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22.04.20 1 14:42
WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R
Titelillustration: Golden Cosmos für DIE ZEIT
Wie eine anarchische Kinderbuch-Heldin Generationen von Menschen stark
gemacht hat. Und warum sie heute noch ein systemsprengendes Vorbild ist
DISKUSSION UM CORONA-MASSNAHMEN
Ein anderes Virus
Zweifel am Kurs der Politik müssen sein – aber der zunehmend giftige
Ton der Debatte wird der Lage nicht gerecht  VON GIOVANNI DI LORENZO
N D
eben Corona macht sich gerade
ein Virus breit, das zwar nicht
tötet, aber eine ganze Gesell-
schaft in Mitleidenschaft ziehen
könnte. Es ist das Gift der Ver-
harmlosung der Pandemie als
kollektive Hysterie und der Verunglimpfung aller
Maßnahmen zum Schutz vor Corona als eine Art
Virus-Diktatur. Daran beteiligen sich seit Anbe-
ginn Verschwörungstheoretiker, aber auch bis
dahin unauffälligere Wutbürger, neuerdings zudem
Kommentatoren sowie Politiker, die offenbar dem
nächsten Karrieresprung entgegenfiebern.
Mit jeder Woche, die der Lockdown andau-
ert, sind Zweifel und Kritik zwar nötiger denn je,
zu auffällig sind die Widersprüche der Corona-
Politik: Egal, ob es sich um die Schließung von
Kitas und Schulen, die Maskenpflicht oder die
Kontrolle von Grenzen handelt – Virologen, die
das anfänglich forderten, wurden von Politik
und Medizinerkollegen als profilsüchtige Panik-
macher diskreditiert, bevor dann eben genau
diese Maßnahmen doch verabschiedet wurden.
Und warum es für einen Menschen risikoreicher
sein soll, eine Kirche zu betreten als einen Bau-
markt, oder warum ein Bekleidungsladen mit
800 Quadratmeter Grundfläche gefährlicher
sein soll als ein wuseliger Gemüseladen, ist in der
Tat kaum jemandem zu vermitteln. In weiser
Voraussicht hat der umständehalber besonders
aktive Gesundheitsminister Jens Spahn gerade
verkündet: »Wir werden in ein paar Monaten
wahrscheinlich ein­an­der viel verzeihen müssen.«
Die Bürgerinnen und Bürger demonstrieren
alles andere als Untertanendenken
Alles in allem aber hat Deutschland keinen
Sonderweg beschritten, und seine Bürgerinnen
und Bürger, die die Maßnahmen mit enorm
hoher Zustimmung mittragen, demonstrieren
alles ­andere als Untertanendenken, wie ihnen
schon unterstellt wurde. Fast alle vergleichbaren
Länder haben ähnliche oder sogar noch stren­
gere Einschränkungen beschlossen, und dort,
wo am Anfang kleingeredet oder geleugnet wur-
de, wie in den USA oder Brasilien, ist das Desas-
ter groß. Deutschland hingegen hat sich bislang
in der Corona-Krise so verhalten, dass alle Welt
ungläubig auf die Zahlen schaut. Die Internatio-
nale der Quartalsirren mutmaßt bereits, bei uns
würden Leichen einfach versteckt oder ­umde­kla­
Pippi Langstrumpf wird 75
Keine Angst
vor niemand!
Z – ZEIT ZUM ENTDECKEN UND KINDERSEITE
riert, die hochseriöse New York T ­ imes fragt ­an­
erken­nend, wie Deutschland es wohl geschafft
hat, eine so geringe Todesrate zu haben.
Tatsächlich hat das Land leicht verspätet, aber
dann doch effizient reagiert (von der Beschaffung
der Masken und der überfälligen Einführung einer
Corona-App einmal abgesehen), die Menschen sind
diszipliniert, das Gesundheitssystem hat sich als
besser erwiesen als sein Ruf. Doch nun läuft Psy-
chologie gegen Mathematik. Die Psychologie lässt
einen sagen: Ich kann nicht mehr! Oder: Ich brau-
che mehr Unterstützung als andere! Die Mathe-
matik hingegen misst Erkrankungskurven und
definiert Linien, unter denen die Ansteckungs-
quote bleiben muss, damit sich die Zahl der Infi-
zierten erst stabilisiert und dann verringert – und
mit ihr die Todesraten. Die Trends kann man leider
immer erst mit wochenlangem Abstand erkennen,
deshalb mahnen die meisten Mediziner und die
mathematikaffine Kanzlerin zur Vorsicht.
In diese explosive Gemengelage platzte dann
noch ein Interview von Wolfgang Schäuble im
Tagesspiegel. Sein Wort, dass nicht alles vor dem
Schutz von Leben zurücktreten müsse, hat zwar
sein Wahres: Schließlich verbietet der Staat auch
nicht das Rauchen, das Autofahren oder das­
Arbeiten im Haushalt, was allein mehr als
10.000 Tote im Jahr verursacht. Der Unterschied
zu den Corona-Toten aber ist: Kaum ein Mensch
nimmt freiwillig in Kauf, sich mit dem Virus zu
infizieren. Und in der Abwägung, was für das
Wohlergehen eines Landes maßgebend ist, darf
niemals das Kriterium eine Rolle spielen, dass
etwa das Leben von Menschen über 80 oder das
von Vorerkrankten nicht ganz so wichtig sei.
Aber man kann sehr wohl besonders Gefähr-
dete besser schützen, ohne sie in Pflegeheimen zu
isolieren. Man kann anderen, die kein größeres
Risiko eingehen, Freiheiten zurückgeben, ohne die
keine Gesellschaft auf Dauer leben kann, auch und
vor allem, wenn es darum geht, den eigenen­
Lebensunterhalt bestreiten zu können. Man kann
mehr testen und mehr tracken. Man kann und
muss auch mehr streiten. Was wir nicht ändern
können, ist eine Politik, die nach dem Prinzip Ver-
such und Irrtum agieren muss, ob es uns gefällt oder
nicht. Doch sie kann sehr wohl ihren Kurs ändern,
manchmal muss sie es auch. Und sie kann den
Thesenrittern vom Orden der Corona mit Nüch-
ternheit und Geduld begegnen.
AA www.zeit.de/audi
29. APRIL 2020 N o 19
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22.04.20 2 13:23
Yesterday
Ex-Beatle Paul
McCartney spricht
über sich und
seine verstorbene
erste Frau Linda
Magazin
Ein
Supergauner
Der Betrüger Mike
Wappler erzählt, wie
er seine reichen
Opfer blendete
Dossier, Seite 13
Wo bleiben
die Frauen?
Julia Jäkel schlägt
Alarm: Wieso
dominieren in
der Krise plötz-
lich wieder
die Männer?
Streit, Seite 11
STAATLICHE MILLIARDENHILFEN
Was wirklich lohnt
Es ist an der Zeit, dem Retten eine Richtung zu geben und die
Wirtschaft grüner und digitaler zu gestalten  VON UWE JEAN HEUSER
PROMINENT IGNORIERT
eutschland wird weltweit be- Klimafrage zu verzahnen. Das Retten soll eine zu-
neidet, weil es sich riesige Ret-
kunftsgewandte Richtung, ja überhaupt einen
tungspakete leisten kann. Dochgreifbaren und vorzeigbaren Inhalt bekommen.
diese Großzügigkeit muss ein- Das spricht nicht gegen den »Corona-Schutz-
malig bleiben und darf nicht schild« der Bundesregierung. Nicht gegen die­
zum neuen Normal werden. Soforthilfe, die Kredite, die möglichen Staatsbetei-
Gerade die Deutschen haben ja in den vergange- ligungen, die vielen ihr Auskommen retten und das
nen zehn Jahren die Erfahrung gemacht, dass es Vertrauen ins Land stärken. Doch statt diese Pro-
sich lohnt, sich einen Aufschwung zu erarbeiten gramme erst einmal wirken zu lassen, kommen
und dann zu sparen – um später im Krisenfall aus täglich neue Forderungen hinzu. Für Groß und
dem Vollen schöpfen zu können. Umso mehr Klein, für die Gastronomie oder die Autoindustrie,
sollte man jetzt, da das Staatsgeld fließt, fragen,
ganz egal. Nur ist Wirtschaft schon zu normalen
Schicksal
wie eine leistungsfähige Wirtschaft nach der Kri- Zeiten ein Prozess von Schöpfung und Zerstörung. Während der Löscharbeiten an ei-
se aussehen soll. Will man da wirklich alle alten Strukturen retten nem Brand in Neuberg-Ravolz-
Die erste Antwort lautet: am besten nicht wie – oder nicht besser neuen Wohlstand schaffen? hausen (Hessen), bei dem bloß
vorher! Das Allgemeine beweist sich im Konkreten. Die Sachschaden entstand, wurde ein
Schon bevor die Viruskrise ausbrach, offen- Autoindustrie verlangt nach staatlichen Kaufprä- Feuerwehrmann wegen mutmaßli-
barte die hiesige Wirtschaft ungewohnte Schwä- mien für ihre Autos – gerne, aber doch nicht für cher Brandstiftung verhaftet. In Max
chen. Die Erfolgsmasche, der Welt immer mehr CO₂-Schleudern. Wenn schon, sollte Deutschland Frischs Drama Biedermann und die
Autos und Maschinen zu liefern, stieß an ihre den Kauf von Öko-Autos mit Strom-, Wasserstoff- Brandstifter heißt es: »Feuergefähr-
Grenzen. Das liegt nicht nur am wachsenden­ oder wenigstens Hybridantrieb unterstützen und lich ist viel, / Aber nicht alles, was
Widerstand gegen das deutsche Exportmodell in gleichzeitig mehr Ladestellen aufbauen und Wind- feuert, ist Schicksal ...« Schicksal zu
Washington oder Paris, sondern auch daran, dass und Sonnenkraft forcieren. Das Land würde einen spielen steht selbst einem Feuer-
die Weltwirtschaft in schnellen Schritten digitaler
Modernisierungsschub erleben. wehrmann nicht zu.  GRN.
und grüner wird. Man sieht es am relativ kleinen Ungleich größer ist das Beispiel des europäi-
kalifornischen E-Auto-Bauer Tesla, der inzwischen schen Konjunkturpakets, das vielleicht eine Bil­lion Kleine Bilder (v. o.): Watford/Mirrorpix/Getty
Images; allezhopp Studio für DIE ZEIT;
an der Börse alle deutschen Auto-Riesen überholt Euro vor allem in die Krisenländer des Südens Westend61/Getty Images
hat. Elon Musks Firma produziert keine klassischenspülen wird. Statt x-beliebige Ausgaben in Italien
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
oder Frankreich zu ermöglichen, sollte die EU­
Autos, sondern eine Art ­iPhone auf Rädern, digital 20079 Hamburg
vernetzt und elektrisch angetrieben. damit bevorzugt die Infrastruktur für schnelles Telefon 040 / 32 80 ‑ 0; E-Mail:
Internet und grüne Energie finanzieren. DieZeit@zeit.de, Leserbriefe@zeit.de
Die Lehre der Krise: Das Digitale läuft Und doch jagt der Klimaschutz vielen Ange- ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de;
weiter, wenn Geschäfte und Büros schließen stellten und Unternehmern Angst ein. Jetzt nicht ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de
auch noch das, rufen sie, wir haben genug Proble-
Die Deutschen haben da einiges nachzuholen, sie me. Bestärkt werden sie in ihrer Furcht durch­ ABONNENTENSERVICE:
brauchen Glasfasernetze fürs Internet genauso wie Kapitalismusgegner, die nun – die Krise als ­Chance Tel. 040 / 42 23 70 70,
Fax 040 / 42 23 70 90,
Stromtrassen für Wind- und Sonnenenergie. Und für alles, was man eh schon immer wollte – eine E-Mail: abo@zeit.de
sie machen gerade eine überraschende Erfahrung: Abkehr vom Wachstum verlangen. Doch Wachs-
So abgründig die digitale Wirtschaft mit ihren tum fehlt den Menschen nie so sehr wie zu Zeiten, PREISE IM AUSLAND:
Fake-­News und Datenschutzverletzungen zuletzt in denen es in weite Ferne rückt. Deshalb muss klar DK 58,00/FIN 8,00/E 6,80/
CAN 7,30/F 6,80/NL 6,00/
erschien, sichert sie in der jetzigen Krise doch­ sein: Klimaschutz ist ebenso wie die Digitalisierung A 5,70/CH 7.90/I 6,80/GR 7,30/
Arbeit. Das Digitale läuft einfach weiter, wenn ein Innovationsprogramm für mehr und nicht B 6,00/P 7,10/L 6,00/H 2560,00
Geschäfte und Büros schließen müssen – im weniger Wohlstand. Der Staat gibt den Anstoß,
o
N 19
Home­office oder bei Amazon. damit die Wirtschaft sich modernisiert und neue
Wer erst einmal an die Sicherung unserer Welt Arbeit schafft. Davon zeugen boomende Städte wie
denkt, kommt um die Abwehr der Klima­be­ Kopenhagen oder Zürich, die in Richtung Klima-
drohung kaum herum. Wenn Greta Thunberg vor neutralität vorneweg marschieren. 7 5. J A H RG A N G C 7 45 1 C
Corona recht hatte, dann jetzt keinen Deut weni- Es ist an der Zeit, dem Retten eine Richtung
ger, denn die Klimakrise geht weiter, wie Bauern zu geben, weil es nur dann am Ende auch gelin-
gerade lebhaft berichten können. Sechzig deutsche gen kann. 19
Unternehmen riefen diese Woche die Bundesregie-
rung zu Recht auf, die Corona-Rettung und die AA www.zeit.de/audi 4 190745 105507
2 POLITIK 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

Gescheitert?
Inkompetenz, Verschwörungstheorien und Wunderheilmittel: Wie die Pandemie den Amerikanern zeigt, dass sie unter einem korrupten Regime leben  VON GEORGE PACKER
Foto: Thomas Höpker/Magnum Photos/Agentur Focus

Die Anschläge vom 11. September 2001 brachten die Amerikaner zusammen. Die Corona-Krise trennt sie voneinander

A
ls das Virus in den USA ein­ Wirtschaftskrise, Weltkrieg und Kalter Krieg in der Wie ein ungezogener Junge, der brennende siert. Stattdessen teilte sich die öffentliche Meinung Teststationen zu schaffen. Dazu kam es nie. Er
traf, fand es ein Land mit Erinnerung sehr präsent waren. Damals betrachteten Streichhölzer auf eine ausgetrocknete Wiese wirft, selbst dann, als das Virus sich vom Demokraten- auf machte inkompetente Gouverneure für den­
schweren Vorerkrankungen vor die Menschen im ländlichen Kernland New York begann Trump, das zu opfern, was vom staatsbürger­ das Republikaner-Terrain ausbreitete, entlang der Mangel an Ausrüstung und Schutzkleidung ver­
und nutzte sie skrupellos aus. noch nicht als fremdartige Ansammlung von Ein­ lichen Leben im Lande noch übrig war. Er hat nie bekannten parteipolitischen Fronten. antwortlich.
Chronische Leiden – eine kor­ wanderern und Liberalen, die ihr Schicksal verdient auch nur so getan, als wäre er der Präsident des ganzen Das Virus hätte auch ein starker Gleichmacher Das Hereinschneien dieses blassen Dilettanten im
rupte politische Klasse, eine er­ hatten, sondern als großartige amerikanische Stadt, Landes. Stattdessen hat er uns entlang der Grenzen sein müssen, doch von Anfang an wurden seine Aus­ schmalen Anzug mitten in eine tödliche Krise si­gna­
starrte Bürokratie, eine herzlose die im Namen des ganzen Landes einen schweren von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, Religion, wirkungen durch die Ungleichheit verzerrt, die wir li­siert den Zusammenbruch eines ganzen Regierungs­
Wirtschaft, eine gespaltene, abgelenkte Bevölke­ Schlag erlitten hatte. Feuerwehrleute aus Indiana Bildungsgrad, Region und parteipolitischer Präferenz schon so lange hinnehmen. Als Testkits nicht aufzu­ modus – mag er auch noch so sehr mit Ausdrücken
rung – waren seit Jahren nicht behandelt worden. legten über 1200 Kilometer zurück, um sich an den ge­gen­ein­an­der ausgespielt. Sein wichtigstes Werkzeug treiben waren, gelang es den Reichen und gut Ver­ aus dem BWL-Studium um sich werfen, um das
Wie schwerwiegend sie waren, offenbarte sich erst Rettungsmaßnahmen am Ground Zero zu beteiligen. beim Regieren war die Lüge. Ein Drittel des Landes netzten – Model und Reality-TV-Moderatorin Heidi eklatante Versagen der Regierung seines Schwieger­
durch die direkte Erfahrung einer Pandemie. Sie Unsere spontane Re­ak­tion als Bürger bestand darin, schloss sich in einem Spiegelkabinett ein, das es für Klum, sämtlichen Spielern der Basketball-Mannschaft vaters zu verschleiern. Wie sich zeigt, sind wissen­
erschütterte uns Amerikaner mit der Erkenntnis, zu trauern und uns gemeinsam stark zu machen. die Realität hielt; ein Drittel verlor bei dem Versuch, Brooklyn Nets, den konservativen Verbündeten des schaftliche Sachverständige und andere Staatsbeamte
dass wir zur Hochrisikogruppe gehören. Durch parteipolitisches Kalkül und katastrophale an der Vorstellung einer erfassbaren Wahrheit fest­ Präsidenten – irgendwie dennoch, sich testen zu las­ keine verräterischen Mitglieder eines deep ­state,
Die Krise erforderte rasches, rationales, gemein­ politische Entscheidungen, insbesondere zum Irak- zuhalten, fast den Verstand; und ein Drittel gab sogar sen, und das, obwohl viele von ihnen gar keine Symp­ sondern unverzichtbare Arbeitskräfte. Werden sie
sames Handeln. Stattdessen reagierten die Vereinig­ Krieg, wurde das Gefühl der nationalen Einheit aus­ diesen Versuch auf. tome hatten. Normale Bürger mit Fieber und Schüt­ zugunsten von Ideologen und Hofierern ausgegrenzt,
ten Staaten wie Pakistan oder Weißrussland – wie ein gelöscht und eine Verbitterung gegenüber der poli­ Trump übernahm eine Regierung, die nach jahre­ telfrost mussten in langen Schlangen warten, um am gefährdet das die Gesundheit der Bevölkerung. Wie
Land mit minderwertiger Infrastruktur und einer tischen Klasse gefördert, die nie ganz abgeklungen langen rechtsgerichteten ideologischen Angriffen, Ende doch abgewiesen zu werden. Im Internet kur­ sich zeigt, sind »agile« Unternehmen nicht in der
dysfunktionalen Regierung, deren Chefs zu korrupt ist. Durch die zweite Krise – den Zusammenbruch einer Politisierung durch beide Parteien und stetigem sierte der Witz, man könne nur auf eine Weise heraus­ Lage, sich auf eine Katastrophe vorzubereiten oder
oder zu dumm waren, um massenhaftes Leid abzu­ des Finanzsystems im Jahr 2008 – wurde sie noch Zusammenstreichen der Mittel gelähmt war. Er finden, ob man an dem Virus erkrankt sei: indem man lebensrettende Güter zu verteilen – das schafft nur
wenden. Die US-Regierung vergeudete zwei un­ verstärkt. Die verantwortlichen Spitzenbanker wur­ machte sich daran, die Sache zu Ende zu bringen und einem reichen Menschen ins Gesicht niese. eine kompetente Regierung. Wie sich zeigt, hat alles
wiederbringliche Monate, die sie zur Vorbereitung den öffentlich angeprangert, aber nicht strafrechtlichden Staatsapparat vollends zu zerstören. Er verjagte seinen Preis, und die jahrelangen Attacken auf den
hätte nutzen können. Der Präsident zeichnete sich verfolgt. Die meisten konnten ihr Vermögen behal­ einige der erfahrensten Beamten, ließ entscheidende Die jahrelangen Attacken auf den Staatsapparat, der ausgehöhlt und in seiner Moral
durch vorsätzliche Blindheit, Schuldzuweisungen, ten, einige auch ihre Stelle. Schon bald waren sie Stellen unbesetzt und setzte den eingeschüchterten Staatsapparat haben einen tödlichen Preis geschwächt wurde, bezahlt die Bevölkerung nun mit
Prahlereien und Lügen aus, seine Sprachrohre ver­ wieder voll dabei. Überlebenden loyale Anhänger vor die Nase – mit Menschenleben.
breiteten Verschwörungstheorien und priesen Wun­ All das dauerhafte Leid bekamen Amerikaner in einem einzigen Ziel: seinen eigenen Interessen zu In normalen Zeiten fällt den meisten Amerikanern Der Kampf zur Bewältigung der Pandemie muss
derheilmittel. der Mitte und am unteren Rand der Gesellschaft zu dienen. Durch seine legislative Hauptleistung, eine diese Art von Privileg kaum auf, doch in den ersten auch ein Kampf dafür sein, dass die Gesundheit
Den ganzen schier endlosen März über stellten spüren. Sie verloren ihre Arbeit, ihr Zuhause und ihreder größten Steuersenkungen in der Geschichte des Wochen der Pandemie löste sie Empörung aus. Die unseres Landes wiederhergestellt und es neu aufge­
die Amerikaner jeden Morgen beim Aufwachen fest, Altersvorsorge. Viele erholten sich nie wieder davon. Landes, flossen Unternehmen und Reichen Hunderte­ krasse Ungleichheit unseres Gesundheitssystems trat baut wird. Andernfalls können wir all das Elend und
dass sie in einem gescheiterten Staat lebten. Da es Die Ungleichheit verschärfte sich weiter. Mil­liar­den Dollar zu. Die Nutznießer strömten in angesichts der Leichen-Kühlwagen deutlich zutage, das Leid, das wir jetzt ertragen müssen, niemals
keinen nationalen Plan, keine einheitlichen Anwei­ Scharen in seine Ferienanlagen und ließen ihm Geld die vor staatlichen Krankenhäusern warteten. wiedergutmachen. Unter der jetzigen politischen
sungen gab, mussten Familien, Schulen und Büros Trump hat nie auch nur so getan, als wäre er zukommen, um seine Wiederwahl zu sichern. Waren Am unverfälschtesten verkörpert den politischen Führung wird sich nichts ändern. So wie sich durch
selbst entscheiden, ob sie einen Shutdown durch­ der Präsident des ganzen Landes Lügen sein Mittel bei der Machtausübung, so war Nihilismus Trumps Schwiegersohn und Berater Jared den 11. September und das Jahr 2008 das Vertrauen
führen und Schutz suchen sollten. Als sich heraus­ Korruption sein Ziel. Kushner. Er wurde 1981 in eine wohlhabende Fami­ in die alte politische Klasse abgenutzt hat, so wird das
stellte, dass Tests, Masken, Kittel und Beatmungs­ Diese zweite Krise trieb einen Keil zwischen Ober- Das war die Landschaft, die das Virus in den lie mit Immobilienimperium hineingeboren. Trotz Jahr 2020 der Vorstellung endgültig ein Ende setzen,
geräte knapp waren, baten Gouverneure das Weiße und Unterschicht, Republikaner und Demokraten, USA vorfand: In reichen Städten eine Schicht seiner mäßigen schulischen Leistungen bekam er Anti-Politik sei unsere Rettung. Doch ein Schluss­
Haus um Hilfe. Dieses jedoch zauderte und wandte Städter und Landbewohner, gebürtige Amerikaner weltweit vernetzter, in Büros arbeitender Men­ einen Studienplatz in Harvard, nachdem sein Vater­ strich unter dieses Re­gime, so notwendig und ver­
sich dann an die Wirtschaft, die aber nicht liefern und Einwanderer, gewöhnliche Bürger und politische schen, angewiesen auf eine prekäre Klasse unsicht­ Charles der Universität eine Spende in Höhe von 2,5 dient er auch sein mag, wäre erst der Anfang.
konnte. Die Bürger holten die Nähmaschinen heraus Führungskräfte. Schon seit Jahrzehnten waren die barer Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich. Auf Millionen US-Dollar zugesagt hatte. Der Vater half Die Krise macht unausweichlich klar, dass wir vor
und versuchten, das unzureichend ausgerüstete sozialen Bindungen einer immer stärkeren Belastung dem Land zugrunde gehende Gemeinden, die sich seinem Sohn auch beim Einstieg in das Familien­ einer Wahl stehen. Entweder wir verbarrikadieren
Krankenhauspersonal gesund und dessen Patienten ausgesetzt, nun begannen sie sich aufzulösen. gegen die moderne Welt auflehnten. In den sozia­ unternehmen mit Darlehen in Höhe von zehn Mil­ uns weiter in der Selbstisolation, meiden ein­an­der
am Leben zu halten. Russland, Taiwan und die Ver­ Beide Parteien begriffen erst langsam, wie stark len Medien gegenseitiger Hass und endlose wechsel­ lionen Dollar. Kushner setzte seine elitäre Ausbildung angstvoll und lassen zu, dass das, was uns verbindet,
einten Nationen schickten humanitäre Hilfe ins sie an Glaubwürdigkeit eingebüßt hatten. Politik seitige Beschimpfungen der verschiedenen Lager. an der New York University fort. Sein Vater hatte der vollends verschwindet.
reichste Land der Welt – in eine Bettlernation im würde von nun an populistisch sein. Die Vorreiterin In der Wirtschaft trotz Vollbeschäftigung eine gro­ Hochschule drei Millionen Dollar zukommen lassen. Oder wir lernen aus diesen furchtbaren Tagen,
heillosen ­Chaos. Donald Trump betrachtete die dieser Entwicklung war S­ arah ­Palin, die absurd un­ ße, wachsende Kluft zwischen triumphierendem Kushner ist als Wolkenkratzer-Besitzer und als dass Dummheit und Ungerechtigkeit lebensgefähr­
Krise nahezu ausschließlich aus persönlicher und vorbereitete Vizepräsidentschaftskandidatin, die für Kapital und Not leitenden Arbeitern. In Washing­ Zeitungsverleger gescheitert, hat aber immer jeman­ lich sind; dass Bürger zu sein Arbeit bedeutet, die für
politischer Perspektive. Aus Angst um seine Wieder­ Fachwissen nur Verachtung übrig hatte und sich am ton eine leere Regierung unter Führung eines den gefunden, der ihn rettete. Als sein Schwiegervater eine Demokratie wesentlich ist; dass die Alternative
wahl erklärte er die Corona-Pandemie zum Krieg und Prominentsein berauschte. Sie war ­Donald Trumps Hochstaplers und seiner geistig bankrotten Partei – Präsident wurde, erlangte er schnell Macht in einer zur Solidarität der Tod ist. Wenn wir alle wieder aus
sich selbst zum Kriegspräsidenten. Johannes der Täufer. und im ganzen Land eine von Zynismus und Er­ Regierung, die Dilettantismus, Vetternwirtschaft und unseren Verstecken aufgetaucht sind und die Schutz­
Trotz zahlloser Beispiele für Mut und Opfer­ Trumps Sieg fußte auf der Verschmähung des schöpfung geprägte Stimmung, ohne jegliche Visi­ Korruption zu Leitprinzipien erhob. Solange er sich masken abgenommen haben, sollten wir nicht ver­
bereitschaft von Menschen überall in den USA republikanischen Establishments. Doch schon bald on einer gemeinsamen Identität oder Zukunft. nur mit dem Frieden im Nahen Osten befasste, gessen, wie es sich anfühlte, allein zu sein.
handelt es sich um ein Scheitern auf nationaler wurden sich die konservative politische Klasse und Wenn es sich bei der Pandemie tatsächlich um konnte­den meisten Amerikanern sein überflüssiges
Ebene. Und dies sollte eine Frage aufwerfen, die der neue Mann an der Spitze einig. Ungeachtet ihrer eine Art Krieg handelt, ist es der erste seit anderthalb Hineinpfuschen egal sein. Doch seit er ein einfluss­ George Packer ist einer der bekanntesten Reporter der
die meisten Amerikaner sich nie stellen mussten: Meinungsverschiedenheiten bei Themen wie Handel Jahrhunderten, der auf diesem Boden ausgetragen reicher Berater des Präsidenten in der Coronavirus- USA. »Die Abwicklung«, sein Buch über die Folgen
Haben wir das nötige Vertrauen zu unserer poli­ und Zuwanderung verfolgten sie ein gemeinsames wird. Invasion und Besetzung bringen die Bruch­ Pandemie ist, ist das Resultat ein Massensterben. der Finanzkrise, gewann 2013 den National Book
tischen Führung und zu­ein­an­der, um gemeinsam Ziel: öffentliche Finanzen und Vermögen zugunsten linien einer Gesellschaft zum Vorschein, verdeut­ In der ersten Woche in dieser neuen Funktion Award. Er schreibt für »The Atlantic«
gegen eine tödliche Bedrohung vorzugehen? Kön­ privater Interessen auszubeuten. Geldgeber und lichen grundlegende Wahrheiten und lassen aus der verfasste Kushner die schlechteste Oval-Office-
nen wir uns noch selbst regieren? Poli­tiker der Republikaner, die wollten, dass die­ Tiefe den Gestank von Verwesung aufsteigen. Rede mit, an die man sich erinnert, er unterbrach Aus dem Englischen von  Bettina Röhricht
Dies ist die dritte große Krise im jungen 21. Jahr­ Regierung so wenig wie möglich für das Gemeinwohl Eigentlich hätte das Virus bewirken müssen, dass die wichtige Arbeit anderer Amtsträger und machte © 2020 The Atlantic Media Co., zuerst veröffentlicht
hundert. Die erste, die sich am 11. September 2001 tat, konnten mit einer Führung leben, die vom Re­ sich die Amerikaner gegen die gemeinsame Bedro­ törichte Versprechungen, die sich schon kurz da­ in »The Atlantic Magazine«
ereignete, kam zu einer Zeit, als die Amerikaner ge­ gieren kaum eine Ahnung hatte. Und sie machten hung zusammenschließen. Und vielleicht wäre das rauf in nichts auflösten. Er erklärte etwa, er werde
danklich noch im vorigen Jahrhundert lebten und sich zu Trumps Lakaien. unter einer anderen politischen Führung auch pas­ seine Beziehungen nutzen, um Drive-through- AA www.zeit.de/audi
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 POLITIK 3

Gelungen?
In Wuhan, dem Epizentrum der Corona-Seuche, inszeniert Chinas KP die erfolgreiche Eindämmung des Virus  VON XIFAN YANG
Foto: Hector Retamal/AFP/Getty Images (gr); kl. Fotos (u., v. l.): Stringer/Getty Images (3)

Nach dem Ende des Lockdowns in Wuhan: Bewohner an einem der vielen Seen der Stadt

