beck-aktuell-Redaktion becklink 1030368, Verlag C.H. Beck (09. 01. 2014) [online],
verfügbar unter: https://beck-online.beck.de
[Stand: 15.04.2014, 15:01 Uhr].
I
Bossy, Franziska/ dpa Hitlergruß-Prozess: Freispruch für Künstler Jonathan Meese
(14.08.2013, 18:43 Uhr) [online], verfügbar unter:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/freispruch-fuer-kuen
stler-jonathan-Meese-im-hitlergruss-prozess-a-916586.html
[Stand: 15.04.2014, 13:16 Uhr].
Brecht, Bertolt/ Bertolt Brecht – Gesammelte Werke, 19. Schriften zur Literatur
Hecht, Werner und Kunst 2, Frankfurt a.M. 1967
(zitiert: Brecht, Gesammelte Werke, 19. Schriften zur Literatur
und Kunst 2).
II
dpa Merkel mit Hakenkreuz – Aktionskünstler erneut verurteilt
(08.01.2014, 18:54 Uhr) [online], verfügbar unter:
http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/merkel-mit-
hakenkreuz-aktionskuenstler-erneut-verurteilt/9306608.html
[Stand: 15.04.2014, 15:06 Uhr].
Fischer, Klaus Andreas Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst,
Frankfurt a.M. 1995
(zitiert: Fischer, Die strafrechtliche Beurteilung von Werken
der Kunst).
III
Flotzinger, Rudolf Oesterreichisches Musiklexikon ONLINE [online], verfügbar
unter:
http://www.musiklexikon.ac.at/ml?frames=yes
[Stand: 23.04.2014, 10:40 Uhr].
Geiger, Willi Zur Diskussion über die Freiheit der Kunst, in: Bracher, Karl
Dietrich/ Dawson, Christopher/ Geiger, Willi/ Smend, Rudolf
(Hrsg.), Festschrift Für Gerhard Leibholz zum 65. Geburtstag –
Zweiter Band: Staats- und Verfassungsrecht, Tübingen 1966,
S. 187-204
(zitiert: Geiger in: FS-Leibholz, 1966).
Grell, Boris Thorsten Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späte-
ren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, Zürich 1999
(zitiert: Grell, Entartete Kunst).
IV
Hartmann, Peter W. Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann [online],
verfügbar unter:
http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_6849.html
[Stand: 23.04.2014, 10:42 Uhr].
V
Ders. Vorbehalt der Verfassung – Das Grundgesetz als abschließende
und offene Norm, in: Isensee, Josef/ Lecheler, Helmut (Hrsg.),
Festschrift für Walter Leisner zum 70. Geburtstag – Freiheit
und Eigentum, Berlin 1999, S. 359-399
(zitiert: Isensee in: FS-Leisner, 1999).
Band 4, §§ 80-109k
12. Auflage, Berlin 2007
Band 6, §§ 146-210
12. Auflage, Berlin 2010
(zitiert: LK-StGB-Bearbeiter).
(zitiert: MüKo-StGB-Bearbeiter).
VI
Kaspar, Johannes Anmerkung zum BGH-Urteil vom 15.03.2007 zu § 86a I StGB,
in: JR 2008, S. 70-73.
(zitiert: NK-StGB-Bearbeiter).
VII
Kühl, Kristian Strafrecht Allgemeiner Teil, 7. Auflage, München 2012
(zitiert: Kühl, AT).
(zitiert: MKS-Bearbeiter).
VIII
Meese, Jonathan Homepage [online], verfügbar unter:
http://www.jonathanMeese.com/2013/20130814_Kassel_Amts
gericht/index1.php
[Stand: 15.05.2014, 14:37 Uhr].
Raue, Peter Literarischer Jugendschutz – was kann nach dem Gesetz über
die Verbreitung jugendgefährdender Schriften indiziert wer-
den?, Berlin 1970
(zitiert: Raue, Literarischer Jugendschutz).
IX
Reichert-Hammer, Politische Fernziele und Unrecht – ein Beitrag zur Lehre von
Hansjörg der Strafrechtswidrigkeit unter besonderer Berücksichtigung
der Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB, Berlin
1991
(zitiert: Reichert-Hammer, Politische Fernziele und Unrecht).
X
Rühle, Alex „Ich mach' Schlagzeilen, yeah!“ (14.07.2013, 19:53 Uhr)
[online], verfügbar unter:
http://www.sueddeutsche.de/panorama/rapper-bushido-ich-
mach-schlagzeilen-yeah-1.1721589
[Stand: 12.05.2014 um 11:45 Uhr].
XI
Schoch, Friedrich/ Verwaltungsgerichtsordnung Kommentar, München,
Schneider, Jens-Peter/ Stand: 25. Ergänzungslieferung April 2013
Bier, Wolfgang (zitiert: SSB-VwGO-Bearbeiter).
XII
Weiß, Axel Kein Recht auf Rausch, in: JR 1994, S. 490-494.
Wetzel, Daniel Was Bushido & Shindy in „Stress ohne Grund“ rappen
(13.07.2013) [online], verfügbar unter:
http://www.welt.de/vermischtes/article118012356/Was-
Bushido-amp-Shindy-in-Stress-ohne-Grund-rappen.html
[Stand: 13.05.2014 um 13:25 Uhr].
XIII
Abkürzungsverzeichnis
XIV
ff. fortfolgende
FS Festschrift
GA Goltdammer's Archiv für Strafrecht
GG Grundgesetz
GVG Gerichtsverfassungsgesetz
h.M. Herrschende Meinung
Hrsg. Herausgeber
idS. in diesem Sinne
iR. im Rahmen
iRd. im Rahmen der/des
iRv. im Rahmen von
iSd. im Sinne der/des
JP-GG Jarass/ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutsch-
land – Kommentar
JR Juristische Rundschau
JuS Juristische Schulung
JZ JuristenZeitung
KK Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung mit GVG,
EGGVG und EMRK
krit. kritisch
LG Landgericht
LK-StGB Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch
MD-GG Maunz/ Dürig, Grundgesetz Loseblatt-Kommentar
MDR Monatsschrift für deutsches Recht
MKS Mangold/ Klein/ Starck, Kommentar zum Grundgesetz
MüKo-StGB Münchener Kommentar zum StGB
mwN. mit weiteren Nachweisen
NJW Neue Juristische Wochenschrift
NK-StGB Nomos Kommentar Strafgesetzbuch
NS Nationalsozialismus
NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht
OLG Oberlandesgericht
XV
RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
Rn. Randnummer
Rspr. Rechtsprechung
S. Seite
s.o. siehe oben
Sch/Sch Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar
SSW-StGB Satzger/ Schluckebier/ Widmaier, StGB Strafgesetzbuch Kom-
mentar
StÄG Strafrechtsänderungsgesetz
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
u.a. unter anderem
Ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
Vorbem. Vorbemerkung
WRV Weimarer Reichsverfassung
ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
XVI
Inhaltsverzeichnis
A. „Augsburg-Blume“, „Gangsta-Rap“, Hakenkreuz und „Hitlergruß“ –
Straftat oder Kunst? ................................................................................................ 1
D. Juristische Kunst-Definition.................................................................................. 11
VI. Zwischenergebnis............................................................................................... 17
1. Tatbestandsebene ............................................................................................. 20
XVII
(2) Zwischenergebnis ....................................................................................... 22
2. Rechtswidrigkeitsebene .................................................................................... 22
3. Zwischenergebnis ............................................................................................. 29
(a) Eröffnung des Schutzbereiches der Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG .... 30
(c) Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den durch die Kunst
beeinträchtigten Grundrechten ................................................................. 30
G. Auswirkungen der Kunstfreiheit auf die §§ 303, 185, 241 und 86a StGB und
tatsächliche Strafwürdigkeit von T., Bushido, Wangerin und Meese ................ 31
XVIII
(1) Rechtfertigung durch § 193 StGB............................................................... 33
3. Zwischenergebnis ............................................................................................. 39
(1) Tatbestandsausschluss................................................................................. 40
I. Resümee: Der „richtige“ Umgang des Strafrechts mit der Kunstfreiheit als
Herausforderung in der pluralistischen Gesellschaft der BRD ......................... 42
XIX
A. „Augsburg-Blume“, „Gangsta-Rap“, Hakenkreuz
und „Hitlergruß“ – Straftat oder Kunst?
Fast 500 Mal „erblühte“ seit dem Sommer 2010 dessen sogenannte „Augsburg-
Blume“ – ein blumenförmiges, schwarzes Graffito – in und um Augsburg.1 Die
„Augsburg-Blume“ erlangte in diesem Zeitraum große Popularität, die Stadt
erwog damals sogar kurzzeitig eine Nutzung zu Marketingzwecken.2
Anis Mohamed Youssef Ferchichi ist besser bekannt unter seinem Künstlerna-
men Bushido.
Am 12. Juli 2013 veröffentlichte dieser den Track „Stress ohne Grund“, in
welchem er unter anderem postuliert:
„Halt die Fresse, fick die Presse, Kay4, du Bastard bist jetzt vogelfrei. […] Und
ich will, dass Serkan Tören5 jetzt ins Gras beißt, yeah yeah. […] Ich schieß auf
Claudia Roth6 und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz.“7
1
Ross, Geknickt vor Gericht, Süddeutsche Zeitung vom 20.09.2012, Nr. 218, S. 42; Heinzle,
Gnade für die Augsburgblume (19.10.2012, 14:10 Uhr), http://www.augsburger-
allgemeine.de/bayern./Gnade-fuer-die-Augsburgblume-id21982136.html [Stand: 27.04.2014
um 18:09 Uhr].
