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wer zum Trösten und Ermahnen berufen ist,


der tröste und ermahne.
Wer gibt, gebe ohne Hintergedanken;
wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein;
wer Barmherzigkeit übt, der tue es freudig.
Römer12,8 aus dem Bibeltext der Einführungspredigt Ernst Langes

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Grußwort aus dem
Kirchenkreis Spandau

Wie gestaltet man Jesus von Nazareth den kranken, geschei-


Kirche in einem terten und verachteten Menschen seiner
Neubaugebiet mit zigtausenden von neuen Zeit Mut machte und ihnen einen neuen
Wohnungen? Diese Frage beschäftigte die Anfang ermöglichte, so sei es auch Auf-
Verantwortlichen im Kirchenkreis gabe der Christen in dem neu entstande-
Spandau in den Sechziger Jahren des letz- nen Stadtviertel den am geringsten Privi-
ten Jahrhunderts. Die Zeit weithin sicht- legierten Christi Liebe und Barmherzigkeit
barer Kirchtürme war im Umfeld hoch auf- vorzuleben.
ragender Wohnblocks vorbei. Gewachse- Dieser Auftrag war und bleibt Leitmotiv
ne Gemeindestrukturen waren angesichts dieser Kirchengemeinde, die inzwischen
zusammen gewürfelter Sozialwohnungs- Teil der Großgemeinde zu Staaken ist. Ge-
mieter nicht vorhanden. sellschaftliche Umbrüche, wechselnde
So ist es nicht verwunderlich, dass die Bevölkerungsstrukturen und einge-
Kreissynode Spandau sich bereits 1966 schränkte finanzielle Möglichkeiten brach-
dem Schwerpunktthema „Gemeindeauf- ten immer neue Herausforderungen.
bau in Spandau“ widmete und eine Arbeits- Durch die maßgebliche Mitgestaltung des
gruppe mit der Entwicklung geeigneter Gemeinwesenzentrums ergab sich eine
Konzepte beauftragte. Es entstand der gute Vernetzung mit kommunalen und so-
Plan, zunächst ein Gemeindezentrum zu zialen Einrichtungen, die eine Verbesse-
errichten. In der Anonymität der neu ent- rung der Lebenssituation im Stadtteil zum
standenen Vorstadt sollte es Möglichkei- Ziel haben.
ten eröffnen, sich einander näher zu kom- Im Namen der Kreissynode Spandau, die
men und sich kennen zu lernen. Diakon- Ihren Weg in den vergangenen Jahrzehn-
ische Angebote und die Vermittlung christ- ten begleitet hat, wünsche ich Ihnen Got-
licher Werte und biblischer Inhalte an Kin- tes Segen für die weitere Arbeit. Möge es
der, Jugendliche und Erwachsene waren Ihnen auch weiterhin gelingen, vielen
und sind ein weiterer Schwerpunkt. Menschen im Stadtteil Mut zu machen, die
Am 30. Mai 1971 konnte Bischof Scharf Liebe und Freundlichkeit Gottes zur
das Gemeindezentrum Pillnitzer Weg ein- Grundlage ihres Lebens und Tuns zu ma-
weihen. In seiner Festpredigt stellte Prof. chen.
Ernst Lange heraus: „Christen sind Mut- Horst Skoppeck
macher, oder sie sind nichts wert!“ So wie (Präses der Kreissynode Spandau)
3
Liebe Leserinnen und Leser,

Ein Jubiläum ist stets ein Anlass, in die Vergangenheit und in


die Zukunft zu schauen. Ein Teil der Menschen freut sich,
einen langen Zeitraum mit schönen Erlebnissen er-folgreich
mitgestaltet bzw. miterlebt zu haben. Der andere Teil trauert
den schönen, alten Zeiten nach, denn früher war ja alles
besser. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte. 40 Jahre Gemeindehaus Heerstra-
ße Nord im Pillnitzer Weg 8. Ein Grund zum Feiern, ein Grund zum Erinnern. Gene-
rationen haben an und in diesem Haus gearbeitet, Gruppenleben genossen, gesun-
gen, getanzt, Gottesdienste gefeiert und das gilt für alle Altersgruppen. Auf den fol-
genden Seiten lassen uns Zeitzeugen am Vergangenen teilhaben. Aber so ein Jubilä-
um erfordert auch einen Blick in die Zukunft die als nächstes in „Pille 8“ die Einrich-
tung eines Stadtteilcafes mit Terrassenbenutzung und Beratungseinrichtungen in den
kommenden Monaten vorsieht. Damit knüpfen wir als Gemeinde an den Grundge-
danken der Erbauer dieses Hauses an: eine Stätte zu haben an der Alt und Jung
unbeschwert zusammen kommen können, eine Stätte der sinnvollen und fröhlichen
Begegnungen von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Interessen,
eine Stätte des sozialen und diakonischen Wirkens.
Ich wünsche unserem Gemeindehaus weitere erfolgreiche 40 Jahre zum Wohle und
Nutzen unserer Gemeinde und darüber hinaus aller Menschen in unserem Kietz.

Klaus Ringhand
Vorsitzender des Gemeindekirchenrates

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Inhaltsverzeichnis

Grußwort Horst Skoppeck, 3 Erinnerungs – Bilderbogen II von 25


Präses der Kreissynode Spandau Wolfgang Grünberg/Jochen Muhs

Vorwort Klaus Ringhand 4 Seit 1974 im Pillnitzer Weg 8 27


GKR – Vorsitzender Heide Laufmann

Einführung 6 Die Gemeinde Heerstraße – Nord 29


Cord Hasselblatt in den 80er Jahren
Winfried Böttler
Kurz – Chronik 7
Cord Hasselblatt Krankenwohnung Pillnitzer Weg 8 35
Erika Stiller
Wirkliche Aufbruchsstimmung 11
Brigitte Henschel Ein Blick in die Zukunft 36
Constanze Schönbrodt
Erinnerungen von G. Niederstucke, 12
und D. Becker – Niederstucke, Ernst Lange Straße – weshalb? 39
Cord Hasselblatt
„Brauchen wir ein Kreuz?“ 14
Erinnerungs – Bilderbogen I von Nachwort 40
Wolfgang Grünberg, Cord Hasselblatt

Reingeschnuppert: Werkstatt 18 Autorinnen und Autoren 42


und Wirklichkeit
K. Wiesinger wie ist es jetzt 43

Die Anfangsjahre 21
Gespräch mit Ruth Senftleben
zwischendurch Zitate Ernst Langes
Ein Blick zurück 23 aus der Einführungspredigt am 30. Mai
Heidi Simang, (Meuser) 1971

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Was Sie erwartet -
eine kurze Einführung

Auf den folgenden Seiten werden Sie in die 40 – jährige


Geschichte des Gemeindehauses Pillnitzer Weg 8 ge-
führt. Nach einer kurzen Chronik, die zur Gründung
der Gemeinde Heerstraße – Nord am 1. Januar 1969 und der Einweihung des Gemein-
dehauses am 30. Mai 1971 hinführt, folgen in ungefährer chronologischer Reihenfolge
Beiträge von den jeweils Beteiligten: Pfarrer, Mitarbeiterinnen, GKR – Mitglieder. Den
Anfang dieser historischen Erinnerungen macht mit Brigitte Henschel eine besondere
Zeitzeugin. Sie hat mehrere Jahre mit Ernst Lange in der Ladenkirche am Brunsbütteler
Damm zusammen gearbeitet und war in der Gemeinde Heerstraße – Nord bis zu ihrem
Ruhestand 1992 tätig. In ihren kurzen Zeilen ist bei aufmerksamen Lesen der Geist
Ernst Langes spürbar. Den Beschluss des historischen Bilderbogens bildet ein „visionä-
rer“ Beitrag von Constanze Schönbrodt, der Planungen beschreibt, die wir ab dem 2.
Halbjahr 2011 umsetzen möchten. Die Autorinnen und Autoren sind von dem Unter-
zeichnenden angefragt worden. Es war nicht die Absicht, eine umfassende Geschichte
des Hauses mit allen Einzelheiten zu bieten, es konnte in dieser Broschüre nur um eine
Auswahl gehen. Eine noch umfassendere Würdigung des besonderen Ansatzes der Ge-
meinde Heerstraße – Nord muss einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleiben.
Im Anschluss an die Zeitzeugen – Berichte sind noch ein kurzer Beitrag zur Würdi-
gung von Person und Werk Ernst Langes sowie einige Nachgedanken von Cord
Hasselblatt aus dem Blickwinkel der heutigen Evangelischen Kirchengemeinde zu
Staaken angefügt.

Ich danke allen Autorinnen und Autoren dieser Broschüre herzlich für ihre Beiträge.
Marion Götz hat das Layout dieses Heftes übernommen. Auch dafür herzlichen Dank!

Und nun wünsche ich Ihnen und Euch eine anregende Lektüre mit guten Erinnerungen
und anregenden Impulsen.

Cord Hasselblatt, Pfarrer der Gemeinde

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Der Weg zur Gemeinde
Heerstraße – Nord
Eine chronologische Skizze
Von Cord Hasselblatt

1. Februar 1960: Errichtung einer kreis- und führt wiederum ins Gespräch.
kirchlichen Pfarrstelle in Spandau „zur Er- Die „Bilanz 65“ beschreibt und bewertet
probung neuer Formen der Gemeindear- umfassend die Erfahrungen und bezeichnet
beit.“ Arbeitsbeginn der „Dienstgruppe“ am Ende den „Brunsbütteler Damm heute
am Brunsbütteler Damm 21. erst im Anfang seiner experimentellen Mög-
Pfingsten 1960: Einweihung der Laden- lichkeiten.“
kirche am Brunsbütteler Damm Nr.17. Die Bemühungen, eine zweite Pfarrstelle in
Ziel: Kommunikation des Evangeliums der Ladenkirche einzurichten, scheitern.
unter den gegenwärtigen Bedingungen Januar 1966: Die erste Akademietagung
des radikalen Funktionsverlustes der tra- über „Gemeindeaufbau in Neubaugebieten“
ditionellen Parochie. Februar 1966: Gründung des Berliner Ar-
Biblische Tradition und gegenwärtige Si- beitskreises „Gemeindeaufbau in Neubau-
tuation müssen „versprochen werden“, gebieten“ mit Arbeitsgruppen u.a. in
damit sich Christus als Herr auch jetzt Neukölln und Spandau
noch erweisen kann. Kirche muss sich Am 17. Februar 1966 schreibt Ernst Lan-
aktiv und intensiv die gegenwärtige Situa- ge einen ausführlichen Brief an die Kirchen-
tion der Bevölkerung erschließen. leitung, in dem er in sehr klarer Weise sei-
Die Kirche lebt in zwei Phasen, der ner Enttäuschung über den Umgang mit
ekklesia (Versammlung) und der Diaspo- dem Antrag der Ladenkirche Ausdruck ver-
ra-Phase, wobei die zweite wichtiger ist, leiht und dann gegen Ende einen Entwurf
weil sich in ihr der „Ernstfall des Glau- „für den größeren Zusammenhang“ er-
bens“ ereignet, wenn der einzelne Christ wähnt, der „in großer Eile“ für die Synode
den Anfechtungen des Alltags begegnet. erstellt worden ist. In diesem Entwurf, so
Dafür geschieht die Zurüstung im Gemein- Lange, ist unabdingbar (und das sind, so-
dekatechumenat, welches deshalb in ganz weit mir (C.H.) erkennbar, die Leitlinien auf
neuer Weise konstitutiv auf das Gespräch dem weiteren Weg gewesen):
zwischen Pfarrern und Laien angewiesen a)
ist. Erst in diesem Gespräch entwickelt Die Gesamtgemeinde muss dem Neu-
sich die heute angemessene theologische siedlungsraum entsprechen.
Kompetenz. So entsteht beispielsweise die b)
Predigt notwendigerweise im Gespräch Ausgangspunkt müssen „die verschie-

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denen Bedürfnishorizonte der Bevöl- deaufbau in Spandau“ (im November
kerung“ sein, deshalb ist zugleich lo- 1966) mit u.a.folgenden Etappen:
kal (parochial) als auch übergemeind-
lich (gesamtgemeindlich) zu reagieren. Am 26. April 1966 erbittet der Kreiskir-
(!) „Aber innerhalb der Gesamtgemein- chenrat (bis zum 15. Juli) Gemeindeberich-
de (Zentralkirche, Lehrhaus etc.)“ te zur Beantwortung folgender Fragen:
c)
Die Gesamtgemeinde muss „in ihrer 1.
´Strategie` frei und weithin souverän In welchen Punkten sehen Sie Ihre Ge-
sein..., souveräner als es derzeit die Pa- meinde durch die Umwelt und ihre Be-
rochien sind: (es muss klar sein), dass dürfnisse herausgefordert?
sie auch einer erheblichen finanziellen, 2.
personalen und baulichen Bewegungs- An welchen Stellen und in welchen For-
freiheit bedarf.“ men vollzieht sich in Ihrer Gemeinde
d) die theologische Orientierung und
„auch das Gesicht des Pfarramts und Schulung?
der Auftrag des Presbyteriums (müss- 3.
te) sich allmählich, aber nachdrücklich Wo sehen Sie Möglichkeiten und
wandeln“ Schwierigkeiten für die Zusammenar-
e) beit verschiedener Gemeinden?
Lange, Butenuth und andere Spandauer 4.
Pfarrer müssen „für die Vorbereitungs- Welche Arbeitsformen haben sich in Ih-
arbeit und die Einleitung der Übergän- rer Gemeinde eingespielt? Welche Ar-
ge beauftragt werden.“ beitsformen wollen Sie ausbauen und
welche wollen Sie auslaufen lassen?
Am 1. März 1966: Tagung des Gemein- 5.
deausschusses der Ladenkirche mit u.a. Was geschieht an Mitarbeit in Ihrer Ge-
Präses Kurt Scharf: Lange erklärt sich be- meinde?
reit, sich auf die freiwerdende Pfarrstelle a)
in Klosterfelde (Germersheimer Platz) zu durch hauptamtlich angestellte Mit-
bewerben. Perspektive ist: Neubildung ei- arbeiter
ner Gemeinde inklusive Ladenkirche mit b)
zwei Pfarrstellen (Lange, Butenuth). Die durch ehrenamtlich tätige Mitarbeiter
Arbeit vom Brunsbütteler Damm soll ge- mit zeitlich begrenzten Aufträgen
mäß der „Bilanz 65“ ausgeweitet werden. c)
„Ganzes Falkenhagener Feld“ und „ande- durch sonstige Mitarbeiter, wie z.B.:
re große Neubaugebiete Berlins“ sollen von Helfer, Bezirksfrauen, Gemeinde-
Langes bisherigen Erfahrungen profitieren. briefverteiler, Mitarbeiter in der
Danach beginnt die Vorbereitung der Span- Schaukastengestaltung und Werbung
dauer Kreissynode zum Thema „Gemein- und ähnliches.

