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EINLEITUNG 05
1 EMOTIONEN
1.1 Terminologie 06
1.2 Die Begriffswolke Emotion 07
1.3 Emotionstheoretischer Rahmen 09
1.4 Sympathie 11
2 DER SPIELERCHARAKTER
2.1 Das Bildschirmspiel 14
2.2 Spielerrepräsentation 17
2.3 Die Schöpfung des Spielercharakters 20
4 FAZIT 47
5 QUELLEN 49
Einleitung
Charaktere existieren als Identifikations- In dieser Arbeit sollen Eigenschaften aufge-
form seit es Erzählungen gibt, und bilden zeigt werden, die dem Spielercharakter Sym-
in narrativen Strukturen die zentrale Kompo- pathie verleihen.
nente. Dazu werden zunächst wissenschaftliche Er-
Die emotionale Bindung des Betrachters an kenntnisse über Emotionen vermittelt, und
den Charakter stellt ein wichtiges Werkzeug die Sympathie als Gefühl abgegrenzt.
zum Transport von Botschaften dar, und Darauf folgt eine nähere Betrachtung des
ermöglicht oftmals erst das Eintauchen in die Mediums «Bildschirmspiel», sowie eine De-
«Anderswelt», sei es Buch, Bild oder Be- finition des Spielercharakters.
wegtbild. Anschließend werden eigentliche, sympathie
Eine der wohl komplexesten Umgebungen, generierende Eigenschaften erörtert, sowie
die sich durch eigene Besonderheiten kenn- exemplarisch veranschaulicht.
zeichnet, stellt die Bildschirmspielwelt dar.
Der Spielercharakter, durch den der Spieler
die jeweilige Umgebung erfährt, ist sowohl
Werkzeug, als auch Darsteller und integraler
Bestandteil des virtuellen Systems.
EMOTION Terminologie
Emotion
Was bedeutet Sympathie? Um Sympathie im rein physikalische, natürliche Bewegungs-
Rahmen dieser Arbeit zu verstehen ist eine Be- vorgänge beschränkt (z. B. «Der Donner ver-
leuchtung des Gesamtkontextes notwendig, ursacht große Emotion in der Luft»).
zumal der Untersuchungsgegenstand dieser
Arbeit, die Sympathie für den zu spielenden Seit Anbeginn der wissenschaftlichen Erfor-
Charakter, gleich zwei wichtige Bereiche be- schung des Begriffes haben sich eine gerade-
inhaltet: Zum einen Sympathie als menschliche zu unübersichtliche Anzahl an Definitions-
Emotion, und zum anderen den Spielercharakter versuchen und Einzeltheorien ergeben. Nach
als Teil einer virtuellen Welt. In diesem Abschnitt Pekrun begründet sich dieser Umstand in
soll zunächst auf Emotionen eingegangen und der Sache selbst: Emotionen verweisen nicht
anschließend eine Abgrenzung des Begriffes auf reale, empirische Gegenstände (wie bei-
Sympathie vorgenommen, sowie Entstehungs- spielsweise phsyisiologische Prozesse oder
möglichkeiten aufgezeigt werden. räumliche Objekte) und können daher auch
kaum einen gemeinsamen Bezugspunkt ha-
ben.
1.1 Terminologie
Da eine genaue Definition also nicht erfolgen
Der Begriff Emotion leitet sich von dem latei- kann, sind die meisten Autoren wissenschaft-
nischen Wort «emovere» ab, was «sich bewe- licher Arbeiten dazu über gegangen, Begriffs-
gen» bedeutet. Der Begriff wurde erst recht kerne oder Arbeitsdefinitionen für den jeweils
spät im Laiensprachgebrauch zur Bezeich-
nung psychischer Erregungszustände ver- vgl. Weiner, 1984
Die Begriffswolke Emotion EMOTION
relevanten Bereich zu formulieren. Dies soll Ferner können Emotionen folgende Eigen-
hier für den Begriff «Sympathie» ebenfalls schaften zugeschrieben werden:
erfolgen, indem Sympathie als Gefühl aus der • Es sind zeitlich begrenzte Zustände
Emotion extrahiert wird. Speziell wird die • Sie besitzen eine Qualität und Intensität
Sympathie im Rahmen der kognitiven Emo- • Sie sind objektgerichtet
tionspsychologie betrachtet, zumal jene seit
den letzten 15 Jahren auf Grund empirischer Die zuvor beschriebenen Charakteristiken er-
Befunde von größter Relevanz ist. geben eine Mischung aus kognitiven, physio-
logischen, intentionalen und subjektiven Ele-
menten, die insgesamt eine Emotion bilden.
1.2 Die Begriffswolke Emotion Dabei sind weder alle Komponenten noch
eine bestimmte Gewichtung für das Ent-
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Be- stehen einer Emotion von Nöten, viel mehr
griff Emotion als eine Art Klammerbegriff ergeben sich aus dem ausgeglichen oder un-
für die Begriffswolke aus Gefühl, Affekt, ausgeglichenen Zusammenspiel einzelner
Stimmung und Befinden verwendet. Elemente unterschiedliche Resultate, die in
Aus der Betrachtung einer möglichen Mes- ihrer tatsächlichen Wirkung wiederum von
sebene bzw. Indikatoren werden Emotionen Mensch zu Mensch variieren können.
im klassischen Sinne in drei Komponen-
ten unterteilt: Der Erlebniskomponente Gefühl
(subjektiv: Es fühlt sich auf eine bestimmte Unter Gefühl wird im Allgemeinen die subjektive
Art und Weise an), der physiologischen Erfahrungskomponente verstanden. Gefühle
Komponente (körperliche Veränderung beschreiben ein diffuses Erleben und haben Ge-
wie Errötung, Atmung oder Schwitzen) und genstandsbezug. Der Erlebensbezug ist hier we-
der Verhaltenskomponente (Ausdrücke niger prägnant oder ganz von einer Person weg
durch Mimik, Gestik oder Körperhaltung). auf einen anderen Gegenstand hin gerichtet. Die
Sympathie wird als Gefühl betrachtet, näheres
vgl. MEYER/SCHÜTZWOHL/REISENZEIN, Bd.III, 2003, S. 11 hierzu jedoch im weiteren Verlauf.
