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Schwerpunkt: Landschaft im Fokus

Archäologie in Niedersachsen 2019


Archäologie
in
Niedersachsen
Band 22
2019

ISENSEE VERLAG
OLDENBURG
Alt- & Mittelsteinzeit Jungsteinzeit Bronzezeit Vorrömische Eisenzeit Römische Kaiserzeit Völkerwanderungszeit Mittelalter Neuzeit

Der König regiert durch Abstand


Zur Architektur ottonischer Königspfalzen

von Markus C. Blaich

D
ie Könige regieren aus dem Sattel“ – mit diesem
geflügelten Wort wird gerne die Herrschafts-
„ praxis des mittelalterlichen Reisekönigtums
bildlich beschrieben: Der König und sein Hofstaat,
eine Personengruppe von immerhin mehreren Hun-
dert Menschen, verfügten im Mittelalter nicht über
eine feste Hauptstadt, sondern zogen im Laufe des
Jahres von Ort zu Ort. Diese königlichen Plätze, die
als zeitweilige Herrschaftsorte dienten, werden auch
als Pfalzen bezeichnet. Dieser Begriff ist vom latei-
nischen palatium abgeleitet. Ursprünglich war damit
der Kaiserpalast auf dem Palatin in Rom gemeint,
später dann allgemein ein königliches Palastgebäude
und zudem ein dem König gehörender Ort. Die Pfal-
zen waren architektonischer Ausdruck des königli-
chen Machtanspruchs und damit Symbol für den
König und seine Herrschaft, auch wenn dieser nicht
selbst anwesend war. Die begriffliche Vielfalt, mit der
im Mittelalter die königlichen Pfalzen und Höfe
bezeichnet wurden, darf nicht darüber hinwegtäu-
schen, dass ihre Nutzung nur möglich war durch
eine angemessene Ausstattung.
Ein repräsentatives Gebäude, das als Schauplatz
für die Treffen des Herrschers mit den führenden
Personen der jeweiligen Regionen diente, war neben
einer Kapelle, einem Wohngebäude für den König
und seine Familie sowie mehreren Nebengebäuden
unabdingbarer Bestandteil der Baulichkeiten in
einer Pfalz. Im palatium fanden die Hoftage statt, es
wurden Gesandtschaften empfangen und Feste
Abb. 1
begangen. Auf den Freiplätzen vor diesen Gebäuden Pöhlde, Pfalzbereich:
wurde Gericht gehalten. Der Festsaal im palatium Die frühmittelalterlichen
wird als aula regia bezeichnet, doch kann dieser Steingebäude auf dem
Gelände der Pfalz Pöhlde.
Begriff in den mittelalterlichen Texten auch gleich- Grau unterlegt das ver-
bedeutend mit dem palatium verwendet werden. mutete palatium (Haus 1).

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An dieser Stelle ist der Bezug zu den Ergebnissen
der Mediävistik hinsichtlich der Symbolik des mit-
telalterlichen Königtums von Bedeutung. Der König
war im Verständnis des Mittelalters eine persona
mixta: Er war sowohl leibliche Person als auch
zugleich Verkörperung des Königtums in abstrakter
Form. Dem Aufenthaltsort des Königs musste dem-
entsprechend besondere Bedeutung beigemessen
werden. Gerade die Nähe des Herrschers zu seinem
Umfeld und der persönliche Kontakt mit seinen Ver-
trauten war ein Merkmal der ottonischen Macht-
ausübung. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe,
auch die Pfalzgebäude als „Bedeutungsträger“ poli-
tischer Konzepte und Ansprüche zu deuten – wie
diente ihre Architektur als Bühne für das Königtum?
Bedauerlicherweise bieten die Schriftquellen aus
dem 10. und 11. Jahrhundert nur sehr wenige Hin-
weise auf die Ausstattung der königlichen Gebäude
oder gar ihre konkrete Nutzung. Die verschiedenen
Begriffe wie palatium und aula regia, aber auch cami-
nata für vornehme Wohngebäude und ecclesia für die
Pfalzkapelle zeigen jedenfalls, dass den Zeitgenos-
sen die Funktion der Gebäude geläufig war, aber nur
bedingt eingehender Erwähnung bedurfte. Die Vor-
burgen oder suburbia als Wirtschaftsareale können
an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben.
Betrachtet man die Grundrisse und Pläne der
ottonischen Pfalzen im Harzraum genauer, so fällt
für ihre Kernburgen ein gewisses Grundmuster an
Gebäuden auf: Innerhalb der Befestigungsanlagen
sind einzelne Wirtschaftsgebäude und kleinere
Nebengebäude zu erkennen, dazu eine Kapelle und
ein rechteckiger Bau, der im Erdgeschoss über einen
größeren Saal verfügte. Mit guten Argumenten sind
diese rechteckigen Gebäude mit Steinfundamenten
als so genannte Königshallen gedeutet worden und
mit dem in den Schriftquellen erwähnten palatium
bzw. der aula regia gleichgesetzt worden (Abb. 1). Bei
den kleineren Nebengebäuden fällt auf, dass sie
mehrfach als langgestreckte Gebäudeflucht angelegt
sind, d.h. die einzelnen Räume im Erdgeschoss müs-
sen durch Türen oder Durchgänge miteinander ver-
Abb. 2
Das Berliner Stadtschloss in der Zeit von König Friedrich II.
bunden gewesen sein. Die konkrete Nutzung dieser
von Preußen (*1712–†1786) als Rekonstruktion (nach E. Räume ist mit Mitteln der Archäologie kaum zu ent-
Konter) mit Eintrag der Stadtwohnung und deren Grund- schlüsseln. Aber vielleicht kann an diesem Punkt der
riss. Hier sind ausgehend vom Cour- und Speisesaal die
Privaträume (Logement) des Königs (hellgrün) und die methodische Vergleich zur Bauforschung, der Kunst-
„Staatssuite“ (gelb) erschlossen. geschichte oder gar der Soziologie weiterhelfen?