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Wie kommen die verschiedenen Mit- sprächspartner der Arbeitsgruppe „zu ei-
arbeiterkreise zur Zusammenarbeit ner umfassenden Information über den
und zur Zurüstung? Planungsstand und die Zielvorstellungen
für die Wohnsiedlung Heerstraße – Nord
Im Juli/August 1966 findet in den Ge- zusammen“ kamen.
meinden Laurentius und Nathan –
Söderblom eine Interview – Befragung statt Am 18. November 1967 erstattet Klaus
und eine Listen – Befragung in diesen Ge- Feierabend der Kreissynode den ersten
meinden sowie Pichelsdorf und Staaken – Bericht dieser Arbeitsgruppe, die „zunächst
Dorf. alle Kraft an die Planung der kirchlichen
Es sollen empirisch die Bedürfnisse der Arbeit in dem nördlich der Heerstraße pro-
Bevölkerung, ihre Einstellung zur Kirche jektierten neuen Siedlungsgebiet“ setzte.
und ihre Problemlagen im Hinblick auf die Der Großraumsiedlung sollte die Groß-
bevorstehende Entstehung der Siedlung raumgemeinde entsprechen. „Initiativgrup-
Heerstraße – Nord erkundet werden. pe der Großraumgemeinde ist das Grup-
penamt, dem alle hauptamtlichen Mitarbei-
Klausurtagung 12.10. 1966 zur Vorberei- ter der Kirche angehören.“ Zunächst muss-
tung der Kreissynode: Lange stellt die The- te das Gebiet in Absprachen mit Laurentius
sen seines Referates vor: „Von der Anpas- und Staaken - Dorf geographisch umris-
sung der Kirche – Versuchung und Aufga- sen werden und dann ein Bauprogramm
be“, in welchem er für die Kirche die Not- in enger Absprache mit allen Beteiligten
wendigkeit der Einpassung in eine spezi- entwickelt werden. „Geplant ist die Errich-
fische Auftragssituation entwickelt auf dem tung eines diakonischen Zentrums im Wes-
Hintergrund der Entstehung der Barmer ten (als Haus für offene Kinder – und Ju-
Theologischen Erklärung. gend – und Altenarbeit, mit sozialer Bera-
Akademietagung 25. – 27. Oktober tungsstelle, befristeter Wohnmöglichkeit für
1966, auf der Lange eben dieses Referat verschiedene Personengruppen etc.), einer
hält und im Anschluss weitere Überlegun- Kirche am Markt mit ´Lehrhaus` (für Kon-
gen für die Arbeit in Heerstraße – Nord firmandenunterricht , Erwachsenenkate-
statt finden. chumenat, Mitarbeiterschulung etc.) und
eines Altenwohnheims mit Mitarbeiterwoh-
Spandauer Kreissynode am 11./12. No- nungen im Osten.“ Mitglieder der Arbeits-
vember 1966 mit dem Schwerpunktthe- gruppe waren u.a. Pfr. Feierabend, P. Nie-
ma „Gemeindeaufbau in Spandau“. Haupt- derstucke, Vikar Grünberg, Pfr. Kraft, Pfn
referate durch Martin Backhaus und Ernst Treichel und der Architekt Heinz Hoff-
Lange. Es wird eine kreiskirchliche Arbeits- mann.
gruppe gebildet, die sich dieses Themas
annimmt. Am 1. Januar 1968 wird Pastor Nieder-
stucke die kommissarische Verwaltung der
Akademietagung Juli 1967: „Sozialarbeit 3. Pfarrstelle von Paul – Gerhard übertra-
und Gemeindeaufbau“, auf der alle Ge- gen.
9
Am 1. Mai 1968 wird Pfarrer Niederstu- den im Loschwitzer Weg 15 angemietet.
cke die 2. Pfarrstelle der Dorfkirchenge- Am 30. Mai 1971 wird das Gemeinde-
meinde Staaken übertragen. Am 18. Juli haus Pillnitzer Weg 8 mit einem Gottes-
Brief vom Konsistorium: „Niederstucke dienst durch Bischof Kurt Scharf einge-
steht voll für den Gemeindeaufbau im Be- weiht, bei dem Ernst Lange die Predigt hält.
reich der Neubausiedlung Heerstraße –
Nord zur Verfügung.“ Quellen: Kreiskirchliches Archiv Spandau,
Am 17. Oktober 1968 legt Klaus Feiera- Gemeindearchiv der Evangelischen. Kir-
bend den zweiten Bericht der Arbeitsgrup- chengemeinde zu Staaken, „Bilanz 65“, in:
pe „Gemeindeaufbau in Spandau“ vor. Für Ernst Lange: Kirche für die Welt, Mün-
„ein erstes Gemeindezentrum im Westteil chen 1981, Hrsg. Rüdiger Schloz.
der Siedlung“ liegen baureife Entwürfe vor,
für das „Zentrum der Siedlung“ liegen ers-
te Entwürfe für ein Raumprogramm vor.
Es gibt eine Rahmenkonzeption für Inhalt
und Form der Gemeindearbeit, die in ei-
nem „Memorandum“ dem Kreiskirchen-
rat vorgelegt wurde.
Unter Punkt d) des Berichtes heißt es: „
Ein wesentlicher Punkt der im Memoran-
ptpro-
dum vorgelegten Konzeption für die Ar-
s H au ch,
beit in der Siedlung ist das ´Gruppenamt`. a i
Hierzu hat die Arbeitsgruppe Detailvorstel- „...d glaube r
, e
lungen entwickelt und beim Kreiskirchen-
blem nur in d ist:
rat die Einrichtung zweier Stellen neben t
der eines ersten Theologen zum 1.1.1969 nich tr. Nord el
rs i
beantragt.“
Hee önnen v n
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Wir ller bau
Am 1. Januar 1969 wird die Gemeinde
Heerstraße – Nord gebildet und Pfr.
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Gerhard Niederstucke wird ihr erster Pfar- schn nken.“
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als d
rer. Brigitte Henschel und Helga Wegner
(Galejski) sind die weiteren Mitarbeiter-
innen.
Am 1. November 1969 wird Pastor
Grünberg „mit der Wahrnehmung
pfarramtlichen Dienstes im Kirchenkreis
Spandau“ beauftragt.
Am 1. März 1970 erst (!!) wird der La-
10
Aufbruchsstimmung
Das war eine wirkliche Aufbruchsstim-
mung. Damals in den Jahren 1968, 1969
nicht nur in Heerstraße – Nord, sondern
in der ganzen Gesellschaft. In Heerstra-
ße – Nord fand sie ihren Höhepunkt in
der Einweihung des Gemeindezentrums.
Pfingsten 1971. Damals wurden an vielen
Orten neue Impulse gesetzt und es war
eine begeisterte Veränderung der Gesell-
schaft – eine vom Heiligen Geist verur-
sachte Veränderung.

Graphik: Wilhelm Busch


„Einszweidrei, im Sauseschritt
Läuft die Zeit; wir laufen mit.-“
Viele von damals sind nicht mehr unter den
auf der Erde Lebenden. Auch Ernst Lan-
ge nicht, aber der lebendige Geist, der ihm
gegeben war, lebt noch heute weiter an
vielen Orten, in vielen Menschen mit un-
terschiedlichen Begabungen und Fähigkei-
ten mit der großen Hoffnung im Herzen
und dem Mut der Begeisterung beizutra-
gen zum gemeinsamen Ziel, Frieden durch
Gerechtigkeit auf Erden. (Siehe Matthäus
5,6)

So ich auch,

Brigitte Henschel

11
Erinnerungen gebeten, Sie in das Amt einzuführen.“
Der Ladenraum ist dann in der ersten Zeit
an den Beginn... eine kleine „Ladenkirche“– ähnlich wie
die einst von Ernst Lange am Brunsbütteler
von Gerhard Niederstucke Damm– gewesen. Denn neben meiner Prä-
senz und der halbtägigen Büroarbeit einer
„Küsterin“ haben wir dort die ersten Got-
tesdienste gehalten. Schon bald aber war
das Gemeindehaus am Pillnitzer Weg ge-
Es begann mit einer Tagung 1966 in der
Evangelischen Akademie am Kleinen
Wannsee in Zehlendorf. Ich war nach Be-
endigung des Prediger – Semi-
nars nicht in eine Gemeinde,
sondern in die Akademie zur
Organisierung von Tagungen ab-
geordnet. Eine der Tagungen
hatte das Thema „Kirche in
neuen Siedlungsgebieten.“ Einer
der Referenten war Ernst Lan-
ge. Er hatte im Bereich der Ge-
meinden Klosterfelde/St. Nikolai
in Spandau die Ladenkirche am
Brunsbütteler Damm begonnen.
Die Absicht dabei war, die
Schwelle vieler Menschen zum Kirchen-
besuch zu senken. Der Superintendent des
Kirchenkreises Spandau, Günther Brandt,
dem die große Siedlung Heerstraße – Nord
um den neuen „Pillnitzer Weg“ bevorstand,
...von
wollte von allem Anfang an die Kirchen-
präsenz haben. In dem aller ersten Wohn-
Heerstraße - Nord
block – Bau parallel zur Heerstraße hat er von Dorothee Becker – Niederstucke
einen der eingebauten kleineren Laden-
räume gemietet. Am 15. Januar 1969 hat
mir der Superintendent folgende Urkunde
des Konsistoriums ausgehändigt: „Wir ha- baut, da war dann Platz für sonntägliche
ben Sie zum Inhaber der Pfarrstelle der Gottesdienste, Konfirmandenunterricht
Kirchengemeinde Heerstraße – Nord be- und Gemeindegruppen – Aktivitäten.
rufen und den Superintendenten Brandt Ich war 1972 als Dorothee Becker mit

12
Ehemann und zwei kleinen Töchtern aus dorthin, es war wunderschön.
Stade kommend im 8. Stockwerk des Monate später fragte man mich im
Hochhauses Cosmarweg 39 eingezogen. Gemeindebüro, ob ich eine krank
Sehr schnell hatten wir den Weg zur „Kir- gewordenen Sekretärin kurzfristig vertre-
che“ im Pillnitzer Weg 8 gefunden. Dass ten könne, was ich gerne tat. Dort musste
es da kein Glockenläuten und keine „an- ich Predigten von Pfarrer Niederstucke
ständige Orgel“ gab, sondern nur ein Har- abschreiben und Predigt – Ideen von Pfar-
monium, auf dem Herr Boulos im Gottes- rer Grünberg aufschreiben.
dienst schön spielte, habe ich hingenom- Meine Familie ist dann innerhalb Berlins
men. Bei der Musik habe ich dann bald ab umgezogen. Und 1978 auf einer Friedens
und zu mitgemacht auf Blockflöte oder – Demo, die mit vielen Menschen an der
Querflöte auch mit einigen anderen Blä- Siegessäule endete, fragte plötzlich jemwnd
sern zusammen. Herr Boulos war unser neben mir: „Wo kommen Sie denn her, ich
netter Nachbar. Bald wurde unsere ältes- hörte, Sie sind in Scheidung. Da müssen
te Tochter Gela konfirmiert im Gottes- wir mal eine Tasse Kaffee zusammen trin-
dienst mit Pfarrer Grünberg und Pfarrer ken.“ Das taten wir auch später.
Niederstucke. Dass ich im Juni 1985 mit Gerhard Nieder-
Dann waren wir auf dem Gemeindefest, stucke in der Steglitzer Markus – Kirche
wo getafelt und getanzt wurde und wo ich als Dorothee Becker – Niederstucke ge-
für 50 Pfennige ein Los zog und – man traut werden würde, war damals nicht vo-
glaubt es kaum – eine einwöchige Reise rauszusehen. Unser Lebensglück dauert bis
nach Teneriffa gewann. Ich flog alleine heute.