Vgl. MEYER/SCHÜTZWOHL/REISENZEIN, 1993, S. 33 ff
EMOTION Sympathie
Emotionstheoretischer Rahmen EMOTION
EMOTION Emotionstheoretischer Rahmen
Emotion
Wohlergehensemoti- Erwartungsfundierte
onen Emotionen
Verbundemotionen
+ Selbstzufriedenheit
+ Dankbarkeit
– Reue
Abb. 1
Die Klassifikation der Emotionen nach ihren kognitiven Grundlagen (nach Ortony, Clore und Collins, 1988
10
Sympathie EMOTION
16 http://www.textlog.de/5154.html
11
EMOTION Sympathie
Sympathie wird auch oftmals als «di- talisierung von Faktoren vornimmt, sind die
stanziertes Wohlwollen» bezeichnet und resultierenden Ergebnisse durchaus relevant
grenzt sich nach Chismar somit von der und zudem empirisch bewiesen.18
Empathie ab, indem es einen speziellen Fall
der Empathie substituiert: «Empathy, then, Aussehen
implies sharing something of the other‘s fee- Das äußerliche Erscheinungsbild einer Per-
ling without necessarily feeling affection, son bildet in der sozialen Interaktion einen
positive regard or the desire to help. Sympa- großen Vorteil. Die Reaktion, die durch ein
thy, on the other hand, is a special kind of attraktiv wirkendes Gegenüber verursacht
empathy, empathy coupled with a benvolent wird, bezeichnet die Sozialwissenschaft als
attitude towards the other person.»17 «Halo-Effekt», ein Gesamteindruck, den eine
Person auf Ihr gegenüber ausübt und durch
«Distanziertes Wohlwollen» trägt hinsicht- ein «einzelnes positives Merkmal […] domi-
lich der Interaktivität in einem Spiel und dem niert wird». Forschungen haben erwiesen,
Bezug zum Spielercharakter eine besondere dass gut aussehenden Menschen automa-
Rolle, die in dem Punkt Ähnlichkeit näher tisch positive Eigenschaften wie Begabung,
ausgeführt wird. Freundlichkeit, Intelligenz oder Ehrlichkeit
zugeschrieben werden. Ferner beweisen Ex-
Wie Sympathie entsteht perimente eine höhere Hilfsbereitschaft in
Faktoren, die eine Generierung von Sympa- Notsituationen, sowie eine erhöhte Überzeu-
thie bewirken, werden nach Cialdini in grob gungskraft wenn es um die Einstellungsände-
fünf Kategorien aufgeteilt: Der äußerlichen rung eines Publikums geht.
Attraktivität des gegenüberstehenden Indi-
viduums, der Ähnlichkeit bezüglich der Ei- Ähnlichkeit
genschaften eines Menschen, Komplimenten Mit Ähnlichkeit sind hier Parallelen in Bereichen
seitens einer Person, Regelmäßigkeit und wie Charaktereigenschaften, Herkunft, oder Le-
Form des Kontaktes sowie Assoziationen. bensstil gemeint. Umso mehr Ähnlichkeiten in
Auch wenn Cialdini eine starke Instrumen- einzelnen Eigenschaften bestehen, desto höher
12
Sympathie EMOTION
13
EMOTION IM SPIEL Das Bildschirmspiel
Emotion im Spiel
Nachdem im vorherigen Kapitel Grundzüge der Demnach sind Spiele formal geschlossene
Emotionen, und spezifisch der Sympathie, auf- Systeme, die eine vereinfachte Repräsentati-
gezeigt wurden soll nun eine Annäherung durch on emotionaler Realität vornehmen. Systeme
Bestimmung der Umwelt geschehen, in der sich wiederum beinhalten Objekte, die zueinander
der zu spielende Charakter bewegt. Dazu wird in Beziehung stehen, gewisse Charakteris-
zunächst das Medium «Bildschirmspiel» näher tiken besitzen und in einer Umgebung existie-
erläutert und relevante Spielprinzipien bzw. ren, die dem System einen Kontext verleiht.
Genres herausgearbeitet. Darauf aufbauend,
wird die Spielerrepräsentation und deren Rolle Eine ähnliche Aussage trifft Jesper Juul in
erfasst. seinem Buch «Half-Real». Spiele sind «teil-
weise real», da, vereinfacht gesprochen, nach
realen Regeln fiktionale Drachen getötet wer-
2.1 Das Bildschirmspiel den20. Spiele bedienen sich also Handlungen,
die der Realität nachempfunden sind, und
In dem 1982 erschienenem Buch «The Art of übertragen diese in eigens geschaffene Syste-
Computer Game Design» definiert Chris Craw- me. Erst durch die Interaktion von Mensch
ford Spiele grundsätzlich folgendermaßen: und System kommt ein Spiel durch den Pro-
«A game creates a subjective and delibera- zess der Metakommunikation zu Stande.
tely simplified representation of emotional
reality»19
14
Das Bildschirmspiel EMOTION IM SPIEL
Der Spieler selbst verfügt im Spiel über ein Computer- bzw. Videospiele ((elektronische)
«doppeltes Bewusstsein»: «Metacommuni- Bildschirmspiele) stellen nach Klimmt
cation makes it clear to play a game is to «interaktive Medianangebote» dar, «die zum
take part in a kind of double-counciousness. Zweck der Unterhaltung hergestellt und ge-
Game actions refer to actions in the real nutzt werden.»23 Computer- bzw. Videospiele
world, but because they are taking place in werden sowohl von Autoren als auch von For-
a game, they are simultaneously quite sepe- schern undifferenziert, synonym verwendet.
rate and distinct from the real world actions Streng genommen ist jedoch die korrekte,
they reference.»21 möglichst umfassende Bezeichnung beider
Arten «(elektronische) Bildschirmspiele»24.
Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist der Lern- Dieser Begriff umfasst alle gängigen Platt-
prozess: Beispielsweise kämpfen Raubkatzen formen wie Konsolen , Computer (Personal
in der Natur in jungen Jahren spielerisch Computer), «Handhelds» (tragbare Vide-
miteinander, der Biss in den Hals wird dabei ospielkonsolen wie beispielsweise den von
vorgetäuscht. Durch die Metapher des töd- Nintendo entwickelten «Game Boy» oder
lichen Bisses lernen die Tiere auf diese Art Mobiltelefone) sowie Videospielautomaten.
und Weise, ihre Beute zu erlegen. Henschel
begründet diesen Umstand als zweckmäßiges In Bildschirmspielen wird eine visuelle Prä-
Spiel, «[…], weil es den wesentlichen Inhalt sentation zur Darstellung von Spielstän-
einer ganzen Entwicklungsphase bildet, ins- den genutzt. Handlungen, die innerhalb des
besondere in der Zeit des Wachstums. Die Spiels geschehen, werden mit Eingabegeräter
evolutionär herausgebildete Eigenschaft wie Maus, Tastatur oder Gamepad vollzogen.
zum Spielen muss der Art einen Selektions-
vorteil eingebracht haben.» 22 Mit der kommerziellen Distribution von Bild-
schirmspielen, die Ende der 70er begann,
fand eine rapide Entwicklung unterschied-
licher Spieleplattformen statt. Ähnliches gilt
15
EMOTION IM SPIEL Das Bildschirmspiel
Die Platzierung einzelner Genres wurde von Sympathie bevorteiligen könnte. Zunächst
Stefan Grünvogel vorgenommen.26 wird daher näher auf die Spielerrepräsentati-
on in den geeigneten Genres Action-, RPGs
Für den weiteren Arbeitsverlauf sind solche und Adventures eingegangen. Es sei ange-
Genres interessant, in denen die Wahrneh- merkt, dass im Zuge der Weiterentwicklung
mung des Spielercharakter in Verbindung Bildschirmspiele sich oftmals nicht mehr ein-
mit dessen Umwelt eine wichtige Rolle spie- deutig bestimmten Genres zuweisen lassen,
len, zumal eben solches das Aufkommen von da die Grenzen zunehmend verschwimmen.
