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Christian Utz / Dieter Kleinrath

Klang und Wahrnehmung bei Varèse, Scelsi und Lachenmann

Zur Wechselwirkung von Tonhöhen- und Klangfarbenstrukturen


in der Klangorganisation post-tonaler Musik1

1. V O R A U S S E T Z U N G E N P O S T-T O N A L E R K L A NG ORGA N I SAT ION

Im Rahmen einer Publikation, die sich den unterschiedlichen Perspektiven des Phänomens
›Klang‹ widmet, mag sich die Musiktheorie in erster Linie für die ›Organisation‹ des Klangs
zuständig fühlen. Der Begriff ›Klangorganisation‹ kann zunächst – obschon vor allem in
der Theorie elektronischer Musik geläufig2 – als allgemeiner Terminus für intentional syste-
matisierte oder zumindest ›geordnete‹ musikalische Strukturen gesehen werden und somit
tendenziell synonym mit kompositionstechnischen Vorgangsweisen erscheinen, die das Phä-
nomen ›Klang‹ betreffen. Für unsere hier vorgestellte Methode wesentlich ist allerdings die
Voraussetzung, dass auch die musikalische Wahrnehmung, ja die auditive Wahrnehmung
insgesamt auf einer (kognitiven) ›Organisation‹ von Klangereignissen beruht, die methodisch
letztlich nicht schlüssig von kompositionspraktischer ›Organisation‹ getrennt werden kann.
Nicht nur sind Komponist/innen in der Regel die ersten und häufig auch genauesten Hö-
rer/innen ihrer eigenen Klänge, auch entstehen kompositionstechnische Strukturen histo-
risch gesehen aus einer komplexen zyklischen Wechselwirkung von künstlerischer Intention,
kompositionstechnischer Umsetzung, aufführungspraktischer Interpretation und kognitiver
sowie soziokultureller Rezeption. So problematisch die im Bereich der neuen Musik weitge-
hend unhinterfragt gebliebene Autorität der Autorposition sein mag3, so darf nicht übersehen
werden, dass viele der führenden Komponisten des 20. Jahrhunderts ganz bewusst über das
eigene Werk hinaus grundsätzliche Überlegungen zur musikalischen Wahrnehmung ange-
stellt haben, deren kulturhistorische Kontextualisierung von der Musiktheorie und Musik-
wissenschaft noch keineswegs hinreichend geleistet wurde und die in jedem Fall auch über
den ›Tod des Autors‹ hinaus im Dialog mit Erkenntnissen der Musikpsychologie und der
kognitiv orientierten Musiktheorie fruchtbar gemacht werden können.
Theorien der Klangstrukturen der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts wurden traditionell
meist unter dem Begriff ›Harmonik‹ bzw. ›Harmonielehre‹ zusammengefasst. Trotz der offen-

1 Eine zum vorliegenden Beitrag komplementäre Studie wird von den Autoren veröffentlicht als Klangorga-
nisation. Zur Systematik und Analyse einer Morphologie und Syntax post-tonaler Kunstmusik. Dort wird eine
systematische Erörterung der Morphologie und Syntax von Klangereignissen im post-tonalen Kontext
vorgenommen. Im vorliegenden Beitrag steht dagegen die Frage im Vordergrund, wie in der analytischen
Praxis verschriftlichte Struktur und Klangwahrnehmung miteinander in einen sinnfälligen Dialog ge-
bracht werden können.
2 Die von Oxford University Press herausgegebene Fachzeitschrift Organised Sound befasst sich schwer-
punktmäßig mit elektronischer Musik, allerdings auch allgemeiner mit den kognitiven und neurobiologi-
schen Voraussetzungen der musikalischen Wahrnehmung. Vgl. daneben für die Anwendung des Begriffs
auf elektronische Musik auch Landy, Understanding the Art of Sound Organization. Die Begriffsprägung
und Anwendung auf elektronische Musik scheint auf Edgard Varèse zurück zu gehen (vgl. Anm. 6).
3 Vgl. dazu insbesondere Utz, Musik von einem fremden Planeten?, S. 378–382.

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sichtlichen Verbindung dieser Begriffe mit der Dur-Moll-Tonalität, nicht zufällig häufig auch
als ›harmonische Tonalität‹ bezeichnet, wurde weiterhin von der »Harmonik in der Musik
des 20. Jahrhunderts«, der »harmonischen Organisation des Rite of Spring« etc. gesprochen.4
Wenn nun auch kaum ein Zweifel daran bestehen kann, dass post-tonale Musik im Sinne
einer »Anamnese«5 der Tonalität Aspekte harmonischen Denkens bewahrt, weiterentwickelt
und transformiert, so scheint ›Harmonik‹ als analytisches Konzept doch zumindest für die
Musik jener Komponisten irreführend, die einen rigoroseren Bruch mit dem tonalen System
anstrebten, unter ihnen Edgard Varèse und John Cage, die beide konsequenterweise auch den
Begriff ›Musik‹ für ihre eigenen künstlerischen Hervorbringungen nicht mehr in Anspruch
nehmen wollten und mit »organized sound« bzw. »organization of sound« ersetzten.6
Auf der anderen Seite muss berücksichtigt werden, dass ›Harmonik‹ erst im 19. Jahrhun-
dert als paradigmatisches musiktheoretisches Konzept etabliert wurde. Die dauerhafte und
weitreichende Prägung, die es der Theoriebildung tonaler Musik bis heute verleiht, war auch
Resultat der Bestrebung, musiktheoretisches Denken als Bestandteil der Musikwissenschaft

4 Vgl. etwa Gieseler, Harmonik in der Musik des 20. Jahrhunderts sowie Forte, The Harmonic Organization
of the »Rite of Spring«. Walter Gieseler behandelt das Phänomen Harmonik aus einer rein produktionsäs-
thetischen Perspektive (»alles an gewollten und damit verantworteten Einzelakkorden, Akkordfolgen und
Akkorden in größerem Zusammenhang«) und klammert serielle Musik aus seinen Überlegungen aus, da
diese »das Thema Harmonik an den Rand gedrängt hat« (Gieseler, Harmonik in der Musik des 20. Jahr-
hunderts, S. 6, 16). Tonalität ist für Gieseler »wie Modalität ein historisch zu verstehender Sonderfall der
Harmonik«. Schon Carl Dahlhaus hatte dagegen auf den inflationären und oft unangemessenen Gebrauch
des Begriffs ›Harmonik‹ in Analysen neuerer Musik hingewiesen: »[W]enn atonale Zusammenklangser-
scheinungen unter dem Stichwort Harmonik analysiert oder klassifiziert werden, ist sogar die Grundbe-
deutung, die das Wort Harmonie in der Umgangssprache bewahrt, ausgelöscht oder in den Hintergrund
gedrängt« (Dahlhaus, Relationes harmonicae, S. 209).
5 Wir setzen hier eine Definition post-tonaler Musik voraus, in der analog zu Jean-François Lyotards Defi-
nition von Postmoderne als »Redigieren« im Sinn einer »Anamnese« bzw. einer »Durcharbeitung der Mo-
derne« (vgl. Lyotard, Das Inhumane, S. 41, 67) nicht von einer kategorischen Gegensätzlichkeit zwischen
tonaler und post-tonaler Musik, sondern von einem vielgliedrigen Beziehungsnetz zwischen beiden Syste-
men ausgegangen wird. Lyotard übernimmt diese Denkfiguren von Sigmund Freud und Walter Benjamin
(vgl. Vielhaber, Die Präfixe der Postmoderne, S. 60ff.).
6 Vgl. dazu genauer Utz/Kleinrath, Klangorganisation, Exkurs 1: Zur Wahl des Begriffs ›Klangorganisation‹.
Edgard Varèse bezeichnete mit »son organisé« / »organized sound« sowohl im engeren Sinn elektroaku-
stisch erzeugte Klänge, etwa die Interpolationen (1953–61) zu Déserts (1949–54) oder den Poème électro-
nique (1958), verstand diesen Begriff aber spätestens seit 1936 auch als Synonym für Musik insgesamt (die
umfangreichste Diskussion dazu bietet Jostkleigrewe, »The Ear of Imagination«, S. 67–70). Ihm liegt in
Verbindung mit der von Joseph Maria Hoëné Wronski (1778–1853) übernommenen Vorstellung einer in
den Klängen angelegten ›Intelligenz‹ ein autopoietisches Grundkonzept zugrunde (vgl. Varèse, Musik als
ars scientia, S. 14). Damit ist bei Varèse die Rezeptionsperspektive stets implizit mitbedacht. John Cage
hat die ähnliche Bezeichnung »organization of sound« gleichfalls häufig als Synonym bzw. als Alternative
für ›Musik‹ verwendet. Es ist nicht endgültig geklärt, ob Cage den Begriff von Varèse übernahm oder
unabhängig von Varèse zu dieser erstmals in seinem Essay The Future of Music (1940) dokumentierten For-
mulierung gelangte (vgl. Miller, John Cage in Seattle, S. 56, 76, Anm. 40). In jedem Fall musste spätestens
in der zwischen den Jahren 1952 und 1958 erfolgten Wende zur Ästhetik der Unbestimmtheit gerade eine
solche ›Organisation‹ von Klängen für Cage zur Negativfolie werden, vor der sich sein utopischer Entwurf
von für Komponist wie für Hörer nicht-intentionalen Klangfolgen abhob (vgl. Utz/Kleinrath, Klangorga-
nisation, Exkurs 2). – Im deutschsprachigen Raum wurde in jüngerer Zeit ›Klangorganisation‹ auch als
übergeordneter Terminus für das Zusammenwirken von Form und Struktur verwendet, insbesondere von
John Leigh, und dabei gleichzeitig explizit auf die produktionsästhetische Perspektive eingegrenzt (vgl.
Kühn/Leigh, Was ist Form?, S. 127f.).