2
dapd, Bewährungs- und Geldstrafe: Gericht verurteilt Maler der Augsburgblumen
(19.09.2012, 16:08 Uhr), http://www.spiegel.de/panorama/justiz/maler-der-augsburgblume-zu-
bewaehrungs-und-geldstrafe-verurteilt-a-856782.html [Stand: 21.04.2014 um 11:30 Uhr].
3
Ross, Geknickt vor Gericht, Süddeutsche Zeitung vom 20.09.2012, Nr. 218, S. 42.
4
Gemeint ist Kay One, bürgerlich Kenneth Glöckler, ebenfalls Rapper; Quelle: Müller-Neuhof,
Prozess wegen Schwulenfeindlichkeit – Anklage gegen Bushido voller Vorurteile über Homo-
sexuelle (16.01.2014, 20:38 Uhr), http://www.tagesspiegel.de/berlin/prozess-wegen-
schwulenfeindlichkeit-anklage-gegen-bushido-voller-vorurteile-ueber-homosexuelle/9344906.
html [Stand: 02.05.2014 um 15:35 Uhr].
1
Daraufhin stellte Tören Strafanzeige gegen den „Gangsta-Rapper“.8 Das AG
Berlin-Tiergarten lehnte im November 2013 die Eröffnung des Hauptverfah-
rens gegen Bushido ab.9
5
Serkan Tören, damaliger integrationspolitischer Sprecher der FDP, Quelle: Rühle, "Ich mach'
Schlagzeilen, yeah!" (14.07.2013, 19:53 Uhr), http://www.sueddeutsche.de/panorama/rapper-
bushido-ich-mach-schlagzeilen-yeah-1.1721589 [Stand: 12.05.2014 um 11:45 Uhr].
6
Claudia Roth, damalige Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Quelle: Poli-
tiker-Homepage, Roth, http://www.claudia-roth.de/vita/ [Stand: 28.04.2014 um 16:15 Uhr].
7
Kompletter Songtext: Wetzel, Was Bushido & Shindy in "Stress ohne Grund" rappen
(13.07.2013), http://www.welt.de/vermischtes/article118012356/Was-Bushido-amp-Shindy-in-
Stress-ohne-Grund-rappen.html [Stand: 13.05.2014 um 13:25 Uhr].
8
Kruse, Umstrittener Song "Stress ohne Grund" – Staatsanwalt leitet Anklage gegen Bushido
ein (17.10.2013, 15:56 Uhr), http://www.stern.de/panorama/umstrittener-song-stress-ohne-
grund-staatsanwalt-leitet-anklage-gegen-Bushido-ein-2058514.html [Stand: 21.04.2014 um
11:09 Uhr]; zur Definition von „Gangsta-Rap“: Seeliger, Deutscher Gangsta-Rap, S. 63ff.
9
dpa, Skandal-Rap "Stress ohne Grund": Gericht lehnt Anklage gegen Bushido ab
(22.11.2013, 13:29 Uhr), http://www.spiegel.de/kultur/musik/gericht-in-berlin-lehnt-anklage-
gegen-rapper-Bushido-ab-a-935115.html [Stand: 21.04.2014 um 11:15 Uhr].
10
beck-aktuell-Redaktion, becklink 1030368 (09.01.2014), https://beck-online.beck.de; [Stand:
15.04.2014 um 15:01 Uhr].
11
beck-aktuell-Redaktion, becklink 1030368 (09.01.2014), https://beck-online.beck.de; [Stand:
15.04.2014 um 15:01 Uhr].
12
Wangerin wurde wegen §§ 86 I Nr. 4, 86a I Nr. 1, II StGB verurteilt (siehe Datei „Ur-
teil_Wangerin_AG“ und „Urteil_Wangerin_LG“ auf CD-ROM. Die vorliegende Arbeit wird
sich auf § 86a I Nr. 1, II StGB beschränken.
Anmerkung: Bei einem persönlichen Gespräch in dessen Wohnung wurden dem Verfasser von
Herrn Dr. Wangerin die Urteile des AG München und LG München sowie dessen Revisions-
begründungsschrift für die bevorstehende Revision am OLG München freundlicherweise zur
2
Das AG München verurteilte ihn in der Folge zu 3.000 Euro Geldstrafe14, das
LG München bestätigte am 08.01.2014 im Berufungsprozess die Verurtei-
lung15. Wangerin könne sich in diesem konkreten Fall nicht auf die Kunstfrei-
heit berufen, so das LG.16
In seiner bevorstehenden Revision vor dem OLG München will der Künstler
insbesondere rügen, dass das LG „die Bedeutung und Reichweite“17 der Kunst-
freiheit verkannt habe.
Im Rahmen dieser Tätigkeit verwendete er schon des Öfteren auf der Bühne
den sogenannten „Hitlergruß“, auch „dekorierte“ er selbige teils mit Haken-
kreuzen.18
Im Juni 2012 war Meese an der Universität Kassel zum Thema „Größenwahn
in der Kunstwelt“ interviewt worden und hatte dabei – auf die Frage, ob er vor
guter Kunst strammstehen könne – zweimal den Arm zum „Hitlergruß“ geho-
ben.19 Im folgenden Prozess gegen den Künstler – u.a. wegen
Verfügung gestellt. Die Dokumente befinden sich als PDF-Dateien auf der beiliegenden CD-
ROM.
13
Rost, 3000 Euro Strafe für Merkel-Plakat mit Hakenkreuz (21.03.2013, 17:14 Uhr),
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/demonstrant-muss-zahlen-merkel-plakat-mit-
hakenkreuz-kostet-euro-1.1630559 [Stand: 15.04.2014 um 15:37 Uhr].
14
Siehe Datei „Urteil_Wangerin_AG“ auf CD-ROM.
15
Siehe Datei „Urteil_Wangerin_LG“ auf CD-ROM.
16
dpa, Kunst oder Straftat? Künstler zeigte Merkel mit Hakenkreuz (08.01.2014),
http://www.n-tv.de/politik/Kuenstler-zeigte-Merkel-mit-Hakenkreuz-article12042026.html
[Stand: 15.04.2014 um 15:03 Uhr]; so auch: dpa, Merkel mit Hakenkreuz – Aktionskünstler
erneut verurteilt (08.01.2014, 18:54 Uhr), http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland
/merkel-mit-hakenkreuz-aktionskuenstler-erneut-verurteilt/9306608.html [Stand: 15.04.2014
um 15:06 Uhr].
17
Siehe Datei „Revisionsbegründungsschrift_Wangerin_OLG“ auf CD-ROM.
18
Bossy/dpa, Hitlergruß-Prozess: Freispruch für Künstler Jonathan Meese (14.08.2013, 18:43
Uhr), http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/freispruch-fuer-kuenstler-jonathan-Meese-im-
hitlergruss-prozess-a-916586.html [Stand: 15.04.2014 um 13:16 Uhr].
19
Wellershoff, Hitlergruß-Prozess gegen Meese: Wie würden Sie entscheiden? (14.08.2013,
11:07 Uhr), http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/jonathan-Meese-urteil-im-hitlergruss-
3
§ 86a I Nr. 1, II StGB20 – wurde dieser mit Verweis auf die Kunstfreiheit des
Art. 5 III 1 GG freigesprochen.21
4
Grundrechte im Allgemeinen – und die Kunstfreiheit im Besonderen – die
strafrechtliche Urteilsfindung beeinflussen können. Zuletzt soll auch noch die
konkrete Rechtsanwendung durch die in den Einführungsfällen beteiligten Ge-
richte auf ihre „Richtigkeit“ bzw. Vertretbarkeit hin untersucht werden.
Die jüngere deutsche Geschichte ist im Hinblick auf das Verhältnis von Staat
zu Kunst äußerst wechselhaft.
„Sie sehen um uns herum diese Ausgeburten des Wahnsinns, der Frechheit, des
Nichtkönnens und der Entartung.“26
5
für nachträglich eine gesetzliche Grundlage.28 Die Künstler selbst wurden ver-
folgt, teilweise sogar in den Selbstmord getrieben oder in Konzentrationslagern
ermordet.29 Hitler verlangte programmatisch einen
Gerade iRd. Strafrechts wird dies für das persönliche Schicksal des Künstlers
konkret sehr relevant: Zwischen „sozialethischem Tadel“33 und „rehabilitieren-
dem Freispruch“34 steht mitunter nur die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG. Zu
bedenken ist auch, dass die Strafbewehrung von Kunst stets eine Form staatli-
cher – mittelbarer – Zensur darstellt – ein Faktum, das es beim schrankenlosen
Grundrecht der Kunstfreiheit besonders zu beachten gilt.
Die vier grundsätzlichen, entscheidenden Fragen auf dem Weg zum „richtigen“
Strafurteil lauten nach hier vertretener Ansicht:
28
Exemplarisch: „Ein Kunstmaler erhält Malverbot“, nachzulesen in: Hofer, Der Nationalsozi-
alismus, S. 97f.; Das „Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ ist nachzu-
vollziehen in: Hofer, Der Nationalsozialismus, S. 96f.