, vie l z u vie l A rbeit, viel zu


ld
„Viel zuviel Ge rfn iss e u nd Gewinne
,B e d ü
viele Interessen o sin d wir ständig in
U n d a ls
sind im Spiel. e e ig en e Z ukunft zu
u n se r
der Gefahr, uns
verbauen.“

13
„Brauchen wir ein
Kreuz?“
Aus dem Bilderbogen der Erinnerung (mit einem familiä-
ren Nachwort) von Wolfgang Grünberg, Hamburg

Seit dem 1. März 1970 „feierten“ wir im kein Muff mehr unter den Talaren. Sie
angemieteten Laden Loschwitzer Weg 15 fehlten in den Gottesdiensten am eckigen
dort Sonntags Gottesdienst wo unter der Tisch. Unsere Gottesdienste waren ei-
Woche Büro und Treffpunkt war. gentlich eher Bibelstunden oder, feiner aus-
Sonntags waren wir im ersten Jahr meist gedrückt, Gesprächsgottesdienste.
weniger als 10 Personen. Wir saßen um Derweil wuchs das Gemeindehaus
einen rechteckigen Tisch, m. Erinnerung Pillnitzer Weg heran. Alles wurde immer
nach eigentlich eine Tischtennisplatte. diskutiert. Schlussendlich ging es um die
Eine Serviette und darauf eine dicke Ker- Farben. Grün beruhigt, sagt der Eine. Die
ze in der Mitte. Wie wir es mit den Ge- andere: Weiß ist am Neutralsten. Und eine
sangbüchern hielten, weiß ich nicht mehr. Dritte schwärmt für Orange, damals eine
„Wir“ das waren immer mindestens eini- Modefarbe, die für Dynamik stand. So
ge Mitarbeiter des Gruppenamtes, oder, wurde einiges Grün (der große Saal), eini-
wie wir sagten, vom Team. Im Keller un- ges Weiß (der kleine Saal), einiges Oran-
ter dem Laden hatten sich schon schnell ge (im Anbau).Es war klar, dass der abteil-
Jugendliche eingenistet und versorgten die bare große Saal für den normalen Gottes-
Umgebung dann und wann mit Under- dienst zu groß war. Wir hofften gleichwohl,
ground- Musik. Da waren auch schon mal dass die Teilnehmerzahl der Gottesdiens-
Orgelklänge zu hören. Eine ältere Frau, te - im Laden, am Ende zwischen 10 und
hörte diese und fragte, ob es hier vielleicht 20 Personen – sich im neuen Gemeinde-
Gottesdienst gäbe. Gab es. Aber ohne haus steigern würde, was auch geschah.
Orgel, auch ohne Gitarre aber immer mit
Zetteln und Bibeln. Schließlich sollte das Der große Saal war ja bewusst als gro-
Team, so war es kirchenamtlich beschlos- ßer, lichtdurchfluteter Raum für ganz un-
sen, neue Formen kirchlicher Arbeit aus- terschiedliche Nutzungen konzipiert. Gym-
probieren, also auch neue Gottesdienstfor- nastik mit der Kindergruppe sollte dort
men. Wir vom Team waren politisch sehr ebenso stattfinden können, wie die Tref-
interessiert und offen für Neues. Also fen des schnell anwachsenden Senioren-
14
clubs, sowie Gottesdienste, aber auch mal staltet wurde, stehen mir genau vor Au-
ein Tischtennisturnier. gen. Das aufrechte Kantholz war, damit
das Kreuz frei im Raum stehen konnte, in
Einen eigenen festen Altar gab es nicht einem „Fuß“, also in einem etwas breite-
und er war auch nicht geplant. Die Idee ren Balken verankert, so dass es nicht kip-
des runden Tischs aus der Ladenkirche am pen konnte. Wo mag dies Kreuz geblie-
Brunsbüttelerdamm, um den herum sich ben sein? Es hat uns jahrelang – bis zur
die Gemeinde setzen konnte , stand auch Fertigstellung des Kirchraums im Gemein-
bei uns Pate. wesenzentrum an der Obstallee begleitet.
Im großen Saal wurden zum Gottesdienst Wie oft habe ich später darüber nachge-
die Stühle meist in einem Oval einander dacht: Darf man ein Kreuz, dieses zentra-
gegenübergestellt, damit sich Alle gut se- le, und innerste Symbol unseres Glaubens,
hen konnten. Niemand sollte isoliert und je nach Veranstaltungsart entweder hin-
allein sitzen. Dazwischen, in der Mittel- ein – oder nach Ende des Gottesdienstes
achse, standen dann meist zwei oder drei auch wieder heraus tragen? Wie oft spür-
kleine niedrige viereckige Tische auf de- ten wir beim Heraustragen die physische
nen Zettel, Kerzen, Blumen und auch mal Schwere! Heute bin ich überzeugt: Eine
die Abendmahlsgeräte – zu Anfang eine Veranstaltung, die das Kreuz als Symbol
einfache gläserne Kanne und ein Pokal - nicht erträgt, eine solche Veranstaltung hat
stehen könnten. Das, so hofften wir, wür- eigentlich in einem Gemeindehaus nichts
de zu einem guten dialogischen zu suchen. Aber das sage ich heute, alt
Miteinander im Gottesdienst beitragen. und wieder Anhänger fester Formen, weil
Aber ein Kreuz? Wo sollte das überhaupt sie mehr tragen als allsonntäglich neu auf
hin? Ist es wirklich nötig? Schließlich siegte Zettel mitgeteilte liturgische Veränderun-
ein gewisser Pragmatismus: Ein Kreuz ge- gen. Obwohl also in solchen Fragen
hört schon „irgendwie“ dazu und sollte wieder konservativer geworden, freue ich
auch von Außen durch die Fenster sicht- mich bis heute an den vielen frischen Ideen
bar sein, gewissermaßen auch als Wer- für Gottesdienste und Gemeindeaufbau,
bung. die das damalige Team damals ausbrüte-
Für Kunst war kein Geld da. Schließlich te. So probierten wir damals unterschied-
hielten wir uns an die Zimmerleute. Die liche Gottesdienstzeiten (10 bzw. 20 Uhr)
haben uns ein schlichtes Holzkreuz gezim- aus, aber auch drei verschiedene Got-
mert. „Wie soll es denn aussehen?“ „So tesdiensttypen:
groß wie das, das Jesus, auf dem Weg
zur Kreuzigung getragen hat. aber nicht A) Im Lehrgottesdienst
so schwer, dass man es nicht mehr be-
wegen und auch aus dem Raum hin- ging es um unterschiedliche thematische
austragen kann.“ Ich weiß die Maße Schwerpunkte. Theologische, politische,
nicht mehr genau, aber die hellen, hobel- ethische, persönliche oder in der Luft lie-
glatten Vierkanthölzer, aus denen es ge- gende Themen wurden aufgegriffen und
15
meist im Dialog von Theologen und Nicht- tennisgruppe oder Seniorenklub, ob Ju-
theologen erörtert. Entsprechend gab es gendgruppe oder Tanzgruppe: wir ver-
im Lehrgottesdienst meist eine oder zwei suchten - einmal im Jahr - mit einer die-
Kurzpredigten, oder pointierte Plädoyers ser Gruppen einen Gottesdienst zu planen
, manchmal auch politische Streitgesprä- und zu gestalten. Das Gemeindehaus soll-
che Und immer wurde dann zur Diskus- te nicht nur kostenfreier Raumgeber sein,
sion eingeladen! sondern alle Aktivitäten sollten – jedenfalls
einmal im Jahr ihren Bezug zur inneren
B) Der Festgottesdienst Mitte der Gemeinde, eben dem Gottes-
dienst selbst erleben und aktiv gestalten.
war am meisten an die kirchliche Traditi- herstellen. Diese Form stand freilich
on angebunden. Natürlich feierten auch schnell im Verdacht, dass die Theologen
wir die Feste des Kirchenjahres mit. Im „missionieren“ wollten. Dieser Typ hielt
Festgottesdienst sollten sich möglichst viele sich also nicht lange. Und doch: Der Elan
aktiv beteiligen, auch Kinder und Jugend- war da und wir hatten auch keine Angst
liche. Aber wie gelingt ein Mitmachgot- vor Fehlern.
tesdienst? Das wussten wir auch nicht so
genau. Klarer war, was wir nicht mehr
wollten: Weg von der autoritären Kan- Ein persönliches Wort zum Schluß:
zelrede! Hin zur Gemeinschaft unter
einander durch das Wort Gottes – das Wir waren jung und hatten den Kopf vol-
war die Devise. Besonders populär und ler Theorien und Ideen. Wir hatten Lust
gelungen waren z. B. die Erntedankfest und Energie, Neues auszuprobieren. Wir
Gottesdienste, da wir mit Konfirmanden waren Zukunftstrunken: Wir werden die
in die nahe gelegenen Schrebergärten gin- Kirche erneuern!
gen und um Gaben baten. Wir luden dann Aber der eigentliche Gemeindeaufbau
zugleich zu diesem Gottesdienst besonders begann erst, als wir die Menschen, die in
ein. Das Abholen der Gaben aus den die Großsiedlung einzogen, als Experten
ihrer Situation würdigten, sie auch als
Schrebergärten - später ihre Verteilung -
unsere Lehrer wahr nahmen! Viele Zu-
das war immer besonders schön.
zügler kamen aus innerstädtischen Sanie-
rungsgebieten. Sie suchten das, was sie
C)Der Arbeitsgottesdienst anderswo verloren hatten: Nachbarn, de-
nen man vertrauen konnte, Orte für ihre
war die anspruchsvollste und am wenigs- Kinder, Ältere und Alleinstehende such-
ten Kontakte. Viele erwarteten eine Kir-
ten akzeptierte Gottesdienstform, die uns
che mit offenen Türen und Mitarbeitende
vorschwebte. Dabei überzeugt mich der
Grundgedanke bis heute. Sehr schnell mit offenen Ohren. Erst als wir das Ernst
hatten sich im Gemeindehaus unterschied- nahmen, wurden wir zur evangelischen
lichste Gruppen gebildet. Ob Nun Tisch- Gemeinde Heerstr.- Nord.

16
Viele, denen ich in Heerstr. Nord begeg- Wir danken vielen unvergesslichen Men-
nete, wurden für mich zu Lehrerinnen und schen. Stellvertretend sei hier Ruth
Lehrern! Später habe ich an der Univer- Senftleben genannt, die jetzt in dem Haus
sität viel von ihnen erzählt – und dann spitz- lebt, dessen Jubiläum nun gefeiert wird. Ihr
ten die Studierenden sofort ihre Ohren. leider im Jahr 2002 verstorbener Mann
Die Wahrheit gelebter Praxis ist die Mut- Klaus Senftleben hat dann dafür gesorgt,
ter jeder Theorie. dass für die Kapelle im Gemeinwesenzen-
Es bleibt dabei: trum ein schöner Altartisch extra ange-
eine Evangelische Gemeinde lebt fertigt wurde – und zwar von jungen Men-
vom achtsamen Hören aufeinander schen im Knast!
und zugleich dabei vom Hören und
Achten auf das, was Gott uns gerade Dieser Ort bleibt ein unvergesslicher Eck-
auch durch diese Menschen sagen pfeiler unseres eigenen Lebensweges.
will. Denn wir sind alle einander le- Wir gratulieren zum 40. Jubiläum dieses
bendige Briefe Gottes. Lebens-Zentrums und wünschen Gottes
Segen für alle, die heute hier ein und aus-
Wir, meine Frau Heidi, unsere Kinder gehen.
Ulrike und Beate, wir haben im Pillnitzer
Weg als Familie gelebt und erfahren, wie Wolfgang Grünberg,
viel warmherzige und hilfsbereite Nach- Hamburg im März 2011
barschaft es in der Aufbruchsituation ei-
nes neuen Stadtteils gab. Das „Priester-
tum der Getauften“ konnten wir hier er-
fahren.