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in einer modernen wissenschaftlichen Disziplin zu verankern und gleichzeitig der enorm
wachsenden Nachfrage an musiktheoretischer Laienbildung von Seiten des bürgerlichen
Konzertpublikums nachzukommen. Diese Situation führte zu einem methodischen Prag-
matismus, der offenkundige Widersprüche zwischen Psychoakustik, Ethnomusikologie und
kritischer Musikhistorik einerseits und ontologischer bzw. universalistischer Musiktheorie
andererseits ausblenden musste. Dieser Pragmatismus begünstigte insbesondere die fast aus-
schließliche Konzentration auf Tonhöhenordnungen und die Gleichsetzung von Harmonik
mit Tonhöhenrelationen, während Aspekte der Psychoakustik, Wahrnehmung, Klangfar-
be und Zeitorganisation tendenziell marginalisiert wurden. Hugo Riemanns und Heinrich
Schenkers Systeme belegen in sehr unterschiedlicher Weise diesen Trend der Musiktheorie
in den Jahrzehnten um 1900.
Auch wenn diese Theorien der Tonalität ganz ohne Zweifel unsere Hörgewohnheiten to-
naler Musik nachhaltig geprägt haben und bis heute Theorie und Wahrnehmung der tona-
len Musik beeinflussen, so ist es doch offensichtlich, dass Tonhöhenrelationen in der Musik
niemals unabhängig von Klangfarbe, zeitlichen und räumlichen Parametern und kognitiven
Voraussetzungen des Musikhörens auftreten. Nun hat sich die Musiktheorie nahezu seit ihren
Anfängen, spätestens seit Aristoxenos’ Forderung, die logoi mit der aisthesis zu verbinden7,
sehr wohl auch mit dieser Kontextualisierung von Tonrelationen und Wahrnehmung befasst,
und vor dem Hintergrund von Riemanns Dialog mit der Musikpsychologie seiner Zeit, Ernst
Kurths Energetik und Leonard B. Meyers Untersuchung zu »Emotion and Meaning« in der
Musik spielte diese Frage auch in der Musiktheorie des 20. Jahrhunderts eine zunehmend
prominente Rolle.8 Im Zuge einer Hinwendung der Musiktheorie zu historischen Stilen bzw.
ihrer Abwendung von der Gegenwartsmusik – die deren theoretische Fundierung zu einem
guten Teil den Komponisten selbst überließ – sind systematische Abhandlungen zu diesen
Fragen in spezifisch post-tonalen Kontexten jedoch rar geblieben, besonders dort, wo im
oben ausgeführten Sinn herkömmliche Konzepte von ›Harmonik‹ durch alternative Formen
der Klangorganisation ersetzt wurden.
Eine wesentliche Intention des Grazer Forschungsprojektes A Context-Sensitive Theory
of Post-tonal Sound Organization9 ist es nun, vor dem Hintergrund einer allgemeinen The-
orie post-tonaler Morphosyntax gerade auch jene Formen der ›Klangorganisation‹ besser
begreifen zu können, in denen ›harmonische‹ Relationen im Sinne von Tonhöhenbeziehun-
gen gezielt durch komplexe Verschränkungen von Klangparametern ersetzt werden. Dabei
spielt das Verhältnis von Tonhöhen- und Klangfarbenwahrnehmung eine herausragende
Rolle. Nicht erst seit der ›liminalen‹ Ästhetik der französischen musique spectrale ist dabei

7 Es scheint dabei nicht unwesentlich, daran zu erinnern (vgl. Riethmüller, Musik zwischen Hellenismus und
Spätantike, S. 249f.), dass Aristoxenos keineswegs die rationale Fundierung der Musiktheorie zugunsten
der auditiven Wahrnehmung gänzlich verworfen hat, wie es oft in grober Vereinfachung dargestellt wur-
de. Diese Vereinfachung scheint zumindest zum Teil das Erbe Boethius’ gewesen zu sein, der Aristoxenos
mit dem sensus-Prinzip, dem iudicium aurium assoziierte und diesem das pythagoräische ratio-Prinzip, das
iudicium rationis gegenüberstellt, das von Boethius und seinen Nachfolgern für allein gültig erklärt wurde.
8 Dazu genauer Utz, Musik von einem fremden Planeten?
9 Das Projekt wurde seit Anfang 2009 von den Autoren an der Kunstuniversität Graz entwickelt, eine Reihe
von Beiträgen sind in diesem Zusammenhang seither bereits entstanden. Im Jahr 2011 wird das Projekt
mit der Beantragung einer zweijährigen Forschungsförderung sowie der Organisation eines internationa-
len Symposions an der Kunstuniversität Graz weiter ausgebaut.

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die durchlässige Grenze zwischen diesen beiden Wahrnehmungsweisen als ein wesentli-
cher Aspekt post-tonalen Komponierens begriffen worden.10 Ausgehend von Hermann von
Helmholtz’ ›Tonphysiologie‹ in der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Gestaltpsychologie
haben auch Musiktheorie und Musikwissenschaft Ansätze entwickelt, die einer so begriffe-
nen ›morphologischen‹ Klangwahrnehmung gerecht werden können, in der bedeutendsten
Ausprägung wohl in den Schriften Ernst Kurths. Daneben wurde auch versucht, etwa in
Arnold Scherings Unterscheidung von »Spaltklang« und »Verschmelzungsklang«, klangmor-
phologische Ansätze für die Deutung musik- bzw. stilhistorischer Prozesse anwendbar zu
machen.11 Mit Helmut Lachenmanns Unterscheidung zwischen einem an globalen Charakte-
ristika festzumachenden »Texturklang« und einem in sich vielgradig differenzierten, prozes-
sual sich verändernden »Strukturklang« und dem Hinweis, dass beide Klangtypen häufig in
den jeweils anderen Typus »umkippen« können, wurde ein verwandter liminaler Bereich mit
einem anderen Vokabular beschrieben.12
Der vorliegende Beitrag stellt vor diesem Hintergrund einen Versuch dar, partiturbasier-
te Analysen klanglicher Strukturen und deren spektrale Klangstruktur ineinander zu den-
ken und damit einen Aspekt im Verhältnis von Struktur und Wahrnehmung zu präzisie-
ren. Grundlage dafür bildet die von Dieter Kleinrath entwickelte Software MUSE, die u.a.
eine Darstellung gefilterter Spektralanalysen in Notenform und präzise Angaben über die
Lautheit einzelner Spektralkomponenten erlaubt. Als Fallbeispiele werden drei jeweils ca. 40
Jahre auseinander liegende Werke von Edgard Varèse (Intégrales, 1924/25), Giacinto Scelsi
(Streichquartett Nr. 4, 1964) und Helmut Lachenmann (Concertini, 2004/2005) herangezogen
– Schlüsselwerke13, in denen die enge Verquickung von Tonhöhen- und Klangfarbenorgani-
sation offensichtlich ist. Zum einen repräsentieren alle drei Werke offenkundig die beschrie-
bene Tendenz, dezidiert über ›harmonisches‹ Denken im Sinne tonaler Musik hinauszuwei-
sen, selbst wenn sie alle – jeweils auf unterschiedliche Weise – gewiss auch Tendenzen einer
›Anamnese‹ tonaler Prinzipien aufweisen. Dennoch ist das Ausmaß an transformatorischer

10 Gérard Grisey hat versucht diesen Bereich vor allem durch die drei zentralen Begriffe ›differentielle‹,
›transitoire‹ und ›liminale‹ zu fassen. Vgl. Grisey, La musique, le devenir des sons, und die sehr über-
sichtliche und konzise Darstellung in Haselböck, Gérard Grisey: Unhörbares hörbar machen, S. 54–59 und
passim.
11 Schering, Nationale und historische Klangstile. Schering interpretierte die Musikgeschichte hier als ständi-
gen Wechsel zwischen dem Ideal des Verschmelzungsklangs (Vokalpolyphonie des 15. und 16. Jahrhun-
derts, Symphonik von Haydn bis Mahler) und des Spaltklangs (Musik des Mittelalters, linearer barocker
Kontrapunkt, Musik der Moderne). In der Diskussion der Musik Wagners wurde davon ausgehend u.a.
zwischen »Verschmelzung« (als allgemeinem Charakteristikum symphonischer Musik) und »Mischung«
(dem Zusammenfließen von Klangfarben zu synthetischen Mischfarben) unterschieden (vgl. Janz, Klang-
dramaturgie, S. 130f.).
12 Lachenmann, Klangtypen der Neuen Musik.
13 Intégrales als ein Schlüsselwerk der musikalischen Moderne insgesamt sowie einer die Integration von Ton-
höhen- und Klangfarbenstrukturen anstrebenden Tendenz post-tonalen Komponierens im Besonderen zu
bezeichnen, bedarf kaum der Rechtfertigung (vgl. dazu u.a. Danuser, Die Musik des 20. Jahrhunderts,
S. 125–127). Scelsis Viertes Streichquartett wiederum wurde nicht nur vom Komponisten selbst, sondern
auch von vielen seiner Interpreten als »zentral und herausragend« eingestuft (vgl. dazu Helbing, Zyklizität
und Drama(turgie) in Scelsis viertem Streichquartett, Anm. 4). Lachenmanns Concertini bildet nicht nur
von der Dauer und dem ästhetischen Anspruch, sondern auch von der kompositorischen Konzeption her
einen wesentlichen Pfeiler seines Œuvres, in dem zahlreiche Fäden, insbesondere der Werkzentren des
Ensemblewerks Mouvement … vor der Erstarrung (1982–84) und der »Musik mit Bildern« Das Mädchen
mit den Schwefelhölzern (1990–96/2001) zusammenlaufen.

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Wandlung dieser Prinzipien hier durchweg essenziell: Varèses ›Klangmassen‹ haben Gene-
rationen von Musiktheoretikern Kopfzerbrechen bereitet, und dies nicht nur, weil Varèse
durchaus in der Tradition der Genieästhetik wenig Detailinformationen zu seinen komposi-
tionstechnischen Verfahren offen legte. Trotz erheblicher Bemühungen ist die Aufdeckung
einer schlüssigen Systematik von Varèses Klangorganisation bis heute nicht in Sicht, zugleich
aber die Vermutung, Varèse habe eben ›unsystematisch‹ gearbeitet, nicht nur durch jüngste
Skizzenfunde widerlegt (vgl. 2.), sondern auch durch Varèses grundsätzliches Verständnis
von Musik als einer »art-science«.14 Weit mehr noch gerechtfertigt schien es, Scelsis mikro-
tonale Verschiebungen als Beispiel »intuitiver Musik«15 zu verstehen, ließ doch die bekannte
Geschichte ihrer Entstehung aus Ondiola-Improvisationen kaum vermuten, dass hier eine
›Organisation‹ der Klänge im Sinne großformaler Planung und Konstruktion zu entdecken
sei. Jüngere Untersuchungen haben jedoch begonnen dieses Bild zu revidieren und darauf
hingewiesen, dass Scelsis Partituren weit mehr sind als niedergeschriebene Improvisationen
oder ›Intuitionen‹, sondern dass vielmehr teils umfangreiche Revisions- und Umarbeitungs-
prozesse im Rahmen des wie auch immer problematischen ›Dialogs‹ mit Scelsis Assistenten
stattfanden, worauf nicht zuletzt Wiederholungen, Varianten und Krebsformen großformaler
Abschnitte hinweisen16, und so dramat(urg)isch äußerst detailliert ausgearbeitete Verläufe
entstehen konnten.17 Helmut Lachenmanns Musik wiederum, die von jeher in besonderem
Maße den ›Klang‹ und seine Hervorbringung ins Zentrum gestellt hatte, nahm in den jün-
geren Werken eine Wendung zur immer expliziteren Integration von und Konfrontation mit
Mitteln tonaler Organisation, zu denen nicht zuletzt auch ein Setzen von ›akkordischen‹
Strukturen in Gestalt struktureller Pfeiler im Gesamtgefüge zählt – ein Verfahren, für das
der Schlussabschnitt aus Concertini ein besonders eindrückliches Beispiel bietet. Hier ist so-
mit eine insbesondere zu Varèses ›geometrisch‹ gesetzten Nahtstellen verwandte Disposition
zu konstatieren, in der vertikale Klangblöcke als Attraktoren innerhalb eines stark prozessu-
alen Verlaufs dienen, wobei diese Klangblöcke nicht ›von außen‹ gesetzt, sondern als Resultat
wie als Auslöser einer stark morphologisch konzipierten Anlage erscheinen.