29
Online-Redaktion bpb, Vor 75 Jahren: Ausstellung "Entartete Kunst" (18.7.2012),
http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/141166/vor-75-jahren-ausstellung-entartete-
kunst [Stand: 21.04.2014 um 12:29 Uhr].
30
Schuster, Kunststadt München 1937, S. 252.
31
So normiert in Art. 142 WRV: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der
Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ Stand 14.8.1919 (aktuelle Fas-
sung) (Quelle: https://www.jurion.de/Gesetze/WRV/142).
32
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 667.
33
Kindhäuser, AT, § 1 Rn. 1.
34
MüKo-StGB-Mitsch, § 77d Rn. 19.
6
Frage 1: Ist das Verhalten des potentiellen Künstlers – die Kunst völlig
außer Acht gelassen – generell strafwürdig?
Frage 3: An welcher Stelle der Prüfung kann bzw. muss die Kunstfreiheit
berücksichtigt werden?
In gebotener Kürze soll zunächst geklärt werden, inwieweit T., Bushido, Wan-
gerin und Meese die jeweils infrage kommenden Tatbestände erfüllen.
Tatobjekt ist hierbei eine fremde bewegliche Sache, also jeder körperliche Ge-
genstand iSd. § 90 BGB36, der nicht herrenlos ist und auch nicht im Alleinei-
gentum des Täters steht.37
Als Tathandlung kommt gemäß § 303 I Var. 1 StGB das „Beschädigen“ des
Tatobjekts in Betracht, mithin „jede nicht ganz unerhebliche körperliche Ein-
wirkung auf die Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert
35
Für Meese/Wangerin siehe diesbezüglich den Gliederungspunkt G. III. 1.
36
NK-StGB-Zaczyk, § 303 Rn. 2.
37
NK-StGB-Zaczyk, § 303 Rn. 4 verweist auf: NK-StGB-Kindhäuser, § 242 Rn. 15.
7
oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, dass die Brauchbarkeit für
ihre Zwecke gemindert ist“38.
Das Besprühen einer Fläche fällt dann unter § 303 I Var. 1 StGB, wenn das
verwendete Mittel durch eine chemische Reaktion die Oberflächenbeschaffen-
heit der Sache verändert.39 Dabei genügt es, wenn die Reinigung zwangsläufig
zu einer Substanzverletzung führen muss.40
Graffiti ist somit in jedem Fall – mit oder ohne jene Substanzverletzung – iRd.
§ 303 I Var. 1 StGB bzw. § 303 II StGB tatbestandsmäßig.
38
BGHSt 13, 207 (208) mit Verweis auf: RGSt 74, 14.
39
Sch/Sch-Stree/Hecker, § 303 Rn. 10.
40
Lackner/Kühl, § 303 Rn. 4.
41
Eingefügt durch das 39. StÄG vom 1.9.2005; BGBl. 2005 Teil I Nr. 56 vom 7.9.2005; zur
Begründung der Gesetzesänderung: MüKo-StGB-Wieck-Noodt, § 303 Rn. 46f.
42
Lackner/Kühl, § 303 Rn. 7a.
8
1. Tatbestand des § 185 Var. 1 StGB
Eine Beleidigung ist die Kundgabe eigener Miss- oder Nichtachtung.43 Dies ist
der Fall, wenn die Äußerung dem Betroffenen seinen elementaren Menschen-
wert oder den sozialen bzw. ethischen Wert ganz oder zumindest teilweise ab-
spricht und hierdurch seinen grundsätzlich uneingeschränkten Anspruch auf
zwischenmenschliche Achtung verletzt.44 Die Äußerung eines beleidigenden
Werturteils kann dabei auch gegenüber Dritten erfolgen.45
Die Bezeichnung Kay Ones als „Bastard“ durch Bushido drückt dessen Nicht-
achtung aus, er spricht damit dem Betroffenen den Wert als vollwertiges Mit-
glied der Gesellschaft ab und verletzt somit seinen Achtungsanspruch. Die Be-
zeichnung „Bastard“ ist stets nur als Schimpfwort zu verstehen.46 Dass die Äu-
ßerung gegenüber Dritten – etwa auf Konzerten – erfolgt, genügt zur Erfüllung
des Tatbestandes des § 185 Var. 1 StGB durch Bushido.
Tathandlung des § 241 I StGB ist das an keine Form gebundene Inaussichtstel-
len eines Übels, welches in der Begehung eines Verbrechens iSv. § 12 I StGB
gegen das Opfer oder eine diesem nahestehende Person besteht, auf welches
der Täter vorgibt, Einfluss zu haben. Hierbei muss objektiv beim Bedrohten
der Eindruck der Ernstlichkeit hervorgerufen werden, wobei alle Umstände, die
auf eine Verbrechensbegehung hindeuten können, zu berücksichtigen sind.47
Subjektiv muss dem Täter bewusst sein, dass die Bedrohung geeignet ist, vom
Opfer ernst genommen zu werden.48
43
Lackner/Kühl, § 185 Rn. 3.
44
Lackner/Kühl, § 185 Rn. 4.
45
Lackner/Kühl, § 185 Rn. 2.
46
Geppert, NStZ 2013, 553 (553).
47
MüKo-StGB-Sinn, § 241 Rn. 4ff.
48
NK-StGB-Toepel, § 241 Rn. 9ff.
9
„Und ich will, dass Serkan Tören jetzt ins Gras beißt, yeah yeah. […]
Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz.“
Beide Zeilen können von Roth bzw. Tören – auch aus objektivierter Sicht – so
verstanden werden, dass nach Bushidos Gutdünken ein Mord bzw. Totschlag
gemäß §§ 211f. StGB – jeweils Verbrechen iSd. § 12 I StGB – gegen sie beide
bevorsteht. Bushido war bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung auch bewusst,
dass jene Äußerung geeignet war, von den beiden Politikern ernst genommen
zu werden, der Tatbestand ist mithin erfüllt.
Zuletzt stellt sich noch die Frage, inwieweit Wangerin und Meese den Tatbe-
stand des § 86a I Nr. 1, II StGB erfüllt haben.
Tathandlung des § 86a I Nr. 1, II StGB ist das inländische Verbreiten oder öf-
fentliche Verwenden von Kennzeichen einer der in § 86 I Nr. 1, 2 und 4 StGB
bezeichneten Parteien oder Vereinigungen. § 86a II StGB konkretisiert die
Kennzeichen des Absatzes 1.
Kennzeichen iSd. § 86a I Nr. 1, II StGB und damit taugliche Tatobjekte sind
bspw. das Hakenkreuz als Kennzeichen der NSDAP49 und der „Hitlergruß“ als
typische NS-Grußform50.
Verbreiten ist nicht jedwede Mitteilung oder Weitergabe des fraglichen Propa-
gandamittels an einen anderen, vielmehr bedarf es hierfür eines größeren, wenn
auch nicht zwingend unbestimmbar – jedoch für den Täter unkontrollierbar –
großen Personenkreises als Adressaten.51 Hierbei ist eine Übermittlung der
Substanz nach – das sogenannte „Körperlichkeits-Kriterium“52 – erforderlich.
49
BGHSt 29, 73 (83).
50
Fischer, StGB, § 86a Rn. 10.
51
NK-StGB-Paeffgen, § 86 Rn. 25.
52
NK-StGB-Paeffgen, § 86 Rn. 25.
10
Verwenden bedeutet dagegen jede Form des Gebrauchens, welche das Symbol
optisch oder akustisch wahrnehmbar macht.53
Sowohl Meese als auch Wangerin haben öffentlich ein Hakenkreuz durch ihre
Zurschaustellung auf der Bühne bzw. der Demonstration optisch wahrnehmbar
gemacht und damit verwendet. Für Meese gilt Selbiges hinsichtlich des „Hit-
lergrußes“ im Mannheimer Nationaltheater.
Der Tatbestand wurde – zumindest auf den ersten Blick56 – von beiden erfüllt.
IV. Zwischenergebnis
Somit ist bei T. und Bushido der Tatbestand der fraglichen Normen erfüllt,
auch bei Wangerin und Meese scheint dies vordergründig der Fall zu sein.
Als Ergebnis auf die erste Frage lässt sich somit festhalten, dass das Verhalten
der potentiellen Künstler T., Bushido, Wangerin und Meese – die Kunst außer
Acht gelassen – zunächst generell strafwürdig erscheint.
D. Juristische Kunst-Definition
53
Lackner/Kühl, § 86a Rn. 4; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, § 86a Rn. 8; BGHSt 23, 267 (267ff.);
OLG Frankfurt a.M. NStZ 1999, 356 (357); differenzierend NK-StGB-Paeffgen, § 86a Rn. 13.
54
NK-StGB-Paeffgen, § 86a Rn. 14; MüKo-StGB-Steinmetz, § 86a Rn. 2.
55
Fischer, StGB, § 86a Rn. 18.
56
Hinsichtlich der Tatbestandsbegrenzung siehe den Gliederungspunkt G. III. 1.
11
rechts.57 Der verfassungsrechtliche Kunstbegriff ginge ohnehin einem etwaigen
einfachgesetzlichen vor, die Anwendung jenes zweitgenannten wäre verfas-
sungswidrig.58 Maßgeblich ist somit das Kunstverständnis des Art. 5 III 1 GG.