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Jahr 20
17
Reingeschuppert:
Werkstatt und Wirk-
lichkeit
Klaus Wiesinger
Vor einigen oder weniger gelungenes Stück Gemein-
Jahren wesen..
sprach Um das Gemeindehaus herum standen die
mich an- Rohbauten am Pillnitzer Weg und
lässlich ei- Cosmarweg. Fertig und bezogen war nur
ner Beerdi- der Block Loschwitzer Weg/Heerstrasse.
gung leider Ich sollte mich um die sich nun im Keller-
erst am Grab einer der Söhne der Verstor- geschoss des neuen Hauses treffenden
benen an: „Ich kenne Sie. Wir waren Jugendlichen, z.B. den eingangs erwähn-
damals die ersten Konfirmanden bei Grün- ten, kümmern. Die wollten vor allem sich
berg und Niederstucke. Sie waren da noch treffen und Musik hören aus satten Ver-
nicht Pfarrer. Wir waren auch zusammen stärkern. Das gab in dem großen Beton-
verreist. Ch … wurde ich früher immer raum da unten einen Höllenlärm, der auch
genannt“. Da wusste ich gleich Bescheid, aus den Kellerfenstern drang und natür-
und wie früher sprudelte er schon weiter: lich zu Beschwerden der Neuzugezogenen
„Meine Mutter war in der Anfangszeit der führte. Die Jugendlichen hatten die an und
Gemeinde ziemlich aktiv. Eigentlich war sie für sich nicht falsche Idee, alles mit Eier-
sehr skeptisch gegenüber Kirche und so. paletten auszukleiden. Einer kannte einen
Aber die ganz andere Art in Heerstraße- Eierhändler in Reinickendorf, und es wur-
Nord hatte es ihr sehr angetan“. den Hunderte (Tausende?) von Paletten
angeschafft. Aber wie Pappe am Beton
Er hatte recht. Ich war 1971 ein halbes befestigen? Da war die Weisheit der auf
Jahr lang Vikar in der neuen Gemeinde. Musik scharfen Jugendlichen – die des
Anfangs noch im Laden am Loschwitzer theorielastigen Vikars sowieso – schon am
Weg, dann habe ich zu Pfingsten die Ein- Ende. Irgendwie wurden schließlich ein
weihungsfeier des Gemeindehauses paar Fensterschächte ausgekleidet. Mich
Pillnitzer Weg miterlebt mit der Predigt von selbst erlöste das Ende der kurzen Zeit in
Ernst Lange und auch seinen Schreck Heerstrasse-Nord von dieser Anforde-
angesichts der Dimension des Hauses so- rung, und etwas unrühmlich habe ich das
wie später die Konfirmation des ersten Problem und die Entsorgung der vielen
Jahrgangs, bei der es ein gemeinsames Eierpappen meinem Nachfolger hinterlas-
Mittagessen für alle Festgäste der Konfir- sen.
mierten im großen Saal gab – ein mehr Im Keller entfalteten einige Jugendliche
18
rege Aktivitäten. Öfter haben wir dann die die menschlich-allzumenschliche Wirklich-
großen Quader aus Isolierplatten auf die keit samt den sozialen Realitäten. In solch
Baustellen zurückgetragen, die eigentlich einer Spannung müsste eigentlich jede
für die Verkleidung der entstehenden Neu- Gemeinde stehen, weil ja die biblische
bauten und nicht zum Abzweigen und Botschaft diese Spannung allen Christen
Horten im Jugendkeller gedacht waren. auferlegt. In Heerstrasse Nord wurde die-
Auch musste ich kistenweise Zigaretten- se Spannung deutlicher begriffen und an-
packungen an einen Automatenbetreiber gegangen; die Realitäten wiederum zeig-
zurückgeben, die einige Jugendliche mit ten und veränderten sich hier
zurechtgebogenen Topierkämmen in fehl- unvorhersehbar härter als anderswo und
geleiteter Geschicklichkeit aus deren Be- trafen die Gemeinde auf herbe Weise.
hältern entleert hatten. Auf deren Bitte,
darüber den Jugendlichen doch mehr tech- Hier die Theorien für die neue, konzeptio-
nische Einzelheiten zu entlocken und der nell viel bedachte, experimentierfreudige
Firma preiszugeben, bin ich aber nicht ein- Gemeinde, die nach mehrjährigem
gegangen. Planungsvorlauf im Kirchenkreis Spandau
1969 gegründet wurde in dem städtisch
Ich habe in der insgesamt kurzen Zeit auch, vom Reißbrett aus an den Stadtrand ge-
wie bei der oben genannten Bestattung setzten Neubauviertel. Alles, wirklich al-
angesprochen, an der ersten les wurde besprochen und auch wirklich
Konfirmandenreise teilgenommen. Sie alles protokolliert, wahrhaft eine Werkstatt
führte nach Sievershausen in ein später in für Kirchenreform vor Ort. Die Bemühun-
friedensbewegten Jahren bekanntes Ge- gen zur Herstellung einer Öffentlichkeit
meindehaus. Die Jungen bewegten aber im Neubauviertel, z. B. mit aktivierender
nicht den Frieden, sondern auch hier Befragung, Siedlungsfesten und im Inne-
wieder die Topierkämme in einem gleich ren jenseits der gewohnten Kirche mit
entdeckten Zigarettenautomat. Nachts gab neuen Menschen und neuen Gottesdiens-
es die allen Begleitern von Konferfahrten te (so die oben erwähnte Verstorbene).
sattsam bekannten Versuche der Jungen, Bald aber folgte der Einzug alltäglicher
die Mädchenzimmer heimzusuchen, was sozialer Wirklichkeit und auch volks-
deren Bewohnerinnen nicht so gefiel. Ich kirchlicher Realitäten in dieser Gemeinde,
wurde zum Schutz dorthin abgestellt und in der theoretisch so vieles gut geplant war
konnte als Mädchenversteher etwas An- und alles neu und ganz anders sein sollte
erkennung finden. und da drauf unvorhersehbar die allmähli-
che substantielle Veränderung unter den
Diese Geschichtchen erzähle ich, weil sie Bewohnern mit dem Wegzug vieler, die
zeigen, wie schon in der Zeit des neuen dazu in der Lage waren und dem Zuzug
Gemeindezentrums in bezeichnender Wei- vieler, die zu wenigem in der Lage sind.
se zweierlei zusammentraf, nämlich die
konzeptionell beabsichtigten Schritte und Es war ja nicht nur die allmähliche und
19
eigentlich begrüßenswerte wachsende handeln wollen, sich wechselseitig aner-
Wohnzufriedenheit und nicht nur die zu- kennen, kurz: das Gemeisame gemeinsam
nehmende Privatisierung des Lebensstils gestalten.
z.B. durch Medienvielfalt und Verkabe- Und dazu gehört nun mal eine gewisse
lung, die einen Verlust an Aufbruch- Sprachfähigkeit, ein Blick für Gemeinsa-
stimmung bewirkten. Es war die folgende mes, und eine Kraft und ein Wille, dafür
starke soziale Veränderung, die das Ziel aus dem Gehäuse des Privaten oder der
einer Öffentlichkeit im Neubauviertel eigenen Sorgen herauszutreten.
wieder in weite Ferne rückten. Mit der Das alles ist nach den mustergültigen und
Orientierung an Öffentlichkeit war in Ge- zu Recht namhaft gewordenen Anfängen
meinde wie im Gemeinwesen dies gemeint: um die Zeit der Eröffnung des neuen Hau-
Zusammen kommen wollen und können, ses Pillnitzer Weg 8 immer schwerer ge-
sich bereden, gemeinsam bedenken und worden.

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20
Die Anfangsjahre im Pillnitzer Weg 8
Gespräch mit Ruth Senftleben

„Sie sind die Frau für unseren Gemeinde- partner bei den Planungen für den
kirchenrat!“, so sprachen im Sommer 1970 Gemeindestandort an der Obstallee. Die
die Pfarrer Wolfgang Grünberg und meisten Verhandlungen führten damals die
Gerhard Niederstucke Frau Senftleben bei Pfarrer.
einer Begegnung auf dem Parkplatz Im Pillnitzer Weg 8 wurden für die ver-
Loschwitzer Weg an und so kam sie zur schiedenen Arbeitsbereiche Arbeitskreise
Gemeinde, die damals noch im Laden am bzw.-gruppen gebildet, die ihre Arbeit, und
Loschwitzer Weg 15 beheimatet war. Frau das war das Charakteristikum, im Grunde
Helga Wegner (Galejski) war schon autonom, nach dem in ihnen versammel-
damals als Gemeindesekretärin da. Die ten Wissen gestalteten, ohne das
erste Einstellung, an der Frau Senftleben Gemeindekirchenrat oder Pfarrer da hin-
mitwirkte, war die von Ute Kraatz, (die eingeredet hätten. Für alle Beteiligten
dann über Jahrzehnte im Gemeindebüro waren es Neuanfänge. Viele der Sozialar-
der Gemeinde wirkte, erst im Pillnitzer Weg beiter kamen direkt von der Ausbildung und
8, dann in der Obstallee 22E und auch die waren höchst interessiert daran, ihre Er-
ersten Jahre der fusionierten Kirchenge- kenntnisse umzusetzen. Nicht immer war
meinde zu Staaken mitgestaltet hat.) das mit den Gegebenheiten vereinbar.
Als das Ehepaar Senftleben 1969 in den Frau Senftleben war für die Seniorenarbeit
Loschwitzer Weg 19 zog, war am Pillnitzer zuständig, die Herr Dyzek begonnen hat-
Weg noch freies Feld mit wunderschönen te, indem er Rundschreiben versandte und
Kornblumen. Für die Siedlung war anfangs zu einem ersten Treffen einlud, welches
ein eigenes Kraftwerk und auch eine Feu- am 2. April 1971 im neuen Haus stattfand.
erwache geplant. Unter anderem aus Die Arbeit im Seniorenclub war auch we-
Lärmschutzgründen wurde diese Planung sentlich eine „Kontaktbörse“, denn alle
aufgegeben. („Im Bereich Pillnitzer Weg BewohnerInnen waren ja in eine ihnen
waren wir von Beginn an die neue Zeit neue Situation gekommen, in der kaum
mit Elektroheizungen...“) jemand einen anderen kannte und es auch
Das Gemeindehaus wurde auf Boden der keine anderen Treffpunkte gab wie Knei-
BEGOWE errichtet und deshalb hatte die- pen o.ä. Deshalb gab es im Club eine Liste
se Wohnungsbaugesellschaft starke Mit- und jedes Mitglied hatte einen „Partner“
spracherechte z.B. bei der Farbwahl. zum Austausch.
Schon im Laden am Loschwitzer Weg war Die Arbeitskreise konzentrierten sich
der Architekt Heinz Hoffmann Gesprächs- jeweils auf ihren Bereich, deshalb war das

21
Erleben eines Gesamteindruckes schwie- derten war nicht einfach. So waren in der
rig. Lediglich die Dienstbesprechungen ga- Siedlung anfangs die Bordsteine nicht ab-
ben die Möglichkeit eines kollegialen Aus- geflacht und auch die Rampen am Gemein-
tausches. An ihnen nahmen auch die Eh- dehaus waren zunächst zu kurz und steil
renamtlichen teil. Allerdings gab es für sie angelegt, so dass sie später nachgebessert
damals keinerlei Aufwandsentschädigungen werden mussten. Herr Ladner leitete spä-
oder einen Zeitausgleich für beispielsweise ter (ab 1978) die Holzwerkstatt im
Seniorenfahrten. Fördererverein und hat in der Siedlung viele
Zu Beginn machten Frau Henschel, Frau Wohnungen für Behinderte rollstuhlgerecht
Fricke und Frau Hübner die Kinderarbeit. angepasst, besonders die Übergänge zu den
Die Sitzungen des Gemeindekirchenrats Balkonen. Das war aber schon viel später
fanden in den Büros im 1. Stock statt. Frau und ein weiterer Schritt auf dem Weg, der
Müller, die Frau von Pastor Horst Müller für Frau Senftleben im Sommer 1970 auf
führte ganz am Anfang die Aufsicht im dem Parkplatz begonnen hatte.
Jugendkeller.
Die Einstellung auf die Arbeit mit Behin- (Zusammenstellung Cord Hasselblatt)

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22
Ade, verstaubte Tradition
von Heidi Simang

Als ich gebeten wurde, meine Erinnerun- Darüberhinaus lockte Interessierte ein viel-
gen an die Anfänge dieser Kirchengemein- fältiges Betätigungsfeld. Junge Gemeinde,
de aufzuschreiben, überkam mich ein fast eine kleine Band, Kinder- und Hobbygrup-
mulmiges Gefühl. Das alles liegt so weit pen entstanden und mir ist im Nachhinein
zurück und der Mensch verändert sich in so, als hätten sich nie wieder so viele
40 Jahren. Ich versuche mich zu entsin- Menschen im Gemeindehaus getummelt
nen , ohne ins Detail zu gehen oder die wie zu jener Zeit.
Visionen von Pfarrer Ernst Lange zu be- Ein Chor existierte noch nicht. Immerhin
schreiben. gab es mit Herrn Boulos einen treuen
In den siebziger Jahren hatte unsere Neu- „Organisten“, der allerdings auf einem Har-
bausiedlung einen anderen Charakter als monium spielte.
heute. Junge Familien zogen ein, viele Kin- Trotzdem wurden Konzepte, deren Um-
der wurden geboren, die üblicherweise setzung schwierig war, wieder und wieder
draußen spielten. Computer waren unbe- überarbeitet. In unzähligen Mitarbeiter-
kannt. Eine Schule entstand, eine Kirche gruppen rauchten die Köpfe, und ich
musste her, aber eine mit frischen Ideen fürchte, dass sich nicht jeder so gerne an
und Möglichkeiten. Rundum herrschte Auf- diese Zeit erinnert. Selbstverständlich dis-
bruchsstimmung. kutierten wir Friedens- und Abrüstungs-
1971 nahm ich am Eröffnungsgottesdienst fragen, allerdings verstärkt in den achtzi-
im Pillnitzer Weg teil und wurde 1974 in ger Jahren.
den GKR gewählt, dem ich dann 12 Jahre Eher unbeachtet formierte sich eine Fuß-
angehörte. ballmannschaft, die in der Berliner Kir-
Mir gefielen die Aufgeschlossenheit, das chenliga Erfolge feierte. Mein damaliger
moderne Denken der Theologen. Ade, ver- Ehemann, Helmut Meuser, trainierte die-
staubte Tradition! Diese Einstellung stimm- se. Ich verwahre noch immer einen präch-
te mit dem damaligen Zeitgeist überein tigen Pokal, den die JG.-Heerstraße-Nord
(Protestbewegungen, antiautoritäre Erzie- als Auszeichnung für die fairste von 45
hung). Mannschaften in der Saison 1977/78 er-
Inhalt und Form der Gottesdienste sollten hielt. Und es ist ja auch, was viele nicht
variabel sein und offen für Gespräche, denn wissen, der Boxer Sven Ottke hier konfir-
jede Predigt wirft Fragen auf. Biblische miert worden!
Texte sind mitunter schwer zu verstehen, Die Planung des Gemeinwesenzentrums
andererseits oft von eindeutiger Klarheit. in der Obstallee nahm Jahre in Anspruch,

23
- ein wiederum damals einmaliges Projekt. gewann neue, befreiende Dimensionen.
Damit wurde ein neues Kapitel aufge- Meine Lebensplanung brachte es mit sich,
schlagen. dass ich die Entwicklung der Gemeinde
Ob es uns gelang, die Menschen für Got- Heerstraße Nord seit 1996 nur noch am
tes Wort sensibel zu machen? Manche Rande verfolge.
Hoffnung blieb sicher unerfüllt. Und hier Alles in Allem bleiben mir rückwirkend
sieht die Gegenwart kaum anders aus als weniger die Anfänge, als die unglaublich
die Vergangenheit. intensiven achtziger Jahre in guter,
Doch Segen kann gedeihen und wächst manchmal wehmütiger, Erinnerung.
oft im Verborgenen. Mein eigener Glaube
Heide Simang (früher Meuser)