14 Vgl. Varèse, Music als ars scientia. Auch wenn sich das Konzept der Art-Science hier vorrangig auf die
Erzeugung bislang ungehörter Klänge durch eine ›Klangerzeugungsmaschine‹ bezieht, scheint es doch
legitim, es auch auf die ›Organisation der Klänge‹ in seinen instrumentalen Werken auszudehnen.
15 Vgl. dazu insbesondere die erste Vermutung in Zender, Intuition. Zeit. Archaik, S. 18: »Scelsi hat auf radi-
kale Weise ein Konzept ›intuitiver Musik‹ realisiert.«
16 Als einer der ersten wies Wolfgang Thein (Botschaft und Konstruktion) auf die Bedeutung solcher kon-
struktiven Elemente in Scelsis Musik hin und erklärte diese dadurch, dass diese Konstruktion »ihre
Berechtigung […] in der von Scelsi referierten okkulten Vorstellung [finde], daß der Ton drei ›Leiber‹
besitze: einen physischen […], einen psychischen […], und einen vom Logos geprägten […]« (S. 57). Zum
aktuellen Forschungsstand in Bezug auf den Entstehungsprozess von Scelsis Werken vgl. Jaecker, »Der
Dilettant und die Profis«.
17 Die detaillierte Analyse in Helbing, Zyklizität und Drama(turgie) in Scelsis viertem Streichquartett hat dies
nachhaltig bekräftigt.

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2 . I N T E R VA L L S T R U K T U R UND W A H R N E H M U N G : E D G A R D VA R È S E S I N T É G R A L E S 18

Eine vollständige Sichtung der Versuche, Varèses Klangorganisation zu verstehen, kann in


diesem Rahmen nicht erfolgen. Verwiesen sei auf Christian Utz’ 2005 veröffentlichte Studie,
in der versucht wird, ein u.a. von Kurth ausgehendes energetisches Modell mit struktura-
listischen Ansätzen der US-amerikanischen Forschung zu verknüpfen, was an analytischen
Skizzen zu Varèses Orchesterwerk Arcana (1925–27) vertieft wird.19 Hier möchten wir um-
gekehrt zunächst von ›strukturalistischen‹ Beobachtungen ausgehen und diese dann mit-
tels einer Ausleuchtung der Klangmaterie ›dekonstruieren‹. Als Ausgangspunkt kann dabei
ein kürzlich von Wen-Chung Chou erstmals veröffentlichtes Skizzenblatt Varèses aus dem
Jahr 1910 dienen (Abb. 1).20 Hier wird deutlich, dass Varèses Hervorhebung autopoietischer
Prozesse, in der musikalische Form als Resultat einer Eigendynamik der Klänge verstanden
und der »Intellektualisierung von Intervall(verhältniss)en« jegliche Relevanz abgesprochen
wird 21, von Beginn an in paradoxer Weise mit der Konzeption systematisierter Ton-, Inter-
vall- und Klangfarbenordnungen einherging. In der Skizze werden die zwei chromatischen
Hexachorde der chromatischen Tonleiter auf zwei symmetrischen Diagonalen angeordnet,
wobei die linke Diagonale in kleinen Nonen (13 Halbtöne; C1-Cis-d…f3), die rechte in großen
Septimen (11 Halbtöne; H1-B-a…fis3) fortschreitet (Abb. 1a). Die resultierende Klangstruktur
in der Kombination der beiden Hexachorde ist ein allintervallischer Zwölftonakkord, in dem
die Intervalle in jedem Intervallpaar um jeweils zwei Halbtöne vergrößert bzw. verkleinert
werden (11–9–7–5–3–1 und 2–4–6–8–10).22 Intervalle, die miteinander eine Oktave ergeben –
Komplementärintervalle – sind in diesem Klang an spiegelsymmetrisch korrespondierenden
Positionen angeordnet (11–1 / 10–2 / 9–3 / 4–8 / 7–5, Abb. 1b), wobei der Tritonus a-es1 als
Symmetrieachse dient. Außerdem stehen alle achsensymmetrisch angeordneten Töne im Tri-
tonusverhältnis (C1-fis3; H1-f2; Cis-g2; B-e2; d-as1; a-es1, Abb. 1c, in der Transkription der Skizze
mit durchgehenden Linien markiert).

18 Die folgende Analyse von Varèses Intégrales  ist im anfangs genannten komplementären Artikel (Utz/
Kleinrath, Klangorganisation) bereits entworfen, wird hier aber detaillierter ausgearbeitet.
19 Utz, Immanenz und Kontext.
20 Chou, Converging Lives, S. 357.
21 »The form of the work results from the density of the content. […] Timbres and their combinations ...
become part of the form. […] Sounds […] are an intrinsic part of the structure« (Varèse zitiert nach David
Ewen, American Composers Today, New York 1949, in: Flechtner, Die Schriften von Edgard Varèse, S. 291).
»Indem ich Form als eine Resultante […] begriff, war ich durch das frappiert, was mir eine Analogie
zwischen meiner kompositorischen Gestaltung und dem Phänomen der Kristallisation zu sein scheint«
(Varèse, Rhythmus, Form und Inhalt, S. 18). »[…] L’intellectualisation de l’intervalle est un facteur qui,
pour moi, n’a rien à faire avec notre époque et ses nouveaux concepts« (Varèse, Écrits, S. 125).
22 Hier und in weiterer Folge findet die aus der pitch class set-Theorie bekannte Bezeichnung von Intervallen
nach der Anzahl ihrer Halbtöne Verwendung.

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Abb. 1: Edgard Varèse, Skizze »Berlin, 1910«: Original (links oben, Chou, Converging Lives, S. 357, © Paul
Sacher Stiftung Basel, Sammlung Edgard Varèse), Transkription und Intervallstruktur (a. 13- und 11-Zyklen;
b. Komplementärintervalle; c. Tritoni)

Ganz ohne Zweifel handelt es sich bei dieser Skizze um ein ›Klangmodell‹, um eine paradig-
matische Konstellation von Intervallen, der in Hinblick auf die Klangbildungen in Varèses
Werken große Relevanz zukommt. Natürlich ist dieses Modell auch musikhistorisch im Rah-
men der etwa von Strawinsky, Bartók, Berg und anderen Komponisten der Moderne unter-
nommenen Versuche zu verstehen, symmetrische und sonstige distanzharmonische Ordnun-
gen im zwölftönigen System als Alternativen zur tonalen Dreiklangsharmonik aufzuspüren.23
Wesentlicher in unserem Zusammenhang ist jedoch, dass sich verwandte Intervallstruktu-
ren auch in den Klangspektren der Stimmgabeln, Glocken und Membranophone finden,
die Helmholtz in seiner Lehre von den Tonempfindungen beschreibt 24, ein Buch, das Varèse

23 Vgl. dazu unter zahllosen Darstellungen u.a. Perle, Berg’s Master Array of the Interval Cycles und Antoko-
letz, The Music of Béla Bartók sowie Gervink, Die Strukturierung des Tonraums. Varèse, der in den Jahren
1907 bis 1913 in Berlin lebte, dürfte am ehesten durch den Kontakt mit Ferrucio Busoni und das Studium
der Partituren Skrjabins, Debussys und Schönbergs (vor allem opera 11 und 16) zu dieser Darstellung
gelangt sein. Das Skizzenblatt fand sich in Varèses Partitur von Skrjabins Poème de l’Extase (Chou, Con-
verging Lives, S. 356).
24 Vgl. Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen, S. 120–127 und S. 290–324. Das Spektrum der
gespannten Membran c-as-cis1-d1-g1-b1 (Intervallfolge 8–5–1–5–3) findet sich auf S. 126, die Diskussion von
Schwebungen in Bezug auf die Rauigkeit der Intervalle nimmt vor allem die Abschnitte 8, 10 und 11 der
»Zweiten Abtheilung« des Buchs ein. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang auch Beschreibungen

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nachweislich intensiv studierte und das sein klangliches Denken zweifellos prägte. So könnte
etwa das von Helmholtz diskutierte Spektrum über dem Ton c einer gespannten Membran
mit der Intervallstruktur 8–5–1–5–3 durchaus als ein Modell für Varèse gedient haben, um
die von ihm angestrebte enge klangfarbliche Verbindung zwischen Schlaginstrumenten ohne
bestimmbare Tonhöhe und den tonhöhengebundenen Blas- und Streichinstrumenten des
Orchesters herzustellen25 – neben dem ebenfalls Helmholtz’ Schrift entnehmbaren Schwe-
bungsreichtum kleiner Nonen und großer Septimen ein weiterer Grund, weshalb die Oktave
in seinen Klängen konsequent durch diese beiden Intervalle ersetzt wird. Daneben waren
solche Entwürfe gewiss auch Teil des Versuchs, die Musik vom »willkürlichen paralysieren-
den temperierten System«26 zu befreien (auch wenn sie freilich aufgrund der chromatischen
Distanzordnung der Töne gerade auf diesem basierten).
Eine Diskussion des Eröffnungsabschnitts von Intégrales27 soll nun die Frage verfolgen,
wie dieses Klangmodell sich in Varèses Praxis verwandelte und mit welchen wahrnehmungs-
relevanten Aspekten es in Beziehung trat. Denn es kann angesichts der ästhetischen Voraus-
setzungen von Varèses Komponieren kein Zweifel daran bestehen, dass eine ›Architektur des
Timbres‹, die über eine Deutung des Notats allein nicht zu erfassen ist, für dessen Begreifen
essenziell ist.28 Der Abschnitt von Takt 1–24 besteht aus zwei wesentlichen Komponenten,
einer ›Figur‹, die sich aus Repetitionen des Tons b2 (zum Teil mit den Nebennoten as2, g2, fis2
angereichert) mit jeweils am Beginn stehendem Vorschlag d2-as2 zusammensetzt, und zwei
Trichorden (c-e-cis1 und a2-es3-h3), die sich stets sukzessiv in der Folge tiefer/hoher Trichord
um den Achsenton b2 legen und mit diesem ein siebentöniges Klangaggregat ergeben. Von
mehreren Autoren wurde darauf hingewiesen, dass Varèse mit diesem Verfahren sich auf das
von Helmholtz detailliert beschriebene Phänomen der Kombinationstöne bezogen habe 29,