E
Wuhan Lu fragt sich seither, ob ihr Mann heute noch Wiedereröffnung am 11. Februar« steht an den der Corona-Krise das Fass der Unzufriedenheit lichen Medien war die Lebensmittelversorgung in
ine Glocke aus Nieselregen und am Leben wäre, hätte das Gesundheitssystem die verriegelten Türen von Geschäften. Noch öfter über die politische Führung zum Überlaufen ge- Wuhan zu jedem Zeitpunkt gesichert. Die Wirk-
Dunst hängt über Wuhan, als Lu beiden nicht im Stich gelassen. Sie fragt sich, wa- liest man: »Neue Mieter gesucht«. So schnell wer- bracht sei. Inzwischen, sagt er, habe er jegliches lichkeit sah in den ersten Wochen des Lockdowns
Nan* mit einer Tüte voller Papier- rum sie umgerechnet 1000 Euro in bar für ihre den sich vermutlich keine finden. Die Corona- Gefühl dafür verloren, wie groß der Frust wirklich anders aus, sagt Zhu Hai. Man muss sich den chi-
geld und kleiner Goldbarren aus Behandlung hinlegen musste, obwohl der Staat die Krise wird Wuhan mit seinen elf Millionen Ein- ist – und wie authentisch der Stolz vieler Lands- nesischen Staatsapparat vielleicht vorstellen wie
Pappe zum Grab ihres Mannes Kostenübernahme für alle Corona-Erkrankten ga- wohnern ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung leute, das Virus mit erzwungener und freiwilliger ein Auto, das zwar auf Druck Vollgas geben kann,
aufbricht, Totengeschenke für den rantiert hatte. Und wie sie in Zukunft ihr Leben kosten, schätzen Ökonomen, Privatunternehmen Disziplin weitgehend eingedämmt zu haben. Ge- aber mit kaputtem Scheibenwischer und ohne
Verstorbenen. Sie steigt das ruß- bestreiten soll, falls sie nicht mehr arbeiten kann. gehen bereits reihenweise bankrott. Ladenbesitzer rade für die Mittelschicht habe der Tod des Arztes Licht durch den Regen fährt. Krankenhäuser wur-
schwarze Treppenhaus hinunter in den Hof, wirft Ihre Lunge schmerzt noch immer, ihren rechten fordern in kleinen Protestaktionen auf der Straße Li Wenliang einen Weckruf bedeutet. Doch die den binnen Tagen aus dem Boden gestampft, doch
einen Blick auf einen verblassten Zettel am Ein- Arm kann sie nur mit Mühe heben. Anspruch auf Mietminderung und Soforthilfe. Der Staat hat al- Gesellschaft habe sich wieder in ihrem gewohnten zugleich behinderte ein Dickicht widersinniger
gang, auf dem »Hier leben Bewohner mit Fieber« eine gesetzliche Rente hat sie in Wuhan nicht. lerdings Angst vor einer neuen Schuldenblase und Verdrängungsmodus eingerichtet, sagt Murong Vorschriften und Fahrverbote die Versorgung.
steht, geht vorbei an dem Wärter im Schutzanzug, Schicksale wie das von Lu Nan fallen aus dem geizt mit Unterstützung. Xuecun. Vielen reiche es, dass die Regierung sich So transportierten Behörden Gemüse in Müll-
dem sie einen grünen Gesundheitscode auf ihrem Raster der offiziellen Erzählung der chinesischen Und da sind die Ungewissheit und die Fragen: entschuldigt und die lokalen Verantwortlichen lastern. Bürger schmuggelten Hilfsgüter in Kran-
Handy entgegenstreckt. Er weicht einen Schritt Regierung. Die Menschen, so wünscht es die Wie hoch ist die Zahl der Corona-Toten in Wu- ausgetauscht habe. kenwagen, weil Lkw die Checkpoints nicht passie-
vor ihr zurück, aber winkt sie durchs Tor. Kommunistische Partei, sollen nach vorn blicken: han wirklich, nachdem am 17. April plötzlich die Die staatliche Propaganda dirigiert geschickt ren durften. Zhus Gruppe war eine Art Notfahr-
»Vor Kurzem ist er noch vor mir weggelaufen«, »Wuhan geht zurück an die Arbeit«, »Wuhan hat offizielle Bilanz um 1290 auf 3869 Opfer korrigiert die Fragen nach dem Ursprung der Corona-Epi- dienst. Privatleute aus dem ganzen Land schickten
sagt Lu, keine 1,50 Meter groß, 64 Jahre alt, durchgehalten«, so beglückwünscht die Stadtregie- wurde? Wo kam das Virus her? Wohin ist die kollek- demie. Die verblichenen Poster der Military World Schutzmaterial und Nahrung. Zhu Hai und ande-
schwarze Regenjacke, sanfte Augen hinter der OP- rung ihre Bürger in überlebensgroßen Leuchtbot- tive Wut über den Tod des Arztes Li Wenliang ent- ­Games im Oktober 2019 hängen noch immer in re verteilten sie an Krankenhäuser und Bewohner.
Maske. Mitte März war das. Ihr Gesundheitscode schaften, die jeden Abend über Hochhausfassaden wichen, der für seine frühen Warnungen vor dem der Stadt – ein wenig subtiler Hinweis auf die Ver- Das »Kleine Licht« hatte 80 Mitglieder. Es gab
leuchtete damals gelb. Lu war gerade aus dem flimmern. Der starken Hand der Partei sei es zu Virus von den Behörden gemaßregelt wurde und schwörungstheorie, wonach fünf US-Athleten, die unzählige weitere Gruppen, an die hunderttau-
größten Quarantäne-Lager der Stadt entlassen verdanken, dass 99 Prozent der Bezirke inzwischen schließlich selbst an Covid-19 starb? Was geschah in während der Wettkämpfe wegen Malaria-Fieber send Bürger engagierten sich ehrenamtlich. »Ein-
worden. 28.000 Quadratmeter, 3840 Betten. Ihr frei seien von der Epidemie, loben Staatsmedien. den dunklen Stunden des Lockdowns? behandelt wurden, das Coronavirus in die Stadt mal haben wir zweieinhalb Tonnen Gemüse in
Mann war zu dem Zeitpunkt bereits Asche. Die Nachbarschaftskader wachen, unterstützt von Auf der Suche nach Antworten trifft man auf gebracht haben sollen. Nach einer anderen Variante, eine Wohnanlage gebracht«, erzählt Zhu Hai. Die
Vor vierzig Jahren hatten sie in einem Bauern- Freiwilligen, an Kreuzungen und den Eingängen Schweigen und verwischte Spuren. Die Mitarbeiter die auch Wuhans Taxifahrer gerne aufwärmen, Rentner hätten sich dort um die Ware geprügelt,
dorf nördlich von Wuhan geheiratet, 2001 zogen der über 7000 Wohnanlagen Wuhans, wo überall in den Krematorien, so ist zu hören, wurden ausge- sollen unter den Millionen Grippekranken in weil ihre Kühlschränke seit Tagen leer gewesen
sie in die Großstadt, den Traum von einem besse- blaue Zelte der Katastrophenhilfe als Checkpoints tauscht, um das Personal vor neugierigen Fragen ab- den USA schon im September 2019 zahlreiche seien. Hausverwalter, die wie Kleinfürsten in ihren
ren Leben für sich und ihren Sohn im Gepäck. Ihr postiert sind. Nur Bewohner mit grünem Gesund- zuschirmen. Kritische Blogger sind verschwunden. Corona-­Infizierte gewesen sein. Eine Untersuchung Wohnanlagen regierten, unterschlugen Hilfsliefe-
Mann arbeitete als Wachmann, sie kellnerte hier heitscode dürfen passieren, das gilt auch für das Der berüchtigte Huanan Seafood Market, wo das der Herkunft des Virus durch internationale­ rungen oder verkauften sie an die Höchstbieten-
und da. Vor zwei Jahren heuerte sie als Putzfrau in Betreten von Shoppingmalls, U-Bahn-Stationen Virus auf den Menschen übergesprungen sein soll, Wissenschaftler lehnt Peking ab. den. Zhu Hai führte darum penibel Buch über
einer Zweigstelle des Wuhan Central Hospital an. und dem Nudelimbiss von nebenan. Elektronische ist mit Trennwänden abgesperrt. Geblieben ist ein Zhu Hai*, 22, glaubt der staatlichen Propagan- jede Spende, seine Akten füllen mehrere Ordner.
Lu schrubbte die Böden auf der Chi­rur­gie-­Sta­tion, Displays auf Taxidächern mahnen: »Mundschutz fauler Gestank von Tierkadavern, die offenbar nicht da schon deshalb nicht, weil er zu den Bürgern Das Netz der unsichtbaren Helfer widerlegt die
als die Ärzte im Januar auf den Gängen über ein tragen, Hände waschen, Abstand halten«. rechtzeitig entsorgt wurden. gehört, die die Bevölkerung versorgten, als der These der KP, dass nur sie Ordnung stiften kann.
neues Virus zu tuscheln begannen. Sie legte Son- Ohne die Selbstorganisation der Bürger hätten
derschichten ein, als sich die Intensivbetten füll- arme und ältere Menschen in Wuhan kaum über-
ten. Sie desinfizierte die Schuhe und Uniformen leben können, sagt Zhu Hai.
der Kollegen, als die Schutzanzüge ausgingen und Was wird von dieser Solidarität bleiben? Zhu
Ärzte und Pfleger zu husten begannen. Mehr als zuckt mit den Schultern. »Freiwillige wie wir sind
200 Mitarbeiter im Krankenhaus steckten sich mit Idioten«, sagt er. Er habe seine Ersparnisse, mehr
dem Coronavirus an, auch Lu Nan. als tausend Euro, für die Benzinkosten seiner Mit-
Am 29. Januar bekam sie Fieber. Lu zog in der streiter eingesetzt. Er zeigt auf den Stapel mit den
Patientenaufnahme eine Nummer, aber es waren Spendennachweisen, die er gesammelt hat. »So-
alle Plätze belegt. Angeblich hatte sie nicht die bald ich sie an die Geber verschickt habe, wird
nötigen Papiere, man schickte sie weg. nichts von uns übrig bleiben. Niemand wird sich
Ihre Brust zog sich zusammen, jeder Atemzug an unsere Namen erinnern.« Und wenn die zweite
fühlte sich an wie ein Messerstich. Weil in der Welle kommt? »Sind wir wieder zur Stelle. Wir
Stadt keine Busse mehr fuhren, nahmen sich Lu sind Idioten, sag ich doch.«
und ihr Mann Leihräder, und wo es keine gab, Vor seiner Hütte steht ein schwarzes Elektro­
gingen sie zu Fuß. Vor den Notaufnahmen war Morgensport am Yangtse-Fluss. Eine Mutter mit ihrem Kind. Bauarbeiter auf einem Wolkenkratzer motorrad. Um über die Runden zu kommen, liefert
kein Durchkommen, erzählt sie. Abend um Abend Zhu Hai nun Essen für einen Bestelldienst aus, für
kehrte das Paar wieder heim. Sie legten Beschwerde 60 Cent Lohn pro Auftrag. Nachts, wenn die Stadt
bei ihrem Nachbarschaftskomitee ein. Sie riefen Wuhan ist in diesen Tagen eine Stadt wider- In diesem Nebel des Unwissens versucht Mu- Staat sich nirgends blicken ließ. Er hat zu sich schläft, fährt er die Straßen ab und sucht nach den
die Hotline der Stadtregierung an. sprüchlicher Stimmungen. Da ist neben der ver- rong Xuecun die Wahrheit zu ermitteln. Der nach Hause in einem Altstadtviertel eingeladen: toten Winkeln der Überwachungskameras. Er hat
Am 7. Februar bekam Lus Mann Atemnot. Vier ordneten Freude eine spontane und unverfälschte Name ist das Pseudonym des Pekinger Schriftstel- Ein selbst gezimmerter Verschlag aus Holzbrettern wieder mit dem Sprühen angefangen. An die Mauer
Tage später holte endlich ein Krankenwagen die Erleichterung. Dieser neue Unglücksort der Welt- lers Hao Qun, 46 Jahre alt, ein prominenter Re- und Metallblech, über der Tür hängt das Schild des Krankenhauses, in dem der Arzt Li Wenliang
beiden ab. Lus Zustand besserte sich, ihr Mann wur- geschichte ist an vielen Ecken erstaunlich schön, gimekritiker, der seit Jahren nur noch im Ausland »Diaosi-Dorf«. »Diaosi« bedeutet »Loser«, so be- verstarb, schrieb er: »Es dauert drei Minuten, zu
de an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Am Morgen durchzogen von manikürten Parks und Dutzen- veröffentlichen kann. Seit Anfang April ist er in zeichnet sich Zhu Hai selbst. Er ist ein mittelloser trauern. Es dauert drei Sekunden, zu vergessen.« Am
des 12. Februar schlich sie sich vor Schichtbeginn der den Seen. Die Menschen gehen wieder joggen und Wuhan, um für ein Buch zu recherchieren. »Wir Lebenskünstler: Graffiti-Sprayer, Hobbymusiker, nächsten Morgen war das Graffito verschwunden.
Pfleger in sein Krankenzimmer. Sein Gesicht hatte spielen Federball, Kinder fahren Rollerblades, die Chinesen haben viele Katastrophen erlebt, sie ha- sein Geld verdiente er vor der Corona-Krise mit
eine gelbliche Farbe angenommen, erzählt Lu. Sie Schwertlilien blühen. ben sich in unserer Seele festgesetzt, aber wir sind kleinen Handwerksarbeiten. Als Wuhan abgerie- * Name auf Wunsch der Gesprächspartner geändert
brauche sich nicht zu sorgen, versicherte er. In der- Da sind die Spuren der Schockstarre des Lock- hart im Nehmen und zäh im Erdulden«, sagt er bei gelt wurde, griff er zum Handy und gründete die
selben Nacht starb er an Lungenversagen. downs. »Geschlossen über Chinesisch Neujahr, einem Spaziergang. Er glaubte anfangs, dass mit Freiwilligengruppe »Kleines Licht«. Laut staat­ AA www.zeit.de/audi
4 POLITIK
Immer ungeduldiger wird die Bundesregierung nach dem Zielpunkt ihrer Corona-Strategie gefragt. Aber die Zauberformel gibt es nicht
D
ie Zeit der großen Einmütig-
keit in Deutschland ist vor-
bei. Sie ist einer nie gekann-
ten Ungleichzeitigkeit der
Wahrnehmungen gewichen,
von Panik und Euphorie,
Angstschlottern und Unver-
wundbarkeitsgefühlen. Es ist geradezu eine Achter-
bahnfahrt. Die Kanzlerin sitzt im ersten Waggon
und blickt schon in den Abgrund, während Kriti-
ker der Kontaktbeschränkungen hinter ihr dem
Höhepunkt zujubeln und die Rückkehr der Frei-
heit im Triumph über das Virus feiern. Der Ab-
grund – das ist die Gefahr einer zweiten Welle von
Covid-19-Infektionen, die sich eben nicht mehr
aus wenigen, übersichtlichen Hotspots he-
raus verbreiten, wie das zu Beginn der­
Pandemie etwa während des Karnevals in­
Gangelt im Kreis Heinsberg geschehen war.
Stattdessen schleichen jetzt die Ansteckun-
gen geisterhaft und potenziell überall umher,
bis sie sich im Herbst oder Winter vielleicht
zu einer viel größeren Wucht aufschaukeln
und all das verursachen könnten, was bisher
vermieden wurde: Überlastung der Intensiv-
stationen, heulende Krankenschwestern,
Rationierung der Beatmungsgeräte, Mas-
sensterben. Das stetig wiederholte Kern­
anliegen der Merkelschen Corona-Krisen-
politik ist die Vermeidung des gesellschafts-
politischen Horror-Szenarios schlechthin,
der »Triage«: der Situation, in der Ärzte ge-
zwungen sind, zu entscheiden, wer behan-
delt und wer aufgegeben wird.
Erste Anzeichen für eine zweite Welle
sehen Virologen wie der Charité-Professor
Christian Drosten bereits. Das bisschen
mehr Bewegung und Kontakt, das die Leute
sich zu Ostern genehmigten – also bevor die
ersten Lockerungsmaßnahmen der vergan-
genen Woche in Kraft traten – erhöhte die
Ansteckungsrate in Deutschland auf einen
Wert, der über dem Italiens lag. »Wir ver-
spielen unseren Vorsprung«, fürchtet Dros-
ten, der für seine Warnungen inzwischen
Morddrohungen bekommt.
Kritiker der Regierung dagegen sehen
die Tagesmeldungen und finden nur Grün-
de für Zuversicht: Jedes Mal übersteigt in-
zwischen die Zahl der Genesenen die Zahl
der neu Infizierten. Derzeit sind 39.000
Menschen in Deutschland erkrankt. Das
Robert Koch-Institut gibt die Gesamtzahl
der Infizierten mit 156.200 an (Stand Mon-
tagabend). Von 83 Millionen. Das soll be-
drohlich sein? Und weil es immer mindes-
tens zwei Wochen dauert, bis sich messen
lässt, was man mit einer Entscheidung be-
wirkt hat, läuft jetzt die Wette: War das, was
Bund und Länder am 14. April beschlossen
haben, ein Schritt Richtung Abgrund, oder
der längst fällige Befreiungsschlag? Und
gleich noch eine Frage: Anhand welcher Pa-
rameter wird überhaupt entschieden, wie es
jetzt weitergehen soll?
»Wir haben dauernd die Bedingungen
verändert«, kritisierte NRW-Ministerpräsi-
dent Armin Laschet (CDU) am Wochen-
ende. Erst sei es um die Überforderung des
Gesundheitssystems gegangen. Das habe
man jetzt im Griff, 40 Prozent der Betten
stehen frei. Dann habe man sich auf die
Verdoppelungszahl der Infektionen konzen-
triert. Nachdem die sich prima entwickelt
habe, sei die Reproduktionszahl R ins Spiel
gekommen, also die Zahl derer, die ein Infi-
zierter durchschnittlich ansteckt. Und nun
schließlich müsse die Zahl der Neuinfektio-
nen auf wenige Hundert Fälle täglich ge-
drückt werden. Bei Laschet klingt es, als
suche die Regierung, seine Bundesregie-
rung, nach immer neuen Gründen für eine
»Repression« (Christian Lindner).
Was genau will die Regierung also – das
Virus »austrocknen«, wie es beispielsweise
das Helmholtz-Zentrum für Infektionsfor-
schung anstrebt? Oder eine Art Koexistenz?
In den sozialen Medien wird knapper ge-
fragt: Habt ihr überhaupt einen Plan?
Wo auch immer sich Mitglieder der
Bundesregierung dieser Tage dem Publikum
stellen, sehen sie sich mit einem Paradox
konfrontiert: Es ist gerade der Erfolg der
Kontaktbeschränkungen, der ihnen jetzt
zum Problem wird.
Verblüfft stellte der Vizepräsident des Robert
Koch-Instituts, Lars Schaade, bei einem mor-
gendlichen Corona-Update fest: »Die Tatsache,
dass Deutschland vergleichsweise wenig Anste-
ckungen und Todesfälle im internationalen Ver-
gleich hat, führt nun dazu, dass das Erreichte in-
frage gestellt wird.«
Noch immer genießen die derzeit geltenden
Maßnahmen die stabile Zustimmung einer Mehr-
heit, aber sie wird geringer. Über eine Million Zu-
schauer riefen das YouTube-Video des Hannovera-
ner Finanzwissenschaftlers Stefan Homburg von
der Leibniz Universität auf, in dem er darauf ver-
weist, dass die Reproduktionszahl schon vor dem
Shutdown am 23. März auf einen beherrschbaren
Wert abgesunken sei. Was Homburg nicht er-
Versuch und Irrtum
wähnte: Die Ursache dieses Werts war die aus
den Google-Bewegungsdaten ablesbare freiwillige
Kontakteinschränkung der Bürger unter dem Ein-
druck von Bildern aus Italien und Warnungen aus
dem Kanzleramt. Homburgs Argument fand
trotzdem seinen Weg in den Bundestag.
Eine gereizte Stimmung ist entstanden: Wir
brauchen das alles nicht mehr. Öffentliche In-
tellektuelle wie Alexander Kekulé, Juli Zeh oder
Julian Nida-Rümelin geben der Tendenz ein
Gesicht.
Im Rückblick auf diese Tage werde man sich
schon bald »gegenseitig viel verzeihen müssen«,
hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am
vergangenen Mittwoch im Bundestag gesagt. Viel-
leicht habe man »an der ein oder anderen Stelle
falschgelegen«. Spahn war nicht zu sprechen für
die Frage, ob er damit auch seine Erlaubnis für
Geisterspiele der Bundesliga gemeint hat – eine
Lizenz also für das völlige Aufgeben der Kontakt-
beschränkungen vor Millionenpublikum. Oder
seine Feststellung, die Pandemie sei »beherrschbar
und beherrschbarer« geworden. Man könnte ihm
auch einen erstaunlichen Sinneswandel der Bun-
desregierung – und etlicher Experten – vorhalten:
Erst waren Masken überflüssig, dann waren sie
Virenschleudern und inzwischen sind sie unver-
zichtbar. Was womöglich damit zusammenhing,
dass man lange Zeit einfach nicht genügend Mas-
ken hatte (auch jetzt fehlt vielerorts medizinische
Schutzausrüstung).
VON MARIAM LAU
Man kann das alles als Planlosigkeit empfin-
den. Der SPD-Politiker und Gesundheitsexperte
Karl Lauterbach, der die jetzige Lockerung der
Maßnahmen für ein »gefährliches, verfrühtes Ma-
növer« hält, glaubt, die Bundesregierung habe drei
wechselnde Strategien verfolgt.
Sie habe zunächst, vor allem angesichts der
Särge aus Bergamo und der Kühlwagen in New
York, sich besonders auf den Ausbau der Intensiv-
kapazitäten und Beatmungsplätze konzentriert.
Die Maxime »flatten the curve« zielte in erster Linie
darauf, dass nicht zu viele Patienten gleichzeitig ins
Krankenhaus mussten.
Als sich abzeichnete, dass das Virus auf diese
Weise nicht ausreichend eingehegt wurde, habe
man auf die sogenannte Herdenimmunität ge-
hofft – also darauf, dass etwa 60 Prozent der Be-
völkerung womöglich unbemerkt eine Infektion
durchlaufen könnten, dann gesunden, immun
sind und sich das Virus deswegen nicht mehr ver-
breiten könne. Aber inzwischen zeigen alle ein-
schlägigen Studien, dass die Zahl der Infizierten
bei zwei bis vier Prozent der Bevölkerung liegt. Es
würde also theoretisch etwa 25 Jahre dauern, bis
in Deutschland eine Herdenimmunität erreicht
ist, und außerdem Hunderttausende Todesopfer
fordern. Die Strategie der Herdenimmunität
kommt also auch nicht infrage.
Mittlerweile habe, so sieht es Lauterbach, die
Bundesregierung die Idee der Austrocknung des
Virus vorerst aufgegeben. Die Infektionszahlen sind
derzeit zu hoch, um jeden einzelnen Fall nachzuver-
folgen und zu isolieren. Die Gesundheitsämter, so
schätzt man im Kanzleramt, können etwa 300 Fälle
pro Tag bewältigen, aber es sind derzeit 1500 bis 2000
täglich. Stattdessen jetzt »Mitigation«, also in Schach
halten, moderate Schutzmaßnahmen aufrechterhal-
ten, mit dem Virus leben lernen. Das bedeutet aller-
dings etwas, über das keiner offen spricht, vermutlich
nicht einmal im kleinsten Kreis, und das wohl trotz-
dem unvermeidlich ist: Man nimmt mit dieser Stra-
tegie mehr Infizierte, infolgedessen auch mehr Tote
in Kauf, als wenn man noch länger an den bisherigen
Kontaktbegrenzungen festhalten würde.
Konfrontiert man Mitglieder der Bundesregie-
rung mit dem Eindruck der Planlosigkeit, reagie-
ren alle ähnlich wie CDU-Gesundheitsminister
Jens Spahn im Bundestag: »Es gibt kein Corona-
Lehrbuch, das wir jetzt Seite für Seite abarbeiten.
Wir wissen noch sehr wenig über dieses Virus.«
Oder: »Wir arbeiten nicht unter Laborbedingun-
gen.« Mit anderen Worten: Versuch und Irrtum.
Ein beredtes Beispiel ist die schwere Geburt der
Corona-App, die Kontakte mit Infizierten mittei-
len soll. Alle sind sich einig, dass eine derartige
Technologie unerlässlich ist. Es liegt auch auf der
Hand, dass eine zentrale Sammlung dieser Daten
für die Gesundheitsbehörden ein Riesenfortschritt
wäre. Aber Jens Spahn musste dieses Vorhaben
aufgeben: Es scheitert an datenschutzrechtlichen
Vorbehalten. Diese werden keineswegs nur von
den beteiligten Experten gehegt, sondern auch von
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
weiten Teilen der Bevölkerung, die aber dringend
mitmachen muss, wenn das alles klappen soll.
Wenn die Leute eher Google vertrauen als dem
Robert Koch-Institut, kann man diesen Teil der
Seuchenbekämpfung vergessen (siehe auch Wirt-
schaft, Seite 25).
Oder: Für den Virologen mag »Containment«,
Austrocknung, der beste Weg sein, um mit Co-
vid-19 fertigzuwerden. Aber wenn zu viele Alte an
ihrer Einsamkeit verzweifeln, zu viele Kinder in
den Wohnungen durchdrehen oder Schuhverkäu-
fer ihre Existenz verlieren, kann ein Kanzleramt
nicht einfach auf Durchzug stellen.
Keiner der Beteiligten verleugnet die täglichen
Lernprozesse, die dann auch Streitfragen der De-
mokratie betreffen. Dass das Bundesverfas-
sungsgericht nicht nur die zeitliche Befris-
tung von Maßnahmen anmahnt, sondern
ein Demonstrationsverbot dann auch gege-
benenfalls zurückweist, wird im Regierungs-
viertel, so seltsam das klingt, fast mit Er-
leichterung zur Kenntnis genommen. Bitte
sehr, da ist sie doch, die von euch vermisste
demokratische Normalität!
Man tastet sich also voran. Dennoch
gibt es ein paar Leitplanken des Regie-
rungshandelns. Sie seien eigentlich wenig
rätselhaft, so wird in der Koalition argu-
mentiert. Die absoluten Zahlen, die Ver-
doppelungszahlen, die Kurve – alles müsse
runter. So würden doch im Grunde alle
»rationalen Länder« verfahren, von Schwe-
den, dem Mekka der Lockerungsbefürwor-
ter – wo man noch ins Café darf, aber eine
verhältnismäßig höhere Zahl von Toten hat
als die Nachbarländer –, bis Frankreich, wo
das Verlassen des eigenen Hauses nur für
eine Stunde am Tag möglich ist. Man sei
erst »da raus«, wenn es einen Impfstoff
gibt, also wahrscheinlich nicht vor 2021.
Bis dahin werde man einfach besser und
besser werden müssen.
Das gilt auch politisch. Natürlich habe man
mittlerweile ein »Demokratieproblem«, heißt
es aus dem Kabinett, nicht erst seit Merkels
»Öffnungsdiskussionsorgien«. Der Vorwurf,
die Kanzlerin traue den Bürgern nichts zu, ob-
wohl diese doch ganz von allein und auch ohne
Kontaktverbote den Reproduktionsfaktor
unter 1 gedrückt hätten, hat gesessen. Auch
die von Laschet geübte Kritik, Merkel orientie-
re sich zu einseitig an Virologen statt am Ge-
samtbild des menschlichen Elends, scheint im
Kanzleramt Eindruck gemacht zu haben, ob-
wohl Merkel in ihrer Regierungserklärung
noch einmal gegen ein »zu forsches Vorgehen«
der Länder schoss. Diskussion werde keines-
wegs unterbunden, nur nehme sich eben
Merkel die Freiheit, auch eine Meinung zu
äußern. Viel mehr kann sie gegenüber den
Ministerpräsidenten allerdings auch gar
nicht tun.
Entgegen anderslautenden Berichten
war diesmal mit »zu forsch« nicht in erster
Linie Laschet gemeint. Denn er wiederum
hat sich die Kritik aus dem Kanzleramt, er
gefährde mit seiner Öffnungspolitik den
Zusammenhalt unter den Ministerpräsi-
denten, zu Herzen genommen und ver-
suchte im Gespräch mit seinen Amtskolle-
gen, einen Kompromiss zur Regelung der
Ladenöffnungszeiten zu finden. Teilnehmer
der Ministerpräsidentenrunde berichten, es
seien vor allem SPD-geführte Länder wie
Rheinland-Pfalz gewesen, die große Ver-
kaufsflächen und Tierparks wieder aufma-
chen wollten. (Ministerpräsidentin Malu
Dreyer soll gerufen haben: »Mein Streichel-
zoo muss weitermachen.«)
Finanzminister Olaf Scholz soll sich in
der Öffnungsfrage dermaßen liberal gezeigt
haben, dass schon der Gedanke aufkam, er
wolle sich über dieses Thema womöglich
wieder als Kanzlerkandidat in Position
Illustration: Erich Brechbühl für DIE ZEIT
bringen. Jedenfalls habe sich Merkel, als ihr
klar wurde, dass nun große Läden in den
Innenstädten öffnen und damit Menschen-
schlangen entstehen würden, mit einem
Satz gewehrt, der vielen noch aus der
Flüchtlingskrise in abgewandelter Form in
Erinnerung ist: »Wenn wir das so machen,
dann ist das nicht mehr mein Papier!«
Aus einem ursprünglich am Bundesin-
nenministerium angedockten Expertenkreis
gelangte dieser Tage ein anderes Strategie-
papier auf Angela Merkels Schreibtisch, das die
Not der gemeinsamen Achterbahnfahrt zur Tu-
gend der Gemeinschaftlichkeit umdeutet und et­
liche praktische und politische Vorschläge zum
Leben mit Sars-CoV-2 macht. Es liegt der ZEIT
vor. Darin heißt es: »Die deutsche Gesellschaft hat
gelernt, dass wir in der Situation eines drohenden
Kollapses unseres Gemeinwesens alle aufeinander
angewiesen sind. Die Solidarität ist die beste Me-
dizin, die wir haben.« In dem Papier wird unter
anderem eine »Experimentierklausel« für innova-
tive Lösungen gefordert, wie mit der Gastrono-
mie, dem Einzelhandel oder den Gottesdiensten
umzugehen sei.
Ob so etwas im Kanzleramt derzeit auf Sym-
pathie stößt, war nicht herauszufinden.
 29 . A P R I L 20 20
o
D I E Z E I T N 19
Hart an der Grenze
Die Krisenmaßnahmen der Politik treiben die Schulden in die Höhe. Und je länger der wirtschaftliche Stillstand anhält,
desto mehr Unternehmen müssen gerettet werden – wie lange reicht das Geld noch?  VON MARK SCHIERITZ
W
enn man die Politik der
Bundesregierung zur
Rettung der Wirtschaft
auf eine Zahl verdich-
ten wollte, dann wäre es
diese: 453 Mil­liar­den.
Auf 453 Mil­liar­den
Euro belaufen sich nach derzeitigem Stand die
staatlichen Gesamtkosten der bisher geplanten
Krisenmaßnahmen. So steht es in einer Aufstel-
lung der Bundesregierung für die Europäische
Kommission in Brüssel.
Dabei wird es womöglich nicht bleiben. Die
Wirtschaft wird nach den Pro­gno­sen der Regierung
in diesem Jahr so stark einbrechen wie nie zuvor in
der Geschichte der Republik, weil Geschäfte ge-
schlossen sind und die Produktion ruht. Und je
länger der Stillstand andauert, desto teurer werden
die Kompensationsprogramme, die den wirtschaft-
lichen Zusammenbruch abwenden sollen. Erst in
der vergangenen Woche hat die Regierung eine­
Erhöhung des Kurzarbeitergelds beschlossen und
die Mehrwertsteuer für Restaurants gesenkt, die
Lufthansa soll eine Geldspritze erhalten, und hinter
den Kulissen denkt man bereits über ein Hilfspaket
für finanzschwache Kommunen nach.
Was die Frage aufwirft: Wie lange können wir
uns das noch leisten?
Man kann diese Frage nicht letztgültig klä-
ren. Niemand weiß zum Beispiel, inwieweit die
Betriebe die bereitgestellten Gelder auch tatsäch-
lich abrufen werden. Und die Finanzwissen-
schaft ist wie fast alle ökonomischen Disziplinen
keine exakte Wissenschaft. Man kann sich einer
Antwort aber annähern.
Den zusätzlichen Finanzbedarf deckt die­
Regierung durch neue Schulden. Das bedeutet
konkret: Sie leiht sich das Geld. Und zwar bei
den­jenigen, die so viel davon haben, dass sie es
selbst nicht ausgeben können oder wollen. Das
sind vor allem Banken und Versicherungen, die
das Geld ihrer Kunden verwalten. Die Schulden-
aufnahme wandelt gewissermaßen privates Spar-
kapital in öffentliche Leistungen um.
Für einen Staat ist nicht die absolute Höhe seiner
Schulden entscheidend, sondern der Anteil dieser
Schulden an der Wirtschaftsleistung. Warum das so
ist, zeigt die folgende Überlegung: Kredite werden
aus Steuereinnahmen bedient, und wenn ein Staat
viele Steuern einnimmt, dann kann er sich mehr
Schulden leisten. Ein armes Land wie Mali wäre
möglicherweise mit einem Kredit in Höhe von zehn
Mil­liar­den Euro schon überfordert, für das reiche
Deutschland mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP)
von rund 3500 Mil­liar­den Euro sind das Peanuts.
Die Regierung nimmt derzeit an, dass die Staats-
schuldenquote, also der Anteil der Schulden am BIP,
auf etwa 75 Prozent steigt. Dabei ist unterstellt, dass
die Wirtschaft im ersten Halbjahr wieder anläuft.
Geschieht das nicht, wird diese Pro­gno­se nicht zu
halten sein. Ein Grund: Einige der Posten im Kata-
log der Hilfsmaßnahmen sind bislang in der Schul-
denaufstellung nur zum Teil berücksichtigt. Das gilt
etwa für staatliche Bürgschaften. Man geht davon
aus, dass diese nicht gezogen werden müssen. Wenn
sich aber die Lage so sehr verschlechtert, dass das
doch nötig wird, steigt die Verschuldung. Die Öko-
nomen der Deutschen Bank haben ausgerechnet,
dass eine Woche Stillstand die Schuldenquote um
etwa 0,3 Prozentpunkte erhöht. Wenn die Wirt-
schaft bis ins zweite Halbjahr hinein ruht, ergäbe
sich ein Schuldenstand von 86,5 Prozent.
Ist das viel? Das kommt auf die Perspektive an.
Illustration: Erich Brechbühl für DIE ZEIT
Ökonomen haben sich in vielen Stu­dien mit der
Frage befasst, wie hoch sich ein Staat verschulden
kann. Ergebnis: Man weiß es nicht genau. »Ein
abstrak­ter Schwellenwert lässt sich nicht definieren«,
sagt Rüdiger Bachmann, Fachmann für Staats-
schulden an der Notre-­Dame-Universität in den
USA. Was man weiß: In der Finanzkrise ist die
Schuldenquote auf 82 Prozent gestiegen, und das
hat das Land relativ problemlos verkraftet.
Andere Staaten sind deutlich höher verschuldet
als Deutschland. Der amerikanische Schulden-
stand belief sich vor Ausbruch der Pandemie auf
109 Prozent der Wirtschaftsleistung, der ­japanische
sogar auf 237 Prozent. Wenn das amerikanische
Vorkrisenniveau der Maßstab für die maximal
mögliche Staatsverschuldung in Deutschland
wäre, könnte die Regierung über die geplanten
435 Mil­liar­den Euro hinaus noch knapp 1300
Mil­liar­den Euro zusätzlich ausgeben. Das reichte
dann bis ins nächste Jahr hinein.
Die Regierung profitiert dabei von einer finanz-
technischen Mechanik, die allen großen Krisen eigen
ist: Je weniger Geld die Menschen ausgeben, weil
sie verunsichert sind oder weil viele Geschäfte ge-
schlossen sind, desto mehr Sparkapital steht dem
Staat für die Kreditaufnahme zur Verfügung. Das
bedeutet: Die ohnehin schon niedrigen Zinsen
fallen dank des hohen Kapitalangebots noch weiter.
Die Schuldenfrage wird dadurch vom Kopf auf
die Füße gestellt. Staaten existieren zumindest als
rechtliches Konstrukt für die Ewigkeit. Sie müssen
also anders als Privathaushalte ihre Schulden nicht
zurückzahlen, sondern können immer wieder alte
Nach oben
Anteil der deutschen Staatsschulden an
der Wirtschaftsleistung in Prozent
2020 (Prognose der
100 %
Bundesregierung):
75 %
80
1991:
39 %
60
40
20
0
1991 1997 2003 2009 2020
ZEIT- GRAFIK/Quelle: Statistisches Bundesamt
Kredite durch neue ersetzen. Die Vereinigten Staa-
ten waren seit der ersten Präsidentschaftswahl im
Jahr 1789 praktisch nie schuldenfrei; an den Finanz-
märkten werden noch heute britische Staatsanleihen
aus der Zeit des Ersten Weltkriegs gehandelt.
Durch den faktischen Wegfall der Tilgungsver-
pflichtung wird das Zinsniveau zur entscheidenden
Größe für die Tragfähigkeit der Schulden. Wenn die
Zinsen niedrig sind, dann ist ein Anstieg der Staats-
verschuldung leichter zu verkraften. Ein Beispiel:
Im vergangenen Jahr musste Finanzminister Olaf
Scholz für die Schulden des Bundeshaushalts rund
elf Mil­liar­den Euro an Zinsen ausgeben. Im Jahr
2009 fielen für ungefähr die gleiche nominale Schul-
densumme noch 38 Mil­liar­den an. Bei einem Zins-
satz von null wäre – theoretisch – sogar ein unend-
lich hoher staatlicher Schuldenstand denkbar.
In der Praxis ist das alles natürlich ein wenig
komplizierter. Denn auch wenn die Zinsen im
Moment sehr niedrig sind, folgt daraus nicht, dass
sie nicht wieder steigen können. Dann müsste bei
sehr hohen Schulden womöglich ein großer Teil des
Staatshaushalts für den Schuldendienst aufgewendet
werden. Es bliebe wenig Geld für die Rente, für Glas-
POLITIK 5
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faserleitungen oder für die Bildung. Schlimmsten-
falls droht eine Spirale aus immer schneller steigen-
den Zinsen und immer höheren Schulden.
Deshalb ist eine zweite Größe in diesem­
Zusammenhang von Bedeutung: das Wirtschafts-
wachstum. Denn je stärker die Wirtschaft wächst,
desto stärker steigen die Steuereinnahmen, aus de-
nen die Zinsen bezahlt werden. Eine ökonomische
Faustregel besagt: Wenn die Wachstumsrate über
dem Zinsniveau liegt, dann sinkt eine gegebene
Schuldenquote im Zeitverlauf auch ohne staatliches
Zutun. Diese Quote ist ja ein Bruch: Im Zähler steht
der Schuldenstand, im Nenner das Bruttoinlands-
produkt. Wenn sich nun der Zähler (die Schulden)
langsamer erhöht als der Nenner (die Wirtschafts-
leistung), dann sinkt der Wert dieses Bruchs. Und
das, obwohl überhaupt keine Schulden zurück­
bezahlt werden. Warten, bis sich alles auswächst –
nach dieser Methode haben Länder wie die USA
oder Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg
ihre Staatsfinanzen saniert.
Im Moment kann aber niemand sagen, ob die
Wirtschaft die früher üblichen Wachstumsraten
erreicht, wenn die Auflagen gelockert werden. Viel-
leicht strömen die Menschen wieder in die Geschäf-
te, weil sie sich endlich etwas gönnen wollen. Viel-
leicht bleiben sie aber auch zu Hause, weil sie sich
Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen, vor allem da
noch nicht absehbar ist, wann in den für die deut-
schen Firmen wichtigen Exportmärkten das Ge-
schäft wieder in Gang kommt.
In diesem Fall könnte die Schuldenquote
doch noch außer Kontrolle geraten. Dann hat der
Staat im Prinzip nur drei Möglichkeiten: höhere
Steuern, niedrigere staatliche Ausgaben oder­
Inflation. Alles eher unangenehme Aussichten. In
der SPD wird bereits über einen Lastenausgleich
diskutiert, eine einmalige Vermögensabgabe, wie
AUF DIE DETAILS
sie in Deutschland nach dem Krieg eingeführt
wurde, um die Kriegsschäden zu bezahlen. Die­
Union hingegen erwägt Sparprogramme.
Die meisten Ökonomen raten deshalb dazu, die
Schulden aus Gründen der Vorsicht nicht zu sehr
steigen zu lassen, zumal die Rettungspolitik noch
aus einem weiteren Grund an ihre Grenzen stoßen
KOMMT ES AN.
könnte: Viele Unternehmen werden vom Staat mit
Krediten über Wasser gehalten. Doch je länger die
Produktion ausfällt, desto schwieriger wird es für
die Firmen werden, diese Darlehen wieder zurück- Der neue XPS 13. Gestaltet mit diamantgeschliffenen
zubezahlen. Nach einer im April durchgeführten Kanten, die Ihren Blick aus jedem Winkel einfangen.
Umfrage des Münchner Ifo-Instituts droht schon
nach drei Monaten Stillstand die erste große Pleite-
welle, nach sechs Monaten die zweite. Das wäre Dell.de/XPS
dann also im Juni beziehungsweise im September. Weitere Informationen erhalten
Das Problem: Je größer die Finanzprobleme der Sie kostenlos unter 0800-000 42 30*.
Unternehmen, desto weniger ist ihnen mit zusätz-
lichen Krediten geholfen. Der Staat müsste also
Zuschüsse vergeben. Aber in welcher Form? Und
wer stellt sicher, dass mit dem Geld kein Unsinn
angefangen wird? Es gibt in Deutschland fast
300.000 Firmen mit mehr als zehn Beschäftigten.
Soll da dann überall der Staat einsteigen? Wird es
lange Diskussionen über Kontrollrechte und Ein-
flussmöglichkeiten geben, wie es jetzt bei der Luft-
hansa der Fall ist? Solche Fragen stellt man sich ge-
rade in der Bundesregierung.
Selbst wenn das alles organisatorisch zu machen
wäre: Wäre die deutsche Wirtschaft dann im Ergeb-
nis noch eine Marktwirtschaft? Und welche Folge
hätte es für den maximal möglichen Schuldenstand?
Denn auch das geht aus den ökonomischen Stu­dien
zum Thema Staatsverschuldung hervor: Hohe
Defizite sind dann weniger problematisch, wenn die Windows 10 ist das sicherste Windows aller Zeiten.
geborgten Beträge sinnvoll – was in diesem Fall Dell empfiehlt Windows 10 Pro für Unternehmen.
heißt: wachstumssteigernd – ausgegeben werden.
Auch wenn der Geldvorrat noch eine Weile reicht,
wird die zielsichere Geldverteilung mit jeder Woche © 2020 Dell Inc. oder Tochtergesellschaften. Alle Rechte vorbehalten. Dell GmbH, Main Airport Center, Unterschweinstiege 10, 60549 Frankfurt am Main. Geschäftsführer:
eine größere Herausforderung. Stéphane Paté, Anne Haschke, Robert Potts. Vorsitzender des Aufsichtsrates: Jörg Twellmeyer. Eingetragen beim AG Frankfurt am Main unter HRB 75453, USt.-ID:
DE 113541 138, WEEE-Reg.-Nr.: DE 49515708. Dell, EMC und andere Marken sind Marken von Dell Inc. oder Tochtergesellschaften. Es gelten die allgemeinen
Wie lange können wir uns das noch leisten? Geschäftsbedingungen der Dell GmbH. Änderungen von Preisen, technischen Daten, Verfügbarkeit und Angebotskonditionen sind ohne Vorankündigung vorbehalten.
Druckfehler und Irrtümer vorbehalten. *Mo-Fr.: 8:30-17:30 Uhr (zum Nulltarif aus dem dt. Fest- und Mobilfunknetz).
Vielleicht lässt sich die Frage so beantworten: Theo-
retisch noch ziemlich lange, in der Realität könnte
es irgendwann im Sommer schwierig werden.
6 POLITIK
W »Man wird Schritt
olfgang Schäuble ist jetzt 77, äl-
ter als die Republik. Jede Heraus-
forderung, die dieses Land erlebt
hat, hat er auch erlebt, an die
meisten kann er sich erinnern,
oft hat er an ihrer Bewältigung als Politiker mit-
gewirkt. Zuletzt wurden die Krisen immer häufi-
ger, gefühlt auch immer größer. Doch wenn man
ihm in den vergangenen Jahren mit der Frage kam,
ob das denn diesmal nicht die bislang schwerste
Krise sei, war seine zuver­läs­si­ge Re­ak­tion: Ach was!
Dann begann Schäuble aufzuzählen, was es schon
so alles zu seinen Lebzeiten gab: Kubakrise, Öl-
krise, RAF, diverse Fluten, 9/11, Finanzkrise, Ban-
kenkrise, Klimakrise. Dazwischen streute Schäuble
reichlich Zitate, Bismarck, Tocque­ville, die Krisen
schrumpften so zu Anekdoten, etwas gut Be-
herrschbarem. Regt euch mal nicht so auf, war die
Botschaft, hatten wir alles schon, werden wir alles
auch überstehen.
»Nein, das geht jetzt nicht mehr«, sagt Schäuble
am vergangenen Sonntag, bei einer Begegnung am
Telefon. Und schon daran merkt man, dass diese
Krise anders ist. Wolfgang Schäuble ist nämlich
jemand, der äußerst ungern etwas zugibt. Nun
sagt er: »Etwas Vergleichbares haben wir zu Leb-
zeiten nicht erlebt.« Das Copyright auf diesen Satz
habe die Kanzlerin, und er stimme ihr da vollum-
fänglich (ausnahmsweise) zu. In dem »wir« denkt
Schäuble übrigens ausdrücklich die Ostdeutschen
mit, die 1989/90 auch schon ziemlich Grundstür-
zendes erlebt haben.
Schäuble ist gerade von der Terrasse ins Innere
seines Hauses in Offenburg gerollt. Gut gehe es
ihm, versichert er, ausgezeichnet, wunderbares
Wetter. Wobei das mit dem wunderbaren Wetter
ja auch so eine Sache ist. Man kann darin nämlich
das nächste Menetekel erblicken, aber dazu kommt
er später noch.
Auch er hat ein bisschen gebraucht, um zu be-
greifen, dass das nun wirklich etwas Neues ist.
Hätte man das gleich verstanden, wär’s ja nichts
Neues, sagt Schäuble lakonisch. Lange habe auch
er im Unterbewusstsein noch die Vorstellung ge-
habt, dass es diesmal vielleicht ein bisschen länger
dauern werde, dass danach aber wieder alles wie
vorher sein werde, normal eben. »Zunehmend
begreifen wir, dass auch das nicht so sicher ist«,
sagt Schäuble nun. Wobei er Wert darauf legt,
dass es nicht unbedingt ausschließlich schlechter
werden müsse.
Was bewirkt diese Erkenntnis für ihn selbst,
was geht ihm momentan durch Kopf und Bauch?
»Man wird Schritt für Schritt kleiner«, entgegnet
Schäuble. Jeden Tag werde das deutlicher: wie
klein der Mensch ist, wie relativ. Und auch, dass
die größte Katastrophe womöglich der Mensch
selbst ist, der mit seinem Raubbau an der Natur
vielleicht gerade im Begriff ist, sich selbst umzu-
bringen. So ungefähr hat er auch seinem Pfarrer
geantwortet, als der vor Ostern eine aufmunternde
SMS geschickt hat.
Auch mit der Angst ist es so eine Sache. Man kann
Angst um sich selbst haben. Die habe er nicht, sagt
Schäuble. Dazu sei er einfach schon zu alt. Man kann
aber auch eine andere Angst haben, eine sehr ele-
mentare, eher metaphysische Angst. Schäuble würde
das natürlich nie so nennen. Er rettet sich nun erst
mal ins Pragmatische: »Wir müssen von Tag zu Tag
denken und politisch das tun, was wir können, was
wir müssen.« Was bleibe auch anderes übrig? Nur ist
das, was getan werden muss, eben nicht unumstritten,
und der Streit geht gerade erst los. Auch hier ist
Schäuble sich mit der Kanzlerin einig: Der Lock-
down, so brutal und unerhört er war, war vergleichs-
weise einfach zu bewerkstelligen. Viel schwerer wird
die Lockerung.
Hatte Wolfgang Schäuble, gläubiger Christ,
Parlamentspräsident und Bundestagsdienstältester,
bei allem Pragmatismus in diesen Tagen manch-
mal auch ein apokalyptisches Gefühl? »Ja.« Die
Antwort kommt schnell und bestimmt. Er hat das
Gefühl immer noch. Denn das gehört ja zum Be-
unruhigenden der Situation: die Ahnung, dass die
Apokalypse nicht an einem Tag passiert, mit einem
großen Knall wie in einer bunten Kinderbibel,
sondern vielleicht über einen Zeitraum von hun-
dert Jahren. Und dass wir womöglich in diesen
hundert Jahren leben.
Schon die Babys erschrecken übrigens nach
seiner festen Überzeugung, wenn sie auf die Welt
In Italien haben sich erschreckend viele Mediziner mit dem Coronavirus infiziert. Einer von ihnen war der Hausarzt Vincenzo Leone  VON ULRICH LADURNER
V
aleria Leone sitzt an der Kante ihres
Wohnzimmersofas. Eine schmale, kleine
Frau, den Rücken hat sie durch ein Kis-
sen gestützt. So kann sie sich leichter ge-
rade halten. Aufrecht sitzen, das ist ihr jetzt wich-
tig, da sie in einem Videogespräch vom Tod ihres
Mannes berichtet. Vincenzo Leone ist an einer
Covid-19-Infektion gestorben.
Leicht fällt es ihr nicht, aber Valeria Leone hat
sich vorgenommen, die Geschichte zu erzählen.
Ihr Mann war niedergelassener Hausarzt in Urnia-
no, einer kleinen Gemeinde unweit von Bergamo
in der Lombardei. Er wurde 65 Jahre alt. Vincenzo
Leone ist einer von bislang 150 italienischen Ärz-
ten, die gestorben sind, weil sie sich mit dem Co-
ronavirus infiziert hatten. Das ist eine erschre-
ckend hohe Zahl. Sie zeigt, dass vieles in Italiens
Kampf gegen das Virus schiefgelaufen ist.
»Mein Mann hat das Virus von Anfang an sehr
ernst genommen«, sagt Valeria Leone. Als in den
ersten Februartagen drei Gemeinden in der Lom-
für Schritt kleiner«
Wolfgang Schäuble hat schon viel erlebt, aber diese
Krise sei anders, sagt er. Ein Gespräch über
Enkelkinder und Apokalypse  VON TINA HILDEBR ANDT
»Die Menschheit muss nicht am Ende sein«,
sagt Wolfgang Schäuble. »Die Menschen sind
eher freundlicher geworden«
Alleingelassen
bardei unter Quarantäne gestellt wurden, begann »Was hätte er tun sollen?«, sagt seine Frau. Er war
Vincenzo Leone Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Arzt, und es kam für ihn nicht infrage, sich aus-
»Er aß zu Hause allein, er wusch sich in einem se- gerechnet jetzt zurückzuziehen. Erst nach Wochen
paraten Bad und desinfizierte alles mit großer lieferten die Gesundheitsbehörden die erste Aus-
Sorgfalt«, berichtet seine Frau. Die Gemeinden, rüstung für Leones Praxis. »Er bekam 13 Schutz-
die als Erstes unter Quarantäne gestellt wurden, masken und einen Wegwerfkittel«, sagt Valeria
liegen nicht weit entfernt von Leones Praxis. Leone bitter.
Trotzdem bekam er von den Gesundheitsbehörden Es half nichts, Vincenzo Leone infizierte sich.
nur wenige Informationen über das Virus. Am 15. März brachte ihn seine Frau ins Galeazzi-
Vincenzo Leone informierte sich selbst, so gut Krankenhaus in Bergamo. »Das liegt in der Nähe
er konnte. In den ersten Wochen gab es auch der Schule, in der ich dreißig Jahre lang unter-
keine Schutzausrüstung, keine Masken, keine richtet habe«, sagt sie, und es klingt, als sei es für
Kittel, nichts. Marco Aghazzi von der Unabhän- sie eine Hilfe gewesen, ihren Mann in einer ver-
gigen Nationalen Ärztegewerkschaft sagt, die trauten Umgebung zu begleiten. Als sie sich am
Ärzte, insbesondere die Hausärzte, seien auf sich Krankenhauseingang von ihm verabschiedete,
allein gestellt gewesen: »Wir mussten uns irgend- wusste sie nicht, dass sie ihn nicht mehr wieder­
wie arrangieren!« So hätten er und seine Kollegen sehen würde. Eine Woche nach seiner Einliefe-
sich anfangs Schutzmasken von einem befreunde- rung, am 22. März, starb Vincenzo Leone.
ten Zahnarzt besorgt. Wenige Tage später wurde der Leichnam ein-
Obwohl Vincenzo Leone das Risiko bewusst geäschert. Seine beiden erwachsenen Söhne Gia-
war, hielt er seine Praxis für die Patienten offen. como und Carlo durften ins Krematorium kom-
Foto: Dominik Butzmann/laif
men, sie wohnen weiter weg. Seine Frau Valeria
musste zu Hause bleiben, in Quarantäne. Erst vier
Wochen später bekam sie die Urne mit der Asche
ihres Mannes. Das Bestattungsunternehmen lie-
fert nicht jede Urne sofort einzeln aus. Es gibt eine
Stelle, an der die Urnen gesammelt werden, von
dort werden sie nach und nach verteilt. »Es gibt
vielleicht so etwas wie Schicksal«, sagt Valeria Leo-
ne. »Aber es gibt auch irgendjemanden, der Ver-
antwortung übernehmen muss.«
Nur wer?
Marco Aghazzi von der Ärztegewerkschaft kri-
tisiert die Mitte-links-Regierung in Rom genauso
wie die regionale Rechtsregierung in der Lombar-
dei. Sie hätten die Provinz Bergamo viel früher
unter Quarantäne stellen müssen. In den regio­
nalen Gesundheitsbehörden, sagt Aghazzi, säßen
viele Beamte nicht aufgrund ihrer Qualifikation,
sondern weil sie das richtige Parteibuch hätten.
Im entscheidenden Moment hätten viele von ih-
nen nicht gewusst, was zu tun sei. »Das Haupt-
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
kommen. Die Angst wird dann erst mal ange-
brüllt. Er will sagen: Die Angst gehört zum Leben
dazu. Das Sterben auch.
Dass die Angst bei Schäuble im Lauf des Le-
bens abgenommen hat, liegt auch daran, dass er
ein Überlebender ist, im wahrsten Sinne, seit er
nach einem Attentat im Rollstuhl sitzt. Mit dem
klarzukommen, was man kann, und nicht unzu-
frieden zu sein über das, was man nicht kann, aber
gerne können würde, das habe er sich in den letz-
ten 30 Jahren antrainiert, sagt Schäuble. Insofern
fühlt er sich coronamäßig gut gerüstet.
Sorgen macht er sich um andere. Um seine
Kinder, seine Enkel, die er wie viele andere Bürger
in den vergangenen Wochen vor allem auf dem
Bildschirm gesehen hat. Diejenigen also, die das
Leben noch vor sich haben sollten. Auch das hat er
gemeint, als er in einem Interview mit dem Tages­
spie­gel vor ein paar Tagen gesagt hat, man dürfe
den Schutz von Leben nicht über alles stellen.
Man werde da schnell falsch verstanden oder wirke
zynisch, deshalb habe er seine Worte gut abgewo-
gen, sagt Schäuble, es ist ihm wichtig, an dem
Punkt richtig verstanden zu werden.
Eingeschlagen haben die Sätze trotzdem. Eini-
ge haben sie als Relativierung von Leben verstan-
den, andere als kleinen Beschleuniger einer ohne-
hin schärfer werdenden Debatte. Was er also nicht
gemeint haben will: dass man verschiedene Leben
ge­gen­ein­an­der aufrechnen kann oder soll. Son-
dern: Absolut ist nur die Würde des Menschen,
denn die Grundrechte können konkurrieren, und
jede Maßnahme hat einen Preis. Das alles muss
man, so sieht es Schäuble, ins Verhältnis setzen,
verantwortungsvoll abwägen – und man muss sich
bei alldem auch klarmachen, dass der Staat nicht
allen wird alles garantieren können.
Es kriegt momentan alles leicht etwas Biblisches,
Fundamentales. Artenvielfalt, Globalisierung, Seu-
chen, Klima, das alles hänge eben doch zusam-
men, sagt Schäuble, und wie sehr das der Fall sei,
auch das erlebten wir gerade. Trotzdem sei er
überzeugt: »Die Menschheit muss nicht am Ende
sein.« Womöglich werde einiges besser. Sehr kon-
krete Dinge wie die Bezahlung von Pflegerinnen
und Pflegern. Aber auch abstrakte Dinge wie der
Wert der Familie, der Zusammenhalt. Die globale
Mobilität müsse »ein Stück zurückgefahren wer-
den«, auch die Mi­gra­tion übrigens, allerdings un-
ter der Voraussetzung, »dass wir diesen Ländern
mehr helfen«.
Schäuble hält es sogar für möglich, dass Corona
am Ende den Frauen nützt, weil die Art von Ar-
beit, die sie öfter als Männer machen, nun höher
geschätzt werde – und vielleicht auch vergütet. Er
selbst, kleiner Exkurs, sei in Sachen Geschlechter-
gerechtigkeit von seinen Töchtern weitergebildet
worden. Die Erziehungsbemühungen seiner Frau,
räumt Schäuble ein, »waren nicht so erfolgreich«.
Das alles soll aber nicht so klingen, als halte er
die Situation für etwas Gutes. »Ich hätte mir das
nicht gewünscht. Aber es findet ja statt.« Es gehe
deshalb nicht um Zweckoptimismus, sondern da-
rum, wie man Haltung bewahrt und damit auch
Würde. Schäuble betont das oft: dass er entspannt
sei und grund­opti­mis­tisch. Man ahnt dann, wie
hart diese Entspanntheit errungen ist. Und dass er
deshalb so sehr darauf beharrt.
Nicht gemeint haben will Schäuble seine Be-
merkungen zum Lebensschutz übrigens als Seiten-
hieb auf die Kanzlerin, die gesagt hat, dieser stehe
im Zentrum ihrer Motive. Summa summarum
steht Schäuble in dieser Krise politisch an der Seite
von Merkel. Natürlich, wie immer, ohne Ewig-
keitsgarantie.
Vielleicht kippt die relative Krisenstabilität ganz
schnell um, vielleicht schlägt das momentane Ver-
trauen in die Politik bald in Enttäuschung um.
Schäuble hält das für möglich. Er hält aber auch das
Gegenteil für möglich. Vielleicht, so hofft er, »wächst
mit dem Vertrauen in die Politik auch die Bereit-
schaft, wieder mehr Verantwortung zu übernehmen«.
Er jedenfalls habe bei seinen Hand­bike-­Aus­flü­gen,
die er mit einem Freund unternimmt, das Gefühl:
»Die Menschen sind eher freundlicher geworden.«
Dann will Schäuble wieder hinaus, auf seine
Terrasse, und noch ein bisschen lesen: Spiegel und
Licht, den dritten Teil einer Trilogie von Hilary
Mantel. Das Buch handelt von Heinrich VIII. und
Thomas Cromwell, es spielt im England des
16. Jahrhunderts, eine Geschichte von Macht,
Aufstieg und Niedergang.
problem in Italien ist, dass solche Stellen häufig
nicht nach Eignung besetzt werden!«, sagt Aghazzi.
Das kann, wie die Corona-Krise zeigt, katastro-
phale Folgen haben.
Die Nationale Ärztevereinigung Italiens listet
jeden an Covid-19 gestorbenen Arzt auf. Am An-
fang dieser immer länger werdenden Liste steht ein
Zitat des italienischen Dichters Giuseppe Ungaret-
ti: »Die Toten machen keinen Lärm, sie machen
weniger Lärm als das wachsende Gras.« Die Ärzte-
vereinigung schreibt weiter: »Die Namen unserer
Freunde, unserer Kollegen, die hier schwarz auf
weiß stehen, machen aber einen betäubenden
Lärm (...). Wir können nicht weiter zulassen, dass
unsere Ärzte, unser Krankenhauspersonal mit
nackten Händen gegen das Virus kämpfen müs-
sen. Es ist ein ungleicher Kampf, der uns, den
Bürgern und dem Land schadet.«
Valeria Leone sagt zum Abschluss des Ge-
sprächs: »Manchmal habe ich das Gefühl, mein
Mann sei auf die Schlachtbank geführt worden.«
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Erdoğan ruft nicht an: Bürgermeister Ekrem Imamoğlu lange vor Ausbruch der Krise, während seines Wahlkampfs 2019 im Ägyptischen Basar in Istanbul
»Unsere Gesellschaft
braucht Hoffnung«
Ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoğlu, über das Virus,
die Pressefreiheit und die Handynummer des Staatspräsidenten
Wie beschreibt man in Zeiten von Corona die­
Stimmung in einer 16-Millionen-Stadt? Einer Stadt,
die nie schläft, in der alles zu haben ist, jederzeit,
zumindest für die, die dafür bezahlen können?
Vielleicht beschreibt man die Atmosphäre am b­ esten
mit einem Bild. Ende März postete der türkische
Gesundheitsminister ein Foto der berühmten Gala-
ta-Brücke. Wo sonst dicht an dicht die Angler ste-
hen, Istanbuler und Touristen spazieren gehen und
verweilen, sieht man: Leere. Der Minister bedankte
sich bei den Menschen, dass sie den Empfehlungen
der Regierung folgten.
Und was sagen die Menschen? Einige sagen: Wie
schön die Stadt plötzlich ist, diese Hauptstadt der
Ellenbogen und der Herzlichkeit. Man kann ihre
Schönheit oft vor lauter Menschen gar nicht er-
kennen. Aber da ist auch Traurigkeit, sie so verlas-
sen zu sehen – jetzt im Frühjahr beginnt Istanbul
sich normalerweise mit Touristen zu füllen. Viele
Menschen leben vom Tourismus. Und so gesellt sich
zur Traurigkeit die Angst, wie es weitergehen soll.
Die Regierung hatte das Zuhausebleiben empfoh-
len, nach und nach verfügte sie Reise- und Kon-
taktbeschränkungen, aber keine Ausgangssperren
wie in Spanien oder Italien. Die gab es zuletzt nur
für unter 20-Jährige und über 65-Jährige. Heißt:
Wer Arbeit hat, soll arbeiten.
Ein Leben im Krisenmodus ist in Istanbul ja nichts
Neues, vielleicht wirken deshalb viele Menschen so
gelassen. Oder sie wollen so wirken. Und sie versu-
chen, das Schöne zu erkennen. Wie etwa, dass nun
wieder häufiger Delfine im Bosporus zu sehen sind,
seit kaum noch Schiffe durch die Meerenge fahren.
Ekrem Imamoğlu, einer der populärsten Oppo­si­tions­
poli­ti­ker, ist seit bald einem Jahr Bürgermeister der
Metropole. Die Wahl hatte er 2019 gleich zwei-
mal gewonnen. Die erste wurde nach einem Ein-
spruch der Regierungspartei AKP von Staatspräsident
Erdoğan annulliert. Beim zweiten Durchgang ge-
wann Imamoğlu noch mehr Stimmen. Das Gespräch
mit ihm findet per S­kype statt, der Bürgermeister
sitzt in seinem Büro, an der Wand hinter ihm hängt
ein großes Porträt des Staatsgründers Atatürk.
DIE ZEIT: Herr Bürgermeister, wie schwer hat
das Coronavirus Istanbul getroffen?
Ekrem Imamoğlu: Keine Frage, Istanbul ist das
Zentrum der Corona-Krise in der Türkei. Aber
wir haben keinerlei Daten über die Lage in unse-
rer Stadt. Ob es um Dia­gno­sen geht, die Zahl der
Behandlungen oder andere Themen – alle Infor-
mationen unterliegen der Kontrolle des Gesund-
heitsministeriums in Ankara. Und das gibt nur
Zahlen für die gesamte Türkei heraus. Wir schät-
zen, dass wenigstens 60 bis 65 Prozent der tür­
kischen Corona-Infizierten in Istanbul leben.
Diese Einschätzung hat auch der Gesundheits-
minister kürzlich bestätigt.
ZEIT: Das eine sind die Daten und die erkrank-
ten Menschen – was macht Ihnen noch Sorge?
Imamoğlu: Dass viele Menschen derzeit ihr Ein-
kommen verlieren. Da der Gesundheitsbereich
komplett dem Ministerium unterliegt, sich also
außerhalb unserer Entscheidungsgewalt befin-
det, konzentrieren wir uns als Stadtregierung auf
die sozialen Folgen der Krise. In normalen Zei-
ten bekommen ungefähr 230.000 Familien in
Istanbul Hilfsleistungen der Kommune. In den
letzten 15 Tagen ist die Zahl der Familien, die
solche Hilfen beantragt haben, auf mehr als
600.000 gestiegen. Das ist eine heftige Zahl.
ZEIT: Als Bürgermeister der wichtigsten Stadt in
der Türkei sprechen Sie wahrscheinlich ständig
mit der Regierung in Ankara. Haben Sie eigent-
lich die Handynummer von Präsident Erdoğan?
Imamoğlu: (lächelt) Nein, die habe ich nicht.
ZEIT: Wie oft konnten Sie ihn seit Beginn der
Corona-Krise sprechen?
Imamoğlu: Gar nicht. Ich habe dreimal um einen
Termin beim Präsidenten gebeten, man hat sich
nicht zurückgemeldet.
ZEIT: Die Krise hat einige Konflikte zwischen
der Zentralregierung und manchen Bürgermeis-
tern offenbart, die der Op-
positionspartei angehören.
Beispielsweise hatten Sie
eine Spendenkampagne für »Istanbul ist
Bedürftige ins Leben geru-
fen – und haben deshalb das Zentrum der
eine behördliche Untersu-
chung am Hals. Präsident
Corona-Krise in
Erdoğan sagte: »Es geht
nicht darum, dem Volk zu
der Türkei«
helfen, sondern eine Show
abzuziehen«, er sprach von
einem »Staat im Staate«. Wie erklären Sie sich
diese Aus­ein­an­der­set­zung?
Imamoğlu: Wir sind als Stadtverwaltung eine In­
sti­tu­tion des Staates, es ist unsere Pflicht, dem
Bürger zu dienen. Unser Handlungsspielraum ist
klar in der Verfassung abgesteckt, und eine unse-
rer Aufgaben ist es, das Wohlstandsniveau der
Bürger hoch zu halten. Zu helfen und dafür zu
sorgen, dass keiner unter die Räder gerät. Des-
halb besteht aus unserer Sicht kein Grund für
eine Aus­ein­an­der­set­zung. Derzeit gibt es eine
Untersuchung, ja, ich habe deshalb beim Innen-
minister und beim Gesundheitsminister angeru-
fen und erklärt, dass das jeder Grundlage ent-
behrt. Aber natürlich konnten sie mir nichts ant-
worten. Auch dürfen Stadtverwaltungen, die von
der Regierungspartei AKP geführt werden, Maß-
nahmen ergreifen, die uns Bürgermeistern der
Opposition verboten werden.
ZEIT: Was tun Sie denn als Bürgermeister, um
die Ausbreitung des Virus einzudämmen?
Imamoğlu: Wir sorgen zum Beispiel dafür, dass
750 öffentliche Gebäude regelmäßig desinfiziert
werden. Wir tun alles in unserer Macht Stehende,
um unseren Beitrag zum Gesundheitssystem zu
leisten, so bringen wir Pflegekräfte in derzeit leer
stehenden Hotels unter, damit sie nach ihrem
Dienst nicht den oft sehr langen Weg nach Hau-
se antreten müssen. Wir verpflegen sie da auch,
das sind etwa 1500 Menschen. Doch eine der
wichtigsten Maßnahmen wäre eine Ausgangs-
sperre. Wir haben unzählige Male gesagt, dass
wir sie brauchen. Aber darüber entscheidet allein
die Regierung. Es gab zwar Ausgangssperren,
aber bislang nur an zwei Wochenenden. Beim
ersten Mal verlief es sehr unglücklich ...
ZEIT: ... das Innenministerium hatte sie mit nur
zwei Stunden Vorlauf verkündet. Die Menschen
stürmten daraufhin in die Supermärkte und Bä-
ckereien, es bildeten sich lange Schlangen ...
Imamoğlu: ... dabei ist es fraglich, ob zwei Tage
überhaupt etwas bringen. Die Stadt Istanbul hat
einen eigenen Wissenschaftsrat zu Corona ein-
berufen. Diese Experten sagen uns, die Men-
schen sollten wenigstens zwei Wochen zu Hause
bleiben. Wir wiederholen daher unsere Forde-
rung nach einer Ausgangs-
sperre. Solange es nur eine
Empfehlung gibt, zu Hause
zu bleiben, sehen wir etwa
15 Prozent der Istanbuler
draußen. Das bedeutet 2,5
bis 3 Millionen Menschen.
ZEIT: Warum verfügt An-
kara keine Ausgangssperre?
Imamoğlu: Mir wurde kein
Grund genannt.
ZEIT: Wie, meinen Sie,
wird es weitergehen?
Imamoğlu: Nach allen uns zugänglichen Daten
würde ich vorsichtig vermuten, dass sich die Lage
Mitte oder Ende Juni bessert. Als Bürgermeister
sorge ich mich nicht nur um die Gesundheit der
Bürger, sondern auch um die Zukunft der Stadt.
Ich denke, wir werden ein bis anderthalb Jahre
mit den wirtschaftlichen Folgen zu kämpfen ha-
ben. Die Welt wird nicht mehr die alte sein.
ZEIT: Teilt die Regierung in Ankara dies der
Bevölkerung hinreichend deutlich mit?
Imamoğlu: Natürlich müssen die Regierenden
der Gesellschaft transparent vermitteln, was uns
erwartet. Die Lage zu beschönigen kann am
Ende zu noch mehr Enttäuschung führen. Kri-
senmanagement lebt vom Kompromiss, von ge-
meinsamen Überlegungen, von Transparenz. Da
macht die Regierung leider keine gute Figur.
ZEIT: Der Gesundheitsminister tritt oft vor die
Kameras und teilt neueste Entwicklungen und
Zahlen mit. Das überzeugt Sie nicht?
POLITIK 7
Das politische
Objekt
Der 150-Euro-Computer
Als die Bundesregierung vorige Woche das
Kurzarbeitergeld erhöhte und die Mehrwert-
steuer für die Gastronomie senkte, erhielt noch
eine weitere Gruppe ein, na ja, Geschenk: arme
Kinder. Arme Kinder bekommen jetzt 150
Euro, damit sie sich ein technisches Gerät kau-
fen können, um am digitalen Unterricht teil-
zunehmen. Die Einmalzahlung läuft unter
dem Stichwort »digitale Teilhabe«, auch wenn
das digitale Teil, das man für dieses Budget ha-
ben kann, wahrscheinlich nicht mal bis nach
den Sommerferien hält. Bei einer schnellen
eBay-Suche findet sich etwa das Angebot »Acer
Laptop defekt« für 130 Euro. Nur Abholung.
Foto: Ozan Kose/AFP/Getty Images; kl. Foto (o. r.): ddp
Dass der Staat jetzt überhaupt Geld für Lap-
tops oder Smartphones verschenken muss, ist
ein Eingeständnis. Denn das sogenannte »Digi-
tale« ist schlichtweg gesellschaftliche Normali-
tät. Wer sich in der digitalen Welt nicht zu-
rechtfindet, hat im Leben einen Nachteil. Dass
es Kinder in Deutschland gibt, die kein Gerät
besitzen, mit dem man vernünftig Texte lesen
oder Videoanrufe machen kann, ist ein Beweis
dafür, dass es Kinder in Deutschland gibt, de-
nen es am Nötigsten fehlt. Anstatt aber wäh-
rend der Krise die Umstände zu ändern, in de-
nen diese Kinder leben, verweist man sie auf
Geräte, die sie von diesen Umständen ablenken
sollen. Mit dem Laptop können sie in die
Wohnzimmer ihrer Mitschüler schauen, in de-
nen es Platz gibt, Obstschalen und Eltern, die
bei den Hausaufgaben helfen.
Die Bundesregierung hat noch einmal spezifi-
ziert, dass die 150 Euro eben ein Zuschuss seien.
Dass die Familien also selbst noch etwas zuzahlen
müssten. Tatsächlich sind im Hartz-IV-Satz für
Kinder im Schulalter ganze 55 Cent für »Bil-
dungswesen« vorgesehen. ANNA MAYR
Torten der
Wahrheit
VON K ATJA BERLIN
Imamoğlu: Natürlich ist es in einer Pandemie
unmöglich, alles perfekt zu machen. Die Men-
schen haben aber ein Bedürfnis nach In­for­ma­ Wer schuld daran ist, dass wir
tion und hinterfragen auch einiges. So gibt es gerade nicht in Fitnessstudios gehen
etwa die Einschätzung, dass das Verhältnis von
Infektionszahlen zu geheilten Infizierten und
Todesfällen kaum mit den Vergleichswerten an-
derswo auf der Welt in Einklang zu bringen ist.
ZEIT: Laut New York Times sind im März und
April 2100 Menschen mehr in Istanbul gestor-
ben als sonst üblich.
Imamoğlu: Über unsere Internetseite kann jeder
nachvollziehen, wie viele Menschen sterben. Corona
Und wenn wir uns diese Zahlen anschauen, se-
hen wir, dass es da einen dramatischen Anstieg »Corona«
gibt. Wir erhalten die Totenscheine, aber erfah-
ren nicht, ob dieser oder jener Kranke an Co-
vid-19 gestorben ist. Das sollte das Ministerium Was für Deutsche bei einer
wissen und auch den Grund für den Anstieg der Maskenpflicht im ÖPNV noch
Todeszahlen erklären können. Wir haben dem ungewohnt ist
Gesundheitsminister mitgeteilt, dass wir darüber
informiert werden wollen.
ZEIT: Haben Sie eine Antwort erhalten?
Imamoğlu: Bis jetzt noch nicht.
ZEIT: Als Sie zum Bürgermeister gewählt wur-
den, lautete Ihr Wahlslogan: »Alles wird sehr
schön werden«, man konnte das auch auf die
Stärkung der Grundrechte beziehen, auch auf
die Pressefreiheit. In der Türkei sitzen derzeit
mehr als hundert Journalisten im Gefängnis. die Maske
Nun haben Sie selbst drei regierungsnahe Jour- der ÖPNV
nalisten angezeigt (die Imamoğlus Werben für
eine allgemeine Ausgangssperre mit dem Putsch- ANZEIGE
versuch 2016 gleichgesetzt hatten, Anm. d.
Red.). Ist Journalismus, der Sie kritisiert, ein
Verbrechen?
Imamoğlu: Die Pressefreiheit ist in unseren Au-
gen so wertvoll wie die Luft zum Atmen. Aber
Journalismus bedeutet nicht, einen Menschen
zum Terroristen zu erklären. Wer so etwas macht,
tut nur so, als sei er ein Journalist, dabei tritt er
die Würde eines Menschen mit Füßen. Wie oft
bin ich von anderen Journalisten schon kritisiert
worden und habe niemanden von ihnen ange-
zeigt. Aber ich habe ein Recht darauf, mich ju-
ristisch zu verteidigen.
ZEIT: Wird denn immer noch alles schön wer-
den? Und wenn ja: wann?
Imamoğlu: Nun, »Alles wird sehr schön werden«
ist eine Geisteshaltung, die Hoffnung nährt. Un-
sere Gesellschaft braucht diese Hoffnung. Sie
braucht das Gefühl von Gleichheit, von Gerech- Das Politikteil
tigkeit, von angemessenem Lohn; das Gefühl,
Illustration: Lea Dohle
Am Ende der Woche sprechen
recht bekommen zu können. Sie braucht den wir über Politik. Der neue Podcast
Glauben daran, dass sich die Dinge wirklich än- der ZEIT – jeden Freitag unter:
dern lassen.
www.zeit.de/politikpodcast
Die Fragen stellte Özlem Topçu
 8 POLITIK
Schwarzes Meer
Erdöl war ein Machtmittel. Heute verliert es dramatisch an Wert. Geht die fossile Weltordnung zu Ende?  VON MICHAEL THUMANN
A
m 9. April um 19.55 Uhr
verlässt die Hercules I den
saudischen Ölhafen Ras
Tanura und nimmt Kurs
auf die Straße von Hor-
mus. Der Supertanker
durchpflügt die Meeren-
ge mit 12,1 Knoten, ver-
rät die Internetseite MarineTraffic. Es ist eines
der größten Schiffe der Welt und hat rund zwei
Millionen Fass Rohöl an Bord. Das ist fast so
viel, wie ganz Deutschland an einem Tag ver-
braucht. Es geht weiter in Richtung Kap der
Guten Hoffnung, bei Redaktionsschluss am
Montag fährt der Tanker an der südafrikani-
schen Küste entlang. Ziel ist der amerikanische
Hafen von Galveston-Houston in Texas. Doch
ob die Hercules I ihre Fracht dort wie geplant
am 22. Mai entladen kann, ist völlig unklar.
Denn die Vereinigten Staaten brauchen derzeit
kein Öl aus dem Ausland. So wie die Welt in diesen
Tagen überhaupt wenig davon braucht. Aber das
Öl ist bestellt. Zwanzig solcher Supertanker sind in
diesen Tagen mit rund 40 Million Fass Rohöl aus
Saudi-Arabien unterwegs in die Vereinigten Staa-
ten. Das macht die amerikanische Regierung und
die Behörden in Texas nervös. Denn die Rohöl­
lager der USA mit einer Kapazität von immerhin
650 Millionen Fass drohen überzulaufen. Viele
Schiffe wie die Hercules I werden als Lagerstätte
Illustration: Martin Burgdorff für DIE ZEIT; ZEIT-Grafik: Reuters; thebalance.com; www.eia.gov (u.)
gebucht und schwimmen auf den Ozeanen, ohne
Ziel, ohne Auftrag und ohne Ahnung, wann sie
ihre Fracht wieder loswerden können.
Mitte April wurden bereits 160 Millionen Fass
weltweit in Schiffen auf dem Meer gebunkert.
Ernie Barsamian, Vorstandsvorsitzender von Tank
Tiger, einer Lager-Firma, sagt, die großen Schiffe
seien ausgebucht. »Was es jetzt noch gibt, sind
schwimmende Töpfe und Pfannen.« Die Super-
macht USA ersäuft im Öl. Deshalb sieht der repu-
blikanische Senator Ted Cruz aus dem Ölstaat
Texas in zusätzlichen Lieferanten wie der Hercu-
les I eine Bedrohung. Seine Forderung an die Sau-
dis: »Dreht zum Teufel noch mal eure Tanker um!«
Der Schock von letzter Woche sitzt tief. Am 21.
April sank der Ölpreis WTI in den USA kurzfristig
auf minus 40 Dollar, zum ersten Mal in der Ge-
schichte musste der Besitzer eines Fasses Öl beim
Verkauf draufzahlen. Inzwischen pendelt sich welt-
weit der Preis des Rohstoffs bei 15 bis 20 Dollar
pro Fass ein. Nachdem er vor drei Monaten noch
bei dem Vierfachen und vor fünf Jahren bei dem
3 Mrd. Fass haben die westlichen
Industrienationen als strategische Reserve
eingelagert – die 35 Mitgliedsstaaten
der Organization for
Economic Development (OECD)
Zehnfachen davon gelegen hat. Die Coro-
na-Krise hat die USA als größten Öl-Produ-
zenten der Welt hart getroffen. Flugzeuge,
die nicht mehr abheben, Autos, die nicht
mehr fahren, Fabrikschlote, die nicht mehr
rauchen: Das Virus entpuppt sich nicht nur als
Bedrohung der Menschheit, sondern auch als
Feind des Öls. Denn wo die Produktion weit-
gehend stillsteht, sinkt die Nachfrage nicht
nur, sie rauscht ins Bodenlose.
Natürlich, wenn die Weltwirtschaft wieder
anspringt, wird auch kurzfristig mehr Öl ver-
braucht werden. Wohlgemerkt: kurzfristig.
Die Corona-Krise beschleunigt mit Wucht
eine Entwicklung, die bereits vor der Pande-
mie einsetzte und deren Folgen danach in ih-
rer ganzen Dramatik erkennbar werden: Die
Weltordnung, in der das Verbrennen von Erd-
öl normal war und sich politische Macht auf
fossile Rohstoffe gründete, geht zu Ende. Die Erd-
erwärmung, der Aufschwung erneuerbarer Ener-
gien, die Dekarbonisierung der Wirtschaft – all
dies hatte den Stellenwert des Öls schon vor der
Corona-Krise beschädigt. Nun könnte das Petro-
zeitalter in seine womöglich letzte Phase eintreten.
I
n den vergangenen 150 Jahren richtete sich die
Welt nach dem Öl und seinem Preis. Krisen
und Kriege, Aufschwung und Niedergang,
Konsum und Armut, Reisen und Pendeln –
die industrielle Moderne hing an diesem Stoff.
Diese Ordnung schufen Männer wie die Rockefel-
lers, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in den USA
Ölquellen, Raffinerien und Pipelines zusammen-
rafften. Oder die Rothschilds, die sich mit den
Nobel-Brüdern einen Wettlauf um das Öl am Kau-
kasus lieferten. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs
stellte der Erste Lord der Admiralität, Winston
Churchill, die britische Flotte von Kohle auf Öl um,
um sie schlagkräftiger zu machen und die Deut-
schen zu besiegen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs
begründeten US-Präsident Franklin D. Roosevelt
und der saudische König Abdel Asis ibn Saud eine
Petrofreundschaft, die zum Abstieg des britischen
Weltreichs beitrug – und in den 1980er-Jahren auch
die Sowjetunion in den Ruin trieb. Öl befeuerte
ehrgeizige Mächte auf dem Weg nach oben und
trieb andere Staaten ins Verderben. Wer Zugang
zum Öl hatte, gewann Kriege und Hegemonie.
Heute dagegen kämpfen viele Ölunternehmen
um ihr Überleben. Das konnte nur so schnell ge-
hen, weil die großen Ölländer ausgerechnet zu Be-
1. USA
Die zehn größten Ölförderländer der Welt
12,2
2. SAUDIAR ABIEN 11,8
3. RUSSLAND 11,5
4. K ANADA 5,5
5. CHINA 4,9
ginn der Pandemie einen Preiskrieg gegen-
einander führten. Anfang März zerstritten
sich Saudi-Arabien und Russland, die bei-
den größten Ölförderländer nach den USA.
Da Russland seine Produktion nicht begren-
zen wollte, pumpten die Saudis einfach mehr Öl
auf die Märkte, um den Russen das Geschäft zu
verderben. Ein Kampf der Scheichs gegen die Oli-
garchen, in dem beide Milliardensummen verlo-
ren. Als sich Russen und Saudis Mitte April end-
lich auf Produktionskürzungen einigten, war es zu
spät. Da hatte die Corona-Krise die Weltwirtschaft
schon zum Erliegen gebracht – und damit den­
Ölkreislauf.
Die globale Krise trifft die Amerikaner unter
den großen Förderländern in dieser ersten Phase
am härtesten. Die US-Ölindustrie ist privat, sie
kann sich nicht im gleichen Maße auf Subventio-
nen und Staatsfonds verlassen wie die großen rus-
sischen und saudischen Konzerne. Im April ging
einer der größten Produzenten von Schieferöl
pleite, das durch Aufbrechen von Gestein (Fra-
cking) gewonnen wird. Für Donald Trump, der
auch von der Ölindustrie an die Macht gesponsert
wurde und seither im Amt mit der Kündigung des
Pariser Klimaabkommens und Privilegien für die
Ölkonzerne zurückzahlt, ist das eine Katastrophe.
Per Fracking wollte Trump die Weltmärkte er-
obern, jetzt beendet der Weltmarkt das Fracking,
weil es sich nicht mehr rechnet. Die Ölplattformen
verwaisen, die Angestellten werden entlassen, aus-
gerechnet in Bundesstaaten wie North Dakota
oder Texas, die bei der Wahl im Herbst wieder
Donald Trump wählen sollen.
Doch was hier zerbricht, ist größer als eine
Wahlkalkulation oder ein Sponsorenverhältnis.
Eine weltpolitische Konstellation endet, auf die in
den Krisen der letzten 75 Jahre stets Verlass war:
die saudisch-amerikanische Freundschaft. Der Pe-
tropakt bestand im Wesentlichen darin, dass die
Saudis das Öl lieferten und die USA die Waffen.
Dazu spannten sie ihren Sicherheitsschirm am
Golf auf. Zwar wird Saudi-Arabien in den USA
schon seit 2001 von manchen kritisch betrachtet,
weil die meisten Attentäter des 11. September Sau-
dis waren, doch waren es zumeist Demokraten, die
sich an den Menschenrechtsverletzungen und der
streitsüchtigen Außenpolitik des Königreichs stör-
ten. Nun aber fragen sich superrealpolitische Re-
publikaner: Sind es nicht die Saudis, die mit ihrem
Preiskrieg das Fracking zerstört haben? »Die strate-
gische Allianz, die wir hatten, ist kaputt«, sagt Ke-
Angaben in Millionen Fass pro Tag
vin Cramer, der republikanische Senator von
North Dakota. Der Pakt von Roosevelt und
König Saud von 1945 verliert in diesen Tagen
seine letzten Unterstützer.
Saudi-Arabien selbst kann sich mit zwei
Fakten trösten. Erstens geht es seinem ewigen
Rivalen am Golf nicht besser – der Iran steht
unter dem doppelten Druck von US-Sanktio-
nen und niedrigen Ölpreisen. Zweitens verfü-
gen die Saudis über einen gigantischen Staats-
fonds in Höhe von einer halben Billion Dollar,
das Sparbuch der Nation, von dem sie noch
eine Weile zehren können. Doch die Zeit für
die großen Pläne von Kronprinz Mohammed
bin Salman, sein Land zu modernisieren und
unabhängiger vom Öl zu machen, wird knapp.
Viel Geld, das für Investitionen reserviert war,
dürfte bald für die Unterstützung und Einstel-
lung junger Menschen nötig werden. Schon
heute gibt der Staat die Hälfte seines Etats allein
für Gehälter aus. Hinzu kommen die enormen
Kosten des Jemen-Krieges.
Deutlich dramatischer ist die Lage bereits
heute schon im Irak. Neunzig Prozent der
Staatseinnahmen stammen aus Ölverkäufen.
Die Regierung in Bagdad kann das Geld für
Pensionen, Armenhilfen und Staatsgehälter
nicht mehr aufbringen. Wer dem Land in der
Krise beispringt, ist offen. Genauso wie die
Frage, wer nebenan Syrien wiederaufbauen
kann. Der Nachbar Iran hat kein Geld, Saudi-
Arabien immer weniger, Europa muss sich erst
mal selbst retten. Trump hat ohnehin nichts
zu verschenken. Gut möglich also, dass sich
dschihadistische Milizen in der Zukunft wie-
der massiv als Arbeitgeber anbieten.
Das absehbare Ende der fossilen Ordnung
führt zu allererst zu neuer Unordnung, Un-
übersichtlichkeit und Rivalität.
D
iese Gefahr droht auch in Afrika,
wo die Petrogroßmächte Angola
und Nigeria zu neunzig Prozent
vom Öl-Export abhängig sind.
Auch politisch waren es bislang vor allem die
Öleinnahmen, die etwa das 200-Millionen-
Einwohner-Land Nigeria mit über 250 ethni-
schen Gruppen und 500 Sprachen zusammen-
hielten. Bleibt das Geld weg, drohen dem
größten afrikanischen Land zunächst Wohl-
standsverluste, dann Zerfall und der Aufstieg
dschihadistischer Gruppen. Schon heute su-
6. IR AK 4,7
160 Mio.
7. V.A.E. 4,0
8. BR ASILIEN 3,7
9. IR AN 3,2
10. KUWAIT 2,9
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
chen Flüchtlinge den Weg nach Europa über die
Sahel-Staaten Mali und Burkina Faso, die von
Dschihadisten- und Bandenkriegen geplagt sind.
Sollte Nigeria in inneren Konflikten zerfallen,
könnte das zu einem geopolitischen Drama wer-
den – mit unmittelbaren Folgen für Europa.
Für viele europäische Staaten jedoch wird die Zu-
kunft der Petrosupermacht im Osten des Kontinents
am wichtigsten sein. Russland ist für sie Rohölquelle
und Bedrohung zugleich. Das Land beliefert viele
EU-Staaten, auch Deutschland, mit Öl und Gas –
und führt mit dem Geld Kriege. Wladimir Putin hat
im vergangenen Jahrzehnt viel von einer Wirtschaft
jenseits des Öls gesprochen, aber nichts dafür getan.
»Die offizielle Doktrin unseres Landes ist die Kon-
zentration auf fossile Energien«, klagt Michail Kru-
tichin von der Beratungsfirma RusEnergy. Ein Drit-
tel der Steuereinnahmen speisten sich direkt aus Öl,
und die fielen bei einem Preis unter 50 Dollar pro
Fass weg. Russland könne das nicht ausgleichen,
sondern nur in die Ersparnisse greifen, in den Staats-
fonds von gut 125 Milliarden Dollar. Der reiche laut
Finanzministerium höchstens noch für zwei Jahre.
»So eine Krise hat Russland seit 1991 nicht er-
lebt«, sagt der angesehene russische Ökonom Ser-
gei Guriev. 1991 zerfiel die Sowjetunion, als Folge
von Misswirtschaft, Nationalismus und einseitiger
Ausrichtung auf das Öl. Der Petrofluch ist heute
zurück. Guriev glaubt nicht, dass Russland seine
aggressive Außenpolitik so weiter fortführen kön-
ne. In der Wirtschaftskrise werde es schwer, der
Bevölkerung anstelle von ausreichenden Renten
und Einkommen »weiter geopolitische Siege zu
verkaufen«, sagt er. Die Russen würden Putin
nicht mehr glauben, dass die Kriege in der Ukraine
und in Syrien sie nichts kosteten. Längst sinkt die
Popularität des Präsidenten, der sich künftig mehr
anstrengen muss, sein Land zusammenhalten.
Was den Petrogroßmächten im Gegensatz zu
früheren Krisen fehlt, ist Hoffnung. Früher verließen
sie sich darauf, dass Preise fallen und steigen. Diesmal
ist es anders. Die Kaffee- und Ölsatz-Leser erwarten
zumindest bis Ende des Jahres extrem niedrige Preise
von rund 20 Dollar pro Fass. Es schwindet die Angst,
dass uns der Rohstoff ausgeht. Aber die Befürchtun-
gen wachsen, was das Ende des Öls auslösen könnte.
Die Corona-Pandemie wird nicht so bald vorbei sein,
die Klimakrise erst recht nicht. Diese Gleichzeitigkeit
dürfte die Umstellung der Wirtschaft beschleunigen.
In der postfossilen Weltordnung werden Supertanker
wie die Hercules I wohl nicht mehr den weiten Weg
von Saudi-Arabien in die USA fahren.
Fass sind derzeit
auf Schiffen unterwegs
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 POLITIK 9
DER POLITISCHE FRAGEBOGEN