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24
Im Talar im Rathaus: „Wein oder Bier
her – sonst schluckt uns die DDR“!
Ein Spektakel anlässlich des Sommerfestes 1973.
Von Wolfgang Grünberg und Jochen Muhs

1973 feierte Zeit sind natürlich in lateinischer Sprache


Staaken, längst abgefasst. Eine Übersetzung dieser Ur-
ein Stadtteil kunde war in der Ausstellung leider nicht
Spandaus, seine zu finden. Neugierig, wie wir waren,
700 Jahrfeier! machten wir Neustaakener aus
Genauer ge- Heerstr.Nord uns daran – Pastoren müs-
sagt: das halbe sen ja Latein lernen – die Urkunde in etwa
Staaken. Denn zu übersetzen. Und wir machten eine bri-
die andere Hälf- sante Entdeckung: in der Urkunde stand
te lag jenseits nämlich, dass der Verbleib Staakens bei
von Mauer und Spandau an eine Bedingung geknüpft war:
Stacheldraht in Die weltliche Obrigkeit, also Spandau
der DDR. Der Flugplatz Staaken war müsse die Pfarrer für den Messdienst mit
durch das Luftschiff Graf Zeppelin, das Oblaten (Brot) und Wein „täglich und
von hier aus sich erstmals in die Luft er- reichlich“ versorgen!!
hob, deutschlandweit bekannt. Nach 1945 Ausdrücklich stand zu lesen, dass diese
wurde Staaken geteilt. Der östliche Teil Verpflichtung „ewig“ gültig sei!
Staakens kam zu Westberlin bzw. zur al- Andernfalls würde Staaken wieder an die
ten ehemals selbstständigen Stadt früheren Eigentümer und ihre Rechtsnach-
Spandau. Die Mutterkirche Staakens blieb folger zurück fallen! Möglicherweise also
für die Westberliner unerreichbar. Trotz- an die DDR!
dem - oder gerade deswegen: die 700 - In kühner Logik folgerten wir Pfarrer aus
Jahrfeier Staaken als Ort, der zu Spandau Staaken: Der Bürgermeister von Spandau
gehört, sollte ordentlich gewürdigt werden. müsse nun uns, auch die ev. Pfarrer von
Im Spandauer Rathaus wurde eine Aus- Staaken, eigentlich „täglich mit Brot und
stellung zur Geschichte von Staaken ge- Wein“ versorgen – „und zwar reichlich“.
zeigt. U.a. auch eine Kopie der Schen- Denn sonst könnten wir Staakener verlan-
kungsurkunde von Staaken an Spandau gen, dass wir wieder von Spandau gelöst
aus dem Jahr 1273. Urkunden aus dieser würden und an die ehemaligen Besitzer

25
zurück fallen würden also an die DDR. Schrippen versorgt würden! Wo diese
Rechtsnachfolger der ehemaligen Besit- schöne an den Ecken noch absichtlich
zer von Staaken sei schließlich die DDR ! angekokelte Urkunde – in gotischer Anti-
qua geschrieben – geblieben ist, weiß ich
In protestantischer Freiheit wollten wir ei- nicht mehr. Auch nicht, wer sie geschrie-
nen Vorschlag zur Güte unterbreiten, um ben hat.
nicht an die DDR zu fallen: Tatsache aber war: mit einigem Tam Tam
Wir Pfarrer würden ja großzügig ver- – und späterem Bericht samt Fotos im
zichten auf die tägliche und reichli- „Spandauer Volksblatt“ überreichten wir
che Versorgung mit Brot und Wein für dem Bürgermeister unsere politisch höchst
die Gottesdienste - wenn, ja wenn der brisante „Forderung!“
Bürgermeister jedenfalls einmal im Wie viele kleine Fässer Bier wir dann be-
Jahr – zum Sommerfest der Ev. Ge- kamen – ein Sponsor für die Schrippen war
meinde – die Einwohner Staakens mit leider nicht aufzutreiben - weiß ich auch
Freibier und Schrippen bedenken wür- nicht mehr. Statt der Schrippen gab es ein
de! rauschendes Büfett und Kuchen aller Art,
Wir hatten gute Kontakte in die Politik hi- zumeist vom Seniorenclub. Kurze Festre-
nein, z.B. zum damaligen Finanzsenator den eröffneten dann das wunderbare Som-
Striek. Wir unterbreiteten ihm unseren merfest auf dem Parkplatz hinter dem Ge-
„subversiven“ Plan und baten um kom- meindezentrum Pillnitzer Weg und viele
munale Unterstützung für unseren Vor- Nachbarn feierten fröhlich und mit guter
schlag. Damals haben wir gelernt, dass Musik mit.
man mit Humor in Berlin wirklich Politik
machen konnte. Es dauerte nicht lange und PS. Soweit dieser Bericht – aus dem Ge-
wir saßen im Bürgermeisterzimmer und der dächtnis heraus niedergeschrieben. Wir er-
Bürgermeister telefonierte mit der Schult- zählen keine Legende, selbst wenn das
heiß-Brauerei. Kurz, der symbolische eine oder andere Detail dieses Berichtes
„Deal“ klappte. Aber nun musste er auch nicht ganz exakt sein sollte.
noch inszeniert werden!
Also wurde verabredet, dass wir damali-
gen Pfarrer, Jochen Muhs und Wolfgang
Grünberg zu verabredeter Zeit im Talar
zum Rathaus kämen und eine Urkunde
vorweisen, auf der zu lesen stand, dass wir
großzügig darauf verzichten würden, täg-
lich mit Brot und Wein versorgt zu wer-
den, wenn wir statt dessen, einmal im
Jahr, zum Sommerfest der Ev. Gemein-
de Heerstr. Nord reichlich mit Bier und

26
Im Pillnitzer Weg 8
seit 1974
Heide Laufmann

Im Jahre 1974 bekam ich meinen ersten lichen auch Würste aus diesem Schwein
Kontakt zur Kirchengemeinde Heerstr. hergestellt, den Rest bei Grillfesten
Nord. Auf der Suche nach einem Prakti- verspeist.Von der Teestube aus wurden
kum im Anerkennungsjahr als Sozialar- zusammen mit der Aktion Sühnezeichen,
beiter landete ich im Gemeinwesenverein antifaschistische Stadtrundfahrten organi-
bei Herrn Georg Klein. Sein Büro befand siert. Mit dem Galeristen Jule Hammer
sich damals im Pillnitzer Weg gleich ne- organisierten wir Besuche in Kunstausstel-
ben der Kirchengemeinde. Da der lungen und Galerien. Jule Hammer erklärte
Gemeinwesenverein und die Kirchenge- den Jugendlichen die jeweiligen Kunst-
meinde bereits damals eng zusammen ar- objekte. Allein hätten die Jugendlichen den
beiteten, stellte er den Kontakt her und Weg in Galerien nicht gemacht.
ich konnte in der offenen Jugendarbeit Zwei mal im Jahr veranstalteten wir ei-
mein Anerkennungsjahr absolvieren. nen Musikabend, zu welchem wir Künst-
Gemeinsam mit Herrn Keil (Hausmeister) ler einluden. Die Agentur von Horst
und Frau Stiller (Gemeindeschwester) Steffen Sommer vermittelte die Sänger.
wurde ich 1975 als Dipl. Soz. Mehrmals zu Gast war mit seiner Gitarre
Päd.(Sozialarbeiterin) in der Gemeinde an- „Jürgen von der Lippe.“
gestellt. Auch die Buchlesungen im Kerzenlicht, die
Gemeinsam mit Pfarrer Jochen Muhs, von uns durchgeführt wurden, waren bei
sowie Klaus Dieter Gens, Diakon, gestal- den jungen Menschen sehr beliebt.
tete ich die offene Jugendarbeit, die Tees- Eine weitere Besonderheit waren Filmvor-
tube. Bis 1973 waren noch der heutige führungen in der Turnhalle. Über die
Fahrradkeller und die Mietekeller Jugend- Landesbildstelle wurden das riesige Film-
räume, in denen wöchentliche Disco- vorführgerät und die Spielfilme ausgelie-
veranstaltungen statt fanden. Nach einem hen und unter den evangelischen Jugend-
Brand mussten diese wegen zu niedriger einrichtungen im Kirchenkreis weiterge-
Decke geschlossen werden. geben. Ich benötigte dafür einen Filmvor-
In die Teestube kamen täglich an die 70 führschein. Ein Loch in der Wand zum
Besucher. Mehr Jungen als Mädchen. Zu Mattenraum dämmte das laute Gerät zu
der Teestube gehörte ein großes Fotola- den Zuschauern. Die Filmvorführungen
bor, in dem Jugendliche, von uns angelei- fanden ein Mal im Monat statt und waren
tet, ihre Fotos entwickeln konnten. für alle Siedlungsbewohner, am Nachmit-
In der großen Lehrküche fanden regel- tag gab es Kindervorstellungen und spä-
mäßige Kochkurse statt. Wir gaben ter Filme für ältere. Es gab damals im Raum
Ernährungsberatung und vermittelten Spandau kein Kino.
leichtes, gesundes Kochen. Eine beson- Es gab auch eine feste Motorradgruppe,
dere Aktion war das Zerlegen eines hal- die sich noch heute jedes Jahr am „Vater-
ben Schweines, welches wir beim Bau- tag“ dort trifft und vom Loschwitzer Weg
ern besorgten. Wir haben mit den Jugend- aus 3 Tage auf Tour fährt.
27
Eine von mir geleitete Laienspielgruppe Seniorenarbeit fand darin statt, der Weih-
erfreute jedes Jahr die Besucher am Weih- nachtsbasar und vieles mehr. Am Sams-
nachtsbasar. tagabend stellte H.Keil das Holzkreuz und
Weiter organisierten wir Skat- Tischten- das Redepult auf, die Stühle wurden im
nis- Billard- Fußballturniere. Kreis gestellt und am Sonntag war Got-
In den Garagen am Pillnitzer Weg befand tesdienst. Unter der Woche wurde der
sich eine Grube. Hier konnten die Jugend- Mehrzweckraum (Sporthälfte) von Judo
lichen ihre Motorräder oder Autos unter –Tischtennis- Bauchtanz- oder Filmvorfüh-
der Leitung von Peter Schrot kostengüns- rungen genutzt.
tig reparieren und für den TÜV vorberei- 1975 wurde der Miniclub gegründet. Die
ten. Herr Schrot arbeitete bei der Feuer- erste Satzung wurde von engagierten El-
wehr, mit den Jugendlichen ehrenamtlich. tern geschrieben. 2002 wurde der
Das pädagogische Ziel war auch den Ju- Miniclub,(spätere Eltern-Kindgruppe) in
gendlichen zu verkehrsicheren Autos zu die heutige Kita (Regenbogen) der
verhelfen. inzwischen fusionierten Gemeinde zu
In dem Eingangsbereich feierten wir gro- Staaken umgewandelt. Einige Eltern aus
ße Faschingsfeste mit „Kostümzwang“. der damaligen Zeit haben noch heute Kon-
Die besten Kostüme wurden prämiert. takt zueinander, einige Kinder aus der da-
Im ersten Stock des Hauses waren Büros maligen Zeit melden heute als Eltern ihre
und Seminarräume. Auf den Fluren traf Kinder in der Kita an.
man sowohl die Sekretärinnen und Pfar- Auf dem Parkplatz zum Loschwitzer Weg
rer, die Jugendarbeiter, Sozialarbeiter, Er- gab es Riesen Sommerfeste, für die gan-
zieherinnen, Gemeindekrankenschwester, ze Siedlung. Die in Spandau stationierte
Hausmeister und Reinigungskräfte der englische Musikkappelle zog mit einem
Gemeinde, als auch die Kita- Beratung Umzug durch die Siedlung und die Feste
sowie die Bewährungshilfe des Jugend- waren sehr gut besucht und dauerten bis
amtes Spandau, alle hatten hier ein Büro. spät in die Nacht.
Im zweiten Stock befand sich die Wohn- Im Ganzen war es damals eine Zeit des
gemeinschaft für psychisch kranke Men- Aufbruchs in vielerlei Hinsicht.Die Ener-
schen, die stationär entlassen wurden. Sie gie des täglichen Miteinanders im Gemein-
wurden vom sozial psychiatrischen Dienst dehaus war auf ein Ziel gerichtet, Gemein-
begleitet und konnten dort in der Wohnge- deaufbau/Gemeindearbeit. Die Diskussi-
meinschaft lernen, wieder ins Leben au- onen waren in Dienstbesprechungen of-
ßerhalb der Klinik zurück zu finden. Die fen und inhaltlich. Durchaus auch kontro-
Hausgemeinschaft (Mitarbeiter der Ge- vers. Das gemeinsame Aufbruchsprojekt,
meinde), kümmerten sich auch um die WG- das gemeinsame Ziel war klar.
Bewohner. Die Gemeinde Heerstrasse Nord war ein
In den Seminarräumen wurde der Konfir- Begriff in ganz (West) Berlin.
mandenunterricht abgehalten. Ca. 25 Teil- Regelmässig gab es Führungen von Stu-
nehmer pro Jahr erhielten ihren Unterricht denten, die sich in jeder Form über den
von H. Gens und mir auf KU-Reisen, die Aufbau von Gemeinwesenarbeit informie-
drei mal im Jahr 10 bis 14 Tage dauerten. ren wollten .
Sie gingen immer nach Westdeutschland, Rückblickend wirkt die damalige Zeit „vol-
meist in die Lüneburger Heide. ler Energie.“ Ich schaue gerne auf diese
In dem Kirchraum, der als Mehrzweck- Zeit zurück und denke gerne daran,
raum diente, wurden Feste gefeiert, die damals mitgewirkt zu haben.
28
Die Gemeinde Heerstraße-Nord in
den 80er Jahren
Anmerkungen von Pfarrer Winfried Böttler