von Glocken und außereuropäischen Instrumenten, die in Varèses Atelier standen (vgl. Die Tagebücher der
Anaïs Nin 3 [1939–43], hg. v. Gunther Stuhlmann, München: dtv 1976, S. 183f.; Chou, Converging Lives,
S. 351).
25 Vgl. dazu u.a. la Motte-Haber, Aufbruch in das Klanguniversum, S. 49: »Eine radikale Annäherung der
Melodieinstrumente an das Schlagzeug zeigt sich […] nur in der Musik von Varèse, wobei […] die voll-
ständige Gleichbehandlung typisch ist. […] Die Aufhebung der Differenz zwischen Instrumenten mit
bestimmter und unbestimmter Tonhöhe weist bereits darauf hin, daß es Töne in dem abstrakten Sinn, wie
ihn die abendländische Musik hervorgebracht hat, nicht mehr gibt. Tönen wird die Qualität des Klangs
wiedergegeben«.
26 Varèse, Musik als ars scientia, S. 16.
27 Zu allgemeinen Fragen der Methodik der Analyse von Varèses Werken vgl. Utz, Immanenz und Kontext.
Eine dem vorliegenden Ansatz verwandte Methodik verfolgt, ebenfalls in Bezug auf Intégrales, Lalitte,
Varèse’s Architecture of Timbre (dazu genauer Anm. 28, 30, 36, 43). Die zahllosen weiteren vorliegenden
Analysen von Intégrales stoßen nur selten in die hier anvisierten klanglichen Detailstrukturen vor. Vgl.
dazu u.a. Strawn, The Intégrales of Edgard Varèse; Stenzl, Varèsiana; Clayton, Varèse, the Chamber Works of
the 1920s; Bernard, The Music of Edgard Varèse; Danuser, Musik jenseits der Narrativität?; Decroupet, Via
Varèse; la Motte-Haber, Die Musik von Edgard Varèse, S. 148–158, 202–205, u.a.; Ballstaedt, Zur Figur in
Edgard Varèses Intégrales; Mäkelä, ›Melodic totality‹ and textural form in Edgard Varèse’s Intégrales; Mâche,
Méthodes linguistiques et musicologie; Authier, Intégrales d’Edgard Varèse.
28 Vgl. Lalitte, Varèse’s Architecture of Timbre, S. 1: »[…] analyser cette musique seulement en termes de
matériaux thématiques, de texture ou de constructions intervalliques, sans prendre en compte réellement
le timbre, peut conduire à des impasses et, en tout cas, ne permet pas dégager l’essence du son organisé tel
que l’a pensé Varèse«.
29 Decroupet, Via Varèse, S. 33–36; Lalitte, Varèse’s Architecture of Timbre, S. 5, 9. Decroupet schränkt al-
lerdings ein, dass Varèse, der eine »resolut moderne und atonale Musik« schreiben wollte, in Helmholtz’

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und es wurde sogar versucht, das Schichtungsverfahren mit den Versuchsanordnungen
Helmholtz’ in Zusammenhang zu bringen.30
Während die Repetitionsfigur, deren Länge und rhythmische Gestalt sich fortgesetzt ver-
ändert31, insgesamt zwölf Mal auftritt (der 13. Auftritt, ab T. 24, rückt in T. 25 das b2 zum d3
und mündet in ein neues Klangaggregat, T. 26–29, vgl. Abb. 2), werden die beiden Trichorde
nur insgesamt sechs Mal hinzugefügt (beim 7. Auftritt, T. 24f., wird nur der obere Trichord
gebracht, es folgt eine Transformation in das neue Klangaggregat). Diese insgesamt sieben
Klangaggregate gliedern die zwölf Figuren32 in Gruppen zu 2–2–2–2[1+1]–1–3[2+1]–1 Auf-
tritten (vgl. Tabelle). Die über 24 Takte unveränderte Tonhöhenkonstellation lenkt die Auf-
merksamkeit zweifellos besonders auf diese zeitliche Segmentierung sowie auf die klangfarb-
lichen Veränderungen. Tatsächlich wird der Achsenton b2 von insgesamt vier verschiedenen
Instrumenten gespielt (Es-Klarinette alternierend mit C-Trompete, Oboe und D-Trompete),
wobei aus Zeit- und Klangfarbengliederung für Varèse charakteristische Zeitstreckenverhält-
nisse resultieren, die sich der Proportion des Goldenen Schnitts annähern.33

Takt / Länge Solo-Instrumente (Figur) Anzahl Figuren [Ziffern] /


Aggregate [–]
T. 1–9 (39.5R) Es-Klarinette 2–2–
T. 10–13 (23R) C-Trompete – Es-Klarinette – Oboe 2 – [1+
T. 14–17 (16.5 R) } 39.5R
Es-Klarinette 1] – 1 –
T. 18–21 (16.5 R)
T. 22–29.1 (23 R) } 39.5R
D-Trompete
Es-Klarinette
[2+
1] – 1 –

Forschungen möglicherweise eher eine »negative Projektionsfläche« erkannt und »gewisse Grundideen
aus der Lehre in eine ihnen fremde Umgebung« transponiert habe (S. 34).
30 Lalitte (Varèse’s Architecture of Timbre, S. 5) geht von folgender Beschreibung Helmholtz’ aus: »Am leich-
testen sind [Differenztöne zwischen zwei Grundtönen] zu hören, wenn die beiden primären Töne um
weniger als eine Octave von einander abstehen, dann ist der Differenzton der Grundtöne tiefer, als beide
primären Töne. Um ihn zuerst zu hören, wähle man zwei Klänge, welche stark und anhaltend hervorgebracht
werden können und ein rein gestimmtes harmonisches Intervall bilden, das enger als eine Octave ist. Man lasse
erst den tieferen von beiden angeben, dann auch den höheren. Bei gehöriger Aufmerksamkeit wird man be-
merken, dass in dem Augenblicke, wo die höhere Note hinzukommt, auch ein schwacher tieferer Ton hör-
bar wird, der eben der gesuchte Combinationston ist« (Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen,
S. 228f.) Es ist allerdings letztlich fragwürdig, ob sich Varèses komplexe Klanganordnungen tatsächlich
mit einem so schlichten psychoakustischen Experiment vergleichen lassen. Auch Lalittes Ableitung der
Differenz- und Summentöne aus den Klangaggregaten des Beginns von Intégrales bietet zwar grundsätz-
lich einige interessante Erkenntnisse, zugleich steht man aber vor dem Problem, dass sieben- oder elftö-
nige Klänge eine derartige Fülle an Differenztönen produzieren, dass mit ihnen nahezu jeglicher Ton des
Zwölftontotals ›erklärt‹ werden kann (vgl. Lalitte, Varèse’s Architecture of Timbre, S. 9). Der Erkenntnis-
wert der Kombinationstontheorie für die Wahrnehmung der Klänge bei Varèse muss also als eher gering
eingestuft werden.
31 Ballstaedt, Zur Figur in Edgard Varèses Intégrales, S. 471–476, listet insgesamt 49 Varianten der Figur über
den gesamten Verlauf des Werkes auf.
32 Der Beginn einer Figur wird durch den Vorschlag d2-as2 jeweils eindeutig markiert.
33 Vgl. dazu Utz, Immanenz und Kontext sowie Cox, Geometric Structures in Varèse’s Arcana. Umfang und
Ausmaß von Varèses geometrisch gestalteten Zeitstrecken bleiben freilich umstritten. Cox differenziert,
dass geometrische Proportionen für Varèse keine vorab festgelegte Formel waren, sondern »used with
freedom and imagination to generate form without recourse to exact repetitions of formal solutions. The
use of these techniques offered Varèse the satisfaction of an integral conception coupled with flexibility
and control over the realization of his design« (ebd., S. 253).

Klang und Wahrnehmung 81


Eine solche stark gedehnte Dauer eines einzelnen Klanges34 führt nicht nur zu einer ein-
prägsamen Inszenierung klangfarblicher und zeitlicher Parameter, sondern ist auch ›expek-
tanzpsychologisch‹ höchst bedeutsam, lässt sie die Erwartung auf eine Klangveränderung
doch stark anwachsen, sodass dann das tatsächliche Eintreten eines neuen Klanges umso
einschneidender wirkt. Der Wechsel vom siebentönigen Aggregat der ersten 23 Takte (Klang
a) zu einem elftönigen zweiten Aggregat (Klang b) in Takt 25–29 (Abb. 2) wird damit zu
einem (Klang-)Ereignis von größter Bedeutung, das ein Maximum an Aufmerksamkeit auf
sich zieht. Bei den Takten 24–28 handelt es sich überdies um den ersten Abschnitt seit Takt
4, der ganz auf Schlaginstrumente verzichtet – ein weiterer Aspekt, der Klang b als besonders
signifikant von seiner Umgebung abhebt.

Abb. 2: Varèse, Intégrales (1924/25) für elf Bläser und vier Schlagzeuger, T. 22–29; © 1961 Universal Music
Publishing Ricordi S.R.L. Milano

34 Bernard hat diese Passage und vergleichbare Klangbildungen bei Varèse als »frozen music« bezeichnet
(Bernard, The Music of Edgard Varèse, S. 134–162).

82 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


Dieser erste Schlüsselmoment von Intégrales kann zunächst dazu dienen, sich das Ineinan-
dergreifen von gestalthaften und prozessual-zeitlichen Komponenten von Klangorganisation
zu vergegenwärtigen. Auf der Ebene der Tonhöhenorganisation liegen die quasi-stationären
Momente eindeutig in Takt 23 (Klang a) und Takt 28 (Klang b). Takt 22 kann man dann als
auskomponierten ›Einschwingvorgang‹ verstehen (durchaus mit bewusstem Bezug auf das
psychoakustische Verständnis dieses Begriffs), die Takte 24–27 als prozessartiges ›Transfor-
mationsfeld‹, in dem Klang a zu Klang b ›mutiert‹, wobei bereits am Ende von Takt 26 der
neue Klang de facto erreicht ist. Nur in Takt 25 überschneiden sich Komponenten beider
Klänge. Prozessartige Elemente finden sich aber auch innerhalb der quasi-stationären Takte
23 und 28: Durch crescendi ändert sich das Spektrum beider Klänge kontinuierlich, Klang a
ist darüber hinaus mit (ebenfalls crescendierenden) Schlagzeugklängen angereichert, die bei
Klang b vollständig entfallen. Es sind somit eine Reihe von prozessartigen Komponenten in
die ›akkordische‹ Grundstruktur der Klänge eingebunden. Dennoch bleibt die Trennschärfe
der beiden Klänge groß und damit die Stellung von Klang b außergewöhnlich exponiert.
Das syntaktische Verhältnis der Klänge a und b kann, eine grundsätzliche Kenntnis von
Varèses Klangbildungsprinzipien vorausgesetzt, folgendermaßen beschrieben werden: Klang
a mit einer Intervallstruktur von 4–9–20–1–5–8 Halbtönen offenbart die substrukturel-
le symmetrische Grundstruktur 13–21–13 (Abb. 3, oben). Gemäß Varèses Prinzipien der
»Transmutation«35 wird eine Kombination von Spreizung und Transposition herangezogen,
um Klang b zu gewinnen: Beide Klänge enthalten das Rahmenintervall einer großen Septim

Abb. 3: Varèse, Intégrales, T. 1–29: Klänge A und B: Spreizung (oben), Tonraum und 13-Ketten (unten links),
Instrumentalgruppen (unten rechts)

35 Varèse zog diesen Begriff aus der Alchimie heran, um seine prozessorientierten kompositorischen Verfah-
ren allgemein zu beschreiben. Vgl. Varèse, Neue Instrumente und Neue Musik, S. 12.

