Institut Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald
im HANSE-Klinikum Stralsund
Michels-Lucht F et al. Konstruktion eines Fragebogens zu körperlichen Aspekten … Psychother Psych Med 2010; 60: 31–38
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Material und Methode und vor allem das damit verbundene Gefühl Scham abbilden
& sollen, wie z. B.:
Stichprobenbeschreibung §„Das Zeigen meines Körpers fällt schwer“.
Mit dem unten näher spezifizierten Fragebogenset wurden ins- §„Es ist mir peinlich, sehen mich andere“.
gesamt 646 Probanden untersucht. Der Fragebogen wurde einer §„Ich bemühe mich um ein möglichst attraktives Aussehen
Patientenstichprobe (n = 512) und einer Stichprobe Krankenpfle- (z. B. durch Kleidung, Frisur und Kosmetik)“.
geschüler (n = 134) vorgelegt. Die Patientenstichprobe bestand Diese Skala definierte sich zunächst aus 41 Items.
aus 156 Männern und 304 Frauen mit einem Durchschnittsalter 3. Skala Abgrenzung und Körperpsychotizismus (AKP): In Anleh-
von 37 ± 11,8 Jahre (52 Probanden machten keine Angabe zu Al- nung an die Psychotizismus-Skala der SCL-90-R soll diese Ska-
ter und Geschlecht). Die Stichprobe der Krankenpflegeschüler la ein mildes Gefühl der Entfremdung vom eigenen Körper
setzte sich aus 16 Männern und 118 Frauen mit einem Alters- sowie ein Erleben der Körperbesorgnis bis hin zu psycho-
durchschnitt von 20 ± 4,9 Jahren zusammen. Die Patienten wur- tischem innerlich erlebtem körperlichen Zerfall abbilden
den auf einer Psychotherapiestation (vorwiegende ICD-Diagno- [14, 27]. Diese Skala soll aus dem Konstrukt der Körperaus-
sen affektive (F3) und Angststörungen (F4)) der Klinik und Poli- grenzung von Fischer abgeleitet werden [13]. Menschen, die
klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifs- ihre Körpergrenzen als gefährdet erleben, vermeiden häufig
wald im HANSE-Klinikum Stralsund rekrutiert. Ausschlusskrite- ein Gefühl der Nähe [28], was bedeutende Auswirkungen auf
rien waren die Diagnosen Bipolare Störung und Schizophrenie, interpersonelle Beziehungen hat [22].
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Mittels einer MANOVA wurden rein explorativ mögliche Effekte einem α von 0,61 eine niedrigere innere Konsistenz in der Grup-
des Alters und Geschlechts auf die drei Skalen des FK-ASA (ab- pe der Krankenpflegeschüler auf.
hängige Variablen) überprüft. Wegen der Interkorrelation der Die Split-half Reliabilität lag mit r = 0,82 in der Gesamtstichpro-
abhängigen Variablen wurde eine MANOVA verwendet. Alle Be- be in einer nach Fisseni wünschenswerten Höhe [31], wobei sich
rechnungen erfolgten mit dem Statistikpaket SPSS Version 11.5. für die Patientengruppe ein Wert von r = 0,84 bestimmen ließ.
Die Split-half Reliabilität fiel in der Gruppe der Pflegeschüler mit
r = 0,75 etwas niedriger aus.
Ergebnisse Die Konstruktvalidität wurde zum einen mittels einer Faktoren-
& analyse berechnet, zum anderen rein explorativ mit einer Analy-
Itemanalyse se von Alterseffekten und Geschlechtsunterschieden.
Alle Items konnten nach der Iteminterkorrelation zunächst im Fra- Einzig die Faktorenanalyse wurde nur an der Gesamtstichprobe
gebogen verbleiben, da die Interkorrelationen < 0,9 lagen. 23 Items durchgeführt, da laut Bühner [32] erst ab einem n = 500 eine
mussten vor der Itemanalyse entsprechend der Ausrichtung der Faktorenanalyse sinnvoll durchgeführt werden kann.