„Was der Staat nicht definieren kann, das kann er auch nicht schützen.“63
Für die benötigte Definition kann nicht auf einen außerrechtlichen, normativen
Kunstbegriff zurückgegriffen werden, da es nicht das Ziel sein darf, Ästhetik
juristisch zu fundieren und auf diesem Wege andere Tendenzen, Methoden und
Inhalte auszunehmen.65 Generell gilt es bei Definitionsversuchen, auf alles
57
Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 39.
58
Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 39.
59
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 659.
60
BOK-GG, Stand: 01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn. 157.
61
Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 217; Raue, Literarischer Jugendschutz, S. 85; Hoff-
mann, NJW 1985, 237 (237f.).
62
Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 217.
63
Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, S. 35.
64
Dieses fordernd: MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 25; so auch: BOK-GG, Stand:
01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn. 157; idS. BGH NJW 1975, 1882 (1884).
65
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 299.
12
Qualitativ-Wertende zu verzichten, um – gerade auch im Hinblick auf die deut-
sche Vergangenheit – ein „staatliches Kunstrichtertum“ zu vermeiden.66
Des Weiteren gibt es den formalen Kunstbegriff, bei dem entscheidend ist, ob
das fragliche Kunstwerk einem bestimmten Werkstypus – wie Malerei, Bild-
hauerei, Dichtung etc. – zugeordnet werden kann.69
66
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 298.
67
BVerfGE 30, 173 (188f.).
68
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 660; so etwa: MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 24,
29; Scheuner in: Bitburger Gespräche 1977, 113 (126); Würtenberger in: FS-Dreher, 1977, 79
(89); Geiger in: FS-Leibholz, 1966, 187 (190f.).
69
BVerfGE 67, 213 (226f.); Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 660; MKS-Starck,
Art. 5 Abs. 3 Rn. 302; so vertreten von: Knies, Schranken der Kunstfreiheit, S. 219; Müller,
Freiheit der Kunst, S. 40ff.
70
BVerfGE 67, 213 (227).
13
Für „Kunst“ in juristischer Hinsicht genügt es, wenn zumindest eine der drei
genannten Definitionen erfüllt ist.71
Lediglich indizielle Wirkung kann bei der Frage nach der Kunst auch dem Kri-
terium der Drittanerkennung zukommen.72 Die subjektive Künstlersicht ist
dagegen kein geeignetes Kriterium, da ansonsten die im Grundgesetz vorgese-
hene Deutungshoheit des BVerfG auf den Grundrechtsberechtigten selbst über-
tragen würde73, zudem fordert der verfassungsrechtliche Kunstbegriff gerade
ein objektivierbares Kunstwerk74.
Das Niveau des Kunstwerkes spielt nie eine Rolle.75 In Zweifelsfällen ist die
Gewährleistung der Kunstfreiheit weit zu verstehen76, eine strikte verfassungs-
rechtliche Regel in dubio pro arte lässt sich daraus jedoch nicht herleiten.77
Wichtig ist hierbei, dass die Kunstfreiheit gerade auch „spezifische Anstößig-
keit und Provokation“78 schützt. Von mehreren möglichen Interpretationsmög-
lichkeiten ist – wenn möglich – diejenige zu wählen, in der eine Beeinträchti-
gung fremder Rechte nicht stattfindet.79 Das Anstreben eines religiösen, politi-
schen oder sonstigen Zwecks ändert nichts am Kunst-Charakter.80
71
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 302; Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 660.
72
BOK-GG, Stand: 01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn. 164; MD-GG-Scholz, Art. 5
Abs. 3 GG Rn. 26.
73
BOK-GG, Stand: 01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn. 164.
74
MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 26.
75
BVerfG NJW 1990, 1985 (1985); wortgleich: BVerfG NJW 2001, 596 (597); JP-GG-Jarass,
Art. 5 Rn. 106a; MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 39.
76
BVerfGE 119, 1 (23).
77
BOK-GG, Stand: 01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn. 163; MD-GG-Scholz, Art. 5
Abs. 3 GG Rn. 27.
78
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 666.
79
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 666.
80
BVerfGE 67, 213 (227f.).
14
IV. Grundrechtsträger, Werk- und Wirkbereich
Träger des Grundrechts der Kunstfreiheit ist derjenige Mensch, der Kunst
schafft, nicht jedoch das lediglich rezipierende Publikum.81
Generell anerkannt ist, dass bei der Kunstschaffung sowohl der Werkbereich82,
d.h. die Herstellung des Kunstwerkes, als auch der Wirkbereich83, d.h. die
Vermittlung der Kunst an Dritte, umfasst und über die Kunstfreiheit geschützt
wird.84
Prinzipiell gilt diese schrankenlos, sie wird weder durch Art. 5 II GG noch
durch Art. 2 I GG begrenzt.85 Allerdings kann dennoch eine Beschränkung
selbiger durch andere verfassungsrechtlich geschützte Werte – sogenanntes
kollidierendes Verfassungsrecht – erforderlich werden.86 In diesen Fällen ist
unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zwischen Kunstfreiheit
und den durch die Kunst beeinträchtigten Grundrechten abzuwägen.87 Das
BVerfG fordert,
81
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 323.
82
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 307; Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 111ff.
83
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 310; Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 115ff.
84
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 663; JP-GG-Jarass, Art. 5 Rn. 107.
85
JP-GG-Jarass, Art. 5 Rn. 113; BVerfGE 30, 173 (191ff.); MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3
Rn. 328.
86
JP-GG-Jarass, Art. 5 Rn. 113; BVerfGE 67, 213 (228).
87
BVerfGE 83, 130 (143).
88
BVerfGE 77, 240 (254).
15
Der Schutz der Menschenwürde hat stets Vorrang vor der Kunstfreiheit, hier
bedarf es keiner Abwägung.89 Aber auch eine schwere Beeinträchtigung des
allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie fremden Eigentums ist unzulässig.90
Strafgesetze haben in diesem Rahmen die Eignung, derartige Einschränkungen
der Kunstfreiheit zu normieren.91
Art. 5 III 1 GG ist lex specialis zu Art. 5 I GG, somit ist die Kunstfreiheit im
Hinblick auf ihr Verhältnis zur Meinungsfreiheit spezieller und damit vorran-
gig.92 Kunst, die etwas zur politischen Meinungsbildung beitragen will, steht
daher allein unter dem Schutz des Art. 5 III 1 GG.93
„Je weiter der Kunstbegriff gefaßt wird, desto weniger lassen sich auch solche
Erscheinungsformen [gemeint ist harte Pornographie] aus dem Kunstbereich
ausschließen.“95 Die „Anerkennung von Überschneidungsmöglichkeiten wird
auch dem vielschichtigen und nuancenreichen Spannungsverhältnis zwischen
der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit einerseits und den hinter den
Straftatbeständen [vorliegend bezogen auf § 184 StGB] […] stehenden Wert-
prinzipien […] besser gerecht als die starre Entweder-Oder-Betrachtung der
Exklusivitätstheorie“96.
89
Generell für alle Grundrechte: MD-GG-Herdegen, Art. 1 Abs. 1 GG Rn. 73.
90
JP-GG-Jarass, Art. 5 Rn. 117.
91
MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 54; So auch: Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie,
S. 163.
92
BVerfGE 30, 173 (191f.); BOK-GG, Stand: 01.11.2013, Edition: 20, Kempen, Art. 5 Rn.
201; MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 50.
93
MD-GG-Scholz, Art. 5 Abs. 3 GG Rn. 34.
94
So etwa: Gössel, BT 1, § 28 Rn. 35; zweifelnd: Leiss, NJW 1962, 2323 (2324f.); a.A.:
BGHSt 37, 55 (57ff.).
95
BGHSt 37, 55 (61).
96
BGHSt 37, 55 (60).
16
Gerade im Hinblick auf eine möglichst weit zu verstehende Kunstfreiheit (s.o.)
wäre eine solche Einengung des Kunstbegriffs nicht sachgerecht und wenig
flexibel.
VI. Zwischenergebnis
97
Wangerin brachte nach dem Druckvorgang händisch den Schriftzug „Athen 2012“ auf dem
Druck an.
98
Als Nachweise des jeweils anerkannten Werkstypus siehe für „Performance“: Hartmann,
Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann, http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexi
kon_6849.html [Stand: 23.04.2014 um 10:35 Uhr]; für „Abdruck“: Hartmann, Das grosse
Kunstlexikon von P.W. Hartmann, http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_15.html
[Stand: 23.04.2014 um 10:37 Uhr]; für „Sprechgesang“: Flotzinger, Oesterreichisches Musik-
lexikon ONLINE, http://www.musiklexikon.ac.at/ml?frames=yes, Suche: „Sprechgesang“
[Stand: 23.04.2014 um 10:40 Uhr]; für „Graffito“: Hartmann, Das grosse Kunstlexikon von
17
Nach dem formalen Kunstbegriff liegt somit stets „Kunst“ vor, da sich jede der
fraglichen Handlungen einem anerkannten Werkstypus zurechnen lässt. Ob der
materiale und der offene Kunstbegriff ebenfalls erfüllt sind, kann dahinstehen.