„Suchet der Stadt Bestes!“ (Jeremia 29,7) Grundstein ge-


Dieser Zuruf des Propheten Jeremia an die legt. Mit diesem
ins Exil vertriebenen Menschen, war un- Haus setzte die
ser biblisches Motto beim Aufbau der Kir- Gemeinde ein
chengemeinde Heerstraße-Nord in der ganz besonderes
gleichnamigen Neubausiedlung. Unter der Zeichen: sie stell-
Überschrift „Gemeindeaufbau und te ihr Grundstück
Gemeinwesenarbeit“ hatte sich die Ge- anderen gemeinnützigen Einrichtungen für
meinde in den 70er-Jahren mit ihrem be- ihre Arbeit zur Verfügung. Die Kirche soll-
sonderen Profil entwickelt. Die Neubau- te ein Haus werden, in dem das Lob Got-
siedlung sollte den Menschen, die hierher tes erklang und Einrichtungen tätig waren,
zogen, nicht nur eine Schlafstätte bieten, bei denen die Menschen praktische Hilfe
sondern Heimat werden. Deswegen haben im Alltag erhalten konnten.
wir von Anfang an eng mit Partnern zu- Mit dem Bezug des Gemeinwesen-
sammengearbeitet, deren Ziel ebenfalls die zentrums rückte das Gemeindehaus am
Schaffung einer sozialen Basis für ein Pillnitzer Weg nicht nur geographisch an
nachbarschaftliches Miteinander im Wohn- den Rand. Gottesdienst, Konfirmandenun-
bereich war. terricht, Gemeindebüro, Schwesternstation
Für mich als junger Vikar, auf dem Land und Sozialarbeit hatten nun ihren Platz im
aufgewachsen und eben von der Universi- neuen Haus. Miniclub, Jugendarbeit und
tät gekommen, war das die ideale Gemein- die Seniorengruppen aber blieben. Und am
de, um die Herausforderungen im Pfarr- 1. Advent war jedes Jahr „Tag der offe-
amt einer Großstadt kennen zu lernen. Als nen Tür“ - so hieß der Adventsbasar in
ich anfing, stand das Gemeindehaus am dieser Zeit.
Pillnitzer Weg schon seit einigen Jahren. Die Gottesdienste aber hatten mit dem
Dort wurden Gottesdienste gefeiert und es Kapellenraum im Gemeinwesenzentrum
war der Treffpunkt für die Gemeinde- nun einen Raum, der auch wochentags als
gruppen. Für das Gemeinwesenzentrum, Andachtraum erkennbar war. Zum Altar-
das im Zentrum der Siedlung anstelle der bild „Kreuzigung“ von Artur Degner, das
Kirche am Markt mit 500 Sitzplätzen er- die Witwe des Künstlers der Gemeinde
richtet werden sollte, wurde gerade der überlassen hatte, kam später das Jeremia-

29
Fenster von Siegmund Hahn. Damit hatte siert werden.
die Gemeinde ihren sichtbaren geistlichen Heerstraße Nord hatte zum Glück mit Eri-
Mittelpunkt. Es fehlte noch eine Orgel. Ein ka Stiller eine Frau, die nicht nur Kran-
klassisches Instrument erschien dem kenschwester aus Leidenschaft war, son-
Gemeindekirchenrat aber unbezahlbar. dern auch Ideen und Organisationstalent
Also besorgten wir uns eine elektronische hatte, darüber hinaus die wunderbare Gabe
Orgel. Inzwischen erklingt aber auch dort besaß, Menschen zu begeistern und zu
eine „richtige“ Orgel. mobilisieren. So wurde, noch bevor die
Trotz des Gemeinwesenzentrums verfiel häusliche Krankenpflege flächendeckend
das Gemeindehaus am Pillnitzer Weg eingeführt wurde, in Heerstraße Nord die
keineswegs in einen Dornröschenschlaf, erste Sozialstation im Land Berlin (damals
sondern entwickelte sich weiter und blüh- noch West) gegründet. Der Paritätische
te geradezu auf als diakonischer Stützpunkt Wohlfahrtsverband (nicht das Diakonische
der Gemeinde und Wohnsiedlung. Werk, das hatte damals die Zeichen der
Seniorenclub und Montagskreis, sowie das Zeit nicht ganz richtig gedeutet) half mit
monatliche Geburtstagscafé für die älte- einer Ausfallbürgschaft, bis in Verhandlung
ren Mitbewohner, Teestube und Interes- mit den Krankenkassen die Finanzierung
sengruppen für Jugendliche und zwei Mini- des Projekts geschafft war. Die Sozial-
clubgruppen für Kleinkinder sorgten für station hatte zuerst ihre Räume im
Leben im Haus, in dem neben anderen Gemeinwesenzentrum.
Bewohnern auch die Pfarrer mit ihren Fa- Aber die Krankenwohnung, ein Projekt mit
milien ihre Wohnung hatten. dem wir dann wirklich Neuland betraten
Sozialstation – Krankenwohnung in der Sozialpolitik in Berlin, die fand ih-
Die Versorgung kranker Menschen in ih- ren Platz im Haus Pillnitzer Weg. Zuerst
rer Wohnung gehörte schon immer zu den in einer zeitweise leeren Pfarr-
Kernaufgaben einer Kirchengemeinde. Das dienstwohnung, dann als das Bezirksamt
sollte auch in einer Gemeinde, die Spandau seine Beratungsstelle im 1. OG
Gemeinwesenarbeit als einen Schwerpunkt geräumt hatte, wurden die dort neu gestal-
ihrer Arbeit beschrieb, nicht anders sein. teten Räume bezogen. Erika Stiller be-
Heerstraße Nord bot mit seinen vielen schreibt das viel anschaulicher. (Seite
behindertengerechten Wohnungen, in de- 34f.)
nen überdurchschnittlich viele Menschen Frauen- und Kinderarbeit im Haus am
wohnen, die sich im Rollstuhl durch die Cosmarweg „August-Hermann-
Gegend bewegten, noch eine zusätzliche Francke-Heim“
Aufgabe. Aber die Zeit, in der Kranke und Das dritte Haus, das von der Gemeinde
Hilfsbedürftige in der Gemeinde von Dia- genutzt wurde, stand am Rand der Sied-
konissen betreut wurden, die tagaus und lung am Cosmarweg. Ende der 70er Jahre
tagein im Einsatz und Bereitschaft waren, hatte die Gemeinde Staaken-Dorf das dor-
war vorbei. Die häusliche Krankenpflege tige August-Hermann-Francke Haus als
in den 80er Jahren musste anders organi- zweite Predigtstätte aufgegeben. Die Glo-

30
cke wurde dem Gemeinwesenzentrum ge- Hamburg. Und wer auf dem Cosmarweg
schenkt und das Haus dem Diakonischen an den damals noch drei Ponyhöfen vorbei
Werk für soziale Arbeit zur Verfügung ge- nach Westen ging, der lief geradewegs auf
stellt. Es entstand eine lebendige die Mauer zu. Der Osten lag direkt vor der
Begegnungsstätte für Kindergruppen und Haustür. Wir wollten nicht nur die Mauer
Frauenprojekte. Leider fanden die sehen, sondern Menschen aus der Kirche,
Betreiberinnen, dass der Name des gro- ihren Glauben und Leben, ihre Freuden
ßen Pietisten und Mannes der Diakonie aus und ihre Probleme kennen lernen. Marzahn
Halle/Saale nicht zur Arbeit mit sozial be- wurde dazu unser Ziel, am anderen Ende
nachteiligten Frauen passte und machten der Stadt, wo gerade eine riesige Traban-
aus dem „August-Hermann-Francke- tenstadt gebaut wurde. Dort wollten wir
Heim“ kurzerhand das „Haus am hin, um Kirchengemeinde und kirchliches
Cosmarweg“. Leben in einer Neubausiedlung in Ost-
Friedensarbeit in Spandau – Friedens- Berlin zu erleben. Hilfreich war, dass Pfar-
feste auf dem Spandauer Markt rer Bruno Schottstädt in Marzahn ein Öku-
Natürlich war unsere Arbeit für das Ge- menisches Forum gegründet hatte, mit dem
meinwesen sehr ortsbezogen. Aber auch die Gemeinde Verbindungen zu verschie-
die politischen Ereignisse wirkten in das denen Orten pflegte, eben auch nach West-
Leben der Gemeinde hinein. Eine Friedens- Berlin.
gruppe, deren Beteiligte sich für Frieden So wurden Kontakte geknüpft und Besu-
und Abrüstung einsetzten und insbesondere che vor allem von West nach Ost organi-
gegen den Nachrüstungsbeschluss der Nato siert. Es kam aber auch das Rentner-Ehe-
wandten, gehörte für einige Jahre zum Er- paar Hildebrandt in die Gegenrichtung: die
scheinungsbild auch in Heerstraße Nord. ersten Marzahner in Heerstraße-Nord.
Die Gemeinde war der Ort, wohin wir Mehrere gemeinsame Veranstaltungen und
Menschen unterschiedlichster Herkunft eine Gemeindefreizeit mit Familien aus Ost
und Weltanschauung einluden, sich zu tref- und West in Lüdersdorf bei Wriezen präg-
fen und auszutauschen. Mit und zu den ten das Miteinander, das auch nach der
Nachbargemeinden waren wir zu Bußtags- Wende noch sehr lebendig blieb. Viele Jah-
prozessionen für den Frieden unterwegs re fuhren Kinder aus Marzahn mit zur ge-
und feierten in unseren Kirchen gemeinsa- meinsamen Kinderfreizeit nach St. Peter-
me Gottesdienste. Mit politischen Partei- Ording.
en und Gruppen organisierten wir mehre- Menschen, die lebendigen Steine der
re Jahre lang ein sommerliches Friedens- Gemeinde
fest in der Altstadt Spandau auf dem Markt. Mit diesem Leben und mit dieser Arbeit
Partnerschaft mit Marzahn verbinden sich Namen, die das Leben und
In Staaken war der Osten im Westen. Auf die Gestalt der Gemeinde und auch mich
der Heerstraße stauten sich zu Beginn der geprägt haben. Einige möchte ich aufzäh-
Ferienzeit die Autos vor dem Grenz- len, manche sind schon gar nicht am Le-
kontrollpunkt zur Transitstrecke nach ben. Sie stehen stellvertretend für viele, die

31
mitgeholfen haben, dass eine lebendige die Kirchenmusik konsolidiert und ihr
Gemeinde gewachsen ist. immer wieder neue Aufgaben
Ruth Senftleben gestaltete zusammen mit gesetzt.Gudrun Kummer, Martina Schmidt
ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann und Greta Ziese, die als Ehrenamtliche den
Klaus die Arbeit mit älteren Menschen: Kindergottesdienst viele Jahre lang als
Seniorenclub, Geburtstagscafé, Reisen wichtigen Schwerpunkt unseres
nach Silberbach und vieles mehr wären Gemeindelebens mitgestaltet und geprägt
ohne den Einsatz und die Gestaltungskraft haben, sind aus diesen Jahren nicht weg
der beiden nicht möglich gewesen. Erika zu denken.. .
Stiller, die Krankenschwester mit sozialer Viele waren es im Gemeindekirchenrat,
Dynamik wurde bereits erwähnt. besonders genannt seien Heidi Meuser
Piet Menzel, der Diakon, kümmerte sich (Simang), Bernd Bothe, Klaus Senftleben,
um die Jugendlichen. Er war Agathe Schulz, Wolfgang Kirchner, Karin
Ansprechpartner in der Teestube, hielt Essing, Christel Eins, Evi Schumacher. Alle
Konfirmandenunterricht und organisierte mit ihrem Glauben, der seinen Ort in der
Konfirmandenfreizeiten, (bis heute arbei- Gemeinde suchte, jede und jeder mit sei-
tet er bei uns. CH) Im Miniclub mit den nem ganz persönlichen Schwerpunkt , für
Kleinsten waren Christina Schoen und den sie ihre persönlichen Fähigkeiten ein-
Michaela Lemm tätig. Höhepunkt dieser brachten.
Arbeit war viele Jahre ein Puppenspiel, das Fritz Ladner, der Schreinermeister im Ru-
die Erzieherinnen mit Eltern zusammen am hestand, der in der Werkstatt des
Tag der Offenen Tür vorführten. Förderervereins nicht nur die Tische für
Brigitte Henschel, diejenige, die am längs- Gesangbücher und Kollektenkörbchen an
ten von Anfang an dabei war kümmerte den Kapelleneingängen gebaut hatte.
sich um die Sozialarbeit der Gemeinde, Gerhart Ottschofski, der vom Mitarbeiter
Projekte mit Frauen und Kindern aus kin- im ABM-Projekt für Behinderte zum Ge-
derreichen Familien waren ihr Schwer- schäftsführer des Förderervereins wurde,
punkt. Ute Kraatz und Helga Joppek, im und über viele Jahre den kleinen Verein
Büro die ersten Kontaktpersonen für Be- zur wichtigsten sozialen Einrichtung und
sucher, waren nicht nur für die Pfarrer hilf- zu einem bedeuten Arbeitsgeber in
reiche Geister beim Organisieren. Adolf Staaken ausbaute.
Keil, Haus- und Kirchwart, der später mit Herr Karl – Heinz Sievert, Referent im
ins Gemeinwesenzentrum umzog und Sozialamt Spandau, der bis zu seinem frü-
Benito Merten, der dann für den Pillnitzer hen Tod die Arbeit für Senioren und Be-
Weg zuständig war. hinderte im Fördererverein tatkräftig un-
Moawed Boulos, der aus Alexandria stam- terstützte. Heinz E. Hoffmann, der als
mende koptische Christ, begleitete viele Architekt nicht nur das Gemeinwesen-
Jahre mit seinem Klavierspiel Sonntag für zentrum entwickelte und baute, sondern
Sonntag den Gemeindegesang im Gottes- auch bei der Gestaltung der Kranken-
dienst. Trauthilde Schönbrodt hat später wohnung wichtiger Partner war. Christa