Tendenzen sind jedoch meist erkennbar.
25 Vgl. Fritz, 1995, S.23
gel/content/gruenvogel_interaktionskonzepte_2002.pdf -
16
Das Bildschirmspiel EMOTION IM SPIEL
17
EMOTION IM SPIEL Spielerrepräsentation
Abb. 3
schnitt beschrieben, direkt. Die beschriebene Half-Life 2
Perspektive eignet sich zur weiteren Betrach-
tung, da hier die zu spielende Figur perma-
nent wahrgenommen wird (Abb. 5, Abb. 6).
Abb. 4
«A character, distinct from the player, with Unreal Tournament 2007
its own personality, and, to some extend,
mind.»
Der Spielercharakter
Eine Beschreibung, die dem Spielcharakter
am nächsten käme, wäre die eines Protago-
nisten: Eine Person, die sowohl im Buch als
auch im Theater oder Film die Hauptrolle
spielt, um die sich die Geschichte windet.
Der Protagonist stellt für den Autor im
jeweiligen Mediums ein Werkzeug dar, um
Betrachter emotional zu involvieren.
18
Spielerrepräsentation EMOTION IM SPIEL
Abb. 5
«Zwei Prinzipien steuern die Anteilnahme Max Payne 2
des Publikums. Erstens Empathie: Identifi-
zierung mit dem Protagonisten, der uns in
die Story hineinzieht und stellvertretend für
uns nach unserern eigenen Lebensträumen
forscht.»28
19
EMOTION IM SPIEL Die Schöpfung des Spielercharakters
Ein Mitwirken des Betrachters, welcher als schied zwischen dem Protagonisten in klas-
Folge zum Spieler wird, zeichnet ein Spiel erst sischen Medien und dem Spielercharakter
aus.Dieser Umstand wirkt sich wesentlich auf verdeutlicht wurde, wird veständlich, dass
die übertragene Rolle des Protagonisten, also Spielecharaktere in gewissen Hinsichten an-
des Spielercharakters, aus: Man beobachten ders, oder, einfacher beschaffen sein müs-
jenen nicht, sondern benutzt ihn als Werk- sen. Ein gänzlicher Verzicht auf «Charakter»
zeug, um von dem System vorgegebene Ziele wäre jedoch fatal, zumal jener für den spiele-
zu erreichen. Der Spieler benötigt demnach rischen Kontext und dessen Glaubwürdigkeit
Kontrolle über den Charakter, eine ausge- eine wichtige Rolle spielt.
prägte Persönlichkeit wäre im Zuge der In-
teraktivität äußerst hinderlich («Nein, ich Folglich wäre auch die Etablierung von Sym-
erschieße x nicht»). pathie zu einem geringeren bzw. weniger
intensiveren Maße möglich, da durch den
«the dimension of lara croft‘s body, alrea- Verzicht auf eine Persönlichkeitsstruktur des
dy analyzed to death by film theorists, are Spielercharakters die Kognition auf äußer-
irrelevant to me as a player, because a diffe- liche Formalitäten beschränkt sein würde.
rent-looking body would not make me play
differently. When I play, I don‘t even see her Bevor nun Kriterien zur Generierung von
body, but see through it and past it.»30 Sympathie zum virtuellen Charakter näher
erläutert werden, gilt es, grundsätzliches auf-
Nach Aarseth findet keine aktive Wahrneh- zuzeigen, welches dem Spielercharakter «Le-
mung der Figur als eigenständiges Individu- ben einhaucht».
um mit Gefühlen, einer Persönlichkeit oder
anderen Hintergründen im Rahmen des
spielerischen Prozeses statt. Vielmehr bildet
jene ein Instrument zur Kontrolle des Spiel-
geschehens.
Nachdem nun der grundsätzliche Unter-
20
Die Schöpfung des Spielercharakters EMOTION IM SPIEL
21
EMOTION IM SPIEL Die Schöpfung des Spielercharakters
«The Avatar is simply a visual representati- Auch hinsichtlich des Halo-Effekts (Kap. 1.4)
on of the player‘s presence within the game kann hier bereits ein erster wichtiger Bau-
world. The Actor is a character distinct stein für die Sympathie gelegt werden, doch
from the player, with its own personality, näheres hierzu im Abschnitt Ästhetik (Kap
characteristics, and, to some extent, mind 2.3).
[…].»31
Das äußerliche eines Spielercharakters sollte
Die Darstellung des Spielercharakters aus eher dem Erscheinungsbild einer Comic- oder
der dritten Person erlaubt größere Frei- Cartoonfigur, als dem eines beispielsweise re-
heiten, sich einer eher narrativen Darstel- ellen Schauspielers gleichgesetzt werden:
lungsform zu bedienen. Da der Spielercha-
rakter hier als externe, vom Spieler getrennte «Cartoons are a deliberately simplified rep-
Entität wahrgenommen wird, wirkt sich eine resenetation of reality, stripped of the incre-
Unterbrechung während der Spieler – Spie- dibly complex subtleties we are accustomed
lercharakter Interaktion als weniger störend in the real world»32
aus. Dadurch kann jener Charakter mit einer
gewissen Persönlichkeit und gelegentlichem Bildschirmspiele erfahren starke Limi-
«Handeln auf eigene Faust», wenn es denn in tationen hinsichtlich visueller Repräsenta-
der jeweiligen Situation angebracht ist, aus- tionen und sollten daher weniger als Nach-
gestattet werden. ahmung der Realität, sondern vielmehr als
eine Vereinfachung oder Abstraktion, mit
Fokus auf das wesentliche, verstanden wer-
22
Die Schöpfung des Spielercharakters EMOTION IM SPIEL
den. Selbst wenn aus technischer Sicht eine Spielecharaktere benötigen ein Veräuße-
nahezu perfekte Imitation der Realität mög- rungsvermögen, um inneren Werten oder
lich wäre, würde jene durch ein Übermaß an Idealen Ausdruck zu verleihen. Solches kann
Komplexität das Spielziel bzw. dessen Fokus zum einen indirekt durch Kleidung und ge-
nicht unterstützen, sondern durch dessen nerellem Aussehen als «Spiegel des inneren
vielfache Überlagerung und spielerisch irre- Selbst» bewerkstelligt werden, und zum an-
levanten Details verwischen. deren durch dessen Körperhaltung.
