4) Der Konjunktiv kann auch in der Bedeutung der Unschlüssigkeit, oft in einer
nicht kategorischen höflichen Aussage. In der Regel wählt man dabei das
Präteritum Konjunktiv oder den Konditionalis:
Ich wäre anderer Meinung. Mein Rat wäre anders.
Oft in Fragesätzen und in betont höflichen Aufforderungssätzen:
Ich möchte Ihnen etwas sagen. Dürfte ich Sie um jene Zeitung bitten?
Der Konjunktiv dieser Art gehört teilweise ins imperativische Feld:
Würden Sie bitte hier auf mich warten?
In der höflichen Wunschsätzen mit gern, am liebsten erscheint auch das
Plusquamperfekt mit Gegenwartsbezug.
Ist Herr Müller nicht da? Ich hätte gern mit ihm selbst gesprochen.
7) Der Konjunktiv dient als Merkmal der indirekten Rede. Die indirekte Rede
ist die nicht-wörtliche, mittelbare Wiedergabe fremder (selten früherer eigener)
Rede. Man nennt sie auch berichtete oder referierte Rede. Die indirekte Rede steht
die direkte gegenüber, d.h. die wörtliche Rede der 1. Person oder wörtlich
wiedergegebene zitierte Rede einer andern Person. Gewöhnlich ist die indirekte
Rede in einem Gliedsatz erhalten, der von einem Hauptsatz mit dem Verb des
Sagens (oder einem Verbalsubstantiv) abhängig ist. Es gibt mehrere Kennzeichen
der indirekten Rede:
1) das Verb oder das entsprechende Verbalsubstantiv im Hauptsatz,
2) die einleitende unterordnende Konjunktion,
3) die Form des Gliedsatzes,
4) die Verschiebung der Person,
5) der Konjunktiv.
Keines dieser Mittel ist obligatorisch, doch ist gewöhnlich zumindest eines
vorhanden, um die indirekte Rede als solche zu kennzeichnen. Beim Gebrauch von
Personal- und Possessivpronomina sowie bestimmter Adverbien kommt es in der
indirekten Rede außerdem zu einer Pronominal- und Adverbialverschiebung.
Direkte Rede: Ich heiße Monika.
Indirekte Rede: Das Mädchen sagte, dass sie Monika heiße.
Das Mädchen sagte, sie heiße Monika.
In der indirekten Rede werden alle Zeitformen des Konjunktivs gebraucht.
Das Mädchen sagte, dass sie Anita heiße (hieße), vor kurzem ihr Abitur gemacht
habe (hätte) und als Dolmetscherin arbeiten werde (würde).
In der indirekten Rede verlieren die Zeitformen ihre hypothetische Bedeutung,
deshalb wird der Konjunktiv oft durch den Indikativ verdrängt. Das geschieht in
der Regel im Stil der Alltagsrede, dann genügen andere Zeichen der referierten
Rede. Die Publizistik dagegen bevorzugt den Konjunktiv, besonders dort, wo es
notwendig ist, die Rede des Reporters von der berichteten Rede anderer Personen
abzugrenzen (politische Nachrichten). Im Stil des öffentlichen Verkehrs und zwar
in der Textsorte Protokoll ist solch eine Abgrenzung ebenfalls von großer
Bedeutung.
Die Leistung des Konjunktivs tritt besonders klar zutage, wenn die
berichtete Rede ohne einleitendes Verb des Sagens in Form eines unabhängigen
Satzes erscheint, was nicht selten in der modernen literarischen Prosa vorkommt.
In diesem Fall ist der Konjunktiv das einzige Merkmal des Übergangs von der
Autorensprache zu der berichteten Rede der Romanhelden,
Fabian fuhr ein Stich durchs Herz. „So bald also wollen die Damen die Stadt
schon verlassen?" fragte er.
Für die Verwendung des Konjunktivs in indirekter Rede ist von grundlegender
Bedeutung die Unterscheidung nach den Zeitstufen. Bei der indirekten Rede sind
drei Zeitstufen zu unterscheiden, die sich als relative oder als absolute Zeiten
beschreiben lassen. Um relative Zeiten handelt es sich, wenn man von Gleich-,
Vor- oder Nachzeitigkeit der in der Rede gegebenen Aktzeit im Verhältnis zu der
in der Redeeinleitung gegebenen Sprechzeit spricht. Um absolute Zeitstufen geht
es, wenn man — wie beim Indikativ der direkten Rede — allein von der in der
indirekten Rede ausgedrückten Zeit, wie sie für den (ersten) Sprecher gegeben ist,
ausgeht. Aus praktischen Gründen wählen wir die zweite Einteilung und sprechen
im folgenden nur von Gegenwart (= Gleichzeitigkeit), Vergangenheit (=
Vorzeitigkeit) und Zukunft (= Nachzeitigkeit). Diese verschiedenen Zeitstufen
werden im Konjunktiv durch andere Tempusformen als im Indikativ
ausgedrückt. Im Indikativ wird die Gegenwart gewöhnlich durch Präsens
wiedergegeben, zum Ausdruck der Vergangenheit stehen Präteritum und Perfekt
zur Verfügung, und für die Wiedergabe der Zukunft dienen Futur I oder Präsens.