Klang und Wahrnehmung 83


(+ drei Oktaven in Klang a, + fünf Oktaven in Klang b). Die Spreizung kommt dadurch
zustande, dass in die Grundstruktur 13–21–13 an symmetrischen Positionen jeweils ein Tri-
tonus eingefügt wird, zusätzlich wird die untere kleine Non ›potenziert‹ (13 €13–13) und
das große Intervall in der Mitte des Klangs (21) um einen Halbton verkleinert und unterteilt
(11–2–7=20). Resultat ist die Intervallfolge 13–13–6–20–6–13.
Man kann allerdings noch andere Dimensionen in dieser ›Transmutation‹ ausmachen.
Wenn man etwa die beiden Vorschlagsnoten der Figur einbezieht, die Klang a vorausgeht,
wird eine Folge von kleinen Nonen c-cis1-d2-es3 bzw. die Grundstruktur 13–13–13–8 [oder
auch: 13–13–8–13; c-cis1-d2-b2-h3] sichtbar (Abb. 3, unten links); Klang b lässt sich dann lesen
als 13–13–6–13–13–13, was insofern besonders sinnfällig ist, als die in dieser Folge kleiner
Nonen [A1-B-h / f1-fis2-g3-gis4] enthaltenen Töne f, fis und g im neuntönigen Tonvorrat von
Klang a (mit Vorschlägen) nicht enthalten waren.
Schließlich, und damit kommen wir auf das Gebiet der Instrumentation, lassen sich kleine
Nonen auch als Schlüsselintervall in der klangfarblichen Verbindung beider Klänge ausma-
chen (Abb. 3, unten rechts). Die in der Mittellage hinzutretenden zwei Trompeten und das
Horn bilden ebenso eine kleine Non als Rahmenintervall wie die hohen Holzbläser und die
Posaunen, die jeweils von 13 bzw. 14 Halbtönen auf 26 gespreizt werden. Betrachtet man
die Klangstruktur des hohen Registers, so erweist sich die Einfärbung der führenden Es-
Klarinette zunächst durch einen unteren chromatischen Nebenton (a2, Piccolo), dann durch
einen oberen (d3, Oboe) als besonders auffällig.
Spätestens hier aber muss man nun fragen, wie diese Klänge sich denn tatsächlich im Spek-
trum darstellen.36 Um uns dieser Frage zu nähern, haben wir Spektralanalysen der quasi-sta-
tionären Abschnitte der Klänge a und b in T. 23 und 28 in zwei verschiedenen Einspielungen 37
herangezogen. Bei der dabei verwendeten Computersoftware MUSE handelt es sich um eine
von Dieter Kleinrath in der Programmiersprache Java entwickelte Softwarebibliothek, die
mehrere Funktionen für die Analyse, Darstellung und Weiterverarbeitung von Spektraldaten
zur Verfügung stellt. Wesentlich für eine anwenderfreundliche Analyse von Klangspektren
ist einerseits die Reduktion der meist großen Datenmengen auf für die Analyse wesentliche As-
pekte, andererseits eine möglichst leicht verständliche und intuitive Darstellung dieser Daten.
Dabei werden die Daten anhand ihrer Lautheit in Sone gefiltert.38 Die zeitlichen Verläufe der

36 Analysen Varèsescher Werke haben bis auf einige allgemeine Ansätze dazu bislang wenig beigetragen.
Trotz in dieser Hinsicht vielversprechender methodischer Voraussetzungen verbleibt Philippe Lalittes
Analyse (Varèse’s Architecture of Timbre) sehr im Allgemeinen. Abgesehen von metaphorischen Charak-
terisierungen der sonographischen Darstellung wie »frottements d’harmoniques« oder »jaillissement
d’harmoniques« (in Bezug auf Klang a, S. 7) und der methodisch fragwürdigen Reduktion der Klangkom-
plexe auf eine Zentralfrequenz (»centroid«), die die räumliche Wirkung der Klangmassen erklären soll
(je lauter der Klang, desto »höher« werde er empfunden, S. 9–11), werden alle wesentlichen analytischen
Erkenntnisse am Ende doch aus einer Analyse der Partitur abgeleitet. (Auch andere methodische Schritte
bleiben unkommentiert, etwa die problematische Reduktion der Schlaginstrumente auf jeweils ein Fre-
quenzband innerhalb des Sonagramms in Fig. 3, S. 8). Lalittes dennoch insgesamt wertvoller Beitrag zeigt
so nicht zuletzt die Schwierigkeiten, die sich einer Analyse der »klanglichen Evidenz« (»l’évidence sono-
re«, S. 1) von Varèses Musik entgegenstellen.
37 Pierre Boulez, Ensemble InterContemporain [1984], Sony SMK 45844, 1990; Riccardo Chailly, ASKO
Ensemble, Decca 00289 460 2082, 1998.
38 Sone ist als Einheit der Empfindungsgröße Lautheit ein genormtes Maß unserer subjektiven Lautstärke-
empfindung. Die Lautheit eines Tones gibt im Wesentlichen an, wie laut ein Ton im Verhältnis zu einem
anderen Ton empfunden wird, die doppelte Lautheit eines Tones entspricht dabei dem doppelten Laut-

84 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


herausgefilterten Spektralkomponenten können in MUSE entweder mittels Notendarstellung
oder in grafischer Form wiedergegeben werden.39 Um hierbei zu einer übersichtlichen Dar-
stellung zu gelangen, muss die Anzahl der spektralen Analysefenster reduziert werden.40 Zu
diesem Zweck erkennt die Software sich annähernd linear verändernde und kontinuierliche
Sinusverläufe innerhalb eines vorgegebenen Intervallrahmens (meist wenige Cent). Dadurch
lässt sich bereits ein Großteil der in Instrumentalmusik typischerweise vorkommenden Ton-
höhenverläufe beschreiben. Das Resultat dieses Prozesses kann anschließend resynthetisiert
und so auf seinen Gehalt hin überprüft werden.
Die Resynthese der beiden in den Abbildungen 4 und 5 wiedergegebenen Analyseergeb-
nisse (T. 23 in der Chailly-Aufnahme, T. 28 in der Boulez-Aufnahme) ist zwar klanglich noch
wenig befriedigend, was darauf hinweist, dass deutlich mehr als 30 Spektralkomponenten
notwendig sind, um den Klangeindruck zu rekonstruieren (erst ab ca. 80 Spektralkomponen-
ten nähert sich die Resynthese deutlich dem Original an). Dennoch kann davon ausgegangen
werden, dass die hier dargestellten Spektralverläufe ein wichtiges Gerüst für die Wahrneh-
mung der Klänge und ihre Strukturierung im Tonraum bilden.

stärkeempfinden – ein Ton mit 4 Sone wird also als viermal so laut empfunden wie ein Ton mit 1 Sone,
wobei diese Werte ausgehend von einem Referenzton (1000 Hz / 40 dB) anhand von Hörversuchen er-
mittelt wurden (vgl. Zwicker / Feldtkeller, Das Ohr als Nachrichtenempfänger, S. 42–45). Der wesentliche
Vorteil eines Sone-Filters im Vergleich zu dem üblicherweise für Sonagramme zur Verfügung gestellten
Dezibel-Filter ist, dass das Ergebnis des Filterungsprozesses der menschlichen Klangwahrnehmung sehr
viel näher kommt. Insbesondere bei rauscharmen Klängen mit relativ klaren Tonhöhenverläufen lässt sich
auf diese Weise die Anzahl der Sinuskomponenten eines Signals oft auf eine kleine Auswahl der wesent-
lichen Bestandteile reduzieren. Bei der technischen Umsetzung der Sone-Berechnung folgt MUSE der im
ISO-Standard ISO 226:2003 empfohlenen Implementierung, bei der zwischen »Kurven gleicher Lautheit«
(ebd., S. 129) interpoliert wird. Auch wenn durch die Soneberechnung eine bessere Näherung an die sub-
jektive Lautstärke-Empfindung erreicht werden kann als mit Decibel-Werten, so muss doch berücksichtigt
werden, dass bei einer hohen klanglichen Komplexität wie in Varèses Klängen allgemeingültige Aussagen
über die Gewichtung einzelner Spektralkomponenten nur mit großer Vorsicht getroffen werden können.
In weiterer Folge wären solche Messungen also durch Versuche mit Hörern zu ergänzen, die etwa die für
ihr Empfinden jeweils am deutlichsten hervortretenden Tonhöhen im Rahmen von Hörversuchen iden-
tifizieren müssten. Im Rahmen eines Ausbaus unseres Forschungsprojektes sind auch solche empirische
Forschungen vorgesehen.
39 Die Notendarstellung erfolgt über eine Konvertierung des internen Datenformats von MUSE in das For-
mat des freien Notensatzprogramms LilyPond (http://lilypond.org), mit dessen Hilfe anschließend ein
pdf-Dokument erstellt wird. In der Folge wird allerdings nur die leichter erfassbare grafische Darstellung
wiedergegeben.
40 Die zeitliche Auflösung eines Klangs beträgt bei MUSE üblicherweise 10 Millisekunden, also 100 Analy-
sefenster pro Sekunde. Die von MUSE analysierten Spektraldaten werden nicht mittels einer reinen Fou-
rieranalyse ermittelt, sondern auf Grundlage der sogenannten ›Time-Frequency Reassignment‹-Methode.
Diese hat im Vergleich zur üblichen Fourieranalyse den Vorteil, dass die Unschärfe zwischen Frequenz-
und Zeitauflösung stark reduziert wird und die Spektraldaten in Form von Sinusverläufen der Hauptfre-
quenzen für die weitere Analyse zur Verfügung stehen (vgl. dazu Kelly R. Fitz / Sean A. Fulop, A Unified
Theory of Time-Frequency Reassignment). Die Analyse selbst geschieht dabei über das externe Programm
Spear (http://www.klingbeil.com/spear) oder die Softwarebibliothek Loris (http://www.hakenaudio.com/
Loris).

Klang und Wahrnehmung 85


Abb. 4: Varèse, Intégrales, T. 23 (Aufnahme Chailly): Nach Sonewerten gefilterte Analyse der 30 stärksten
Spektralkomponenten. Signaldauer: 2,433 Sekunden. Die Lautheit der Komponenten ist wie bei einer Sona-
gramm-Darstellung durch Graustufen indiziert: je dunkler eine Linie, desto lauter das Signal. Centabwei-
chungen werden hier ausgehend vom Kammerton a1 = 443 Hz berechnet.

Abb. 5: Varèse, Intégrales, T. 28 (Aufnahme Boulez): Nach Sonewerten gefilterte Analyse der 30 stärksten
Spektralkomponenten. Signaldauer: 3,651 Sekunden. Centabweichungen werden hier ausgehend vom Kam-
merton a1 = 440 Hz berechnet.