»Für andere zu leben ...«

1 Welches Tier ist das politischste? 19 Ist der Staat ein Mann oder eine Frau?
Wenn ich unsere Katze betrachte, würde Bitte begründen Sie.
ich sagen, die ist ein Idealbild. Sie ist un­ Der Staat ist weder ein Mann noch eine
abhängig von Zuneigung, auch für das Frau, so wie Vater Rhein in Wirklichkeit
größte Stück Zucker würde die sich nicht kein Vater und keine Mutter ist, sondern
auf die Hinterbeine stellen, im Gegen­ ein Fluss.
satz zum Pferd. Die macht, was sie will,
die lässt sich nicht bestechen. 20 Welche politische Phrase
So sind Politiker? möchten Sie verbieten?
Ich sage ja: Idealbild. Sie hat auch einen ... darin sah Norbert Blüm den Sinn seines Daseins. Ich höre nicht gern »Wir müssen die
Nachteil – sie ist nicht gesellig. Nehmen Wenige Monate vor seinem Tod hat er sich unseren Fragen gestellt. Menschen dort abholen, wo sie sind«.
wir doch was anderes. Die Wildsau. Die Eine Phrase, die nach verlorenen Wahlen
geht immer im Rudel oder gar nicht. Die Wir veröffentlichen seine 30 Antworten anstelle eines Nachrufs gängig ist, sie soll sagen: Die Wahlen
hat aber auch einen Nachteil. wurden nicht wegen falscher Inhalte ver­
Ja? loren, sondern weil man sie nicht rüber­
Die schaut immer nur auf den Boden. bringen konnte. Diese Phrase verwech­
Da wär die Giraffe gut, mit Fernblick. selt Wähler mit Kindergartenkindern.
Also, ich sage: eine Mischung aus Katze,
Wildsau und Giraffe. 21 Finden Sie es richtig, politische
Entscheidungen zu treffen,
2 Welcher politische Moment hat auch wenn Sie wissen, dass die
Sie geprägt – außer dem Mehrheit der Bürger dagegen ist?
Kniefall von Willy Brandt? Ja. Wenn ich weiß, dass diese Meinung
Ein Augenblick hat mich beeindruckt. verändert werden kann und verändert
Das liegt jetzt fast 40 Jahre zurück. Der werden muss, bleibe ich bei dem, was ich
Fotos: Jens Grossmann/laif (o. l.); Hannes Jung/laif (o. r.); Konrad Rufus Müller/Agentur Focus (u. l.); Thomas Imo/Photothek/Getty Images (M. r.); Jens Grossmann/laif (u. M.); Ulrich Baumgarten/Getty Images (u. r.)

chilenische Diktator Augusto Pinochet
war gestürzt, der neue Präsident war ge­
wählt und wurde im Stadion von Santiago
in der Nacht vereidigt. Ich war da, in dem
Stadion, in dem Pinochet seine Gegner
einst eingesperrt hatte. Da tanzten dann
in der Nacht zwanzig weiß gekleidete älte­
re Frauen Walzer mit ihren ermordeten
Männern. Mit anderen Worten: Sie tanz­
ten, als hätten sie jemanden im Arm, hat­
ten sie aber nicht, sie tanzten ganz allein.
Dann erschien der neue Präsident Patricio
Aylwin im zivilen Anzug an der Hand
seiner Frau und wurde vereidigt. Ich habe
im Herbst seine Witwe getroffen, darf ich
das noch erzählen?
Ja, natürlich.
Ich habe sie gefragt: »Was haben Sie da ei­
gentlich gedacht, in dem Moment?« Da
hat sie gesagt, sie habe gedacht: Hoffent­
lich bleibe ich mit meinen Stöckelschuhen
nicht im Gras stecken. Und dann sagte sie
meinen Lieblingssatz: »Ich glaube, wir
waren sehr glücklich.« Ist doch schön,
oder? Besonders gefällt mir, dass sie sagte:
»Ich glaube«.
3 Was ist Ihre erste Erinnerung an Politik?
Ich hab den Wahlabend 1949 schon mit­
bekommen, da war ich 14. Kurt Schu­
macher hat mich beeindruckt, ein Kriegs­
geschädigter, ihm haben ein Arm und ein
Bein gefehlt, er hat in den Reden ge­
schrien, als ginge es um sein Leben. Ich
erinnere mich an Konrad Ade­nau­er, der
immer dastand wie Petrus auf den
Meeres­wellen, unbeeindruckt.
4 Wann und warum haben
Sie wegen Politik geweint?
Ich bin tränenarm, ich kann mich nicht
erinnern.
5 Haben Sie eine Überzeugung,
die sich mit den gesellschaftlichen
Konventionen nicht verträgt?
Im Notfall gönne ich mir, auch gegen
den Strom zu schwimmen, aber nur im
Notfall.
6 Wann hatten Sie zum ersten Mal
das Gefühl, mächtig zu sein?
Wahrscheinlich im Kindergarten, wenn
ich den Turm meines Nachbarn umge­
worfen hab.
7 Und wann haben Sie sich
besonders ohnmächtig gefühlt?
Och. Öfter. Auf Kundgebungen zum­
Paragrafen 116, dem Streikparagrafen,
hat die tobende Masse mich ausgebuht.
Und ich hatte nicht den Hauch einer­
Chance, ein Argument vorzubringen. Das
wollten sie gar nicht hören. Ihre Argu­
mente waren faule Eier, die mir am Kopf
runtergelaufen sind, was kein schönes
Gefühl ist. Ich weiß noch, wie ich dachte:
Eigentlich müsst ihr euch schämen.
8 Wenn die Welt in einem Jahr untergeht –
was wäre bis dahin Ihre Aufgabe?
Sie dürfen allerdings keinen Apfelbaum
pflanzen.
Ich würde kurz vor Toresschluss versu­
chen, Frieden zu schließen mit allen, mit
denen ich im Streit liege.
9 Sind Sie lieber dafür oder dagegen?
Theoretisch immer dafür, praktisch oft
dagegen.
10 Welche politischen Überzeugungen
haben Sie über Bord geworfen?
Ich finde immer noch, dass man nicht
lügen sollte, aber man muss auch nicht
jedem immer die Wahrheit ins Gesicht
schleudern. Ich versuche inzwischen, die
Wahrheit mit der Klugheit zu verbinden.
Als junger Mann dachte ich, das sei gar
nicht nötig, man könne und müsse je­
dem die volle Wahrheit sagen.
Ein politisches Buch, das man gelesen haben muss? »Die Bibel.« Norbert Blüm beim Besuch einer Schule für gehörlose Kinder in Kabul,
in seiner Bonner Wohnung, mit Kanzler Helmut Kohl im Wahlkampf 1990, bei einer Kampagnenaktion als Arbeits- und Sozialminister,
mit einem einjährigen Jungen im Arm im Irak und in dem Bildband »Licht Gestalten« von Konrad R. Müller (im Uhrzeigersinn)
11 Könnten Sie jemanden küssen, grund, das nicht dazugehört hat. Ich weiß
der aus Ihrer Sicht falsch wählt? also, wie unbarmherzig Kinder sein kön­
Ich will Ihnen ein Geheimnis ver­raten: nen. Ich habe in den zwei Jahren nie die
Wenn ich jemanden küsse, denke ich nie Schulglocke läuten dürfen, obwohl jede
an die Wahl­urne. Woche ein anderer dran war und wir nur
14 Schüler waren. Diese schwere kindliche
12 Haben Sie mal einen Freund oder eine Niederlage habe ich vor ungefähr zehn
Freundin wegen Politik verloren? Jahren ausgeglichen. Da war ich wieder in
Und wenn ja – vermissen Sie ihn oder dem Dorf, beim Bürgermeister, und ich
sie? sagte zu ihm: »Ich möchte ein Mal die
Ich habe Menschen verloren, weil die­ Schulglocke läuten.« Dann sind wir am
politischen Überzeugungen sich unter­ Samstagnachmittag zur Schule, die Glo­
schieden haben, aber nie einen Freund. cke war inzwischen elektrisch. Und ich
Dann wäre er auch kein Freund. Ein habe den Schalter bedienen dürfen.
Freund ist mehr als ein Parteifreund.
15 Welche politische Ansicht Ihrer Eltern
13 Welches Gesetz haben Sie mal ­ war Ihnen als Kind peinlich?
gebrochen? Meine Eltern hatten keine politischen
Als Kind habe ich Kohle aus fahrenden Ansichten. Sie waren politisch unbeleckt,
Güterzügen geklaut, weil wir nichts im aber das war mir nie peinlich. Zu einer
Ofen hatten. Das war natürlich Dieb­ Demokratie gehören auch Menschen,
stahl. Aber das würde ich unter den Um­ die unpolitisch sind. Ich hätte nicht gern
ständen wieder tun. eine Gesellschaft, in der jeder politisch
abkommandiert wird.
14 Waren Sie in Ihrer Schulzeit beliebt
oder unbeliebt, und was 16 Nennen Sie eine gute Beleidigung für
haben Sie daraus politisch gelernt? einen bestimmten politischen Gegner.
Ich war ein Stadtkind, das durch den Eine gute Beleidigung ist ein Augen­
Krieg aufs Land verschlagen wurde. Da blickseinfall. Eine lang geplante politi­
war ich das Kind mit Mi­gra­tions­hin­ter­ sche Beleidigung ist eine Intrige. Beleidi­
gung mit Anlauf ist nicht mein Ding, sie
muss aus dem Bauch kommen.
17 Welche Politikerin, welcher Politiker
hat Ihnen zuletzt leidgetan?
Helmut Kohl.
Warum?
Weil er mit sich und der Welt zerstritten
war. Weil er verbittert war. Weil am Ende
sein Abschied unverdient nicht gut war.
18 Welche Politikerin, welcher Politiker
müsste Sie um Verzeihung bitten?
Das kann ich wie aus der Pistole geschos­
sen sagen!
Bitte.
Olaf Scholz! Es gab vor vielen Jahren
eine Fernsehdebatte über die Riester-
Rente. Da hat er meine Behauptung,
dass der Riester-Faktor das Rentenniveau
senke, als eine Lüge bezeichnet. Und
zwar so überzeugend! Scholzomatisch!
Kaltschnäuzig! Ich bin sicher, die Anwe­
senden und die Leute an den Fernsehern
dachten: Der Scholz hat recht. So über­
zeugend hat er ge­logen!
Und können Sie den nun aus dem Bauch
heraus beleidigen?
Lügner! Aber das ist keine Beleidigung,
das ist eine Beschreibung.
für richtig halte. Dafür gibt’s in der Ge­
schichte gute Beispiele. Adenauers wei­
chenstellende Entscheidungen der Nach­
kriegszeit wären von keiner Meinungs­
umfrage gedeckt gewesen, weder die
Westbindung noch Marktwirtschaft statt
Planwirtschaft. Das hat er alles durchge­
kämpft. Ich bin gegen Politiker, die sich
erst entscheiden, wenn sie mit dem nas­
sen Finger die Windrichtung kontrolliert
haben.
22 Was fehlt unserer Gesellschaft?
Großes Wort: Empathie. Wenn wir diese
Fähigkeit etwas weiter entwickelt hätten,
hätten wir über Flüchtlinge nicht so re­
den können, wie wir über sie geredet ha­
ben. Da hätten wir Männer und Frauen,
die geflüchtet sind, weil ihre Kinder ver­
hungern oder verdursten, nicht als Tou­
risten bezeichnen können.
23 Welches grundsätzliche Problem
kann Politik nie lösen?
Den Sinn des Lebens enträtseln. Camus’
Frage »Selbstmord – ja oder nein?« ist die
einzige Frage, über die es sich zu streiten
lohnt. Alles andere sind Nebensächlich­
keiten. »Selbstmord – ja oder nein?« ist die
Frage nach dem Sinn des Lebens, und die
beantwortet die Politik nicht. Dafür ist sie
auch nicht zuständig.
Und wie beantworten Sie die Frage?
Selbstmord – ja oder nein?
Nein. Das Leben hat einen Sinn.
Welcher ist das?
Mit anderen und für andere zu leben.
Oder wenn Sie es weniger ausführlich
wollen: Liebe.
24 Sind Sie Teil eines politischen Problems?
Ja. Alte Leute sehen die Vergangenheit zu
rosig.
25 Nennen Sie ein politisches Buch,
das man gelesen haben muss.
Die Bibel.
Die ist politisch?
Das ist das politischste Buch, das ich über­
haupt kenne. Da ist alles drin, was das
Leben zu bieten hat. Kriminalgeschichten.
Utopien. Wahrheitssentenzen. Spannende
Familiengeschichten. Liebeslyrik.
26 Bitte auf einer Skala von eins bis zehn:
Wie verrückt ist die Welt gerade?
Und wie verrückt sind Sie?
Also, die Welt würde ich so bei sieben
einordnen. Und, tja – wie verrückt bin
ich? Bisschen weniger, hoffe ich. Ich­
hoffe, dass ich unterdurchschnittlich ver­
rückt bin.
27 Der beste politische Witz?
Kurt Biedenkopf und Norbert Blüm be­
treten eine Kneipe und sagen: »Zwei
Kurze!« Sagt der Wirt: »Das sehe ich
doch. Und was wollt ihr trinken?«
28 Was sagt Ihnen das bekannte Bild, das
den russischen Präsidenten Wladimir
Putin mit nacktem Oberkörper und Ge-
wehr in der Wildnis zeigt?
Macho und Krieg sind ein Geschwister­
paar. Abscheulich.
29 Wovor haben Sie
Angst – außer dem Tod?
Dass meine Enkel in einer Welt leben, in
der sie ihren eigenen Kopf nicht mehr für
eigene Gedanken gebrauchen, sondern
ein Algorithmus dies für sie übernehmen
wird. Eine Welt glücklicher Idioten.
30 Was macht Ihnen Hoffnung?
Dass die menschliche Natur dem wider­
sprechen wird. Dass es ein angeborenes
Bedürfnis gibt, Besitzer des eigenen Kop­
fes zu bleiben.
Die Fragen stellte Britta Stuff

Norbert Blüm wurde 84 Jahre alt. Während der gesamten Regierungszeit von Helmut Kohl, 1982 bis 1998, gehörte er
als Arbeits- und Sozialminister dem Kabinett an. Der Doktor der Philosophie galt als das soziale Gewissen der CDU
10

Kinder lösen sich nicht in Luft auf, weil

STREIT 29. A P R I L 2020 D I E Z E I T N o 1 9

ihre Eltern gerade den Chef anrufen, zum

Glück nicht. Sie brauchen Zeit und
»Das ist
Zuwendung. Natürlich: Das ist der Job von
Eltern. Aber war es nicht jahrzehntelang
seit 30 Jahren so«
gesellschaftliches Ziel, dass beide Eltern Ich bin Ehefrau, Mutter, Putzfrau, Lehrerin,
auch bezahlte Jobs haben können? Kassiererin. Das bin ich gern. Zusammen mit
Der Beschluss, Kitas und Schulen weiter meinem Mann und meinen vier Kindern
geschlossen zu halten, fiel, obwohl Kinder- wohne ich auf 50 Quadratmetern am Münch-
betreuung für doppelt berufstätige Paare ner Stadtrand. Meine 20-jährige Tochter hat
unmöglich ist. Einer muss also im Job ihr eigenes Zimmer. Zwei Söhne, 17 und elf,
zurückstecken – und wer? Meistens die teilen sich eins. Der zweite der elfjährigen
Frauen. Diese Tendenz zeigt auch eine Um- Zwillinge schläft mit meinem Mann und mir
frage des Wissenschaftszentrums Berlin für im Wohnzimmer. Für eine größere Wohnung
Sozialforschung. Waren wir nicht schon viel fehlt das Geld.
weiter? Sieben Frauen geben Einblicke – In meiner Supermarktfiliale arbeiten viele
und die Managerin Julia Jäkel (Seite gegen- Frauen, die meisten von ihnen sind Mütter.
über) beschreibt, was sie als Rückfall erlebt. Seit die Schulen geschlossen sind, haben wir
Kassiererinnen ein Problem: Wer passt auf
unsere Kinder auf? Und: Wie sollen wir das
mit unserer Mehrarbeit vereinbaren? Eigent-
»Hier herrscht der lich bin ich nur 24 Wochenstunden an der
Kasse. Aber wegen der Pandemie kaufen die
reine Irrsinn« Kunden mehr ein, deswegen arbeite ich­
inzwischen mindestens sechs Stunden mehr,
Es gibt sicher Familien, in denen das partner- auch am Wochenende.
schaftlicher abläuft, aber für mich hat die­ Das Homeschooling meiner Söhne bleibt
Corona-Zeit die Frauenemanzipation um an mir hängen. Zwar ist mein Mann daheim,
Jahre zurückgedreht. In unserer Familie bin weil er berufsunfähig ist. Er hat es im Kreuz,
hauptsächlich ich es – nicht mein Mann –, die eine Folge jahrelanger Arbeit auf dem Bau. Aber
darauf achtet, dass unsere Kinder, sechs, elf sein Deutsch ist nicht so gut. Wir sprechen
und 13 Jahre alt, sich morgens an ihre Schreib- Serbokroatisch miteinander. Manchmal ver-
tische setzen, ich mache Essen und Wäsche sucht er, bei den Matheaufgaben zu helfen –
und muss nebenher sieben Stunden arbeiten. ansonsten sind die Kinder mein Job. Genau wie
Das Unternehmen, in dem ich als Juristin Kochen, Putzen und der Rest des Haushalts.
angestellt bin, hat die komplette Belegschaft ins Das ist seit 30 Jahren so. Ich habe damals und
Homeoffice geschickt. Ich war also eh zu Hause, jetzt nicht darüber nachgedacht, dass man es
als die Schulen dichtmachten. Mein Mann, auch aufteilen könnte. Ich bin es so gewohnt. Gele-
Jurist, kann aus Datenschutzgründen nicht im gentlich kaufen wir zusammen ein. Aber meist
Homeoffice arbeiten. Ich habe nicht den Ein- mache ich das, ich bin ja eh im Geschäft.
druck, dass er sich abends sehr beeilt, zu uns zu Meine Jungs sind auf derselben Schule, aber
stoßen. Hier herrscht der reine Irrsinn. Wenn in verschiedenen Klassen. Das ist besser für
ich morgens in die erste Videokonferenz muss, Zwillinge. Wenn der eine Hausaufgaben hatte,
hatten wir schon die erste Brüllerei. Das Corona- voll beschäftigt war, acht Blätter bearbeiten
Maßnahmen-Gesetz hat in meiner Firma zu musste, war es der andere nicht. Das hat mich
vielen neuen Fragen geführt, die wir rechtlich geärgert. Ich habe mich nicht beschwert, ich
prüfen müssen. Es ist enorm viel zu tun. Wenn versuche es nur zu schaffen. Die Kinder ziehen
ich lese, dass sich im Homeschooling keiner um mit. Wenn ich bei der Arbeit bin, müssen sie
Kinder aus sozial schwachen Familien kümmert, jetzt ihre Aufgaben allein machen. Dann wird
Foto: Courtesy by TOILETPAPER Magazine

denke ich: nicht nur die werden abgehängt. gegessen, dann kontrolliert, dann in einem
Unsere Elfjährige hat letztens eine Woche Corona-Tagebuch aufgeschrieben, was sie heu-
lang brav ihre Lateinaufgaben zum Imperativ te gelernt haben. Das habe ich mir ausgedacht,
abgearbeitet und fragt dann am Sonntag: Was sonst verliere ich den Überblick.
ist ein Imperativ? Hat ihr keiner erklärt. Mein
Mann regt sich wie ich darüber auf, dass Lehrer Tomas G., 48, aus München ist Kassiererin
die Kinder nur mit Arbeitsmaterial zuschütten
und die Stoffvermittlung den Eltern überlassen.
Für ihn ist das ein politisches Problem, für mich
ein praktisches – denn ich habe mich schon
immer um Schulsachen gekümmert. Vor Coro- »Es wird immer Mama

Das Patriarchat lebt!

na war ich am späteren Nachmittag zu Hause,
jetzt bin ich immer hier, aber habe nie Zeit. Dass
meine Kinder rückblickend über diese Wochen
gerufen, nie Papa«
denken werden: War ja auch ganz schön, damals »Mama, schnell Pipi!«, rief meine Zweijähri-
mit Mama zu Hause, ist völlig ausgeschlossen. ge, und ich rannte weg vom Computerbild-
schirm, wo in einer Videokonferenz neun
Julia, 45, aus Berlin ist Juristin Mütter darauf warteten, dass ich meiner
Tochter aufs Klo geholfen haben und mit
Die Corona-Krise zwingt Familien, ihre Kinder noch für Monate zu Hause zu betreuen. dem Rückbildungskurs beginnen würde.
Für viele berufstätige Frauen bringt das eine böse Erkenntnis mit sich: Wenn es drauf ankommt, ist es Als Familienbegleiterin berate ich Mütter mit
Baby. Die berufliche Selbstständigkeit habe ich
»Welcher schnell vorbei mit der Emanzipation. Woran liegt das? Berichte aus dem Stresstest Homeoffice mir hart erarbeitet, alle Kurse waren ausgebucht.
Dann kam Corona.
Mülleimer, Mama?« Seit März bin ich mit drei Kindern allein zu
Hause, zwei, neun und elf Jahre alt. Ich koche,
Neulich kam ich vom Einkaufen nach Hause,
da riefen mein Mann und mein 17-jähriger
»So läuft wenigstens »Ich vermisse eine »Sein Arbeitgeber putze, wasche, erkläre Mathe und gebe meine
Kurse online, während meine Jüngste vor der
Sohn vom Balkon: »Hungeeeer!« Der Früh-
stückstisch war nicht gedeckt, die Eier nicht
ein Business« ehrliche Debatte« zeigt kein Verständnis« Webcam turnt. Mein Mann sagt: »Warum tust
du dir das an? Lass die Kurse doch jetzt sein.«
gebraten, der Kaffee nicht gekocht. Seit Coro- Bis vor Kurzem habe ich Yoga und Ayurveda Ich bin Juristin, keine Virologin, ich kann Vor Corona hatte ich mit einer Kollegin ein Aber mein Job ist mir wichtig. Ich will nach
na fühle ich mich wie im Neandertal! »Mama, unterrichtet, neuerdings sind es Mathe und nicht beurteilen, ob es richtig ist, Kitas bis Modelabel, war selbstständige Fotografin und Corona nicht beruflich von vorn anfangen.
mach Essen!«, »Frau, wo sind meine Socken?«. Deutsch für die dritte und fünfte Klasse. Meine Sommer zu schließen. Was mich aber irritiert, Mutter – mein Freund arbeitete in einer Fest­ Als Chirurg gilt mein Mann als system­
Dabei arbeite ich Vollzeit weiter, eine Woche Töchter sind acht und zehn Jahre alt. Mein ist die Selbstverständlichkeit, mit der das ver- anstellung. Seit Corona bin ich noch stärker als relevant, aber so richtig viel zu tun hat er nicht.
zu Hause, eine im Büro. Mein Mann arbeitet Mann hat eine Firma zur Herstellung von Des- kündet wurde. Als hätte dies nicht massive Mutter eingespannt – mein Freund arbeitet Momentan operieren sie nur Notfälle. Trotzdem
sonst im Ausland, jetzt führt er seine Videokon- infektionsgeräten. Er ist jetzt natürlich gefragt. Konsequenzen für Familien. Als hätten wir weiter wie zuvor. Als Selbstständige könne ich ist er in Tag- und Nachtschichten in der Klinik.
ferenzen vom Esstisch aus. Ich bin trotzdem die Bei mir ist es umgekehrt: Meine Jobs bleiben in nicht seit Jahrzehnten auf die Berufstätigkeit mir meine Zeit halt besser einteilen, sagt er. Und ich kümmere mich um die Kinder. Ich bin
Einzige, die kocht, einkauft, die Putzfrau ersetzt der Krise aus, ich muss darum fürchten, alles zu von Müttern hingewirkt. Selbst als der Chef meines Mannes Corona- ja gerade eh zu Hause – normalerweise gebe ich
und die Wäschehilfe. Meine betagte Mutter verlieren, was ich in den vergangenen sieben Ich höre jetzt oft: »Es ist halt gerade für alle positiv getestet wurde und wir in Quarantäne meine Kurse in einem angemieteten Raum.
muss ich auch noch versorgen. Mein Mann Jahren aufgebaut habe. Zuerst habe ich überlegt, hart.« Aber wir reden doch hier nicht über eine waren, habe primär ich unsere Dreijährige be- Wirklich angezweifelt haben wir diese Auftei-
räumt auch mal die Küche auf, aber meist erst auf Online-Kurse umzustellen. Aber wie soll ich Frage des Engagements – sondern über ein Ding treut. Auch wenn ich sie abgebe, sucht sie mich lung bisher nicht. Es war immer klar, dass er
zwei Stunden nach der Mahlzeit. Da muss ich Ruhe und Achtsamkeit vermitteln, wenn meine der Unmöglichkeit! Meine Zwillinge werden im ständig, ich kann nicht konzentriert arbeiten. Hauptverdiener ist, er kann nicht einfach ent-
Protokolle von Miriam Dahlinger, Stefanie Flamm, Sarah Levy, Charlotte Parnack, Stefanie Witterauf

mich zusammenreißen, es nicht vorher zu über- Töchter im Hintergrund wuseln und die Spül- Mai zwei. Wenn sie um mich sind, kann ich Ich müsste gerade mit meiner Kollegin den Um- scheiden, weniger zu arbeiten. Ich habe ihm
nehmen. Mein Sohn ist Meister im Aussitzen. maschine rattert? Stattdessen halte ich meinem keine Sekunde konzentriert arbeiten. zug unseres Lagers organisieren – aber kaum auch nie das Gefühl gegeben, dass er zu Hause
Neulich habe ich ihn fünfmal gebeten, den Müll Mann den Rücken frei. Inzwischen kommt er Mein Mann und ich haben uns schon vor quengelt meine Tochter, bin wieder ich es, die bleiben soll, bisher kriege ich ja alles hin. Wenn
rauszubringen. Irgendwann habe ich ihm den nur noch zum Essen aus dem Kinderzimmer, Corona die Betreuung geteilt. Aktuell wechseln das regeln muss. Es ist, wie wenn das Kind krank er da ist, geht er einkaufen, räumt die Spülma-
vollen Mülleimer vor die Zimmertür gestellt, er wo er sich ein Büro eingerichtet hat. Ich mache wir uns alle 1,5 Stunden ab. Ich weiß, dass das ist: Da kümmern sich auch meist die Mütter. schine aus, saugt zweimal die Woche durch.
ist stundenlang einfach drübergestiegen. »Wel- ihm keinen Vorwurf, ich mache das gern. So noch Luxus ist. Lange nicht alle Familien kön- Über unsere Rollenaufteilung haben mein »Mama, darf ich zocken?«, »Mama, mir ist
cher Mülleimer?«, fragte er. läuft wenigstens ein Business. nen – oder wollen – sich die Betreuung so auf- Freund und ich schon vor Corona viel diskutiert, langweilig!«, »Mama, ich vermisse meine Freun-
Männer sind besser darin, ihren eigenen Die Schulen behaupten, die Kinder könnten teilen. Und doch bleibt die Aufgabe Wahnsinn: weil sie nicht immer fair war. Durch die Krise de«. Es wird immer »Mama« gerufen, nie »Papa«.
Bedürfnissen zu folgen. Sie schieben Aufga- die Aufgaben selbstständig schaffen. Aber ohne Die Zwillinge wachen um 5.30 Uhr auf, ab da hat sich das hochgeschaukelt. Die ersten drei Die Kleine muss ständig umgezogen werden,
ben auf, bis sie jemand anderes erledigt. Die mich würden sie gar nichts machen. Seit wir alle brauchen Sie volle Betreuung durch einen von Jahre habe ich unsere Tochter betreut und nur gefüttert, beschäftigt. Sie akzeptiert den Papa oft
meisten Frauen, die ich kenne, haben es gern zu Hause sind, bin ich nur noch am Putzen, uns, die Arbeit bleibt liegen. Dabei schrumpft gearbeitet, wenn sie geschlafen hat. Seit einem nicht. Diese Woche hat mein Mann Nacht-
schön. Ich auch. Wir kümmern uns wirklich Kochen und Lehrerin-Spielen. Mein Mann ist das Pensum ja nicht. Ich habe Drittmittel- halben Jahr ist sie im Kindergarten. Um sie auch dienst, tagsüber schläft er. Als wir die Schulauf-
um alles. Das geht nach hinten los. Hauptverdiener, die Hausarbeit war schon projekte, außerplanmäßige Lehrveranstaltun- mal abzuholen, müsste mein Freund früher gaben für die nächsten Wochen bekommen
Letztens forderten mein Mann und mein vorher meine Aufgabe. Ich wollte das so. Würde gen, Autorenaufträge und muss digital meine Feierabend machen. Dafür zeigt sein Arbeitgeber haben, war ich erst mal verzweifelt. Jetzt muss
Sohn: »Mach uns einen Plan, was wir am­ ich Vollzeit arbeiten, könnte ich weder dem Job regulären Vorlesungen halten. aber kein Verständnis. Das sehe ich im Bekann- ich neben Job, Betreuung und Haushalt auch
Wochenende so unternehmen können.« Sie noch den Kindern gerecht werden. Weil ich Ich vermisse eine ehrliche Debatte darüber, tenkreis oft: Viele Chefs verstehen nicht, dass noch Lehrerin spielen. Meine Jungs sind gute
fanden alle meine Vorschläge doof. Da bin ich mich entschieden habe, in der Krise beruflich wie das – oder jeder andere Job – mit der Kinder- auch Väter mal daheim bleiben. Dass die Frau Schüler, ich hoffe, dass sie das weitgehend allein
geplatzt. Jetzt habe ich Urlaub und bin zu­ zurückzustecken, bleibt mehr Zeit füreinander. betreuung vereinbar sein soll. Und darüber, dass sich kümmert, wenn das Kind fiebert oder die hinkriegen. Mein Mann sagt: »Wir müssen­
einer Freundin aufs Land geflüchtet. Das hat Abends machen wir jetzt häufig zu viert Spazier- es im Grunde eben nicht vereinbar ist mit dem Kita geschlossen ist, ist gesellschaftlich so ein- gucken, dass wir dich entlasten.« Aber dann
wahrscheinlich meine Ehe gerettet! gänge, das ist der schönste Teil des Tages. emanzipierten Ideal der arbeitenden Mutter. gesessen, da hat sich noch nicht viel geändert. passiert nichts. Wir wissen nicht, wie.

Anne Neuer (Name geändert), 47, aus Frankfurt Sunita Ehlers, 46, aus Hamburg ist Yoga- Elisa Hoven, 37, ist Professorin für Strafrecht Kerstin Rothkopf, 31, aus München ist ­ Sjoukje L., 39, aus Büdingen ist selbstständige
am Main ist Polizistin Lehrerin und Ayurveda-Coach an der Universität Leipzig Mitinhaberin des Modelabels Womom Familienbegleiterin

29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
eit Tagen arbeitet es in mir, ich möchte etwas dazu
schreiben, aber ich traue mich nicht. Schon immer
engagiere ich mich für mehr Frauen in Führung.
Nicht immer laut, vor allem versuche ich mich selbst
darum zu kümmern. Ich trage Verantwortung für
viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; hier fühle
ich mich verpflichtet zu handeln und kann keinem
die Schuld zuschieben. 46 Prozent der 160 Füh-
rungskräfte in unserem Verlagshaus, Gruner + Jahr,
Illustration: Karsten Petrat für DIE ZEIT; kl. Fotos (v.o.): Carsten Milbret/kleinespresseteam; Urban Zintel für DIE ZEIT
sind Frauen, die Hälfte unserer Chefredakteure sind
-innen, Stellvertreterinnen nicht eingerechnet.
Wir haben das alle gemeinsam hinbekommen, es
ist genauso das Verdienst meiner männlichen Kolle-
gen. »Unsere« Männer wollen nicht in Monokulturen
arbeiten, sondern erfolgreich sein. Und schlaue Frau-
en ziehen schlaue Männer an und umgekehrt, so ein-
fach kann das manchmal sein.
Ich wollte mich eigentlich nicht zu dem Thema
äußern, denn jetzt ist Krise. Jetzt geht es darum, das
Unternehmen gut durch diese Zeit zu bringen, die
Zukunft unseres Verlages zu sichern und zu gestalten.
Es ist ernst. Alles andere, so dachte ich einige Wo-
chen lang, wirkt daneben wie »Gedöns«. Die Gefahr,
dass man mich missverstehen könnte, schien mir zu
groß. Denn selbstverständlich geht es jetzt in erster
Linie ums Anpacken.
Doch dann las ich diese Meldung im Ticker: Jen-
nifer Morgan, seit Oktober Co-Chefin von SAP und
damit die erste Frau an der Spitze eines Dax-Kon-
zerns, muss gehen. Der Konzern wünsche sich in
dieser besonderen Krisensituation eine »klare Füh-
rungsstruktur«, man brauche »klare Anweisungen«,
so wird Chris­tian Klein zitiert, der mit ihr zusammen
als Doppelspitze inthronisiert worden war und von
nun an alleiniger CEO ist. Die Frau muss gehen, der
Mann bleibt. Ich kenne die Hintergründe nicht und
60
ZEILEN
...
Wenn der DHL-Mann zweimal klingelt: Warum die alltäglichen Videokonferenzen unser Leben bereichern  VON PETER DAUSEND
In dem Film Peeping Tom setzt ein psychisch gestörter
Killer wehrlosen Opfern ein Messer an den Hals und
richtet seine Kamera auf ihr Gesicht. Er will nicht nur
ihre Todesangst, sondern auch den entsetzten letzten
Blick von ihnen einfangen. Nun, manche, die sich zur-
zeit täglich in Videokonferenzen ihrem Chef stellen
müssen, mögen sich ein wenig so fühlen wie die Opfer
in Peeping Tom. Etwa wenn der fünfjährige Sprössling
dazwischenbrabbelt: »Papa, ist das der Vollidiot, von
dem du immer erzählst?« Oder wenn man vergessen
hat, das Plakat mit dem Spruch »Ein Chef ist auch nur
ein Mensch. Er weiß es nur nicht« abzuhängen.
»Eine Demokratie,
in der nicht gestritten wird, ist keine.«
HELMUT SCHMIDT
weiß natürlich, dass die Dinge meist komplizierter
sind als das Faktum per se, es geht aber auch gar nicht
um SAP. Es geht um mich. Die Nachricht war der
letzte kleine Auslöser, der tipping point, der mich
nun doch dazu bewog, diesen Text zu schreiben.
Mir fällt es in den vergangenen Wochen wie
Schuppen von den Augen: Die Corona-Krise, bei der
es um Leben und Tod, um ganze Existenzen von­
Familien und Unternehmen geht, macht offensicht-
lich, wer in Deutschland wirklich, wirklich entschei-
det. Wie die realen Strukturen sind. Und dass das Ge-
bot der Diversität offenbar nur an ruhigen Tagen zählt.
Was passiert da gerade? Mir scheint, dass sich in
Zeiten der Krise neue Führungszirkel formieren. Zu-
erst fiel es mir bei Gruner + Jahr selbst auf. Unser
»Corona-Kreis«, den wir direkt nach Ausbruch der
Krise flugs installiert hatten und der sich bis vor Kur-
zem täglich morgens um zehn Uhr zur Videokonfe-
renz traf, ist weniger weiblich als sonst bei uns üblich.
Ein Drittel der Entscheider sind hier Entscheiderin-
nen. Immerhin, verstecken müssen wir uns nicht.
Aber es sind eben nicht die 50 Prozent, die ich sonst
in unseren Führungszirkeln erlebe.
D
ann nahm ich an einer großen Telefon-
konferenz mit führenden Verlagsvertre-
tern dieses Landes teil. Politiker wollten
hören, wie wir aktuell die Lage er­leben
und uns ihr Ohr schenken. In der Leitung: aus-
schließlich tiefe Männerstimmen. Ich war die einzige
Frau. In solchen Situationen, auch bei geschäftlichen
Kontakten, bin ich es gewohnt, immerhin mit ein
paar anderen Frauen zusammen im Raum zu sein.
Plötzlich, in der Krise, sind alle Frauen weg.
Ähnliches erleben wir in der öffentlichen Erklä-
rung der Krise. Jana Hensel hat dazu klug auf ZEIT
LIEBE
Ich hingegen liebe Videokonferenzen. Da ich
meine Chefs immer nur dann Vollidiot genannt
habe, wenn meine Kinder nicht dabei waren, und
ich Sprüche nicht aufhänge, kann ich mich da völlig
angstfrei dazuschalten. Und wenn bei den anderen
Kleinkinder durchs Bild irren, wenn zwischendurch
der Teekessel pfeift, das Nudelwasser überkocht und
der DHL-Mann zweimal klingelt; wenn die Bude,
die man da erblickt, so chaotisch unaufgeräumt aus-
sieht, als würde man selbst dort wohnen, dann fühlt
man sich seltsam verbunden – der Kollege wird so
zum Menschen. Hätte man gar nicht gedacht.
Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit
Zurück
in der
Männerwelt
Das Virus macht nicht nur die Luft klarer,
sondern auch die Wirklichkeit im Land: Frauen sind viel
weniger weit, als wir gedacht haben  VON JULIA JÄKEL
ONLINE geschrieben und uns erinnert an eine
»männliche Expertendämmerung«. Sie rief uns die
Bilder vor Augen, die die Krise dominieren: Die­
allermeisten Virologen, die Chefs der Kliniken und
Pflege­ein­rich­tun­gen, die vielen Chefärzte, Verbands-
chefs, der übergroße Teil der Ökonomen, der G ­ e­
sundheitsminister, die dominanten Ministerpräsi-
denten, 24 der 26 Mitglieder der Nationalakademie
Leopoldina – alles Männer.
Wo sind nur die Frauen hin? Die Soziologin Jutta
Allmendinger hat kürzlich darauf hingewiesen, dass
es vor allem die Frauen sind, die seit Wochen dafür
sorgen, dass die Kinder im Home­schoo­ling mitkom-
men und der Corona-Alltag mit allen zu Hause­
irgendwie läuft. Die also dem Mann den R ­ ücken frei
halten, damit er seinen Mann stehen kann.
Homeoffice bedeutet für Tausende Frauen gerade
vor allem h­ ome und wenig office. Das ist auch deshalb
bitter, weil jetzt Karrieren gemacht werden. Wer mit der
Krise gut umgeht, wer dem Druck standhält, wer die
richtigen Prioritäten setzt, wer seine Leute mitnimmt
und seine Teams lebendig hält, der kann gerade ganz
besonders auf sich aufmerksam machen. Und diesen
Moment verpassen viele Frauen, weil sie – aus welchen
Gründen auch immer – zurückstecken.
Diese Situation kontrastiert mit einem anderen
Erleben, nämlich wie wohltuend rational und klar
unsere Kanzlerin, nun mal eine Frau, die Krise­
erläutert, die Zusammenhänge erklärt, uns alle be-
hutsam an die ziemlich harten Wahrheiten heran-
führt, etwa was die Dauer der Einschränkungen in
Wirtschaft und Gesellschaft angeht, und zur Beson-
nenheit ermahnt. Ich höre die Familienministerin
Franziska Giffey und höre ihr gern zu, ich nehme ihr
ab, dass sie die Sorgen der Frauen und Familien wirk-
lich im Blick hat und versteht. Das erfrischt mich.
Aus der Menschwerdung des Kollegen ergibt sich
ein Kollateralnutzen: Da es ja nun nicht mehr nur
um berufliche Professionalität geht, kann man die
Wohnungen der anderen ein bisschen genauer scan-
nen. Gab es die Stehlampe dahinten nicht in schön?
Ist das ein Bild, oder schmieren die sich ihre Wände
mit Tomatensoße voll und klecksen dann Senf drauf?
Ist das Ikea, oder kann das weg? Vor allem aber: Sind
das nicht original ­Eames Plastic ­Side Chairs? Und
warum kann der sich eine Wohnung mit Dachterras-
se leisten, während auf meinen Balkon gerade mal
ein Kasten Bier passt? Der gewiefte Teilnehmer einer
STREIT 11
Gleichzeitig wird mir ganz blümerant, wenn ich mir
unsere politischen Strukturen genauer anschaue. Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung hat kürzlich der CDU
und ihren nicht vorhandenen Frauen in Führungsposi-
tionen eine ganze kluge Seite gewidmet und gefragt:
Was wird da nur, wenn nun Ursula von der Leyen weg,
AKK weg und absehbar auch die Kanzlerin weg ist?
I
ch erinnere mich noch gut an das berühmte, iko-
nenhafte Foto zur Ernennung von Annegret
Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministe-
rin. Sie links, rechts die Kanzlerin, in der Mitte
eingerahmt von der Leyen. Die taz schrieb dazu einen
ziemlich witzigen Text, die Autorin konnte kaum
glauben, dass ausgerechnet die CDU – die »Christli- Julia Jäkel, 48,
che Damen-Union« – so viel Frauen-Power an die ist die Vorsitzende
Spitze der Politik in Deutschland und Europa ge- der Geschäfts­
bracht hat. Überschrieben war der Artikel mit der ver- führung von
gnüglichen Schlagzeile »So haben wir uns das Ende Gruner + Jahr.
des Patriarchats aber nicht vorgestellt«. Inzwischen Das Verlagshaus
muss man fragen: welches Ende? Die CDU, der ich ist eines der
wie der anderen großen Partei wünsche, dass sie wei- größten Europas,
ter eine Volkspartei bleibe, fehlt es an einem breiten es bringt über
weiblichen Unterbau, aus dem überhaupt erst starke 500 Magazine
Frauen in Führung hineinwachsen könnten. Denn und Digital­
über Nacht geht so was nun mal nicht. angebote heraus,
So komme ich zu einem für mein Gemüt unge- darunter der
wöhnlich düsteren Zwischenfazit nach sieben Wo- »stern«, »Geo«
chen Krise: Wie das Virus plötzlich unsere Luft klarer und »Brigitte«
macht und den Himmel blauer, so werden auch un-
sere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Realitä-
ten offenbarer. Wir Frauen sind so viel weniger weit,
als wir es dachten.
Siehe auch Wirtschaft, S. 20: Warum musste
SAP-Chefin Jennifer Morgan gehen?
Videokonferenz hört nicht genau hin. Er sammelt
Argumente für die nächste Gehaltsverhandlung.
Auch gescannt zu werden, kann man zu seinem Vor-
teil nutzen. Dafür setzt man sich vor eine Bücherwand.
Bücherwände gehen immer. Im Bildausschnitt platziert
man Passendes: Thomas Mann, die Dark Comedies von
Shakespeare im Original, Bildbände von Goya und
Mondrian, die neuesten Romane von Jonathan Safran Peter Dausend
Foer und Virginie Despentes, so was in der Art. Und ist Politischer
wenn der Chef das alles in der Videoschalte sieht, denkt Korrespondent
er: Mensch, den Kollegen hab ich wohl unterschätzt. im Hauptstadt-
Vielleicht sollte ich den mal Kolumnen schreiben lassen. büro der ZEIT
 29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 IN DER ZEIT 12
TITELTHEMA
Keine Angst vor niemand! Pippi Langstrumpf wird 75

ZEITNAH
POLITIK WHO  Die Organisation wird zum FEUILLETON

INHALT
Spielfeld der Konkurrenz zwischen den
USA  Der Präsident hat das mächtigste Gesellschaft  Über den gefährlichen
USA und China  Widerspruch von Willkür und Freiheit
Land der Welt in einen gescheiterten Staat
VON CHRI STIANE GRE FE U ND in der Corona-Krise 
verwandelt 
KE RSTIN KOHLE NBE RG A 21 A 41
A2 VON J E N S J ES S E N

VON G EORG E PACKE R

China  Eine Reportage aus Wuhan, wo Otto Group  Der Vorstandschef TV  Eine ARD-Dokumentation
die Corona-Pandemie begann und die Alexander Birken spricht im Interview zeigt überraschende Seiten der einstigen
Kommunistische Partei den Menschen über die Konsumwünsche der Deutschen Kanzlergattin Hannelore Kohl 
Normalität verordnen will  und die Konkurrenz durch Amazon  22 VON ALE X ANDE R CAMMANN 41
VON XIFAN YANG A3 Nachruf  Zum Tod von
Kinderprogramm 
Krisenpolitik  Wie gut wird die Republik Die »Sendung mit der Maus« lief in Sir Peter Jonas, dem früheren Intendanten
regiert?  der Bayerischen Staatsoper 
den vergangenen Wochen täglich im TV.
4 VON CHRI STINE LE MKE- MAT WEY 41
VON MARIAM L AU Das verdient einen Applaus 
VON INGO MALCHE R 22 1. Mai  »Woran arbeiten Sie gerade?«
Finanzen  Die Wirtschaftsrettung wird
Künstlerinnen, Künstler und Kultur­
teuer. Was können wir uns leisten?  Konzertmanagement  Der Unternehmer schaffende erzählen zum Tag der Arbeit
VON MARK SCHIE RITZ 5 Peter Schwenkow im Gespräch darüber, von ihren aktuellen Projekten  42
Corona und die Folgen  Ein Gespräch wie sich privat finanzierte Kultur in Zeiten
Kolumne  Über den Linden 
Foto: Fu Beimeng

mit Wolfgang Schäuble über Epidemie von Corona retten lässt  24

und Apokalypse  6
Italien  Warum der Hausarzt Vincenzo
Leone an Covid-19 starb  VON ANNA MAYR
Dinner für zwei in Wuhan VON U LRICH L ADU RNE R
Türkei  Corona wütet auch in Istanbul.
Als Xifan Yang, China-Korrespondentin der ZEIT, und ihre Mitarbeiterin Jiang Huihui (re.) Aber die Regierung Erdoğan schneidet
vor zwei Wochen in Wuhan ankamen, hatte kaum ein Restaurant geöffnet. Doch inzwischen die Metropole von allen Informationen ab.
Ein Interview mit dem Bürgermeister
sieht es am Ursprungsort der Corona-Pandemie anders aus: Trotz des Verbots, sich zum Essen Ekrem Imamoğlu  7
zu treffen, werden die Bürgersteige zu Gaststätten. Gastronomen stellen Hocker auf Bürgersteige,
Energie  Der Preisverfall beim Öl
von Social Distancing kaum mehr eine Spur. Das sei typisch China, sagt Yang: »Es finden sich kündigt einschneidende weltpolitische
immer tolerierte Wege, Gesetze kreativ zu umgehen«  POLITIK , SEITE 3 Veränderungen an  technische Hilfsmittel  Ausstellung  Das Deutsche Historische
VON MICHAE L TH U MANN
Der politische Fragebogen 
Wenige Monate vor seinem Tod gab der
Politiker Norbert Blüm Auskunft  9
STREIT
Das Patriarchat lebt!  In der Krise
ist es schnell vorbei mit der
Gleichberechtigung. Sieben Protokolle  1
0 VON J EANNETTE OTTO U ND
Die Emanzipation schläft!  Das
Foto: Roderick Aichinger für DIE ZEIT
Corona-App  Warum die Politik so ­
zögerlich handelt  Anthology«
25
6
Gefährdet die App die Demokratie?
Ein Pro und Contra 
von Tom Fischermann und
Jens Tönnesmann 25
Serie: Die Erste (15)  Die Engländerin
Felicity Aston durchquerte als erster Mensch
den Kontinent Antarktika ohne
8 VON U RS WILLMANN 26
WISSEN
Bildung  Die Schulen in Deutschland
öffnen wieder. Und schon entstehen
ungewohnte Herausforderungen: Wann
brauchen Schüler überhaupt einen Lehrer?
Und wozu? 
MARTIN S PIEWAK  A 27
VON MA XIM BILLE R 44
Film  Denis Côtés »Ghost Town
 
VON K ATJA NICODE M U S A 44
Debatte  Der Streit um Achille Mbembe
wirft einen Schatten auf
die Postkolonialismus-Forschung 
VON IJOMA MANGOLD 45
Pop  Das neue Album »Fetch the Bolt
Cutters« der Songwriterin Fiona Apple 
VON J E N S BALZE R 46
Museum ehrt Hannah Arendt 
VON THOMAS E . SCHMIDT 46
Roman  Téa Obreht »Herzland« 
VON SAR AH PINES 47
Sachbuch  Kate Devlin »Turned on.
Intimität und Künstliche Intelligenz« 
VON EVA WE BE R- G U S K AR 48
GLAUBEN & ZWEIFELN 
Nächstenliebe  Die Fotografin

Virus zeigt: In der Wirtschaftswelt sind Johanna-Maria Fritz zeigt ihre Porträts von
Foto: Jonas Wresch für DIE ZEIT

Frühkindliche Pädagogik  In der

Frauen viel weniger weit als gedacht  Obdachlosen  50
Debatte um die Kleinsten wird vergessen,
VON J U LIA JÄKE L 11 Michael Kaib, Vorstandschef der Reemtsma
wie viel sie in der Kita lernen – und
60 Zeilen Liebe  zurzeit eben verpassen. Ein Cigarettenfabriken, im Interview über
VON PETE R DAU S E ND 11 Gespräch mit der Bildungsökonomin seine Hilfsaktion für Wohnungslose  50
C. Katharina Spieß  28

DOSSIER Corona  Mit dem wachsenden Wissen Z – ZEIT ZUM ENTDECKEN

Am Boden Schule auf – und jetzt? Hochstapelei  Der verurteilte Betrüger

Carsten Spohrs Karriere ging
stets nur aufwärts. Nun wird
der Lufthansa-Chef vom Virus
gebremst  WIRTSCHAFT, SEITE 19
IN DEN REGIONALAUSGABEN
ZEIT:Hamburg
Ein Rektor moderiert in seiner
geschlossenen Schule eine Late-
Night-Show  VO N O S K AR PI EG SA 1
Die Kreuzfahrtbranche boomte
vor Corona – jetzt sucht sie
verzweifelt nach Auswegen  RECHT & UNRECHT
VO N KR I STI NA L ÄS KE R
Foto: Ina Niehoff
Überall werden Abiturklausuren geschrieben, und auch für
die Schüler der unteren Klassen soll nach und nach der
Alltag wieder beginnen. Doch die Lehrer überlegen schon,
in welche Normalität sie eigentlich zurückwollen  WISSEN , S . 27
Bohley – und die Mitschuld des
Westens am Rechtsruck  16
ZEIT Schweiz
Die Corona-Krise wird die Infra-
struktur des Landes verändern  Obsttellerrand hinaus  32
VO N M . DAU M & P. S C H N E E B E RG E R 16
Der Eishockey-Nati-Coach
3 Patrick Fischer ist in Kurzarbeit  Linktipps (Seite 14),
Mike Wappler, genannt Milliarden-Mike,
erklärt, wie er es schaffte, als Analphabet
vermögende, gebildete Menschen zu ­
blenden. Ein Gespräch hinter Gittern  ANNA- LE NA SCHOLZ U ND
VON STE PHAN LE BE RT U ND
STE FAN WILLE KE
GESCHICHTE
A ZUM HÖREN Serie: Zum 8. Mai 1945 (3)  Wie halten
es die Deutschen mit der Erinnerung
Die so gekennzeichneten
Artikel finden Sie an den Nationalsozialismus? Ergebnisse
als Audiodatei einer ZEIT-Umfrage  14. Jahrhundert in Europa die Pest wütete,
im »Premiumbereich« VON CHRI STIAN STA AS 17
unter www.zeit.de/audio
ANZEIGEN IN
DIESER AUSGABE
Serie: Meine Urteile (10)  Ein sadisti-
über die Covid-19-Pandemie tauchen neue
Fragen auf – epidemiologische,
medizinische und soziale. Ein Update  Vorbild für Frauen wurde
VON K ATHARINA ME NNE ,
JAN SCHWE ITZE R 29
13
Raumfahrt  Zur Internationalen Raum-
station ISS gelangten Astronauten
jahrelang allein mit russischer Hilfe. Das
soll nun anders werden  In dieser Woche: Die Klima-Aktivistin
VON STE FAN SCHMITT  31
Infografik  Die Banane ist nach dem
Apfel die Lieblingsfrucht der Deutschen.
Zeit für einen Blick über den
Psychotherapie  Im Irak werden erstmals
Therapeuten an der Universität
Titelthema: Keine Angst vor niemand! 
Warum Pippi Langstrumpf weltweit zum
 
VON NINA PAU E R 51
So verwalten die Nachkommen von
Astrid Lindgren das Pippi-Erbe 
VON KATRIN HÖRNLEIN 53
Hausbesuch  Wir treffen Menschen beim
Videochat in den eigenen vier Wänden.
Luisa Neubauer  55
Das Dekameron-Projekt (6)  Als im
schrieb Giovanni Boccaccio seine
Novellensammlung »Das Dekameron«.
Wir haben zeitgenössische Schriftsteller
um eine Neuauflage gebeten. Diesmal:
EVA MENASSE mit der Erzählung
A 56

Die 13-jährige Buch-­
Bloggerin Mirai Mens
träumt von einer Welt, in
der alle so akzeptiert
werden, wie sie sind
Eine Deutschlandkarte zu
brutalistischer Architektur
»Folgeschäden«
VO N WI LLIAM STE R N 18 Museen und Galerien scher Pensionswirt im Märkischen hält sich ausgebildet. Sie sollen einer Generation
Wie Krankenhäuser versuchen,
(Seite 49), Spielpläne von Traumatisierten helfen und den ­ Wie es wirklich ist ...  sich die
den Ausbruch des Virus auf den ZEIT Österreich einen Spielsüchtigen als Sklaven 
(Seite 49), Bildungsange- Turnschuhe zu teilen 
Stationen zu verhindern  Entsteht in der Krise eine neue VON THOMAS ME LZE R 18 Kreislauf der Gewalt unterbrechen 
bote und Stellenmarkt VON JOHANNES LE HNE N 58
VO N N I KE H E I N E N 5 Form des Theaters im digitalen VON ANNA-THE RESA BACHMANN A 33
(ab Seite 35)
Die Architekten der Elbphilhar- Raum?  VO N TH O MAS M I E S SGAN G 16
WIRTSCHAFT
monie planen den Umbau des FRÜHER
Schwarzarbeiter fallen derzeit RUBRIKEN
Kleinen Grasbrooks in ein durch alle Sicherheitsnetze  INFORMIERT!
Lufthansa  Vorstandschef Carsten Spohr
LEO – DIE SEITE FÜR KINDER
Wohnquartier  VO N C . T WI C KE L 13 18 Die aktuellen Themen Leserbriefe 16
VO N S I M O N E B RU N N E R
der ZEIT schon am kämpft um das Überleben seines Konzerns  Titelthema: Keine Angst vor niemand!  Der Zweifel 27
ZEIT im Osten Stephan Hering-Hagenbeck muss Mittwoch im ZEIT- VON CLA AS TATJ E A 19 Warum es das Buch über Pippi Lang-
Stimmt’s? A 33
Ein Gespräch mit dem DDR- als neuer Direktor des Tiergartens Brief, dem kostenlosen
SAP  Jennifer Morgan war die erste strumpf, das stärkste Mädchen der Welt, Die Position 35
Oppositionellen Klaus Wolfram Schönbrunn den Zoo zusperren   Newsletter
über 1989, seine Freundin Bärbel VO N VE R E NA R AN D O LF 26 www.zeit.de/brief Chefin eines Dax-Unternehmens. Warum beinahe nicht gegeben hätte. Eine Impressum 44
musste sie nach nur sechs Monaten gehen?  fantastische Geschichte  Sachbuch-Bestenliste 48
Die ZEIT inklusive aller Regional- und Wechselseiten finden Sie in der ZEIT-App und im E-Paper. VON ANN - K ATHRIN NEZIK 20 VON ASTRID LINDG RE N 40 Was mein Leben reicher macht 58

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108419_ANZ_10841900021761_26180855_X4_ONP26 1 09.04.20 09:07