«[…], we have to caricature; we must am- Die Körperhaltung eines Charakters kann
plifiy the aspects we want players to focus oftmals Aufschluss über seine Einstellung
on. This is the route to makin games a more gegenüber vorliegenden Sachverhalten aus-
powerful medium.»33 drücken und dem Spieler Rückschlüsse über
eine vorliegende Einstellungsähnlichkeit ge-
Das visuelle Erscheinungsbild des Charakters ben. (Kap. 3.3).
kann in grob zwei Aspekte aufgeteilt werden:
Zum einen der physiologischen Form des Zusätzlich zu den bereits genannten Fak-
Charakters und zum anderen dessen Klei- toren stellt die Bewegung des Charakters
dung (falls vorhanden). Physiologische Un- einen weiteren Punkt dar, der dessen Glaub-
terschiede zwischen menschlichen Wesen würdigkeit unterstützen kann. Gemeint ist
sind, mit Ausnahme des Geschlechts, gering damit, ob physiologische Eigenschaften wie
und bestehen hauptsächlich in der Hautfar- Größe, Körperbau, etc. und Umgebung mit
be, Größe, Haar, Statur und Gewicht. den jeweiligen Bewegungsabläufen überein-
Kleidung wiederum lässt sich klarer vonei- stimmen oder etwa, im Negativfall, unpas-
nander anhand von Merkmalen wie Farbe, send zueinander wirken.
Form, Zweckmäßigkeit und Signifikanz un-
terscheiden. Zuletzt sei noch der Aspekt des Bewusstseins
des Charakter genant: Gemeint ist damit,
dass der Charakter den Anschein erweckt,
33 vgl. Gard, 2000, http://www.gamasutra.com/features/ seine Umgebung kognitiv wahrzunehmen
20000720/gard_01.htm, Abruf vom 03.03.2007 und sich ihr gegenüber in Form von Kör-
23
EMOTION IM SPIEL Die Schöpfung des Spielercharakters
persprache entsprechend verhält. Gewissen Während die Konsistenz von Akteur und Um-
Sachverhalten wie einer unangenehmen Be- welt medienübergreifend gilt, kommt für Spiele
gegnung oder plötzlich entstehenden Situati- die spezifische Eigenschaft Gameplay hinzu:
on könnte die Figur mit Gefühlen wie Angst, Das Gameplay, oder auch Spielemechanik, be-
Freude oder Überraschung begegnen und stimmt die Funktion und somit auch Inhalte der
solches entsprechend über veränderte Kör- Spieleumgebung. Für den Charakter wiederum
perhaltung, Gestik oder Bewegungsweise, ergeben sich beispielsweise aus dem Gampeplay
ausdrücken. spezielle Eigenschaften, welche sich maßgeblich
auf die Gestaltung dessen Umwelt auswirken.
Der Akteur im Kontext
Die Konsistenz eines Bildschirmspiels wird «Look at the character Bob in Shiny‘s Messi-
von drei korrellierenden Faktoren bestimmt: ah. This little angelic character goes around
Gameplay, Spieleumgebung und Cha- and posess people, and this attribute has
rakter. massive game play significance, dictating
exactly how his enviroment has to be popu-
Zunächst muss der Spielercharakter gut auf lated and designed.»34
dessen Umwelt eingestimmt sein. Betrach- Vereinfacht gesprochen gilt, dass der Spieler-
tet man so zum Beispiel aus dem filmischen charater sowohl Teil seiner Umgebung als
Indiana Jones, so stellt man fest, dass dieser auch Teil eines interaktiven Prozesses ist
perfekt an seine Umgebung angepasst ist: und somit stets in einer Art Wechselwirkung
Den größten Teil der Zeit verbringt er in anti- steht, deren einzelne Faktoren aufeinander
ken Ruinen oder Gräbern, gespickt mit Fallen abgestimmt sein sollten.
oder eingeborenen Widersachern. Als Folge ist
jener eine mutige, standhafte Person und ver- Der Akteur und seine Geschichte
fügt über spezifische Ausrüstungsgegenstände Der Aspekt der Geschichte eines zu spielen-
und entsprechender Bekleidung. Viel wichtiger den Charakter stellt einen kritischen Punkt
aber noch ist seine Profession: Er ist Archäolo- dar: Die Hintergrundgeschichte eines Cha-
ge, was insbesondere sein Handeln in entspre-
chender Umgebung rechtfertigt. 34 vgl. Gard, 2000, http://www.gamasutra.com/features/
24
Die Schöpfung des Spielercharakters EMOTION IM SPIEL
25
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Der sympathische Protagonist
Der sympathische
Spielercharakter
In dem nun folgenden Abschnitt wird auf Fak- kehrten Fall Mitleid. Als Folge des Mitleid
toren eingegangen, welche, bezogen auf den kann wiederum, je nach Intensität der sym-
Spielercharakter, eine direkte Generierung von pathischen Bindung, ein Handlungsdrang
Sympathie zur Folge haben. Einzelne Aspekte entstehen: Man möchte die Lage der betrof-
werden separat unter der Hinzunahme unter- fenen Person verbessern.
schiedlicher Fallbeispiele betrachtet.
McKee sieht Sympathie in «statischen»
(nicht-interaktiven) Medien für den Protago-
3.1 Der sympathische nisten als optional an:
Protagonist
«Der Protagonist muß Empathie auslösen; er
Sympathie beinhaltet «distanziertes Wohl- kann sympathisch sein oder auch nicht.»35
wollen» und stellt, wie schon zuvor beschrie-
ben, nach Ortony, Clore et al eine ereig- Im Medium Spiel jedoch interagiert der
nisfundierte Emotion dar. Im Falle einer Betrachter, der zum Spieler wird, mit dem
sympathischen Bindung werden Ereignisse, Protagonisten: Er löst Rätsel, bekämpft Wi-
welche dem Sympathieträger widerfahren, dersacher, rettet Freunde des Protagonisten,
genauer betrachtet und in Bezug zur eigenen etc. Mit anderen Worten: Der Charakter wird
Person gebracht. Sollte das Ereignis für einen Teil des Spielers, in dem Spielercharakter tritt
selbst als «wünschenswert» gelten, wird für
die Person Mitfreude empfunden, im umge- 35 McKee, 1998, S.160
26
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
sich der Spieler als jemand anders gegenüber. Das unheimliche Tal
Sympathie kann in diesem Kontext ein inten- Häufig versuchen Bildschirmspiele durch
siveres Spielerlebnis bedeuten, da jene Syn- eine möglichst genaue Nachahmung der Rea-
ergie zwischen Spieler und Spielercharakter lität zu bestechen, um so ein überzeugenderes
durch «distanziertem Wohlwollen» verstärkt Spieleerlebnis zu schaffen. Jener Versuch hat
wird: Ebenso, wie man die Spielehandlung jedoch zwei bedeutende Nachteile: Zum ei-
vorantreiben will, um das Ziel zu erreichen, nen, wie bereits von Gard beschrieben, wird
möchte man, dass dem Spielercharakter der Spielefokus durch die Überlagerung ir-
nichts Schlechtes widerfährt und ihn nach relevanter Details verwischt (S. 22). Im wei-
«bester Möglichkeit» leiten bzw. steuern. teren tritt ein Phänomen ein, dass Masahiro
Ferner kann das Entstehen von Sympathie Mori im Rahmen seiner Forschungsarbeit
als ein Indiz für die Glaubwürdigkeit eines 1970 als das «Uncanny Valley» bezeichnete.