Völlig unabhängig von jeder strafrechtlichen Bewertung ist mithin als Antwort
auf die zweite Frage das jeweilige Verhalten bzw. Schaffen von T., Bushido,
Wangerin und Meese als Kunst zu betrachten.
Vor einer eingehenderen Beleuchtung jener Fälle von Kunst und ihrer
Straf(un)würdigkeit soll zunächst untersucht werden, inwieweit Grundrechte
allgemein und die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG im Besonderen als Strafbe-
freiungsgründe fungieren können.99
Generell ist festzuhalten, dass die Grundrechte aufgrund des sich aus
Art. 1 III, 20 III GG ergebenden Vorrangs der Verfassung100 alle einfachge-
setzlichen Normen beeinflussen.101 Durch die Einrichtung einer starken Ver-
fassungsgerichtsbarkeit kann jener Vorrang allgemein – insbesondere durch
das Instrumentarium der Verfassungsbeschwerde als außerordentlichem
Rechtsbehelf – durchgesetzt werden.102 Die Charakterisierung der Grundrechte
als unmittelbar geltendes Recht ergibt zudem einen Anwendungs- und Durch-
setzungszwang für Gesetzgebung und Gerichte, kein Grundrecht darf zum blo-
ßen Programmsatz relativiert werden.103 Aus der Abwehrfunktion der Grund-
18
rechte als Rechte des status negativus104 lässt sich zudem ein Unterlassungsan-
spruch bzw. im Falle eines schon geschehenen, verfassungsrechtlich nicht ge-
rechtfertigten Eingriffs ein Beseitigungsanspruch gegen den Staat herleiten.105
Jene grundrechtliche Funktion als Abwehrrecht ist zugleich in strafrechtlicher
Hinsicht die einzig relevante.106
Bei der Frage nach den Voraussetzungen der Strafbefreiung durch Grundrechte
iRv. strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen geht es letztlich um Reichweite
und Methode einer verfassungskonformen Strafrechtsanwendung.109 Hierbei
werden strafrechtsimmanente Wege ebenso wie eine unmittelbare Anwendung
der Grundrechte als selbstständige Rechtfertigungsgründe diskutiert.
Bei der Analyse jener Wege soll stets zunächst die generelle Eignung des je-
weils fraglichen Vorschlages erörtert und im Anschluss dessen konkrete Prak-
tikabilität hinsichtlich der Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG untersucht werden.
I. Strafrechtsimmanente Lösungen
104
Zum Begriff des „Abwehrrechts“: Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 76; Valerius, JuS
2007, 1105 (1106).
105
MKS-Starck, Art. 5 Abs. 3 Rn. 182f.
106
Beisel, Die Kunstfreiheitsgarantie, S. 39.
107
Rengier, AT, § 3 Rn. 5.
108
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (645).
109
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (646).
110
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (649); zum Vorrang des einfachgesetzlichen Rechtferti-
gungsgrundes: Valerius, JuS 2007, 1105 (1108); LK-StGB-Rönnau, Vor § 32 Rn. 139.
111
Böse, ZStW 113 (2001), 40 (42).
19
ebenfalls für ausschließlich strafrechtsimmanente Lösungen ausspricht, der
Gehalt eines Grundrechts für die Einordnung als eigener Rechtfertigungsgrund
zu unbestimmt, weshalb die Rechtfertigungswirkung der Grundrechte nur mit-
telbar über die „Auslegung normativer Gesetzesmerkmale des Tatbestandes
oder der Rechtfertigungsgründe“112 erfolgen könne.
1. Tatbestandsebene
112
Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 36f. mwN.
113
So etwa: Rengier, AT, § 17 Rn. 1.
114
So etwa: Böse, ZStW 113 (2001), 40 (42); Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht,
S. 36f.; krit.: Valerius, JuS 2007, 1105 (1108); Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam, S. 182 mwN.
115
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (649); so etwa: Sch/Sch-Eser/Hecker, Vorbem. § 1 Rn. 33.
20
kein Platz für eine verfassungskonforme Auslegung ist.116 In diesem Fall bliebe
demnach nur die Vorlage zum BVerfG nach Art. 100 I GG.117
Insgesamt führt der alleinige Weg über den Tatbestand zu einer teils doch gro-
ßen Unflexibilität. Je nachdem, ob ein Tatbestand der Auslegung zugänglich ist
oder nicht, kann ein – mal mehr, mal weniger – grundrechtsfreundliches Er-
gebnis erreicht werden. Gerade in Anbetracht der überragenden Bedeutung der
Grundrechte sollte letztendlich ein „zuverlässigeres Werkzeug“ zu deren Ver-
wirklichung gefunden werden. Auch die Abhängigkeit von Normierungskunst
und -Willen des Gesetzgebers118 erscheint höchst unbefriedigend.
Zu beachten ist, dass die eben getätigten Erwägungen nur im Falle fehlender
gesetzlicher Normierung gelten. Wenn nach dem Gesetzeswortlaut eine Tatbe-
standsreduktion aufgrund eines Grundrechts – etwa der Kunstfreiheit119 –
zwingend durchzuführen ist, so darf jener Wortlaut nicht übergangen werden.
116
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (649); Verweis auf: Simon, EuGRZ 1974, 85 (85).
117
So vertreten von: Sch/Sch-Eser/Hecker, Vorbem. § 1 Rn. 33.
118
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (650).
119
Beispielhaft hierfür siehe den Meinungsstreit hinsichtlich der „Sozialadäquanzklausel“ des
§ 86 III StGB iRd. Gliederungspunktes G. III. 4.
120
Roxin, AT I, § 18 Rn. 50.
121
So argumentierend: Roxin, AT I, § 18 Rn. 50.
21
und Serkan Tören Ängste um deren Leben auslösen. Die „deliktsspezifischen
objektiven Tatbestandsmerkmale“122 sind jeweils erfüllt.
(2) Zwischenergebnis
Eine bessere Eignung könnte sich daher iRd. über den einzelnen Deliktstypus
hinausgehenden Rechtfertigungsgründe finden.123 Die hierbei zwischen der
Kunstfreiheit und den durch die Strafnormen geschützten Rechtsgütern auftre-
tende Konfliktlage ist für einen Rechtfertigungsgrund – da jenen regelmäßig
Wertekollisionen zugrunde liegen – typisch.124
2. Rechtswidrigkeitsebene
Die Funktion der Rechtswidrigkeit ist es, ein Unwerturteil über die Tat zu fäl-
len.125 Genau darum geht es vorliegend: Die Überprüfung tatbestandlicher
Handlungen auf deren „Unwert“. Auch das den Grundrechten zugrunde liegen-
de Güter- und Interessenabwägungsprinzip wäre in der Rechtswidrigkeit struk-
turell gut integrierbar.126
122
Rengier, AT, § 12 Rn. 6.
123
So Roxin, AT I, § 18 Rn. 50.
124
Roxin, AT I, § 18 Rn. 50.
125
Rengier, AT, § 17 Rn. 1.
126
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (650).
22
(1) Verfassungskonforme Auslegung
Hierbei käme eine Strafbefreiung durch die mittelbare Anwendung der Grund-
rechte auf der – im Vergleich zur Tatbestandsebene weniger formalisierten –
ebenfalls einfachgesetzlichen Rechtswidrigkeitsebene infrage.127
§ 193 StGB ist eine der Ausprägungen des Grundrechts der Meinungsfreiheit
schlechthin.131 Daher könnte es tatsächlich naheliegen, das Grundrecht der
Kunstfreiheit ebenfalls stets iRd. § 193 StGB analog zu berücksichtigen.
127
So etwa: LK-StGB-Rönnau, Vor § 32 Rn. 138; Sch/Sch-Eser/Hecker, Vorbem. § 1 Rn. 33.
128
So etwa: Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 9f.; Noll, ZStW 77 (1965), 1
(31ff.); Tiedemann, JZ 1969, 717 (721); a.A.: RGSt 74, 257 (261); OLG Stuttgart NStZ 1987,
121 (122); Lenckner, JuS 1988, 349 (351ff.); Tenckhoff, JuS 1989, 198 (198ff.); Fischer, StGB,
§193 Rn. 4; Lackner/Kühl, § 193 Rn. 2; NK-StGB-Zaczyk, § 193 Rn. 12.
129
NK-StGB-Kett-Straub, § 49 Rn. 23.
130
Noll, ZStW 77 (1965), 1 (32).
131
Lackner/Kühl, § 193 Rn. 1; SSW-StGB-Sinn, § 193 Rn. 3.
23
Allerdings fehlt es hierfür an einer für die Analogie notwendigen, planwidrigen
Regelungslücke: § 193 StGB stellt einen speziell auf die §§ 185ff. StGB zuge-
schnittenen Rechtfertigungsgrund dar und ist somit hinsichtlich sonstiger De-
likte nicht analogiefähig.132 Hierfür spricht auch die systematische Stellung des
§ 193 StGB direkt im Anschluss an die Beleidigungsdelikte. Somit stellt sich in
den Fällen außerhalb der §§ 185ff. StGB schon gar nicht die Frage, inwieweit
§ 193 StGB auch für die Kunstfreiheit Anwendung finden kann, da eine Ana-
logie hinsichtlich sonstiger Strafgesetznormen schon nicht möglich ist. Zudem
bleibt auf diesem Wege das Werteverhältnis der widerstreitenden Interessen
unbeantwortet133, eine umfassende Güter- und Interessenabwägung kann auch
nicht auf die Wahrnehmung berechtigter Interessen reduziert werden.134
Insgesamt bietet jene Lösung daher mehr Ungereimtheiten denn einen tatsäch-
lich gangbaren Weg, den Grundrechten iRd. Strafrechts zur Geltung zu verhel-
fen.