29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Der Betrüger Mike Wappler sitzt wieder im Gefängnis. Dort sprach er mit  STEPHAN LEBERT UND STEFAN WILLEKE darüber, wie er es schaffte, als Analphabet gebildete Menschen zu blenden
DIE ZEIT: Herr Wappler, Sie sind 64 Jahre alt und
blicken auf ein Leben voller Betrügereien zurück.
Sie haben, mit Unterbrechungen, mehr als 18 Jahre
im Gefängnis gesessen. Bei Ihrer letzten Verurtei-
lung sagte der Richter, Sie wären »ein richtig guter
Unternehmer« geworden, wenn Sie jemals den
Schritt in die Legalität gewagt hätten. Bereuen Sie
Ihre kriminelle Laufbahn manchmal?
Mike Wappler: Ich habe vor Gericht oft erklärt:
Es tut mir nicht leid, was ich getan habe. 99 Pro-
zent der Angeklagten behaupten, dass es ihnen
leidtut, aber diese Leute lügen. Ich bin ein er-
wachsener Mensch, und ich weiß, was ich mache.
Da kann es mir doch hinterher nicht leidtun.
Wenn ich irgendwo einbreche, und dabei kommt
versehentlich ein Mensch um, dann tut es mir
natürlich leid. Aber doch nicht bei einer Sache,
die ich geplant habe, um mich zu bereichern. Ich
wollte hinterher mehr Geld haben als vorher. Ich
verstehe auch nie, wenn ein Mann seine Frau be-
trügt und dann behauptet: Tut mir alles sehr leid.
Das stimmt einfach nicht. Er hat seinen Spaß ge-
habt, er hat sie betrogen, und es tut ihm eben
nicht leid.
ZEIT: Keine Reue, nichts?
Wappler: Nein. Ich würde mein Leben noch mal
ganz genauso leben.
DOSSIER
» D E U T S C H L A N D
I S T
S C H W A R Z G E L D ,
D A S
M E I N
Mike Wappler beim Fotoshooting im Besucherraum der JVA, hinter einer Zimmerpalme sitzend
An diesem ZEIT-Gespräch ist vieles ungewöhnlich.
Es fand im Besuchszentrum der Untersuchungshaft-
anstalt in Hamburg statt. In diesem Gefängnis war
­Mike Wappler vorübergehend untergebracht, dann
saß er in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Moabit,­
in der das Gespräch fortgesetzt wurde. Inzwischen
wurde er nach Brandenburg verlegt. Im vergangenen
Dezember wurde er wegen gewerbsmäßigen Betrugs
zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Ungewöhnlich ist zudem, dass auch Menschen aus
Wapplers persönlichem Umfeld zu Wort kommen:
eine Anwältin, ein Staatsanwalt, eine zornige Ex-
Partnerin, ein Manager. Einige von ihnen erzählen
mehr von diesem Mann, als er selbst preiszugeben
bereit ist. Um Wapplers Erzählungen zu überprüfen,
haben wir mit vielen Freunden und Nicht-so-sehr-
Freunden gesprochen. Manche dieser Leute sind nicht
unbedingt Kandidaten für das Bundesverdienstkreuz.
Sie sind in einer Welt zu Hause, die weit weg ist von
bürgerlichen Normen, einer Parallelwelt, in der ­Mike
Wappler den Herrscher spielt.
Auf den ersten Weggefährten, der allerdings nicht
so gesprächig ist, treffen wir zufällig für einen kurzen
Moment vor den Panzerglasscheiben der Besucher-
schleuse im Gefängnis. Der Mann hat in einem
blauen Müllsack frische Wäsche für Wappler dabei.
Wappler wird später sagen, dass der Besucher Carlo
V O L L E R
W A R I M M E R
G L Ü C K «
heißt und ein alter Freund ist. Carlo sei früher mal
Wärter in Santa Fu gewesen, dem Gefängnis in Ham-
burg-Fuhlsbüttel. Dort hätten sie sich ken­nen­gelernt.
Wappler gibt uns Carlos Telefonnummer, »rufen Sie
ihn an, der weiß viel über mich«. Aber als wir Carlo
später anrufen, will er nicht reden. Er kenne zu viele
Geheimnisse, sagt er. Und als ehemaliger Bediensteter
eines Gefängnisses dürfe er darüber nicht sprechen.
ZEIT: Herr Wappler, wir wünschen Ihnen natür-
lich ein langes Leben. Aber mal angenommen, Sie
müssten sich über Ihre Beerdigung Gedanken
machen. Glauben Sie, dass an Ihrem Grab viele
Trauernde stehen werden?
Wappler: Das glaube ich schon. Ich habe einen
sehr großen Bekanntenkreis. Ich habe früher viel
geboxt, und mich haben im Gefängnis berühmte
Boxer besucht. Dariusz Michalczewski, Henry
Maske, Regina Halmich, die Klitschko-Brüder.
Auch Peter Maffay war mal da. Und in Ost-
deutschland habe ich eine richtige Fangemeinde,
da gibt es einen Mil­liar­den-­Mike-­Fan­club. In Nor-
derstedt bei Hamburg habe ich mal eine Lesung
veranstaltet. Ich hab sie alle abgezockt, so heißt
mein Buch.
ZEIT: Wir dachten, Sie können weder lesen noch
schreiben.
Foto: Armin Smailovic für DIE ZEIT
Wappler: Das stimmt. Das Buch, das ein Journalist
für mich geschrieben hatte, habe ich öffentlich
vorlesen lassen. Wenn ich mich sehr anstrenge,
kann ich manche Wörter entziffern und vielleicht
auch schreiben. Aber nur sehr kurze Wörter. Es
dauert ewig.
ZEIT: »Ich liebe Dich«, das kriegen Sie hin?
Wappler: Kriege ich hin. Meine Liebesbriefe sind
eben etwas kürzer.
ZEIT: Zahlen bereiten Ihnen keine Mühe?
Wappler: Natürlich nicht! Was glauben Sie denn,
wie ich sonst existieren könnte? Ohne Zahlen zu
kapieren, kann ich niemanden reinlegen. Ich muss
ja auch ständig Geld zählen. Ein Bankauszug ist
für mich kein Problem.
ZEIT: Wissen die Menschen in Ihrem persön­
lichen Umfeld von diesem Defizit?
Wappler: Enge Freunde ja, den Angestellten im
Büro habe ich es nie erzählt. Die bescheißen mich
ja, wenn sie wissen, dass ich Dokumente nicht
lesen kann.
Mike Wapplers Spezialität sind Luftgeschäfte. Er ver-
kauft etwas, das er nicht hat. Dann steht er da mit
seinem gewinnenden Lächeln, das ihn weder vor Ge-
richt noch im Gefängnis verlassen hat, und wickelt
seine Kunden ein. Mit Videorekordern fing es in den
13
Achtzigerjahren an. Wappler versprach seinen Opfern
Ware und kassierte einen Vorschuss, mit dem er dann
verschwand, ohne etwas geliefert zu haben. Er ver-
kaufte auch prächtige Villen, die ihm nicht gehörten.
Das gelang ihm, indem er teure Häuser in einem vor-
nehmen Hamburger Viertel mietete, dem Eigentümer
die üppige Miete sofort für mehrere Monate bar über-
reichte und das Anwesen in der Zeitung inserierte: zu
verkaufen. Den Interessenten, die sich bei ihm vor-
stellten, erzählte er etwas von einem Notverkauf zu
einem Spottpreis, alles müsse sehr schnell gehen. Viele
ließen sich darauf ein, Wappler den gewünschten
Vorschuss bar auszuhändigen, um sich das Objekt
unbedingt zu sichern. Dutzende Male wurde er jede
der Villen auf diese Weise los und setzte sich nach
kurzer Zeit mit dem Geld ab.
Diese Tricks brachten ihm mehrere Haftstrafen ein,
bis er auf eine andere Masche verfiel. Er bot Kunden
an, gegen ein hohes Honorar Schulden einzutreiben. Er
habe, behauptete Wappler, eine Truppe schlagkräftiger
Männer unter seinem Kommando, die angeblich auch
Millionenbeträge zurückholen könnten. So wurde
Wappler zu einem Inkassodienst für Menschen, die viel
Geld auf dem Konto haben und sich betrogen fühlen.
Auch dabei verlangte Wappler sein Honorar im Voraus,
Fortsetzung auf S. 14
14 DOSSIER 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

»Deutschland ist voller ...«  Fortsetzung von S. 13
und erstaunlich oft wurde ihm vertraut. Manchmal
ging es um 100.000 Euro, manchmal um 500.000,
manchmal um mehrere Millionen, die er angeblich
eintreiben könne – was er aber nicht tat.
ZEIT: Wie sind Sie als Hochstapler durchs Leben
gekommen, ohne lesen und schreiben zu können?
Wappler: Vor der Führerscheinprüfung habe ich
600 Fragen und Antworten auswendig gelernt. Ich
kann mir Sachen sehr gut merken. Beim Notar
stelle ich mich hin, schaue auf die Papiere, grum­
mele was vor mich hin und unterschreibe.
ZEIT: Grummeln und ein gutes Gedächtnis, das
reicht?
Wappler: Ich habe mich immer mit Menschen
umgeben, die mir helfen. Ich habe enge Freunde,
die mir in vielen Situationen etwas vorlesen und
zum Beispiel am Hotelempfang für mich einche­
cken. Sonst wäre ich aufgeschmissen. Im Restaurant
lasse ich mir vom Kellner die Empfehlung des Tages
nennen und bestelle sie. Oder ich tue so, als hätte
ich meine Brille vergessen. Wenn ich an einem
Haus mit vielen Bewohnern klingeln muss, merke
ich mir, wo die Klingel des Menschen ist, den ich
besuchen will. Auf dem Handy speichere ich meine
Bekannten mit den großen Anfangsbuchstaben
ihrer Namen ab, LL oder ZZ. Im Moment komme
ich aber nicht an mein Handy, nicht hier in der
Haft. Draußen, in Freiheit, ist Whats­App ein
Segen für mich: Damit kann ich Audionach­
richten verschicken. SMS kann ich schreiben, aber
die sind voller Fehler. Dafür kann ich gut zuhören.
Wenn sich am Nebentisch Leute unterhalten,
kriege ich insgeheim jedes Wort mit.
ZEIT: Sie sind Analphabet, haben aber offenbar
vier Ohren.
Wappler: Zwei Ohren für das Gespräch, das ich
führe, außerdem zwei Ohren für den Nebentisch.
Das erleichtert mir die Arbeit. Ich kann mich dann
später in das andere Gespräch einmischen und
sagen: »Entschuldigung, ich habe gerade zufällig
mitbekommen, dass Sie Unterstützung benötigen.
Kann ich helfen?«
ZEIT: Warum haben Sie nie lesen und schreiben
gelernt? Das hätte Ihr Leben einfacher gemacht.
Wappler: Ich wuchs in einer Zigeunersiedlung in
Lübeck auf, auf einem Platz mit vielen Wohn­
wagen. Mein Vater war ein Zigeunerkönig, ja, ein
richtiger König der Zigeuner. Für Bildung hatte
dort niemand was übrig. Schon in der Schule bin
ich in Konflikte geraten, weil ich ein Zigeunerkind
war. Mein größter Feind waren aber die Buch­
staben. Ich konnte sie mir einfach nicht einprägen.
ZEIT: Sie benutzen nicht den Ausdruck Sinti und
Roma, Sie sagen: Zigeuner.
Wappler: Ja, da bin ich nicht so wählerisch. Ich bin
ein deutscher Zigeuner. Ich bin nur ein Jahr zur
Schule gegangen, dann hat mein Vater einen Nach­
hilfelehrer zu uns in die Siedlung bestellt. Das war
so ein Typ mit einer Gitarre, der mir mit einer
komischen Methode Buchstaben beibringen wollte:
Er hat verschiedene Töne auf dem Instrument
gespielt. Ein Alphabet mit Gesang. Mein Vater war
entgeistert und hat diesen Mann sofort rausge­
worfen. Danach war es mit dem Unterricht vorbei,
und wir sind gemeinsam in dem amerikanischen
Straßenkreuzer meines Vaters herumgefahren und
haben Leute überredet, uns wertvolle Sachen billig
zu verkaufen, edle Möbel, Bilder. Diese Sachen hat
mein Vater weiterverkauft. So ging alles los.
Der Manager ganzen Tag zu Hause herumhängen und nichts Wappler: Ich musste das Spiel beenden. Das ging hereingelegt. Dies sagen seine Weggefährten. Ihnen
erleben. Schillernden Figuren wie mir begegnen am Ende nur noch dadurch, dass ich etwas Irres gegenüber gebe er sich verlässlich und jovial. Er wusste:
»Mike ist wie ein Fuchs, der auf Beute aus ist. Er die nie. tue. Ich täusche vor, dass ich bei einem Autounfall Es würde für ihn schnell ungemütlich, wenn er etwa
riecht Geld«, sagt Frank Volkmer, der sich Wapplers ZEIT: Sind das sparsame Leute? in Belgien tödlich verunglückt bin. den Chef einer Rockerbande übers Ohr hauen sollte.
Manager nennt. Der 48-jährige Volkmer hat früher Wappler: Geizige Leute. Die denken ständig da­ ZEIT: Das hat dieser Mann doch nicht geglaubt? Wappler wahre immer die Distanz, sagt der frühere
mit Autos gehandelt und lebt heute von Mieteinnah- rüber nach, wie sie ihr Vermögen verdoppeln Wappler: Doch. Das Problem war allerdings, dass Profiboxer und heutige Trainer Artur Grigoryan.
men. Mit seiner Familie wohnt er in der Lüneburger können. Darauf fahren sie ab, haben es aber gar er mich nach meinem Tod live im Fern­sehen ge­ »Beim Boxen macht ­Mike, was ich sage. Sonst mache
Heide. Fragt man ihn, was es bedeute, Manager von nicht nötig. sehen hat. Ich dachte, der guckt gar kein Fernsehen. ich, was er sagt.« Die bürgerliche Welt, in der Wappler
Mil­liar­den-­Mike zu sein, dann antwortet er: »Wir ZEIT: Einsame Menschen? Dann musste ich mir was Neues ausdenken. Ich nach Opfern sucht, ist eine ganz andere: voller kulti-
machen Hälfte-Hälfte, wenn sich was ergibt.« Wappler: Zum Teil ja. Da taucht so ein Paradies­ bin einfach wiederauferstanden. Ich habe ihn an­ vierter Menschen, die den Staat um Steuer­geld ge-
Wer Wappler verstehen wolle, der müsse sich seine vogel wie ich auf, und ich lade diese Menschen ein. gerufen und so getan, als wäre ich mein eigener bracht haben, aber sich kaum zu helfen wissen, wenn
Herkunft vor Augen führen, meint der Manager. »Er, Ich nehme sie auf eine Angeltour mit, oder wir Zwillingsbruder. Und die Geschäfte liefen noch sie selbst betrogen werden.
der kleine Zigeuner, der sie alle mit seinem Einfalls- gehen gemeinsam zum Boxen. So was haben die eine Weile weiter, weil dieser Zwillingsbruder auch
reichtum rasiert.« Das erfülle Wappler mit Stolz. Auf noch nie erlebt. Sie sehen eine ganz andere Welt. über den Nazi-Schatz Bescheid wusste. ZEIT: Sie hatten vor sechs Jahren auch mal mit
Videos, die Wappler herumschickte, sah ihn der Ich fliege mit ihnen nach Thailand oder nach Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt zu tun, dem
ZEIT: Das klingt absurd. Welcher Mensch, der es
Manager glücklich im Bett liegen, von oben bis unten Gran Canaria, und abends beginnt eine schöne langjährigen Mannschaftsarzt des FC Bayern. Was
zu Vermögen gebracht hat und folglich nicht ganz
mit 500-Euro-Scheinen bedeckt. Party, bei der 20 bestellte Nutten aufkreuzen und wollte er von Ihnen?
einfältig sein kann, fällt auf eine Geschichte von
Wenn Wappler nicht im Gefängnis sitze, dann nachts auf den Tischen tanzen. Die wohlhabenden einem Zwillingsbruder herein?
Wappler: Das lief über seine Frau Karin, die ich
habe er einen Arbeitsrhythmus wie ein Versicherungs- Männer, also meine Kunden, haben meist eine mal bei einem gemeinsamen Auftritt im SWR-
Wappler: So war es aber. Das Gericht wollte es zu­
vertreter. »Halb acht Frühstück«, habe Wappler stets Frau und Kinder zu Hause. Zuerst sind sie noch Nachtcafé kennengelernt hatte. Müller-Wohlfahrt
nächst auch nicht glauben. Ich musste dafür sechs
gesagt, »nicht später. Danach muss ich los, zur Arbeit.« etwas schüchtern, aber dann wollen sie mit mir hatte Außenstände, mehrere Millionen Euro. Sein
Jahre in den Knast. In meinem Buch nenne ich die
Mit seinen Geschäftspartnern habe er sich meist in Geschäfte machen. Steuerberater hatte ihn übers Ohr gehauen. Die
Aktenzeichen der Verfahren, sodass jeder Leser
Hotels getroffen, er sei den ganzen Tag im Auto ZEIT: Wo fanden diese Partys statt? Auch bei Ihnen Ehefrau fragte mich, ob ich das Geld zurückholen
diesen Fall nachprüfen kann.
herumgefahren, bis zu 50.000 Kilometer im Jahr. zu Hause, in dem kleinen Ort Hittfeld südlich von kann, und so bin ich nach München gefahren und
ZEIT: Dieser schwerreiche Unternehmer ist nie
»Zu mir nach Hause kommt keiner mit dem Geld«, Hamburg? habe mir diesen Berater vorgeknöpft.
zur Polizei gegangen. Warum wurden Sie von
habe Wappler gesagt. Wappler: Auch da. Es kamen manchmal 300 oder Ihren Opfern so selten bei der Polizei angezeigt?
ZEIT: Ihre Verbindung zu Müller-Wohlfahrt wurde
Ob Wappler manchmal einsam sei? »In gewisser 400 Leute. Da habe ich auch mal ein Näschen auch in einem Spiegel-Artikel beschrieben.
Wappler: Weil das selber Betrüger sind, Steuer­
Art schon.« Allein zu Hause, das könne er nicht gut. Koks genommen. Auf Alkohol verzichte ich aber betrüger. Das war doch alles Schwarzgeld, das ich
Wappler: Ja. Seine Frau fragte mich, ob ich mir
»›Mensch, Frank, du hast ja deine Kinder bei dir‹, vollständig. von denen bekommen habe.
mal die Akten besorgen und ansehen kann. Die
wusste ja nicht, dass ich nicht lesen und schreiben
kann. So habe ich einen Freund von mir mitge­
nommen. Wir haben good guy und bad guy ge­
spielt. Mein Freund war der Seriöse und Elegante,
» I C H V E R K A U F E A B E N T E U E R « und ich habe zu dem Steuerberater gesagt: »Jetzt
pass mal auf, du Schwanzlutscher, gib die Akten
her.« Wir haben in München auch ein Büro ge­
habt, das Müller-Wohlfahrt für uns gemietet hatte.
hat er manchmal gesagt.« Wappler jedoch habe nur ZEIT: Wohnt nicht auch Dieter Bohlen in der ZEIT: Sie waren immer auf Menschen angewiesen, Er selbst wohnte ja zur Miete. Er ist Arzt, aber
Frauen, die nie dauerhaft blieben. Weil Wappler so Nähe? die viel Schwarzgeld übrig hatten, und ohne saudumm.
oft betrogen habe, traue er auch anderen Menschen Wappler: Der Dieter, natürlich. Den kenne ich gut. Schwarzgeld wäre Ihre Karriere nicht möglich­ ZEIT: Wie kommen Sie darauf?
kaum noch. Angeblich wollten alle nur sein Geld. ZEIT: Der Betrüger Claas Relotius stammt auch gewesen? Wappler: Er wusste nicht mal, wie ein 500-Euro-
Noch heute landen bei dem Manager und auch bei aus der Gegend. Kennen Sie ihn? Wappler: So ist es. Deutschland ist voller Schwarz­ Schein aussieht. Zu Hause hat er immer das Licht
dem Autor Tim Gutke, der für Wappler die Autobio- Wappler: Nicht persönlich. Aber ich habe von ihm geld, das war immer mein größtes Glück. Wenn brennen lassen, Tag und Nacht, und als ich ihn
grafie schrieb und für ihn eine Face­book-­Seite ein- gehört. Sie jemanden betrügen, der Ihnen Schwarzgeld danach gefragt habe, hat er geantwortet: »Ist ja nur
richtete, Tag für Tag fünf bis sechs Nachrichten ZEIT: Er war Redakteur beim Spiegel und hat jahre­ gibt, dann wäre er ja blöd, Sie bei der Polizei an­ eine Mietwohnung.« Ich habe ihm dann erklärt,
fremder Menschen, die Kontakt zu Wappler suchen. lang Geschichten erfunden. zuzeigen. Dann wäre so einer ja selbst fällig. dass ihn das auch Geld kostet.
»Mike, ich brauche Geld.« Wappler: Och, dann hat er das doch gut gemacht. ZEIT: In einem absolut sauberen Land wäre aus ZEIT: Haben Sie denn seine Außenstände be­
»Mike, kannst du mich adoptieren?« Und die haben es nicht gemerkt? Ihnen nichts geworden? schafft? Oder haben Sie ihn reingelegt?
Den Manager rief Wappler an, wenn etwas drohte, ZEIT: Lange Zeit nicht, am Ende schon. Wappler: Genau. Dann hätte ich ja arbeiten müs­ Wappler: Dazu ist es gar nicht gekommen. Er hat
das die beiden »Attacke« nennen: eine Hausdurch- Wappler: Vom Sehen kenne ich ihn bestimmt. Ich sen. Aber ich sage Ihnen was, wovon ich total uns von dem Auftrag abgezogen. Den Grund da­
suchung bei Wappler oder eine Geliebte, die mit Geld kenne alle namhaften Betrüger in Deutschland. überzeugt bin: In jedem Menschen steckt ein­ für kenne ich bis heute nicht.
durchbrennen will. »Bring alles in Sicherheit!«, habe ZEIT: Einem sehr reichen Opfer haben Sie einmal Betrüger. ZEIT: Sie haben im Gefängnis zweimal dieselbe
Wappler befohlen. Dann musste es schnell gehen.­ Diamanten aus einem Nazi-Schatz versprochen, ZEIT: In uns auch? Frau geheiratet und sich von ihr zweimal scheiden
»Mike hat immer gebunkert.« Hier ein S­ afe, dort ein den es natürlich nicht gab. Wappler: Haben Sie schon mal gelogen? lassen, auch im Knast. Nicht anzunehmen, dass
Geheimversteck in einem Schrank. Wappler: Sechs Millionen Euro hat mir das ge­ ZEIT: Na klar. Ihre Verflossenen Sie heute noch besuchen.
bracht. Dem Mann hatte ich eingeredet, dass die­ Wappler: Mit dieser Lüge wollten Sie etwas errei­ Wappler: Ich habe mich nie sehr gerne festgelegt,
ZEIT: Herr Wappler, Sie treffen bei Ihren reichen Safes, an die ich rankomme, voll sind mit Gold, chen, oder? bin aber jetzt verlobt.
Opfern offenbar einen Nerv. Welcher Nerv ist das? Edelsteinen und Kunst aus der Nazi-Zeit. Das hat ZEIT: Ja. ZEIT: Und Sie haben Kinder.
Wappler: Meine Kunden, die oft zurückgezogen der geglaubt, weil er es glauben wollte. Der war Wappler: Sehen Sie, und da geht der Betrug schon Wappler: Zwei Jungs und zwei Mädchen. Jedes
leben, werden von mir geblendet. Da kommt so besessen von der Idee, dass es noch Nazi-Schätze los. Es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der Kind hat seine eigene Mutter, da braucht keines
ein Typ wie ich, einer mit einem Porsche und im gibt. Ich habe ihm und seiner Familie aber ver­ nicht betrügt. Das fängt bei Kindern an. »Mama, eifersüchtig zu sein. Die eine Tochter wollte­
weißen Anzug, und redet ihnen eine schöne Story sprochen, dass ich seinen Namen nie nenne. Viele ich habe Bauchweh, ich kann heute nicht in die Polizistin werden. Ich weiß aber nicht, ob das­
ein. Das klappt. Die Gier macht diese Leute Jahre habe ich mit ihm Geschäfte gemacht. Schule.« Eine ältere Dame von der feinen Elb­ geklappt hat.
blind. Wenn sie in feinen Vierteln wohnen, ken­ ZEIT: Wie kann es sein, dass das so lange gut ging? chaussee in Hamburg sagte mal zu mir, dass sie ZEIT: Was dachten Sie, als Sie hörten, dass sich
nen sie so was wie mich gar nicht. Die kennen Wappler: Ich habe diesem reichen Mann erzählt, noch nie in ihrem Leben betrogen hat. »Ach«, Ihre Tochter für den Polizeidienst interessierte?
nur irgendwelche Langweiler. Ich verkaufe ihnen dass er mir ständig Geld nachschießen muss, immer habe ich geantwortet, »haben Sie vielleicht eine Stand sie damit auf der gegnerischen Seite?
Abenteuer. wieder große Beträge, weil mich die Suche nach Putzfrau? Ja? Und haben Sie die Putzfrau auch Wappler: Nein. Das eine hat mit dem anderen
ZEIT: Warum können sich diese Menschen nicht dem Nazi-Schatz ständig vor neue Probleme stellt, angemeldet?« Darauf meinte die Dame: »Dazu nichts zu tun. Ich bin auch mit Polizisten und
auf eigene Faust in Abenteuer stürzen? die wahnsinnige Kosten verschlingen. Ich habe sage ich nichts.« Staatsanwälten befreundet. Ich kann das gut
Wappler: Weil das ideenlose Leute sind. Denen ihm sogar vorgegaukelt, dass ich tot bin. trennen. Ich war mit einem pensionierten Staats­
fällt nichts ein. Die haben nur ihre Arbeit und ihr ZEIT: Man könnte denken, Ihre Opfer seien geistig In seiner Welt, in der sich viele Gestalten aus der anwalt aus Lübeck befreundet, obwohl er mir
Geld im Kopf. Oft sind das Millionäre, die den minderbemittelt. Halbwelt tummeln, habe Wappler selten jemanden sechs Jahre Knast und SV aufbrummen wollte.

