Sammlung
J. HI. W. Kirclanana
Zweihundertneunzehntes, Zweihundertzwanzigstes
Und
Zweihunderteinundzwanzigstes Heft.
Leipzig 1875.
E r i c h EK O s c h n y
(L. Heimann's Verlag).
Kant’s Grundlegung
J. H. W. Ki r C In um Ba un un.
Abtheilung I.
Berlin 1875.
Er i c h Ko s c h n y
(L. Heimann's Verlag).
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W0 r W0 rt.
Erläuterung 13. 17
welche dann als Prädikate von dem Begriffe als dem Sub
jekte ausgesagt werden. Diese Denk-Operation ist also
nur trennend; allein bei jener Auffindung der Mittel
zur Lösung einer Aufgabe, z. B. die Herstellung einer
bestimmten Maschine, kommt es nicht auf ein Austrennen
der einzelnen in einem Begriffe bereits enthaltenen Merk
male an, sondere auf eine Verbindung der in den vie
len hier zu benutzenden Gesetzen enthaltenen Mittel zur
Herstellung eines aus dieser Verbindung resultirenden
sehr complizirten Zieles oder Gegenstandes. Insofern ist
die Denkthätigkeit hier mehr eine synthetische als eine
analytische.
18. Kategorischer Imperativ. S. 42. Hier kommt
endlich Kant auf die wichtige Frage, wie die sittliche
Regel oder das sittliche Gebot eine Wirksamkeit auf den
Willen des Menschen ausüben könne? Wenn er die Be
nutzung der Erfahrung dabei verwirft, weil das Nicht
sein einer Ursache durch Erfahrung nicht festgestellt wer
den könne, so übersieht Kant, dass dies allerdings da
möglich ist, wo nur, wie bei dem Menschen, zwei Motive
für sein Wollen und Handeln bestehn, entweder Motive
der Lust oder der Achtung. Wenn nun nach der Natur
dieser Motive beide nicht zugleich für eine bestimmte
Handlung wirksam sein können, sondern das eine das
andere ausschliesst, so erhellt, dass man wenigstens in
Betreff seines eignen Handelns durch Selbstwahrnehmung
dessen Motive sehr wohl erkennen kann, und dass,
wenn ich hier wahrnehme, wie ich in einem bestimmten
Falle aus Achtung vor dem Gebot handle, damit von
selbst, und zwar durch Erfahrung, auch festgestellt ist,
dass keine andre Triebfeder (der Lust, des Nutzens)
mich bestimmt. Allerdings kann hier der Mensch sich
durch Sophistik täuschen, allein dies bleiben Ausnahmen,
welche, wie bei der Sinneswahrnehmung, ihre Zuverlässig
keit überhaupt nicht aufheben können. Folglich ist die
Wirksamkeit der Imperative auf den Willen in Wahrheit
durch Erfahrung festzustellen, und hätte Kant, sich nicht
so in sein Prinzip des A-priori und der Allgemeinheit
vertieft, so würde seinem Scharfsinne nicht entgangen sein,
dass die Gebote Gottes nicht durch ihre Allgemeinheit
wirken, sondern durch die Erhabenheit des Gebietenden
Erläuterung 18. 19. 23
Äit, die
## allgemein verbindende Natur der Verträge zer
ist es auch hier; selbst die Regel, dass
ein Mann, dem die Mittel fehlen, sein Versprechen, das
erborgte Geld zurückzugeben, nicht zu Ä brauche,
würde nur eine Beschränkung in der Wirksamkeit der
Verträge herbeiführen, aber sie selbst nicht allgemein un
möglich machen. Schon jetzt sieht sich ein Jeder i
Verkehr seinen Mann an, der von ihm borgen will, Ä
traut dessen Versprechungen nicht, sondern prüft die Um
stände, ob er es redlich meine und die Mittel zur Rück
zahlung haben werde. Man sieht, was Kant, als
Vernichtung der Verträge Ä schon jetzt
allgemein geübt, ohne dass der Verkehr und die Gesell
schaft leidet. – Im dritten Beispiel war die Sophistik
mittelst des Widerspruchs schwieriger; allein Kant sucht
ihn dennoch dadurch hineinzubringen, dass er dem Ge
Ä vernünftigem Wesen, ein Wollen
Müssen dahin unterschiebt, dass er alle seine Anlagen
auszubilden habe, d. h. Kant schaltet bereits diese Pflicht