Nach anderer Ansicht könne dies mithilfe des rechtfertigenden Notstandes ge-
mäß § 34 StGB gelingen.135 Insbesondere die fehlende Bestimmtheit der
Grundrechte (s.o.) und die daraus resultierende Ungeeignetheit zur Einzelfall-
lösung136 sowie der vom Grundsatz der Güterabwägung geprägte Charakter
des rechtfertigenden Notstandes137 sprächen für eine derartige Verortung des
Grundrechtseinflusses. Auch wird angeführt, dass jedes strafrechtlich geschütz-
te Rechtsgut zunächst einmal notstandsfähig sei138 und somit iRd. grundrechtli-
132
Roxin, AT I, § 18 Rn. 39; So auch: NK-StGB-Zaczyk, § 193 Rn. 12; SSW-StGB-Sinn, § 193
Rn. 6; Sch/Sch-Lenckner/Eisele, § 193 Rn. 3; LK-StGB-Hilgendorf, § 193 Rn. 11; differenzie-
rend: MüKo-StGB-Joecks, § 193 Rn. 8ff.; OLG Düsseldorf NJW 2006, 630 (631); OLG Stutt-
gart NStZ 1987, 121 (122).
133
Eser, Wahrnehmung berechtigter Interessen, S. 24f.
134
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (651).
135
Böse, ZStW 113 (2001), 40 (46ff.); Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 37.
136
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (652).
137
Lenckner, GA 1985, 295 (296).
138
Böse, ZStW 113 (2001), 40 (47); Küper, JuS 1987, 81 (82).
24
chen Kollisionslagen ähnlichen Güter- und Interessenabwägung berücksichtigt
werden könnte.139
Insgesamt ist dieser Ansatz daher abzulehnen, gerade das zu geringe Schutzni-
veau des Einzelnen auf der einen und die „Umgehung“ der Wertordnung des
BVerfG auf der anderen Seite sind nicht akzeptabel.
c. „Prozessualer“ Lösungsweg
139
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (652) mit Verweis auf: Laker, Ziviler Ungehorsam,
S. 233, 235.
140
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (653); LK-Zieschang, § 34 Rn. 53; zur „Quantität“: Berg-
mann, JuS 1989, 109 (111).
141
Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, Rn. 299.
142
So Böse, ZStW 113 (2001), 40 (58f.) mit Verweis auf: Roxin in: FS-Maihofer, 1988,
S. 405.
25
sei. „Das verfassungsrechtliche Übermaßverbot gestatte […] prinzipiell beide
Lösungen.“143
Im Hinblick auf jene Argumentation könnte man auch durch eine Begrenzung
oder Auflockerung des strafprozessualen Verfolgungszwangs144 der Grund-
rechtsverwirklichung Genüge tun. Konkret wäre hierbei an eine Ermessens-
reduzierung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Einstellung des Verfahrens
zu denken.145 Jene Lösung wäre ein etwaiger partieller Nichtvollzug hinsicht-
lich der Strafbewehrung aus Verhältnismäßigkeitserwägungen.146 So sieht etwa
Böse die „Möglichkeit zu einer (verfassungskonformen) Nicht-Anwendung“
der fraglichen Strafvorschrift, wenn „selbst eine milde Bestrafung verfas-
sungswidrig“ wäre.147
Allerdings wird hierbei außer Acht gelassen, dass der Betroffene in solchen
Fällen nicht nur einen Anspruch auf eine Begrenzung des Verfolgungszwangs
hat, sondern er schon auf materiell-rechtlicher Ebene straffrei zu stellen ist.148
Zudem kann ein eingestelltes Verfahren unter Umständen – etwa im Falle des
§ 153 I StPO bei Vorliegen eines „sachlich einleuchtenden Grundes“149 – wie-
deraufgenommen werden.150
143
BVerfGE 90, 145 (191) mit Verweis auf: BVerfGE 50, 205 (213ff.).
144
So etwa: Weiß, JR 1994, 490 (492).
145
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (655).
146
Appel, Verfassung und Strafe, S. 181.
147
Böse, ZStW 113 (2001), 40 (68).
148
So argumentativ Sax in: Bettermann, Nipperdey, Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte,
S. 932f.
149
KK-StPO-Diemer, § 153 Rn. 26.
150
Schmidt, ZStW 121 (2009), 645 (656).
26
(b) Praktikabilität der Vorgehensweisen hinsichtlich der Kunst-
freiheit des Art. 5 III 1 GG
Für eine analoge Anwendung des § 193 StGB iRd. Kunstfreiheit könnte spre-
chen, dass es sich sowohl bei der Kunst- als auch bei der Meinungsfreiheit um
Grundrechte des Art. 5 GG handelt und diese in einem engen Zusammenhang
stehen.151 Allerdings lässt sich alleine hierdurch noch keine Analogie begrün-
den (s.o.). Auch die grundrechtskonforme Anwendung des § 34 StGB sowie
die „prozessuale“ Lösung scheitern hinsichtlich der Kunstfreiheit aus schon
getätigten Erwägungen (s.o.), kunstspezifische Besonderheiten sind diesbezüg-
lich nicht ersichtlich.
(2) Zwischenergebnis
151
MD-GG-Grabenwarter, Art. 5 GG Rn. 1.
152
So etwa: Hassemer in: FS-Wassermann, 1985, S. 332; Reichert-Hammer, Politische Fern-
ziele und Unrecht, S. 120f.; Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam, S. 191ff.; Kühl, AT, § 9
Rn. 112ff.; Eilsberger, JuS 1970, 321 (325); Lackner/Kühl, Vor § 32 Rn. 28; Kühl, AT, § 9
Rn. 114; Valerius, JuS 2007, 1105 (1108); Laker, Ziviler Ungehorsam, S. 237f.; Bopp, Der
27
1. Generelle Eignung
Insbesondere die Einheit der Rechtsordnung wird argumentativ für eine solche
Vorgehensweise angeführt, grundrechtlich Erlaubtes könne keine Strafbarkeit
nach sich ziehen.153 Eine selbstständige Rechtfertigung greife nach dieser An-
sicht immer dann ein, wenn die strafrechtlich relevante Verhaltensweise in den
Schutzbereich eines Grundrechts fällt und sich innerhalb der jeweiligen Grund-
rechtsschranken bewegt.154
Gewissenstäter, S. 239f.; Dose, DRiZ 1969, 75 (75); Schmidt, Grundrechte als verfassungsun-
mittelbare Strafbefreiungsgründe, S. 136ff.; für die Rspr.: LG Dortmund NStZ-RR 1998, 139
(141); OLG Jena NJW 2006, 1892 (1892f.).
153
Hassemer in: FS-Wassermann, 1985, S. 332; argumentativ ähnlich: Hirsch, Strafrecht und
Überzeugungstäter, S. 15 insbes. Fn. 36; Stratenwerth/Kuhlen, AT, § 10 Rn. 118; gegen die
Herleitung der Rechtfertigungswirkung aus dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung: Rei-
chert-Hammer, Politische Fernziele und Unrecht, S. 121.
154
Laker, Ziviler Ungehorsam, S. 237; hierzu ähnlich, jedoch etwas detaillierter: Roxin, AT I,
§ 18 Rn. 51ff. iRd. Gliederungspunktes F. II. 3. (1).
155
Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 36; Böse, ZStW 113 (2001), 40 (42).
156
Sch/Sch-Eser/Hecker, Vorbem. § 1 Rn. 33; speziell hinsichtlich des Gesetzgebers: Böse,
ZStW 113 (2001), 40 (42f.).
157
LK-StGB-Rönnau, Vor § 32 Rn. 139; Valerius, JuS 2007, 1105 (1108); so auch: Kühl, AT,
§ 9 Rn. 112; siehe hinsichtlich der gewohnheitsrechtlichen Einwilligung: Kühl, AT, § 9 Rn. 20.
28
dabei allerdings um die Verfassungswidrigkeit des Tatbestandes geht. Die Fra-
ge nach der einzelfallbezogenen Rechtfertigung ist dagegen hiervon unabhän-
gig.158 Zudem ist es obligatorisch für den Rechtsanwender, die Tragweite und
Bedeutung der Grundrechte bei seiner Entscheidungsfindung – gerade wenn
keine ausdrücklich geregelten Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen – zu
beachten.159
3. Zwischenergebnis
Grundrechte – also auch die Kunstfreiheit des Art. 5 III 1 GG – eignen sich als
selbstständige Rechtfertigungsgründe, ihnen kann somit unter Umständen un-
mittelbar strafbefreiende Wirkung zukommen.
158
LK-StGB-Rönnau, Vor § 32 Rn. 139.
159
LK-StGB-Rönnau, Vor § 32 Rn. 139.
160
SSB-VwGO-Wahl/Schütz, § 42 Abs. 2 Rn. 56.
161
So Roxin, AT I, § 18 Rn. 50.