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Für die Architektur des 17. und 18. Jahrhunderts große Toreinfahrten zu betretenden Innenhöfe: Abb. 3
ist ihre besondere Bedeutung als Herrschaftszeichen Durch ihre Eingänge mit den anschließenden Trep- Pläne der Kern-
burgen in den
mehrfach untersucht worden. Überträgt man diese penhäusern wurden die hochherrschaftlichen Säle Pfalzen Tilleda (li.)
Überlegungen auf die Architektur der ottonischen erschlossen. Hier wurden Ankunft und Abfahrt des und Grone (re.).
Königshöfe und Pfalzen, so fallen mehrere Paralle- Herrschers, seines Gefolges und aller Besucher orga- Rot unterlegt sind
die Kapellen
len auf: Es handelt sich um eine herrschaftliche pro- nisiert. Seitlich abgesetzt lagen die Kapelle sowie, (ecclesia), gelb
fane Architektur, die nur mit größeren zeitlichen meist in einstöckiger Ausführung, die Versorgungs- die vermuteten
Saal- und Haupt-
Abständen innerhalb des Jahres genutzt wurde und trakte und Unterkünfte des Gesindes.
gebäude (palati-
die in ihrer Konzeption nicht nur auf funktionale Vor dem Hintergrund der bei diesen Untersu- um) und grün
Nutzbarkeit, sondern vor allem auch auf zeremo- chungen gewonnenen Ergebnisse wird die Funktion die vermuteten
königlichen
nielle Wirkung angelegt war. der ottonischen und salischen Pfalzen, ihrer Archi- Wohntrakte
Anhand der hochrangigen Beispiele des Pariser tektur und der durch die Gebäude geschaffenen Frei- (caminata).
Louvre und des Schlosses von Versailles einerseits plätze verständlich: Es handelt sich um eine Kulisse Die Pläne sind
nicht maßstäblich.
und der Schlösser in Berlin, Berlin-Charlottenburg für die oben beschriebenen Herrschaftsrituale und
und Potsdam andererseits lassen sich die Nutzungs- nicht (nur) um ein Symbol für die Königsherrschaft.
konzepte derartiger Anlagen gut aufzeigen: Über-
wiegend residierte der Herrscher in seinem Stadt-
schloss (Louvre bzw. Berlin), die zeitweilige Über-
siedlung des Hofes an einen anderen Ort, z. B. ein
Jagdschloss (Versailles) oder einen Sommersitz (Pots-
dam), diente vor allem der eigenen Selbstdarstellung
im Kreise ausgewählter Höflinge. Die Grundrisse der
Gebäude zeigen entlang einer Mittelachse deutlich
ihre (symmetrische) Strukturierung in „private“ kö-
nigliche Flügel und einen zentralen, quergestellten
Saal für repräsentative Feierlichkeiten (Abb. 2). Die-
se als appartement bezeichneten Abfolgen miteinan-
der verbundener Räume erlaubten eine abgestufte
Kontrolle des Zugangs, die räumliche Nähe oder Abb. 4
auch Entfernung zum Herrscher und zur Herrsche- Pfalz Werla:
Die Ausgrabung
rin war Ausdruck der gesellschaftlichen Stellung und 2007 im Zentral-
persönlicher Gunstbeweis zugleich. Das höfische trakt der Kern-
Zeremoniell mit seinen Einzelschritten war unmit- burg mit den
Fundamenten
telbar auf die jeweiligen Räume bezogen, Zeremoniell von Estrichbau
und Raum waren auf einander abgestimmt und (vorne), Zwi-
bedingten einander. schentrakt und
Kapelle (Hinter-
Von grundlegender Bedeutung sind ferner die grund). Ansicht
zu einer Seite hin gänzlich geöffneten oder durch von Westen.