Spielercharakters gewertet werden.
Mori stellte in seinen Beobachtung fest, dass
Im weiteren Verlauf werden nun die nach je mehr das Erscheinugsbild eines Robotors
Cialdini genannten Faktoren zur Entstehung dem eines Menschen ähnelt, umso höher
von Sympathie anhand beispielhafter Vari- die Vertrautheit und positive Assoziationen
anten vorgeführt.
3.2 Ästhetik
27
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
Abb. 11
Heavy Rain
Dadurch fühlten sich die Betrachter unwohl 2006, eine der führenden Spielemessen,
und reagierten negativ auf das künstliche auf Grund ihrer «Unheimlichkeit» in das
Gegenüber, es erschien ihnen «unheimlich» Kreuzfeuer diverser Kritiker. In dem Trailer
(Abb. 10).36 Jenes Phänomen lässt sich bei führt die Protagonistin, Mary Smith, einen
virtuellen Charakteren beobachten, die auf Monolog vor «laufender Kamera», welcher
eine möglichst hohe Realitätsnähe abzielen. aus technischer Sicht zunächst recht beein-
Als konkretes Beispiel sei hier das von druckend erscheint. Dessen Unheimlichkeit
konnte von Betrachtern nur schwer in Worte
36 vgl. Mori, 1970 gefasst werden, da jene in diversen Details
28
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
liegt. Karl MacDorman, Professor für die der Realität ein «unheimliches» Empfinden
Mensch-Computer Interaktion an der School erzeugen. Das hier vorgestellte Beispiel re-
of Informatics in Indiana, arbeitet bereits seit präsentiert auf recht einschlägige Weise die
längerer Zeit an der «Uncanny» Hypothese Problematik, welche entsteht, wenn com-
mit menschlichen Teilnehmern. Aus seiner putergenerierte Grafiken den Anspruch er-
Beobachtung erschließen sich mehrere Grün- heben, ein Abbild der Realität darzustellen.
de für die Unheimlichkeit von Mary Smith: Ästhetische Aspekte begründen sich in einer
Vielzahl von Bildschirmspielen auf einer ver-
«Presumably to enhance realism or reduce einfachten, systematischen Darstellung re-
calculation, the game designers or anima- eller Aspekte.
tors exaggerate the depth of field, so that
Mary‘s face is rendered in focus, but her hair Niedlichkeit
and neck are out of focus and blurry. In ad- Säuglinge verfügen über zahlreiche, gefühls-
dition, there is sometimes a lack of synchro- auslösende Eigenschaften: Haut und Haar
nization with her speech and lip movements, sind weich, Augen und Pupillen groß, Wan-
which is very disturbing to people. People gen rundlich und ihre Nasen klein. Der Kopf
‚hear‘ with their eyes as well as their ears. ist groß und die Gliedmaßen klein und elas-
By this, I mean that if you play an identical tisch. Da Säuglinge ohne Pflege sterben wür-
sound while looking at a person‘s lips, the lip den, ist ein ästhetisches Äußerliches für sie
movements can cause you to hear the sound von größter Bedeutung.38 Kindliche Gesichts-
differently.»37 züge und Körpermerkmale lösen im mensch-
lichen Gegenüber ein positives Verhalten aus.
MacDorman bezieht sich in seiner Kritik Eine Vorliebe für junges Aussehen ist gewis-
insbesondere auf die Animation und deren sermaßen angeboren und kann mit dem tie-
Verbindung mit Ton, allerdings sind eben- rischen Pendant, dem Welpenschutz, gleich-
so andere Kriterien vorstellbar, die durch gesetzt werden: Löwenjunge beispielsweise
ihre unbeabsichtigte, marginale Abweichung verfügen über gestreiftes Fell mit Ringen auf
dem Schwanz und junge Schimpansen über
37 http://www.gamespot.com/features/6153667/,
29
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
ein weißes Haarbüschel an ihrem Schwanz- wie Shigefumi Hino‘s Yoshi (Abb. 13) oder
stummel. Ästhetische bzw. schöne Babies der junge Drache Spyro (Abb. 14) bereits we-
lassen durch eine leichte Überzeichnung der sentlich komplexer. Doch jene stellen eben-
typischen Baby-Geometrie erkennen. falls in vielerlei Hinsichten Ideale der Nied-
Überträgt man jenen Gedanken auf die Cha- lichkeit dar: Sie verfügen über sehr große
raktere innerhalb der Bildschirmspielewelt, Köpfe und Augen und weisen rundlich-geo-
lassen sich eine Vielzahl von Parallelen fest- metrische Formen auf. In welcher Form bzw.
stellen. Die wohl abstrahirteste und auf das als welches Wesen die Niedlichkeit auftritt
beschriebene Schema konzentrierteste Form hängt von dem Kontext des Spiels und dessen
weist die von Masahiro Sakurai kreeirte Mechanismen ab.
Figur Kirby (Abb. 12) auf: Sie besteht im
wesentlichen aus einer einzigen Kugel, zwei
großen Augen und einem kleinen Mund so-
wie sehr kurzen, abstrahierten Gliedmaßen.
30
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
31
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
Heute sind Wissenschaftler in der Lage, bei der Abmessung der Spannweite von Vö-
hunderte von Bildern mittels digitaler Bild- geln heraus, dass jene, die bei einem Sturm
bearbeitung miteinander zu vermengen. Die zu Tode kamen, überdurchschnittlich lange
Studien stimmen dabei nach wie vor mit der oder kurze Flügel besaßen. Menschenbabies,
Essenz von Galtons Versuch überein. die über eine über- oder unterdurchschnitt-
«Durchschnittsgesichter», also jene Ge- liche Größe verfügen, haben geringere Über-
sichter die durch eine Kombination vieler lebenschancen.