32
Kliemke und Professor Robert Wischer Miteinander zum Wohl für das Ganze ein-
vom Institut für Krankenhausbau der TU, zusetzen.
die geistigen Entwickler, Förderer und Wir wollten mit unserer Arbeit erreichen,
Drängler für die Krankenwohnung. dass Heerstraße Nord eine Heimat für sei-
Und natürlich die Kollegen im Pfarramt, ne Bewohner und nicht zum sozialen
Wolfgang Grünberg, der Mentor im Vika- Brennpunkt wird. Es hat Freude gemacht,
riat, dann die Kollegen Jochen Muhs, Ulrich etwas mehr, als ein Jahrzehnt dabei sein
Dietzfelbinger, durch einen Unfall beim zu können und Gemeinde und Siedlung ein
Klettern tragisch verstorben, Klaus wenig zu gestalten. Womöglich waren
Wiesinger und Andreas Hochfeld, auch er manche Ziele utopisch und manche Wege
viel zu früh verstorben. Ich bin sehr dank- auch Irrwege. Sicher sind wir nicht allen
bar, dass mit jedem von ihnen eine gemein- mit ihren Hoffnungen und Wünschen an
same freundschaftliche Zusammenarbeit die Kirchengemeinde gerecht geworden
gelebter Alltag war. und manchmal vielleicht auch über das Ziel
Natürlich gehörten viele andere dazu: Men- hinaus geschossen. Dankbar sind wir auch
schen aus dem Seniorenclub, die Konfir- viele, die unsere Arbeit im Gebet begleitet
manden, Eltern aus dem Miniclub, Nach- und damit getragen haben.
barn aus dem Kirchenkreis und Mitarbei- Denn eines aber hatten wir immer vor Au-
ter im Bezirkskirchenamt, die Partner im gen: Suchet der Stadt Bestes. Und wie bei
Gemeinwesenzentrum, dort vor allem die vielen Stellen in der Bibel ist es auch hier
Ärzte im Ärztehaus. Sie alle haben zu ei- hilfreich, nicht nur den Anfang, sondern
nem engagierten Miteinander innerhalb ein wenig weiter zu lesen: Suchet der Stadt
und außerhalb der Gemeinde beigetragen. Bestes … und betet für sie zum HERRN;
Unterschiedliche Herkunft und Motivati- denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch
on war für uns kein Hinderungsgrund, um euch wohl.
uns für ein gutes gemeinsames Winfried Böttler

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33
Krankenwohnung Pillnitzer Weg 8

Zu den Mietern im Hause Pillnitzer Weg 8 73 Jahre, das der Frauen 78 Jahre. Die
gehört seit 27 Jahren die Krankenwohnung. Patienten blieben durchschnittlich 22,8
Tage.
Im Januar 1984 starteten die Schwestern
der Sozialstation Heerstr. Nord und die TU Zur Aufnahme in die Krankenwohnung
Berlin zunächst für ein halbes Jahr – spä- führten unterschiedliche Gründe:
ter ausgeweitet auf vier Jahre – ein Pilot-
projekt in der Pfarrwohnung in der III. 1. zeitweilige Verhinderung der pfle-
Etage. Die Krankenwohnung – Häusliche genden Angehörigen (Urlaub, Kur, Erkran-
Krankenpflege rund-um-die-Uhr, eine Er- kung u. ä.) oder Änderung der Wohnungs-
gänzung zur ambulanten Krankenpflege – bedingungen (Renovierung der Wohnung
war die erste Krankenwohnung in Berlin. usw.),
Trotz langer intensiver Vorbereitungszeit
fehlte es daher den Initiatoren an prakti- 2. akute Verschlechterung des Gesund-
scher Erfahrung. heitszustandes des Patienten (bei unter-
schiedlicher Diagnose), insbesondere allein
Begleitet wurde das Projekt von einer lebender Patienten, wenn sie nachts
Arbeitsgruppe aus Krankenschwestern, Hilfe benötigten.
Ärzten, Sozialarbeitern, Verwaltungsleitern,
Architekten und Stadtplanern der TU 3. Wiedergewinnung von Fähigkeiten
Berlin. Diese Arbeitsgruppe erarbeitete zur Bewältigung des Alltags in der eigenen
auch die Grundbedingungen für Kranken- Wohnung, Wiedereingewöhnung in selb-
wohnungen. ständiges Handeln nach einem
Krankenhausaufenthalt.
Das Pilotprojekt Krankenwohnung hatte
sechs Patientenbetten auf 129 m². Die Das Konzept sah eine Wohnung vor in
Räume wurden in Eigeninitiative renoviert einem umgrenzten Wohngebiet mit einer
und mit Möbel- und Hausratspenden ein- Sozialstation und weiteren Möglichkeiten
gerichtet. zum Ausbau zusätzlicher Angebote für die
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung
In den ersten beiden Jahren wurden 32 (z. B. Tagespflege, Mittagstisch usw.). Das
Männer und 124 Frauen aufgenommen. Einzugsgebiet Heerstr. Nord mit ca. 17.000
Das Durchschnittsalter der Männer betrug Einwohnern war hierfür ideal. Die
34
Krankenwohnung sollte ein Baustein der und Zweibettzimmer mit insgesamt 10
ambulanten Krankenversorgung sein, der Betten, ein Wohnzimmer, ein Esszimmer,
Hausarzt der gleiche wie im häuslichen eine Küche, 3 Toiletten (eine mit Dusche),
Bereich bleiben, der unmittelbare Kontakt ein großes Bad und eine geräumige Ter-
mit Angehörigen und Nachbarn jederzeit rasse.
möglich sein.
Die Krankenwohnung ist von den Bewoh-
Nach Beendigung der Pilotphase konnte nern der Siedlung Heerstr. Nord gut ange-
1988 in der I. Etage des Hauses Pillnitzer nommen worden. Trotz wiederholter finan-
Weg 8 die jetzige Krankenwohnung eröff- zieller Schwierigkeiten besteht sie seit
net werden. Der Um- und Ausbau wurde nunmehr 27 Jahren und hat sich zu einem
mit einem Zuschuss der Deutschen Klas- bewährten Standbein der ambulanten
senlotterie finanziert. Die Wohnung hat eine Gesundheitsversorgung entwickelt.
Fläche von ca. 350 m². Sie umfasst Ein- Erika Stiller

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35
Es tut sich was in
unserem Kiez!

Liebe
Nachbarn,
Wir eröffnen das Stadtteil-Café „Café Pille nehmem Ambiente in einem Zentrum uns-
8 - für dich gemacht“! rer Kiezkultur als ein gemütliches und öf-
Wir schaffen einen hellen und freundlichen fentliches Forum, an dem die unterschied-
Ort im Gemeindehaus im Pillnitzer Weg 8, lichsten Menschen miteinander in Kontakt
an dem jedermann willkommen ist. treten können. Daher sind faire Preise, eine
Nach 40 Jahren seines erfolgreichen kinder- und seniorengerechte Umgebung
Bestehens wollen wir das gesamte Poten- Teil des Konzepts. Ebenso wie ein vielfäl-
zial des Gebäudes erstmals voll nutzen und tiges Veranstaltungsprogramm, das die ver-
für Staaken und seine Bewohner etwas schiedenen Kulturen und Menschen unter-
schaffen, was es in diesem Stadtteil und in schiedlichster Herkunft zusammenbringen
dieser Form noch nicht gegeben hat. soll.
Hier kommt der Rentner bei einem haus- Im Gemeindehaus im Pillnitzer Weg 8 ha-
gemachten Stück Kuchen mit seinem ben sich bereits die Lebensmittelausgabe
Nachbarn ins Gespräch und Eltern kön- „Laib & Seele“ und die „Kirchenboutique“
nen einen leckeren Cappuccino auf der als wichtige Sozialprojekte etabliert. Der
großzügigen Sonnenterrasse genießen, Gemeinwesenverein wird einen Teil sei-
während der Nachwuchs ausgelassen auf nes Beratungsprogramms für alle sozia-
der großen Kletterburg tobt. len Belange in dieses Gemeindehaus ver-
Jugendliche haben im angrenzenden lagern. Für die Beratungsgespräche steht
Chillout-Bereich mit Tischtennisplatte, ein ruhiger heller Raum zur Verfügung.
Billardtischen, Tischfußball und In unserer hauseigenen Turnhalle sollen
Dartscheiben vielfältige und kurzweilige regelmäßige Sportangebote zum Mitma-
Unterhaltungsmöglichkeiten. chen animieren. Unsere volleingerichtete
Das überdimensionale Schachbrett mit Großküche im Untergeschoss schafft die
kniehohen Schachfiguren in unserem ge- Möglichkeit für Kochevents jeglicher Art.
pflegten Garten lädt Jung und Alt zu einer Wir möchten fortlaufende kulturelle Ange-
gemeinsamen Partie ein. bote als festen Bestandteil des Programms
Dazu bieten wir ausgesuchte Speisen und etablieren.
Getränke zu Taschengeldpreisen in ange- Sie haben hier hier die Möglichkeit, sich
36
mit Ihren Ideen einzubringen. Vorschläge stehen, der langfristige Arbeits- und
und Anregungen sind jederzeit willkom- Zukunftsperspektiven für die Menschen in
men. Wir suchen darüber hinaus noch en- unserer Nachbarschaft bietet.
gagierte ehrenamtliche Mitarbeiter und Wir freuen uns auf jeden von Ihnen, und
Mitarbeiterinnen, die sich an der Verwirk- heißen Sie nach Ende der nötigen Umbau-
lichung und Durchführung des Projektes maßnahmen willkommen in unserem ein-
beteiligen wollen. zigartigen Stadtteil-Café „Café Pille 8- für
Im weiteren Verlauf soll hier ein gastrono- dich gemacht“!
mischer, integrativer Ausbildungsbetrieb
mit Behinderten und Nichtbehinderten ent- Constanze Schönbrodt

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37
Ernst Lange
und seine Bedeutung für
die Kirche
Anmerkungen von Cord Hasselblatt

Weshalb gibt es auf dem Staakener konzentrieren müsse. Mit großer vielseiti-
Kirchengelände eine Ernst Lange Stra- ger kreativer Begabung hat er mehrere
ße? Musicals geschrieben (u.a. „Hallelujah
Billy“), immer wieder Bibeltexte paraphra-
Ernst Lange, der am 30. Mai 1971 die Pre- siert (z.B. „Die zehn großen Freiheiten“
digt zur Einweihung des Gemeindehauses statt die zehn Gebote) und insgesamt als
Pillnitzer Weg 8 hielt, wurde am 19. April leidenschaftlicher Ermutiger gewirkt. Er ist
1927 in München geboren. Seine Eltern meiner Einschätzung nach in seinen Kin-
waren Johannes Lange und Kaethe Lan- der – und Jugendjahren durch die Zeit des
ge, geb. Silbersohn. Am 3. Juli 1974 nahm III. Reiches geprägt worden, eingeschlos-
er sich in Windhaag, Oberösterreich das sen darin der Selbstmord seiner jüdischen
Leben. Zwischen diesen Daten liegt ein Mutter im Jahre 1937. Wohl deshalb hat
überaus intensives theologisch – kirchliches er 1953 sein Vikariat bei dem entschiede-
Leben. Ernst Lange ist ein bedeutsamer nen BK – Pfarrer Martin Albertz an St.
Kirchenreformer geworden, der wesentli- Nikolai – Spandau absolviert.
che Impulse für die Verkündigung der Kir- Eine weitere wichtige Etappe war die Zeit
che und ihr ökumenisches Wirken gege- der Ladenkirche am Brunsbütteler Damm,
ben hat. Er hat der Predigtlehre und dem die er mit Alfred Butenuth und anderen
kirchlichen Leben allgemein das An- seit 1958 in Westdeutschland angedacht
gewiesensein auf die jeweilige Situation ein- hatte. Am 1. Februar 1960 begann dieses
geschärft. Er hat versucht, der Kirche und kreiskirchliche Experiment, was dann, wie
christlicher Theologie insgesamt die Ge- anderenorts ausgeführt, im weiteren Ver-
wissheit der „Verbesserlichkeit der Welt“ lauf auch zur Gründung der Gemeinde
nach den Jahren des Krieges einzuprägen. Heerstraße – Nord führte. (s. Seite 7ff.)
Deshalb hat er darauf bestanden, dass sich Im Jahre 1968 ging Ernst Lange nach Genf
christliche Gemeinde nicht auf sich selbst, zum Ökumenischen Rat der Kirchen. Er
sondern den ihr jeweils gegebenen Auftrag wurde einer der Mitbegründer der „Predigt-