Bei Verwendung des Konjunktivs ergibt sich folgende Tempusverteilung:
Zur Wiedergabe der Gegenwart dienen Konjunktiv Präsens und Präteritum sowie
würde + Infinitiv I:
Sie hat mir gesagt: „Ich lese gerade einen Roman von Tolstoi."
- Sie hat mir gesagt, sie lese gerade einen Roman von Tolstoi.
[…], sie läse gerade einen Roman von Tolstoi.
[…], sie würde gerade einen Roman von Tolstoi lesen.
Zum Ausdruck der Vergangenheit werden Konjunktiv Perfekt und
Plusquamperfekt verwendet:
Sie hat mir gesagt: „Ich habe den Roman schon früher gelesen."
Sie hat mir gesagt, sie habe den Roman schon früher gelesen.
[…], sie hätte den Roman schon früher gelesen.
Zur Wiedergabe der Zukunft dienen Konjunktiv Futur I und würde + Infinitiv I.
Daneben können auch die zum Ausdruck der Gegenwart dienenden
konjunktivischen Tempusformen des Präsensund Präteritums verwendet werden:
Sie hat mir gesagt: „Ich werde den Roman in nächster Zeit lesen."
Sie hat mir gesagt, sie werde den Roman in nächster Zeit lesen.
[…], sie würde den Roman in nächster Zeit lesen.
[…], sie lese den Roman in nächster Zeit.
[…], sie läse den Roman in nächster Zeit.
direkte Rede/ Indikativ indirekte Rede/Konjunktiv
Gegenwart Präsens Präsens, Präteritum,
würde + Inf. I
Vergangenheit Präteritum, Perfekt Perfekt, Plusquamperfekt
Zukunft Futur I, Präsens Futur I, würde + Inf. I,
Präsens, Präteritum
Die indirekte Rede ist nur eine von mehreren Ausdrucksmöglichkeiten der
Redewiedergabe. Grundsätzlich ist die Redewiedergabe auch in direkter Rede mit
Indikativ möglich. Beim Gebrauch der indirekten Rede gibt es eine
gewisse Freiheit in der Moduswahl. Der Konjunktiv ist nur ein Mittel unter
anderen zur Kennzeichnung der indirekten Rede und aus diesem Grunde hier nicht
obligatorisch. So kommt neben dem Konjunktiv auch der Indikativ vor. Dies ist
vor allem dann der Fall, wenn die indirekte Rede schon eindeutig durch die
Nebensatzform gekennzeichnet ist:
Sie hat mir gesagt, daß sie den Roman schon gelesen hat (habe/ hätte).
Wenn das redeeinleitende Verb in der 1. Pers. Sing. Präs, steht, ist nur Indikativ
üblich (außer bei Verben des Aufforderns):
Ich glaube, sie hat ("habe /hätte) das Buch schon gelesen.
Daneben werden auch nicht-eindeutige Formen verwendet, die durch den
Zusammenfall verschiedener Indikativ- und Konjunktivformen bedingt sind:
Sie haben mir erklärt, daß sie gut zusammenarbeiten.
Ebenso wenig wie die Wahl zwischen Indikativ und Konjunktiv genau
festgelegt ist, gibt es feste Regeln für den Gebrauch der verschiedenen
Konjunktivformen innerhalb einer bestimmten Zeitstufe. Weder werden nicht-
eindeutige Formen in jedem Fall durch eindeutige Formen ersetzt, noch ergibt sich
aus dem Tempus oder der Person des redeeinleitenden Verbs (auch nicht aus der
Wahl des redeeinleitenden Verbs selbst) die Bevorzugung einer Form. Es ist auch
nicht nachweisbar, daß mit bestimmten Formen eine besondere Sprecherintention
(etwa eine größere Distanz zum Redeinhalt) ausgedrückt wird. Für den Gebrauch
der Konjunktivformen können nur folgende allgemeine Hinweise gegeben werden:
In der literarischen Sprache (belletristische und wissenschaftliche Prosa, Sprache
der Presse usw.) werden innerhalb der einzelnen Zeitstufen jeweils Präsens,
Perfekt und Futur I bevorzugt, in umgangssprachlich beeinflusster Sprache
kommen umgekehrt häufiger Präteritum bzw. Plusquamperfekt und würde +
Infinitiv I vor (im Norden des deutschen Sprachgebiets auch dialektal bedingt).
In der literarischen Sprache werden Präteritum, Plusquamperfekt und würde +
Infinitiv I oftmals dann benutzt, wenn die Formen des Präsens, Perfekt oder Futur I
mit indikativischen Formen zusammenfallen.
Der Konditionalis tritt auch als Merkmal der erlebten Rede auf, besonders
deutlich beim Übergang von der Autorensprach zur erlebten Rede. Bei den
Schriftstellern, die verschiedene Arten der erlebten Rede (den inneren Monolog)
als Stilmittel verwerten, tritt der Konditionalis häufig auf. Außerdem kann der
Konjunktiv in der berichteten Rede eine gewisse Distanzierung vermitteln. Man
gibt fremde Worte wieder, ohne sich für ihre Gültigkeit zu verbürgen.
Quellen
Адмони В. Г. Теоретическая грамматика немецкого языка, 1986