Gesichter entstehen, werden als attraktiver
bewertet. «Durchschnitt» meint in diesem Den eigentlichen Begriff Koinophilie be-
Kontext jedoch nicht die individuelle Vorstel- schreibt ein Phänomen, welches der Physio-
lung durchschnittlicher Schönheit, sondern loge Johan Koeslag bei paarenden Tieren
die durchschnittliche Gestalt. beobachtete. Er glaubt, eine Bevorzugung des
Durchschnittlichen sei eingeprägt.42
«In einer Welt der langen und kurzen Nasen,
der Mandelaugen und der runden Augen, Bisher stand die Annahme, empfundene
ovaler und runder Gesichter, dicker und dün- Schönheit liege in der Durchschnittlichkeit
ner Lippen und der Über- und Unterbisse er- einer Sache. Doch wenn das Schöne tatsäch-
stellt das Auge seine eigene Statistik, addiert lich «nur» durchschnittlich wäre, würde sie
und dividiert und errechnet sich schließlich dann auch auffallen? Auffälligkeit entsteht
einen Durchschnittswert. Die Schönheit sol- durch die Abweichung gewisser normativer
cher Durchschnitte spiegelt womöglich un- Vorstellungen. Jene Abweichungen müssen
sere Sensibilität für die optimale Gestaltung keine Schönheit substituieren, können je-
der Natur wieder.»41 doch einprägsam und auffallend sein.
In der Natur beschreibt ein stimmiges, sym- Der Psychologe David Perret ließ hierzu
metrisch proportioniertes Verhältnis ein- eine große Anzahl von Portraitfotos nach At-
zelner Merkmale eine gesunde, überlebens- traktivität einstufen. Darauf folgte eine Kom-
fähige Gestaltung. Beispielsweise stellte sich bination der als attraktivsten erachteten Män-
32
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
ner bzw. Frauen. Wenn die Merkmale, welche Eigenschaften, welche eine Hyperfeminität,
sich hier von dem durchschnittlichen Gesicht also die Überzeichnung wesentlicher Unter-
abhoben, noch einer zusätzlichen Überzeich- scheidungsmerkmale von Mann und Frau,
nung unterlagen, wurden jene sogar als noch finden sich insbesondere in dem wohl be-
attraktiver eingestuft.43 Dies gilt jedoch nicht kanntesten weiblichen Spielecharakter Lara
für die Übertreibung irgendeines Merkmals. Croft wieder. Das Gesicht entspricht der
Innerhalb Perrets Studie unterschieden sich
die attraktivsten Frauen in nur wenigen
Punkten. Sie besaßen über größere Augen im
Verhältnis zum Gesicht, dünneren und höher
liegenden Kieferknochen sowie volleren Lip-
pen und einem geringeren Abstand zwischen
Mund und Kinn.
Solche Eigenschaften stellen eine Überbe-
tonung von Feminität dar. Nach Victor
Johnston begründen sich jene Attribute
aus einem niedrigen Androgen- und hohen
Östrogenspiegel.44 Frauen, welche jene Ei-
genschaften aufweisen, durchliefen die Pu-
bertät «[…] mit einer minimalen Menge
männlicher Hormone (daher die kleinere
untere Gesichtspartie) und einer maximalen
Menge weiblicher Hormone wie etwa Östro-
gen (volle Lippen)».45
33
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
Abb. 17
vorhergegangenen Beschreibung, zusätz- Lara Croft, Tomb Raider 1
liche körperliche Merkmale wie die extrem
schmale Taille, lange Beine und große Brüste
untermalen den »Östrogenüberschuss» im
weiteren. Angemerkt sei jedoch, dass Laras
Überzeichnung im Vergleich zu den vorange-
gangenen Versionen im Zuge der weiterent-
wickelten Technologie, dem Trend zur realis-
tischen Spielegrafik, stark nachgelassen hat
(Abb. 17).
34
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
Abb. 18
von David Perret durchgeführte Studie.47 männliche Gesichter,
Feminine Gesichter wiederum ähneln eher leicht feminisiert und hypermaskulin
Kindergesichtern, da sie deren Konturen und
grundlegender Geometrie entsprechen. Die
Jugendlichkeit beschreibt also gewisserma-
ßen eine ästhetische Parallele zwischen Mann
und Frau.
35
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
Abb. 19
Prince of Persia 3D
Abb. 18 Abb. 20
Nr. 47, Hitman Nr. 47, Hitman
Abb. 20
Solid Snake, Metal Gear Solid
36
Ästhetik DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
Abb. 21
Squall, Final Fantasy 8
Abb. 22
Tidus, Final Fantasy 10
Abb. 23
Cloud, Final Fantasy 7
37
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ästhetik
drei Prozent sind 1,70 Meter oder kleiner.»48 Rohe Muskelkraft und Körpergröße formu-
Die Analogie zur Körpergröße lautet verein- lieren aber lange noch nicht ein ästhetisches
facht: Je größer, je stärker und ergo überle- Bild – die Ästhetik liegt hier vielmehr in der
bens- bzw. durchsetzungsfähiger. Da sich Symmetrie, der Ebenmäßigkeit der Formen
Spielercharaktere zumeist durch überlebens- zueinander.
widrige Umgebungen kämpfen, kann eine ge-
wisse Größe daher von Vorteil sein und dem «Symmetrie ist an Schönheit geknüpft, weil
Spieler ein Gefühl von Dominanz verleihen. sie als Maß für Gesundheit und Tauglichkeit
Allerdings hat auch das Gegenteil im Spiel ei- agiert.»49
nen interessanten Aspekt, der sich aus einer
eher ideologischen Sicht begründet: Nicht Für den Spielercharakter bedeutet dieser
auf die äußerliche Größe kommt es an, son- Umstand eine Ausgewogenheit physischer
dern auf die «innerliche». Eigenschaften – ein gigantisches, dünnes
Wesen kann ebenso unattraktiv wirken wie
Die Muskeln eines Mannes bilden sein Ge- ein kleinwüchsiges Muskelpaket.
weih, sein Kriegsgerät. Im allgemeinen be-
schreibt der attraktive männliche Körper die Abschließende Bemerkung
Form eines V – von den breiten Schultern Wie dieser Abschnitt verdeutlicht, gibt es
findet eine Verjüngung bis zur Tallie statt. Die eine Vielzahl einzelner Kriterien, die zu einer
Muskeln beschreiben im Gegensatz zur Kör- Generierung von Ästhetik führen.
pergröße einen offensiveren Bezug zur Über- Bedeutend wichtiger ist jedoch die formelle
lebensfähigkeit: Sie strahlen Kampfkraft aus. Einbettung in den Gesamtkontext des Spiels:
Den männlichen Extremfall repräsentieren Ein äußerliches Erscheinungsbild, welches
Bodybuilder – die Schultern besitzen annä- mit seiner Umgebung und dem inne woh-
hernd die doppelte Breite der Tallie, und der nenden Charakter inkonsistent ist, führt zu
Brustumfang misst weit mehr als einen Meter Problemen in dessen Glaubwürdigkeit.
(Arnold Schwarzenegger hatte zu seinen besten
Zeiten einen Brustumfang von 1,45 Metern).