29
(1) Voraussetzungen von Art. 5 III 1 GG als selbstständigem
Rechtfertigungsgrund
(c) Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und den durch die Kunst
beeinträchtigten Grundrechten
In einem letzten Schritt muss eine – nach den allgemeinen Regeln der Güter-
abwägung vorgenommene – Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter
„Kunstfreiheit“ und „strafrechtliches Schutzgut“ durchgeführt werden.166 Fällt
diese zulasten der Kunstfreiheit aus, so ist der Künstler strafbar, eine Rechtfer-
tigung durch die Kunstfreiheit ist in diesem Fall fehlgeschlagen.
162
Roxin, AT I, § 18 Rn. 51ff.
163
Roxin, AT I, § 18 Rn. 51.
164
Siehe hierfür den Gliederungspunkt D.
165
Roxin, AT I, § 18 Rn. 52.
166
Roxin, AT I, § 18 Rn. 53.
30
(2) Zwischenergebnis
Hierfür sollen die gefällten Urteile bzw. die Nichteröffnung des Verfahrens
gegen Bushido analysiert und nicht urteilsrelevante, jedoch hinsichtlich der
Kunstfreiheit bemerkenswerte Auswirkungen selbiger auf die einschlägigen
Tatbestände dargestellt werden.
Zunächst stellt sich die Frage nach der Strafwürdigkeit T.s. § 303 StGB ist
„kunstneutral“ formuliert, eine Rechtfertigung der Graffiti-Kunst ließe sich
daher (s.o.) nur unmittelbar aus der Kunstfreiheit herleiten.
31
1. AG Augsburg: Keine Rechtfertigung durch die Kunst-
freiheit
In der Presse wurde nichts darüber berichtet, dass die Kunstfreiheit vor Gericht
eine Rolle gespielt hätte. Der Richter habe es jedoch als „selbstherrlich“ be-
zeichnet, sich anzumaßen, „zu bestimmen, wie die Welt schöner zu machen“
sei.167 Von kunstspezifischen Rechtfertigungserwägungen des AG Augsburg
also keine Spur.
T.s „Augsburg-Blumen“ sind zwar Kunst (s.o.), was jedoch ihren Urheber zu
Recht nicht vor Strafe schützen kann.
Nach der Feststellung der tatsächlichen Strafbarkeit von T. stellt sich selbige
Frage auch für den Rapper Bushido.
167
Heinzle, Gnade für die Augsburgblume (19. 10. 2012, 14:10 Uhr), http://www.augsburger-
allgemeine.de/bayern/Gnade-fuer-die-Augsburgblume-id21982136.html [Stand: 30.04.2014
um 18:15 Uhr].
168
Sch/Sch-Stree/Hecker, § 303 Rn. 10; Lackner/Kühl, § 303 Rn. 9; MüKo-StGB-Wieck-
Noodt, § 303 Rn. 64; BVerfG NJW 1984, 1293 (1294); ausnahmsweise Rechtfertigung: Fi-
scher, Die strafrechtliche Beurteilung von Werken der Kunst, S. 171ff.
169
Fischer, StGB, § 303 Rn. 20.
32
Die Erfüllung der Tatbestände der §§ 185 Var. 1, 241 I StGB wurde bereits be-
jaht, das AG Berlin-Tiergarten lehnte jedoch hinsichtlich des § 241 I StGB die
Eröffnung des Hauptverfahrens ab (s.o.). Hinsichtlich des § 185 Var. 1 StGB
wurde von Kay One kein Strafantrag gestellt170, was die Verfolgung des abso-
luten Antragsdelikts171 unmöglich machte. Dennoch soll auch jener zweite Fall
juristisch beleuchtet werden.
Hinsichtlich des § 185 Var. 1 StGB kommt neben einer Rechtfertigung aus
§ 193 StGB als ausdrücklich normierter, besonderer Rechtfertigungsgrund für
die §§ 185ff. StGB172 überdies auch eine – davon unabhängige – Rechtferti-
gung unmittelbar aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit in Betracht.173
Bushido bezeichnet Kay One als „Bastard“. Dies stellt einzig und allein eine
Diffamierung und Herabwürdigung seines Gegenübers dar. Auch der „künstle-
rische“ Kontext vermag hieran nichts zu ändern, dem allgemeinen Persönlich-
keitsrecht Kay Ones ist in jedem Fall und zweifellos der Vorrang vor der
170
Zumindest wurde diesbezüglich nichts in der Presse berichtetet.
171
Sch/Sch-Lenckner/Eisele, § 194 Rn. 1ff.
172
Lackner/Kühl, § 193 Rn. 4.
173
Lackner/Kühl, § 193 Rn. 14.
174
Lackner/Kühl, § 193 Rn. 14f.
175
BVerfGE 75, 369 (380); Sch/Sch-Lenckner/Eisele, § 193 Rn. 19.
33
Kunstfreiheit des Rappers Bushido zu gewähren. Bushido kann sich somit nicht
auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen.
Hätte Kay One einen Strafantrag gemäß § 194 I 1 StGB gestellt, so wäre
Bushido vermutlich – zu Recht – wegen § 185 Var. 1 StGB verurteilt worden.
Die Kunst kann in einem solchen Fall rüder Beleidigung nicht vor Strafe schüt-
zen.
3. § 241 StGB
Hinsichtlich des § 241 StGB kann sich eine Rechtfertigung mangels anderwei-
tiger ausdrücklicher Normierung nur aus dem Grundrecht des Art. 5 III 1 GG
als eigenständigem Rechtfertigungsgrund ergeben.
Der Schutzbereich der Kunstfreiheit ist vorliegend eröffnet (s.o.). Auch besitzt
§ 241 StGB, welcher als Rechtsgut das Gefühl der Rechtssicherheit des Einzel-
nen176 schützt, wie die meisten Strafnormen (s.o.) die Qualität, die Kunstfrei-
heit einzuschränken.
176
Lackner/Kühl, § 241 Rn. 1.
34
Fraglich ist nun, ob von einem Überwiegen der Kunstfreiheit Bushidos gegen-
über dem Gefühl der Rechtssicherheit von Claudia Roth und Serkan Tören
auszugehen ist. Das AG Berlin-Tiergarten bejahte dies, schätzte also die Kunst-
freiheit iRd. Güterabwägung höher ein als das Rechtssicherheitsgefühl der bei-
den Politiker.
Der Ansicht des AG ist nicht zu folgen: Roth und Tören müssen schon auf-
grund ihres Berufs als Politiker oft „mit harten Bandagen kämpfen“, sind also
mit einer solchen Situation in der Regel eher vertraut als ein „Normal-Bürger“.
Im Vergleich zu diesen ist auch iRd. allgemeinen Persönlichkeitsrechts aner-
kannt, dass Politiker als Personen des öffentlichen Lebens – hinsichtlich ihrer
Sozialsphäre – einen geringeren Schutz genießen.177
Bushido wäre nach hier vertretener Ansicht daher auch in diesem Fall strafbar,
die Entscheidung des AG, das Verfahren nicht zu eröffnen, fehlerhaft.
Wie angedeutet178 könnte in den Fällen Wangerin und Meese aus folgenden
Gründen schon die Tatbestandserfüllung entfallen.
Angesichts der enormen Weite des Tatbestandes des § 86a I Nr. 1, II StGB sind
nach ständiger Rechtsprechung Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm
177
Palandt-Sprau, § 823 Rn. 96.
178
Siehe die Gliederungspunkte: C. Einleitung, C. III. sowie C. IV.
35
erkennbar nicht zuwiderlaufen, tatbestandslos.179 Dies ist insbesondere dann
der Fall, wenn eine Wirkung in einer dem Symbolgehalt des Kennzeichens
entsprechenden Richtung auf andere ausgeschlossen ist.180
Fallgruppen sind hierbei die ironische oder satirische Verwendung und seit
Neuerem der erkennbare Ausdruck einer Gegnerschaft zu entsprechenden Or-
ganisationszielen.181
„Auf Grund dessen, dass sich der Angekl. beispielsweise mit einem Einhorn vor
Hakenkreuzen stehend fotografieren lässt und dieses Bild zusammen mit dem
den Hitlergruß zeigenden Bild auf seiner Internetseite eingestellt hat, lässt dies
auch den Schluss zu, dass der Angekl. sich gerade nicht mit den Kennzeichen
identifiziert, sondern diese verspottet. Es handelt sich dabei um das Kunstmittel
der Satire, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass durch Spott, Ironie oder
Übertreibung bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände
lächerlich gemacht werden; sie vermittelt ein Zerrbild der Wirklichkeit.“183
179
Fischer, StGB, § 86a Rn. 18; NK-StGB-Paeffgen, § 86a Rn. 14; so etwa: BayObLG NStZ
2003, 89 (90); OLG Köln NStZ 1984, 508 (508).
180
MüKo-StGB-Steinmetz, § 86a Rn. 23.
181
So Fischer, StGB, § 86a Rn. 18a; zur ironischen Verwendung: BVerfG NJW 2006, 3052
(3053); hinsichtlich der erkennbaren Gegnerschaft: BGHSt 51, 244 (246ff.); diesem zustim-
mend: Kaspar, JR 2008, 70 (70ff.).
182
So zum Fall der offensichtlichen Gegnerschaft: Kaspar, JR 2008, 70 (71).
183
AG Kassel NJW 2014, 801 (802).