als vorhanden ein, welche aus seinem formalen Prinzip,
erst abgeleitet werden soll. Die Pflicht, „alle Vermögen
in sich zu entwickeln“, ist etwas ganz Andres, als so zu
handeln, dass die Maxime für Alle gelten könne. Kant
selbst erkennt an, dass ganze Völker so leben; er hätte
also hier recht eigentlich bemerken müssen, dass sein
durchaus formales Prinzip keinen Inhalt und keine be
stimmten Pflichten aus sich ableiten lasse. – Am schwäch
sten von allen ist das vierte Beispiel. Auch hier er
kennt Kant an, dass mit dem Egoismus, zum Gesetz er
Ä die Welt nicht untergehn werde, aber Kant meint,
der so Wollende würde sich selbst schaden, weil er selbst
auch in Noth kommen könne, deshalb sei auch hier ein
Widerspruch des Wollens; allein Jedermann wird höch
stens sagen, dass ein solches Wollen sich nur verrechnet
habe, und dabei bleibt es noch unausgemacht, ob die
Rechnung, in vielen Fällen nicht dennoch zutrifft. +
Um so mehr muss man erstaunen, wie Kant Ä
für „augenfällige“ Beläge zu seinem Prinzip erklären,
”: 2. - -- - - - - - -- - -- - - - -
in Abschn. I S. 22 hat Kant den Widerspruch noch
nicht als Beweismittel benutzt; er spricht da nur von der
„Zerstörung“ der Verträge; er zeigt also nur den Scha
26 Erläuterung 20. 21.
Frage, ob ich durch die Lüge einen Andern nur als Mit
tel und nicht zugleich als Zweck behandle, ist erst zu
beantworten, wenn feststeht, wie weit meine Rechte und
seine Pflichten gehn, d. h. es ist in Wahrheit nur ein
tautologischer Satz. -
So zeigt sich, wie selbst ein grosser Mann die Fehler bei
Andern scharf erkennt, aber dieselben Fehler bei seiner
eignen Lehre nicht bemerkt. -
Die Ableitung der sittlichen Gebote von Gott verwirft
Kant, 1), weil wir Gott nicht anschauen können und
2) weil dann Motive der Leidenschaften statt der Ach
tung für die sittlichen Gebote eintreten würden; wenig
stens ist dies wohl der Sinn dieser dunklen Stelle. Allein
Kant übersieht, dass die Gebote Gottes auch durch Pro
pheten für die Gläubigen verkündet werden können und
hier der Glaube die Wahrnehmung ersetzt: (B. XI., 55.)
und 2) dass nicht die hier genannten Leidenschaften aus
solchen Geboten hervorgehn würden, sondern in Folge
der erhabenen Majestät und Allmacht Gottes nur die
Achtung vor seinen Geboten, also gerade das Gefühl,
was den Kern alles Sittlichen selbst nach Kant ausmacht.
- , -
E n d e.
± −
Erläuterungen
Kant's Metaphysik
der Sitten.
Abtheilung II.
51
WorWort.
Erläuterungen
Kant's Metaphysik der Sitten,
und ihr Prinzip, dass die Willkür des Einen durch die
Willkür der Andern nur in soweit beschränkt ist, dass
die allgemeine Freiheit damit bestehn kann. Aus einem
so einseitigen formalen Prinzip kann selbstverständlich
kein Satz abgeleitet werden, wonach bestimmte Sachen
nicht als Eigenthum erworben werden können. Je dürf
tiger und inhaltsleerer das Prinzip des Rechts aufgestellt
wird, desto inhaltsleerer und unbestimmter muss auch
der daraus abzuleitende Inhalt des Rechts werden. Erst
wenn das Recht sich nach den Bedürfnissen des Volkes
und durch die Gebote lebendiger Autoritäten gestaltet,
kann es kommen, dass einzelne Sachen, wie die res sacrae,
von dem Eigenthumserwerb ausgeschlossen werden. Kant
will aus diesem Satz den Erwerb herrenloser Sachen
durch die erste Besitznahme ableiten; allein jener Satz
führt höchstens dahin, dass an jeder Sache ein Eigen
thum bestehn oder erworben werden kann, aber keines
wegs folgt daraus, dass bei herrenlosen Sachen schon
die blosse Besitznahme Eigenthum gewährt. Deshalb
bleibt auch Kant's Versuch, dies zu begründen, unver
ständlich.