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 29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
ZEIT: SV, also Sicherungsverwahrung. Das bedeu­
tet, dass ein Häftling auch nach der Verbüßung
seiner Strafe eingesperrt bleibt, weil er weiterhin
als Gefahr für die Allgemeinheit gilt. Sie waren so
ein Fall. Sie galten als jemand, der nicht zu bekeh­
ren ist und höchstwahrscheinlich rückfällig wird.
Wappler: Wie gesagt: Reue ist nicht mein Ding.
Als Wappler im Jahr 2010 im Gefängnis saß, gab es
das noch: Sicherungsverwahrung bei Vermögens­
delikten. Gegen ihn, den notorischen Hochstapler,
wurde diese drastische Maßnahme verhängt. Aber
Wappler fand einen Ausweg. Einmal, bei einem Fest
seiner Halbschwester, wurde er in Fußfesseln von zwei
Beamten zur Gartenparty nach Lübeck begleitet.
Plötzlich gab er vor, dringend zur Toilette zu müssen.
Er schloss sich ein und ließ sich von einem Kompli­
zen, der dort wartete, die Fesseln mit einem Bolzen­
schneider durchtrennen. Wappler türmte aus dem
Fenster, während der Komplize den Beamten, die vor
der Badezimmertür warteten, vortäuschte, er sei
Wappler. Der echte Wappler rannte draußen zu einem
Flucht­auto, fuhr zum Lübecker Flughafen und setzte
sich nach Portugal ab. Von dort aus rief er stolz seine
damalige Anwältin in Deutschland an und nannte
seine Flucht fröhlich »meine Blitzentlassung«.
Wappler hatte recherchiert. In Portugal gab es keine
Sicherungsverwahrung. Das Land würde diese Maß­
nahme nicht vollstrecken und ihn – so hoffte er – nicht
nach Deutschland ausliefern. Als er in Portugal ge­
fasst, ins Gefängnis gesteckt und am Ende doch aus­
geliefert wurde, hatte Wappler nicht mehr viel zu
befürchten. Der Europäische Gerichtshof für Men­
schenrechte hatte die deutsche Sicherungsverwahrung
gerügt. Der Bundestag stimmte einem Gesetz zur
Neuregelung der Sicherungsverwahrung zu, und das
Hamburger Landgericht entschied, diese Maßnahme
von nun an nicht mehr bei Häftlingen mit­
Vermögensdelikten anzuwenden. Damit war Wapp­
ler, der seine Strafe abgesessen hatte, wieder ein freier
Mensch. Fragt man seine Halbschwester Beate heute,
was sie von ­Mike Wappler hält, antwortet sie: »Mit
dem will ich nichts mehr zu tun haben.«
ZEIT: Sind Sie ein nachtragender Mensch?
Wappler: Nein, überhaupt nicht. In einer Bezie­
hung zu einer Frau bin ich vielleicht nachtragend,
aber nicht gegenüber einem Richter oder einem
Polizisten.
ZEIT: Sie wurden kürzlich erneut verurteilt, weil Sie
gemeinsam mit einem Komplizen, Ihrem Cousin,
fast 400.000 Euro ergaunert hatten. Sie erzählten
Ihrem Opfer, Forderungen eintreiben zu können,
einige Millionen Euro. Sie tischten die erfundene
Geschichte von einer Witwe auf, die mit dem Geld
angeblich nach Moskau geflohen sei, und Ihr
Komplize spielte einen seriösen Rechtsanwalt aus
der Schweiz, der gefälschte Kontoauszüge präsen­
tierte. Ein Märchen reihte sich an das andere. Sie
kassierten von Ihrem Opfer Bargeld und Gold.
Vor Gericht haben Sie alles gestanden. Warum
haben Sie dort nicht getrickst?
Wappler: Das hätte doch keinen Sinn. Diese Leute
verstehen doch was von ihrem Job.
ZEIT: Da trennen Sie wieder, diesmal zwischen
Richtern und Opfern.
Wappler: Einen erfahrenen Richter belügt man
nicht.
ZEIT: Ein Opfer schon?
Wappler: Na klar. Sonst komme ich ja nicht an die
Kohle ran.
ZEIT: Hätten Sie sich selbst auch ins Gefängnis
gesteckt, wenn Sie Richter wären?
Wappler: Natürlich. Ich hätte mir vielleicht sogar
eine höhere Strafe gegeben. Ich habe mit fünf bis
sechs Jahren Knast gerechnet, aber nur dreieinhalb
Jahre bekommen. Glück gehabt. Ich bin zufrieden.
ZEIT: Die jüngsten Ermittlungen der Polizei gegen
Sie begannen, nachdem Ihre frühere Freundin
dort ausgesagt hatte. Sie war fünf Jahre mit Ihnen
zusammen, dann hat sie ausgepackt. Sind Sie ihr
böse?
Wappler: Zuerst ja, ich dachte: Du Miststück.
Aber dann habe ich versucht, mich in diese Frau
hineinzuversetzen. Wir sind im Streit aus­ein­an­der­
ge­gan­gen, und sie wollte sich an mir rächen. Wir
hatten aber auch gute Zeiten. Heute bin ich ihr
nicht mehr böse. Ich versuche immer, mich zu
fragen, ob jemand einen Grund hatte, mich zu
verpfeifen.
Die frühere Freundin
Heike Krüger*, eine gepflegte Frau in den Fünf­
zigern, amüsierte sich über Wappler, als sie ihn
2013 nach einem Boxkampf in Hamburg kennen­
lernte, bei dem sie spontan als Ringsprecherin ein­
gesprungen war. Ein Angeber im weißen Kaschmir­
mantel in der ersten Publikumsreihe, der sich
Milliar­den-­Mike nannte – »das fand ich am A ­ nfang
nur kindisch«, sagt sie heute. Heike Krüger hatte
Gesang studiert, sie hat zwei Kinder und e­inen
Mann, von dem sie sich damals getrennt hatte. Sie
lebte in einem abgeschiedenen Dorf in Ostdeutsch­
land, in dem es nicht einmal einen ­Lebensmittelladen
gibt. »Eine schwere Krankheit hatte mich erwischt.
Ich war beruflich am Ende und habe Bügeleisen
verkauft. Ich fühlte mich komplett zerstört. Dann
kam ­Mike Wappler und hat mich aufgefangen. Er
führte mich in seine Glitzerwelt, voller Partys,
Empfänge, schöner R ­ eisen, interessanter Leute. Er
stellte mich als seine Prinzessin vor.« Gemeinsam
zogen sie in ein gemietetes Haus am Rand der Lüne­
burger Heide.
Zunächst, sagt Heike Krüger, habe sie nicht ge­
ahnt, dass sie mit einem Kriminellen zusammen­
*Name von der Redaktion geändert
lebte. Erst als er sie bat, in einer Buchhandlung aus
seiner Autobiografie vorzulesen, sei ihr alles klar
geworden. Unklar sei ihr selbst bis heute geblieben,
warum sie so schlecht von ihm loskam. In ihr altes
Dorfleben konnte sie nicht zurück, ein neues Leben
ohne Wappler war für sie schwer vorstellbar. Mit
den Geldbündeln, die in Wapplers Jackett steckten,
war es einfach, sich den Alltag zu versüßen. »Ich
DOSSIER 15
anwalt? Ich muss das noch mal prüfen.« Und
schon habe ich einen Fuß in der Tür.
Der Staatsanwalt
» R E U E Harald Pohl sitzt im Wohnzimmer seines hübschen
Häuschens in Lübeck. Ein freundlicher Mann mit
weißen Haaren, seit Jahren Pensionär. 37 Jahre war
er Staatsanwalt, und er musste sich während seines
gesamten Berufslebens immer wieder mit ­ Mike
Wappler beschäftigen. »Einer meiner ersten Fälle
hatte gleich mit ihm zu tun.« Es ging damals auch
schon um Luftgeschäfte, Wapplers Spezialgebiet. Er
wurde verurteilt, saß im Gefängnis und kam wieder
frei. So lief es jahrzehntelang, immer neue Anklagen,
immer neue Verurteilungen. »Ich habe mich manch­
mal gefragt, ob die Justiz irgendwas falsch gemacht
hat bei Wappler. Hätten wir irgendwas tun können,
damit er kein Berufsverbrecher geworden wäre?« Er
macht eine kurze Pause und gibt die Antwort dann
selbst: »Nein. Dieser Mann ist völlig unbelehrbar.«
Man merkt in dem Gespräch, dass sich zwei Seelen
in der Brust von Harald Pohl befinden. Die eine ist
ganz die Seele eines Staatsanwalts: ­Mike Wappler sei
I S T ein Verbrecher, er habe viele, viele Leute betrogen und
ins Unglück gestürzt. Daran sei gar nichts zu beschö­
nigen. Doch da ist noch die andere Seele, und die
muss immer wieder lachen. Zum Beispiel wenn er
erzählt, einmal habe Wappler den Antrag gestellt, er
wolle zwei Hühner in seiner Zelle haben, denn er sei
morgens an sein Frühstücksei gewöhnt. Und der alte
Staatsanwalt kann einfach nicht anders, als zu
schmunzeln, wenn er sich an eines der letzten Ge­
spräche mit Wappler erinnert. Pohl sagte zu ihm, er
werde jetzt bald in Pension gehen, woraufhin Wapp­
ler nach langem Schweigen meinte: »Herr Pohl, das
können Sie mir nicht antun. Wer soll mich denn jetzt
anklagen?«
ZEIT: In Ihren Geschichten sind Sie immer der
Held. Ein Mann, der alle Untiefen des Lebens meis­
tert. Gibt es nichts, wofür Sie sich heute schämen?
Wappler: Was könnte das sein? (überlegt lange) Ich
N I C H T habe mal einer älteren Frau Schmuck verkauft, der
nicht echt war, billiger Modeschmuck. Dafür habe
ich mehrere Tausend Euro bekommen, aber das
Geld habe ich ihr später zurückgegeben. So ein Be­
trug ist normalerweise nicht mein Ding. Ich ma­
che das nicht mit Leuten, die wenig Geld haben.
Ein Facharbeiter, der sein Leben lang für sein
Häuschen gespart hat, und dann komme ich
Arschloch und nehme ihm Geld weg – nee, das ist
mies. Ich war immer spezialisiert auf dicke Fische.
Für 10.000 Euro gehe ich nicht los, nicht für
Pissgroschen.
Wappler erzählt gern die Geschichte vom modernen
Robin Hood, der den Reichen Geld abnehme und es
unter den Armen verteile. Aber der zweite Teil der
Geschichte stimmt nicht. Denn er behält das Geld für
sich. Dass er meist keine Normalverdiener betrogen
hat, liegt vermutlich daran, dass bei denen für ihn
M E I N D I N G « wenig zu holen ist.
ZEIT: Tragen Sie Ihr Geld zur Bank?
Wappler: Um Gottes willen, nein, ich hatte immer
Foto: dpa
nur Schließfächer mit Bargeld, immer auf andere
Namen und nie in Deutschland. Deshalb bin ich
Wappler nennt sich selbst »Milliarden-Mike« und tritt gern in ausgefallenen Anzügen auf noch heute reich. Ein Schließfach in Deutschland
bedeutet, dass man bei der Schufa eingetragen
wird. Dann weiß der Staat das auch.
ZEIT: Aus Ihren Erzählungen kann man den
Schluss ziehen, dass Geld glücklich macht, und sei
es Schwarzgeld. Blicken Sie wirklich auf ein erfülltes
Leben zurück?
habe heute 50.000 gemacht«, habe er manchmal sitzen. Aber wer weiß, vielleicht habe ich noch Baron von Wappler. Aber daraus wurde nichts, denn Wappler: Jedenfalls habe ich mich in meinem
gesagt. »Womit?«, habe sie anfangs noch gefragt. einen Rückfall. die Behörde weigerte sich. »Nichts ist für ihn schlim­ Leben selten gelangweilt. Razzien, Flucht vor der
»Das musst du nicht wissen, Lümmel«, habe Wapp­ ZEIT: Wer kontaktiert Sie hier im Gefängnis? mer, als in der Normalität zu versinken«, sagt die Polizei, Rotlichtmilieu, Boxkämpfe, schöne Reisen,
ler entgegnet. »Lümmel«, so nannte er sie öfter. Die Wappler: Menschen, die meinen Rat suchen. Je­ Anwältin, »das spricht für ein unterentwickeltes mal ein Kaffee mit Freunden im Hotel Adlon, mal
ehemalige Freundin sagt: »Er hat für mich gesorgt. mand will Geld anlegen und fragt mich: Was soll Selbstwertgefühl.« ein Fernsehauftritt: Es war immer was los.
Meine Existenzangst war weg.« ich machen? Es gibt zum Beispiel den Chef eines Halten Sie ihn für einen faszinierenden Men­ ZEIT: Was raten Sie Ihren Kindern für ihr Leben?
Sie habe ihm geglaubt, als er versprach, sich auf Restaurants auf Sylt, der Millionen übrig hat. Im schen? Die Anwältin denkt lange nach. Dann sagt Wappler: Schwierig. Die leben ja anders als ich,
keine krummen Geschäfte mehr einzulassen. Das Moment ruht aber alles. Ich mache nichts. Manche sie: »Er kann etwas, das wenige Menschen können. Er eher bürgerlich, unauffällig.
Internet habe ihm ohnehin alles kaputt gemacht, Leute wollen mich auch betrügen. Ich spüre das kann gute Laune verbreiten. Er macht aus jeder ZEIT: Haben Sie Enkelkinder?
behauptete Wappler. Jeder könne sofort herausfinden, sofort. Das ist eine Gabe von mir. Situation das Beste. Er strahlt von innen. Das kann Wappler: Ja, meinen Enkel Ben. Ein kleiner Dicker.
wer er ist. Erkannte auch sie, wer er wirklich ist? Im ZEIT: Sie saßen allein 18 Jahre in Santa Fu, der man nicht spielen.« Er guckt immer auf die Uhr an meinem Arm, eine
Schlafzimmer sah sie einen Mann neben sich liegen, JVA in Hamburg-Fuhlsbüttel. Sie wirken aber Hecks Kollege Dirk Meinicke, mit dem sie Wapp­ Rolex. Die will er unbedingt haben. Ben ist auch
der oft aus dem Schlaf hochschreckte, der eine Pis­ immer so unbeschwert, als seien Sie ein fröhlicher ler gemeinsam vor Gericht verteidigte, hatte den­ schon ein kleiner Verbrecher. Der kommt ganz
tole und eine Dose Pfefferspray neben sich auf den Frührentner. Wie kommt das? Betrüger erst wenige Monate zuvor kennengelernt und nach mir.
Nachttisch gelegt hatte. Das Haus hatte er mit Wappler: Ich habe diese 18 Jahre gar nicht ge­ war überrascht, wie schnell die Zeit verging, wenn er ZEIT: Wie alt ist er denn?
Alarmanlagen hochgradig gesichert. merkt, weil ich immer was um die Ohren hatte. ihn besuchte. Einmal wollte er nur 20 Minuten im Wappler: Zwei.
Als Heike Krüger mitbekam, dass sich Wappler Ich habe auch in der Haft ständig Geschäfte ge­ Gefängnis bleiben, und als er auf die Uhr schaute,
ungeniert mit anderen Frauen traf, begann das selt­ macht. Früher hatte ich dort einen ausgezeichne­ war schon eine Stunde vorbei. Er erlebte ein Feuer­ Über ein Telefon im Gefängnis spricht Wappler später
same Finale dieser Beziehung. Sie ließ sich von ten Lehrer, Martin Engler, den man den König der werk der Anekdoten. »Vielleicht das unterhaltsamste noch ein paarmal mit der ZEIT. Einmal meldet er
Wappler vorführen und erniedrigen, aber sie blieb Betrüger nannte. Er ist schon lange tot. Martin Mandat meines Lebens« nennt der Anwalt den Fall sich mit »Oberstaatsanwalt Möller« und lacht ver­
lange Zeit bei ihm. Wappler wurde immer unbe­ sagte damals zu mir: ­»Mike, du darfst nie klein Wappler. gnügt. Am Ende eines Telefonats will er unbedingt
herrschter. Einen Mann, den der eifersüchtige Wapp­ denken. Du musst groß denken.« Martin hat aus noch eine Lebensweisheit loswerden. Sie lautet: »Man
ler für einen Nebenbuhler hielt, diffamierte er öffent­ dem Knast heraus Flugzeuge aus dem Libanon ZEIT: Herr Wappler, mit wem machen Sie lieber muss die Welt nicht verstehen, man muss sich nur da­
lich, indem er Flugblätter mit schweren Anschuldi­ verkauft. Einen besseren Lehrer konnte ich gar Geschäfte: mit schlauen oder mit dummen­ rin zurechtfinden.« Nietzsche, lobt Wappler, der große
gungen in dessen Nachbarschaft verteilte. »Ich hatte nicht bekommen. Martin war ein Genie. Der hat Menschen? Friedrich Nietzsche. Der Satz stammt allerdings nicht
plötzlich Angst vor ­Mike«, sagt Heike Krüger heute. sogar Politiker betrogen und seine eigenen Rechts­ Wappler: Mit den Schlauen, eindeutig. Die von Nietzsche, sondern von Albert Einstein. »Auch
Die beiden trennten sich schließlich doch, und Krüger anwälte. Auch denen hat er Geld abgenommen. Schlauen sind die besten. Die haben studiert und gut«, sagt Wappler.
hat wieder einen Job. Deshalb wolle sie nicht mit ih­ Ein Genie hoch drei. Er sagte zu mir: »Achte auf im Beruf viel erreicht. Die halten sich für so schlau,
rem wahren Namen in der Zeitung stehen, sagt sie, die Schuhe. Wenn jemand maßgeschneiderte dass sie schon wieder doof sind. Ein Doofer hat
die frühere Beziehung zu einem Hochstapler schade Schuhe trägt, weißt du: Der hat Geld.« wenig Geld und ist misstrauisch, ein Schlauer ist
ihrem Ruf. Blickt sie auf die Jahre mit ihm zurück, anders. Der Schlaue fällt auf mich rein, weil er
dann sagt sie etwas, das so widersprüchlich ist wie Die Rechtsanwältin meint, er ist mir überlegen. HINTER DER GESCHICHTE
Wappler selbst. »Er ist eiskalt und berechnend. Er be­ Stimmt das, was der Betrüger Wappler im
nutzt jeden.« Das ist das eine. Das andere ist: »Er hat Seit etwa 20 Jahren kennt die Hamburger Rechts­ Eine Vollzugsbeamtin schließt die Tür des Besu­ ZEIT-Interview erzählt? Dieser Frage sind
ein gutes Herz.« anwältin Jutta Heck ihren Mandanten Wappler, cherraums auf, schaut hinein und sagt: »Ich wollte die Autoren nachgegangen, indem sie
mehrmals hat sie ihn vor Gericht verteidigt. Die nur Bescheid geben: Um zehn vor drei ist hier Staatsanwälte und Rechtsanwälte nach ihm
ZEIT: Herr Wappler, warum haben Sie sich nie auf 61-jährige Juristin sagt, er habe ihr so oft Lügen auf­ Schluss.« befragt haben, Freunde, Geschäftspartner
legale Weise unter Beweis gestellt, als Bauunter­ getischt, dass sie viele seiner Märchen schnell durch­ und Weggefährten, außerdem Journalisten,
nehmer zum Beispiel? schaut habe. Sie habe ihn kurz angeraunzt, danach Wappler: Aber gleich kommt noch Herr Ober­ die mit ihm zu tun hatten, sowie ehemalige
Wappler: Bauunternehmer? Alles Gangster. Ich habe Wappler lächelnd eingelenkt. Sie sagt: »Als staatsanwalt Möller. Lebensgefährtinnen – insgesamt etwa
hatte mal eine Model-Agentur und habe Nummern­ Sohn eines Zigeunerkönigs glaubte er sein Leben Die Beamtin: Sie verarschen mich, Herr Wappler, 20 Menschen. Einige von ihnen kommen
girls für Boxveranstaltungen geliefert. Das lief lang, er sei der geborene Nachfolger des Vaters, er sei das geht gar nicht. Hier kommt heute keiner im Text zu Wort, andere wollen unerkannt
super. Aber es war mir zu langweilig. Ich habe der Prinz. Das ist seine Anspruchshaltung. Aber seine mehr. bleiben. Weil Wappler weder lesen noch
mehrere Mietshäuser, davon kann ich super leben. Familie akzeptiert keinen vorbestraften Prinzen als schreiben kann, war es nicht ganz einfach,
Ich muss keine Betrügereien mehr machen. König. Und die Gesellschaft akzeptiert ihn natürlich Die Beamtin schließt verärgert die Tür. seine Interviewpassagen von ihm
ZEIT: Wenn Sie wieder in Freiheit sind, werden auch nicht in dieser Position. Aber Herr Wappler er­ autorisieren zu lassen. Einer der Autoren
Sie also gesetzestreu leben? wartet eine entsprechende Achtung. Diese Haltung Wappler: (lacht) Sehen Sie, mit dieser Frau mache besuchte ihn im Gefängnis und las ihm
Wappler: Das mit dem Betrug geht auf keinen Fall ist bis heute nicht verflogen.« Einmal versuchte er, ich bestimmt keine Geschäfte. Das ist eine Doofe. seine Zitate persönlich vor.
so weiter. Ich will nicht noch mit 80 im Knast sich den Titel »Baron« amtlich eintragen zu lassen, Eine Schlaue hätte geantwortet: »Ein Oberstaats­
16
DAS LESERZITAT ZUM THEMA GEMEINSAME GELDANLEIHEN:
»Sie plädieren für Corona-Bonds, damit sich die notleidenden
Länder billiges Geld leihen können. Fänden Sie es dann in Ordnung,
dass Deutschland diese Schulden tilgt?« Von Gerda Dörfler
Erledigt ist hier
noch gar nichts
Mariam Lau:
»Die Exitstrategen«  ZEIT NR . 17
Das Virus ganz auszumerzen könnte nur ge-
lingen, wenn man über längere Zeit einen
totalen Lockdown verfügen würde. Das ha-
ben noch nicht mal China oder Südkorea ge-
schafft. Es ist also eine ethische Frage, ob man
die Gewichtung mehr in Richtung Verhin-
derung von schweren und tödlichen Ausgän-
gen legt oder ob man die Verhinderung
schwerer wirtschaftlicher Depression – mit all
ihren Folgen für Millionen Bürger – in den
Vordergrund rückt.
Dass es jetzt aus verschiedenen politischen
Richtungen zu Forderungen kommt, einfach
alles wieder zügig zu öffnen, und mancher das
Virus als harmlos, erledigt oder gar als ver-
schwunden betrachten will, ist an Dreistig-
keit nicht zu überbieten. Als Kinder- und
Jugendarzt, der sich über Jahrzehnte täglich
mit Infektiologie beschäftigt hat, fordere ich,
die unsinnigen Diskussionen zu unterlassen
und das Virusgeschehen auf ganz niedriger
Schwelle zu halten.
Dr. Wolfgang Adam, Rahden
Bild und Text sollten sich in der Aussage un-
terstützen und ergänzen. Dies gelingt der
ZEIT in der Regel bestens! Bei diesem Artikel
über die Schwierigkeiten des Ausstiegs aus der
Pandemiebekämpfung aber ist es Ihnen gänz-
lich misslungen. Das Foto von Jens Spahn im
Aufzug mit Mitarbeitern der Uni-Klinik Gie-
ßen – eng gedrängt und ohne jeglichen
Sicherheitsabstand – konterkariert den guten
Text. Es macht die anerkennenswerte Arbeit
der Abgebildeten lächerlich und ist Wasser
auf die Mühlen der Gruppe der Corona-
Ignoranten.
Wolfgang Gehrmann, per E-Mail
Dereinst im Mai
Dossier: »Der Tag,
der die Welt veränderte«  ZEIT NR . 17
Der gut komponierte Beitrag zeigt auf beein-
druckende Weise, mit welch riesigen Heraus-
forderungen die Menschen im und nach dem
Zweiten Weltkrieg fertigwerden mussten, wel-
che Verluste sie zu verkraften hatten und wie sie
unter schwierigsten Bedingungen ihre persön-
liche Existenz wieder aufbauten. Wenn nun
dieser Tage eine Mutter im deutschen Fernsehen
in Tränen ausbricht, weil die häusliche Situation
wegen Corona nervig ist und ihre Kinder auf so
viel verzichten müssen, möchte ich ihr am liebs-
ten diesen Artikel zu lesen geben.
Monika Nolte, Karlsruhe
»Es gibt wenige Tage, an denen die Grundbedin-
gungen der Existenz für Zigmillionen Menschen
zugleich neu definiert werden. An denen wie bei
einem Urknall eine Welt entsteht, in der alles
anders ist als zuvor: Wer ist mächtig, wer ohn-
mächtig? Wer hat eine Zukunft, wer nur eine
Vergangenheit? Wer darf in Freiheit leben, wer
nicht? Es sind Ausnahmetage der Geschichte,
an denen alle spüren, dass etwas Altes vorbei ist
– aber oft wird sich erst Jahre später zeigen, was
genau das Neue ist, das beginnt.« – Dies sind
Zeilen Ihres Berichtes über den 8. Mai 1945, an
dem in Europa der Zweite Weltkrieg endet.
Spontan hatte ich bei der Lektüre die erschre-
ckende Vorstellung, dieser Text könnte exakt
passen zum 8. Mai des, sagen wir, Jahres 2022,
dem fiktiven ersten Tag einer coronafreien Welt.
Vielleicht hätte es aber auch etwas Gutes.
Ulrich Niepenberg, Marienheide
Der Executive Master in Arts Administration der Universität Zürich trauert um seinen Mitbegründer und langjährigen Dozenten
Sir Peter Jonas
Wir verlieren mit Sir Peter Jonas einen leidenschaftlichen Ermöglicher von Sternstunden der Kunst, einen feinsinnigen und humorvollen Dozenten,
der den angehenden IntendantInnen neben seinem unendlichen Erfahrungsschatz und seinem Feuer für das moderne Musiktheater vermittelt hat,
dass die Führung eines Kulturbetriebes „Dienen“ mit Liebe und Hingabe bedeutet.
Die Welt ist ohne ihn ärmer geworden.
Der Leitende Ausschuss
Alumni, Alumnae und Studierende des Executive Masters in Arts Administration
LESERBRIEFE
Corona-Bonds? Niemals!
Bernd Ulrich über Finanzhilfen für Südeuropa: »Außen kalt«  ZEIT NR . 17
N
och jede italienische Regie-
rung hat sich Ratschläge der
europäischen Partner zu ihrer
Haushalts- und Schulden-
politik als Einmischung in
ihre inneren Angelegen­
heiten verbeten. Steht die
Schuldentilgung an, ruft die gleiche italienische
Regierung jedoch nach europäischer Solidarität,
sprich »Einmischung in ihre innere (Zahlungs-)
Angelegenheit«.
Man scheut sich auch nicht, die deutsche Export-
quote zu bemühen, um Deutschland an den Haus-
haltslöchern zu beteiligen. Wo sollte die Grenze
liegen, ab der eine Exportnation wie Deutschland
eine nicht minder exportorientierte Volkswirtschaft
wie Italien zu subventionieren hat?
Der durchschnittliche Privathaushalt in Italien be-
sitzt mehr Vermögen als ein deutscher. Doch der
italienische Staat schätzt die Chance, an das Geld
seiner Bürger zu kommen, offenbar als geringer ein
als die, ans Geld deutscher Steuerzahler zu gelangen.
Ernst Kaffanke, Höchstadt
Das Verständnis der Deutschen für die Italiener
dürfte wesentlich größer sein als umgekehrt. Nur
wird verständlicherweise die Sympathie für den
venezianischen Gondoliere, den neapolitanischen
Tenor oder auch den freundlichen Pizzabäcker
das Handeln deutscher Politiker weniger bestim-
men als ihr Blick auf so manche von den Italie-
nern gewählte Regierung der letzten Jahrzehnte.
Angesichts der im Rahmen der Euro-Krise schon
entstandenen Haftung müsste ein deutscher Poli­
tiker, der nun weiteren Haftungstatbeständen­
zustimmte, sich eine Verletzung seines Amtseids
vorwerfen lassen. Die europäischen Freunde sind
nicht so naiv, das nicht zu wissen. Aber im
Die drei Damen und der Präsident
Zum Streitgespräch über die Abgrenzung der Konservativen nach rechts außen  ZEIT NR . 17
D
en Aufruf der drei ZEIT-Autorinnen
(»Der Präsident und wir«) zu mehr
Zivilcourage und Widerstand gegen
den Rechtsextremismus möchte ich
unterstützen. Wir sollten Beleidigungen jeder Art
unverzüglich als Ordnungswidrigkeit mit einer
angemessenen Geldbuße belegen können!
Ich möchte aber auch Herrn Gauck in seinem
Anliegen unterstützen, dass wir Argumente und
Anschuldigungen der Rechten anhören sollten.
In jedem Fall sollten wir – wie in dem Streitge-
spräch – im moderaten Ton mit­ein­an­der reden!
Heiner Drabiniok, Meerbusch
Die drei Damen sind eine Bereicherung, auch
wenn ich ihre Ansichten nicht teile! Sie haben die
Freiheit unserer Demokratie und unsere gute In-
frastruktur genutzt, um – ich nehme doch an –
ihren Wunschberuf zu erlernen und auszuüben.
Probleme bereiten uns jedoch Clans, Parallel­
gesellschaften in vielen Großstädten und natür-
lich die fortdauernde Immigration aus Vor­der­
asien und Afrika, deren Ende nicht absehbar ist!
Dr. med. Ulrich Pietsch, Nidda-Ulfa
Giovanni di Lorenzo irrt, wenn er sagt, dass man
über die Fehler der Integrationspolitik reden
müsse, um AfD-Wähler zurückzugewinnen.
Ja, diese Fehler gab es, und spätestens nach den
Vorfällen der Kölner Silvesternacht sah eine
Mehrheit nach der Willkommens-Euphorie des
Sommers 2015 die Aufnahme von einer Million
Flüchtenden in einem sehr viel kritischeren Licht.
14. 10. 1946 – 22. 4. 2020
Die Studienleitung
Executive Master in Arts Administration
Zur Ausgabe No 17
Kampf um politische Vorteile mag es Erfolg ver-
sprechen, das alles außer Acht zu lassen, vor al-
lem, wenn es durch German-Bashing von deut-
scher Seite unterstützt wird.
Michael Fritzen, Mülheim a. d. Ruhr
Egal ob geholfen wird oder nicht: Deutschland
wird der ewige Böse sein. Und interessant: Geht
es um Hilfe, wird nur auf Deutschland geschaut,
als ob es kein anderes Land mehr in der EU gäbe.
Steffen Kaufmann, per E-Mail
Vielen Dank für Ihren (mutigen) Artikel.
Ich hoffe, dass viele Menschen ihn lesen und vor
allem verstehen werden. Wenn ich allerdings
manche Leserbriefe in der ZEIT betrachte, habe
ich daran große Zweifel. Jetzt, da die CDU so viel
Zustimmung in den Umfragen erhält, könnte
Frau Merkel über ihren Schatten springen. In
Deutschland ist die Begeisterung für sie plötzlich
so groß, dass man ihr eine Zustimmung zu den
»Corona-Bonds« verzeihen würde.
Robert Camboni, Rastatt
Sie plädieren für Corona-Bonds, damit sich die not-
leidenden Länder billiges Geld leihen können. Was
passiert, wenn die Rückzahlung der Bonds nicht
möglich ist? Fänden Sie es dann in Ordnung, dass
Deutschland diese Schulden tilgt, oder zumindest
einen Großteil? Diese Möglichkeit wird von den
deutschen Befürwortern der Corona-Bonds leider
nie untersucht, obwohl ich die Wahrscheinlichkeit
für groß halte.
Im Übrigen frage ich mich schon, wo sich der ach
so große Reichtum Deutschlands, der ständig an-
geführt wird, versteckt, wenn ich an den Zustand
der Schulen, Straßen und Brücken denke.
Gerda Dörfler, per E-Mail
Diese Mehrheit der »Welcome-Enttäuschten«
wählt jedoch heute nicht AfD! Die AfD hat über-
haupt keine inhaltliche Agenda, es nützt also
nichts, ihr und ihren Wählern inhaltlich – oder
auch nur rhetorisch – entgegenzukommen, weil
das einzige Ziel, das diese Partei wirklich hat, die
Aushöhlung der Demokratie und ihrer Institutio-
nen ist. War es erst der Euro, kamen später die
Flüchtlinge. Inzwischen arbeitet sich die AfD an
der »Gesundheits-Diktatur« ab. Sie wird immer
etwas finden, um die Wut und die Zwietracht an-
zufachen!
Dennoch muss man versuchen, diese Wähler in
ihrer Grundmotivation zu erreichen. Letztlich
fühlen sie sich kulturell oder so­zial abgehängt
und nicht gewürdigt. Nur eine Politik, die gene-
rell sensibel für Benachteiligungen aller Art ist,
kann diese Wähler vielleicht wieder für die Ge-
sellschaft gewinnen.
Dr. Dirk Kerber, Darmstadt
Die AfD punktet bei vielen Bürgern damit, dass
sie den Anschein erweckt, es drohe eine unge­
regelte Masseneinwanderung. Dabei spricht sich
inzwischen jede Partei gegen uneingeschränkte
Einwanderung aus. Aber im Kampf gegen die
AfD wird nicht zugestanden, dass die frühere
Frontlinie »offene Grenzen – ja oder nein« in der
Realität keine Rolle mehr spielt. Diese irreale
Front wird künstlich aufrechterhalten in der Rhe-
torik derer, die Hass schüren, indem sie pauschal
ihre politischen Gegner als rechtsradikal bezie-
hungsweise als Befürworter ungeregelter Einwan-
Es ist vertrackt. Egal ob Finanzkrise, Flüchtlings-
krise oder Corona-Krise – immer ist der Süden
Europas härter getroffen als der Norden. Und jedes
Mal lässt der Norden europäische Solidarität ver-
missen. Reflexartig kommt aus Deutschland immer
die gleiche Reaktion: Ihr wollt nur unser Geld, das
kriegt ihr nicht. Scham und Schande.
Bernd Ulrich konstatiert nun, dass die Deutschen
von den Südeuropäern als äußerst hartherzig wahr-
genommen werden. Er führt die restriktive Haltung
Deutschlands auf den in der Nachkriegszeit er-
lernten Fleiß zurück. Darauf muss man erst mal
kommen. Aber in meiner Enttäuschung über
Deutschland ist mir jeder Strohhalm recht, an den
ich mich immer noch klammern kann.
Friedrich Thimme, Seevetal
Die EZB betreibt seit der Finanzkrise mehr oder
minder unverhohlen eine illegale Staatenfinanzie-
rung nebst Enteignung der nach Meinung des
Autors so kaltherzigen deutschen Sparer.
Der Euro war ein politisch gewolltes, aber öko-
nomisch nicht funktionstüchtiges Experiment,
das seit Jahren künstlich am Leben gehalten wird.
Nun gibt es eine letzte rote Linie, die bislang
noch nicht überschritten wurde: die sogenannten
Eurobonds. Es darf niemals, ich wiederhole: nie-
mals, dazu kommen, dass wir diese letzte Bastion
nun auch noch aufgeben. Vom insolventen Sü-
den und Westen sowie ökonomisch ungebildeten
Linken seit Langem gefordert, sieht man nun die
Chance, uns diese Eurobonds quasi durch die
Hintertür unterzujubeln.
Bezeichnend ist, dass Italien gleichzeitig die an-
gebotenen ESM-Mittel ablehnt – denn dann
müsste man ja plötzlich haushalten und sich auch
noch kontrollieren lassen.
Klaus Bingel, per E-Mail
derung darstellen. Ich habe den Eindruck, dass es
für viele Beteiligte bequemer ist, mit Schlagwor-
ten zu hantieren, als sich die Mühe der Differen-
zierung zu machen. Erst dann besteht aber Aus-
sicht, AfD-Wähler zu den vernünftigen Parteien
zurückzuholen.
Dr. Hans-Joachim Schemel, München
Joachim Gauck ist der Letzte, der für den Zulauf
zur AfD verantwortlich gemacht werden kann.
Dass der Demokratie daran gelegen sein muss,
diese Protestwähler rational zurückzugewinnen,
wie es die Intention des von den drei Damen ge-
scholtenen Gauck-Satzes ist, liegt auf der Hand.
Unter den Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit
Migrationswurzeln, die gerne in Deutschland le-
ben, finden sich ganz großartige Menschen. Sie
sind aus der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr
wegzudenken. Völlig egal, welcher Herkunft, Re-
ligion oder Hautfarbe jemand ist: Wer hier gerne
auf der Basis des Grundgesetzes dieses Land ge-
stalten mag, gehört dazu. Wer Segregation und
Spaltung der Gesellschaft fördert, mag dagegen
womöglich woanders besser leben können.
Jutta Tempel, per E-Mail
Keinesfalls sollten Deutsche mit Migrationshin-
tergrund jetzt eigene Grenzen zu den »Almans«
ziehen. Damit würden sie sich selbst ausgrenzen
und unbewusst der AfD das »Geschäft besorgen«.
Denn Ausgrenzung ist das Geschäft der AfD, sie
beherrscht es meisterlich und lebt geradezu davon.
Regina Stock, Kiel
Was bleibt?
Mein Erbe.
Für unsere
Natur.
Liegt Ihnen auch die Vielfalt der Natur besonders am Herzen?
Helfen Sie mit, bedrohte Tierarten und Lebensräume unserer Heimat
auch für nachfolgende Generationen zu schützen und den Verlust der
Artenvielfalt zu stoppen. Mit einem Testament zu Gunsten der ge-
meinnützigen Heinz Sielmann Stiftung. Ein kostenfreier Ratgeber zum
Thema Testament und Engagement liegt für Sie bereit.
Rufen Sie uns gerne an: Telefon 05527 914 419
www.sielmann-stiftung.de/testament
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
IM NETZ
Weitere Leserbriefe
finden Sie unter
blog.zeit.de/leserbriefe
Wer gehört nun
weggesperrt?
Heinrich Wefing:
»In der Altersfalle«  ZEIT NR . 17
Die Schutzdiskussion halte ich für einen Vor-
wand, im Grunde geht es um die Wirtschaft-
lichkeit und Produktivität. Wenn Menschen
über 75 am meisten gefährdet sind, warum
dann die diskutierte Einschränkung ab 65? Es
gibt durchaus sehr viele 65-Jährige, die pro-
duktiv für die Gesellschaft sind, die in Beru-
fen arbeiten, in denen Erfahrungen an die
junge Generation weitergegeben werden,
oder die selbstständig in therapeutischen Be-
rufen tätig sind und Menschen auffangen, die
in dieser Krise psychisch abstürzen. Ist das
nicht produktiv? Sollen auch alle Politiker,
und davon gibt es nicht wenige, die über 65
sind, in den »Käfig« gesperrt werden?
Erika Reineke, Göttingen, 66 Jahre alt,
Diplompädagogin und Therapeutin
Ich habe noch nie einen Leserbrief geschrieben,
aber als zweifacher Mutter bleibt mir beim Lesen
des Artikels »In der Altersfalle« einfach die Luft
weg. Was ist denn mit der Kinderfalle??? Jetzt
geht es um die Öffnung der Schulen, das Abitur,
Entlastung der Eltern – aber fast nie darum, dass
die psychosoziale Entwicklung der Kinder
wichtig ist. Warum diskutieren wir nicht mal
darüber, welche riesigen Opfer die Kinder gera-
de bringen? Es kann doch nicht sein, dass die
Kinder in dieser Krise keine Stimme haben, nur
weil sie keine Wähler sind!
Da fällt Ihnen nichts Besseres ein, als einen ein-
seitigen Artikel zur Isolation der Älteren zu
schreiben? Jede Großmutter, jeder Großvater ist
sofort bereit, auf etwas zu verzichten, oder tut
es sowieso schon, um den Enkeln wieder etwas
mehr Freiheit zu ermöglichen, aber dazu braucht
es eine Stimme, die das auch ausspricht. Denn
die Kinder haben im Gegensatz zu den älteren
Generationen am wenigsten Anteil an dieser
Krise, die auch durch die Feierwut und das
Immer-mehr-Wollen der vorherigen Generatio-
nen entstanden ist.
Kerstin Dahnken, per E-Mail
Die ehemalige Bundesrichterin Lübbe-Wolff
wird mit den Worten zitiert: »Wer krank wird,
(...) nehme Kapazitäten in Anspruch, die die
Allgemeinheit bereitstellt und die auch andere
zum Überleben benötigen.« Sie übersieht, dass
Ältere ebenso wie Jüngere, Kranke ebenso wie
Gesunde zur »Allgemeinheit« gehören. Sie sagt
auch nicht, wer denn diese »anderen« seien,
deren Überleben wertvoller sei. Ihr scheint nicht
klar zu sein, wie gut sich ihre Bemerkungen in
ein Wörterbuch des Unmenschen übernehmen
lassen. Es wird eine Zeit nach Corona geben,
dann werden in der Grippesaison wieder etliche
ältere Menschen einen Teil der Intensivbetten
belegen – wie leicht man das doch im Namen
der Allgemeinheit verhindern kann.
Dr. Dieter Haberstroh, Boren-Lindau
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29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Differenzen zu 100 Prozent sind rundungsbedingt; Quelle: policy matters; action press
W
ie halten es die Deut-
schen mit der Geschich-
te, 75 Jahre nach dem
8. Mai 1945, nach den
Verheerungen des Welt-
krieges, nach Zusammen-
bruch und Befreiung?
Ein paar Antworten:
53 Prozent der Bundesbürger wollen einen
Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit ziehen.
77 Prozent halten es für ihre Pflicht, Diktatur und
Holocaust nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
66 Prozent möchten mehr über die Geschichte
des Nationalsozialismus wissen.
59 Prozent finden es übertrieben, dass ihnen das
Thema »fast täglich in den Medien vorgehalten wird«.
Im Auftrag der ZEIT hat das Institut policy­
matters am Anfang dieses Jahres 1044 Frauen und
Männer ab 14 Jahren nach ihren Einstellungen zur
NS-Zeit befragt. Die Ergebnisse könnten, selbst
wenn man sie mit der gebotenen Skepsis betrachtet,
widersprüchlicher kaum sein: Die Deutschen wollen
sich erinnern und wollen es doch nicht.
Historische Fragen sind Identitätsfragen, und seit
je ist die Haltung zur NS-Vergangenheit hierzulande
ein Gradmesser für den Zustand der politischen­
Kultur. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn
die großen Geschichtsdebatten vorbei sein mögen.
Die sogenannte Neue Rechte hat unterdessen der­
Erinnerungskultur selbst den Kampf angesagt, und
spätestens seit die AfD in den Bundestag eingezogen
ist, erfolgen ihre Angriffe auf großer Bühne. Dass
zugleich die letzten Zeugen sterben, ist eine bittere
Koinzidenz: Die kollektive Erinnerung wird schon
bald ohne jene auskommen müssen, die sich noch
erinnern können.
Das Bild, das die Umfragedaten zeichnen, kann
man da, je nach Gemütslage, als beruhigend oder
beunruhigend empfinden. Immerhin sprechen sich
stabile 77 Prozent der Befragten für Erinnern und
Gedenken aus. Aber meinen sie, was sie sagen? Oder
bestätigt sich hier der finstere Verdacht, den der­
Gießener Politologe Samuel Salzborn kürzlich in
seinem Buch Kollektive Unschuld geäußert hat: dass
die Erfolgsstory von der Aufarbeitung eine »Lüge«
sei, ein dünner Firnis, unter dem sich ein Abgrund
von Unbelehrbarkeit, Rassismus und Anti­semi­tis­mus
auftut wie zuletzt in Halle und Hanau?
Sieht man genauer hin, trifft weder das eine noch
das andere zu: Es gibt nichts zu beschönigen – und
nicht viel zu entlarven. Stattdessen scheinen sich in
den Zahlen diffuse Affekte abzubilden, die durchaus
in einer Brust wohnen können. Es schließt sich nicht
aus, die historische Aus­ein­an­der­set­zung für wichtig
zu halten, eine vage Sehnsucht nach »Normalität« zu
verspüren (56 Prozent meinen »voll und ganz« oder
»eher«, dass ständiges Erinnern »ein gesundes Na-
tionalbewusstsein« verhindere) und, vielleicht aus
Unwissenheit, zu denken: »Die Masse der Deutschen
hatte keine Schuld, es waren nur einige Verbrecher,
die den Krieg angezettelt und die Juden umgebracht
haben« (insgesamt 53 Prozent Zustimmung).
Womöglich spiegelt sich in solcher Ambivalenz
sogar ein deutscher Normalzustand. Denn sosehr
man, wie jüngst die Philosophin ­Susan Neiman in
Alle Befragten
stimme voll
und ganz zu 18 %
stimme
eher zu 29 %
stimme eher
nicht zu Schlussstrich ziehen?
stimme gar »75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sollten wir ­einen ­
nicht zu Schlussstrich unter die Vergangenheit des Nationalsozialismus ziehen.«
GESCHICHTE
Z EIT- SER I E Z U M 8 . MAI 19 4 5 , T E I L 3
Das Ende der
Selbstgewissheit
Eine von der ZEIT in Auftrag gegebene Umfrage zeigt: Der Umgang
mit der NS-Vergangenheit ist so umkämpft wie lange nicht.
Und die jüngsten Attacken von rechts treffen auf eine Erinnerungskultur,
die fragiler ist, als es scheint  VON CHRISTIAN STA AS
ihrem Buch Von den Deutschen lernen, die Erinne-
rungskultur dieser Republik als Errungenschaft­
begreifen darf, war und ist sie dies im Wortsinn: ein
unablässiges Ringen der Gesellschaft (und jedes­
Einzelnen) mit sich selbst. Die stolze Gewissheit, es
im »Aufarbeiten« gleichsam zum Weltmeister ge-
bracht zu haben, hat darüber zuletzt recht großzügig
hinweggetäuscht.
Anfechtungen gab es immer wieder: In den Acht-
zigerjahren – die Deutschen lernten gerade das Wort
Holocaust zu buchstabieren, und auch die Konser-
vativen feierten nun den 8. Mai als »Tag der Befrei-
ung« – entbrannte über die relativierenden Thesen
Ernst Noltes der Historikerstreit. In den späten
Neunzigern litt Martin Walser öffentlich unter der
»unaufhörlichen Präsentation unserer Schande«, und
der Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein erblickte
im geplanten Holocaust-Mahnmal in Berlin ein von
außen aufgezwungenes »Schandmal«. Die Gleich-
zeitigkeit von Schuldabwehr und dem Bekenntnis
»Nie wieder!« scheint geradezu das Si­gnum der deut-
schen Haltung zur NS-Geschichte zu sein.
Besonders im Familiengedächtnis haben sich die
alten Muster konserviert. Opa ist heute weniger Nazi
denn je: Gerade einmal drei Prozent geben in der
aktuellen Umfrage an, ihre Vorfahren hätten das
Hitler-Regime befürwortet; 30 Prozent dagegen
glauben, aus Familien von Nazi-Gegnern zu stam-
men. Selbst wenn man die Maßstäbe für die An-
hängerschaft sehr eng und die für die Gegnerschaft
sehr weit fasst, stehen diese Zahlen in keinem Ver-
hältnis zur historischen Realität.
Die Schlussstrich-Forderung dagegen hat über
die Jahre an Zugkraft verloren. Während die Akzep-
tanz eines selbstkritischen Geschichtsbildes wuchs,
schrumpfte die Jetzt-ist-auch-mal-gut-Fraktion nach
Befragungen des Allensbach-Institutes von 66 Pro-
zent im Jahr 1986 auf 48 Prozent 2009.
Deuten die nun ermittelten 53 Prozent eine
Wende an? Dafür fehlt es an validen Daten. Die
Selbstverständigungsdebatte über die NS-Geschich-
te aber, so viel lässt sich sagen, ist nicht dabei, sich
zu harmonisieren. So übertreffen die Rede vom
»Vogelschiss« und die Forderung nach einer »erinne-
rungspolitischen Wende um 180 Grad« frühere Ein-
würfe nicht nur an Grobschlächtigkeit.
Die nach Parteipräferenz aufgeschlüsselten Um-
fragedaten lassen außerdem keinen Zweifel daran,
dass die AfD-Wähler nicht anders denken als die
Partei-Demagogen. 80 Prozent und mehr teilen
folgende Aussagen »ganz und gar« oder »eher«: dass,
»gemessen an der langen Geschichte unseres Landes«,
der Nationalsozialismus einen »viel zu großen« Raum
einnehme; dass man als Deutscher »wegen der NS-
Geschichte nicht mehr offen über bestimmte The-
men diskutieren« könne; dass es Zeit für einen
»Schlussstrich« sei. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Für 39 Prozent ist die Judenverfolgung »sehr weit
weg« und nicht von Interesse. 58 Prozent finden, der
Nationalsozialismus werde zu negativ dargestellt; er
habe »auch positive Seiten« gehabt.
Der rechte Rand hat sicherlich einen polarisieren-
den Effekt auf das Gesamtbild. Gänzlich zu erklären
aber ist das widersprüchliche Umfrageergebnis damit
nicht. Vielmehr zeigt sich, dass der Angriff von rechts
Ambivalenz und Abwehr: Ergebnisse der ZEIT-Umfrage zur Erinnerungskultur
Nur AfD-Wähler
25 % 7% 56 %
13 %
28 % 24 %
kein festgefügtes Bollwerk des »Schuldkults« trifft,
wie die Rechte insinuiert, sondern ein fragiles­
Gebilde, das in stetem Wandel begriffen ist.
Verschoben hat sich in den vergangenen Jahren
nicht nur der politische Rahmen. Auch was 59 Pro-
zent der Befragten beklagen – dass der National­
sozialismus in den Medien übermäßig präsent sei –,
ist kaum mehr der Fall (wenn es denn jemals zutraf).
Der Spiegel etwa, notorisch im Ruf stehend, mit
Hitler Auflage zu machen, hat seit 2016 keine ein-
zige ­NS-Geschichte mehr auf dem Titel gehabt.
»Hitler sells«, spottete der Freiburger Historiker
Ulrich Herbert 2015 in dieser Zeitung. Das stimm-
te schon damals nicht mehr. Bei den großen Ver-
lagen wie S. Fischer und C. H. Beck haben es NS-
Titel seit mindestens zehn Jahren schwer. Selbst im
ZDF, wo Guido Knopp den Zuschnitt sämtlicher
Aspekte auf Hitler bis an die Grenzen der Selbst-
parodie getrieben hat, sind Dokumentationen zum
»Dritten Reich« deutlich seltener geworden. Das
Thema verlagert sich mehr und mehr in Sparten­
kanäle und Mediatheken. Keiner muss mehr »weg-
schauen«, wie Martin Walser es 1998 für sich rekla-
mierte. Es genügt, nicht hinzusehen.
Die erinnerungskulturelle Hochphase zwischen
1990 und 2010, sagt Stefan Brauburger, Knopps
Nachfolger beim ZDF, »wurde maßgeblich durch die
Nächste Woche
In Deutschland vergessen, in Russland
verfemt – das Schicksal der sowjetischen
Kriegsgefangenen nach 1945: Teil 4
unserer Serie zu 75 Jahren Kriegsende
Archivöffnungen in Osteuropa und Russland nach
dem Ende des Kalten Krieges ausgelöst«. Zu heben
gab es vor allem Quellen über den Krieg und den
Holocaust; nicht zuletzt deshalb hätten diese Themen
viele Jahre lang überwogen. Diese Welle sei gebro-
chen, die Einschaltquoten seien danach zurückgegan-
gen. Von »Müdigkeit« und »Sättigung« sprechen auch
Brauburgers Kollegen in den Buchverlagen.
An anderer Stelle dagegen ist der Zulauf über-
wältigend: in den Gedenkstätten. Bevor sie infolge
der Corona-Pandemie schließen mussten, vermel­
deten sie vielerorts Besucherrekorde.
»Eine Ursache ist der boomende internationale
Tourismus«, sagt Volkhard Knigge, der seit 1994 die
KZ-Gedenk­stätte Buchenwald leitet (nun folgt ihm
Jens-Christian Wagner nach, der bisherige Geschäfts-
führer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten).
Buchenwald und andere ehemalige Lager seien aber
auch mehr denn je Orte der gesellschaftspolitischen
­Debatte – und der Konfrontation.
Mindestens einmal pro Monat haben es Knigges
Mitarbeiter mit rechtsextremen Provokationen,
Schmierereien oder Vandalismus zu tun. Seit 2015
registrieren sie bei der Zahl der Vorfälle dramatische
Ausschläge nach oben (ZEIT Nr. 27/19). Auch das
Schweigen halte wieder Einzug. Nicht das entsetzte,
sprachlose, sondern das kalte, unerschütterbare. Mit-
Alle Befragten Nur AfD-Wähler
8% 39 % 24 %
15 %
38 % 26 %
Nicht vergessen?
»Es ist für uns Deutsche Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Geschichte des
Nationalsozialismus und der Holocaust nicht vergessen werden.«
Jetzt am Kiosk: Beethoven –
Die Revolution der Musik. Das
aktuelle Heft von ZEIT Geschichte
(116 S., 7,50 €, www.zeit.de/zg-heft)
unter trügen es gesamte Schulklassen zur Schau, als
wollten sie sagen: »Wir machen das hier nicht mit.«
An manchen ostdeutschen Schulen, sagt Knigge, do-
minierten rechte Lehrer die Kollegien.
Er sehe allerdings auch eine erstarkende Gegen-
bewegung. Vor allem junge Leute suchten Buchen-
wald als einen »Ort ethischer, politischer und histo­
rischer Vergewisserung« auf und wollten wissen: Was
genau ist geschehen? Was hat das mit heute zu tun?
Eine ähnliche politische Wachheit nimmt ­Florian
Dierl wahr, der das Dokumentationszentrum auf
dem früheren Reichsparteitagsgelände in Nürnberg
leitet. Die rechtsextremen Übergriffe seien sogar
rückläufig. »Vermutlich«, sagt er, »ist das Provoka-
tionspotenzial hier einfach geringer als in einer KZ-
Gedenkstätte.«
Diese Beobachtung verrät etwas über die deut-
sche Erinnerungskultur als Ganzes: In den vergan-
genen 40 Jahren hat sie sich gleichsam von Nürnberg
nach Buchenwald verlagert, von der Frage nach dem
Re­gime, nach dessen Aufstieg und Machterhalt, hin
zum millionenfachen Massenmord. Wer den Ge-
schichtsdiskurs an seinem neuralgischen Punkt
treffen will, zeigt daher nicht auf der Zeppelintribüne
den Hitlergruß, sondern ritzt ein Hakenkreuz in die
Leichenwanne eines Lager-Krematoriums.
Über allem, sagt der Jenaer Zeithistoriker Norbert
Frei, stehe seit je die Frage: »Wie konnte es dazu
kommen?« Bis in die Siebzigerjahre habe sie den
30. Januar 1933 gemeint. Seit den Achtziger- und
Neunzigerjahren meine sie den Holocaust.
Diese Verschiebung ging mit der Stabilisierung
der westdeutschen Demokratie einher – und mit
einer allmählichen empathischen Hinwendung der
Täterkinder zu den Opfern des Nazi-Terrors. An die
Stelle der Faschismus-Analysen der 68er trat die Ana-
lyse von Anti­semi­tis­mus und Rassismus; statt die
zwölf NS-Jahre von ihren Anfängen her zu begreifen,
erklärt man sie mehr und mehr von ihrem Ende her,
den Erschießungsgruben und Todeslagern.
So wichtig dieser Wandel war, hat er mitunter zu
einer fragwürdigen Verkürzung des Nationalsozia­
lismus auf den Holocaust geführt. Ein Paradigma,
das heute, da die Erinnerung an Weimar wieder wach
wird, an Grenzen stößt. So lassen sich mit dem­
Fingerzeig auf die deutschen Verbrechen zwar der
Rassismus und Anti­semi­tis­mus der neuen Völ­kischen
als das benennen, was sie sind: eine tödliche Gefahr.
Um die neurechte Attacke auf Demokratie und­
Liberalismus mit historischer Tiefenschärfe zu erfas-
sen, ist der Hinweis auf die Leichenberge von­
Auschwitz jedoch eher ungeeignet.
Der verengte Blick auf Mord und Lagerterror hat
zudem eine Tendenz zur emotionalen Über­­wäl­tigung
begünstigt, die in Reinform wenig dazu taugt, die
historische Urteilskraft zu stärken. Vermutlich liegt
hier auch eine Ursache für das in der Umfrage be-
kundete Unbehagen an einem gewissen erinnerungs-
politischen Konformitätsdruck. »Man kann seine
Meinung über die NS-Vergangenheit in Deutschland
nicht ehrlich sagen« – diesem Satz schließen sich
immerhin 42 Prozent der Befragten an. Knapp die­
Hälfte gibt zu Protokoll: »Ich habe den Eindruck,
dass man, wann immer von den Verbrechen des­Na-
tionalsozialismus die Rede ist, Betroffenheit zeigen
Alle Befragten
19 % 13 %
32 % 35 %
»Die Masse der Deutschen hatte keine Schuld, es waren nur einige ­
Verbrecher, die den Krieg angezettelt und die Juden umgebracht haben.«
17
Vor 15 Jahren wurde es eingeweiht:
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin
muss, und das nervt mich.« Die oft abwehrend vor-
getragene Selbsteinschätzung, doch schon so viel über
die NS-Zeit zu wissen, könnte ähnliche Gründe­
haben: Die »richtige« Haltung einzunehmen lernen
schon Schüler, ohne sich mit allzu vielen Fakten­
belasten zu müssen. Betroffensein geht schnell.
Vielleicht, sagt Norbert Frei, habe auch der Ruf
nach einem »Schlussstrich« vor diesem Hintergrund
einen anderen Klang als früher. Entspringe er heute
doch nicht mehr dem Bedürfnis der NS-Zeitgenos-
sen, in Ruhe gelassen zu werden, sondern dem Gefühl
der Nachgeborenen, das abverlangte Bewältigungs­
pensum erfolgreich absolviert zu haben. Das Wissen
über die Zerstörung der Weimarer Republik sei in
der Öffentlichkeit unter­dessen weithin verschüttet
worden. Neuere Forschungen dazu? Gibt es kaum.
Im Nürnberger Dokumentationszentrum Reichs-
parteitagsgelände plant man derzeit eine neue ­Dauer­
aus­stel­lung; in drei bis vier Jahren soll sie fertig sein.
Man wolle sich in Zukunft noch stärker auf den Ort
selbst besinnen, sagt Florian Dierl, und weniger in
der Breite erzählen. Dafür soll, am konkreten Beispiel
Nürnberg, der Zeithorizont erweitert werden – von
den Anfängen der NS-Bewegung in Weimar bis zur
Nachgeschichte in der Bundesrepublik.
Lange Linien ziehen und mehr historische Kon-
kretion wagen, lautet auch Volkhard Knigges Ant-
wort. »Die Politikerreden, wie dieses Jahr zum
Auschwitz­tag«, findet er, »sind in dieser Hinsicht
besser geworden.« Die Zeiten des »selbstgefälligen
Stolzes auf die eigene Aufarbeitungsleistung« seien
jedenfalls vorbei. Es herrsche ein »neuer Ernst«. Seit
die AfD in den Parlamenten sitze, sagt Knigge, sei
die Mahnung, einer Wiederholung der Geschichte
vorzubeugen, keine Floskel mehr.
Ob der rechte Angriff die Ambivalenten, die
Müden, die Selbstgefälligen und Gelangweilten
gleichgültig lassen, wachrütteln oder in ihren Ressen-
timents bestärken wird, ist nicht ausgemacht. An-
zeichen liefert die aktuelle Umfrage für alles zugleich.
Ein vorsichtiger Optimismus ist allerdings er-
laubt: 74 Prozent der Befragten geben an, dass die
Beschäftigung mit der NS-­Diktatur sie für Ausgren-
zung und Ungerechtigkeit sensibilisiert habe. 53
Prozent ziehen aus der Vergangenheit die klare Kon-
sequenz, dass »wir Deutsche eine besondere Verant-
wortung gegenüber Verfolgten aus anderen Ländern«
haben. Auch die Hoffnung, aus der Geschichte lernen
zu können (76 Prozent), scheint ungebrochen.
Bewirkt die Neue Rechte mit ihren Attacken am
Ende das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigt?
Wird die Erinnerungskultur aus den gegenwärtigen
Konflikten gestärkt hervorgehen?
Wandeln müssen wird sie sich so oder so – um das
Ende der Zeitzeugenschaft zu verkraften und um
Antworten zu finden für eine neue Generation und
eine politische Welt, die sich von der nach 1945 ge-
schaffenen transnationalen Ordnung schneller ent-
fernt denn je. In der Vergangenheit war das Erinnern
oft in Phasen des Streits besonders lebendig. Dass sich
im deutschen Selbstgespräch die Widersprüche ver-
schärfen, ist so gesehen eine gute Nachricht.
Ein PDF mit allen von policy matters erhobenen
Daten finden Sie unter zeit.de/ns-umfrage
Nur AfD-Wähler
18 % 2% 40 %
14 %
35 % 44 %
Mehrheit ­unschuldig?
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
M
öglicherweise haben
die Nachwuchssorgen
der deutschen Justiz
ihren Ursprung ja im
Arbeitskräftepool der
Firma Lego. Dort ste­
hen viele Berufe zu
Einsatz und Identifika­
tion parat, ein Richter aber nicht. In unserem
Kinderzimmer wurde deshalb der schwarzrobige
Feuerwehrmann umgewidmet. Nach dem kind­
lichen Willen hätte es ein Polizist sein sollen, doch
auf die staatliche Gewaltentrennung können El­
tern nicht früh genug achten. Wer schließlich noch
die Lego-Bestrafungsexzesse in geordnete Bahnen
lenken will, findet im abendlichen Vorleseritual
nur unzureichend Stoff (»... da zogen ihn die
schweren Steine hinein, und er musste jämmerlich
ersaufen«). Bei uns verschoben sich die Geschich­
ten deshalb zunehmend ins Reale: »Und, Papa, was
hattest du heute für einen Bösewicht?« Für Kinder
ist es ein Segen, wenn die richterliche Geschäfts­
verteilung die Eltern zum Strafrichter macht. Als
ich eine Zeit lang für Zivilrecht und Zwangsvoll­
streckungen zuständig war, lag mein So­zial­pres­tige
zu Hause am Boden. Hatte ich Verkehrsordnungs­
widrigkeiten zu verhandeln, litt die Familie unter
meiner schlechten Laune. Musste ich als Familien­
richter Ehen scheiden und Kinder verteilen, verbot
es sich, den Grusel abends im Kinderzimmer zu
verbreiten; Harry Potters Dementoren waren ein­
deutig das kleinere Übel.
Der Amtsrichter ist unter den Richtern das,
was der Allgemeinmediziner unter den Ärzten ist:
ein Generalist. Allerdings entwickeln Amtsgerich­
te oft richterliche Besitzstände, in denen ein Voll­
jurist über 25 Jahre nichts anderes praktiziert als
Jugendrecht oder Zivilrecht oder Betreuungsrecht.
Irgendwann genießt er dann Immunität vor einem
unfreiwilligen Wechsel. Seine akkumulierte Er­
fahrung und fachliche Spezialisierung kommen
zweifelsfrei der Entscheidungsqualität und Schnel­
ligkeit der Rechtsprechung zugute. Auf der ande­
ren Seite darf an einem kleinen Gericht nicht
plötzlich der langjährige Nachlassrichter krank
werden – es gibt dann keinen mehr, der sich mit
einer solch anspruchsvollen Materie auskennt.
Dafür, den Beton von den Geschäftsverteilungs­
plänen fernzuhalten, spricht aber vor allem ein
anderes Argument. Der Dresdner Universalgelehrte
Manfred von Ar­denne empfahl einst – und lebte es
selbst vor –, nach spätestens zehn Jahren das Fach­
gebiet zu wechseln, um sich Kreativität und inne­
res Feuer zu bewahren. Vor Burn-out sind auch
Richter nicht gefeit. Bei manchen Kollegen, ver­
mute ich, hätten frische Impulse in ihrem Berufs­
leben sie davor vielleicht bewahrt.
Der Strafrichter ist jedenfalls jener, der seine
Familie am besten mit Geschichten nährt. Nur ein
einziges Mal aber löste mein abendlicher Sitzungs­
bericht den Impuls aus: Wann wird die Verhand­
lung fortgesetzt? Dann kommen wir mit. Am
dritten und letzten Verhandlungstag saßen Frau
und elfjähriger Sohn tatsächlich im Publikum.
Die Beziehung beginnt freundlich,
doch die Abhängigkeit wird zur Hölle
Es ging um einen Straftatbestand, von dem ich
vergessen hatte, dass er im deutschen Strafgesetz­
buch geregelt ist. Mit der »Ausnutzung der
Zwangslage einer Person zum Zwecke der Aus­
beutung der Arbeitskraft« (Paragraf 233 a. F.) hatte
ich nie zuvor (und seitdem nie wieder) zu tun.
Meiner Familie erklärte ich: Es geht um einen
Sklavenhalter und sein Opfer.
Ralf Tannert (Name aus Datenschutzgründen
geändert) war am Ende. Während einer stationä­
ren Therapie zur Behandlung seiner Spielsucht
hatte er zum ersten Mal die Liebe kennengelernt.
Die Warnungen seiner Eltern vor einer Ehe mit
der spiel- und kaufsüchtigen Frau schlug er in den
Wind. Von den 120.000 Euro Abfindung, die er
bei seinem Ausscheiden von den Berliner Ver­
kehrsbetrieben erhalten hatte, beglich er eigene
Schulden und die seiner Frau. Als er feststellte,
dass sie ihn schamlos ausnutzte und hinterging,
verließ er die gemeinsame Wohnung, für deren
Miete er jedoch weiterhin haftete. Ohne Vermieter­
freibrief und Schufa-Segen, ausgestattet nur mit
Hartz IV, sah Tannert keine C ­ hance auf eine ei­
gene Bleibe. Gedemütigt, weil sie mit ihren War­
nungen vor der Frau recht behalten hatten, brach
er den Kontakt zu Eltern und Geschwistern ab. Er
vernachlässigte Hygiene und Kleidung. Was ihm
blieb, war das Asyl in der kleinen Pension »Para­
diese«, vor den Toren der Stadt, bei Rudolf Baum­
bach (Name geändert).
Die körperlichen Konstellationen vor Gericht
bergen die Gefahr, Rollen von der ersten Sekunde
an verteilt zu wissen: Hier das schmächtige,­
verhuschte 37-jährige Opfer. Dort der mächtige,
einen Kopf größere, demonstrativ selbstbewusste
57-jährige Täter. Doch zunächst sind sie nur Zeu­
ge und Angeklagter. Erst am Ende werden wir
wissen, dass in diesem Fall die Täter-Opfer-Kon­
stitution andersherum nicht vorstellbar ist. Ohne
Machtausübung durch schiere körperliche Präsenz
wäre es zu dieser Tatgeschichte nicht gekommen.
Die 350 Euro Miete für das Paradiese-Zimmer
überweist das Jobcenter fortan direkt an Baum­
bach. In dessen Familie findet Tannert schnell An­
schluss und wird zum Essen eingeladen. Mit seiner
uncoolen, freundlichen, oft auch naiven Art gilt er
als kindhafter Sonderling. In einer Drückerkolon­
ne findet er Arbeit, vertreibt Tierfutter im Haus­
türgeschäft. Schikanen und schlechte Bezahlung
RECHT & UNRECHT
Illustration: Jan Hamstra für DIE ZEIT
Aus Todesangst vor seinem Chef machte Tannert alles – auch noch so erniedrigende Arbeiten
Der Sklavenhalter
im Paradiese
Meine Urteile (X): Ein sadistischer Pensionswirt im Märkischen macht sich einen
­Spielsüchtigen untertan – ein monströser Fall, auch für meine Familie  VON THOMAS MELZER
lassen ihn schnell aufgeben. Nun hängt er in der
Pension herum und langweilt sich. Aus Dankbar­
keit für freundliche Gesten der Gastgeber bietet er
ihnen seine Hilfe an.
Dann kündigt die einzige familienfremde Ar­
beitskraft. Die Pension hat 24 Gästebetten. Der
Betrieb beginnt frühmorgens mit einem Früh­
stücksbuffet und endet spätabends mit dem Bier­
ausschank. Die Tochter des verwitweten Chefs er­
ledigt nach der Schule die Büroarbeiten. Seine
Freundin hat ihre eigene Wohnung, sie gibt im
Paradiese nur Gastrollen. Und Baumbach selbst,
mit seinem gewaltigen Bauch und der dicken gol­
denen Kette um den Hals – ist der Chef. Der setzt
seinen Dauermieter nun als Arbeitskraft ein, aus
Freiwilligkeit wird Zwang. Zwischen vier und
fünf Uhr muss er täglich aufstehen, um den Gäs­
ten – viele von ihnen Montagearbeiter – das Früh­
stück zu bereiten. Anschließend reinigt er die Pen­
sionszimmer und die Funktionsräume, führt den
Hund Gassi, pflegt die Grünpflanzen, poliert den
Jeep des Hausherrn. Mit dem Bierausschank endet
sein Arbeitstag selten vor Mitternacht. Tannert sei
»Mädchen für alles« gewesen, wird später ein
Montagearbeiter als Zeuge vor Gericht aussagen.
Lohn erhält er für seine Leistungen nicht. Viel­
mehr war Baumbach bereits nach kurzer Zeit dazu
übergegangen, mit Tannert monatlich zu einem
Geldautomaten zu fahren und sich dessen vom
Jobcenter überwiesene Sozialleistungen aushändi­
gen zu lassen. Kleinere Beträge zahlte er ihm fortan
105310_ANZ_10531000014776_19201187_X4_ONP26 1
als Taschengeld aus; eine Buchführung über Soll bachs Tisch mit, an den Wochentagen sind die
und Haben gibt es nicht. Alle zwei Wochen be­ Reste des Frühstücksbuffets und der zurückgehen­
gleitet Tannert den Chef in einen Großmarkt, wo den Gästeteller seine Hauptnahrungsquelle. In
er sich ein paar Lebensmittel aussuchen darf. An den 24 Monaten seines Lebens im Paradiese ver­
den Wochenenden isst er gelegentlich an Baum­ liert Tannert 27 Kilogramm Körpergewicht.
ANZEIGE Nach ein paar Monaten beginnt Tannert, aus
der Getränkekasse Geld zu entnehmen. Der Ver­
mieter seiner Ehewohnung hat Tannert ausfindig
gemacht und sitzt ihm nun mit den Mietschulden
VERBRECHEN im Nacken. Als Baumbach die Diebstähle ent­
deckt und einen Fehlbetrag von 482 Euro errech­
DER KRIMINALPODCAST net, gibt Tannert ein schriftliches Schuldeinge­
ständnis ab und hinterlegt als Sicherheit seinen
Personalausweis. Nun hat ihn Baumbach vollends
in der Hand.
Die Fugen in den Sanitärräumen muss er jetzt mit
Scheuermilch und kleinen Bürsten säubern. Eine neu
gemauerte Außenwand soll er mit Salpetersäure be­
handeln und verätzt sich dabei die Hände. Vor Be­
endigung der Arbeit darf er nicht ins Bett gehen,
Tannert stellt Scheinwerfer auf und arbeitet bis in die
Nacht. Verlässt Baumbach das Anwesen, nimmt er
Tannert dessen Zimmerschlüssel ab – er solle arbeiten
und nicht abhängen. Ist die Pension ausgebucht,
muss Tannert sein Zimmer räumen und in Baum­
Illustration: Lea Dohle
EIN PODCAST ÜBER VERBRECHEN – bachs Wohnung auf der Couch schlafen. Nachdem
UND WAS SIE ÜBER DIE ein Pensionsgast den Toilettenvorraum mit Kot ver­
MENSCHHEIT ERZÄHLEN unreinigt hat, weist Baumbach Tannert an, den Ver­
JETZT ANHÖREN: ursacher ausfindig zu machen oder die Säuberung
www.zeit.de/verbrechen selber durchzuführen. Tannert wischt den Raum. Ist
Baumbach mit den Arbeitsleistungen unzufrieden,
25.06.18 09:30
18
beschimpft er ihn lautstark als »faule Sau«. Einmal,
ein Gast hatte sich über Schmutz unter der Heizung
beschwert, schleift Baumbach Tannert an den Haaren
in das Gästezimmer und versetzt ihm einen Schlag
in den Bauch. Als Tannert beim Saubermachen eine
Nachttischlampe herunterfällt, die dabei zerbricht,
schlägt ihn Baumbach zu Boden und tritt auf ihn ein.
Tannert ist längst so eingeschüchtert, dass ihm Wi­
derspruch, gar Verweigerung oder Flucht nicht in
den Sinn kommen. Er hat Angst vor Baumbach und
sieht keine Alternative.
Dann schlägt ihm Baumbach eines Morgens
– wieder wegen eines vermeintlich nicht sauberen
Zimmers – so stark an den Kopf, dass ein Ohr an­
schwillt und aus der Nase Blut läuft. Die Schimpf­
kanonaden machen Pensionsgäste aufmerksam, sie
wollen Erste Hilfe leisten und Tannert zum Arzt
fahren. Baumbach beschwichtigt, setzt Tannert in
sein Auto, kauft in einer Apotheke Salbe, fährt
eine Stunde mit Tannert herum und bringt ihn
von seinem Vorhaben ab, die Pension zu verlassen.
Drei Wochen später zerreißt Baumbach einen
Brief des Jobcenters, in dem Tannert zu einem
Vermittlungsgespräch eingeladen wird. Er zwingt
ihn, den Termin wegen angeblicher Krankheit ab­
zusagen. »Du findest sowieso nie wieder Arbeit«,
sagt Baumbach. Zwei Tage später, erneut ist er mit
der Sauberkeit unzufrieden, rastet Baumbach wie­
der aus. Er schlägt Tannert ins Gesicht, gegen das
Ohr und in den Bauch. Weil Tannert jetzt fürch­
tet, totgeschlagen zu werden, setzt er sich auf ein
Fahrrad und flieht zu seinem Bruder. Dieser bringt
den Verletzten in die Rettungsstelle des nächstgele­
genen Krankenhauses, wo er stationär aufgenom­
men wird. Festgestellt werden Schwellungen und
Hämatome unterschiedlichen Alters, verteilt auf
den ganzen Körper. Das geschlagene Ohr weist
kein Relief mehr auf.
Die nächste Instanz milderte das Urteil ab.
Doch bestraft wurde der Täter trotzdem
In der Gerichtsverhandlung bestreitet Baumbach alle
Vorwürfe. Seine Familie habe Tannert in einer Le­
benskrise aufgenommen und Halt gegeben. Als Dank
habe er sich an kleineren Arbeiten in der Pension
beteiligt. Von Zwang und Gewalt könne keine Rede
sein. Vielmehr habe er Tannert, der Country-Musik
liebe, einige Male zu Konzerten mitgenommen. Und
schließlich, der Joker der Verteidigung: Seine Familie
habe Tannert sogar auf eine Urlaubsreise nach Ägyp­
ten mitgenommen. »Hier sind die Fotos, schauen Sie
nur, wie glücklich Tannert aussieht!« – »Und die Ver­
letzungen, im Krankenhaus fotografiert und ärztlich
bescheinigt?« – »Die hat er sich selber beigebracht.«
Es nützt Baumbach nichts. Tannert ist nicht
intelligent genug, komplex und widerspruchsfrei
zu lügen. Tannert war nicht einmal in der Lage,
unbemerkt Geld zu unterschlagen. Als wieder ein­
mal 300 Euro in der Kasse fehlen, zeigt Baumbach
Tannert an. Per Strafbefehl wird dieser zu einer
Geldstrafe verurteilt. Das Gericht wird dies
Baumbach später in seiner Strafzumessung als be­
sonders perfide anlasten. Tannerts Zeugenaussa­
gen sind frei von Ungereimtheiten oder Wider­
sprüchen. Zwar lügen für Baumbach dessen Le­
bensgefährtin und Tochter, gegen die eindrucks­
vollen Aussagen mehrerer Pensionsgäste jedoch
vergeblich. Baumbachs Joker schließlich sind nur
für Menschen ohne Geschichtskenntnisse von Be­
weiskraft. Schon die antiken Sklavenhalter setzten
ihren Sklaven positive Anreize, die die Moral he­
ben, den Teamgeist stärken und die Produktivität
erhöhen sollten. »Zuckerbrot und Peitsche« ist seit
den alten Römern eine erfolgreiche Management­
technik. Und die Country-Musik in einer bran­
denburgischen Pension heute offenbar das, was
der Blues in den Baumwollplantagen des 19. Jahr­
hunderts war.
Das Gericht verurteilt Baumbach zu einer Frei­
heitsstrafe von drei Jahren und einer Schmerzens­
geldzahlung an Tannert in Höhe von 10.000 Euro.
Erwartungsgemäß legt Baumbach gegen das
Urteil Berufung ein. Die Berufungsstrafkammern
an den Landgerichten gehören zu den belastetsten
und bedauernswerten Spruchkörpern der Justiz.
Sie vergeben ihre Verhandlungstermine nicht nach
chronologischem Eingang, sondern nach Priorität.
Baumbach sitzt weder in Untersuchungshaft, noch
ist er ein vorbestrafter Wiederholungstäter. Seine
Berufungsverhandlung findet nach 18 Monaten
statt. Die Zeit spielt für ihn, das Gericht ermäßigt
die Strafe auf zwei Jahre und setzt ihre Vollstre­
ckung zur Bewährung aus.
Gelassenheit ist für den Amtsrichter oberstes
Gebot, wenn sein Urteilsspruch von der Rechts­
mittelinstanz aufgehoben oder abgeändert wird.
Das gelingt mir meist, aber nicht immer. Hier
tröste ich mich, dass Baumbach, drei Jahre Knast
im Nacken, bis zur Berufungsverhandlung keine
gute Zeit gehabt haben wird. Zudem lese ich im
Berufungsurteil, seine Pension ist pleite, seine Le­
bensgefährtin hat ihn verlassen. Das Leben straft
meist härter als das Gericht.
»Hast du die fette Gürtelschnalle gesehen?«,
fragt mich meine Frau am Abend der Urteilsver­
kündung. »Nicht genau«, sage ich, »ein Bullen­
kopf? Oder ein Rottweiler?« – »Und wie er breit­
beinig gesessen hat, als habe er ein urologisches
Problem.« – »So sitzen häufig auch Politiker, meist
Diktatoren. Eine Machtpose.« – »Beeinflusst dich
das?« – »Ich hoffe nicht.«
Thomas Melzer ist Richter in Brandenburg.
In der Reihe »Meine Urteile« schreibt er in
loser Folge über die Geschichten, die hinter
seinen Gerichtsentscheidungen stecken
 GIGA
WIRTSCHAFT
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19

des Monats
5G geht in

19
die Fläche. S. 23
Fotos: Roderick Aichinger für DIE ZEIT

Carsten Spohr
vergangenen Freitag
im fast menschenleeren
Terminal 2 des
Münchner Flughafens

Plötzlich am Boden
Ein Flugzeugabsturz, epochale Streiks und dann noch die Klimadebatte – Lufthansa-Chef Carsten Spohr glaubte, alles erlebt zu haben,
was einem Manager widerfahren kann. Dann kam Corona und die Frage, wie viel Staatseinfluss ein Konzern verträgt  VON CLA AS TATJE

F
reiheit hat im Leben von Carsten
Spohr eine große Bedeutung – ein
Flugzeug über den Wolken fliegen,
einen weltweit tätigen Konzern
lenken. Diese Art von Freiheit.
Spohr hat sie erreicht, erst wurde er
Pilot, dann Manager der Lufthansa,
seit sechs Jahren ist er deren Vorstandschef. Es wur-
den die wirtschaftlich erfolgreichsten Jahre der
Konzerngeschichte. Ein Dax-Manager auf dem
Höhepunkt.
Doch innerhalb weniger Monate musste der
53-jährige Spohr gleich zweimal um seine unter-
nehmerische Freiheit fürchten. Im vergangenen
Sommer ging es darum, wie sich Wachstum und
Klimaschutz vertragen, und wie sinnvoll es ist, Flü-
ge von Nürnberg nach München anzubieten. Wie
nur wenige andere Unternehmen wurden Fluggesell-
schaften von der Klimabewegung attackiert.
Schon in diesem Frühjahr klingt das wie ein
Problem aus einer anderen Zeit. Wachstum? Die
Bekämpfung des Coronavirus hat das Wirtschafts-
leben auf der ganzen Welt lahmgelegt, den Flugver-
kehr trifft es besonders heftig. Carsten Spohr droht
seine Freiheit plötzlich in einem Maße zu verlieren,
die ihm vor Kurzem noch undenkbar schien. Um
den Konzern überhaupt am Leben zu halten, braucht
er die Hilfe des Staates. Bis Redaktionsschluss stand
noch nicht fest, welche Gegenleistung die Bundes-
republik für ihre in Aussicht gestellte Finanzhilfe an
Denkbar wäre eine Beteiligung, bei der die Re-
gierung keine aktive Rolle im Unternehmen ein-
nehmen würde. Doch sie könnte auch auf einem
Aufsichtsratsmandat bestehen. Bei der Commerz-
bank, die in der Finanzkrise vor zehn Jahren zum
Teil verstaatlicht wurde, sitzen beispielsweise noch
zwei Vertreter der Regierung im Kontrollgremium.
Für Spohr wäre das der Worst Case. Denn wegen
der Lufthansa-Töchter spielen auch die Regierun-
gen in Wien (Austrian Airlines), Bern (Swiss) und
Brüssel (Brussels Airlines) eine Rolle, soll das­
Unternehmen am Leben gehalten werden. Spohr
sagt: »Wenn die Bundesrepublik zu große Einfluss-
nahme auf operative Geschäftsaufgaben nehmen
wollte, fordert das vielleicht die österreichische
Regierung ebenso ein, dann möglicherweise auch
die Schweiz, Belgien, Bayern oder Hessen. So kön-
nen Sie einen Konzern nur sehr schwer steuern.«
Spohr wird die Staatshilfe wohl akzeptieren müssen,
egal in welcher Form sie kommt.
Noch vor wenigen Monaten waren die Macht-
verhältnisse ganz andere gewesen. Im August 2019
eilt Spohr während der nationalen Luftfahrtkon­
ferenz in einem Leipziger Flugzeughangar zum­
Kuchenbuffet (»Ich brauche
mal was Süßes«). Gerade hat
er Kanzlerin Angela Merkel
zum Hubschrauber beglei-
tet. Auch der Wirtschafts-
minister Peter Altmaier ist
Gäste anstatt wie normalerweise 350.000.« Die
Lufthansa verliere jede Stunde »ungefähr eine
Million Euro« ihrer Liquiditätsreserven.
Und auch die neuesten Zahlen sind düster:
Vergangenen Mittwoch beispielsweise hoben 99
Flüge der Lufthansa ab, am gleichen Tag ein Jahr
zuvor waren es 3215. Ein Minus von 97 Prozent.
Der Verlust im ersten Quartal beträgt bereits über
eine Milliarde Euro, das zweite Quartal wird weit
schlimmer.
Nächsten Dienstag wird Spohr seinen Aktio-
nären auf einer virtuellen Hauptversammlung per
Livestream noch vom Milliardengewinn im ver-
gangenen Jahr berichten. Nur wird das kaum
jemanden mehr interessieren.
Schon seit Anfang des Jahres spürt die Lufthansa
die Auswirkungen des Virus aufs Geschäft. Am
6. Januar informierte der medizinische Dienst des
Konzerns den Vorstand in einem Memo über eine
neue Atemwegsinfektion im chinesischen Wuhan.
Die meisten Deutschen hielten Corona da noch für
ein mexikanisches Bier. Doch die Lufthansa dünnte
ihre Flugpläne aus, erst die nach China, dann die
Routen in ganz Asien, schließlich Amerika.
»In einer wirtschaftlich vernetzten Welt
ist es völlig undenkbar, nicht zu fliegen«
Als Manager zog Spohr offenbar seine ganz­
eigenen Schlüsse aus diesem Prinzip: Wer sich zu
ihm ins Boot setzt, den zieht er mit voran. Aber wer
einen anderen Takt anschlägt, ist früher oder später
weg. Das erfuhren etwa die Lufthansa-Finanzvor-
ständin Simone Menne oder der langjährige Flug-
zeugeinkäufer Nico Buchholz.
Als die Deutschen noch reisen konnten, wohin
sie wollten, kaufte sich der 22-jährige Student
Carsten Spohr ein Flugticket, packte seinen Ruck-
sack und flog mit zwei Freunden nach Los Angeles,
dann weiter nach Papeete in der Südsee, nach Auck-
land, nach Sydney, Bali, Bangkok, zurück nach
Frankfurt. »Ich habe es geliebt, Zeit an den Flug­
häfen zu verbringen«, erinnert er sich. Am Ende der
Reise war der angehende Wirtschaftsingenieur
ziemlich pleite, aber er wusste jetzt, wohin er woll-
te: zur Deutschen Lufthansa.
Spohr beginnt die Pilotenausbildung. Piloten
sind Menschen, die Entscheidungen laufend hin-
terfragen, aber wenn sie getroffen sind, auch durch-
ziehen müssen. So erklärt der damalige Chefpilot
Robert Salzl, was er Spohr beibrachte: »Es darf nichts
Alternativloses geben.« In der Luft ist es so, dass sich
ständig neue Optionen und
Wege auftun, weil der Luft-
raum voll und die Flugsiche-
rungen zahlreich sind. Kaum
ein Flugzeug fliegt deshalb
direkt von A nach B. Wer
Hien, so erinnert er sich heute, will Spohr gesagt haben:
»Ihre Karriere war zu gradlinig. Ihnen fehlen die Brüche
im Lebenslauf.« Spohr habe ihm das nie verziehen. Der
bestreitet nicht, nachtragend zu sein: »Es kann schon
sein, dass mich manchmal Menschen enttäuschen und
ich das so schnell nicht vergesse.«
Seinem Erfolg hat das offenbar nicht geschadet. In
Spohrs Rekordjahr als Vorstandschef 2017 machte die
Lufthansa schließlich Tag für Tag acht Millionen Euro
Gewinn. »Die Firma hat immer versucht, effizienter,
schneller und damit profitabler zu werden«, sagt Spohr.
Doch das genügt im April 2020 nicht mehr. Spohr
arrangiert sich gerade mit der neuen Realität. Er fliegt
nicht mehr mit der A320 zur Arbeit nach Frankfurt, er
fährt nun mit dem Auto ins Lufthansa-Büro an seinem
Wohnort München. Aus dem Homeoffice erzählt er,
dass er seit 20 Jahren nicht so oft zu Hause gewesen sei.
Plötzlich isst er regelmäßig mit seiner Frau und beiden
Kindern zu Abend. Bis vor wenigen Wochen hat er
ständig im Flieger gesessen. Er kam aus Berlin, New York
Fortsetzung auf S. 20
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GIGA
die Lufthansa erwartet. Fest stand nur so viel: So da. Er erwähnt den Luft- Carsten Spohr, 53, ist seit sechs Jahren Chef von Europas größter Airline von der zunächst festgeleg-
unabhängig wie bislang wird Carsten Spohr künftig hansa-Chef in einer Dis- ten Route abweicht, spart
nicht mehr agieren können. kussionsrunde gleich vier- mitunter wertvolle Minuten
Seit dem vergangenen August hat die ZEIT mal, es geht um das ungeheure Wachstum der Das ist nicht ungewöhnlich. Bei anderen Krank- und Hunderte Liter Treibstoff. So werden Piloten
Spohr immer wieder gesprochen. Im Kreise von Branche. Spohr selbst tritt wenig später auf die heiten wie der Sars-Pandemie hat es das auch gege- zu Managern von Zeit und Geld. Bei einem Vor-

Politikern, Mitarbeitern und zuletzt vergangenen
Mittwoch in einer Videoschalte aus seinem Home-
office in München. Da fordert Spohr noch einmal
klipp und klar unternehmerische Freiheit: »Die Luft-
hansa hat die drei besten Jahre ihrer Konzernge-
schichte hinter sich. Wenn sie auch künftig erfolg-
reich sein soll, muss sie auch weiterhin ihr Schicksal
unternehmerisch gestalten können.«
Nun aber braucht das Unternehmen dringend
Geld, bis zu zehn Milliarden Euro könnten nötig
sein, um durch die Krise zu kommen. Für die Luft-
hansa am bequemsten wäre eine Finanzhilfe, wie sie
gerade der Rivale Condor oder der Reisekonzern
TUI bekommen haben. Der Staat verleiht Geld, die
Krise geht vorüber, später wird der Kredit zurück-
gezahlt. So einfach könnte es sein, schließlich hatte
die Lufthansa ein zuletzt sehr profitables Geschäfts-
modell. Bei Condor ging es um »nur« 500 Millio-
nen, bei TUI um knapp zwei Milliarden Euro.
Bei einer womöglich fünfmal so großen Summe
könnte die Regierung Mitsprache einfordern. Der
Manager Spohr müsste sich dann gegenüber einem
neuen Eigentümer verantworten.
Bühne und erzählt von seinen Telefonaten mit dem
Finanzminister. Während der neben ihm stehende
Verkehrsminister von Drohnen und Flugtaxis
schwärmt, kommt Spohr auf die alltäglichen­
Unzulänglichkeiten der Deutschen Flugsicherung
zu sprechen. Er wäre schon froh, wenn das staats-
eigene Unternehmen »genug Fluglotsen für meine
Jumbos hätte«. Und danach »können wir uns auch
um die Kleinen kümmern«, spottet Spohr.
Spohrs Jumbos und all die anderen Flieger sind
im August 2019 gut gefüllt. 106.794 Lufthansa-
Flüge allein in diesem Monat, 14 Millionen Passa-
giere. In den fünf Minuten, in denen Spohr sein
Stück Kuchen isst, starten irgendwo auf der Welt
zwölf Lufthansa-Maschinen.
Wie ernst die Lage dagegen jetzt ist, erklärte
er seinen 138.000 Mitarbeitern am 8. April in
einer Videobotschaft. Spohr stand für die Auf-
nahme vor einem weiß-blauen Hintergrund, der
wohl nach Himmel, Hoffnung und Freiheit aus-
sehen sollte, und sagte seinen Leuten, warum die
stolze Lufthansa nun sehr bescheiden werden
muss. »Wir ­befördern täglich weniger als 3000
des Monats
ben. Deshalb erkennt Carsten Spohr, der täglich eine standschef ist es nicht anders.
Übersicht mit allen Flugbewegungen des Konzerns Als Spohrs späterer Mentor Jürgen Weber 1991
im Vergleich zum Vorjahr bekommt, erst Anfang Lufthansa-Chef wurde, machte das Unternehmen
April die ganze Tragweite der Corona-Pandemie. über anderthalb Millionen Euro Verlust am Tag.
Inzwischen sagt er: »Ich muss noch akzeptieren, dass Schon damals stand die Zukunft des Unternehmens
ein neues Normal erst möglich ist, wenn es nicht nur auf dem Spiel. Erst eine drohende Massenentlassung
Medikamente, sondern auch einen Impfstoff gibt. überzeugte die Mitarbeiter, teure Pensionsprivilegien
Und das kann Jahre dauern.« zu beschneiden und Kosten zu minimieren. Mit
Mit dem Schicksal der Lufthansa steht auch Webers Idee, sich mit Konkurrenten das Streckennetz 5G geht in
Spohrs Lebenswerk auf dem Spiel. und letztlich auch die Passagiere zu teilen, begann
Spohr stammt aus Wanne-Eickel mitten im eine neue Erfolgsgeschichte. Weber sagt heute über die Fläche. S. 23
Ruhrgebiet. Sein Jugendfreund Thomas Kruse­ seinen einstigen Assistenten Spohr: »Er war mit Ab-
erinnert sich an gemeinsame Gelegenheitsarbeiten, stand der Beste.« Webers Frau nannte ihn »mein
Spohr malochte als Teenager auf Baustellen. »Er war Bub«, und als Spohr 2011 Konzernvorstand der
sich für nichts zu schade«, sagt Kruse. In der Schu- Passagiersparte wurde, zog er in Webers einstiges
le saßen Kinder von Geschäftsführern neben Kin- Büro am Rollfeld in Frankfurt, die im Minutentakt
dern von Lastwagenfahrern oder Hafenarbeitern, startenden und landenden Flugzeuge im Blick, fast
Spohrs Vater war Bauingenieur. Spohr verbrachte jeder Flug brachte der Lufthansa Gewinn.
viele Stunden im Ruderclub, wo er mit Kruse zu- Spohrs geschmeidiger Aufstieg bescherte ihm
sammen im Vierer saß. Eine Lektion, sagt Kruse: auch Kritik. Etwa von Uwe Hien. Der Flugbegleiter
»Wer sich nicht anpasst an die anderen, wer ständig saß für die Gewerkschaft Ufo im Aufsichtsrat und
nur sein eigenes Tempo geht, bringt das ganze Team gab Spohr 2014 zu verstehen, ihn nicht zum Vor-
aus dem Rhythmus.« standschef zu wählen, er enthielt sich der Stimme.
20 WIRTSCHAFT 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