36
Das AG Kassel bejahte aufgrund der Fallgruppe der ironisch-satirischen Ver-
wendung daher die Tatbestandslosigkeit und sprach den Künstler folgerichtig
frei.
Der Begründung des AG Kassel ist nicht viel hinzuzufügen. Viel ironischer als
mit Einhörnern und Aliens ist eine Verwendung des Hakenkreuzes kaum vor-
stellbar, die Subsumtion des Gerichts, verbunden mit dem anschließenden Frei-
spruch, war aus diesem Grunde zwingend.
Die Kunst stellt Meese insofern straffrei, als dass sie sein Anlass war, „Ironie
bzw. Satire mit Hakenkreuz und Hitlergruß“ zu verwenden. Eine solche Form
der Ironie bzw. Satire scheint nur iRd. Kunst möglich, sodass die Kunst, wenn
auch nicht direkt strafbefreiend, so doch als notwendige Voraussetzung und
damit mittelbar für den Freispruch Meeses ausschlaggebend war.
184
Siehe Datei „Urteil_Wangerin_AG“, S. 5f. auf CD-ROM.
185
Siehe Datei „Urteil_Wangerin_LG“, S. 12 auf CD-ROM.
37
„Hinweise auf das Darbieten einer Karikatur oder Satire“, sondern trugen den
„Stempel einer politischen Aussage“.186
Der Tatbestand hätte somit mit guten Argumenten von den Gerichten auch
verneint werden können.
Die Kunst würde in diesem Fall – ähnlich wie bei Meese – dann dergestalt eine
Rolle spielen, als dass Wangerin seine Gegnerschaft zur Nazi-Ideologie in
186
Siehe Datei „Urteil_Wangerin_LG“, S. 13 auf CD-ROM, dogmatisch unsauber vom Gericht
iRd. „Sozialadäquanzklausel“ gem. §§ 86a III, 86 III StGB geprüft.
187
Bildnachweis unter: Rost, 3000 Euro Strafe für Merkel-Plakat mit Hakenkreuz (21.03.2013,
17:14 Uhr), http://www.sueddeutsche.de/muenchen/demonstrant-muss-zahlen-merkel-plakat-
mit-hakenkreuz-kostet-euro-1.1630559 [Stand: 24.04.2014 um 14:00 Uhr].
38
künstlerischer Form zum Ausdruck gebracht hat. Die Kunst ist nach hier ver-
tretener Ansicht „Transportmittel“ der offensichtlichen Gegnerschaft und
müsste auf diesem Wege – mittelbar und schon auf Tatbestandsebene – zur
Straflosigkeit führen.
Nach hier vertretener Ansicht hätte somit aus dargelegten Gründen Wangerin
freigesprochen werden müssen, der Freispruch und die Verfahrenseinstellung
für Meese sind jeweils nicht zu beanstanden.
3. Zwischenergebnis
188
Zur Begrifflichkeit der „Sozialadäquanzklausel“ siehe etwa: Lackner/Kühl, § 86 Rn. 8.
39
(1) Tatbestandsausschluss
Begründet wird dies vor allem mit dem Wortlaut „Absatz 1 gilt nicht“ des
§ 86 III StGB.191
(2) Rechtfertigungsgrund
Nach a.A. stellen §§ 86a III, 86 III StGB einen Rechtfertigungsgrund dar.195
189
BOK-StGB, Stand: 22.07.2013, Edition: 23, Ellbogen, § 86 Rn. 15.
190
So etwa: Lackner/Kühl, § 86 Rn. 8; BOK-StGB, Stand: 22.07.2013, Edition: 23, Ellbogen,
§ 86 Rn. 15; MüKo-StGB-Steinmetz, § 86 Rn. 37; Sch/Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 17;
differenzierend: NK-StGB-Paeffgen, § 86 Rn. 38ff.
191
MüKo-StGB-Steinmetz, § 86 Rn. 37; Lackner/Kühl, § 86 Rn. 8.
192
BGH NJW 1970, 818 (818); zur Sozialadäquanz siehe auch: BGHSt 19, 152 (154).
193
Lüttger, GA 1960, 129 (144).
194
Aus diesem Grund krit. hinsichtlich eines Tatbestandsausschlusses: Fischer, StGB, § 86
Rn. 17.
40
Laut Welzel soll dies „trotz mißverständlicher Gesetzesfassung“196 gelten,
Greiser merkt zudem an, dass eine Behandlung als Rechtfertigungsgrund am
besten dem Charakter der §§ 86, 86a StGB als abstrakte Gefährdungsdelikte
entspräche.197 Zweitgenannter empfiehlt auch, den
Auch wenn jene Argumente nicht von der Hand zu weisen sind, so spricht doch
der Wortlaut des Gesetzes, welcher die „äußerste Grenze extensiver zulässiger
Interpretation“199 ist, letztendlich für eine Verortung im Tatbestand.
(3) Zwischenergebnis
Somit ist §§ 86a III, 86 III StGB trotz einiger Bedenken in systematischer Hin-
sicht letztendlich doch als Tatbestandsausschluss und nicht als Rechtferti-
gungsgrund zu qualifizieren.
IV. Zwischenergebnis
Die Auswirkungen der Kunstfreiheit sind somit mannigfaltiger Natur und auf
Tatbestands- und Rechtswidrigkeitsebene zu berücksichtigen. Nach hier vertre-
tener Ansicht und als konkrete Antwort auf die vierte Frage ist T. tatsächlich
strafwürdig, hinsichtlich Bushidos Bedrohung war die Entscheidung des AG
Berlin-Tiergarten, die Hauptverhandlung nicht zuzulassen, fehlerhaft. Bushido
ist überdies strafwürdig hinsichtlich der Beleidigung Kay Ones, der fehlende
Strafantrag hindert jedoch die strafrechtliche Verfolgbarkeit diesbezüglich.
Meese und Wangerin sind beide nicht strafwürdig, das Urteil gegen Wangerin
daher „unrichtig“.
195
Klug in: FS-Schmidt, 1961, S. 259f.; Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 69 II 3. c) (S. 462);
Schmidt, MDR 1979, 705 (705f.).
196
Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 69 II 3. c) (S. 462).
197
Greiser, NJW 1972, 1556 (1557).
198
Greiser, NJW 1969, 1155 (1155).
199
Rengier, AT, § 5 Rn. 5.
41
H. Zusammenfassender Überblick: Mittelbare und
unmittelbare Strafbefreiung durch die Kunst-
freiheit des Art. 5 III 1 GG
Somit kann sich die Kunstfreiheit sowohl mittelbar – vorliegend in den Fällen
Meese und Wangerin – auf Straftatbestände auswirken als auch unter Umstän-
den ganz unmittelbar eine Strafbefreiung zur Folge haben. Dies ist etwa iRd.
§ 193 StGB ausdrücklich für die §§ 185ff. StGB normiert, bei anderen Tatbe-
ständen dagegen unmittelbar aus dem Rechtfertigungsgrund der Kunstfreiheit
herzuleiten. Die „Sozialadäquanzklausel“ des § 86 III StGB, auf welche die
§§ 86a, 130, 130a StGB verweisen, ist ein unmittelbarer Ausfluss der Kunst-
freiheit und schließt bei Bejahung nach richtiger Ansicht schon den Tatbestand
aus.
Die Einschränkung [sei]: Keine Freiheit für Schriften und Kunstwerke, welche
den Krieg verherrlichen oder als unvermeidbar hinstellen, und für solche, wel-
che den Völkerhaß fördern“200.
200
Brecht, Gesammelte Werke, 19. Schriften zur Literatur und Kunst 2, S. 495f.
42
Damit postulierte Brecht eine enorm wichtige These, wie weit die Kunstfreiheit
in einer Demokratie wie der BRD reichen sollte: Er grenzte propagandistisch-
kriegsverherrlichende „Kunst“ aus.
Auf diesen Ansatz lässt sich aufbauen. Allerdings darf der historische Kontext
jener Aussage nicht außer Acht gelassen werden: Brecht formulierte jene Zei-
len wohl noch unter dem Eindruck des Krieges und der verheerenden Situation
der Künstler, die sich das Denken und künstlerische Schaffen auch im Dritten
Reich nicht verbieten lassen wollten (s.o.).
Die Rechte der durch die Kunst Betroffenen – bzw. Geschädigten – spielen bei
Brechts Aussage augenscheinlich keine Rolle, müssen allerdings iRd. Leitbil-
des einer toleranten und rücksichtsvollen deutschen Demokratie zwingend ab-
wägend einbezogen werden. Jenes geschieht für die als unmittelbarer Rechtfer-
tigungsgrund fungierende Kunstfreiheit über die Abwägung der widerstreiten-
den Verfassungsgüter (s.o.). Die Kunstfreiheit besitzt – neben der Meinungs-
freiheit – als tragende Säule einer funktionierenden Demokratie und pluralisti-
schen Gesellschaft hierbei zweifellos erhebliches Gewicht.
Letztlich ist – sofern er vor Gericht geht – jeder „Kunst-Fall“ eine Einzelfall-
entscheidung, bei der sich schematisches Denken verbietet und viel Fingerspit-
zengefühl erforderlich ist.
All dies stellt eine (nicht mehr ganz neue) Herausforderung in Bezug auf das
Verhältnis von Kunst – als Teil der Kultur – und Strafrecht in der pluralisti-
schen Gesellschaft der BRD dar.
43