Gebiet, wohin das Recht gar nicht reicht, wie bei Streit
fällen zwischen verschiednen Völkern. Deshalb schwe
ben diese Ausführungen, wie der Staat Plato's, in der
Luft; es sind im besten Falle logisch richtige Conclusio
nen aus willkürlich und einseitig gebildeten Prämissen,
deren Geltung nirgends in der Welt zu finden ist. Das
Recht und seine zeitliche Entwickelung ist das Ergebniss
mannichfacher elementarer Kräfte und bildet sich nur aus
Compromissen zwischen diesen Kräften; nichts ist hier
verkehrter, als dasselbe aus einem Prinzip herleiten zu
wollen. Das belehrendste Beispiel, zu welchen falschen
Ergebnissen eine solche Methode führt, hatte bereits
Hobbes in seinen philosophischen Elementen über den
Bürger gegeben. Allerdings treten bei Hobbes diese Män
gel noch deutlicher hervor, weil seine Darstellung durch
aus klar und verständlich ist, während hier bei Kant
diese Mängel zwar ebenso gross sind, aber durch Auf
stellung einer Menge unjuristischer und dunkler Begriffe
und Eintheilungen verdeckt werden.
Aus diesem Grunde können auch die Ausführungen
in § 16 übergangen werden. Der Leser mag selbst sei
nen Scharfsinn üben und sehn, ob er in dieser schwül
stigen und dunklen Darstellung sich zurecht finden kann.
40. Fortsetzung. § 17. S. 80. Kant wiederholt auch
hier nur Begriffe und Sätze, die schon geprüft worden
sind. Er gelangt hier zu einzelnen konkreten Fragen,
z. B. über das mare liberum und clausum, über getheiltes
Eigenthum u. s. w. Seine Antworten kommen bald mit
den bestehenden Rechten überein, bald nicht. So ist das
Recht, den Bernstein sich zuzueignen, in Ostpreussen
Regal, in Westpreussen nicht: in beiden Provinzen wer
den aber nicht die Kanonen entscheiden, wie weit dies
Recht in die See reicht; in Ostpreussen geht es darüber
hinaus, in Westpreussen geht es nur bis an das Meer
und nicht in dasselbe hinein. Wie falsch alle solche me
taphysischen Begründungen in Dingen sind, die durch
ein Zusammentreffen der verschiedensten Interessen sich
bald so, bald anders gestalten, erhellt schon daraus, dass
nach Kant der Ufereigenthümer auch das Fischen auf
dem Meere so weit verbieten könnte, als seine Kanonen
reichen. Und wie, wenn er einen Stunden langen Molo
86 Metaph. d. Sitten. Erläuterung 40.
dern eine körperliche Sache, mit der er, wie andre Kauf
leute mit ihren Waaren, Handel treibt. Um die Mittel
für diese Waare, nämlich das Manuscript, zu erlangen,
bedarf es eines Vertrages mit dem Verfasser; dieser
kann die Rechte beider Theile auf das Mannichfachste
regeln; er gilt aber nur zwischen ihnen. Hat ein Dritter
nun dasselbe Mittel sich durch Ankauf eines Exemplars
des gedruckten Buches verschafft, so ist er weder gegen
den Verfasser noch gegen den Verleger aus dem Kaufe
des Buches verbunden, es nicht selbst abzudrucken und
zu verbreiten; er redet weder im Namen des Verfassers
ohne Auftrag, wie Kant meint, noch kann man ein
geistiges Eigenthum des Verfassers an dem Inhalte der
Schrift behaupten; es sind dies Fiktionen, die man er
findet, ähnlich wie den Staatsvertrag, um das daraus
herzuleiten, was in diese Fiktionen zuvor hineingelegt
worden ist. Wenn also der Nachdruck als unzulässig
gelten soll, so bedarf es eines öffentlichen Verbots- und
Strafgesetzes, und dieses allein bestimmt die Grenze, wie
weit dieses Verbot gehen soll. Der Anlass zu solchem
Gesetze für den Gesetzgeber liegt in dem Nutzen, den
die Gesellschaft von solchem Gesetze zieht; denn dies al
lein sichert dem Verfasser einen entsprechenden Lohn
für die Mühe der Abfassung des Manuscripts und setzt
den rechtmässigen Verleger in den Stand, einen gesicher
ten Handel, wie mit andrer Waare, zu treiben, d. h. so
wohl dem Publikum das Buch zu einem möglichst billi
gen Preise abzulassen, wie dem Verfasser ein angemesse
nes Honorar zu gewähren. Diese Motive des Nutzens
gelten aber nur für den Gesetzgeber (B. XI. 62. 63); für
das Publikum entsteht die rechtliche Verbindlichkeit nicht
aus diesen Interessen, sondern aus dem Gebot der Auto
rität und zwar für alle dieser Autorität. Unterworfenen.