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Diese Inszenierungen führten die herrschaftliche und ebenso waren die Ergebnisse der Verhandlun-
Ordnung im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen: gen angemessen zu präsentieren.
Neben dem Raum und seinen Wohnstrukturen als Für Grone und Pöhlde sind langgestreckte Ge-
Ausdruck gesellschaftlicher Stellung werden Rang- bäude mit einer Raumflucht bezeugt, die aus einem
denken und Rangstreit das Zeremoniell bestimmt größeren Saal und mehreren kleineren, nachgeord-
haben. Für die Ottonenzeit ist ein höfisches Zere- neten Räumen besteht. In Werla und Tilleda sind
moniell, wie es die Neuzeit kannte, nicht überlie- diese Gebäude auf zwei Bereiche verteilt, aber an bei-
fert. Es dürfte aber unstrittig sein, dass alle Feier- den Orten mit Bezug zur Pfalzkapelle. Diese Gebäu-
lichkeiten von entsprechenden Ritualen bestimmt de dienten der Selbstdarstellung des Königs bei Got-
waren und als „zeremonielle Situation“ zu verste- tesdiensten, Krönungszeremonien (Festkrönung an
hen sind. hohen Feiertagen) sowie den zugehörenden Festen
Kennzeichnet man die Gebäude in der Kernburg bzw. Gastmählern und boten der königlichen Fami-
von Werla und Grone hinsichtlich ihrer zu vermu- lie und ihrem persönlichen Gefolge eine angemes-
tenden Funktion, so wird die Gliederung der Kern- sene Unterkunftsmöglichkeit (Abb. 3). Diesen An-
burgen in verschiedene Zonen deutlich: Die äußerste, forderungen gemäß sind die Gebäude in mehrere
ringförmige Zone wird durch die Befestigungsanla- kleinere und einen größeren Raum gegliedert und
ge mit Mauer, Bastionen und Toren gebildet. Diese als Gebäudeflucht konzipiert. Diese langgestreck-
Wirtschaftsgebäude sicherten den reibungslosen ten, eine Abfolge von mehreren Räumen umfassen-
Ablauf aller repräsentativen Feierlichkeiten. An den den Gebäude sind schon mehrfach als ein architek-
Rand der Gesamtanlage gerückt finden sich die gro- tonisches Merkmal der ottonischen Pfalzen heraus-
ßen, langgestreckten Gebäude, die in der Literatur gestellt worden. Quellenkritisch ist anzumerken,
übereinstimmend als „herrschaftliche Gebäude“ dass diese Raumfluchten bzw. Gebäudezüge mit
oder „Palas“ angesprochen werden. Mitteln der Bauarchäologie nur anhand der Fun-
Zwischen den Gebäudegruppen befinden sich damentzüge zu erschließen sind, für das anzuneh-
die Hofflächen, die als freier Platz für die Nutzung mende Obergeschoss demnach nur Vermutungen
der Gesamtanlage unabdingbar sind: Hier konnten angestellt werden können. Auch muss offen bleiben,
ankommende Personen empfangen und versorgt auf welche Weise die Räume im Erdgeschoss mitei-
werden, für größere Gruppen war zumindest eine nander verbunden waren (Abb. 4).
kurzfristige Aufenthalts- und Wartemöglichkeit Es versteht sich von selbst, dass die Fürstenhöfe
gegeben. Zudem dürften diese Plätze für die seiner- des 17. und 18. Jahrhunderts und die Herrschafts-
zeit übliche Rechtsprechung unter freiem Himmel praxis des Absolutismus nicht mit den Pfalzbauten
von Bedeutung gewesen sein. des 10. und 11. Jahrhunderts sowie dem ottonischen
Im Rahmen der rituellen Kommunikation kam Königtum gleichzusetzen sind. Aber vielleicht bieten
der öffentlichen Präsentation des Königs, d. h. seinem die architekturgeschichtlichen und soziologischen
Auftreten vor einer größeren Gruppe von Personen Beobachtungen zum „Funktionieren“ der herrschaft-
besondere Bedeutung zu. Dies ist ein wesentliches lichen Architektur aus dem 17. und 18. Jahrhundert
Kennzeichen der ottonischen Herrschaftspraxis. für das Verständnis der ottonischen Königspfalzen
Diese Gruppen mussten vor Beginn der eigentlichen wichtige Hinweise – die Ausübung von Herrschaft
Gespräche in größerem Rahmen empfangen werden, folgt nun einmal beinahe zeitlosen Regeln.