86 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


Die Analyseergebnisse lassen sich auf der Grundlage eines genauen Vergleichs beider Auf-
nahmen und nach einer Auswahl der prominentesten Komponenten innerhalb der einzel-
nen Register übersichtlich in Notendarstellung zusammenfassen und mit den Ergebnissen
der Strukturanalyse vergleichen (Abb. 6). Dabei zeigen sich deutliche Abweichungen, aber
auch Zusammenhänge. Bei beiden Klängen verschiebt sich der Schwerpunkt gegenüber dem
Notat in höhere Register – ein Resultat insbesondere der hohen Dynamik; die Grundtonfre-
quenzen der beiden tieferen Posaunen sind in beiden Fällen kaum oder überhaupt nicht im
Spektrum vorhanden, werden aber – zumindest in Klang b – eindeutig durch unser Gehör als
›virtuelle Grundtöne‹ ergänzt.41 Noch markanter als in T. 28 wird dies zu Beginn von T. 27 in
der Chailly-Aufnahme, wo der tiefe Posaunengrundton A1 sehr klar hervortritt. Grundsätz-
lich ist der Grundton im tiefen Posaunenregister spektral schwach ausgeprägt, die Spitzen
liegen beim 3., 5. und 7. Teilton bzw. im Formantbereich 520–600 Hz (ca. c2-es2).42
Eine spektrale Strukturierung beider Klänge kann durch die dynamisch im Spektrum am
stärksten hervortretenden Frequenzen vorgenommen werden. Die so entstehenden Klang-
strukturen dienen als Basis für einen Vergleich mit den Ergebnissen der strukturellen Analy-
se. Klang a wird dabei vor allem durch drei sehr starke Grundtonfrequenzen strukturiert: das
b2 der Es-Klarinette, das es3 der B-Klarinette und das h3 der ersten Piccoloflöte. Den äußeren
›Rahmen‹ des Spektrums bilden der oberste Posaunenton cis1 (der allerdings verhältnismäßig
wenig ausgeprägt ist) und das b4, Teilton der Klarinettentöne b2 und es3 (vgl. gestrichelte Bö-
gen in Abb. 6). Daneben treten das gis2 und das es4 auffällig hervor. Das gis2 ist erklärbar als
dritter Teilton des oberen Posaunentons cis1 und zugleich fünfter Teilton des mittleren Posau-
nentons e, das es4 als zweiter Teilton des es3 der B-Klarinette. Daneben sind die Schwebungen
aus den kleinen Sekunden c2/cis2 bzw. c3/cis3 auffallend, die Resultat der kleinen None c-cis1 in
den Posaunen sind. Die resultierende Intervallstruktur 19–2–5–8–4–7 [19–7–19; 19–7–12–7]
zeigt gegenüber der strukturellen Analyse eine hohe Relevanz von Oktav-, Quint- und Quart-
strukturen. Wenn dagegen der Ton h3 (erste Piccoloflöte) besonders akzentuiert wird, zeigt
sich mit 21[19–2]–13[5–8]–11[4–7] auch die Relevanz kleiner Nonen und großer Septimen im
Klangresultat.

41 Virtuelle Grundtöne oder Residualtöne (auch: Residua) entstehen durch die Hinzufügung fehlender tie-
fer Spektralkomponenten durch das menschliche Gehör, sodass beispielsweise am Telefon die Stimme
des Gesprächspartners erkannt werden kann, obwohl das Telefon die tiefen Grundfrequenzen gar nicht
überträgt. Mindestens drei Spektralkomponenten müssen vorhanden sein, um die Wahrnehmung eines
virtuellen Grundtons zu ermöglichen. Seine Tonhöhe kann mathematisch durch den größten gemeinsa-
men Teiler berechnet werden. Vgl. Fricke, Psychoakustik des Musikhörens, S. 140–149.
42 Vgl. Gieseler / Lombardi / Weyer, Instrumentation in der Musik des 20. Jahrhunderts, S. 76f.

Klang und Wahrnehmung 87


Abb. 6: Varèse, Intégrales, T. 1–29: Klänge A und B, Gegenüberstellung von Strukturanalyse und Spektral-
analyse

Auch in Klang b verschiebt die Spektralanalyse die zu betrachtende Grundstruktur nach


oben, zudem ergeben sich deutliche Verstärkungseffekte innerhalb der Teiltonstruktur. Die
Frequenzen mit den höchsten Sonewerten werden wiederum von B-Klarinette, Es-Klarinette
und erster Piccoloflöte erzeugt: fis2-cis3-gis4, wobei im weiteren Spektrum cis4 und cis5 beson-
ders hervortreten: Es handelt sich um die Teiltöne 2 und 4 von cis3 (Es-Klarinette), zugleich
Teiltöne 3 und 6 von fis2 (B-Klarinette). Begrenzt wird das Spektrum hier erneut vom oberen
Posaunenton (h). Der vierte Teilton des tiefen Posaunentons a und der zweite Teilton des
mittleren Posaunentons b sind eher schwach ausgeprägt. Deutlich hervortretende Elemente
aus der Teiltonreihe von a (e2-cis3-g3-cis4-e4-g4) erklären vermutlich, dass der tiefe Posaunenton
als Residualton hörbar wird. Auch hier kann man eine oktav-/ quint-/ quartbetonte Deutung
(19–7–12–7–5) neben eine nonbetonte Deutung (19–13[7–6]–13[6–7]–5) stellen, die vor allem
bei besonderer Betonung des g3 (zweite Piccoloflöte) plausibel wird.
Wenn wir die Spektralstrukturen der beiden Klänge nebeneinander stellen, erkennen wir
eine Art der Transposition bzw. Spreizung, die in der rein strukturellen Analyse nicht sicht-
bar war: Die Struktur 19–7–19 von Klang a wird in Klang b zu 19–7–19–5. Eine detaillierte-
re Darstellung macht den Zusammenhang zwischen den Intervallstrukturen beider Klänge
noch deutlicher:

88 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


Natürlich kann auf der Grundlage einer Verbindung zwischen nur zwei Klängen noch kei-
ne allgemeine Aussage über die klangsyntaktischen Prinzipien eines Werks gemacht wer-
den. Überproportionale Dauer einzelner Klänge, dramatisch ›inszenierte‹ Einführung neuer
Klänge, Zwölftonkomplementarität, Zyklen der Strukturintervalle 11 und 13 gekoppelt an
Quint-/Quartstrukturen, strukturelle und spektrale Spreizung und Transposition sowie or-
chestrale Schichtenbildung können aber in jedem Fall für Varèse auch in zahlreichen wei-
teren Fällen als Grundtechniken der klanglichen Syntaxbildung veranschlagt werden. Die
Interpretation der spektralen Struktur ist zwar kaum eindeutig zu treffen, zumal sie stark
von der Interpretation, aber auch von Aufnahmetechnik, verwendetem Instrumentarium etc.
abhängt – und so auch keinesfalls, wie Lalitte annimmt, eine »objektive Methode«43 darstellt,
sondern ebenso wie der Notentext einer umfassenden und differenzierten Interpretation be-
darf. Dennoch erweitert sie, behutsam interpretiert, unser Verständnis von Varèses ›Archi-
tektur des Timbres‹ hier wesentlich.

3. M O R P H O L O G I E IM KON T I N U U M: GI AC I N TO S C E L SI S ST R E IC HQUA RT E T T NR . 4

Varèses Intégrales bietet wenig Schwierigkeiten für die ›Segmentierung‹, die Abgrenzung
klanglicher Einheiten für die Analyse – obgleich man auch hier die Problematik der ›Trenn-
schärfe‹ (vertikal wie horizontal) produktiv zuspitzen kann. Eine ganz andere Problemstel-
lung allerdings stellen jene in der neuen Musik seit den 1960er Jahren so häufigen Verfahren
dar, in denen sich von Anfang bis Ende ein Klangkontinuum ausbreitet. Ist im so betitelten
Klassiker György Ligetis, Continuum für Cembalo (1968), noch relativ leicht eine schlüssige
Abgrenzung in großformale Felder zu treffen, so ist dies in vielen anderen Fällen, etwa im
Vierten Streichquartett Giacinto Scelsis – wie in vielen anderen Werken des Komponisten44 –
nahezu unmöglich. Das Quartett entwirft einen ununterbrochenen 14-minütigen Klangpro-
zess, der anhand der Strukturanalyse als kontinuierliches Ansteigen von c2 zu h2 beschrieben
werden kann. Alle vier Instrumente tragen gleichermaßen zur heterophonen und ständig mi-
krotonal inflektierten Gestaltung dieses Anstiegs bei. Dennoch lassen sich Schlüsselmomente
ausmachen, die für die Gesamtanlage der Zeitgestalt entscheidend sind. Dazu gehört vor
allem der Ausbruch in Takt 158, in dem erstmals das Bassregister in dynamisch exponierter
Weise eingeführt wird.45 Der Ausbruch führt zu einem bemerkenswert stabilen Klangband
von ca. einer Minute Dauer (20 Takte, T. 158–177, Abb. 7), nach dem das tiefe Register wie-

43 Lalitte, Varèse’s Architecture of Timbre, S. 1: »objective method«.


44 Dazu allgemein Menke, Pax. Analyse bei Giacinto Scelsi, S. 36f.
45 In Takt 107 wird das Bassregister lediglich im ppp angedeutet.

Klang und Wahrnehmung 89


der ausgeblendet wird. Deshalb und auch aufgrund seiner besonderen Intensität stellt dieser
Ausbruch im Gesamtverlauf einen Höhepunkt dar.46
Eine Möglichkeit diesen Abschnitt in distinkte Klangereignisse zu segmentieren, stellt die
spektrale Differenzierung der über weite Strecken sich scheinbar kaum verändernden Tonhö-
henstruktur dieser Takte dar. Als übergeordnetes zusammenhangbildendes Element lassen
sich zunächst die beiden Zentraltöne f (bis T. 169) und d (ab T. 170) bzw. deren Teiltöne d1
und f1 ausmachen, die, häufig im Unisono verdoppelt und/oder oktaviert, den Gesamtklang
dominieren. In der Spektralanalyse (Abb. 7) kommt die Bedeutung dieser Töne klar zum
Vorschein. Daneben ist auch das Heraustreten der beiden Zentraltönen gemeinsamen Teil-
töne c4 und a2/a3 auffällig, wobei vor T. 169 vor allem a3 von Bedeutung ist. Ab T. 170 kommt
durch den veränderten Grundton auch noch a1 hinzu.
Es lassen sich also durch den Wechsel des Basstons von f nach zunächst d (T. 170, Va.),
später D (T. 172/173, Vc.) zwei längere Abschnitte ausmachen. Diese beiden Abschnitte unter-
scheiden sich substanziell in ihrem Teiltongehalt. Während die Takte 158–169, abgesehen von
den Glissandi der ersten Takte – die man wieder als ›Einschwingklang‹ betrachten könnte –,
eine relativ obertonarme statische Klangwirkung vermitteln, treten die höheren Teiltöne in
den Takten 170–177 durch die prägnante Stimmführung der beiden Violinen in hoher Lage
mit hohem Geräuschanteil deutlich in den Vordergrund und erzeugen damit einen Kontrast.
Für die Wahrnehmung dieser beiden Abschnitte sind außerdem zwei analoge Klangereig-
nisse von besonderer Bedeutung. Die beiden Zentraltöne werden als Akkord- bzw. Teiltöne
der Dreiklänge B-Dur und d-Moll umgedeutet. In Takt 167 klingt das B des Cellos zum
ersten Mal an. Der harmonischen Kraft dieses Dreiklanges wird durch ein verhältnismäßig
leises mezzoforte entgegengewirkt, während der Zentralton f weiterhin im forte/fortissimo ge-
spielt wird (2. Viol., Vla., Vc.). Tatsächlich zeigt sich im Spektrum der von uns untersuchten
Aufnahme47, dass das tiefe B kaum vorhanden ist. Die starken Obertöne b und b1 gleichen
dies zusammen mit weiteren Komponenten des B-Spektrums jedoch aus48 und führen zur
Wahrnehmung eines virtuellen Grundtons – der Klangcharakter dieser Stelle ändert sich
durch das Herausfiltern des tieferen Registers nur unwesentlich. In Takt 170, dem Beginn des
zweiten Abschnitts, erklingt für kurze Zeit ein d-Moll-Dreiklang, der allerdings durch den
scharfen Einsatz der 2. Violine verschleiert wird und deshalb nicht dieselbe Klangwirkung
entfaltet.
Zwei weitere gliedernde Klangereignisse werden durch das vorübergehende Wechseln des
Zentraltons f auf e ausgelöst. Im ersten Abschnitt geschieht dies in den Takten 62–64 (zuerst
e1 der 1. Violine, dann ein erhöhtes e im Cello), im zweiten Abschnitt findet sich die hierzu
analoge Stelle in den Takten 172–173 (Cello).