Schon wieder weg

G
leich zu Beginn ihrer gemein- Der Analyst Mirko Maier, der den Konzern für
die Landesbank Baden-Württemberg beobachtet,
Nach nur sechs Monaten sonalchef für Deutschland, soll den Eindruck zer- so schildert es Marco Lenck, Chef der deutsch-
samen Zeit an der Spitze des streuen, dass man bei SAP in der Krise lieber e­ inem sprachigen SAP-Anwendergruppe, der DSAG. Die
Softwarekonzerns SAP hät- hält die Begründung des Unternehmens für »nicht wechselt SAP seine Chefin Mann vertraue. »Jennifers Geschlecht hat weder ist ein mächtiger Player, denn sie vertritt die Inte-
ten sie einander ein Verspre- nachvollziehbar«. Schließlich rechne SAP nach­ bei ihrer Berufung noch bei ihrer Ablösung eine ressen von mehr als 3500 SAP-Kunden. Wenn die
chen gegeben, erzählte Jenni- eigenen Angaben damit, vergleichsweise glimpflich
aus. Weil sie eine Frau ist?  Rolle gespielt«, sagt Younosi auf Nachfrage. Dann DSAG einen Termin mit dem Konzernvorstand
fer Morgan Anfang März auf durch die Krise zu kommen. Schon ab dem dritten VON ANN - K ATHRIN NEZIK zählt er auf, was SAP für die Förderung von Frau- möchte, »ist die nächste Lücke im Kalender für uns
der Bühne eines Karrierekon- Quartal soll sich die Lage allmählich verbessern. en tue: Führungspositionen würden standardmä- reserviert«, sagt Lenck. Bei diesen Gesprächen habe
gresses in San Francisco: Sie und ihr Co-CEO Warum Klein – und nicht Morgan – den Kon- ßig auch in Teilzeit ausgeschrieben, für geschlech- Klein »sehr intensiv zugehört«, berichtet Lenck. Im
Christian Klein würden sich von »niemandem aus- zern künftig führen soll, erklärte SAP mit keinem terbedingte Gehaltsunterschiede gebe es null Tole- Februar legte Klein dann ein Strategiepapier vor, in
einanderbringen lassen«. Sie hätten sich vorgenom- Wort. Und so steht das Unternehmen jetzt als­ ranz, als eines von nur zwei Dax-Unternehmen dem er erklärte, wie er die vier zentralen Geschäfts-
men, »wie Eltern« zu sein, die ihre Beziehung als eines da, das die erste Frau an der Spitze bei erst- habe SAP einen zur Hälfte weiblichen Aufsichts- prozesse aus dem SAP-Portfolio künftig verein-
Paar trotz Alltagsstress und Kindergeschrei an erste bester Gelegenheit wieder aussortierte. Dafür muss rat. Der Führungswechsel habe einen ganz ande- heitlichen wolle.
Stelle setzen. Morgan dagegen blieb in dieser Frage blass –
Keine zwei Monate später sind Morgan und obwohl sie nach eigenem Bekunden im Führungs-
Klein geschiedene Leute. Am Montag vor einer tandem für »Kunden und Innovation« zuständig
Woche verkündete SAP kurz vor Mitternacht war. Stattdessen machte sie die Frage, wie ein­

Foto: action press

deutscher Zeit, dass Klein den Konzern künftig
allein führen und Morgan ausscheiden werde. Es
ist das abrupte Ende eines Zweiergespanns, das
erst vor einem halben Jahr angetreten war, um
Deutschlands größten Softwarekonzern zu führen.
Damals war dem Aufsichtsrat um den SAP-Grün-
der Hasso Plattner ein Coup geglückt: Erstmals
stand mit Morgan eine Frau an der Spitze eines
Dax-Konzerns: was für ein Symbol!
Morgan und Klein, so wirkte es, verkörperten
den Aufbruch in eine neue Zeit, den endgültigen
Abschied von der Deutschland AG, dem Zirkel der
immer gleichen Herren, die über Jahrzehnte die Ge-
schicke der wichtigsten deutschen Unternehmen
lenkten und kontrollierten. Die Amerikanerin Mor-
gan verlieh dem Konzern mit Sitz in Walldorf nahe
Heidelberg einen Hauch von internationalem Gla-
mour, schließlich saß sie schon mit Barack Obama
auf einer Bühne und war in US-Wirtschaftskreisen
bestens vernetzt. Aber auch Klein symbolisierte­
einen neuen Typus Manager. Er ist kein Alphatier,
sondern gilt als einer, der zuhören kann. Mit 39
Jahren ist er noch dazu der jüngste Chef im Dax.
Gemeinsam traute Aufsichtsratschef Plattner
den beiden offenbar zu, die Probleme von SAP zu
lösen, die ihr Vorgänger Bill McDermott dem­
Unternehmen hinterlassen hatte. Zwar war SAP an
der Börse so viel wert wie kein anderer Dax-Kon-
zern, aber viele Kunden waren unzufrieden. Unter
McDermott hatte SAP eine Reihe kleinerer und
größerer Software-Firmen übernommen und war
so immer weiter gewachsen. Doch der Amerikaner
hatte es versäumt, die Zukäufe zu integrieren. Ein
Ärgernis für die Kunden, aus deren Sicht die Pro-
gramme von SAP wie ein Flickenteppich wirkten.
Dabei sollen sie Firmen eigentlich dabei helfen,
interne Prozesse wie die Beschaffung oder das Per-
sonalmanagement effizienter zu organisieren.
Morgans und Kleins Aufgabe war also klar: das
Chaos zu beseitigen. Und tatsächlich sah es so aus,
als würde sich das Duo dabei so »perfekt« ergän-
zen, wie es Plattner im Oktober versichert hatte.
Bei internen Veranstaltungen witzelten die beiden
miteinander. In Interviews erzählte Klein, dass er,
nachdem er seinen Sohn ins Bett gebracht habe,
oft noch mit »Jen« telefoniere. Die Fernbeziehung
zwischen Nordbaden und Newtown Square, Penn-
sylvania, wo Morgan lebt und SAP seine US-Zen-
trale hat, sie schien zu funktionieren.
Umso überraschter, ja schockierter sind Mit-
arbeiter und langjährige Beobachter des Unter-
nehmens nun über das schnelle Ende der Doppel-
spitze. Sie verwundert vor allem die offizielle­
Begründung für die Entscheidung: Die Corona-
Krise verlange ein »entschlossenes Handeln und
eine klare, hierbei unterstützende Führungsstruk-
tur«, hieß es in einer Mitteilung von SAP. Morgan
hat sich selbst öffentlich nicht geäußert.
sich SAP viel Kritik gefallen lassen. Morgan »nach
sechs Monaten abzuservieren ist ein Armutszeug-
nis für Plattner, sehr peinlich und nicht zu ent-
schuldigen«, sagt etwa der Personalberater Heiner
Thorborg, der sich für Frauen im Spitzenmanage-
ment einsetzt. Morgan habe als ehemalige Chefin
des USA-Geschäfts einen viel besseren Lebenslauf
als der neun Jahre jüngere Klein, der fast seine­
gesamte Karriere in Walldorf verbracht hat.
Bei SAP ist man nun darum bemüht, das
Imagedesaster zu beheben. Cawa Younosi, der Per-
Im Kreis der 30 Dax-
Unternehmen schaffte es
Jennifer Morgan bislang als
einzige Frau an die Spitze
ren Grund, sagt Younosi: Als sich Klein vergange-
ne Woche den Mitarbeitern erklärte, per Video-
schalte aus dem Homeoffice, habe er von unter-
schiedlichen Auffassungen der beiden über die
Konzernstrategie gesprochen.
Vieles spricht dafür, dass es dabei vor allem um
die Frage ging, wie die zugekauften Firmen ins
Unternehmen zu integrieren seien. Klein hat sich
in den vergangenen Monaten als Macher profi-
liert, der die Klagen der Kunden über das Wirr-
warr der Programme ernst nahm – und handelte,
moderner Führungsstil aussieht, zu ihrem Thema.
Sie sprach öffentlich darüber, dass auch Vorstands-
chefs verletzlich und fehlbar sein dürften. Viele
SAPler rechneten ihr das hoch an.
Während Morgan eher den großen Auftritt
suchte, versäumte sie es wohl, ihre Macht nach
innen abzusichern. Nach dem Abtritt ihres lang-
jährigen Mentors McDermott stand sie ohne­
einen einflussreichen Unterstützer da, ohne enge
Verbindungen in die deutsche Konzernzentrale.
Anders als Klein, der 1999 als Student zu SAP
kam und der auf einen Zirkel von Vertrauten in
Walldorf zählen kann. Dazu gehören Finanzchef
Luka Mucic und Kleins enger Freund Thomas
Saueressig, der seit Ende Oktober im Vorstand für
die Produktentwicklung verantwortlich ist, aber
vor allem Gerhard Oswald. Der Aufsichtsrat und
ehemalige Vorstand gilt bei SAP als mächtiger
Mann im Hintergrund. Er hält die Verbindung
zum Mitgründer Dietmar Hopp und wirke mäßi-
gend auf den mitunter aufbrausenden Hasso
Plattner ein, sagen Beobachter.
Klein wurde von Oswald gefördert. Und auch
außerhalb des Berufs pflegen die beiden eine Ver-
bindung. Die hat – wie so oft bei SAP – mit Fuß-
ball zu tun. Klein stammt aus dem zehn Kilometer
von Walldorf entfernten Mühlhausen, wo er sich
bis heute im örtlichen Fußballverein, dem 1. FC
Mühlhausen, engagiert. Dort ist auch Gerhard
Oswald ein gern gesehener Gast. Als der Verein
2016 sein neues Clubhaus einweihte – ermöglicht
von einer Spende der Dietmar Hopp Stiftung in
Höhe von mehreren Hunderttausend Euro –, war
Oswald vor Ort. Der Kontakt gehe vor allem auf
»den Christian« zurück, erzählt der Vereinsvorsit-
zende Hans-Josef Hotz am Telefon. Aber auch
Christian Kleins Vater Karl Klein, der für die
CDU im Stuttgarter Landtag sitzt – und im Vor-
stand des 1. FC Mühlhausen –, habe schon immer
»gute Beziehungen« zu SAP gehabt.
Über solche und ähnliche Netzwerke gibt es
unter manchen SAPlern Unmut. Frauen wie Män-
ner beklagen, dass Seilschaften im Unternehmen
eine zu große Bedeutung einnähmen. Das Bild des
um Gleichberechtigung und Weltoffenheit be-
mühten Konzerns, das SAP nach außen abgibt,
stimme nicht mit der Realität überein, so die­
internen Kritiker.
Mit dem Weggang von Jennifer Morgan ist
die Führung von SAP jedenfalls nicht nur­
männlicher, sondern auch ein Stück deutscher
geworden. Die Irin Adaire Fox-Martin ist bis auf
Weiteres die einzige Frau im Vorstand des Kon-
zerns – und dort die einzige Managerin mit aus-
ländischem Pass.
Dass es im Leben des Christian Klein seit der
vergangenen Woche eine neue Frau gibt, hat einen
anderen Grund: Er wurde Vater einer Tochter.

Plötzlich am Boden  Fortsetzung von S. 19

oder Brüssel. »In einer wirtschaftlich vernetzten Welt sagt Enders, dem imponierte, wie sich Spohr in jenen Spohrs Befürchtung heute: In der Corona-Krise FOC, Friends of Carsten. Wer sich Spohr in den Corona-Krise erwartete Spohr, dass es im Sommer
ist es undenkbar, völlig auf das Fliegen zu verzichten«, Tagen der Öffentlichkeit stellte. Keine fünf Sekun- könnte der staatliche Eingriff nicht so milde ausfallen Weg stellt, wird nicht alt im Konzern. wieder aufwärts gehe. Nun rechnet er eher mit
sagte er im vergangenen November. Nun sitzt er mit den habe er gezögert, die Verantwortung für das wie bisher beim Klimaschutz. Was passiert, wenn Spohr muss nun Entscheidungen treffen, die für Herbst. Er befürchtet, dass die Geschäftsreisenden
hochgekrempelten Hemdsärmeln vor seinem Com- Unfassbare zu übernehmen, heißt es aus seinem Um- plötzlich Politiker auf die Idee kommen, ihre vielen viele seiner Mitarbeiter Konsequenzen haben. Der sich vermehrt an Videokonferenzen gewöhnen und
puter. Es ist ein Bild mit Seltenheitswert: Spohr im feld. Und Germanwings-Chef Thomas Winkelmann Regionalflughäfen für die heimischen Wähler an- Konzern will den Flugbetrieb verschlanken, viele weniger fliegen, und er hofft, dass die Leute zumin-
Dienst ohne Krawatte. »Man braucht keine Krawat- nicht alleinzulassen. Seitdem wird Spohr auf PR- zufliegen, auch wenn das wirtschaftlicher und klima- eigenständige Marken machen die Organisation dest privat wieder verreisen wollen. Er sagt: »Der
te, um ein Flugzeug zu fliegen, aber wenn Sie nachts Tagungen gefeiert. Als Beispiel für authentische politischer Unsinn ist? Spohr sagt, der Luftverkehr teuer. Ausgerechnet die Tochtergesellschaft German- Wunsch der Menschen, sich frei zu bewegen, den
um drei über dem Südatlantik ins Cockpit eines Krisenkommunikation. sei immer von der Politik beeinflusst gewesen, aber wings wird deshalb dichtgemacht. Die 1400 betrof- spüre ich.« Er selbst will im Herbst einen gerade abge-
Langstreckenflugzeugs schauen würden, sage ich Wenn man mit Spohr über dieses schreckliche »es darf nie eine politisch verordnete Frage werden, fenen Arbeitsplätze sollen möglichst erhalten werden, sagten Urlaubsflug mit seiner Frau und seinen Kin-
Ihnen, unsere Piloten haben sie beide an. Das ist eine Ereignis spricht und über die Herausforderungen ob wir von München oder von Zürich aus nach aber insgesamt wird das Unternehmen mindestens dern nach Los Angeles nachholen.
Frage der Haltung.« heute, dann macht er deutlich, Osaka fliegen«. 10.000 Stellen abbauen müs- Einstweilen steht Carsten
Nur achtmal ist er in den dass der Absturz mit nichts zu Wobei man sagen muss, dass Carsten Spohr sen, vermutet Spohr. »Wir Spohrs Lebenswerk am Bo-
Aktienkurs der Lufthansa Lufthansaflüge am 22. April Aktienkurs
vergangenen Wochen geflo- vergleichen sei: In der Corona- selbst kein unbegabter Politiker war, wenn es um müssenderhandeln,
Lufthansaund es war Lufthansaflüge am 22. April den. Vor einigen Wochen
gen, zweimal Frankfurt und Krise »geht es um im Vergleich
Geld und die Politik im Unternehmen selbst ging, etwa als längst klar, dass Germanwings im Vergleich setzte er sich in seinen Dienst-
zweimal Berlin und zurück. 22. 12. 2017: Arbeitsplätze, aber nicht um Vorstand für das Passagiergeschäft unter dem Vor- 22. 12. keine
2017:Zukunft hat«, sagt er im wagen und fuhr ans Rollfeld
Selbst Gespräche mit Minis- 40 31,03 Euro 150 Menschenleben«. 40 31,03 Euro
standschef Christoph Franz. »Bei Sparprogram- Videogespräch. des Flughafens Frankfurt, um
tern gibt es meist nur noch per 27. 4. 2020: Spohr muss jetzt damit men bremste Spohr Franz regelmäßig aus«, erzählt Also 27.der
handelt 4.Chefpilot,
2020: es zu besichtigen. Da waren
2019: 3215 2019: 3215
Videokonferenz oder Telefon- 30 7,93 Euro umgehen, dass die Zukunft der ein enger Weggefährte der beiden. So30bekam sobald sich die7,93 LageEuro
ändert. sie alle aufgereiht, seine Flie-
schalte. Spohr wäre das per- 20 Lufthansa von politischen Spohr Rückenwind von der Belegschaft und 20 Franz Der ZEIT liegen Unter­ ger, auf Hunderten von Me-
sönliche Treffen lieber. Er sagt: Fragen bestimmt wird, nicht Gegenwind von den Investoren. Ohne Spohrs lagen vor, wonach das Unter- tern. Die A350 und die A380.
»Wir sind gerade in Gesprä- 10 nur von unternehmerischen.
2020: 99 Unterstützung war Franz machtlos, Spohrs10 ­Bereich nehmen im Frühjahr 2018 2020: 99 Spohr drehte die Musik im
chen mit vielen Regierungen Das war auch in den ver- war das kommerzielle Herz des Konzerns. Als mit der Pilotengewerkschaft Auto auf. »Im Büro ging es
in Europa über eine Unter- 0 gangenen Monaten schon so. Franz im September 2013 hinschmiss, lief 0 alles Vereinigung Cockpit eine den ganzen Tag um nichts
stützung unserer Airlines, aber 2018 2019 2020 ZEIT- Wenn auch unter ganz anderen auf Carsten Spohr als Nachfolger hinaus. 2018
GRAFIK/Quellen: eigene Recherchen, Deutsche Börse AG 2019
Grundsatzvereinbarung2020darü-ZEIT-GRAFIK/Quellen: eigene Recherchen, Deutsche Börse AG anderes als den Stillstand,
mir ist das fast unangenehm Vorzeichen für die Lufthansa. Doch was macht der Aufsichtsratschef Wolfgang ber traf, dass die Betriebs­ aber erst am Rollfeld konnte
am Telefon. Ich reise lieber zu jemandem, den ich um Noch im Sommer wuchs der Konzern so schnell, dass Mayrhuber? Er fragt zunächst Manager von außen, genehmigung von Germanwings frühestens Ende ich erfassen, was das wirklich heißt«, erinnert er sich
etwas bitte. Das hat ja auch eine gewisse Symbolik.« er ein Lieblingsgegner der Fridays-for-Future-Bewe- darunter den früheren Telekomchef René Ober- Juni 2022 aufgegeben werden soll. Auch Zusagen für im Videogespräch.
Er weiß um die Bedeutung des angemessenen gung wurde. Die Unternehmenskommunikation mann. Erst als der absagt, kommt Spohr zum Zug. Stationen in sechs deutschen Städten gab das Unter- Es sieht so aus, als bliebe dem Mann, der stets die
Auftritts. Er war es, der Lufthansa mit Ruhe und erfasste im eigenen Newsroom deshalb systematisch Zügig zerschlägt Spohr das Passagiergeschäft in nehmen damals den Gewerkschaften. Darauf ­ besten Wege von A nach B suchte, gerade nur die
Empathie durch die bislang größte Krise lenkte. Nachrichten mit dem Hashtag #Flugscham. Spohr mehrere Einheiten. So kann ihm niemand in die angesprochen, bekräftigt Spohr seine Absicht, die Hoffnung, dass sich irgendein B abzeichnet in dieser
Am 24. März 2015 bringt ein Pilot eine A320 wollte das schlechte Image loswerden. Er stellte in Quere kommen, wie er es selbst bei Franz jederzeit Mitarbeiter an Bord zu halten: »Angesichts der dra- seltsam stillen Welt, zu dem er seinen Konzern führen
der Lufthansa-Tochter Germanwings absichtlich Aussicht, Inlandsverbindungen zu kappen, wenn die konnte. Dazu schart Spohr viele loyale Weggefähr- matischen Lage müssen wir jetzt handeln. Aber wir kann. Bis dahin bleibt ihm nur der Staat.
zum Absturz. 150 Menschen sterben. Airbus-Chef Bahn ihr Netz ausbaue. Er versprach im heute-journal ten um sich. Wie es sich für Einheiten in der Luft- wollen dabei ein sozialer Arbeitgeber bleiben.«
Thomas Enders flog mit Spohr zur Absturzstelle in Investitionen in klimaneutrale Treibstoffe. Voraus- fahrt gehört, haben selbst die Lufthansa-internen Die Frage ist nur: Wo bleibt die Arbeit, die der
die Alpen. »Solche Momente vergisst man nicht«, gesetzt, die Kunden würden den Preis zahlen. Seilschaften eigene Abkürzungen. Eine heißt Arbeitgeber bereitstellen kann? Zu Beginn der­ AA www.zeit.de/audi
 29. A P R I L 2 0 2 0 D I E Z E I T N o 19 WIRTSCHAFT 21

Die USA
zahlen 2020 einen
Pflichtbeitrag
von 107 Mio. Euro In den verpflichtenden
Mitgliedsbeiträgen (Grafik links)
zeigt sich Chinas gewachsener
Einfluss auf die Organisation. Doch
zum WHO-Gesamtbudget gehören
außerdem zahlreiche freiwillige
Programme. Dieses Gesamtbudget
wird über zwei Jahre errechnet, und
für 2018/2019 betrug es
19,36 % Die größten Projekte der WHO

5,1
anhand ihres Anteils am Programm-
budget von rund 4 Mrd. Euro
China zahlt
53 Mio. Euro

WHO
Milliarden Euro.
Die größten Beiträge leisteten dazu: 8,77 %
USA: 14,67 % 7,02 %
Bill & Melinda Gates-Stiftung: 9,76 %
GAVI Impfallianz weltweit: 8,39 % 4,36 %

Angriff auf die

Großbritannien: 7,79 %
Deutschland: 5,68 %
EU-Mittel: 3,3 %
China: 0,21 %

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Die Weltgesundheitsorganisation wird zum Spielfeld der Konkurrenz zwischen China und
den USA. Ist die Kritik an ihr berechtigt?  VON CHRISTIANE GREFE UND KERSTIN KOHLENBERG

S
ein Job ist es eigentlich, die Welt
vor dem Virus zu schützen. Seit
mehr als vier Monaten diskutiert
Tedros Adhanom Ghebreyesus,
Chef der Weltgesundheitsorgani-
sation (WHO), täglich im Haupt-
quartier in Genf mit Fachleuten
über die Corona-Krise. Virologen, Epidemiologen,
Logistiker, Diplomaten beraten ihn. Dann telefo-
niert der Äthiopier Tedros mit Gesundheitsminis-
tern und Regierungschefs der ganzen Welt über die
bedrohlichste Pandemie seit hundert Jahren.
Doch zunehmend muss sich der WHO-General-
direktor selbst verteidigen. Seit Anfang April wirft
Donald Trump ihm vor, er sei »China-zentriert«.
Statt Kritik daran zu üben, dass China zu Beginn der
Krise Informationen über das Virus zurückgehalten
hätte, habe Tedros sogar die besondere Transparenz
Pekings gelobt. Damit habe er die Chance verspielt,
das Virus früh einzudämmen. Tedros habe also ver-
sagt, wettert Trump, deshalb werde Amerika vorerst
seine Überweisungen nach Genf einstellen. Ein
In Genf kann sich das Notfallkomitee bis zum
Abend des 22. Januar nicht auf ein Votum einigen.
Erst ein Fall außerhalb Chinas ist bekannt. Die
Hälfte der Mitglieder argumentiert daher gegen eine
Katastrophenwarnung. Möglicherweise setze die An-
steckung engen Körperkontakt voraus und verbreite
sich nur innerhalb von Familien oder Partyrunden.
Dann wäre der Ausbruch womöglich innerhalb
Chinas beherrschbar. Die andere Hälfte will eine
Warnung herausgeben, ehe es zu spät ist. Die Ex-
perten vertagen die Entscheidung auf den nächsten
Tag. Doch auch am 23. bleibt es beim Patt. Darauf-
hin bittet der Generaldirektor seine Berater, sich für
eine weitere Sitzung in zehn Tagen bereitzuhalten.
Und er twittert: »Ich danke der chinesischen­
Regierung für ihre Kooperation und Transparenz.«
Diese Freundlichkeit gegenüber den Chinesen
kommt in der Öffentlichkeit nicht gut an. Im Zuge
der Krise wird bekannt werden, dass Chinas Regio-
nalbehörden einen Arzt, der vor dem Virus gewarnt
hatte, zum Schweigen gezwungen haben. China wird
zudem einen großen Teil der amerikanischen Print-
afrikanische Staaten wirtschaftlich stark unterstützt,
wird Tedros’ Unabhängigkeit von seinen Kritikern
infrage gestellt. Der Mikrobiologe wurde allerdings
mit großer Mehrheit gewählt und gilt als fachlich Schule
ausgewiesen; ein erfolgreicher Reformer, der es als
Gesundheitsminister in seinem Heimatland ge- von zu
schafft hat, eine ausgedörrte Bürokratie wiederzu­
beleben und ein lokales Netz aus Gesundheits­ Hause
einrichtungen zu etablieren. Bis 2017 war er Außen-
minister Äthiopiens.
Tedros gibt sich vor der Kamera zahm –
doch ihm gelingt ein diplomatischer Erfolg
In den Tagen nach dem 23. Januar ist Tedros un-
ruhig. So schildert es eine Wissenschaftlerin, die
die WHO berät. Die Zahl der Infizierten und­
Toten nimmt täglich zu, und damit auch die Sor-
ge, zu spät zu kommen. Tedros will sich selbst ein
Bild davon machen, wie die chinesische Elite die
Risiken des Virus einschätzt. Stabschef Schwart-
länder übermittelt den Wunsch, und am 27. Janu-

Tipps und Tools

harter Schlag für die WHO, denn die USA waren
noch im vergangenen Jahr ihr größter Geldgeber.
Der Virus-Jäger Tedros ist mitten zwischen die
konkurrierenden Großmächte USA und China
geraten. Was ist dran an Trumps Vorwürfen gegen
journalisten ausweisen, weil der Regierung deren
kritische Covid-19-Berichterstattung nicht gefällt.
In Genf dagegen präsentiert sich China als ein
verlässlicher Partner. Tedros’ Stabschef Bernhard
Schwartländer kennt China gut, der deutsche Arzt
ar fliegt Tedros mit einer Delegation nach China.
Die Bilder, wie er Präsident Xi Jinping in Peking
die Hände schüttelt, gehen um die Welt. Erneut
lobt der WHO-Chef Chinas »Engagement und
Transparenz, die es demonstriert hat«. In den­

ihn? Um das zu verstehen, muss man sich die Ereig-
nisse in Genf zu Beginn des Jahres anschauen.
Hätte die WHO durch eine frühe Warnung
Schlimmeres verhindern können?
hat lange das WHO-Büro in Peking geleitet. Seit
Beginn der Krise ist er in engem Kontakt mit dem
chinesischen Botschafter. »China hat uns das­
Genom des Virus in Rekordzeit identifiziert und
übermittelt. Das hat die Welt noch nicht gesehen.«
Bei Sars hat es 2003 noch ein Vierteljahr gedauert,
für Lehrkräfte
Augen der Welt ist Tedros damit auf die Größe
eines Feigenblattes geschrumpft.
Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungs-
programms, sieht das anders. »Die WHO muss zu
jeder Zeit die Kooperation mit den Mitgliedsstaaten
aufrechterhalten und sicherstellen, dass ein Land den

und Schulen
Am Nachmittag des 22. Januar ruft Tedros das Not- ehe China die ersten Fälle meldete. Einen Test auf Informationsfluss nicht abbricht«, sagt Deutschlands
fallkomitee in den Keller des WHO-Gebäudes. Dort Sars-CoV-2 dagegen gab es innerhalb von zwei ranghöchster UN-Diplomat. Funktionäre müssten
liegt das Strategic Health Operations Center, die Tagen, und die WHO begann mit der Verteilung. »täglich abwägen, wann Kritik vor der Kamera oder
Kommandozentrale der Virus-Jäger. Hier wird be- Die Machthaber in Peking wissen, dass die in- hinter geschlossener Tür am effektivsten ist«. 
wertet, wie gefährlich das Virus für die Welt ist. Die ternationale Gemeinschaft gerade führungslos ist. Tedros weiß schon vor seinem Treffen mit Xi, dass

entdecken
meisten Komiteemitglieder erscheinen auf Bild- Institutionen, die Amerika nach dem Zweiten Welt- er zwei Tage später erneut sein Notfallkomitee zu-
schirmen, die an den Wänden hängen, andere sind krieg gegründet und lange angeführt hat, sind sammenrufen wird, früher als geplant. In der Nacht
über abhörsichere Telefonleitungen zugeschaltet. Donald Trump ein Klotz am Bein. Aus vielen hat er zum 27. Januar ist bekannt geworden, dass eine
Insgesamt 15 Experten aus der ganzen Welt. Tedros sich zurückgezogen: aus dem Pariser Klimaabkom- Chinesin auf einer Konferenz in Bayern vier deutsche
will von ihnen wissen, ob er eine »gesundheitliche men, dem Menschenrechtsrat, der Unesco. Die Nato Kollegen angesteckt hat. Es ist der fehlende Beweis
Notlage internationaler Tragweite« ausrufen muss. hat er infrage gestellt, und nun eben die WHO. dafür, dass das Virus leichter als gedacht übertragen
Der Informationsstand ist an diesem Nachmittag Während Amerika bei Aids und Ebola den Kampf werden kann. Tedros will die Chinesen darauf vor-
noch schwammig. Am 31. Dezember meldeten die anführte, seien die US-Behörden nun extrem vor- bereiten, dass es diesmal, auch gegen ihren Wider-
Chinesen der WHO Fälle einer unbekannten Lun- sichtig in ihrer internationalen Zusammenarbeit, stand, ernst werden könnte. Am 30. Januar beschließt
generkrankung, so wie es die internationalen Regeln sagt ein WHO-Mitarbeiter. Experten, die einfach
verlangen. Am 12. Januar veröffentlichten sie das fachlich arbeiten wollen, wie der weltweit angese-
das Notfallkomitee, den weltweiten Gesundheitsnot-
stand auszurufen. 16 Tage später reist ein WHO-
g.co/schulevonzuhause
Genom des Coronavirus, das später den Namen Sars- hene Impfspezialist Rick Bright, werden gefeuert. Ärzteteam nach China. Trotz der geopolitischen
CoV-2 erhält. Weltweit beginnt die Entwicklung von China besetzt mit der WHO eine weitere Lücke, Verwerfungen erreicht Tedros, dass zwei Amerikaner
Tests, Arzneien und Impfungen. Doch zu diesem die Amerika hinterlassen hat. Der deutsche UN-Bot- dabei sind. Der beachtliche Sieg verpufft jedoch in
Zeitpunkt hat die WHO noch kein Team nach schafter Christoph Heusgen erlebt das seit Jahren. einer Öffentlichkeit, in der Twitter die Regeln der
Wuhan entsenden können. Lediglich kurze Besuche »Durch gezielte Postenbesetzungen versucht China Diplomatie auf den Kopf zu stellen droht.
aus dem Regionalbüro der WHO sowie aus Anrai- Einfluss zu gewinnen und das multilaterale System Als Trump Tedros Anfang April beschuldigt, ver-
nerstaaten lassen die Chinesen zu. Unter den Augen beispielsweise im Menschenrechtsbereich anzugrei- sagt zu haben, sammeln WHO-Teams in Genf und
eines Regierungsbeamten dürfen die Experten mit fen.« Auch die Kooperation mit den Virus-Jägern 150 Länderbüros schon seit Wochen Daten, beraten
Ärzten und Krankenschwestern in Wuhan sprechen, gehört zu der Strategie. Nachdem Trump verkündet Mitgliedsstaaten, koordinieren Regierungs- und
die die zu diesem Zeitpunkt insgesamt 410 Corona- hatte, künftig die Beitragszahlungen an die WHO Hilfsorganisationen. Dreimal pro Woche gibt Tedros
Patienten behandeln. von jährlich rund 400 Millionen Dollar zu stoppen, in globalen Pressekonferenzen Auskunft. Ein Spen-
Der Mediziner Kenneth Chuang war mit einer erklärte China, 30 Millionen zusätzlich zu zahlen. denfonds ist aufgelegt und mit dem »Solidarity Trial«
Gruppe aus Taiwan vor Ort. Er habe gefragt, ob ein Trump und Chinas Präsident Xi Jinping wissen, eine global koordinierte Forschungsanstrengung für
Überspringen des Virus vom Menschen zum Men- dass die WHO beim Geld sehr verwundbar ist. die beste Therapie ins Leben gerufen worden. Mehr
schen festgestellt worden sei. So erzählt Chuang es Nicht nur Epidemien soll sie bekämpfen, sondern als 1,5 Millionen Testkits, 800.000 Gesichtsmasken,
später am Telefon. Der Beamte habe das zuerst ver- auch Gesundheitsrisiken von Luftschadstoffen oder Schutzkleidung und Informationsmaterial hat Tedros
neint. »Wir haben die Frage noch mehrmals um- Chemikalien prüfen. Auch weil sie damit in die in rund 120 Länder versenden lassen.
formuliert«, sagt Chuang. Schließlich habe der Be- Souveränität von Staaten und Unternehmen ein- Trump dagegen hat den gesamten Februar ver- Mit Inhalten zahlreicher Partner:
amte eingeräumt, ausschließen könne man es nicht. greift, wurden ihre Mittel seit den Neunzigerjahren streichen lassen. Er ordnete in dieser Zeit zur Be-
Auch die WHO-Ärzte kommen mit der­ drastisch beschnitten (siehe Grafik). Für ihre welt- kämpfung des Virus lediglich an, Flüge nach China
Erkenntnis zurück: Es gibt deutliche Hinweise auf weite Arbeit steht der WHO mit rund 2,5 Milliar- und später Europa auszusetzen. Eine der wenigen
eine Ansteckung von Mensch zu Mensch. Wie­ den Euro jährlich kaum mehr Geld zur Verfügung Maßnahmen, die die WHO ausdrücklich nicht
genau sie passiert, ist jedoch unklar. Wissen die als dem Genfer Universitätsklinikum. Nur über ein empfiehlt. Denn das Wichtigste für die Viren-Jäger
Chinesen mehr, als sie sagen? Kein Land möchte die Fünftel davon kann sie frei verfügen. Der Rest fließt ist, dass die Welt zusammenarbeitet. »Man kann das
ZEIT-Grafik: apps.who.int

Ursache für einen weltweiten Katastrophenfall sein. in Programme, über die Unternehmen, Stiftungen Virus nicht allein in seinen eigenen Grenzen­
Das Stigma und die wirtschaftlichen Folgen möch- und Regierungen entscheiden. Auch in dieser­ bekämpfen«, sagt Stabschef Bernhard Schwartlän-
te jeder vermeiden. Hätte die WHO vor dem chine­ Abhängigkeit muss sich Tedros bewegen. der. »Es kommt von außen immer wieder zurück.«
sischen Neujahr eine Reisewarnung herausgeben Seit 2017 ist Tedros Chef der WHO. Er ist der
und Schlimmeres vermeiden können? erste Afrikaner, der den Posten besetzt. Weil China AA www.zeit.de/audi
22 WIRTSCHAFT
»Wir haben nichts dagegen,
wenn weniger gekauft wird«
DIE ZEIT: Herr Birken, wann waren Sie zuletzt
beim Friseur?
Alexander Birken: Vor acht Wochen ungefähr. Al-
lerdings habe ich einen Freund, der Haare schnei-
den kann und Corona schon hinter sich hat. Der
hat das bei uns im Badezimmer gemacht.
ZEIT: Viele Ihrer Kunden mussten sich anders
behelfen, otto.de hat in den letzten Wochen so
viele elektrische Haarschneider verkauft wie nie
zuvor. Waren Sie überrascht, was die Menschen
plötzlich bestellen?
Birken: Bei dem ein oder anderen Produkt schon,
aber vieles ist nachvollziehbar: Spielwaren, digitale
Geräte. Was erstaunlich war: wie groß der Bedarf an
Waschmaschinen, Kühl- und Gefriergeräten ist. Bei
den Gefriergeräten hatten wir ein Plus von 300
Prozent. Fashion und Badekleidung wurden deut-
lich weniger nachgefragt, dafür sehr viel bequeme
Textilprodukte. Die Menschen verschönern jetzt ihr
Haus, davon profitieren Unternehmen wie Otto,
Baur oder Manufactum massiv. Die Gärten in
Deutschland waren wahrscheinlich noch nie so ge-
pflegt wie heute. Allerdings ändern sich die Wün-
sche der Kunden gerade von Woche zu Woche.
ZEIT: Wie gut können Sie darauf reagieren?
Birken: Das ist sehr unterschiedlich. Die meisten
Waren konnten wir stabil liefern. Einzelne Pro-
dukte waren auch mal ausverkauft, und wir kön-
nen sie auch weltweit nicht besorgen, weil Waren-
ströme unterbrochen sind.
ZEIT: Sind Sie ein Corona-Krisengewinner?
Birken: Natürlich waren wir die letzten Wochen
im Vergleich mit rein stationären Händlern privi-
legiert. Aber wir haben weltweit auch etliche La-
dengeschäfte, deren Schließung uns getroffen hat.
Und wenn der Online-Handel nur in einigen
Segmenten gut läuft, in anderen aber gar nicht,
dann trifft uns das ebenfalls. Bei der Saisonmode
etwa müssen wir uns auf hohe Rabatte einstellen.
Hinzu kommen die gestiegenen Kosten durch die
gesundheitliche Vorsorge für Mitarbeiter und
Kunden, die wir sehr ernst nehmen.
ZEIT: Was heißt das unter dem Strich für Ihr Ge-
schäft – gewinnen Sie in dieser Krisenphase dazu?
Birken: Da bin ich vorsichtig optimistisch. Wir
glauben, mittelfristig sogar gestärkt aus der Krise
hervorzugehen.
ZEIT: Warum die Vorsicht?
Birken: Die Konsumkonjunktur ist auf einem his-
torischen Tiefstand. Die Nachfrage wird erst nach
und nach zurückkehren. Und auch auf der Ange-
botsseite bekommen wir Probleme. In China läuft
die Produktion wieder an – aber Indien und Bang­
ladesch etwa sind in einem kompletten Shutdown.
Wir werden in eine kräftige Rezession kommen,
und sie wird nicht auf dieses Jahr beschränkt sein.
ZEIT: Nehmen Sie staatliche Hilfen in Anspruch?
Birken: Für einige wenige Mitarbeiter unserer sta-
tionären Läden hierzulande hatten wir Kurzarbeit
beantragt, etwa bei Frankonia und Manufactum.
ZEIT: Warum brauchen Sie eine Subvention,
wenn etliche Unternehmensbereiche gut laufen?
Birken: Wir nehmen keine Subventionen an, son-
dern haben – wie unsere Konkurrenten – für einige
Kollegen, die durch die sicherlich notwendigen
Maßnahmen derzeit leider keine Beschäftigung
haben, Hilfen in Anspruch genommen. Wir alle
haben kein Geld zu verschenken.
ZEIT: Wollen Sie staatliche Kredite aufnehmen?
Birken: Auch für uns hängt alles davon ab, wie
lange die Krise anhält. Wir haben einen In­ves­ti­
tions- und Einstellungsstopp ausgesprochen, und
ich kann nicht ausschließen, dass wir zu einem
W
issen Sie, warum der Himmel
blau ist? Warum Fußballroboter
nicht zwischen Ball und Man-
darine unterscheiden können?
Wer der Stie­ fel­
olm ist? Nein?
Dann haben Sie wohl nicht gut aufgepasst.
Solche Fragen beantwortet der Westdeutsche
Rundfunk (WDR) in der Sendung mit der Maus
seit bald 50 Jahren. Normalerweise läuft die Maus
am Sonntagmorgen im Ersten, durchschnittlich
zwei Millionen Kinder sitzen dann vor dem Fern-
seher. In Corona-Zeiten gibt es die Maus seit dem
18. März sogar jeden Tag um 11.25 Uhr. Doch
leider soll damit nach dem 30. April wieder Schluss
sein. Der WDR begründet das damit, dass in eini-
gen Ländern die Schule wieder losgeht. Aber eben
nicht für alle, und deshalb ist die Entscheidung ein
Jammer. Denn der öffentlich-rechtliche Sender
verkürzte mit der Maus Eltern wie Kindern die
Alexander Birken, Chef der Otto Group, über die gewissen Zeitpunkt auch ein KfW-Darlehen be-
antragen. Auch dies wäre keine Subvention.
Konsumwünsche der Deutschen, die Konkurrenz mit ZEIT: Zahlen Sie noch Ihre Mieten?
Amazon und die Klimaziele des Unternehmens Birken: Unsere Vermieter kommen uns in vielen
Fällen entgegen und sagen: Wo ihr wirklich kein
Geschäft mehr machen könnt, teilen wir das Leid.
Das ist ein sehr fairer Umgang mit­ein­an­der.
ZEIT: Als Adidas seine Mietzahlungen einstellte,
gab es Empörung. Was ist an Ihrem Fall so anders?
Birken: Das kann ich nicht beurteilen. Aber wir
haben nicht nur unsere Lage im Blick. Vermieter,
deren Existenz an den Einnahmen hängt, bezahlen
wir natürlich vollständig.
ZEIT: Was ist mit Ihren Lieferanten?
Birken: Da übernehmen wir Verantwortung, be-
sonders für unsere Geschäftspartner in Entwick-
lungs- und Schwellenländern. Wir werden bei-
spielsweise keine bestellten Waren stornieren, die
bereits gefertigt wurden. Auch den Arbeiterinnen
in den Produktionsländern wollen wir in der Krise
konkret helfen, es gibt im Entwicklungsministerium
­Ideen für einen Rettungsschirm für Lohnausfälle,
an dem wir uns beteiligen würden. Indische Wan-
derarbeiter und afrikanische Baumwollbauern un-
terstützen wir mit Hilfspaketen. Für diese Men-
schen geht es schlicht ums Überleben.
ZEIT: Lassen Sie uns darüber sprechen, was nach
der Krise bleibt. Verstehen Sie die Wut der Einzel-
händler, die nun noch mehr fürchten, vom On-
line-Handel überrollt zu werden?
Birken: Ich verstehe, dass stationäre Händler derzeit
massiv leiden, ganz besonders, wenn sie noch im-
mer nicht oder nur teilweise öffnen können. Wenig
Verständnis habe ich dafür, wenn die Ladeninhaber
die Schuld nur beim Online-Handel suchen. Wir
haben derzeit tatsächlich viele Neukunden, die frü-
her vor allem in stationären Läden eingekauft ha-
ben. Aber die Menschen ändern ihr Verhalten nicht
erst seit der Corona-Krise. Deshalb sind wir seit
vielen Jahren dabei, unsere Geschäftsmodelle welt-
Foto: Henning Kretschmer für DIE ZEIT; Illustration: Trickstudio Lutterbeck/WDR (u.)
weit zu digitalisieren. Das müssen andere Händler
auch längst tun. Wir bieten mit otto.de auch eine
Plattform an, wo sie zu fairen Bedingungen ihre
Produkte bei uns anbieten ­können.
ZEIT: Damit sind Sie spät dran, Amazon hat das
lange vorgemacht. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Birken: Der Aufbau der Plattform läuft nach Plan,
einiges war technologisch eine Herausforderung,
aber auch kulturell. Plötzlich lassen wir so etwas zu
wie die Konkurrenz mehrerer Händler mit dem
gleichen Produkt auf unserer Seite. Das war ein
großer Schritt im Selbstverständnis. Aber es zahlt
sich aus. Bislang nutzen rund 500 Händler das
Angebot, in diesem Jahr werden wir 1000 zusätz-
lich aufnehmen. Die Kunden nehmen das gut an.
ZEIT: Wie groß ist die Gefahr, dass Sie mit otto.de
dennoch von Amazon verdrängt werden?
Birken: Da habe ich wenig Sorgen. Sieben Millio-
nen Kunden kaufen aktuell bei Otto, seit zehn
Jahren wachsen unsere Umsätze. In einigen Berei-
chen wie Möbel und Wohnaccessoires sind wir
absoluter Marktführer. Hinzu kommt: Wir spü-
»Wir setzen uns nicht erst seit Greta Thunberg ren, dass es für unsere Kunden wichtiger wird, bei
einem persönlichen, fairen und nachhaltigen Un-
mit Nachhaltigkeit auseinander« ternehmen zu kaufen. Und dafür stehen wir.
ZEIT: Starke Worte – dabei ist immer wieder zu
Alexander Birken, 55, ist Vorstandschef der Otto Group – dazu gehören neben Otto, hören, Unternehmen seien gar nicht in der Lage,
dem nach Amazon größten Online-Händler Deutschlands, auch Firmen wie About You, die Bedingungen entlang ihrer Lieferkette zu kon-
Bonprix und Manufactum. Der Konzern erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von trollieren. Wie stellen Sie das sicher?
rund 14 Milliarden Euro und beschäftigt weltweit mehr als 50.000 Mitarbeiter Birken: Alle unsere Lieferanten durchlaufen eine
umfangreiche Überprüfung; wer mehrfach eine
schlechte Bewertung bekommt, mit dem arbeiten
wir nicht mehr zusammen. Selbstverständlich kön-
Aus die Maus
In den vergangenen Wochen gab es die »Sendung mit der Maus« täglich.
Warum nur kann das nicht noch eine Weile so weitergehen?  VON INGO MALCHER
langen Tage zu Hause und machte beide gleicher- Caspers hat die Antworten. »Wenn man etwas ver- die machen Spucke. Und damit die Zellen auch
maßen ein wenig schlauer. steht«, sagt er, »dann hat man weniger Angst.« wissen, was sie in unserem Körper machen sollen, hat
Als die Krippen, Kitas und Schulen in Deutsch- Wobei Erwachsene, die von Kindern auf jede Ant- jede Zelle eine Anleitung dabei, das ist wie ein Bau-
land geschlossen wurden, fühlte man sich in Köln wort ein neues »Warum?« gehört haben, bis sie selbst plan.« Der Bauplan – das Erbgut – ist bei Caspers ein
»gefordert«, sagt Joachim Lachmuth, der Maus- ratlos waren, wissen, dass es nicht immer leicht ist, roter Zettel. Dann kommt das Virus. Das ist bei
Redakteur. Er fand: »Mit dem, was wir haben und Kinderfragen zufriedenstellend zu beantworten. Wenn Caspers ein zerknülltes Papierblatt, in dem er einen
können, sind wir in der Lage, jetzt zu helfen und es darum geht, wie ein Virus im Körper andere Zellen weiteren roten Zettel versteckt, das Erbgut des Virus.
ein begleitendes Programm anzubieten.« Es gab infiziert, ist das besonders schwer. Caspers hatte bei Wenn das Virus nun den Körper befällt, erklärt Cas-
klassischen Maus-Stoff, den man aus dem Archiv der Antwort auf diese und andere Fragen aber noch pers, tauscht es die beiden roten Zettel. Und auf dem
holte (Wie funktioniert ein Saugbagger? Wie­ ein weiteres Problem. Weil auch WDR-Mitarbeiter Zettel, den das Virus der Zelle dann untergeschoben
werden Croissants gebacken?), und vor der Sen- angehalten sind, nicht ins Büro zu kommen, saß er zu hat, steht jetzt: »Mach Coronaviren!«
dung beantwortete der Moderator Ralph Caspers Hause fest. Also filmte er sich mit dem Mobiltelefon Caspers sagt: »Wir wollen alles, was die Erwach-
21-mal Fragen von Kindern zu dem neuen Virus. und bastelte alle Modelle, die er zum Erklären braucht, senen über Viren wissen, in einer Sprache erzählen,
Er machte das so wunderbar, dass man sich selbst. »Ich habe tatsächlich viel zu Hause rumliegen, die auch jüngere Menschen verstehen können.« In
wünschte, er würde es abends vor der Tagesschau was ich jetzt gut nutzen konnte«, sagt er. der Corona-Zeit haben sich denn auch die Zugriffs-
noch mal für die Erwachsenen wiederholen. Das sieht dann so aus: Um zu zeigen, wie das zahlen der Maus-­Web­site etwa verdreifacht.
Kinder haben viele Fragen. Wie befällt das Virus Virus im Körper wirkt, bastelt Caspers eine Papier- Mit Caspers’ Hilfe verstehen Kindern besser,
den Körper? Was sind Hamsterkäufe? Warum sollte schachtel, das ist die Zelle. Er erklärt: »Es gibt Zellen, warum Händewaschen gegen Viren hilft und wa-
man Oma und Opa gerade nicht besuchen? Und die stellen beispielsweise Haare her, es gibt Zellen, rum sie besser in die Armbeuge niesen sollen. Au-
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
nen wir sicherstellen, dass dort unter vernünftigen
Bedingungen gearbeitet wird – und das seit vielen
Jahrzehnten.
ZEIT: Ist das Argument also nur vorgeschoben,
dass dies gar nicht möglich ist?
Birken: Nein. Das ist wirklich anspruchsvoll, und
es kostet Geld, das zu investieren nicht jeder bereit
ist. Und natürlich gibt es eine Grenze, wenn wir an
die Subunternehmer oder die Zulieferer der Sub-
unternehmer unserer Lieferanten denken. Aber
zumindest für unsere direkten Geschäftspartner
können wir das sicherstellen, und wir versuchen
auch, die Ebene darunter zu durchleuchten.
ZEIT: Was ist mit den Produkten der Händler,
denen Sie Ihre Plattform zur Verfügung stellen?
Birken: Auch an sie stellen wir diese Anforderung
und überprüfen diese Dinge.
ZEIT: Sie haben erklärt, bis 2030 klimaneutral
werden zu wollen. Gefährdet die Corona-Krise
Ihre Klimaziele?
Birken: Nein. Den Start zusätzlicher, sehr ehrgeizi-
ger Maßnahmen haben wir für ein paar Monate
verschoben, weil Krisen- und Gesundheitsmanage-
ment kurzfristig Priorität haben. Aber unsere Werte
haben sich durch die Krise nicht geändert, wir se-
hen das seit 1986 als unsere Verantwortung an.
ZEIT: Klimaneutralität haben auch viele andere
Unternehmen in Aussicht gestellt, dahinter ver-
bergen sich dann aber sehr unterschiedliche Rech-
nungen. Wie lautet sie bei Ihnen konkret?
Birken: Unsere Handschrift zeigt sich bei dem,
was wir schon umgesetzt haben: Wir haben un­
sere CO₂-Emissionen von 2006 bis 2020 um
50 Prozent reduziert.
ZEIT: Sind da auch die Emissionen eingerechnet,
die bei der Herstellung der Ware anfallen?
Birken: Nein, das sind sie bei allen Händlern nicht.
Wir haben darüber mit mehreren NGOs diskutiert,
das zu berechnen ist seriös nicht möglich. Wir re-
duzieren dort, wo wir selbst steuern können: bei
den Gebäuden, der Technologie, der Logistik in-
klusive der Fahrzeuge, der Lieferung aus Fernost in
die Lagerstätten nach Amerika und Europa und
beim Verschicken von Produkten an unsere Kun-
den. Dort in den nächsten zehn Jahren auf null
Emissionen zu kommen wird sehr anspruchsvoll.
ZEIT: Welche Rolle spielen Zertifikate für eine
Kompensation dabei?
Birken: Bei den 50 Prozent, die wir schon geschafft
haben: gar keine. Wir planen für die kommenden
zehn Jahre mit echten CO₂-Einsparungen. Aber
wenn wir alles andere ausgeschöpft haben, werden
wir wohl darauf zurückgreifen müssen.
ZEIT: Glauben Sie an die These, dass die Krise die
Menschen zu mehr Genügsamkeit und einem be-
wussteren Konsum führt?
Birken: Ich glaube an diesen Trend und begrüße
ihn. Unser Unternehmen setzt sich nicht erst seit
Greta Thunberg mit Verantwortung und Nach-
haltigkeit aus­ein­an­der, sondern seit Jahrzehnten.
ZEIT: Ist Konsumverzicht nicht bedrohlich für Sie?
Birken: Wir haben nichts dagegen, wenn weniger
gekauft wird, dafür qualitativ hochwertiger. Zu-
dem experimentieren wir in vielen Bereichen zum
Beispiel damit, auch gebrauchte Ware anzubieten.
Deshalb werden die neuesten Fashion-Produkte
nicht verschwinden. Aber auch wer sich gerade
etwas Neues gönnt, wird mehr und mehr erwarten,
dass die Ware unter vernünftigen ökologischen
und sozialen Bedingungen hergestellt wurde. Da-
rin steckt für uns eine ­Chance.
Das Gespräch führte Simon Kerbusk
ßerdem tut es ganz gut, im Restprogramm mal
von was anderem als Corona zu hören. Es kann ja
auch nicht schaden, zu erfahren, wie man Gummi­
stiefel herstellt.
Insofern ist es schwer zu verstehen, dass der WDR
das tägliche Sonderprogramm nun wieder einstellt.
Kita-Kindern und allen Schulkindern, die weiter zu
Hause bleiben müssen, fehlt dann eine feste tägliche
Verabredung, bei der ihnen die Welt begreiflicher
gemacht wird und ihnen ein Kapitän Geschichten
erzählt wie die vom Stie­fel­olm, dem »Schrecken aller
Angler von Rio bis Shanghai«. Auf solche Geschich-
ten müssen sie jetzt bis Sonntag warten.
Und daher holen wir das Ensemble des kleinen
Welterklärtheaters noch einmal vor den Vorhang
für einen dankbaren Applaus: den Elefanten,
Shaun das Schaf, Charlie und Lola, Käpt’n Blaubär
und natürlich Ralph und die Gastgeberin, die
Maus.
ANZEIGE
5G geht in die Fläche. Mit neuen Frequenzen,
die viel weiter reichen als bislang
Hohe Reichweite, starke Versorgung: Vodafone startet als
erster Netzbetreiber in Deutschland den 5G-Ausbau in der Fläche
und bringt bis Ende des Jahres 5G für 10 Millionen Menschen.
Möglich macht das auch die neue Netz-Intelligenz Dynamic
Spectrum Sharing, von der auch 4G|LTE-Kunden profitieren.
Mit 700 MHz
bekommt 5G
mehr Reichweite
vodafone.de/netz
Vodafone GmbH • Ferdinand-Braun-Platz 1 • 40549 Düsseldorf • vodafone.de
D
as Coronavirus hat Deutschland im Griff. Metro-
polen sind zur Sperrzone geworden, das öffentli-
che Leben steht still. Die vergangenen Wochen
haben mehr denn je gezeigt, wie wichtig stabile
Netze sind: Nur so konnten und können Homeoffice, Video-
calls, Streaming und Co problemlos funktionieren. Kein
Zweifel – stabile Netze halten Deutschland am Laufen. Denn
in der Coronakrise rauschen mehr Daten durch die Netze.
Auch in Meschede. Viele Einwohner der Gemeinde im Hoch-
sauerlandkreis standen hier bislang auf dem digitalen Stand-
streifen, klagten lange Zeit über eine geringe Internet-Ge-
schwindigkeit und Funklöcher. Doch nun versorgt eine
Mobilfunkstation von Vodafone die Bevölkerung auf einer
Fläche von 20 Quadratkilometern mit dem neuen Netzstan-
dard 5G. Möglich machen das die 700-Megahertz-Frequen-
zen. Dieses sogenannte ULF-Band (Ultra Low Frequency) ist
aufgrund hoher Reichweite und guter Gebäudeversorgung
optimal für die Versorgung von mobilem Breitband-Internet
in der Fläche geeignet.
In den nächsten zwölf Monaten schaltet Vodafone mithilfe
der 700-Megahertz-Frequenzen mehr als 8.000 Antennen
an ca. 2.800 Standorten in Deutschland für 5G frei. Zum
Vergleich: Eine Mobilfunkstation, die im 3,5-Gigahertz-
Bereich funkt, bringt 5G auf einem Durchmesser von bis zu
einem Kilometer zum Kunden. 5G auf 700 Megahertz be-
sitzt demzufolge eine fünfmal höhere Reichweite als 5G mit
3,5 Gigahertz. „Deutschland braucht den optimalen Mix aus
Bandbreite und Reichweite. Wir bringen 5G in diesem Jahr
für Millionen Menschen in die Städte und aufs Land“, erklär-
te Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter beim Start des
5G-Flächenausbaus in Meschede.
Der Flächenausbau ist sowohl für Kunden mit 5G-Smart-
phones als auch Nutzer von 4G-Handys nützlich. Denn:
Vodafone aktiviert als erster Anbieter in Deutschland die
intelligente Mobilfunktechnologie Dynamic Spectrum
Sharing (DSS) im Netz. DSS klingt technisch und sperrig,
bedeutet aber ganz praktisch, dass sich zwei Netzgenerati-
onen ein Frequenzspektrum intelligent nach Bedarf teilen,
GIGA
des Monats
ohne dass die Frequenz für einen Nutzer gesperrt wird. Auf Wir bauen schnelles
diese Weise werden das 4G- und das 5G-Netz gleichzeitig
ausgebaut. Je nach Bedarf stellt die jeweilige Antenne naht- Netz für alle Kunden.
los 4G oder 5G zur Verfügung. Für die Technik-Fans mit
Der Kunde erhält das Netz, das er benötigt. Und 5G wird 5G-Smartphones und für
schneller für mehr Menschen verfügbar. die vielen Menschen, die
Das intelligente Netz bietet vor allem zuhause viele Vortei- aktuell noch LTE-Smart-
le: Die Menschen profitieren, weil das 5G-Signal auf 700 phones nutzen.
Megahertz in Häusern stärker verfügbar ist als bisher. Mit bis
zu 200 Megabit pro Sekunde wird 5G so zum deutlich Gerhard Mack,
schnelleren Ersatz für langsame DSL-Leitungen in ländli- Vodafone-Technik-Chef
chen Regionen, wo bis heute oftmals nur Geschwindigkei-
ten von maximal 6 Megabit pro Sekunde möglich gewesen
sind. Mit dem neuen 5G GigaCube (Vorbestellung ab sofort,
ab 6. Mai verfügbar) bietet Vodafone auch einen neuen,
mobilen Router an, der die neuen Frequenzen unterstützt
und das 5G-Signal in ein offenes WLAN umwandelt.
Der Flächenausbau der neuen Mobilfunkgeneration ist ein
wichtiger Schritt in die Digitalisierung Deutschlands. Denn:
Der 5G-Ausbau ermöglicht künftig minimale Latenz in Mil-
lisekunden und wird deshalb entlang von Landstraßen und
Autobahnen ein wichtiger Baustein für das vernetzte Fahren.
Übrigens: Aufgrund der hohen Reichweite ist bei 5G auf 700
Megahertz kein dicht gedrängter Antennenwald nötig.
In den vergangenen Monaten hat Vodafone als erster Netz-
betreiber das kommerzielle 5G-Netz gestartet und wichtige
Erfahrungen im 3,5-Gigahertz-Bereich gesammelt. 5G funkt
an ersten Stationen in mehr als 50 Städten und Gemeinden.
Die Standorte könnten unterschiedlicher kaum sein: Von
Berlin bis Usedom. Von Düsseldorf bis zum Baunatal. Von
München bis zur Wedermark. Jeder 5G-Standort hat ganz
eigene Herausforderungen. Und ganz unterschiedliche
Nutzergruppen. Deren Wünsche und Bedürfnisse fließen in
den Ausbau von 5G ein. Das mobile Netz der neuesten Ge-
neration geht nun mit neuen Frequenzen in die Fläche – und
zum Start bringt Vodafone neue 5G-Smartphones und
5G-Router für alle auf den Markt.
Lesen Sie mehr unter
vodafone.de/netz
Mehr Netz
für Deutschland
Vodafone treibt den 5G-Ausbau
deutschlandweit voran: Als erster
Anbieter bringen wir 5G in die
Fläche. 700-MHz-Frequenzen sor-
gen für ein stabiles Netz mit hoher
Reichweite – auch in ländlichen
Regionen. Und als erster Betreiber
machen wir mit Dynamic Spec-
trum Sharing unsere Antennen
flexibel für 4G|LTE und 5G nutzbar.
So erreicht unser 5G-Netz bis Ende
des Jahres 10 Millionen Menschen.
Ready?
24 WIRTSCHAFT 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

Live-Unterhaltung
in Deutschland:
27 % aller Umsätze
(1,3 Mrd. Euro)
entfallen auf
Nicht-Musik-Veranstaltungen

Bei vielen Konzerten

und anderen
Großveranstaltungen
ist Abstand
halten unmöglich
73 % aller Umsätze
(3,7 Mrd. Euro)
entfallen auf
Musik-Veranstaltungen

»Wir verkaufen Brot für die Seele«

Konzerte wurden wegen der Corona-Pandemie als Erstes verboten und werden wohl erst als Letztes wieder erlaubt.
Der Veranstalter Peter Schwenkow spricht über die Bedeutung der privat finanzierten Kultur – und darüber, wie sie zu retten ist

DIE ZEIT: Herr Schwenkow, welche Stars werden Künstler verfügbar sind. Vor dem Frühjahr 2021 cket ergattert hatten. Warum sollten sie es zurück- tioniert ganz gut. Darlehen und sonstige KfW-­ tangel. Am Ende wird die Politik aber verstehen,

Fotos: Bartosz Ludwinski; ddp (u.); ZEIT-Grafik/Quelle: BDVK

Sie uns in diesem Jahr nicht präsentieren?
Peter Schwenkow: Wir werden Ihnen Iron Maiden
nicht zeigen, auch nicht Kiss, Simply Red, Anna
Netrebko und Disney on Ice. Bis jetzt haben wir
schon etwa 1100 geplante Veranstaltungen ins
nächste Jahr verschoben. Insgesamt betrifft das
etwa zwei Millionen Besucher.
ZEIT: Kann sich daran noch etwas ändern?
Schwenkow: Es ist noch nicht klar, wie es nach dem
31. August weitergeht. Berlin hat ja die Corona-
Beschränkungen bis zum 24. Oktober verlängert.
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AKTUELLEN AUSGABE:
wird sich wohl nichts wesentlich ändern.
ZEIT: Sie telefonieren also ständig mit Stars und
Konzerthallen und suchen neue Termine für 2021?
Schwenkow: Viele Künstler auf der ganzen Welt
haben gerade viele freie Termine. Wenn sich einer
eine Europatournee für den März vorstellen kann,
müssen wir eine Zeitspanne suchen, in die 20 Kon-
zerte in Deutschland, Italien, Spanien und Frank-
reich reinpassen. Bei den Konzerthallen wird der
Platz für nächstes Jahr schon langsam eng.
ZEIT: Wie gehen die Künstler mit der Krise um?
Schwenkow: Niemand ist auf andere wütend, weil
ja niemand für Corona verantwortlich gemacht
werden kann. Aber viele Künstler haben gerade
auch Angst ums Überleben. Mit 99,9 Prozent von
ihnen haben wir keine Probleme.
ZEIT: Und wer ist der problematische Rest?
Schwenkow: Die großen Stars sind das eher nicht.
Aber kleinere Künstler, die jetzt mindestens zwölf
geben, wenn das Konzert nur verschoben wird?
ZEIT: Falls es dabei bleibt. Gilt Ihr alter Spruch
noch: »Eine Eintrittskarte ist ein Versprechen«?
Schwenkow: Wir werden unsere Versprechen defi-
nitiv einlösen, nur eben später. Auch weil die
DEAG wahrscheinlich der einzige Veranstalter in
Europa ist, der komplett gegen die finanziellen
Folgen von Konzertausfällen versichert ist, teilweise
ist auch der Gewinnausfall versichert. Gegen alle
Risiken, also auch gegen Pandemien! Das war ganz
schön teuer. Aber uns und unseren Aktionären hat
das ruhigen Schlaf gebracht.
ZEIT: Groß kann Ihr Verlust ja nicht sein, wenn
alle Fans ihre Tickets bezahlt haben, Sie aber vor-
erst nichts von dem Geld an Stars oder Konzert-
häuser weiterreichen müssen.
Schwenkow: Doch! Wir tragen die Marketing­
kosten, die können bei großen Veranstaltungen
schnell sechsstellige Summen erreichen. Auch die
Mittel bringen in unserer Branche nicht viel, denn
die Kosten laufen ja weiter, und im nächsten Jahr
müssen die Konzerte dann stattfinden, und die
Darlehen müssen zurückgezahlt werden. Deswegen
müssen wir uns mit der Regierung noch einmal­
zusammensetzen.
ZEIT: Und das bedeutet?
Schwenkow: Wir sind Kulturunternehmer und ver-
kaufen Brot für die Seele. Aber nun haben wir
Backverbot! Im Jahr geben die Menschen in
Deutschland gut 5 Milliarden Euro für Musik- und
Unterhaltungsveranstaltungen aus. Das reicht von
den Berliner Philharmonikern unter Gustavo Du-
damel bis zu Disney on Ice, von Theatern und Le-
sungen bis hin zu Ed Sheeran. Dabei ist es in den
vergangenen 30 Jahren in der Kulturbranche zu
einer Art Arbeitsteilung gekommen.
ZEIT: Was meinen Sie damit?
Schwenkow: Ein Drittel aller kulturellen Angebote
dass unser Vorschlag besser ist, als die ganze etab-
lierte Struktur des Kulturbetriebs zu opfern. Die
Menschen werden sich irgendwann fragen, warum
sie ihre Konzerte nicht erleben können ...
ZEIT: ... aber zuvor müssten Sie erst mal erklären,
warum die »Mega-Tournee« von Dieter Bohlen
systemrelevant sein soll.
Schwenkow: Einzelne Konzerte sind nicht system-
relevant. Sie sind nur relevant für ihre Besucher.
Wir bieten Veranstaltungen an, die viele Menschen
sehen wollen. Für alles andere gibt es ja die sub-
ventionierte Kultur. Die kann es sich leisten, Thea-
ter auf die halbe Kapazität runterzufahren. Wir
sind systemrelevant, weil wir jenen Teil des deut-
schen Kulturbetriebs erhalten, der große Men-
schenmengen begeistert. Ich bin sicher, dass der
Staat diese Bedeutung erkennen wird.
ZEIT: Schauen wir etwas nach vorn. Wie könnte
ein Neustart in der Konzertbranche ablaufen?