➜ Literatur:

DRUFFNER, F.: Gehen und Sehen bei Hofe: Weg- und Blickführungen im Barockschloß. In: K. Bußmann, F. Matzner,
U. Schulze (Hrsg.), Johann Conrad Schlaun 1695–1773. Architektur des Spätbarock in Europa. Ausstellung im
Westfälischen Landesmuseum Münster 1995. Stuttgart 1995, 543–551.
HOPPE, S.: Was ist Barock? Architektur und Städtebau Europas 1580–1770. Darmstadt 2003.
KONTER, E.: Deutsche Residenzen. Zur Sozialgeschichte der Repräsentation herrschaftlicher Ansprüche. Berlin 2011.
LUDOWICI, B.: „Die Halle des Königs“. Repräsentative Profanarchitektur der ottonischen Pfalzen im Harzraum. In:
K. Beuckers, J. Cramer, M. Imhof (Hrsg.), Die Ottonen. Kunst, Architektur, Geschichte. Petersberg 2006, 259–263.

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Schwerpunktthema 2020:
Ausgrabungen: Geschichte der Dinge
Jedes Ding hat seine Geschichte. Auch die, die Archäologen ausgraben. Der Schwerpunkt des nächs-
ten Bandes stellt die materiellen Sachkulturen in den Mittelpunkt. Was erzählen uns Fundstücke
über sich und über ihre Geschichte, die durch keine andere, z. B. schriftliche Quelle erhellt werden
kann? Was sagt uns heute so ein Fundstück und sind die Entwicklungen seiner jeweiligen Formen
immer noch nachvollziehbar? Sind die Zusammenhänge zwischen dem einen und dem anderen
Objekt noch richtig oder sind Archäologen mit ihren Erklärungsbemühungen schon längst Opfer
ihrer eigenen Überinterpretation, indem sie mehr hineindeuten als tatsächlich jemals gedacht war?
Die altvorderen Forscher hatten nur die Steine und Scherben vor sich, die sie zunächst einmal
umsichtig sortierten. Sie stellten Formenvergleiche an und entwickelten mit ihren Typentafeln ein
nicht selten bis heute gültiges Werkzeug. Genügte anfangs das Fundstück, wurde zunehmend die
Bedeutung seines Fundumfeldes wichtig. Sie stellten Beobachtungen zu Fundlagen, zur Stratigra-
phie, zu Bodenverfärbungen an, betrachteten Pläne und Kartierungen. Ihr Verknüpfen der einzel-
nen Quellengattungen führte zur Definition von Sachkulturen, die die Prähistoriker nach Raum
und Zeit trennten, umrissen und sich bemühten, mit ihnen die Vergangenheit zu erklären. Mitt-
lerweile grundlegendes archäologisches Handwerk.
Wenn wir heute das Fundstück ansehen, sind wir in der Lage mehr zu sehen, weil Herstellungs-
techniken, Gebrauchsspuren oder Beschädigungsmuster mit Hilfe modernster Technologie detail-
liert wie nie zuvor seziert werden können und wir durch bildgebende Verfahren bis in das Scher-
beninnere hineinsehen können. Wieviel mehr tatsächliches Wissen können wir daraus ableiten,
wieviel mehr erfahren Archäologen über die Geschichte ihres Fundstückes?
Natürlich soll auch das vielfältige Geschehen in der niedersächsischen Archäologie wieder seinen
gebührenden Platz finden. Abgabeschluss ist wie gewohnt der 31.12.2019. Redaktionshinweise befin-
den sich auf der Homepage der Archäologischen Kommission für Niedersachsen e.V. sowie in die-
sem Band, S. 197–200.

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