46 Vgl. die Hinweise zur ›dramatischen‹ Deutung der Großform in Helbing, Zyklizität und Drama(turgie) in
Scelsis viertem Streichquartett.
47 Giacinto Scelsi: Streichquartett Nr. 4, Streichquartett des Klangforum Wien [1997], Kairos 0012162KAI,
2001.
48 Der Ton b1 erscheint in der grafischen Wiedergabe in Abb. 7 nicht, da hier der Spektralfilter über die
gesamte Dauer von über einer Minute gelegt wurde und daher Spektralkomponenten von kurzer Dauer
auch dann ausgefiltert werden, wenn sie relativ deutlich hervortreten. In der detaillierteren Darstellung in
Abbildung 8 ist das b1 enthalten.

90 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


Abb. 7: Giacinto Scelsi, Streichquartett Nr. 4, T. 158–177: Reduktion der Partitur (nach Helbing, Zyklizität und
Drama(turgie) in Scelsis viertem Streichquartett) und spektraler Verlauf

Insgesamt führen die hohe dynamische Intensität und die raffinierte Instrumentation auf
der Basis einer komplizierten Skordatur zu einer großen Dichte im Obertonbereich, wäh-
rend die nur gelegentlich ergänzten Töne im tiefen Register tendenziell in den Hintergrund
treten und vor allem mittelbar durch die Veränderung des Spektrums auf den Formprozess
einwirken.
Als weiteres Detail kann die Spektralanalyse der vier Takte 165–168 (Abb. 8) herangezo-
gen werden, in denen sichtbar wird, wie fließend Teiltöne und Grundtöne ineinander über-
gehen: So tritt etwa das f1 in Takt 165 als zweiter Teilton von Viola und Cello prominent
hervor und wird in Takt 166 von der Viola als neuer Grundton aufgegriffen. Insgesamt zeigt
die Spektralanalyse dieses Abschnitts deutlich die Bedeutung der Teiltonreihen auf d und f,
die den ständigen mikrotonalen Abweichungen einen Rahmen bieten und dem Klang seine
Brillanz und Stabilität verleihen (Abb. 8 unten). Ein hoher Grad an Rauigkeit kommt durch
die Schwebungen zwischen den beiden Teiltonspektren zustande: So treten die Reibungen
zwischen f3/f4 (Teiltöne von f) und (fis3)/fis4 (Teiltöne von d) ebenso prominent hervor wie zwi-
schen den unterschiedlichen Varianten von c4 bzw. c5, die zugleich (erniedrigt) als siebenter
Teilton von d/d1 und als dritter bzw. sechster Teilton von f/f1 erscheinen.

Klang und Wahrnehmung 91


Abb. 8: Scelsi, Streichquartett Nr. 4, T. 165–168: Partiturreduktion, Spektralanalyse und Teiltonstruktur
(Durchschnitt über die gesamten vier Takte)

Das Beispiel kann verdeutlichen, wie ungenügend eine rein strukturelle Analyse auf der
Grundlage der in der Partitur angegebenen Grundtöne in vielen Fällen sein kann. Scelsis
Quartett steht dabei paradigmatisch für eine Fülle von prozesshaften Formen in der post-to-
nalen Musik seit den 1960er Jahren, die sehr bewusst psychoakustische Phänomene ausloten
(neben Spektralwirkungen, spektralen Verstärkungseffekten, Schwebungen, Differenztönen
und virtuellen Tönen gehören dazu etwa auch die verschiedenen Arten des ›auditory strea-
ming‹ bzw. der ›inherent patterns‹) und musikalische Strukturen entsprechend disponieren.
Zahlreiche Werke György Ligetis, Steve Reichs oder Gérard Griseys können stellvertretend
für diese Tendenz genannt werden. Die Spektralanalyse kann dabei freilich stets nur eines
von mehreren Hilfsmitteln sein, die notwendig sind, um Spannungsbogen und Logik solcher
erst im Wahrnehmungsapparat aufgehender Klangprozesse schlüssig beschreiben zu können.

4 . S PA LT K L A N G UND ST RU K T U R K L A NG: H E L M U T L AC H E N M A N N S CO N C E RT I N I

In seinen Werken seit den 1980er Jahren hat Helmut Lachenmann mit wachsendem Nach-
druck kompositorische Methoden umgesetzt, die den ›Totalitätsanspruch‹ des Tonalitätsbe-
griffs kompositionstechnisch dadurch thematisieren, dass sie – analog zu den institutionellen
Kontexten seines Komponierens – sich gleichsam in die ›Höhle des Löwen‹ begeben und
Gattungen, Stilcharakteristika, Satzmodelle und musiktheoretische Grundlagen tonaler Mu-
sik aufgreifen, dekonstruieren und neu erfinden. (Der Komponist hat allerdings betont, dass
die kompositorischen Grundtechniken eines solchen Spiels mit kulturell vertrauten Material-

92 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


schichten, etwa die Intervallreihung nach konstanten, kontinuierlichen und zyklischen Prin-
zipien, bereits in seinen Werken zu Anfang der 1960er Jahre entwickelt wurden.49) Solche
Prinzipien gehen, durchaus im Sinne der ›musique concrète instrumentale‹, bevorzugt aus
den Instrumenten selbst und ihren Begrenzungen, Möglichkeiten und Konventionen hervor.
Im Falle der japanischen Mundorgel shō, die Lachenmann im vorletzten Bild seiner »Musik
mit Bildern« Das Mädchen mit den Schwefelhölzern prominent solistisch eingesetzt hat, konn-
te Christian Utz in einem 2008 erschienen Beitrag 50 zeigen, dass darin komplexe Transforma-
tionsprozesse traditioneller Spieltechniken und Klangstrukturen eingeflossen sind, die eine
Prägung substanzieller kompositorischer Entscheidungen jenseits der auratischen Funktion
des shō-Klangs vermuten lassen. In der Tat hat Lachenmann selbst mit der Andeutung, er
habe nicht nur in seiner ›Oper‹, sondern auch am Ende seines großen Ensemblewerks Con-
certini auf die »Tonskala« der shō zurückgegriffen51, einen Hinweis darauf gegeben, dass auch
Zusammenhänge mit traditionellem Repertoire und Spielpraxis des Instruments durchaus
intendiert sind. Tatsächlich lässt sich nachweisen, dass die Struktur dreier Achsenklänge die-
ses Abschnitts (Abb. 9), in die die komplexen feldartigen Klang-Geräusch-Prozesse münden
und von denen sie wieder neu ausgelöst werden, auf dem eingeschränkten Tonvorrat und
der Lage der shō basieren. Einen weiteren Verweis auf das japanische Instrument findet man
darin, dass die Struktur dieser Akkorde aus Quintschichtungen hervorgeht, die auch das
strukturbildende Prinzip der traditionellen shō-Akkorde im tōgaku-Repertoire der Hofmusik
gagaku darstellen.52

Abb. 9: Die drei Achsenklänge im Schlussabschnitt von Helmut Lachenmanns Concertini (2005) für Ensem-
ble und der Tonvorrat der japanischen Mundorgel shō

49 Lachenmann/Gadenstätter/Utz, Klang, Magie, Struktur, S. 46.


50 Utz, Klangkadenz und Himmelsmechanik.
51 Lachenmann, East meets West?, S. 84.
52 Dazu detailliert Utz, Klangkadenz und Himmelsmechanik, S. 130–135.

Klang und Wahrnehmung 93


Abb. 10: Lachenmann, Concertini, T. 697–701, Partitur (© 2005 by Breitkopf & Härtel, Wiesbaden) und Re-
duktion nach Instrumentengruppen

94 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


Die ›kadenzierende‹ Funktion des ausgedehnten letzten Abschnitts von Concertini, der unge-
fähr ein Viertel der Gesamtlänge des Werkes ausmacht, tritt am stärksten im letzten Akkord
zum Vorschein. In diesem von den Holzbläsern gespielten zwölfstimmigen Klang aus acht
unterschiedlichen Tonqualitäten wird erstmals eine ununterbrochene Quintschichtung reali-
siert, die in enger Lage eine Intervallstruktur von 2–1–2–2–1–1–1–4–1–2–2 Halbtönen ergibt.
Ähnlich den vorangegangenen Achsenklängen, ist dieser Schlussakkord in ein außerordent-
lich komplexes Klangspektrum eingebettet, das sich aus Clustern der Streicher, die sich mit
dem Bläserakkord verschränken, Resonanzen der Röhrenglocken und einem markanten Kla-
vierglissando zusammensetzt (Abb. 10).
Die Spektralanalyse wird hier nun hier herangezogen, um einen tieferen Einblick in die
Beziehungen zwischen dem Klang der shō und diesem Schlussklang von Lachenmanns Con-
certini zu gewinnen. Im Spektrum des traditionellen shō-Akkordes bō mit den Grundtönen
d2-e2-a2-h2-e3-fis3 (Abb. 11), basierend auf der Quintenstruktur d-a-e-h-fis, bestätigt sich der
Eindruck, dass die einzelnen Töne dazu neigen in einen clusterartigen Klang zu verschmel-
zen: Die Fundamentaltöne treten im Verhältnis zu den Obertönen – wie z.B. dem fünften
Teilton von e2 [gis4] und dem siebenten Teilton von d2 (tiefes c5) – deutlich in den Hintergrund.
Der Höreindruck ist also nicht nur durch einen hohen Verschmelzungsgrad charakterisiert,
der sich durch die tendenziell pythagoräische Stimmung des Instruments in reinen Quinten
und die entsprechend stark verschmelzenden Teiltöne sowie die hohe Lage erklären lässt,
sondern auch durch einen diffusen ›Texturcharakter‹ (im Sinn von Lachenmanns Definiti-
on des ›Texturklangs‹), in dem einzelne Klangkomponenten aufgrund der starken Präsenz
der Teiltöne gegenüber den Grundtönen besonders schwer isoliert bzw. identifiziert werden
können.