Skala umgepolt werden. Die Schwierigkeitsindizes lagen im mittle- Die drei theoriegeleitet konstruierten Skalen wurden mittels ei-
ren Bereich zwischen 0,30 und 0,65. Zwei Items („Ich bin zu groß“; ner Faktorenanalyse empirisch belegt. Die drei extrahierten Fak-
„Körpergeruch empfinde ich als ekelhaft“) mussten wegen zu ho- toren klären 39 % der Varianz auf. Für die Bestimmung der Fak-
her Schwierigkeit entfernt werden. Der Trennschärfekoeffizient für toren wurden nur Items mit einem Eigenwert > 1 und einer La-
Cronbach’s α
Skala Gesamt-Stichprobe Patienten-Stichprobe Pflege-Schüler
1 Abgrenzung und Körperpsychotizismus AKP 0,76 0,78 0,61
2 Körperausdruck KAD 0,83 0,81 0,71
3 Körperunzufriedenheit und Scham KUS 0,90 0,91 0,86
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Tab. 3 Faktorenanalyse Körperfragebogen (FK-ASA). Rotierte Komponentenmatrix (die Rotation ist in 5 Iterationen konvergiert). Extraktionsmethode: Haupt-
komponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung. Die 3 Komponenten erklären insgesamt ca. 39 % der Varianz (n = 646)
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Tab. 4 FK-ASA: MANOVA zur Überprüfung der Effekte von Alter und Geschlecht auf die 3 Faktoren des Körperfragebogens (abhäng. Variablen).
Geschlecht Mittelwert SD n
Körperunzufriedenheit und Scham (KUS) M 1,78 0,47 168
W 1,89 0,57 419
Gesamt 1,86 0,54 587
Abgrenzung und Körperpsychotizismus (AKP) M 1,46 0,43 168
W 1,50 0,50 419
Gesamt 1,49 0,48 587
Körperausdruck (KAD) M 2,32 0,62 168
W 2,36 0,56 419
Gesamt 2,35 0,57 587
Abhängige Variable df F p
Alter Körperunzufriedenheit und Scham (KUS) 1 8,838 0,003
Abgrenzung und Körperpsychotizismus (AKP) 1 6,766 0,010
Körperausdruck (KAD) 1 78,513 0,000
Geschlecht Körperunzufriedenheit und Scham (KUS) 1 7,006 0,008
Abgrenzung und Körperpsychotizismus (AKP) 1 1,476 0,225
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Tab. 6 FK-ASA: Korrelationen zwischen den Skalen des Körperfragebogens (FK-ASA) und der Symptom-Checkliste von Derogatis (SCL-90-R).
bens durch z. B. Eltern, Peers und Medien hin, alleine z. B. „er- Eine weitere Einschränkung der Untersuchung liegt darin, dass
scheinungsbasierte Konversation“ („appearance based conversa- die Prüfung der Reliabilität und der externen Validität in einer
tion“) oder Lästern scheint einen bedeutenden Einfluss auf das Studie überprüft wurde. Diese Überprüfung sollte in weiteren
Body Image auszuüben. Verlaufsuntersuchungen könnten hier Studien getrennt durchgeführt werden. Bei 52 Probanden fehl-
eine Differenzierung zwischen trait und state-Aspekten des Fra- ten Angaben zu Geschlecht und Alter. Da die primären Hypothe-
gebogens liefern. Sicherlich aber ist Körpererleben, wie andere sen in der Gesamtstichprobe geschlechts- und altersunabhängig
Bereiche des Selbstkonzeptes, wiederum auch durch Psychothe- überprüft wurden, den Patienten Anonymität zugesichert wur-
rapie veränderbar. de und die Fragebögen ansonsten vollständig beantwortet wur-
den, konnten sie in der Analyse belassen werden. Der Anonymi-
tät wegen liegen auch keine Einzeldiagnosen vor, Patienten mit
Methodenkritik Ausschlussdiagnosen (Psychosen) erhielten von vorneherein
& keine Fragebögen. In weiteren Untersuchungen sollten Diagno-
Eine methodische Einschränkung stellt der Mangel geeigneter sen mit erhoben werden, da sie vermutlich Ausprägung der Be-
Kriterien zur Überprüfung der Kriteriumsvalidität dar. Weiter- antwortung der Skalen des FK-ASA beeinflussen.