38
Ähnlichkeit DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
39
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ähnlichkeit
schreiben. Durch jene Veräußerlichungen Frau und Tochter des New Yorker Polizisten
erlangt der Spieler eine Vorstellung der Wer- wurden von Drogenabhängigen unter Ein-
te des Spielercharakters. Jene Vorstellungen fluss einer neuartigen Designerdroge namens
bestimmen im weiteren auch die Konsistenz «Valkyr» getötet. Der Cop versucht fortan
des Spiels. Den gemeinsamen Bezugspunkt als Undercoverermittler den Herstellern der
beider Wertevorstellungen, und daraus re- Droge nachzuspüren. Als sein bester Freund
sultierende Handlungen, müssen mit den und Kontaktmann vor seinen Augen ermordet
vom System vorgegebenen Regeln und Zielen wird und sein zweiter Kontaktmann ihn an die
konform sein. Mafia verrät und seine Identität als Polizist
auslöscht, beginnt der zwischen die Fronten
Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: geratene Payne einen blutigen Rachefeldzug
In dem Computerspiel Max Payne interagiert der gegen das Drogenkartell.
Spieler mit dem gleichnamigen Spielercharakter
Max Payne. Die Vorgeschichte wird dem Spieler
Abb. 24
in bedrückender Atmosphäre in Form von Max Payne
comicartigen Bildausschnitten (Abb. 23) und der
Sprecherstimme des Protagonisten vermittelt.
Abb. 23
Erzählweise in Max Payne
40
Ähnlichkeit DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
52 Riedl, 2002
41
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ähnlichkeit
Vermutlich liegt das Problem der unter- programmierte Ereignisse, innerhalb inter-
schiedlichen Darstellungsweisen in dem noch aktiver Sequenzen dar. Vor allem der 1998
jungen Entwicklungsstand des Bildschirm- von Valve herausgebrachte First-Person
spiels. Ähnlich wie einst die Fotografie zu sei- Ego-Shooter Half Life leistete in dem Sek-
ner Einführung etablierte Darstellungsweisen tor Pionierarbeit. Der Nachfolger, Half-Life
der Malerei (Portrait- und Landschaftsmale- 2, verfeinerte jenes Prinzip weiter durch bes-
rei) kopierte, um eine Daseinsberechtigung sere Abstimmung bzw. Timing (Abb. 25).
zu etablieren, bedienen sich Bildschirmspiele Auch die Interaktion mit NPC‘s wird häufig
zur Ausgestaltung von Charakteren narrativer genutzt, um das Wesen des Spielercharak-
Elemente, wie sie in Buch oder Film benutzt ters dem Spieler näher zu bringen. So werden
werden. Letzteres ist dabei unter Anbetracht prägende Wesenszüge durch Gespräche of-
der sehr ähnlichen Darstellungsweise in nicht- fensichtlich.
interaktiven Teilen das nähere Medium. Die
Tatsache, dass vielen Filmen zumeist im Rah- Abb. 25
Gescriptetes Ereigniss, Half-Life 2
men von Marketing-Aktionen Spiele folgen ist
daher auch nicht weiter verwunderlich.
42
Ähnlichkeit DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
54 Seeßlen, 1993
43
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ähnlichkeit
RUF ELIXIR
HELFER
SCHWELLE
Überquerung der Schwelle · Rückkehr
· Bruderkampf · Auferstehung
· Kampf mit dem Drachen · Rettung
· Zerstückelung · Kampf an der Schwelle
· Kreuzigung PRÜFUNGEN
· Entführung FLUCHT
HELFER
· Nacht- und Seefahrt
· Wunderfahrt
· Bauch des Walfisches
· Heilige Hochzeit
· Versöhnung mit dem Vater
· Apothese Abb. 26
Diagram zur Abenteuer-
· Raub des Elixiers
fahrt nach Campbell
und lebendig ins Königreich der Finsternis ein höchstes Gottesgericht zu bestehen und
eingehen (Bruderkampf, Kampf dem Dra- erhält seine Belohnung. Der Triumph kann
chen; Opfer, Zauber) oder vom Gegner er- sich darstellen als sexuelle Vereinigung mit
schlagen werden und als Toter hinabsteigen der göttlichen Weltmutter (heilige Hochzeit),
(Zerstückelung, Kreuzigung). Dann jenseits seine Anerkennung durch den Schöpfervater
der Schwelle, durchmißt der Held eine Welt (Versöhnung mit dem Vater), Vergöttlichung
fremdartiger und doch seltsam vertrauter des Helden selbst (Apotheose), oder aber,
Kräfte, von denen einige ihn gefährlich be- wenn die Mächte ihm feindlich geblieben
drohen (Prüfungen), andere ihm magische sind, der Raub des Segens, den er zu holen
Hilfe leisten (Helfer). Wenn er am Nadir des gekommen war (Brautraub, Feuerraub); sei-
mythischen Zirkels angekommen ist, hat er nem Wesen nach ist er eine Ausweitung des
44
Ähnlichkeit DER SYMPATHISCHE SPIELERCHARAKTER
Bewußtseins und damit des Seins (Erleuch- des Protagonisten und das «gemeinsame
tung, Verwandlung, Freiheit). Die Schlußar- Meistern» auferlegter Proben. Letzteres
beit ist die Rückkehr. Wenn die Mächte den integriert im weiteren den nach Cialdini
Helden gesegnet haben, macht er sich nun genannten Aspekt «Sympathie durch Koope-
unter ihrem Schutz auf (Sendung); wenn ration» (S. 13). Das Lösen von Problemen mit
nicht, flieht er und wird verfolgt (Flucht in dem Spielercharakter kann also ebenfalls zu
Verwandlungen, Flucht mit Hindernissen). einem gewissen Grad das Sympathiegefüge
An der Schwelle der Rückkehr müssen die stärken.
transzendenten Kräfte zurückbleiben; der
Held steigt aus dem Reich des Schreckens Sehr eindeutige Verweise auf die Heldenreise
wieder empor (Rückkehr, Auferstehung). bietet beispielsweise die seit 1986 von Nin-
Der Segen, den er bringt, wird der Welt zum tendo ständig weiterentwickelte Zelda Reihe,
Heil.»56 oder die seit 1986 von Squaro Co. entwickelte
Final Fantasy Serie. Generellere Anlehnungen
Die Heldenreise bietet viele Möglichkeiten wie der Aufbruch zum Abenteuer selbst, das
der Integration in Geschichten. Ein be- Meistern auferlegter Proben, der Einsatz von
wusster Gebrauch lässt sich seit geraumer Helfern, etc. lassen sich nahezu jedem cha-
Zeit in einer Vielzahl von Filmen feststellen rakterbasiertem Spiel wiederfinden.
(Beispielsweise George Lucas «Krieg der
Sterne» oder Steven Spielbergs «E.T. – Der Situationsähnlichkeit
Außerirdische» oder «Jäger des verlorenen Als letzter Aspekt sei noch eine interessante
Schatzes»). Herangehensweise zu einer direkten Erzeu-
gungsweise der Einstellungsähnlichkeit ge-
Auch in Spielen finden sich, je nach Art und nannt: Die Amnesie des Spielercharakters.