Die Hybrid- Monate lang keine Einnahmen aus dem Live-

auto-Lüge
AB DONNERSTAG IM HANDEL
ZEIT: Die Hoffnung auf wenigstens ein paar Kon-
zerte im Herbst fällt also gerade in sich zusammen?
Schwenkow: Es ist ja nicht nur die Politik, die den
Rahmen für Veranstaltungen setzt und mindestens
acht Monate Berufsverbot gegen uns verhängt hat.
Selbst danach ist offen, ob die Fans noch Angst
haben und vor den Besuchen zögern und ob die
geschäft haben. Live macht ja heute den größten
Batzen aus. Allein von verkauften Tonträgern oder
Streamingeinnahmen kann keiner leben. Wenn wir
mit jemandem enge und lange Beziehungen haben,
dann helfen wir dem schon mal finanziell.
ZEIT: Müssen Sie Künstler für verschobene Kon-
zerte jetzt schon bezahlen oder erst, wenn die Show
wirklich gelaufen ist?
Schwenkow: Rechtlich ist das ganz einfach. Wenn
Veranstaltungen gesetzlich verboten werden, fallen
alle Verträge in sich zusammen. Das gilt für die
Vereinbarungen mit Künstlern, Konzerthallen,
Ton- und Lichtdienstleistern und so weiter. Bei
Verschiebung bleiben alle Verträge intakt, und die
Gagenanzahlungen sind erst mal weg.
ZEIT: Sie sitzen auf dem Geld für Millionen ver-
kaufter Tickets und haben selbst keine Ausgaben?
Schwenkow: Wer vor dem 8. März ein Ticket ge-
kauft hat, kann es behalten oder gegen einen Gut-
schein eintauschen. Aber nach unseren Erfahrungen
wollen 93 Prozent der Fans ihr Ticket behalten. Die
haben das ja oft schon ein halbes Jahr vorher gekauft
für einen bestimmten Künstler. Die Stadiontournee
von Iron Maiden war ruck, zuck ausverkauft. Da
waren die meisten froh, dass sie überhaupt ein Ti-
Overheadkosten für knapp 300 Mitarbeiter und
der Kartenvertrieb sind hoch. Aber natürlich geht
es uns besser als jenen, die nicht versichert sind.
Die werden massive Probleme bekommen.
ZEIT: Während Sie vielleicht zum Profiteur der
Krise werden könnten – Sie bekommen Geld von
der Versicherung und kaufen damit ein paar Pleite-
kollegen auf.
Schwenkow: Es gibt etwa 400 Veranstalter in
Deutschland, viele davon sind ganz klein. Natür-
lich wird es zu einer Marktbereinigung kommen,
und viele gehen kaputt. Vielleicht werden wir uns
an dem einen oder anderen beteiligen. Aber schon
die Menge an Arbeit – insbesondere die Nach-
wuchspflege junger Künstler – ist so groß, das kön-
nen wir auf die Schnelle gar nicht übernehmen.
ZEIT: 2019 hat die DEAG 185 Millionen Euro
Umsatz gemacht. Was erwarten Sie für 2020?
Schwenkow: Schwer zu sagen, weil wir das vierte
Quartal noch nicht vorhersehen können. Aktuell
rechnen wir mit rund 40 Prozent weniger Umsatz.
Viel besser wird’s nicht werden.
ZEIT: Die Bundesregierung hat eine Reihe von­
Soforthilfen ermöglicht. Nutzt Ihnen das etwas?
Schwenkow: In Deutschland wurde herausragend
schnell reagiert. Wir nutzen Kurzarbeit, das funk-
wird staatlich subventioniert, damit sie sich jeder
leisten kann und damit Kultur in hoher Qualität
unabhängig bleiben kann. Das betrifft vor allem
Opern, Theateraufführungen und Orchesterkon-
zerte. Zwei Drittel der Angebote hingegen, dabei
geht es um 3,5 Milliarden Euro pro Jahr, sind wie
wir rein privatwirtschaftlich organisiert. Das nützt
dem Staat eine Menge: Nicht nur, dass wir keine
Subventionen erhalten. Wir zahlen auch Steuern,
Beiträge zur Gema und zur Künstlersozialkasse.
Wenn nichts passiert, bricht der privat finanzierte
Teil der Kultur zusammen. Das ist absolut sicher.
ZEIT: Was tun?
Schwenkow: Spätestens im September brauchen wir
einen Kulturfonds in einer Größenordnung von
etwa 580 Millionen Euro. Einmalig, wohlgemerkt!
Damit können wir die gesamte privatwirtschaftliche
Kulturarbeit und über 100.000 Arbeitsplätze retten.
ZEIT: Damit reihen Sie sich ein in die lange Warte-
schlange jener, die Geld vom Staat wollen.
Schwenkow: Das ist eine einmalige Unterstützung.
Und außerdem zahlen wir ja wieder Steuern und
damit auch die Finanzhilfe zurück. Unser Problem
ist, dass wir als Veranstalter nicht ins Kulturressort,
sondern in die Zuständigkeit des Wirtschaftsminis-
ters fallen. Und für Peter Altmaier sind wir Tingel-
Schwenkow: Ein Clubkonzert mit DJ wird es als
Allerletztes geben. Wir würden wohl ausschließlich
mit bestuhlten Veranstaltungen beginnen und
müssen den Abstand zwischen den Reihen und
Sitzen vergrößern. Vielleicht sitzen dann zwei bei-
einander, die gemeinsam zu dem Konzert gehen,
und der Nächste sitzt dann etwas weiter weg. Sol-
che Konzepte erarbeiten wir gerade.
ZEIT: Mehr Abstand bedeutet weniger Menschen
in der Halle und damit weniger Tickets. Müssen
Konzertkarten dann teurer werden?
Schwenkow: Wenn man in eine Halle für 8000
Leute nur 5000 Leute reinlassen kann, wird kein
Veranstalter einem Künstler die Gage für eine volle
Halle zahlen. Vielleicht werden die Tickets zehn
Prozent teurer, aber mehr auch nicht. Wir schlid-
dern ja auch in eine Rezession. Schon deshalb wer-
den wir die Preise nicht großartig anheben können.
Das Gespräch führte Marcus Rohwetter
Peter Schwenkow ist Vorstandschef
des Konzertveranstalters
Deutsche Entertainment AG
(DEAG) aus Berlin

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29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Gefährdet die Corona-App die Demokratie?
Ja, argumentiert THOMAS FISCHERMANN : Der Nutzen der neuen Überwachung per
Handy ist kaum erwiesen, aber bürgerliche Freiheiten schränkt sie ein
N
ach dem Terroranschlag auf das World
Trade Center habe ich ein paar Jahre in den
USA gelebt. Ich beobachtete damals das
Abrutschen der freiheitsliebenden und
obrigkeitsskeptischen USA in eine angst-
getriebene Nation. Zunehmend wurden an jeder Ecke
Terrorgefahren durch Sprengsätze, Biowaffen oder
Flugzeugentführungen vermutet. Entsprechend wurden
Schutzmaßnahmen verordnet und akzeptiert.
Damals erfuhr ich auch, dass man die Leute in Krisen-
zeiten von quasi jedweder Freiheitsbeschränkung überzeugen
kann: Vor dem Abflug muss man stundenlang anstehen und
seine Schuhe röntgen lassen? Ständig im ganzen Land an
allen möglichen staatlichen und nicht staatlichen Kontroll-
punkten seinen Ausweis vorzeigen? Kein Problem, ich habe
nichts zu verbergen! Freiheitseinschränkungen dieser Art
haben sich damals von den USA aus in die ganze Welt ver-
breitet, und ich lernte, dass sie bleiben. Auch dann, wenn
ihre Nützlichkeit kaum nachgewiesen ist. Es liegt an der
Macht der Gewohnheit, an der Fürsprache berufsmäßig
paranoider Sicherheitsexperten und an den Lobbys mitver-
dienender Dienstleister.
Daran erinnern mich die Pläne für die Coronavirus-App.
Sie soll unsere Handys zu Spionen machen, die unsere Auf-
enthaltsorte und vor allem unsere Begegnungen erfassen,
um später mögliche Ansteckungsopfer warnen zu können.
Das mag gegen die Pandemie helfen oder nicht. So ein-
deutig kann man das bisher aus den Erfahrungen mit solchen
Apps nicht sagen, die in anderen, autoritärer verfassten
Staaten schon angewendet werden.
Aber die Privatsphäre wird auf jeden Fall eingeschränkt,
und die ist Teil unserer Demokratie. Also müssen wir uns
das gut überlegen. Ich persönlich habe Bedenken.
Schwierige Technik, zögerliche Politik
Der Gesundheitsminister hört zwar jetzt auf die Experten. Trotzdem wird es dauern, bis eine App vor Corona-Ansteckungen warnt  VON ANNA MAYR
N
ur weil sich Jens Spahn für etwas entscheidet,
wird es dadurch noch lange nicht umsetzbar.
Und während Entwickler, Wissenschaftler,
Start-ups und Projektmanager seit Wochen
an Lösungen arbeiten, besteht die politische
Choreografie seit Wochen aus einem Vor und Zurück.
Ende März fing das an. Bundesgesundheitsminister Spahn
zog einen schwammig formulierten Gesetzesentwurf zurück.
Darin stand, dass Gesundheitsbehörden künftig Handy-Stand-
ortdaten auswerten dürften, um Kontaktpersonen von Covid-
19-Erkrankten zu finden. Israel macht das zum Beispiel so.
Manche Staaten brauchen keine App, um ihre Bürger zu
überwachen. Sie müssen nur das maximale Überwachungs-
potenzial ihrer Sicherheitsbehörden oder Geheimdienste aus-
schöpfen, um zu wissen, wer sich unter welcher Handy­
nummer wo aufhält. In Europa kann das so niemand wollen.
Was man aber will: eine App, die Menschen sich freiwillig
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Unterschiedliche Szenarien
Rahmenbedingungen
Unsere Reise
Informieren Sie sich jetzt unter kmu.unisg.ch
Meine Sorgen haben wenig damit zu tun, ob die er-
fassten Daten nun dezentral gespeichert werden, also zum
Beispiel auf meinem eigenen Handy, oder ob man sie
gleich zu einem zentralen Computer weiterschickt. Un-
angenehm finde ich, dass wir uns überhaupt an eine sol-
che neue Überwachung gewöhnen. Anfangs ist alles frei-
willig, so wird es ja auch am leichtesten akzeptiert. Aber
Handyhersteller bauen die technischen Voraussetzungen
schon in die Geräte ein. Politiker erklären ihre Nutzung
zur staatsbürgerlichen Tugend. Virologen mahnen zu
Recht an, dass erst eine kritische Masse von Benutzern das
System zum Laufen bringt.
Im nächsten Schritt entsteht dann doch eine Art Zwang.
Mit eingeschalteter Corona-App herumzulaufen ist dann
das neue Normal, die Grundeinstellung im Handy. Ich kann
mir gut vorstellen, dass die Corona-App bald auch zur­
Voraussetzung wird, um am bürgerlichen Leben teilhaben
zu können. Vielleicht kommt man ohne nicht mehr in einen
städtischen Park, ein privates Einkaufszentrum, eine unter-
nehmerische Hauptversammlung oder in die Tagung eines
Stadtrat-Ausschusses. Dort wird es Zugangskontrollen geben,
aber auch sozialen Druck: Schauen Sie sich den an! Der läuft
frei herum und hat nicht mal sein Handy an!
Wieder verschwinden wird die neue Technik nicht, da-
gegen spricht alle Erfahrung. Nach Corona stellt man sich
auf das nächste Virus ein. Und lassen sich für die Technik
hinter der Corona-App nicht attraktive neue Nutzungs-
möglichkeiten entdecken? Verlorene Schlüssel wiederfinden?
Dates mit attraktiven Passanten ausmachen? Stadtweite
Gruppenspiele veranstalten? Das gleiche T-Shirt kaufen, das
der Sitznachbar in der U-Bahn trägt? Die neu entstehende
Überwachungstechnik bringt vielerlei Nutzen, ja. Sie kostet
aber auch bürgerliche Freiheiten.
herunterladen und die Nutzer alarmiert, wenn sie mit einem
Corona-Positiven in Kontakt gekommen sind.
Dazu müssten Handys untereinander Kontaktdaten aus-
tauschen. Sie müssten aufzeichnen, wenn sie längere Zeit in
der Nähe eines anderen Handys waren. Wenn sich später
herausstellt, dass einer der Handy-Besitzer den anderen viel-
leicht angesteckt haben könnte, müsste eine Warnung ver-
schickt werden. Das kann sogar passieren, ohne die Identität
der Nutzer offenzulegen.
Im Prinzip kann das über die Bluetooth-Technologie funk-
tionieren, mit der heute quasi alle Handys untereinander und
mit Zubehör wie Kopfhörern kommunizieren können. Aber
so eine Anwendung hat es noch nie gegeben. Und Bluetooth
wurde nicht dafür geschaffen, den ganzen Tag im Hintergrund
zu laufen, zumal sich die Batterie dann schnell entleert.
Die Aufgabe ist technisch hochkompliziert, und dazu
kommen europäische Anforderungen an den Datenschutz.
Weiterbild
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lein-undM ittel-
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verab schied et.
entw ickelt.
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verstan den .
Nein, entgegnet JENS TÖNNESMANN : Die Corona-App beraubt uns
nicht unserer Freiheit – sie gibt sie uns wieder zurück
V
ergangene Woche habe ich einen Brief be-
kommen, der mich verärgert, aber auch ge-
freut hat. In ihm steckte eine zehnseitige Ta-
belle, darin aufgelistet: meine Anschrift,
meine Handynummer, meine Personalaus-
weisnummer. Und viele weitere Daten, die ich dem Auto-
verleiher Buchbinder anvertraut hatte – und die dann im
Netz einsehbar waren, weil das Unternehmen einen Server
nicht gesichert hatte. Erst als wir im Januar darüber be-
richteten, stopfte Buchbinder das Datenleck, das außer
mir Millionen weiterer Kunden betraf. Jetzt musste die
Firma im Detail auflisten, welche Daten von mir damals
einsehbar waren.
Einem Unternehmen oder einer Behörde die eigenen
Daten anzuvertrauen ist eine Wette auf die Zukunft: Selbst
wenn derjenige sie heute schützt, können sie morgen in
falsche Hände geraten; selbst wenn er sie heute in meinem
Sinne verwendet, könnte er sie morgen zweckentfremden.
Zu Recht warnt der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter
Edward Snowden davor, dass Staaten die Corona-Pandemie
ausnutzen könnten, um ihre Bürger genauer zu überwachen.
Doch diese Argumente wiegen nicht den Nutzen einer
App auf, der ich ein positives Corona-Testergebnis mitteilen
kann und die dann all jene warnt, die sich zuletzt in meiner
Nähe aufgehalten haben. Dank einer solchen App könnten
wir wieder ins Restaurant, ins Theater oder zur Arbeit
gehen – im Vertrauen darauf, dass zu Hause bleibt, wer wo-
möglich ansteckend ist. Die Corona-App beraubt uns nicht
unserer Freiheit – sie gibt sie uns wieder zurück.
Die Debatte um die App hat gezeigt, wie gut unsere De-
mokratie funktioniert, und sie hat zu einem vernünftigen
Ergebnis geführt. Die nun geplante App soll nur auf meinem
Smartphone speichern, welchen anderen Nutzer ich begegnet
Kenneth Paterson von der ETH Zürich ist Teil einer Initiative
aus Wissenschaftlern in ganz Europa, die daran arbeiten, dass
alle Daten, die die App erzeugt, dezentral auf den Smartphones
gespeichert bleiben, anstatt sie auf einem zentralen Server zu
sammeln. Der Programmcode, den Paterson und seine Kol-
legen entwickeln, wird zudem online veröffentlicht. Einerseits
weil Transparenz Vertrauen in der Bevölkerung schafft. An-
dererseits weil basierend auf diesem Code jeder Staat seine
eigene App bauen kann. So könnte ein französisches Handy
auch mit einem deutschen oder litauischen Handy eine Be-
gegnung speichern.
Mit Apple und Google war das bereits besprochen, und
die Handy-Hersteller versprachen, dass sie mithelfen würden.
Sie müssen dafür die Bluetooth-Einstellungen in ihren Be-
triebssystemen ändern. Die Forscher erzählen, dass Apple und
Google ihnen sogar zugesagt hätten, den Code, der dabei
herauskommt, öffentlich zu machen.
Absolventen Seminar für Familienunternehmen
WIRTSCHAFT 25
bin. Dazu tauschen die Smartphones Zahlencodes aus, ohne
Illustration: Joni Majer für DIE ZEIT
Identitäten preiszugeben – weder anderen Nutzern, noch den
Behörden. Richtig ist auch, dass die App freiwillig ist: Meine
Mitmenschen zu schützen ist für mich Grund genug, sie zu
nutzen. Nur wenn die Zahl der Infektionen wieder exponen-
tiell steigt, sollte die App zur Pflicht werden können.
Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, woran un-
sere Demokratie oft noch leidet: Nicht an zu viel Techno-
logie, sondern an zu viel Bürokratie. Wie das Portal netz-
politik.org berichtet hat, faxen Labore die Ergebnisse von
Corona-Tests an Gesundheitsämter, in denen Hunderte
Mitarbeiter die Daten abtippen, mühevoll Kontaktpersonen
informieren und Quarantänen verordnen. Auch dieses
Prozedere erfordert, dass Betroffene den Behörden viel über
sich verraten. Nur kostet es wertvolle Zeit, in der sich das
Virus ausbreiten kann. Mit einer App fließen die Informa-
tionen schneller und zuverlässiger. Sie spart nicht nur Res-
sourcen, sondern kann Leben retten.
Aus weniger wichtigen Motiven verraten die meisten
von uns heute schon den großen Datenkonzernen, wo sie
sich aufhalten, was sie erleben, was sie so denken und wer
ihre Freunde sind. Manche geben sogar preis, wie schnell
ihr Herz schlägt, während sie joggen. Mit diesen Daten
würden die Firmen gerne alles tun, um ihren Profit zu
maximieren. Daran hindern sie Gesetze wie die Daten-
schutz-Grundverordnung, der ich den Brief voller Daten
zu verdanken habe. Sie ist für mich das Ergebnis einer
funktionierenden Demokratie, genau wie die geplante
Corona-App. Und genauso wie niemand bezweifelt, dass
Kontaktsperren und Versammlungsverbote nach der Pan-
demie wieder aufgehoben werden, dürfen wir darauf ver-
trauen, dass unsere Politiker dann auch die App wieder
einmotten.
Am Freitag allerdings sprach sich Jens Spahn dafür aus,
dass alle Daten auf einem Server im Robert Koch-Institut
(RKI) gespeichert werden. Ein Wunschtraum: Sowohl Apple
als auch Google lehnen diese zentrale Speicherung ab – und
sogar aus Kreisen des RKI heißt es, man sei von den Server-
Plänen überrascht gewesen und könne mit den Daten epi-
demiologisch auch gar nichts anfangen. Dass die Regierung
am Sonntag wieder zurückruderte, war also weniger eine Ent-
scheidung als eine Anpassung an die Realität.
An einer Benutzeroberfläche für die App bauen mehrere
deutsche Start-ups seit Mitte März, aus eigener Initiative. Wenn
die Entwickler um Kenneth Paterson am 11. Mai fertig sind
und Google und Apple bis zum 15. Mai ihre Betriebssysteme
angepasst haben, müssen die Bausteine zusammengesetzt
werden. Und all die Arbeit wäre vergebens, wenn nicht min-
destens 50 Millionen Menschen im Land die App installieren.
Das ist die kritische Masse, ab der das Warnsystem funktioniert.
Rebecca Froelich & Familie,
Froelich AG
Absolventin Intensivstudium und
 26 WIRTSCHAFT
Allein durchquerte Felicity Aston den Kontinent Antarktika – als erster Mensch überhaupt ohne technische Hilfsmittel. Was die Engländerin
in Krisenmomenten motivierte: Männer, die einer Frau so etwas nie zugetraut hätten. Folge 15 der ZEIT-Serie über Pionierinnen  VON URS WILLMANN
S
ie schloss die Augen, damit die Oh-
ren sich auf das Verschwinden des
Lärms konzentrieren konnten. Ein
paar Atemzüge noch, dann war das
Motorenbrummen nicht mehr zu
hören, ausgelöscht von der Stille.
Felicity Aston öffnete die Augen
wieder. Das Flugzeug, das sie abgesetzt hatte: end-
gültig weg. Sie blieb regungslos stehen, atmete die
eisige Luft ein, und noch heute erinnert sie sich
daran, wie »brutal aufdringlich« plötzlich jede noch
so kleine Bewegung klang, vor allem »das Styropor-
quietschen meiner Stiefel im Schnee«.
Die geschärfte Sensorik sollte Aston durch jeden
der 59 Tage begleiten, an denen sie unter ihren
Stiefeln nur die Skier hatte und Schnee. So durch-
querte sie 2011/12 vom Ross-Schelfeis aus den 14
Millionen Quadratkilometer großen Kontinent Ant-
arktika. Als erste Frau allein. Im Schlepptau hatte sie
zwei Schlitten, beladen mit 85 Kilogramm Gepäck:
Zelt, Schlafsack, Zahnbürste, Navi, Satellitentelefon,
Brennstoff zum Kochen. Zum Essen hatte sie ge-
friergetrocknete Menüs dabei und natürlich Erdnuss-
butter, die kulinarische Geheimwaffe geübter Aus-
dauerextremisten – viele Kalorien, wenig Gewicht.
Als nach 1744 Kilometern am 23. Januar 2012 in
der Herkulesbucht ihre Strapazen zu Ende gingen,
twitterte sie eine Frage in die Welt hinaus, die sie
immer wieder gequält hatte, wenn sie sich durch die
Eiswüste gekämpft oder im Zelt auf besseres Wetter
gewartet hatte: »Was mache ich hier bloß?«
Es mutet absurd an, mit einer der größten Aben-
teurerinnen aller Zeiten zu sprechen, während diese
zu Hause festsitzt. Aber natürlich kann auch Felicity
Aston im April 2020 nicht einfach von ihrer Insel
Vigur in den Westfjorden Islands flüchten und reisen.
Das Eiland ist nur zwei Kilometer lang und 400
Meter breit. Sie hat es im vergangenen Jahr mit ihrem
Mann gekauft – einem Isländer, der im antarktischen
Sommer für die Versorgung der Amundsen-Scott-
Station am Südpol zuständig ist.
Corona erlaubt keine Expedition, keine Arbeit als
Instruktorin oder ­Guide auf den Gletschern, keinen
Vortrag irgendwo auf der Welt, in dem sie von ihren
Heldinnentaten berichten kann. Immerhin lässt ein
meteorologisches Ereignis, mit dem Aston sich aus-
kennt, die WhatsApp-Verbindung aus ihrem Home-
office verwildern: »Es zieht grad ein Sturm auf«, sagt
sie belustigt. Alle paar Sekunden knackt und rauscht
es abenteuerlich in der Leitung. Als zweiter Störfaktor
ist ein Kleinkind auszumachen.
Erste Frau allein: Es ist ihr häufigstes Attribut. So
würdigt sie das Guinness Buch der Rekorde. Als die
britische Königin sie 2019 zum privaten Lunch emp-
fing, stand ebenfalls in den Zeitungen, Elisabeth II.
habe jene Frau empfangen, die als Erste solo die ant-
arktische Landmasse durchquert habe. Unterschlagen
wird fast immer, dass Aston auch die Männer über-
traf. Denn mit jener Leistung stellte sie einen zweiten
Rekord auf. Kein Mensch hat vor Aston die Passage
allein und ohne technische Hilfsmittel geschafft. Im
Fachjargon: unassisted. Der Norweger Børge Ousland
war 1997 der Erste, der den Solotrip schaffte; doch
er ließ sich von einem Drachen ziehen.
Aston gelang die Durchquerung einzig mit der
Kraft der eigenen Muskeln. Dass das Geschlecht bei
der Interpretation ihrer Leistung die zentrale Rolle
einnimmt, bringt sie sowohl in Rage als auch zum
Lachen. Roald Amundsen, Robert Falcon Scott und
Ernest Shackleton sind die drei bekanntesten Aben-
teurer, die mit ihren spektakulären Leistungen dafür
sorgten, dass Polarforschung fast ausschließlich als
männliche Spezialität wahrgenommen wird. Amund-
sen erreichte als Erster den Südpol. Scott war 35 Tage
später dort – und verstarb auf dem Rückweg.
Shackle­ton wurde vor allem berühmt, weil er nach
dem Scheitern immerhin seine Besatzung retten
konnte. Doch das goldene Zeitalter der Antarktis-
Forschung ist ein Jahrhundert her. »Es langweilt
mich, zu hören, Polarexpeditionen seien Männer-
domäne. Es gibt so viele Frauen, die das längst genau-
so tun«, sagt Aston.
Die heute 42-jährige Engländerin aus der Graf-
schaft Kent zog es nach dem Studium der Physik und
der Meteorologie umgehend in die Kälte. Von 2000
bis 2003 arbeitete sie fürs Polarforschungsprogramm
British Antarctic Survey als Klimaforscherin. Den
Foto: Heiða Helgadóttir für DIE ZEIT; ZEIT-Grafik/Quelle: The Explorers Club ®
Schlüsselmoment, den sie dort erlebte, beschreibt sie
in ihrem Buch ­Alone in Antarctica. Um die Gegend
zu erkunden, hatte sie sich mit dem Schneemobil
vom Stützpunkt entfernt. Als sie unter dem Himmel
nur noch Weiß sah, stockte ihr der Atem. Sie nahm
den Daumen vom Gas, brachte die Maschine zum
Stehen und ließ die ganze Euphorie zu, die in ihr
wogte wie ein Wellenmeer. Sie streckte die Arme von
sich, »als könnte ich sie über die ganze Landschaft
ausbreiten«. Der Drang, der damals in ihr aufstieg,
hat sie seitdem nie verlassen: Ȇber die makellose
Oberfläche schweben, mich in der Weite verlieren.«
Aston begann, die irdischen Eiswüsten in spekta-
kulären Expeditionen zu erkunden – nicht als Sport,
wie sie sagt, sondern als »Hommage an die Natur«.
Vor allem sorgte sie mit reinen Frauenteams für Fu-
rore. 2005 führte sie die erste ausschließlich weiblich
besetzte Truppe auf Skiern über 360 Meilen durch
SER I E: DI E E RST E (15 )
Bis hinter den Horizont
1977
Die Engländerin wird in Sie arbeitet als Meteorologin
Birchington-on-Sea geboren
die kanadische Arktis: 6. Platz in der Polar Challenge
– 16 Teams waren angetreten. 2006 durchquerte sie
den grönländischen Eisschild – nur mit Frauen. 2009
leitete sie die siebenköpfige Gruppe, die als erstes
komplett weibliches Team auf Skiern den Südpol
erreichte. Dennoch hatte Aston die herrschende Mei-
nung, Expeditionen im Eis seien Männersache, noch
immer nicht aus der Welt geschafft (das spürte sie,
wenn sie Organisationen um Finanzierung bat). Aber
wenigstens lernte sie, das hartnäckige Vorurteil für
ihre Zwecke zu nutzen. Als Motivationshilfe.
Eine solche brauchte sie am 25. November 2011
bereits in den ersten Minuten. Ihr Solotrip durch
Antarktika begann mit einer astreinen Panikattacke.
Nach dem Verschwinden des Flugzeugs wurde Aston
klar, dass sie anders allein war als im Fahrstuhl oder
in einer Gruppe Fremder. Sie stolperte über die eige­
nen Füße, ließ Dinge in den Schnee fallen – »Ama-
teurfehler«. Ihre Brust verengte sich, das Herz raste,
Nächste Woche Teil 16 der Serie: Die Bahn-Managerin Sigrid Nikutta Zuletzt erschienen: Die »Tagesschau«-Sprecherin Dagmar Berghoff
Felicity Aston
2000 2011/2012 2015
Als erste Frau durchquert Member of the Order of the
in der Antarktis Aston allein Antarktika British Empire und Polar Medal
das Adrenalin »kroch in jede Fingerspitze«, die Beine
zitterten. »Jede Faser meines Körpers schrie mich an,
dass etwas schrecklich falsch war«, erinnert sie sich.
Der Vergleich Sie hatte keine Angst um Leib und Leben, »es war die
Einsamkeit selbst, die mich erschreckte«.
88 Männer
Umgehend begann sie gegen die psychischen
wurden bislang für Schwierigkeiten anzuarbeiten. Kleine Hürden (wie
ihre Pioniertaten mit Anflüge von Faulheit) bewältigte sie mit Selbst­
der Medaille des bestechung. »Ich sprach zu mir: Gib nicht auf, du
Explorers Club bekommst Schokolade.« Auf komplexere Kalamitä-
ausgezeichnet ten reagierte sie, indem sie sich vorstellte, sie würde
für eine Realityshow gefilmt: »Eine kleine Kamera in
der Ecke des Zeltes beobachtet dich. Was soll die Welt
von dir sehen?« Die größte Hilfe aber waren jene
6 Frauen Männer, die nicht an sie, nicht an die Frauen glaub-
ten. »Ich sagte mir: Wenn ich jetzt aufgebe, behalten
jene recht, die mich unterschätzen.« Dieses Gedan-
kenspiel, verrät sie – während erneut der heraufzie-
hende Sturm über Island an der Telefonverbindung
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
nagt –, sei oft der einzige Weg gewesen, morgens aus
dem Zelt herauszuklettern.
Die »Anfälle«, während derer sie nichts anderes
wollte, als im Schlafsack liegen zu bleiben, beschreibt
sie in ihrem Buch minutiös und beklemmend. Ihr
»Hilleberg« – der Markenname des Zelts wandelte
sich unterwegs zum Kosenamen – war für Aston zwar
Burg und Schoß für unterwegs, wenn draußen ta-
gelang der Wind pfiff. Dennoch vermochte das Zelt
ihr nicht die Angst zu nehmen. Auch dort gab es
»kein Verstecken vor der Realität, dass ich allein war«.
Folglich erwachte sie wochenlang mit dem Gedan-
ken: »Ich kann nicht raus und dem neuen Tag ins
Gesicht sehen.« Den Spruch, der ihr half, hatte sie im
Buch eines norwegischen Abenteurers gefunden und
noch im Base­camp mit schwarzem Marker auf das
Zeltdach geschrieben: »Lass die Routine das Kom-
mando über die Gefühle übernehmen.« Zu den Rou-
tinen gehörten die symmetrische Ausrichtung der
Zeltschnüre, die genaue Kontrolle jedes Befestigungs-
ankers, der tägliche Anruf mit dem Satellitentelefon
im Kontrollzentrum.
Obwohl Aston darauf pocht, dass »mein Hirn
doch nicht grundsätzlich anders ist als das der Män-
ner«, unterscheidet sich ihr Abenteuer in der Nach-
betrachtung von denen männlicher Polarhelden.
Anders als diese prahlt sie nicht mit Kraftakten,
Kälterekorden, Mordsdistanzen. Sie fokussiert auf
die psychologischen Herausforderungen – und räumt
ein, dass ihre Art, eigene Leistungen zu betrachten,
sie »vielleicht« zum Vorbild für andere Frauen mache.
Für jene, »die glauben, etwas sei nicht möglich«.
Denen zeige sie, dass es sehr wohl gehe. Darin er-
kennen sich offenbar viele Zuhörerinnen wieder,
denen sie bei ihren Vorträgen begegnet – Mütter,
Beamtinnen, Managerinnen.
Eine Cello-Solistin schilderte ihr nach einem Vor-
trag, wie sehr sie sich beim Lesen des Antarktis-Buchs
mit Aston identifiziert habe: Wenn sie mit dem In-
strument auf die Bühne müsse und niemand ihr
dabei helfen könne, spüre sie »dieselbe Art des Allein-
seins«. Eine andere Frau berichtete Aston von ihren
Depressionen. Wie schwierig es gewesen sei, jeden
Morgen aus der Tür zu gehen – wie Aston aus dem
Zelt. »Etwas Kleines wird eine Riesensache, das war
exakt meine Erfahrung«, sagt die Abenteurerin. Es
amüsiere sie, wie viele Menschen mit unterschied-
lichsten Lebensstilen plötzlich Gemeinsamkeiten
zum eigenen Alltag entdeckten, wenn sie ihre Iso­la­
tion schildere, die sie auf einem Gletscher am 89.
Breitengrad bei minus 35 Grad Celsius erlebt habe.
Ihr selbst halfen die Expeditionen, Stolz zu emp-
finden: »Ich war nie sehr beeindruckt von mir selbst.«
Nun sehe sie, was sie erreicht habe: »Es war richtig
tough.« Ihre größte Angst unterwegs: Wie finde ich
heraus, ob ich anfange, verrückt zu werden? Um in
der Leere den Geist am Leben zu erhalten, sprach sie
stundenlang mit der Sonne – für sie bis heute nach-
vollziehbar: »Sie war mit Abstand das prominenteste
Feature, der Rest war ja nur leere Landschaft.«
Sogar davon, dass die Sonne antwortete, ließ sie
sich nicht beunruhigen. Mit Halluzinationen hatte
sie gerechnet: »Visionen sind normal, wenn dem Hirn
andere Daten fehlen.« Heikel werde es erst, wenn
zwischen real und eingebildet nicht mehr zu unter-
scheiden sei. »Aber solange du Halluzinationen als
solche erkennen kannst: kein Problem.« Ab und an
habe sich das Problem jedoch verkompliziert. Denn
die Sonne habe zu ihr gesprochen: »Wenn du mich
nicht für real hältst, dann werde ich nicht mehr mit
dir sprechen.« Die Ebenen, auf denen das Hirn ar-
beite, seien wirklich erstaunlich, findet Aston.
Felicity Aston entschied danach trotzdem, ihren
Verstand nicht noch einmal zu riskieren. So allein wie
in den 59 Tagen will sie in ihrem Leben nie mehr sein.
Stattdessen gebe es andere Herausforderungen, ge-
nauso spannende. Vor zwei Jahren trainierte sie ein
Multikultiteam; am Ende folgten ihr auf Skiern zehn
Frauen aus Katar, Saudi-Arabien und Russland zum
Nordpol. Es war wohl eine der letzten Gelegenheiten.
Wegen der Klimaerwärmung hält sich im Sommer
keine stabile Frostdecke mehr. »In fünf Jahren wird
es mit solchen Touren vorbei sein«, sagt Aston. Besser
sind die Aussichten im Süden. Auf dem antarktischen
Festland gibt es unentdeckte Landschaften zuhauf
(und einige, die bisher nur sie gesehen hat).
Neue Rekorde will Aston keine mehr jagen.
Spricht sie jedoch von ihrem alten, hört man heraus,
wie sehr etwas an ihr nagt. Denn: Der Erfolg hätte
größer sein können, wäre sie nicht nur unassisted,
sondern auch unsupported unterwegs gewesen – ohne
jegliche Hilfe. Das ist in der Zwischenzeit einem
Amerikaner gelungen, wenn auch auf kürzerer, teils
planierter Strecke. Felicity Aston jedoch hatte sich an
zwei Orten Pakete mit Verpflegungsnachschub de-
ponieren lassen. Hätte sie die Durchquerung ohne
Support versuchen sollen? Sie hätte 35 Kilogramm
mehr schleppen müssen – dafür wäre es im Erfolgsfall
ein Rekord ohne jeglichen Makel geworden.
Sie bereue ihre damalige Entscheidung nicht, sagt
sie. Schließlich bewegte sie sich ja durchaus am Limit.
Nur manchmal kitzle es sie ein wenig. Vielleicht
hätte sie es geschafft, vielleicht auch nicht. Dann säße
sie hier und spräche darüber, eine Reise nur fast ge-
schafft zu haben. Oder sie säße gar nicht hier.
29. A P R I L 2 0 2 0 D I E Z E I T N o 1 9
Ein System wankt
Die Schulen in Deutschland öffnen wieder. Und schon stellen sich ungewohnte Fragen: Wann brauchen
Schüler überhaupt einen Lehrer? Und wozu genau?  VON JEANNETTE OTTO UND MARTIN SPIEWAK
Das Abitur an der Stadtteilschule Winterhude in Hamburg wurde am Freitag letzter Woche wie in jedem Jahr geschrieben – aber sonst ist dort nichts mehr, wie es war
S
elten war Heino Schäfer in sei-
nem Lehrerleben so aufgeregt. Als
schriebe er das Abitur, nicht seine
Schüler. Die Prüfungsräume an der
Hamburger Stadtteilschule Win-
terhude sind perfekt vorbereitet,
die Einzeltische weit auseinander-
gestellt, 1,50 Meter Mindestabstand. Die Türen
offen, damit nicht jeder die Klinke drückt, Desin-
fektionsmittel am Eingang und Einmalhandschu-
he auf dem Lehrerpult – die waren Schäfers Idee.
Er hat sie in der Drogerie besorgt, für alle, die sich
beim Blättern im Duden schützen wollen.
Es ist Tag zwei der schriftlichen Prüfungen, gestern
Politik und Wirtschaft, heute Geschichte, übermorgen
Englisch. Die Jugendlichen müssen draußen warten,
bis man sie abholt. »Keep distance and smiling«, haben
die Lehrer auf eine Stellwand geschrieben, daneben
der Aufruf für eine Projektreise: »Komm mit nach
Kamerun«. Guter Witz. Gelassen sitzen die Prüflinge
auf einer Bank nebeneinander, so wie sie das immer
gemacht haben, früher. Abstand halten sie nicht.
Heino Schäfer kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Schüler
das tatsächlich aushalten: sich nicht anzufassen, zu
umarmen, huckepack über den Schulhof zu tragen.
Jetzt ist Schäfer erst mal froh, dass sie da sind.
Lange war der Leiter der Oberstufe nicht sicher, ob
das Abitur in diesem Frühjahr der Pandemie statt-
finden würde. Zwei seiner Abiturienten starteten eine
Petition dagegen, Schäfer erzählt das nicht ohne Stolz.
Mehr als 130.000 Unterschriften haben sie in der
ganzen Republik gesammelt. Auch in der Politik
wurde darüber nachgedacht, die Prüfungen auszuset-
zen, nicht nur in Schleswig-Holstein. Viele Staaten
in Europa machen das so. Um den Schülern ent­
gegenzukommen, aber auch, um die Lehrer nicht
doppelt zu belasten. Denn die müssen nun, da über-
all in Deutschland der Schulbetrieb wieder beginnt,
neben den Klausuren auch eine ganz neue Idee von
Präsenzunterricht umsetzen. Im Schichtbetrieb, mit
Kleingruppen, Infektionsschutz und absoluter Dis-
tanz auch zwischen Schülern und Lehrern.
Fühlt ihr euch gesundheitlich in der Lage, diese
Prüfung zu schreiben?, fragt Schäfer in die Runde.
Alle nicken, keiner hustet. Na dann, viel Glück! Schä-
fer übergibt an seine Kollegin, die ihre Gesichtsmaske
zurechtzupft. Er selbst rennt rüber ins Hauptgebäude
der Schule zur täglichen Videoschalte.
WISSENCO R ONA
Die Schulleiterin Maike Schubert wartet schon.
Ihre Bürotür steht weit offen, seit Wochen kommt
hier keiner mehr rein, der aus der Nase blutet oder
sich beschweren will. So still ist es sonst nur in den
Ferien. So lange war es noch nie so still.
Jetzt soll Schubert die Klassenzimmer wieder auf-
schließen. Zuerst für die 9., 10. und 13. Klassen. An-
fang Mai kommen die 4. und 12. Jahrgänge dazu, im
Gymnasium auch die 6. und 11. Junge Menschen,
die eine Schule betreten – ein Ereignis, das Lehrer in
Aufregung versetzt. Einige in Panik. Macht das über-
haupt Sinn?, fragt ein Pädagoge aus dem Homeoffice.
Unser Digitalunterricht läuft doch gut! Wenn wir den
Abstand einhalten, passen in die Räume acht Schüler,
wie sollen wir alle unterkriegen? Wollen die Kinder
überhaupt kommen? Klar wollen die, ruft ein Lehrer.
Aber nicht wegen des Unterrichts!
Schubert kennt die Ängste der Pädagogen, vor
Ansteckung, aber auch vor dem Unbekannten.
Nach der Sturzgeburt des digitalen Unterrichts
stehen sie nun vor der nächsten großen Komplika-
tion. »Wir müssen da durch!«, sagt Schubert. »Wir
haben als Lehrer einen gesellschaftlichen Auftrag
zu erfüllen, genau wie Pfleger und Ärzte.«
Für die Schulleiterin beginnt Phase zwei einer
Schule, in der ganz anders gedacht und gehandelt
werden muss als bisher. »Jetzt geht es um die Frage,
wo Präsenzunterricht dem digitalen überlegen ist. Was
lernen die Kinder, wenn sie bei uns sind? Und wofür
nutzen wir den Fernunterricht?« Hier an der Stadt-
teilschule verlangen die Lehrer viel Eigenverantwor-
tung und Selbstorganisation von den Schülern. Das
hat das Unterrichten aus der Ferne leichter gemacht.
Mindestens ein-, zweimal am Tag haben die Lern-
gruppen Kontakt zu einem Lehrer. Aber was ist mit
jenen Kindern, die nicht so gut lernen, die man zu
Hause verliert? »Die verlieren wir auch hier, mitten
im Unterricht«, da macht sich Schubert keine Illusion.
Wenn die Viertklässler kommen, wird sich Andrea
Karlsberg um sie kümmern. Aber wie wird sie ihnen
klarmachen, dass Spielen und Turnen verboten sind
und dass in den Pausen nur kleine Gruppen auf dem
Schulhof erlaubt sein werden? Deutsch, Sachkunde
und Mathe sollen aufgeholt werden, das wünscht sich
die Behörde. Die eine Hälfte einer Klasse vormittags,
die andere danach. Karlsberg, verantwortlich für die
Primarstufe, fragt sich: »Müssten wir jetzt nicht auch
mit den Kindern verarbeiten, was sie in den Wochen
der Isolation erlebt haben?«
• R AUMFAH RT • BANAN EN
27
Der
Zweifel
Steckt mein
Kind an?
Wer Kinder im Kita-Alter hat, kennt
das: Jede zweite Woche ein neuer
Keim. Mal Durchfall, mal Erkältung,
und dann springt der Keim auf die
Eltern über. Auch während Influenza-
Pandemien gelten Kitas und Schulen
als Hotspots. Sie zu schließen scheint
Foto: Jonas Wresch für DIE ZEIT; Illustration: Timo Lenzen für DIE ZEIT
Ausbrüche zu bremsen. Gilt das ge-
nauso für das neuartige Coronavirus?
Sind Kinder Sars-CoV-2-Schleudern
und Kitas und Schulen Umschlag-
plätze für den Erreger?
Klar ist inzwischen, dass Kinder
daran weniger schwer erkranken als
alte Menschen. Sie müssen seltener ins
Krankenhaus und versterben – Säug-
linge einmal ausgenommen – eigent-
lich nie. Oft haben sie gar keine
Symptome. Das, so glaubt mancher
Wissenschaftler, ist gefährlich. Wer
nicht merkt, dass er ein Virus hat,
verteilt es nur umso besser.
An dieser Theorie mehren sich
Zweifel. Noch sind viele Daten, die
über die Rolle von Kindern in der Pan-
demie gesammelt wurden, vorläufig.
Vieles, was der Lehrerin aus Hamburg schwer vor- Erstklässler in ihren Klassenraum zurückkehren und Vor endgültigen Aussagen sollte man
stellbar erscheint, ist zweihundert Kilometer weiter ein Mädchen schnell zur Brotdose greifen will, wird sich scheuen. Aber schon jetzt zeigen
nördlich, an der Deutschen Schule im dänischen es vielstimmig ans »Händewaschen!!!« erinnert. sich Muster. Kinder scheinen seltener
Åbenrå, schon Realität. Per Skype führt die Rektorin Es gab Eltern in Dänemark, die skeptisch waren zu erkranken als Erwachsene. Ob in
übers Gelände, man kann dem siebenjährigen Gorm und mit einer Facebook-Gruppe (»Mein Kind ist kein Madrid, den USA oder Italien – Kinder
dabei zusehen, wie er auf dem Schulhof steht und die Versuchskaninchen!«) viel Aufmerksamkeit fanden. bekamen deutlich weniger positive
Am Ende aber waren bis auf zwei Kinder alle am
Arme ausbreitet. »Wie viel sind zwei Meter?«, fragt er. Testergebnisse ausgestellt als Erwach-
Sein Klassenkamerad Oke hält einen ausgeklappten ersten Schultag da, sagt Catarina Bartling, Schul­ sene, vor allem die unter zehn Jahren.
Zollstock dagegen und ruft: »Das ist viel mehr!« Da- leiterin in Åbenrå. Die 61-Jährige würde in Deutsch- Das scheint nicht allein daran zu
neben beugen sich Talia und Viola über einen Ast und land zur Risikogruppe gehören. Angst hat sie aber liegen, dass Kinder wegen der milden
erkunden mit einem Maßband seine Länge. keine: »Ich glaube, im Supermarkt ist es gefährlicher.« Verläufe seltener getestet werden – wo
Ihre Gelassenheit hat auch damit zu tun, dass sie sich dies mit vielen geschah, gab es ebenfalls
Vor Ansteckung hilft auch Unterricht von der dänischen Politik gut unterstützt fühlt.­ nur wenige Fälle. In der italienischen
unter freiem Himmel Corona-Aufklärungsfilme, ein nationaler Hände- Kleinstadt Vo, die nach einem Aus-
wasch-Song und unzählige Plakate, die Kinder zum bruch alle 3000 Bewohner testete,
Messen, Zählen, Rechnen: Das sieht der dänische Abstandhalten motivieren: »Die dänischen Schulen schien sich kein Kind infiziert zu ha-
Lehrplan ohnehin vor. Jetzt brauchen die Erstklässler sind gut informiert«, sagt Bartling. Es stand alles parat, ben. Ebenso in Island, das besonders
die Fähigkeiten, um die Corona-Regeln zu lernen. als Kopenhagen das Signal zur Schulöffnung gab. gründlich agierte: In einer Stichprobe
Vor zwei Wochen hat Dänemark als erstes europä­ In Deutschland berichten Schulen häufig ande- fand man bei keinem der 848 Kinder
isches Land die Schulen wieder geöffnet. Anders als res. Egal, ob es um Öffnungsszenarien, Digitalstra- unter zehn das Virus im Rachen.
in Deutschland beginnen nicht die Abschlussklassen tegien oder Kommunikationsstile geht – niemals gibt Schaut man sich an, wer sich bei
mit dem Unterricht, sondern die Kinder der unteren es im föderalen Schulsystem nur eine Adresse oder wem ansteckt, sieht es danach aus, als
Jahrgänge. Eine bewusste Entscheidung der Politik, eine Entscheidung, es gibt immer 16. Und in diesen wären Kinder bei Corona keine­
um die Eltern jüngerer Kinder zu entlasten – sie Wochen stellt sich heraus, wer von den Ländern am besonders großen Virenschleudern.
sollen im Homeoffice zumindest ein paar Stunden besten »Krise kann«. Weltweit scheinen sie eher selten der
wieder ungestört arbeiten können. Neun Uhr morgens am vergangenen Mittwoch, sogenannte Indexfall zu sein, also der
Die Lehrerin Uta Boemke hat ihre erste Klasse der oberste Stab des Bildungsministeriums von Meck- Krankheitsfall, der – in einer Familie
geteilt, den Kuschelteppich verbannt, die Tische aus- lenburg-Vorpommern stimmt sich per Telefonschalte oder anderswo – neue Infektionen
einandergerückt. Die meiste Zeit verbringt sie mit ab. Die Ministerin Bettina Martin ist in der Leitung, nach sich zieht. Eindrucksvoll zeigen
den Kindern auf dem Pausenhof. Weil die Anste- Staatssekretäre, Pressesprecher – und Jenny Krebs. das Daten des niederländischen Ge-
ckungsgefahr dort am geringsten ist, soll Schule in Bis Ende Februar war sie für die Schulpsychologie im sundheitswesens. Infizierte steckten
Corona-Zeiten »Draußen-Unterricht« sein – das Haus zuständig (»Inklusion, Hochbegabung, se- laut Behördenzahlen im Gesamt-
sagen die Vorgaben aus Kopenhagen. Zudem dürfen xueller Missbrauch«), jetzt ist sie Leiterin des Corona- schnitt fünf bis zehn Prozent ihrer
die Kinder drinnen nur zu zweit, draußen höchstens Krisenstabs. Ihr Arbeitstag beginnt morgens um Kontaktpersonen an. Kinder steckten
zu fünft spielen. Gorm, Oke, Talia und Viola sind so sieben und endet oft erst um zehn Uhr abends. Da- fast niemanden an.  JAKOB S IMMANK
eine Truppe, jeder trägt ein grünes Armband. Auch zwischen: Sitzungen und Telefonate im Dauertakt.
in der Freizeit sollen nur sie sich treffen. Anfangs ging es um Klassenfahrten (»Darf man noch
»Natürlich ist das künstlich«, sagt Uta Boemke. nach Südtirol?«), Mitte März um den Unterrichts-
Wenn zu viele Köpfe zusammenstecken, macht die stopp. Heute geht es um das Hochfahren des Systems
Lehrerin ein Zeichen, indem sie die Hände aneinan- – und um Schutzmasken. »Wie ist der Stand?«, fragt
derlegt und sie dann auseinanderzieht. Mittlerweile die Ministerin in die Runde. Andere Bundesländer
habe sich die Klasse gut an das Distanzgebot ge- haben den Einkauf den Kommunen überlassen.
wöhnt. Aber unbehaglich, sagt Boemke, sei ihr die Mecklenburg-Vorpommern will seine Schulen zentral
Rolle als Aufpasserin über Abstandsregeln schon. Bei versorgen. Nur lässt die Lieferung aus Vietnam auf
Flatterband und roten Bodenmarkierungen denkt sich warten, jetzt soll der Flieger am Donnerstag in
mancher Erwachsene eher an einen Tatort nach­ Rostock landen. Doch wie verteilt man eine Millio-
einem Verbrechen als an eine Schule. Die Kinder nencharge, sodass alle ihren Anteil abbekommen,
sehen die Veränderungen als Abenteuer – und sind
stolz, wenn sie einen Regelverstoß entdecken. Als die Fortsetzung auf S. 28
28 WISSEN 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

CO R ONA

Die wollen nicht nur spielen

In der Debatte um die Kleinsten wird vergessen, wie viel sie in der Kita lernen – und zurzeit verpassen.
Ein Gespräch mit der Bildungsökonomin C. Katharina Spieß

DIE ZEIT: Die Kitas sind seit Wochen ge- bes Jahr Kita mehr oder weniger keine Rolle Spieß: Eine der großen Bildungsaufgaben der
schlossen, und niemand weiß, wie lange die spielt. Dabei haben Kollegen beispielsweise für Kitas ist beispielsweise die Sprachförderung.
Jüngsten noch zu Hause bleiben müssen. Wa- Norwegen gezeigt, dass Kitas bis weit ins Erwach- Kinder, die zu Hause kein Deutsch sprechen,
rum macht Ihnen das Sorgen? senenalter wirken. In den Siebzigerjahren wurde werden in diesen Wochen viel verlernen, was nur
C. Katharina Spieß: Den Kindern wird über­ dort die institutionalisierte Betreuung massiv aus- mühsam wieder aufgeholt werden kann. Erzieher
einen langen Zeitraum die Möglichkeit genom- gebaut. Jahrzehnte später sieht man nun, dass sich könnten zumindest versuchen, mit den Kindern
men, ihre Neugierde zu befriedigen und in der die Unterschiede zwischen denen, die eine Kita am Telefon zu sprechen. Eine halbe Stunde jede
Kita etwas zu lernen. Es geht viel verloren, was besucht haben, und jenen, die nicht in einer Kita Woche, das wäre besser als nichts.
Kinder für eine gute Entwicklung brauchen: waren, noch immer nachweisen lassen. ZEIT: Müssten nicht auch die Kita-Träger nach­
Sprachförderung etwa oder das spielerische Er- ZEIT: In Norwegen hat man trotz der Corona- Ideen suchen, damit ihre Mitarbeiter den Kon-
lernen von Fähigkeiten, die für das spätere Rech- Pandemie entschieden, die Kitas noch vor den takt zu den Familien nicht verlieren?
nen und Schreiben in der Schule wichtig sind. Grundschulen zu öffnen – ein klares Bekenntnis Spieß: Viele Träger sind vor allem mit Szenarios
Und natürlich fehlen ihnen auch ihre Erziehe- für die Kleinsten. für die stückweise Wiedereröffnung beschäftigt:
rinnen und der Kontakt zu Gleichaltrigen. Spieß: Man kann daran ablesen, wie Wie groß können die Gruppen wer-
ZEIT: Ist es so tragisch, wenn die Kinder jetzt zu sehr die Gesellschaft die frühkindliche den? Welche Hygiene braucht es? Das
Hause sind? Dort lernen sie doch auch. Bildung dort wertschätzt. Für mich ist sind wichtige Fragen, ich wundere
Spieß: Eltern, die versuchen, im Homeoffice ef- diese Krise ein Lackmustest: Wie ernst mich aber, wo die Stimmen der päda-
fektiv zu sein und nebenbei die Kinder zu be- meinen wir es eigentlich mit den gogischen Fachleute geblieben sind –
treuen, können niemals die vielfältigen Angebote Jüngsten? Wie wichtig sind uns ihre warum schlagen die nichts vor, was
ersetzen, die man in einer Kita findet. Gerade Rechte und Bedürfnisse? Dar­ü­ber dis- bundesweit Gehör findet?
Kinder aus Elternhäusern, die weniger Anregung kutieren wir viel zu wenig. ZEIT: Rächt sich nun, dass wir beim
bieten, profitieren besonders von dem Besuch ZEIT: Warum hört man so gar nichts C. Katharina Spieß Ausbau der Kitas immer nur über
einer guten Kita. Nicht umsonst haben wir in von den Erziehern selbst? Sie sind ge- leitet am DIW den Zahlen und Plätze geredet haben?
den letzten Jahren so viel Wert darauf gelegt, die radezu verschwunden. Bereich Bildung Spieß: Die Kita wurde häufig als Ort
Kita als Bildungsort zu stärken und sie für alle Spieß: Das hat auch mit dem Selbst- und Familie verstanden, um Müttern nach der El-
Eltern erschwinglich zu machen. verständnis dieser Berufsgruppe zu ternzeit den schnellen Wiedereinstieg
ZEIT: Um Bildungschancen, die verloren ge- tun. Im Moment sagt man, ihr seid zuständig für in den Job zu ermöglichen. Die Qua­li­täts­dis­kus­
hen, sorgt man sich allerdings gerade nur bei die Notbetreuung, also finden sich viele Erziehe- sion wurde verdrängt, bis heute gibt es keine ver-
den Schülern. rinnen und Erzieher mit dieser Aufgabe ab. Mir bindlichen Mindeststandards. Selbst das Gute-
Spieß: Das sagt viel aus über die mangelnde kommt es jedoch so vor, als würden viele der pä- Kita-Gesetz hat das nicht erreicht. Mit dem Geld
Ernsthaftigkeit, mit der wir als Gesellschaft auf dagogischen Fachkräfte gar nicht erkennen, wie vom Bund haben etliche Länder lieber die Eltern
die frühkindliche Bildung blicken. Es zeigt sehr ihr Wissen und ihre Fähigkeiten gerade auch beschenkt und von den Gebühren befreit.
sich, dass es die große Mehrheit nicht interes- jetzt gebraucht werden. Es fehlt vielfach an einem ZEIT: Auch jetzt diskutieren wir öffentlich vor
siert, ob jüngere Kinder in diesen Wochen umfassenden Professionsverständnis. Ich plädiere allem das Betreuungsproblem.
Foto: Tamara Eckhardt für DIE ZEIT; Barbara Dietl/DIW (r.)