38
studien“, die als Prinzip einen dialogischen sche Geschichte, wie aus Auschwitz Bethel
Ansatz verfolgten. (Zwei Autoren pro Bei- wurde.“ Seine langen Krankheitsphasen
trag mit besonderem Augenmerk auf die und die Andeutungen, die Werner
„homiletische Situation“) In Genf arbeite- Simpfendörfer in seinem „Versuch eines
te er eng mit dem brasilianischen Pädago- Porträts“ von „Ernst Lange“ macht, deu-
gen Paulo Freire zusammen und schrieb ten klar darauf hin, dass Ernst Lange zu-
die Einleitung zur deutschen Ausgabe sei- nehmend bewusst auch „nach Auschwitz“
nes Buches „Pädagogik der Unterdrück- lebte, und insoweit mit aller seiner Kraft
ten.“ versucht hat, Christen und Gemeinden
Am 1. Januar 1973 wurde er Mitglied der daraufhin zuzurüsten, dass sie nicht ein
„Planungsgruppe der EKD“ in Hannover. zweites Mal vor der ihr gestellten Aufgabe
In dieser Gruppe wurden u.a. die Mitglie- des „Friedens in Gerechtigkeit“ (Matthäus
der – Umfragen der EKD projektiert, von 5,6) versagten. (Vgl. Brigitte Henschel,
denen bislang 4 (unter Mitarbeit von Seite 11)
Rüdiger Schloz) durchgeführt und veröf- Dieses Anliegen Ernst Langes bleibt bren-
fentlicht worden sind. nend aktuell !!
Ernst Lange, so deute ich sein Leben und Die Umsetzung dieses Anliegens wird sich
Werk, verkörpert christliche Theologie nicht auf die Benennung von Straßen be-
nach Auschwitz. Er setzt seine Hoffnung
schränken dürfen.
auf die „Verbesserlichkeit der Welt“, was
mit dem jüdischen Konzept des Tikkun
Olam, der „Reparatur der Welt“ verglichen Quellen: Werner Simpfendörfer: Ernst Lan-
werden kann. Die letzte seiner vier berühm- ge, Versuch eines Porträts, Berlin 1997
ten Jona – Predigten aus der Ladenkirche Georg Friedrich Pfäfflin, Helmut Ruppel
beginnt er mit den Worten: „Liebe Freun- (Hrsg.) Ernst Lange Lesebuch, Berlin 2.
de, das Buch Jona erzählt die phantasti- Auflage 2007

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C h ristent ist nichts.
„Das ng oder es acher
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mutig n sind Mut wert.“
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Chris sind nicht
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39
Gedanken über die Evangelische Gemeinde in Staaken

zwischen
Zurückblick
und
Vorausschau
Von Cord Hasselblatt

Das 40jährige Jubiläum des Gemeindehau- ten zur Gemeinde Marzahn – Nord in den
ses Pillnitzer Weg 8 und die Zusammen- 80ern befassen. Seit dem 1. Mai 1999 ist
stellung dieser Broschüre ist für mich ein der Gemeindeteil Heerstraße – Nord also
faszinierender Blick in die Geschichte die- Teil der Evangelischen Kirchengemeinde
ses Hauses gewesen. Gleichzeitig ist diese zu Staaken und hat sich in diesen Jahren
Rückschau ein enormer Ansporn, nun auch mit viel Energie dem kirchlichen Leben in
in den kommenden Jahren den Aufgaben Staaken gewidmet. Gleichzeitig ist die
in unserem Gemeinwesen gerecht zu wer- gemeinwesenorientierte Arbeit auch im
den. Seit dem 1. Mai 1999 besteht nun die beginnenden 21. Jahrhundert ein prägen-
Evangelische Kirchengemeinde zu Staaken. der Teil der Gemeindearbeit geblieben. Die
Wer die Geschichte des Hauses Pillnitzer inzwischen in Jahrzehnten bewährte Zu-
Weg 8 und der Gemeinde Heerstraße – sammenarbeit zwischen dem
Nord etwa anhand der Beiträge dieses Hef- Gemeinwesenverein Heerstraßen – Nord
tes nachvollzieht, wird ermessen, wie viel und dem Fördererverein Heerstraße – Nord
an innerer Veränderung diese Fusion auch für Senioren- und Behindertenarbeit wird
für den Gemeindeteil Heerstraße – Nord fortgesetzt und erhält im Rahmen des
bedeutet hat. Am vielleicht deutlichsten Quartiersmanagements neue Aktualität und
wird diese Veränderung in den Passagen Wichtigkeit. Die Erinnerung an die Anfän-
der Beiträge von Wolfgang Grünberg und ge des Gemeindehauses Pillnitzer Weg 8
Jochen Muhs beziehungsweise Winfried kann uns als Gemeinde helfen, diesen Weg
Böttler, die die Staakener Verhältnisse 1973 zugunsten der Bevölkerung konsequent
erkennbar werden lassen beziehungsweise weiter zu gehen und dabei auch in Zukunft
sich mit den partnerschaftlichen Kontak- immer wieder neues zu probieren, wie es
40
etwa im Beitrag von Constanze Schönbrodt 50er Jahren in begeisternder Weise Got-
aufleuchtet. tesdienste hielt, so dass die Kirchbaracke
Als einer der Pfarrer der Evangelischen in Albrechtshof (auch Missionslaube bzw.
Kirchengemeinde zu Staaken kann ich Bethlehemskapelle genannt) erheblich er-
inzwischen einen vorsichtigen Blick in den weitert werden konnte. Noch vor dem
Teil Staakens „jenseits von Mauer und Sta- Mauerbau ging er nach West – Berlin und
cheldraht“ (Grünberg/Muhs) riskieren. Und dann in die Mission. Am 2. März 2011 ist
auch dieser Blick nach Alt-Staaken / Alb- er verstorben.
rechtshof zeigt Bewegendes. Nach dem
13.August 1961 war die Trennung fast ab- Schon vor dem Mauerbau wurde 1960 der
solut geworden. Von 1962 bis 1984 war Bau eines großen kirchlichen Ensembles
Pfarrer Haack an der Dorfkirche Staaken mit Kindertagesstätte am kircheneigenem
tätig. Die gemeindlichen Möglichkeiten an Grundstück Brunsbütteler Damm 312 be-
der Dorfkirche Staaken wurden schon seit schlossen, die Einweihung der Zuversicht-
der Abtrennung Staakens am 2. Februar kirche konnte 1966 gefeiert werden.
1951 immer schwieriger. Der entschiede-
ne Pfarrer der Bekennenden Kirche, Jetzt, im März 2011, können wir als Evan-
Johannes Theile, war seit 1927 in Staaken gelische Kirchengemeinde zu Staaken zu-
tätig und hatte 1938 das August – Hermann versichtlich unsere Arbeit tun. Die
Francke Heim im jetzigen Cosmarweg er- Staakener Dorfkirche ist seit 1991 durch
bauen lassen. Die Situation der Bevölke- Pfarrer Rauer und viele andere wieder sehr
rung war seit den Tagen der letzten Kämp- präsent geworden und gemeindliches Le-
fe im Mai 1945 immer wieder hoch dra- ben ist auch in diesem Gemeindeteil nun
matisch und durch mehrfache Umwälzun- wieder ganz anders möglich.
gen gekennzeichnet auch in den Jahren
nach 1990, damals durch Rück- Auch im 21. Jahrhundert sind wir, wie in
übertragungen. In den Zeiten der kreis- den 80er Jahren, (vgl. den Beitrag von W.
kirchlichen Überlegungen in Spandau über Böttler) nicht vor Fehlern und Irrtümern
„Gemeindeaufbau in Spandau“ wurde das gefeit. Dennoch dürfen wir, solange wir
Leben der Gemeinde Alt-Staaken Alb- „der Stadt Bestes“ suchen und uns den
rechtshof immer mehr eingeängt. Der ein- Bedürfnissen der Bevölkerung im Namen
zige gemeindlich nutzbare Raum war der Christi verpflichtet fühlen, im Anrufen
Anbau an der Dorfkirche (die jetzige Sa- Gottes mit seiner Gegenwart rechnen.
kristei.), da die Familie Haack im Gemein-
dehaus Hauptstraße 12 wohnen musste. Es
gab noch ein Gartengebäude in Albrechts-
hof und einige Bewohner auf dem
Staakener Kirchengelände, dem jetzigen
Sonnenhügel. Thomas Schäfer weist mich
jetzt auf Prediger König hin, der in den

41
Die Autorinnen und Autoren Niederstucke, Gerhard
war der erste Pfarrer der Gemeinde
Heerstraße – Nord von 1969 bis 1973.
Seit 1967 war er in der Arbeitsgruppe
Gemeindeaufbau in Spandau.

Ringhand, Klaus
Böttler, Winfried ist seit Dezember 2010 Vorsitzender des
war Pfarrer in der Gemeinde Heerstraße Gemeindekirchenrats der Evangelischen
– Nord von 1979 bis 1988. Kirchengemeinde zu Staaken

Grünberg, Wolfgang, Professor Dr. Schönbrodt, Constanze


war seit 1. November 1969 als Hilfspre- ist Auszubildende der ev. Kirchengemein-
diger in Heerstraße – Nord und seit de zu Staaken und ehrenamtliche Leiterin
1967 in der Arbeitsgruppe Gemeindeauf- der „Kirchenboutique“.
bau in Spandau. Seit 1971 Pfarrer. Er
blieb bis 1978. Senftleben, Ruth
gehörte dem ersten Gemeindekirchenrat
Hasselblatt, Cord der Gemeinde Heerstraße – Nord an und
ist seit 1991 Pfarrer in der Gemeinde begann ihre Mitarbeit im Laden am
Heerstraße – Nord bzw. der Evangeli- Loschwitzer Weg 15.
schen Kirchengemeinde zu Staaken.
Simang, Heidi (früher Meuser) gehörte
Henschel, Brigitte seit 1974 dem Gemeindekirchenrat an.
war „die erste weltliche Mitarbeiterin“
Ernst Langes an der Ladenkirche Am Skoppeck, Horst ist seit 2008 Präses
Brunsbütteler Damm (1. November der Spandauer Kreissynode (und war bei
1960) und begann am 1.1.1969 die der Einweihung des Gemeindehauses
Arbeit in der Gemeinde Heerstraße – 1971 anwesend!)
Nord (bis 1992).
Stiller, Erika war seit 1978 Gemeinde-
Laufmann, Heide schwester und Initiatorin der Kranken-
begann 1974 als Praktikantin in der wohnung im Pillnitzer Weg 8.
Jugendarbeit und ist seit 2002 Leiterin
der KiTa „Regenbogen“ Wiesinger, Klaus war 1971 als Vikar
in Heerstraße – Nord tätig und von 1985
Muhs, Jochen, Oberkonsistorialrat bis 2007 Pfarrer in der Gemeinde Heer-
begann 1972 als Jugendarbeiter und straße – Nord bzw. der Evangelischen
wurde 1974 Pfarrer der Gemeinde. Kirchengemeinde zu Staaken.

42
Zu guter Letzt - so ist es jetzt
Wer arbeitet heute wo in Pi8

Anfang der 90er Jahre hat Pfarrer Im ersten Stock ist rechts die Kranken-
Andreas Hochfeld weitgehend in mona- wohnung des Fördervereins unterge-
telanger Alleinarbeit den Kinderkeller im bracht. Auch das Büro der Integrations-
Untergeschoss erbaut. Dort findet bis firma Föv – Service für Gartenbau und
heute Dienstags die Kindergruppe mit Piet die Notrufzentrale befinden sich dort. Links
Menzel statt. sind die Büros der Hauspflege des
Förderervereins.. Auch eine privat ver-
In der Teestube findet mit Piet Menzel mietete Wohnung ist hier.
die Jugendarbeit im Gemeindeteil Heer-
straße – Nord statt. Im zweiten Stock sind links die Büros des
Mobilitätshilfedienstes des Förderervereins
Im Untergeschoss ist auch die Küche der untergebracht und ebenfalls eine privat
KiTa Regenbogen. vermietete Wohnung.
Rechts sind die Büros der Christophorus
Im Erdgeschoss geschieht im großen Ambulante Dienste Heerstraße – Nord
Saal seit dem 21. April 2006 in Zusam- gGmbh für ambulante palliative Versor-
menarbeit mit dem rbb und der Berliner gung, die in einer Kooperation zwischen
Tafel die Lebensmittelausgabe Laib & Förderverein und dem Krankenhaus
Seele. Havelhöhe (Anthro Med) betrieben wird.
Auch die Büros der Sozialstation Heerstra-
Am Dienstag und Donnerstag öffnet von ße – Nord für die Hauskrankenpflege sind
13.00 bis 16.00 Uhr die Kirchenboutique hier.
im kleinem Saal
Im dritten Stock befinden sich rechts eine
In der Sporthälfte des großen Saales tref- Pfarrdienstwohnung sowie links eine pri-
fen sich viele Gruppen und auch die Kin- vat vermietete Wohnung.
der der KiTa Regenbogen.

Auf der Halbetage sind die Räume der


KiTa Regenbogen. (Der Umzug in die
Räume des ehemaligen Spielhauses Obst-
allee 22B ist im Sommer 2011.)

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Impressum:
Herausgeber und Kontakt: Ev. Kirchengemeinde zu Staaken, Obstallee 22E, 13593 Berlin,
gemeindebrief@kirchengemeinde-staaken.de
Redaktion:Marion Götz, Cord Hasselblatt
Fotos: Klaus Ringhand und von privat
Druck: Evangelischer Kirchenkreis Spandau
Kto: Ev. Kirchenkreisverband Berlin Nord-West, Berliner Sparkasse, Nr. 81000 5000, BLZ 100 500 00,
Standort Spandau, Verwendungszweck: Ev. KG zu Staaken, Gemeindebrief.
Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Artikel, die mit dem Namen oder Initialen der Verfasserin / des Verfassers
gekennzeichnet sind, spiegeln nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion wider.

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