Ausarbeitung, mehr oder weniger abstra- Durch die Situationsähnlichkeit des Spielers
hierte Elemente der Heldenreise wieder. Das und des Spielercharakters wird so eine Wer-
für den Spieler interessanter an der Helden- terelation geschaffen, da zunächst das Er-
reise ist die damit verbundene Entwicklung kunden der Umgebung und Lage oder sogar
der damit verbundenen Identität im Vorder-
56 Campbell, 1978, S.237-238, s.a. Abb. 26 grund steht. Das genannte Prinzip findet sich
45
DER SYMPTHISCHE SPIELERCHARAKTER Ähnlichkeit
Abb. 27
beispielsweise in dem von Eidos entwickelten Hitman
Spiel Hitman wieder. Hier schlüpft der Spie-
ler in die Rolle eines Auftragskillers (Agent
47), der, bedingt durch seine Amnesie, in
keinster Weise über seine Vergangenheit
oder Herkunft im Bilde ist. Auch wenn sich
der Charakter im weiteren Spiel persönlich
nicht weiter entwickelt, so ist jener Ansatz
dennoch interessant und nennenswert.
46
FAZIT
Fazit
Das bewusste Erzeugen von Emotionen bzw. strahierte Form der Darstellung erzielt, die
Empathie- und Sympathie stellt in tradierten sich im weiteren auch für den Kontext des
Medien einen integralen Bestandteil dar. Bildschirmspiels als unterstützend auswir-
Bildschirmspiele stellen in Vergleich zu jenen ken kann. Sympathie setzt eine emotionale
ein noch recht junges Medium dar, welches Glaubwürdigkeit voraus, allerdings steht
erst vor wenigen Jahren die Zentralperspek- jene Glaubwürdigkeit in keinem Bezug zum
tive «erfand» (3D-Grafik). Es unterliegt der Realismus, welcher versucht, durch eine
Problematik, seine eigenen Möglichkeiten möglichst genaue Imitation der Realität zu
der Ausdrucksweise erst noch formulieren bestechen. Auch hier ist zu erkennen, dass
zu müssen. Bildschirmspiele bedienen sich sich Bildschirmspiele tradierter Stilmittel,
massiv Elemente bereits tradierter Medien, beispielsweise an Comics, bedienen.
was ein typisches Phänomen für ein neu ein-
geführtes Medium darstellt, welches im Ver- Einen wesentlich kritischeren Punkt im Zuge
such, sich selbst zu legitimieren, bereits etab- der Sympathiebildung stellt die Darstellung
liertes imitiert. des Innenlebens der zu spielenden Figur dar.
Hier findet oftmals ein Bruch zwischen Inter-
Im Zuge des grafischen Realismus sind äs- aktivität und Nicht-Interaktivität statt, ka-
thetische Aspekte an technische Rahmenbe- schiert durch eine, je nach Bildschirmspiel,
dingungen gebunden, welche, wie durch das unterschiedlichen Vermengung interaktiver
«Unheimliche Tal» vorgeführt, einer wesent- und nicht-interaktiver Sequenzen. Zwar
lichen Problematik unterliegen. Eine höhere kann auch hier eine zumindest geringfügige
Wirksamkeit wird, wie es scheint, durch eine Sympathiebildung stattfinden, allerdings
eher auf das wesentliche beschränkte, ab- leidet jene Ausführung unter dem beschrie-
47
FAZIT
benen «kognitiven Dualismus», worunter die Nach meiner Meinung sind beide Ansichts-
Wahrnehmung des Spielercharakter leidet. weisen nur bedingt richtig. Sie stützen sich
Ein möglicher Lösungsansatz besteht in der auf die gegenwärtige Situation der Bild-
Erkundung der Umwelt, welche wiederum schirmspiele, eine generelle, womöglich zu-
Rückschlüsse auf das Innenleben des Cha- kunftsweisende Hinterfragung erfolgt jedoch
rakter zulässt. Umso dezenter jene Hinweise nicht.
eingebracht werden, umso weniger wird der
interaktive Prozess des Spielers negativ be- Zurück zur Sympathie, lässt sich zusammen-
einflusst. fassend festhalten, dass ein Entstehen von
Sympathie zum Spielercharakter durchaus
Letzteres wirft die generelle Frage auf, ob der durch die in dieser Arbeit beschriebenen As-
Versuch, Emotionen aus dem spielerischen pekte begünstigt werden kann. Sympathie
Kontext heraus zu erzeugen, zukunftswei- kann sich durch mehrere Kriterien etablie-
send ist. Diese Fragestellung wird im übrigen ren, welche überwiegend mit der Konsistenz
auch von Experten äußerst ambivalent disku- des Spiels, der daraus folgenden Glaubwür-
tiert. Während David Freeman in seinem digkeit insgesamt, zusammenhängen.
Werk Creating Emotion in Games: The Craft
and Art of Emotioneering™ Techniken zur
Erzeugung emotionaler Tiefe in Spielen be-
schreibt und jene als Notwendigkeit ansieht,
beschreibt der Filmkritiker Roger Ebert
Bildschirmspiele als dem filmischen weit un-
terlegen: «There is a structural reason for
that: Video games by their nature require
player choices, which is the opposite of the
strategy of serious film and literature, which
requires authorial control.»57
57 http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/sectin?cate
48
XXX EINLEITUNG
Quellen
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Genre Trouble, verfügbar unter http://www. The Art of Creative Writing. New York: Ken-
electronicbookreview.com/thread/firstper- sington Publishing Corp.
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Anger and agression. An essay on emotion. derichs
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Ewert, O. (1983)
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Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt: schung. In H. Thomae (Hrsg.), Handbuch der
Insel. In: Wiemken, J. (2000) Hardliner – Psychologie, Bd. 1: Theorien und Formen der
Zeit für Helden, NLI Motivation. Göttingen: Hogrefe.
49
QUELLEN
50
QUELLEN
Otto, J. (1991)
Befindlichkeitsveränderungen durch emoti-
onsbezogene und aufgabenbezogene Stress-
bewältigung. Pfaffenweiler: Centaurus
Meyer W.U., Schützwohl A., Reisenzein R.
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gie, Bd. III, Bern: Huber
Pekrun, R. (1988)
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Riedl, R (2002)
Zufall, Chaos, Sinn. Nachdenken über Gott
und die Welt. Stuttgart: Kreuz
Seeßlen, G. (1993)
Aufstand im Ghetto. In: Jürgen Maaß. Ed.
Computerspiele – (Un)heile Welt der Ju-
gendlichen. München/Wien: Profil. In: In:
Wiemken, J. (2000) Hardliner – Zeit für
Helden, NLI
Weiner, B. (1984)
Motivationspsychologie. Weinheim: Beltz
51
Dank,
geht an Herrn Prof. Dr. Michael Erlhoff für
die hilfreichen und interessanten Gespräche,
Robert Sander für Kritik und Motivation,
sowie Yu-Chung Chen und Christoph Hage-
mann für Diskurs und Unterstützung