hin ist die Auswahl der beiden Stichproben nicht geeignet, um
allgemeingültige Aussagen treffen zu können. Die Stichproben Der Fragebogen ist kostenlos bei michels@uni-greifswald.de als
der Patientengruppe und der Krankenpflegeschüler erlaubten pdf-Version erhältlich.
einen Vergleich zwischen depressiven und neurotisch erkrank-
ten Personen in der 5. Lebensdekade mit jungen altershomo-
genen eher gesunden Probanden um das 20. Lebensjahr. Eine
weitere Erhebung an einer Normalstrichprobe (Medizin- und
Psychologiestudenten, Mitarbeiter der Klinik und Krankenhaus-
verwaltung) wird derzeit durchgeführt. Weiterhin werden Da-
ten an gut charakterisierten Patientenstichproben (depressive
und Angststörungen, Schizophrenie) erhoben. In der vorlie-
genden Arbeit wurde Abgrenzungs- und Entfremdungserleben
der Skala Abgrenzung und Körperpsychotizismus nur an nicht
psychotischen Patienten erhoben.
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Fazit für die Praxis 15 Pöhlmann K, Thiel P, Joraschky P. Entwicklung und Validierung des
Dresdner Körperbildfragebogens (DKB-35). In: Joraschky P, Lausberg
Der Fragebogen zu körperlichen Aspekten von Abgrenzung, H, Pöhlmann K, Röhricht F, Hrsg. Körperorientierte Diagnostik und
Scham und Ausdruck (FK-ASA) soll in Zukunft als Diagnose- Psychotherapie bei PatientInnen mit Essstörungen Gießen: Psychoso-
und Verlaufsbeurteilungsinstrument für Körpertherapien zial-Verlag; 2008
16 Clement U, Löwe B. Fragebogen zum Körperbild (FKB 20). Göttingen:
dienen. Hier soll die Fragestellung beantwortet werden, ob Hogrefe; 1996
der FK-ASA Veränderungen abbildet und prädiktive Eigen- 17 Deusinger IM. Die Frankfurter Körperkonzeptskalen (FKKS). Göttingen:
schaften besitzt in Hinblick auf Therapie-Outcome. So Hogrefe; 1998
könnten niedrige Werte für Körperunzufriedenheit und 18 Röhricht F, Priebe S. Effect od body-oriented psychological therapy on
negative symptoms in schizophrenia: a randomized controlled trial.
Scham und hohe für Körperausdruck prädiktiv für einen The- Psychol Med 2006; 36: 669–678
rapieerfolg sein. Eine Erhebung an verschiedenen Diagnose- 19 Lausberg H, Wietersheim J von, Wilke E et al. Bewegungsbeschreibung
gruppen soll prüfen, ob die Skalen hinsichtlich verschiedener psychosomatoscher Patienten in der Tanztherapie. Psychother Psych
Med 1996; 38: 259–264
Diagnosen differenzieren. Ein Fragebogen mit maximal 25
20 Moore CA. Dance Movement Therapy in the Light of Trauma: Resarch
Items wäre aus ökonomischen Gründen wünschenswert, das Findings Of A Multidisciplinary Project. Berlin: Logos; 2006
hier vorgelegte Instrument liegt mit 46 Items vergleichswei- 21 Wurmser L. Die Maske der Scham. Heidelberg: Springer; 1998
se im unteren bis mittleren Umfang vergleichbarer Instru- 22 Schatz DS. Klassifikation des Körpererlebens und körperpsychothera-
peutische Hauptströmungen. Psychotherapeut 2002; 47: 77–82
mente.
23 Trautmann-Voigt S, Voigt B. Bewegte Augenblicke im Leben des
Säuglings- und welche therapeutischen Konsequenzen? Köln: Claus
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