Abb. 11: Spektralanalyse des traditionellen shō-Akkords bō, geordnet nach Lautheit der Spektralkomponen-
ten (Dauer des Klanges: 5,532 Sekunden; Quelle: Beilage-CD zu Miki Minoru, Nihon gakki hō, Tokyo 1996).
Werte über den Tönen bezeichnen die Lautheit in Sone (Durchschnittswert über die gesamte Dauer des
Klangs)

Die Spektralanalyse von Lachenmanns Schlussakkord basiert auf einem Vergleich zweier un-
terschiedlicher Aufnahmen des Werkes durch das Ensemble Modern und das Klangforum
Wien53 (Abb. 12). Beide enthüllen – im Gegensatz zum bō-Akkord – ein von den tieferen
Fundamentaltönen des Akkords h1, d2, e2, g2 dominiertes Spektrum, während Lautstärke und

53 Helmut Lachenmann, Concertini: Ensemble Modern, Leitung: Brad Lubman, EMSACD 001 (2006);
Klangforum Wien, Leitung: Johannes Kalitzke, Kairos 0012652KAI (2009).

Klang und Wahrnehmung 95


96 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH
Abb. 12: Spektralanalyse des Schlussakkords von Lachenmanns Concertini (T. 699), Vergleich der Einspielun-
gen durch das Ensemble Modern (2006; oben) und das Klangforum Wien (2009; unten): grafische Wieder-
gabe durch MUSE und Notendarstellung geordnet nach Lautheit der Spektralkomponenten (Werte in Sone).
Die zu Grunde liegenden Ausschnitte des Klangs umfassen den quasi-stationären Teil zwischen den Taktzei-
ten 2/3 und 3/4 von T. 699 (Dauer: Ensemble Modern: 1,609 Sekunden, Klangforum Wien: 3,890 Sekunden).

Intonation der restlichen Töne in den beiden Einspielungen stark variieren. Die Präsenz der
restlichen Grundtöne ist in der Klangforum-Einspielung signifikant größer, was zusammen
mit insgesamt deutlich geringeren mikrotonalen Abweichungen der einzelnen Spektralkom-
ponenten auf eine präzisere Intonation hinzuweisen scheint. Zudem sind die stärkeren dy-
namischen Kontraste innerhalb des Akkords in der Klangforum-Aufnahme auffallend und
tragen ebenfalls zu einem stärkeren morphologischen Profil bei: Bereits die in der Lautheits-
skala an siebenter Stelle stehende Komponente (a2) ist nur noch ca. halb so laut wie der lau-
teste Ton (h1), in der Ensemble Modern-Einspielung steht der entsprechende Ton erst an 14.
Stelle, die Töne sind hier insgesamt dynamisch sehr ausgeglichen.
Lachenmann erreicht die Konzentration auf die Fundamentaltöne dadurch, dass die un-
teren acht Töne des Bläserklangs durchweg von tiefen Blasinstrumenten in (teils sehr) hoher
Lage gespielt werden (zwei Hörner, zwei Bassklarinetten, zwei Bassflöten, Basstrompete, Po-
saune). Auch die Oboen fokussieren in der hohen Lage die Grundtöne. Dabei kommt es – wie
bei der shō – zu Maskierungseffekten: in beiden Fällen wird der höchste Ton (fis3) weitgehend
von den angrenzenden Sinuskomponenten verdeckt.

Wenn wir nun versuchen die Ergebnisse der Spektralanalyse mit einiger Vorsicht aus Sicht
der Ästhetik des Komponisten zu bewerten, dann erscheint die vielleicht überraschende Tat-
sache, dass trotz der großen spektralen Komplexität die einzelnen (Grund-)Töne des Klangs
im Spektrum bestmöglich differenzierbar bleiben, in einem neuen Licht, nicht zuletzt dann,
wenn Lachenmanns Klang in einem Gegensatz zu den spektralen Charakteristika des tradi-

Klang und Wahrnehmung 97


tionellen shō-Akkords gestellt wird, bei dem die Intensität der Teiltöne zu einer maximalen
Klangverschmelzung und einer Diffusion der Grundtöne beiträgt. So ließe sich folgern, dass
selbst dort, wo Lachenmann an der Oberfläche einen scheinbar ›konventionellen‹ Typus von
Verschmelzungsklang präsentiert, dieser in seiner Innenstruktur wesentliche Charakteristika
eines Spalt- oder Strukturklangs bewahrt.54 Auch wenn ganz zweifellos die Wahrnehmung
aufgrund der klanglichen Komplexität von Lachenmanns Schlussklang in einen ›globalen‹
Modus ›umschaltet‹, so drängt sich doch ein Oszillieren zwischen einem solchen Globalein-
druck und einem Heraushören von Einzelkomponenten als eine durchaus plausible Präzisie-
rung des Hörvorgangs auf und ließe sich mit Lachenmanns wichtigem Gedanken koppeln,
dass Struktur- und Texturklang in gewissen Situationen leicht ineinander übergehen, in den
jeweils anderen Zustand ›kippen‹ können.55 Dies wird durch die hochgradig differenzierte
Instrumentation des Akkords und seiner Umgebung gestützt: In der Terminologie von Breg-
mans Auditory Scene Analysis könnte man davon sprechen, dass eine »natürliche Zuordnung«,
in der eine eindeutige Identifikation der Klangquellen möglich ist, und eine »chimärische
Zuordnung«, in der eine solche Identifikation unmöglich ist, hier in einem mikrozeitlichen
Verlauf oszillieren56: In einem Augenblick scheinen einzelne Instrumente identifizierbar her-
vorzutreten, im nächsten sind sie im globalen Klangereignis, in der ›Textur‹ verschwunden.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass die durch die Spektralanalyse ›verschärfte‹ Tech-
nizität der analytischen Methodik alleine freilich niemals ausreichen kann, um den Konno-
tationsreichtum, die impliziten Bedeutungen der Klänge zu beschreiben, mit denen Kompo-
nisten wie Varèse, Scelsi oder Lachenmann arbeiten. So wurde Varèses Komponieren etwa
treffend als »konkret metaphorisches«57 beschrieben – »konkret« in dem Sinne, dass es ver-
sucht, die von Helmholtz beschriebenen ›impliziten‹ Klangdimensionen offen zu legen; »me-
taphorisch«, da es – nicht zuletzt auch in Ermangelung ausgereifter technischer Hilfsmittel
– wesentlich von der Schlüsselmetaphorik der Klangmassen als sich anziehende oder absto-
ßende Kräfte geprägt ist. Diese Metaphorik ist Teil eines antimetaphysisch-rationalen Klang-
konzepts, das sich, wie bei Ernst Kurth, hauptsächlich aus der Physik ableitet. Lachenmanns
und Scelsis Überzeugung, dass musikalischer Klang in erheblichem Maße ›Magie‹ entfalten
und zu einer hochgradigen Identifikation und Verschmelzung von Hörer und Klang führen
kann, lässt sich unschwer mit Varèses rationaler formuliertem Ideal in Beziehung setzen. Im
Gegensatz zu Scelsis post-vitalistischem und transzendentalistischem Klangbegriff, in der die
Utopie einer Verschmelzung von Interpret, Klang und Hörer ungebrochen aufrechterhalten
wird, kann für Lachenmann eine solche Magie heute nur im Kontext ihrer Negation, als
›gebrochene Magie‹ existieren. Auch hierin mag man den Gegensatz zwischen dem diffusen
Texturcharakter des traditionellen bō-Akkords und dem ›strukturalistischen‹ Grundtoncha-
rakter von Lachenmanns Concertini-Akkord begründet sehen.

54 Natürlich sollen hier Scherings ›Spaltklang‹ und Lachenmanns ›Strukturklang‹ nicht schlicht gleichge-
setzt werden; eine differenziertere Diskussion müsste Gemeinsamkeiten und Differenzen der Begriffe
abwägen. Signifikant könnte dabei sein, dass beiden Begriffen ein konsequent polyphones Modell zu
Grunde zu liegen scheint.
55 Lachenmann, Klangtypen, S. 20.
56 Bregman, Auditory Scene Analysis, S. 459f.: »›natural‹ assignment« und »›chimeric‹ assignment«.
57 Decroupet, Via Varèse, S. 34.

98 CHR ISTIAN UTZ / DIETER K LEINR ATH


5. F A Z I T UND AUSBLICK

Die drei hier diskutierten Beispiele haben gezeigt, dass der angemessene Einsatz von Spek-
tralanalysen Erkenntnisse der konventionellen, partiturbasierten Analyse in wenigstens drei
wichtigen Bereichen ergänzen kann:
1. Aus der Partitur gewonnene Annahmen über die Intervallstruktur einer Komposition
können mit Hilfe der Spektralanalyse hinterfragt und erweitert werden. Die Erkenntnisse aus
der Struktur des Spektrums ergänzen dabei Erkenntnisse von Notentextanalysen und ermög-
lichen so einen umfassenderen Einblick in die Struktur und Wahrnehmung musikalischer
Ereignisse und Prozesse.
2. Eine detaillierte Beschreibung der spektralen Tonhöhenverhältnisse sowie deren zeitli-
che Veränderung kann die musikalische Analyse insbesondere dort bereichern, wo, wie z.B.
in der Musik Scelsis, eine Beschreibung von Tonhöhenprozessen aufgrund der in der Partitur
angegebenen Grundtöne kaum den tatsächlichen klanglichen Prozessen entspricht, die in
hohem Maße auf der Interaktion unterschiedlicher Teiltonspektren und deren Veränderung
in der Zeit aufbauen.
3. Spektralanalysen können zu unserem Verständnis von subtilen Ähnlichkeiten und Un-
terschieden zwischen Klängen vergleichbarer Tonhöhenstruktur beitragen. Solche Detailver-
gleiche klanglicher Substrukturen erlauben auch, wie im Falle Lachenmanns demonstriert,
eine vertiefte Diskussion metaphorischer und ästhetischer Assoziationen mit diesen Klängen
durch Komponisten, Theoretiker und Rezipienten.

Es ist zweifellos irreführend anzunehmen, dass Spektralanalyse alle Probleme zu ›lösen‹ ver-
mag, die andere Analyseansätze offen lassen. Zugleich sollte man die durch sie gewonnenen
Erkenntnisse aber auch nicht auf offenkundige Aspekte musikalischer Wahrnehmung be-
schränken (wie es gelegentlich in der Psychoakustik und Musikpsychologie der Fall ist). Eine
ausgeglichene und methodisch stringente Integration breit gefächerter ›Klangperspektiven‹
bleibt häufig ein uneingelöstes Versprechen der musikalischen Analyse.

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