Deshalb ist der Büchernachdruck in andern 1 ändern
wenn die Exemplare nicht in das ursprüngliche Land
gesandt werden, kein Unrecht und nicht einmal unmora
lisch. Indess kann ein solcher Schutz, wie ihn die Autºs
rität gewährt, vom Schriftsteller und Verleger und deren
Erben auch gemissbraucht werden und es kann die Ven
breitung wichtiger Werke durch zu hohe Preise ge
hindert werden; deshalb ist in den meisten Ländern die
ser Schutz gegen Nachdruck nur auf eine bestimmte Zeit
Metaph. d. Sitten. Erläuterung 52. 53. 97
diese Motive gelten nur für den Gesetzgeber bei der Frage
de lege fernda, aber nicht für den Bürger für seine Pflicht
dem Gesetze zu gehorchen; diese Pflicht ruht einfach
auf dem erhabenen Willen der gesetzgebenden Macht.
54. Beerbung. § 34. S. 108. Diese Begründung
des Erbrechts ist ebenso erkünstelt, wie die der Verjäh
rung. Zunächst passt sie nicht auf die Intestaterbfolge
und nicht auf Erbverträge. Die Ererbung durch Testa
ment kann aber nach den eignen Ausführungen Kant's
nicht als Vertrag angesehn werden; ihre Wirksamkeit
beruht also, wie zuletzt alle Rechtstitel, auf dem Willen
der Autoritäten, ausgesprochen vom Volke in Bildung
seines Gewohnheitsrechts, oder vom Staat durch förmliche
Gesetze. Erkennt man diese Grundlage an, so bedarf es
solcher Künsteleien nicht und insbesondere nicht jener
empirischen Uebertragung in eine ideale, d. h. intelligible,
die Zeit ausschliessende Erwerbung, welche Auffassung
alles Verständniss des Rechts unmöglich macht.
des Rechts, der sofort zerreisst, wenn der eine Theil sich
stark genug fühlt, um seine Stellung zu erhöhen. (B.
XI. 168.)
phie
der
selbst der kategorische Imperativ von dem hypothetischen
dadurch unterschieden, dass nur bei letzterem eine Ab
bei
sicht bestehe und danach die Güte der Handlung sich
ird, bestimme, während der kategorische die Handlung an
der
sich gebiete. Zweck und Absicht fallen aber hier zu
eht
sammen. Dieses Bedenken wird in dem Folgenden wei
ter erörtert.
kes
die 88. Zweck als Pflicht. S. 216. Kant vertröstet hier
en noch auf Lösung des in Erl. 87 berührten Bedenkens.
nd Man sollte meinen, ein Zweck oder Erfolg, der der sitt
ºr
lichen Handlung nachfolgen und das Motiv für sie bilden
l soll, wäre durch das von Kant aufgestellte formale Prin
zip des Sittlichen geradezu unmöglich. Indess kann als
Vorbereitung hier die Unterscheidung zwischen Tugend
PS
und ethischen Pflichten angesehen werden. Es ist dies
eine ganz neue, mit dem sittlichen Prinzip Kant's schwer
zu vereinigende Unterscheidung. «
S c h l u s s.