privatsphäre und in Persönlichkeitsrechte überhaupt legitim? Sollte ein
Bürger nicht selbst entscheiden dürfen, was er an wen vererbt? Eine mögliche Antwort findet sich im
Grundgesetz, denn § 14 Abs 1 enthält folgendes: „Das Eigentum und das Erbrecht werden
gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“ Die 100-prozentige
Erbschaftsbesteuerung wäre ein solches Gesetz. Mithin ergibt sich, dass eine derartige Regelung
unter Vorbehalt möglich wäre. Von enormer Bedeutung ist ebenfalls der § 14 Abs 2: „Eigentum
verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dieser Absatz ist
essentiell für die Legitimität der 100-prozentigen Erbschaftsbesteuerung, denn Eigentum dient nicht
nur der eigenen Bereicherung, sondern auch dem Wohle der Allgemeinheit.

Unter Einbezug all dieser Argumente komme ich zu dem Schluss, dass die Theorie der 100-
prozentigen Erbbesteuerung zwar in Ihren Grundzügen durchaus legitim erscheint, aber eine solche
Regelung ist mit großem Aufwand und Kosten verbunden. Nichtsdestotrotz sollten Aufwand und
Kosten nicht von dem Ideal der Etablierung einer Chancengleichheit für alle in Deutschland
abbringen.

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