überhaupt etwas lernen. Über die Kita reden schon lange dafür, die pädagogischen Fachkräfte Spieß: Das mag der Not geschuldet sein. Aber
wir doch vielfach nur noch, wenn es um die eher wie Grundschullehrer zu bezahlen und sie unsere Studien zeigen, wie sehr es auf die Qualität
Notbetreuung geht. wie in anderen Ländern Kita-Lehrer zu nennen. ankommt. Mütter arbeiten produktiver, wenn sie
ZEIT: Macht sich die Kita als Bildungsort gera- Eine solche Veränderung würde klarmachen, wie wissen, ihr Kind wird gut betreut und gefördert.
de überflüssig? viel der Beruf mit Bildung zu tun hat. Und sie verdienen sogar nachweislich mehr, wenn
Spieß: Ein relevanter Bildungsort jedenfalls ist ZEIT: Immerhin gibt es zaghafte Versuche: Er- das Kind eine gute Kita besucht. Ich frage mich,
die Kita gerade nicht mehr. Dabei wissen wir zieher schreiben Kindern Briefe oder spielen vor warum sich die Arbeitgeber nicht deutlicher dafür
aus Studien, wie groß der Gewinn für das Le- der Videokamera auf der Gitarre ein Lied. einsetzen, vor allem die stark belasteten Frauen
ben eines Einzelnen, aber auch für eine ganze Spieß: Das ist sehr gut gemeint und sicher auch besser zu unterstützen. Mühsam gewonnene Fach-
Gesellschaft ist, wenn möglichst viele Kinder hilfreich, genügt aber nicht für eine professionelle kräfte werden mit dem Druck der Krise gerade
eine gute Kita besuchen. Wenn sich Politiker Begleitung von Kindern. alleingelassen.
jetzt allein um Schulabschlüsse kümmern, ZEIT: Was sonst sollten sie tun? Was muss die
muss man daraus wohl schließen, dass ein hal- Kita besser machen, falls sie noch länger zu bleibt? Das Gespräch führte Jeannette Otto
Kinder ohne Gleichaltrige und ohne Erzieher?
Das kann kein Elternhaus kompensieren

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Ein System wankt  Fortsetzung von S. 27
auch das Gymnasium an der polnischen Grenze?
Die Lösung: Die zuständigen Schulämter arbeiten
jetzt auch samstags.
Die Tagesspiegel-App: Bildungsverwaltung ist per se langsam und
bürokratisch. »Jetzt zählen Schnelligkeit und
eine Schulpflichtverletzung«. Die Aufgaben der
Lehrer sollen »leistungsdifferenziert« formuliert
sein, das Feedback »zeitnah und konkret«.
Was die Kultusminister antreibt, ist die Ein-
sicht, dass der ersehnte Normalbetrieb so schnell
nicht kommen wird – womöglich nicht einmal
nach den Sommerferien. Das hieße Wechsel­

Rund um die Uhr MENÜ E-PAPER

Pragmatismus«, sagt Krebs. Eine andere Kunst in
der Krise: klare Ansagen, ohne wichtige Player zu
übergehen. Am 20. April erfuhren die Schulen des
unterricht, vielleicht bis ins Jahr 2021 hinein. In
der Weiterbildung ist ein solches Lernmodell schon
etabliert, die Schule aber könnte es mehr verändern

informiert mit Coronavirus in Deutschland –

Alle Zahlen im Überblick
Landes: In diesem Jahr bleibt kein Schüler sitzen.
Unterschrieben war der Brief nicht nur von der
Ministerin, sondern auch von den Rektorenver-
als alle Reformen der vergangenen Jahrzehnte.
An der Hamburger Stadtteilschule haben die
Lehrer viel darüber nachgedacht, welche Normali-

dem Tagesspiegel tretern des Landes. Über Nacht hatte das Ministe-
rium die neuen Versetzungsregeln mit ihnen abge-
stimmt. Öffentlicher Protest: null. Oft reagieren
Schulen auf Anweisungen allergisch. Was haben
sich die da oben wieder ausgedacht? Jetzt dage-
gen erwarten die Lehrer Vorgaben. Je detaillierter
Alle Live-Nachrichten und die Hinweisschreiben aus dem Ministerium,
desto besser, sagt die Krisenmanagerin Krebs.
Eilmeldungen auf Ihrem Klar ist: Es muss in kleinen, voneinander ge-
Photo by Claudio Schwarz | @purzlbaum on Unsplash
tät sie eigentlich zurückwollen. »Die Schule ist ins
Wanken geraten«, sagt Maike Schubert. Das macht
ihr eher Hoffnung. Ihr Kollegium wird jetzt Prä-
senzunterricht und digitales Lernen miteinander
verbinden müssen. Die Schüler bringen ihre Ge-
räte mit in die Klasse und tauschen sich mit jenen
weiter aus, die zu Hause lernen. Nachmittags
wechseln die Gruppen. Außerhalb der Schule wird
recherchiert und wiederholt. »Die Zeit mit dem

Smartphone oder Tablet
und die digitale Zeitung.
Live Coronavirus in Deutschland
RKI ruft mit neuer App zur Spende von
Nutzerdaten auf
Neue „Corona-Datenspende-App“ des RKI + Ethikrat
kritisiert Bundesregierung + Situation in New York wie bei
Jetzt laden: „anhaltendem 11. September“ + Der Newsblog.
Anbieter: Verlag Der Tagesspiegel GmbH, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin
trennten Gruppen gelernt werden. Doch die neu-
en Strukturen fressen die beiden wichtigsten Res-
sourcen von Schule auf – Personal und Platz. Die
Kalkulation ist einfach: Teilt man eine Klasse durch
zwei, braucht es doppelt so viele Lehrer und Räu-
me. Wo die Klassenzimmer besonders klein sind
– wie vielerorts in Mecklenburg-Vorpommern –,
kann der Faktor sogar bei drei liegen. Zwar haben
die Kultusminister jetzt vereinbart, dass möglichst
alle Schüler vor den Ferien noch einmal in ihre
Schule zurückkehren sollten. Mehr als ein paar
Tage werden viele ihre Lehrer aber nicht sehen. Das
Zu-Hause-Lernen bleibt das neue Normal.
Die Politik muss deshalb dafür sorgen, dass der
Digitalunterricht verbindlicher und persönlicher
wird, technisch intelligenter und didaktisch an-
spruchsvoller. Bisher haben nur 14 Prozent der
Lehrer dient der Vertiefung, der Diskussion und
dem konzentrierten Arbeiten«, sagt Schubert.
Die Schulleiterin stellt jetzt Fragen, die vor
Kurzem undenkbar schienen: Wofür muss ein
Schüler noch in die Schule kommen? Wann braucht
er seine Lehrer, was kann er selbstständig erledigen?
»Vielleicht ist Schule in Zukunft der Ort der De-
batte, der Ideen, der sozialen Begegnung, aber nicht
mehr der Ort der Wissensvermittlung«, sagt Schu-
bert. Die Corona-Krise lege alle Wunden offen,
stelle alle ungelösten Fragen neu. Nie gab es einen
besseren Moment, um »Schule wirklich anders zu
denken«. Für Maike Schubert und ihre 120 Kolle-
gen hat die neue Zeitrechnung schon begonnen.
AA www.zeit.de/audi

von Ragnar Vogt 4574 Kommentare Pädagogen laut einer Umfrage von ZEIT und
Bosch Stiftung (ZEIT Nr. 16/20) mit ihren Schü-
lern per Videokonferenz kommuniziert. Das reicht
nicht mehr. Kein Kind soll jetzt noch hören: »Be-
arbeitet im Deutschbuch Seite 38 bis 40.« – »Hier
kommen die Lösungen für eure Matheaufgaben,
HOME MERKLISTE EINSTELLUNGEN vergleicht wie immer selbst.«
Bundesländer ohne Bildungscloud wie etwa
Mecklenburg-Vorpommern bieten nun allen
Schulen des Landes eine gemeinsame Lernplatt-
form an. In Rheinland-Pfalz sollen Lehrer jetzt
ohne Datenschutzprobleme per Video unterrichten
können. Und selbst Niedersachsen, wo sich der
dortige Kultusminister Grant Hendrik Tonne in
www.tagesspiegel.de Anspruchslosigkeit gefiel, ist erwacht. Das Lernen
sei ab sofort »verbindlich«, stellte Tonne klar.
Schüler, die nichts von sich hören lassen, »begehen
Berichtigung
Im Interview mit Sebastian Thrun (ZEIT
Nr. 16/20) war fälschlicherweise von ­
einem Standardwerk namens Statistical
Machines die Rede. Tatsächlich heißt das
Buch von Thrun, Dieter Fox und
Wolfram Burgard Probabilistic Robotics.
Und in unserem Bericht über mögliche
Medikamentenengpässe (ZEIT Nr. 18/20)
haben wir den taiwanesischen Vize­
präsidenten Chen Chien-jen irrtümlich
zum Gesundheitsminister erklärt.
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Auffällig ähnlich (von oben links im Uhrzeigersinn): 1) Kronkorken, 2) Ruthenische Kugeldistel, 3) Apfelsine mit Gewürznelken, 4) Kaktus (Mammillaria gigantea), 5) Igelball, 6) Das Lodern der Feuer im Innern der Erde: Athanasius
Kirchers Gemälde »Mundus Subterraneus« von 1665, 7) Abwaschbürste, 8) Sukkulent aus der Vogelperspektive, 9) Sars-CoV-2 in einer 3-D-Darstellung, 10) Kastanie, 11) Löwenzahn, 12) Braunflecken-Igelfisch (Diodon holocanthus)
1. Wer ist
besonders gefährdet?
E U
s ist fast schon zum Mantra
geworden: Das neue Co­
rona­virus Sars-CoV-2 treffe
vor allem ältere Menschen
und solche mit Vorerkran-
kungen besonders schwer. Wer dagegen
jung und gesund ist, erkranke meist nur
leicht oder zeige sogar gar keine Symp-
tome. Für einen Großteil der Menschen
stimmt das auch. Aber: »Wir hatten
auch Patienten unter 40 auf der Inten-
sivstation, die wirklich sehr schwer an
Covid-19 erkrankt waren«, berichtet
der Infektiologe Björn-Erik Jensen von
der Universitätsklinik Düsseldorf. »Die
hatten vielleicht Heuschnupfen oder
ein paar Kilo zu viel. Das würde ich
aber nicht als schwere Vorerkrankung
bezeichnen.«
In Sicherheit wiegen sollte sich also
niemand. Zu wenig ist bislang darüber
bekannt, warum manche kaum etwas
von der Krankheit merken, andere einen
grippeähnlichen Verlauf spüren und
wieder andere auf der Intensivstation in-
vasiv beatmet werden müssen oder sogar
sterben. Doch es gibt gesundheitliche Fak-
toren, die einen schweren Verlauf zu-
mindest wahrscheinlicher machen.
Laut der europäischen Seuchenbehör-
de, dem European Centre for Dis­ease
Prevention and Control, zählen zu den
bekannten Risikofaktoren chronische Er-
krankungen der Lunge und der Atemwe-
ge, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankun-
gen, chronische Leber- und Nierenleiden
sowie ein geschwächtes Immunsystem,
etwa durch eine Krebserkrankung oder
HIV. Neuere Stu­dien aus China, Frank-
reich und den USA legen aber noch einen
weiteren Risikofaktor nahe: Übergewicht.
Tatsächlich weiß man schon länger,
dass ein hoher Körperfettanteil die Im-
munantwort des Körpers beeinflusst
und das Risiko für Lungenentzündun-
gen erhöhen kann. »Starkes Über­
gewicht wurde bereits bei der Schwei-
Überall Viren?
Mit dem wachsenden Wissen über die Covid-19-Pandemie tauchen neue
Fragen auf – epidemiologische, medizinische und soziale. Ein Update
Fotos (v. o. l. im Uhrzeigersinn): Lydia Sperber; action press; Shutterstock [M]; Getty Images; ddp [M]; akg-images; Lydia Sperber; Getty Images; Shutterstock; Getty Images [M]; Getty Images; Shutterstock
negrippe-Epidemie als unabhängiger
Risikofaktor für eine schwere Infektion
der Lunge erkannt«, schreiben Arthur
Simonnet und seine Kollegen vom
Universitätsklinikum ­ Lille im Fach­
magazin Obesity. Es liege nahe, dass es
sich bei Sars-CoV-2 ähnlich verhält.
Für ihre Studie werteten die Mediziner
die Daten von 124 intensivpflichtigen
Covid-19-Patienten mit einem Alters-
median von 60 Jahren aus. Knapp 50 Pro-
zent davon litten an einer Adipositas, das
entspricht einem Body-Mass-Index (BMI)
von mehr als 30, weitere rund 30 Prozent
sogar an einer schweren Adipositas mit
einem BMI über 35. Und: Je höher der
BMI des Patienten, also je dicker er ist,
desto größer sein Risiko, beatmet werden
zu müssen oder sogar zu sterben.
Allerdings gebe es bei solchen Stu­dien
noch zu viele Unsicherheiten, merkt Jörg
Janne Vehreschild an. Der Infektiologe
vom Deutschen Zentrum für Infektions-
forschung koordiniert mit seiner Arbeits-
gruppe in Köln und Frankfurt am Main
das Leoss-Projekt, ein europäisches Fall-
register, in dem klinische Daten von Pa-
tienten mit Sars-CoV-2 gesammelt wer-
den. »Wer alt oder übergewichtig ist, hat
dazu meist noch andere Erkrankungen,
und wer vorerkrankt ist, muss verschie-
dene Medikamente nehmen – was davon
dann letztlich den Covid-19-Verlauf ver-
schlimmert, können wir noch nicht
zweifelsfrei aus­ein­an­der­hal­ten«, sagt er. Es
werde aber bereits intensiv an der Aus-
wertung der gemeldeten Fälle gearbeitet.
Und wie lassen sich die schweren
Krankheitsverläufe der jungen Patien-
ten aus Düsseldorf erklären? Da tappe
man noch im Dunkeln, sagt Björn-Erik
Jensen. »Doch wie bei anderen In­fek­
tions­krank­ hei­
ten auch lässt sich eine
ungünstige genetische Prädisposition
nicht ausschließen – o­der anders ge-
sagt: Manchmal ist auch etwas Pech
dabei.« K ATHARINA ME NNE
CO RONA
2. Was weiß man
über die Spätfolgen?
m vorherzusagen, welche
langfristigen Folgen eine
Erkrankung haben könn-
te, die erst seit ein paar
Monaten auf der Welt ist,
muss man von Krankheiten lernen, die
Covid-19 ähneln. Zuerst aber muss
man klarstellen: Die allermeisten Pa-
tienten werden wohl an keinen lang-
fristigen Folgen leiden, da sind sich
viele Experten sicher.
Menschen mit schweren Verläufen
haben ein größeres Risiko für Spätschä-
den. Bei ihnen ist fast immer die Lunge
entzündet. Auch wenn der Körper den
Kampf gegen das Virus gewinnt, bleibt
manchmal eine sogenannte Fibrose zu-
rück: Narbengewebe, das nicht mehr
seine eigentliche Funktion erfüllen
kann, das Blut mit Sauerstoff anzurei-
chern. Das kann Probleme beim Atmen
machen, manchmal ein Leben lang.
Chinesische Wissenschaftler haben
über 15 Jahre Betroffene beobachtet,
die 2003 an Sars erkrankt waren – an
der Krankheit, die durch den nahen
Verwandten des heutigen Sars-CoV-2-
Virus ausgelöst wurde und meist mit
einer Lungenentzündung einherging.
Die gute Nachricht: Auch wenn einige
Patienten kurz nach ihrer Erkrankung
an einer Lungenfibrose litten, erholten
sich die meisten doch wieder von dem
Schaden. Ob es nach Covid-19 ähnlich
verlaufen wird, ist aber nicht sicher –
die mitunter intensive maschinelle Be-
atmung kann Spuren hinterlassen.
Warum aber beobachten viele Me-
diziner bei ihren schwer kranken Pa-
tienten, dass oft nicht nur die Lunge
beteiligt ist, sondern auch die Nieren
betroffen sind, die Leber, das Herz, die
Haut oder auch der Darm und sogar
das Gehirn? Eine Erklärung könnte
eine Theorie liefern, die Forscher aus
der Schweiz gerade im Fachjournal The
Lancet veröffentlicht haben: Das Virus
löst nicht nur Entzündungen in der
Lunge aus, sondern auch im sogenann-
ten Endothel. Das ist die innerste Zell-
WISSEN 29
3. Bekommen jetzt auch die
Studierenden Nothilfen?
I
schicht der Blutgefäße, die für deren n Deutschland gibt es 2,9 Millio- Bedarf vorbeigehen: Die Studierenden
Funktion ganz entscheidend ist. nen Studierende. 12 Prozent be- in Deutschland nehmen Kreditlösun-
»Dass Covid-19 das Endothel schä- ziehen Bafög, durchschnittlich gen traditionell schlecht an, erst recht
digt, ist deswegen relevant, weil es da- knapp 500 Euro im Monat. Nur wenn elterlicher Rückhalt und eigene
mit alle Organe betrifft«, sagt der Kar- einen Teil müssen sie später zu- Ersparnisse fehlen. Bevor sie Schulden
diologe Frank Ruschitzka. Er leitet des rückzahlen, maximal 10.010 Euro. Zwei machen, brechen sie lieber ihr Studium
Universitäre Herzzentrum Zürich und Drittel aller Studierenden jobben neben- ab. Das gilt insbesondere für die
hat zusammen mit Kollegen auch aus bei: Babysitten, Kellnern, Einzelhandel; 300.000 ausländischen Studierenden,
der Pathologie die Studie veröffentlicht. 1,1 Millionen sind auf den Job angewie- die Deutschland in den letzten Jahren
Durch die Entzündung des Endothels sen, um ihren Lebensunterhalt zu finan- mühsam angeworben hat. Es drohen
komme es zu Thrombosen und Embo- zieren. Diese Zahlen hat das Deutsche also gerade die Bedürftigsten aus dem
lien und damit zu Verschlüssen, »und Studentenwerk 2017 erhoben. Wie viele System zu fallen.
diese tragen dann wesentlich zu den Studierende aber durch die Corona-­ Der Streit um den richtigen Weg reibt
Schäden in den einzelnen Organen Krise in Existenznot geraten sind und die Betroffenen seit Wochen auf. Das liegt
bei«, sagt Ruschitzka. Das könne zu welches Ausmaß die Einkommens­ auch daran, dass viele Politiker für ihre
Langzeitschäden führen. Diese soge- lücken haben, ist unklar. Manchem Klientel geworben haben, für Landwirte,
nannte Endothelitis könnte auch erklä- hilft bereits die Mietstundung, andere Künstler, Soloselbstständige, dass aber
ren, warum Krankheiten wie Diabetes, schlüpfen bei den Eltern unter (die aller- Anja Karliczek eher vage von »Über­
eine Adipositas und ein erhöhter Blut- dings ihrerseits finanzielle Einbußen ha- brückungsmöglichkeiten« sprach. Das
druck als Risikofaktoren für einen ben können). Einen Hinweis auf den von ihr vorgelegte »Wissenschafts- und
schweren Verlauf gelten – bei allen ist Bedarf geben kleinere Notfonds einzel- Studierendenunterstützungsgesetz«, ver-
das Endothel häufig vorgeschädigt. ner Bundesländer und Unis: Sie waren gangene Woche im Parlament diskutiert,
Das Virus könnte allerdings auch in innerhalb weniger Stunden leer. ist ein Kleinstprogramm, das bestehende
das Nervensystem eindringen und Ner- Für eine bundesweite Lösung wirbt Regelungen angesichts der Corona-Krise
ven direkt schädigen, so eine weitere ein breites Bündnis aus Studierenden, anpasst, aber keine eigentlichen Nothilfen
Theorie. Das würde manche neurolo­ Studentenwerk, Bundesländern, Hoch- vorsieht. Die hochschulpolitischen Ak-
gischen Komplikationen erklären, die schulen, Gewerkschaften, Parteien und teure fühlten sich von ihrer Ministerin im
Patienten noch länger beeinträchtigen politischen Jugendorganisationen. Sie Stich gelassen – und platzierten ihr An-
könnten, etwa eine Hirnhautentzün- fordern, die Bemessungskriterien für liegen im Arbeitsministerium: Könnte
dung oder auch die Geruchsstörungen, das Bafög auszuweiten, sodass mehr man nicht das Sozialgesetzbuch ändern,
die häufig auftreten. Studierende davon profitieren könn- sodass Studierende berechtigt wären, zum
Covid-19 wird nicht nur körperli- ten. Dafür spräche, dass im letzten Jahr Jobcenter zu gehen? Arbeitsminister
che Folgen haben, sondern auch psy- ohnehin 900 Millionen Euro Bafög- Hubertus Heil (SPD), ein den Hoch-
chische. Schon lange weiß man, dass Mittel nicht abgeschöpft wurden. schulen durchaus zugeneigter Politiker,
bis zu 80 Prozent der Intensivpatienten Anja Karliczek, die Bundesbil- spielte den Ball zurück zur Kollegin –
ein Delir bekommen – einen Verwirrt- dungsministerin (CDU), möchte den Deckung gab es dafür vom Kanzleramt.
heitszustand, der durch die besonderen Studierenden aber lieber zinslose Kre- Seitdem steigt der Druck auf Kar-
Einflüsse auf der Intensivstation aus- dite anbieten. Diese Lösung ist kom- liczek. In ihrer eigenen Partei sind nicht
gelöst wird, etwa durch die Geräusche plizierter: Für solche Darlehen bräuch- alle glücklich über die verschleppte De-
dort oder die Medikamente. Etwa ein te sie einen Partner. Die Förderbank batte. Und die SPD-Basis trommelt für
Viertel dieser Delir-Patienten behält KfW etwa, die jedoch aufgrund der die Bafög-Lösung. Sollten auch die Sozi-
kognitive Störungen zurück, die mit vielen Soforthilfen überlastet ist. Das aldemokraten im Kabinett ihr Herz für
einer leichten Alzheimer-Demenz ver- Studentenwerk hat der Ministerin be- die Studierenden wiederentdecken,
gleichbar sind. Hier lässt sich nur aus reits eine Absage erteilt, weil es ein könnten sie Karliczek erpressen – und
der Erfahrung schließen, die man in Bankgeschäft in Millionenhöhe admi- ihre Zustimmung zum Unterstützungs-
anderen Situationen und mit anderen nistrativ nicht leisten könne. Vor allem gesetz von der Bafög-Ausweitung abhän-
Krankheiten gewonnen hat. Wie es aber könnte ein Darlehensmodell am gig machen. ANNA- LE NA SCHOLZ
bei Covid-19-Patienten aussehen wird,
kann bisher niemand mit Sicherheit
sagen. JAN SCHWE ITZE R
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 29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 WISSEN 31
R AUMFAH RT
Abb.: SpaceX (Rendering)

Raumkapsel Crew Dragon von SpaceX: Einmal Erdorbit und zurück für 55 Millionen Dollar

Taxi bitte! Aber nur ein amerikanisches

Zur internationalen Raumstation ISS gelangten Astronauten jahrelang allein mit russischer Hilfe. Das soll nun anders werden  VON STEFAN SCHMITT

T
axi heißt auf Russisch » «. Und weil sie die bestehende Abhängigkeit verdeutlichte:­
es kann ganz schön teuer (» «) Gezwungenermaßen hatte die US-Regierung von
werden. Gute 80 Millionen US-Dollar ihrer Sanktionsliste nach der Krim-Annexion just
pro Trip, jedenfalls wenn das Ziel die die Sojus-Taxiflüge ausgespart.
Internationale Raumstation ist. Und Die Erben Neil Armstrongs abhängig vom Wohl-
wenn das Taxi dorthin von Baikonur in der kasa- wollen der Nachfahren Juri Gagarins – um das zu
chischen Steppe aus fliegt. ändern, läuft schon seit Jahren ein kurioses Rennen
So ist es seit dem Juli 2011. Damals kehrte der in Richtung Raumstation. Nächsten Monat soll es
Spaceshuttle Atlantis von seinem letzten Flug zur sich entscheiden. Space race, diese Vokabel wäre
Raumstation auf die Erde zurück. Heute steht die früher dem Ringen der Supermächte um die Vor-
Raumfähre als Museumsstück im Besucher­zentrum herrschaft im Weltraum vorbehalten gewesen.
des Kennedy Space Center in Cape Canaveral, wo Heute, eine Nummer kleiner, ist sie die Bezeichnung
einst die Mondraketen abhoben. Amerikanische für diesen Wettbewerb um den zweiten Platz: Wem
Astronauten gelangen von dort keine mehr ins All. gelingt als Nächstes, was die russischen All-Taxis
Stattdessen müssen sie sich mit dem Beifahrersitz seit je können und seit dem Dienstende der Shuttles
begnügen: Als zahlende Gäste fliegen sie in Baikonur­ kein anderes Gefährt mehr kann?
los, an Bord russischer Sojus-Kapseln. Nicht mehr Staaten und ihre Raumfahrtbehörden
Das ist natürlich nicht so richtig great. treten gegeneinander an; das race wurde outgesourct,
Besonders deutlich spürten die Amerikaner die Kontrahenten sind Firmen. Sie ließen sich von
dies im April 2014. Verärgert über die US-Sank- mehreren Milliarden Dollar locken, welche die Nasa
tionen nach der russischen Annexion der Krim von 2010 an unter dem Motto »Commercial Crew«
ätzte Dmitri Olegowitsch Rogosin, Russlands da- für die Entwicklung neuer, für den Personentrans-
maliger Vizeministerpräsident und heutiger Chef port tauglicher Raumkapseln ausgeschrieben hat.
der Raumfahrtbehörde Roskosmos: Die » « Und von der Aussicht darauf, weitere Millionen mit
(USA) sollten ihre Astronauten doch bitte schön künftigen Taxiflügen zur ISS zu verdienen.
per Trampolin (» «) ins All befördern. Die Die beiden Unternehmen, die es ins Finale­
bissige Bemerkung war besonders demütigend, geschafft haben, unterscheiden sich erheblich von-
einander. Auf der einen Seite steht der etablierte
mili­tärische und zivile Luft- und Raumfahrtgigant­
Boeing. Auf der anderen Seite als schillernde He-
rausforderin die Firma SpaceX. Sie ist das Parade-
beispiel eines jungen, disruptiven New-Space-Unter­
nehmens – und ihr Gründer Elon Musk ein um-
triebiger Unternehmer (PayPal, Tesla, SolarCity).
Er ist auch ein umstrittener Visionär (»Ich möchte
auf dem Mars sterben. Bloß nicht schon bei der
Ankunft«) und ein unbestrittenes Großmaul (»Ich
habe kein einziges Managementbuch gelesen«).
Am 27. Mai könnte SpaceX nun das Rennen
für sich entscheiden. Wie einst die Apollo-Missio-
nen und bis vor neun Jahren die Spaceshuttles soll
dann von der historischen Startrampe 39A in
Cape Canaveral eine Falcon-Rakete mit einer
Crew-Dragon-Kapsel an der Spitze abheben –
beide­aus dem Hause SpaceX. »Wir werden wieder
amerikanische Astronauten mit amerikanischen
Raketen von amerikanischem Boden starten«,
twitterte Nasa-Chef Jim Bridenstine im April nach
der Bekanntgabe des Starttermins.
Wie bei allen Weltraummissionen gilt auch
hier, dass der Starttermin bis zum finalen Count-
down unter Vorbehalt steht. Und dass auch bei
Termintreue jeder Flug heikel ist. (Die Nasa ver-
langt von ihren Auftragnehmern, das Risiko für
einen tödlichen Unfall pro Mission dürfe nicht
höher liegen als bei 1 zu 270.) Bleibt es bei dem
Plan, so wird einer der beiden Raumfahrer in der
Drachenkapsel ein früherer Marineflieger namens
Doug Hurley sein. Er war im Jahr 2011 der Pilot
beim letzten Flug des Shuttles Atlantis.
Hurley würde dann einem anderen Nasa-Vete-
ranen zuvorkommen, ausgerechnet seinem ehe­
maligen Mannschaftskameraden Chris Ferguson,
dem Kommandanten der finalen Atlantis-Mission.
Der hat in der Zwischenzeit bei der Konkurrenz
angeheuert. Boeing engagierte ihn als Testpilot für
sein All-Taxi. Im Dezember schickte der Konzern
die Kapsel Starliner erst mal auf einen unbemann-
ten Testflug, der jedoch unter einem schlechten
Stern stand. Ein Fehler in der Borduhr verhinderte,­
dass die Kapsel an der ISS andockte.
Einen Termin für den ersten Start einer­
Boeing-Mission mit Astronaut an Bord gibt es bis-
lang nicht. Tatsächlich sind Verzögerungen in der
Raumfahrt üblich, zumal in der bemannten. Auch
beim Commercial Crew-Programm hatte man­
ursprünglich schon mit Taxiflügen ab dem Jahr
2017 kalkuliert.
Sollten nun beide Konkurrenten erfolgreich
sein, sieht die Nasa je einen Flug zur Raumstation
pro Jahr vor. Die Abhängigkeit der Raumfahrt­
behörde von Taxis bleibt damit zwar bestehen –
aber immerhin handelte es sich um rein amerika-
nische Transportunternehmen. Eine galaktische
Ersparnis bedeutet der Wechsel des Dienstleisters
hingegen nicht. Die Kosten pro Astronaut und Flug
belaufen sich nach Berechnungen des Nasa-General­
inspekteurs beim Crew Dragon auf 55 Millionen,
beim Starliner auf stolze 90 Millionen Dollar – kein
Schnäppchen im Vergleich zur Mitfluggelegenheit
ab Baikonur.
Dann ist da noch die Frage nach Bedarf und
Dauer. Im November wird die ISS seit 20 Jahren
ununterbrochen bemannt sein. Wie lange sie aber
noch als orbitales Labor dienen kann, ist unklar.
Schlimmstenfalls könnte sich die Nasa schon
2024 aus dem Betreiberkonsortium zurückziehen
(und nur noch als zahlende Kundin auftreten).
Vorschläge für Verlängerungen des ISS-Engage-
ments bis 2028 oder 2030 kommen in Washing-
ton nicht voran. Dort haben längst Pläne für eine
bemannte Rückkehr zur Mondoberfläche Priorität
(ZEIT Nr. 23/19). Und vielen in der US-Raum-
fahrtszene ist die ISS ohnehin lästig: zu teuer –
und eben auch zu international.
Einer Lösung kommt man damit aber auch
nicht näher. Denn wenn die alte Station aufgegeben
wird, stehen die neuen All-Taxis ohne Ziel da.

Der Bericht des Nasa-Generalinspekteurs Die Website Spaceflight Now listet aktuelle Seit Februar 2014 gibt es auf der Nasa-Website Links zu diesen und weiteren Quellen
Quellen vom November 2019 gibt Aufschluss über die Starttermine und -verschiebungen auf, ein Blog zum »Commercial Crew«-Programm, finden Sie bei ZEIT ONLINE
Pro-Kopf-Kosten für die verschiedenen Kapseln ebenso wie Missionen ohne festes Datum das der Personenbeförderung zur ISS dient unter zeit.de/wq/2020-19

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108368_ANZ_10836800021693_26156668_X4_ONP26 1 24.04.20 14:55

32 WISSEN I NFOGRA F I K: BAN AN E 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

I NFO GRAF I K : BANAN EN NR 566

zum Raustrennen
Ein Schlauch aus Plastik schützt vor
zu starker Sonneneinstrahlung
Bananengürtel und Insekten. Außerdem schafft er ein
günstiges Mikroklima für das Wachstum
Nördlich und südlich des Äquators
herrschen ideale Bedingungen für
Bananen. Anbaugebiete finden sich Unabhängig
daher vor allem in den Tropen.
Die Kulturbanane reproduziert sich selbst
Ursprünglich stammt die Frucht

Mehr als Obst

aus der ostasiatischen Inselwelt

80
60
40

20
0
Mutterpflanze
20
Die Banane ist nach dem Apfel die Lieblingsfrucht 2. Generation
40
der Deutschen. Zeit für einen Blick Mutterpflanze
60
80 über den Obsttellerrand hinaus  1. Generation

VON ANNE GERDES (INFOGR AFIK UND RECHERCHE)

Schössling

Anbaufläche Wurzel
Sie beträgt 56.400 km². Das entspricht Nährstoff e
fast der 1,5-fachen Größe der Schweiz

Schädlinge
Die Kultur-Banane »klont« sich selbst. Sie ist
daher nicht durch Genanpassung gegen
Schädlinge wie Pilze gewappnet.
Die Vorgängerin der heute populärsten Sorte
Mahlzeit! »Cavendish« hieß »Gros Michel« und wurde
in den Fünfzigerjahren von der sogenannten
Neben der Obst- gibt es die Kochbanane. Panamakrankheit ausgerottet. Der Pilz
Sie schmeckt wie eine Kartoffel Fusarium oxysporum zerstörte die
und zählt in vielen Entwicklungsländern
zu den Grundnahrungsmitteln
Warum krumm? Die Pflanze Wurzeln der Pflanze. Er bleibt
bis zu 20 Jahre im Boden aktiv.
Die Frucht wächst der Sonne Sie wächst in neun Monaten heran. Die Staude Auch heute sind Pilze für Bananen der
entgegen – das hat Auswirkungen wird bis zu sieben Meter hoch. Nun reift nach Schädling Nummer eins. Die Ernährungs- und
auf ihre Form drei bis sechs Monaten ein Bananenbüschel aus. Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO)
Es wiegt bis zu 50 Kilo. Die Reihen eines Büschels schätzt, dass sich der Schaden, den sie in
werden »Hand« genannt, eine einzelne Frucht Südostasien verursachen, auf 400 Millionen
»Finger«. Ein Büschel trägt bis zu 216 Finger Dollar im Jahr beläuft. Eng bepflanzte
Monokulturen nützen den Schädlingen

Gespritzt
Asien vorn Statt Monokulturen aufzulockern, wird
bei herkömmlichem Anbau für den
Die Top-10-Produzenten im Jahr 2018 kurzzeitigen Erfolg viel gegen Pilze gespritzt

1. Indien
30,8 Mio. t

2. China
11,2 Mio. t

4. Brasilien 6,8 Mio. t

5. Ecuador
6. Philippinen
6,5 Mio. t
6,1 Mio. t 3. Indonesien
Nachschub
7. Guatemala 4,0 Mio. t 7,3 Mio. t Unter den Blütenblättern
8. Kolumbien 3,7 Mio. t wachsen die neuen
9. Angola 3,5 Mio. t kleinen Fruchtkörper heran
10. Tansania 3,5 Mio. t – die Bananen
Wichtigster Exporteur für Deutschland
Die üblen Nebenwirkungen für die Umwelt:
Verseuchtes Grundwasser, Fischsterben
in den Flüssen
Meist konventionell
Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch
in Deutschland (2017/18)
Vorsicht, Schale!
Die Pestizidbelastung kann hoch sein.
12,4 kg, entspricht ca. 92 Stück 2018 rät »Öko-Test« dazu, sich nach
dem Schälen die Hände zu waschen

Blütendolde
Sie entwickelt sich nach
rund sechs Monaten
Davon sind 10 Bio-Bananen

Berühmte Bananen
Die von Josephine Baker Die von Boris Becker Die von Andy Warhol Die mit dem Kondom Die von der Art Basel
Im April 1926 trat die Als Becker vor seinem 1967 erschien die LP »The Velvet 1968 empfahl die Bundes- Der Künstler Maurizio Cattelan
amerikanische Entertainerin zum Wimbledon-Sieg im Jahr 1985 Underground & Nico«. regierung den Sexualkunde- klebte echte Bananen an die
ersten Mal mit einem Gürtel aus eine Banane snackte, ging Produziert und gestaltet hat das unterricht. Seit Jahrzehnten wird Wand. Zwei wurden für 120.000
16 Plüschbananen auf der Verkauf der Frucht in »Bananenalbum« Andy Warhol an der Banane das korrekte Dollar verkauft, eine wurde von
Deutschland steil in die Höhe Abrollen eines Kondoms geübt einem Aktionskünstler aufgegessen

Das Online-Portal Statista sammelt Auf den Seiten der Welthungerhilfe und »Öko-Test« hat Bananen Links zu diesen und weiteren Quellen
Quellen Daten zu Anbauflächen, der FAO finden sich Informationen über im Labor auf Pestizidbelastung finden Sie bei ZEIT ONLINE unter
Erntemengen und Handel Schädlinge und Bananenkrankheiten untersucht zeit.de/wq/2020-19
29. A P R I L 2 0 2 0 D I E Z E I T N o 1 9 WISSEN P SYCH OT H E RAP I E
33

Frieden für Stimmt’s?

Können wir das

die Seele
Alter eines
Menschen anhand
seiner Stimme
Im Irak werden erstmals Psychotherapeuten
erkennen?
an der Universität ausgebildet. Sie sollen einer ... fragt Thomas Kesselheim
Generation von Traumatisierten helfen aus Bonn
und den Kreislauf der Gewalt unterbrechen.
Wenn wir das Foto eines Menschen
Eine Reise an einen Ort der Hoffnung  sehen, haben wir sofort eine Vorstel­
VON ANNA-THERESA BACHMANN lung von dessen Alter. Dabei gibt es

Fotos: Anna-Theresa Backmann (2); Adam Ferguson (u.); Illustration: Armando Veve für DIE ZEIT
individuelle Unterschiede, beim e­ inen
hinterlassen die Jahre deutlichere Spu­
ren als beim anderen. Aber niemand
würde eine 20-Jährige mit einer 80-Jäh­
rigen verwechseln.
Auch die Stimme gibt uns Hinweise­
aufs Alter, wenngleich weniger deut­
liche. So wie die Haut erschlafft und
Falten bekommt, lässt auch die Mus­
kelspannung unseres Stimmapparats
nach. Die Stimmlippen schließen nicht
mehr so gut, die Stimme wird rauer,
sie »flattert« mehr. Und zusätzlich
lassen uns kog­nitive Veränderungen
lang­samer sprechen. Die Hor­mone
haben einen Einfluss auf die Tonhöhe:
Männliche Stimmen sacken während
der Pubertät um etwa eine Oktave ab,
im Alter wird die Stimme dann wieder
höher. Mädchen haben keinen Stimm­
bruch, aber Frauenstimmen werden
generell mit dem Alter tiefer, beson­
ders nach den Wechsel­jahren.
Wie gut all dies bei der Erken­
nung hilft? Die erste wirkliche Stu­
die dazu, die heute noch in der Li­
teratur zitiert wird, stammt aus dem
Jahr 1966 und erschien im Journal
of Speech and Hearing Research. Eine
recht kleine Gruppe von zehn Pro­
banden hatte Stimmproben von
jungen Erwachsenen unter 35 und
älteren über 65 zu hören bekom­
men. Die Proben bestanden entwe­
der nur aus gesprochenen Vokalen
oder aus einem vorgelesenen Text,
einmal vorwärts und einmal rück­
wärts abgespielt. Das erstaunliche
Ergebnis: Beim vorwärts abgespiel­
ten Text war die Zuordnung zur­
Altersgruppe in 99 Prozent der Fälle
korrekt.
Seitdem sind mehrere Experi­
Oben links und unten: mente gemacht worden, bei denen
Der angehende die Probanden Stimmen zu hören
Psychotherapeut bekamen und schätzen sollten, wie alt
Siad Ahmed Baschir die Personen waren. Im Durchschnitt
mit einer Patientin. lagen sie um etwa zehn Jahre daneben,
Rechts: Auch Asmaa der Fehler wächst mit dem Alter des
Ibrahim hat gerade Sprechers. Bei Gesichtern verschätzen
ihr Studium wir uns im Schnitt nur um etwa sechs
abgeschlossen Jahre.  CHRI STOPH DRÖS S E R

E
ndlich wird Asmaa Ibrahim aufge­
rufen. Als sie die Glastür des Hör­
saals 2 an der nordirakischen Uni­
versität Dohuk aufdrückt, liegen
600 Stunden Vorlesungen und
600 Stunden angeleitete Therapie­
sitzungen hinter ihr. Die 26-Jäh­
rige geht in ihrem roten Hidschab an den leeren
Sitzreihen vorbei. Über ihrem ­Hosenanzug raschelt
eine Robe, wie sie Absolventen in amerikanischen
Filmen tragen. Drei Jahre hat Asmaa studiert, heute,
an einem Tag im ­November 2019, ist ihre Ab­
schlussprüfung. Wenn sie besteht, wird sie eine der
ersten studierten Psycho- und Trauma­therapeuten
des Iraks sein.
Vorn im Hörsaal sitzen vier ihrer Professoren
vom Institut für Psychotherapie und Psychotrau­
matologie an einer geschmückten Tafel. Auch der
Gesundheitsminister der Provinz Dohuk ist da.
Die Studentin steckt einen USB-Stick in einen
Computer. Nur wer genau hinsieht, bemerkt, dass
ihre Hände, die Fingernägel rot lackiert, zittern.
Fünfzehn Minuten hat sie, um ihre Abschluss­
arbeit vorzustellen. Dabei wird sie von zwei kur­
dischen Flaggen umrahmt, als handle es sich um
einen Staatsakt.
In den Sechziger- und Siebzigerjahren galt das
irakische Gesundheitssystem als fortschrittlich.
Dann übernahm das Regime von Saddam Hussein
die Macht im Land, durch Kriege und UN-Sank­
tionen verschlechterte sich die medizinische Ver­
sorgung dramatisch. Gleichzeitig kämpften die
Kurden, die im Norden des Landes in der ­Mehrheit
sind, um ihre Unabhängigkeit. Die irakische Ver­
fassung schrieb nach der US-Invasion 2003 die
Autonomie des Nordiraks mit seinen sechs Millio­
nen Einwohnern fest.
Für die Terrororganisation des »Islamischen
Staates« spielten Grenzverläufe keine Rolle, als sie
2014 im zentralirakischen Mossul ihr Kalifat aus­
rief. Allein in der Provinz Dohuk leben derzeit
etwa 320.000 Vertriebene aus dem Irak selbst und
88.000 Syrer – jeder vierte Einwohner ist ein­
Geflüchteter. Die Hälfte von ihnen harrt in einem
von mehr als 20 Camps aus. Viele sind traumati­
siert. Aber im ganzen Nordirak gibt es nur 39 Psy­
chiater, und in den wenigen psychiatrischen
Kranken­haus-Stationen bekommen die Patienten
vor allem Tabletten. Auf den Kranken lastet zu­
dem ein Stigma. Ein Teil der Bevölkerung glaubt,
dass sie von einem bösen Geist besessen seien.
Ihre Angehörigen suchen für sie oft Hilfe bei reli­
giösen Heilern.
Wer stattdessen eine Psychotherapie machen
möchte, wartet bei internationalen Hilfsorganisa­
tionen wie der Jiyan Foundation in Dohuk bis zu
vier Monate auf einen Termin. Die Therapeuten
der Organisation werden bislang in Weiterbildun­
gen geschult, einen Universitätsabschluss in Psycho-
oder Traumatherapie haben sie nicht.
Die Adressen für
»Stimmt’s«-Fragen:
Asmaa Ibrahim hat bei der Jiyan Foundation ihr
Pflichtpraktikum absolviert. In ihrer Abschluss­ DIE ZEIT, Stimmt’s?,
prüfung referiert sie, wie die Therapien von sechs 20079 Hamburg,
ihrer Patientinnen verlaufen sind. Als sie ihre Prä­ oder stimmts@zeit.de.
sentation beendet hat, fragt Professor Jan-Ilhan Das »Stimmt’s?«-Archiv:
Kizilhan: »Asmaa, was machst du, wenn ein Kind www.zeit.de/stimmts
sexuelle Gewalt durch einen engen Angehörigen
wie den Vater oder den Bruder erfährt?« In AA www.zeit.de/audi
Deutschland könnte Asmaa ihre ärztliche Schweige­
pflicht brechen und das Jugendamt informieren. In
der irakischen Gesellschaft, in der die Ehre der­
Familie in der Öffentlichkeit gewahrt werden muss,
könnte das lebensbedrohlich für das Kind sein.
Asmaa überlegt nicht lange: »Ich würde versuchen,
mit der Mutter zu sprechen, damit sie das Kind bei
einer Tante oder den Großeltern unterbringt.« Die
Kommission stimmt Asmaa zu. Am Ende der Prü­
fung bekommt sie 91 von 100 möglichen Punkten.
Über die Methoden und Konzepte zur Thera­
pie von Traumata, die Wissenschaftler vor allem in

Fortsetzung auf S. 34
34 WISSEN
Fotos: Adam Ferguson; ZEIT-Grafik
Der Professor Jan-Ilhan Kizilhan von der Universität Dohuk mit Flüchtlingskindern
Frieden für die Seele  Fortsetzung von S. 33
westlichen Ländern entwickeln, haben Jan-Ilhan
Kizilhans Studenten oft diskutiert. Die Lehrpläne
stellt die Universität Tübingen zusammen, das
Wissen­schaftsministerium Baden-Württemberg fi-
nanziert die Ausbildung. Das Besondere daran ist
der transkulturelle Ansatz. Dafür ist Kizilhan, der
auch an der Dualen Hochschule in Villingen-
Schwenningen unterrichtet, ein anerkannter Exper-
te. Er selbst kam als Siebenjähriger aus der Türkei
nach Deutschland. Seine Familie gehört der jesidi-
schen Glaubensgemeinschaft an, einer eigenständi-
gen Religion, deren Anhänger im Nahen Osten seit
Jahrhunderten verfolgt und häufig zum Islam
zwangskonvertiert werden.
Aus der jüngeren Vergangenheit blieb der Welt-
öffentlichkeit vor allem das Massaker im August
2014 im Gedächtnis, das die UN als Völkermord
einstuften. Der IS ermordete im nordirakischen
Sin­dschar-­Ge­bir­ge 5000 jesidische Männer und
Jungen und verschleppte Minderjährige, um sie zu
Kindersoldaten zu machen. Etwa 7000 Frauen und
Mädchen wurden versklavt, noch immer gelten
3000 Jesiden als vermisst. Wer fliehen konnte, ging
meist nach Dohuk.
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P SYCH OT H E RAP I E
Aber auch nach Dschamdschamal, weiter im
Süden, kamen jesidische Flüchtlinge. Dort fand
Asmaa Ibrahim 2015 ihren ersten Job in einer psy-
chiatrischen Frauenklinik. Sie hatte gerade ihr­
Bachelorstudium in Klinischer Psychiatrie abge-
schlossen. Ihr Hidschab dürfe nicht schwarz sein,
genauso wie ihre Kleidung, das hatte ihr die
Klinik­leitung zu Beginn gesagt. Zu groß sei die
Gefahr, dass Asmaas jesidische Patientinnen Flash-
backs erleiden: Erinnerungen, die sich so real an-
fühlen, als wären die Frauen noch in der Hand des
»Islamischen Staates«, der sie von Kopf bis Fuß in
Schwarz hüllte.
In der Klinik sollte die Muslimin Asmaa den
Jesidinnen Ängste nehmen, sie schlimmstenfalls
vom Suizid abhalten. Wie sie sich selbst davor
schützen konnte, dass die Erzählungen ihrer Patien-
tinnen sie bis nach Hause begleiten, wusste sie­
damals nicht. Nach der Arbeit habe sie oft geweint,
erzählt sie. »Ohne mein Masterstudium hätte ich
ein sekundäres Trauma erlitten«, sagt Asmaa heute.
Es kann entstehen, wenn Angehörige oder Thera-
peuten die Wut, Trauer und Scham der Traumati-
sierten verinnerlichen.
Den Studierenden brachte Jan-Ilhan Kizilhan
bei, die Stärken ihrer Patienten zu suchen, anstatt
200 km
Dohuk Flüchtlingslager
Sindschar Mam Raschan
Mossul Halabdscha
Dscham-
Kurdistan /
dschamal
Nordirak
Bagdad
IRAK
im Mitleid zu versinken. Damit die Menschen­
weiterleben können. »Psychotherapie ist im Nahen
Osten eine Form von Friedensarbeit«, sagt Kizilhan.
Nur wer das Grauen verarbeiten, vielleicht sogar
verzeihen könne, nehme keine Rache. Deswegen
haben Kizilhan und sein Team darauf geachtet, dass
die Studierenden möglichst aus allen Konfessionen
und Regionen des Nordiraks stammen.
In der Wartehalle der Universität legt Asmaas
Kommilitone Madih Razi Mohammed den Arm
um ihre Schulter. Seit einem Jahr sind er und ­Asmaa
verheiratet, auch Madih hat heute Prüfung. Er
kommt wie seine Frau aus dem Südwesten der kur-
dischen Autonomieregion, aus der Nähe von Ha­
lab­dscha. Dort warf das Regime von Saddam Hus-
sein 1988 Giftgas über der kurdischen Zivilbevöl-
kerung ab. 5000 Menschen erstickten qualvoll,
10.000 wurden verletzt.
Die Überlebenden sollen ihr Gefühl der
Ohnmacht überwinden lernen
Madih selbst war da noch nicht geboren, aber die
Geschichten von Vertreibung und Tod verfolgen
den heute 30-Jährigen seit seiner Kindheit. Wenn
etwa einer seiner Freunde ein Kind erwarte, dann
Siad Baschir bei der Behandlung einer Traumatherapie-Patientin
müsse er daran denken, wie eine Schwangere in
Ha­lab­dscha während des Angriffs von ihrer Fa-
milie zurückgelassen wurde. Sie hielt es dort
nicht aus, machte sich zu Fuß auf den Weg in
den nahen Iran. Da setzten die Wehen ein. Die
Frau musste ihr Kind allein auf die Welt brin-
gen, die Nabelschnur selbst durchschneiden.
Fast 30 Jahre später vertraute sie sich Mahdi an,
sie war eine seiner 40 Patienten in einer Klinik
in Ha­lab­dscha. »Die meisten hatten noch immer
Angst, dass Saddam Hussein zurückkommt«,
sagt Madih. Dabei ist der Diktator längst tot, er
wurde 2006 hingerichtet.
Dass Traumata der Eltern oder gar Großeltern
die Nachkommen beeinflussen, haben Wissen-
schaftler im Hinblick auf den Holocaust beob-
achtet. Dabei spielen auch die Gene eine Rolle;
welche genau, ist noch kaum bekannt. Madih
will deshalb die Epigenetik-Forschung im Irak
vorantreiben, vielleicht ein eigenes Institut an der
Universität Halabdscha mitbegründen. Gerade in
Ha­lab­dscha hätten viele Menschen das Gefühl,
dass ihr Leid niemanden interessiere. Das sieht
auch Jan-Ilhan Kizilhan so: Anerkennung und
Gerechtigkeit seien wichtig, sagt er, damit Über-
lebende ihre Ohnmacht überwinden können.
Die internationale Gemeinschaft ist uneins,
wo und wie IS-Kämpfer vor Gericht gestellt wer-
den sollen. Deutschland könnte hier Vorreiter
sein: Letzte Woche begann der Prozess gegen­
einen Iraker am Oberlandesgericht Frankfurt.
Einer der Anklagepunkte gegen das mutmaßliche
IS-Mitglied lautet Völkermord, begangen an den
Jesiden. Es ist das weltweit erste Verfahren dieser
Art. Im Schatten der Corona-Krise morden IS-
Anhänger indes weiter und reklamieren Anschläge.­
Auf den Malediven, in Mosambik – und im Irak.
Rings um die Stadt Kirkuk gab es im April gleich
mehrere Angriffe auf Sicherheitskräfte.
Professor Jan-Ilhan Kizilhan therapiert seit
mehr als 20 Jahren Überlebende von Krieg und
Terror. Die Brutalität und Systematik, mit de-
nen der IS vorgeht, habe selbst ihn schockiert,
sagt er. Etwa ein Dutzend gefangene IS-Kämpfer
hat er im Nordirak interviewt: »Sie haben mir
erzählt, dass es sich für sie so anfühlt, als würden
sie ein Huhn töten, wenn sie ein jesidisches Kind
köpfen.« Fanatismus und Ideologie, sagt Kizilhan,­
können die angeborene Empathie des Menschen
unter sich begraben.
In den Camps der Region Dohuk untersuchte
Kizilhan kurz nach dem Völkermord im Sin­
dschar-Gebirge 1400 traumatisierte jesidische
Frauen und Mädchen. Etwa 1100 von ihnen
brachte er 2015 im Rahmen eines Sonder­
programms zur psychotherapeutischen Behand-
lung nach Baden-Württemberg, darunter die
Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad. Weil
der Nordirak aber eine eigene medizinische Ver­
sorgung braucht, bemühte er sich um die Grün-
dung des Masterstudiengangs in Dohuk. Ein
zweiter Jahrgang ist bereits in der Ausbildung.
Für den dritten, der sein Studium im Oktober
2020 beginnen soll, ist die Finanzierung noch
nicht gesichert.
Kizilhan will das Institut bis 2023 als Teil ei-
ner eigenständigen Fakultät an der Universität
Dohuk etablieren. Es soll ein Vorbild sein, für
andere Universitäten im Irak und für den ganzen
Nahen Osten. Mit eigenen Dozenten, die die
Professoren aus Deutschland, Schweden oder
den USA ablösen. Deshalb bildet das Institut in
Dohuk bereits jetzt einige seiner Studierenden
zu Dozenten aus.
Von Dohuk führt eine Straße durch karge
Berglandschaft zum Flüchtlingslager Mam Ra­
schan, es geht vorbei an zwei Checkpoints. Am
Steuer des Wagens sitzt der 31-jährige Siad­
Ahmed Baschir. Starr richtet er den Blick auf die
Straße, er hat wenig geschlafen. Tags zuvor stand
auch er vor der Prüfungskommission. Als Letz-
ter. Die Anspannung, der Druck: Zu Beginn der
Prüfung hat er nichts rausbekommen, er musste
weinen. Am Ende schloss er als Zweitbester ab,
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
mit wenigen Punkten Abstand zur Jahrgangs-
besten Asmaa.
Im Camp Mam Raschan war Siad bis vor
wenigen Wochen Praktikant. 9000 Menschen
aus Sin­dschar haben dort Zuflucht gefunden, die
Hälfte von ihnen sind Jesiden, die anderen Mus-
lime und Christen. Die Bewohner nennen es das
Vorzeigecamp. Schon von Weitem wird klar,­
warum: Statt Zelten stehen Wohncontainer auf
einer Anhöhe, vor dem Eingangstor verkaufen
Händler in Buden Kleidung und Früchte, Panels
eines kleinen Solarparks schimmern im matten
Licht. Es gibt den ganzen Tag über Strom, zu-
dem zwei Schulen und einen Fußballplatz, auf
dem Halbstarke toben. An den Strommasten
hängt Reklame für Hochzeitsvideos. Alltag in-
mitten der Ungewissheit.
Siad öffnet die Tür des provisorischen­
Behandlungszimmers, in dem sich rote Plastik-
stühle vom Betongrund abheben. Hunderte
Stunden hat er hier gesessen, den quälenden Er-
zählungen der Geflüchteten zugehört und zu-
sammen mit ihnen geschwiegen, wenn sie für
das, was ihnen der IS angetan hatte, keine Worte
fanden. Es klopft an der Tür. Khaula, eine der
Patientinnen, die Siad behandelt hat, tritt ein. Es
ist das erste Mal seit seinem Praktikum, dass er
die 22-Jährige wiedersieht. Sie begrüßen sich wie
Freunde, die zum Plaudern in einem Café ver-
abredet sind. Dabei sei es erst ein Dreivierteljahr
her, dass Wut und Trauer Khaulas Stimme er-
stickten, erzählt Siad.
Noch vor dem IS-Massaker an den Jesiden
griff die Terrororganisationen Ortschaften im
Sindschar-Gebirge an. Als Khaula eines Tages
durch das Zentrum von Sindschar-Stadt lief,
fand sie Leichen auf der Straße aufgetürmt.
Khaula erkannte das Gesicht ihres Cousins. Als
sie ihn umarmen wollte, hielt sie nur seinen ab-
getrennten Kopf in den Händen. »Die Sunniten
hat der IS gehen lassen«, sagt die junge Frau.
»Aber uns Schiiten blieb nichts erspart.« Der IS
betrachtet Schiiten als Ungläubige und hat zu
ihrer Vernichtung aufgerufen.
Die Studenten verpflichten sich, nach ihrem
Abschluss vier Jahre im Irak zu arbeiten
Siad hat Khaula in der Therapie erklärt, warum
sich ihr Körper häufig taub anfühlt, und sie ermu-
tigt, eine Routine zu finden. Selbst hier im Camp,
wo die Tage ineinander verschwimmen. Dass
Khaula sich Siad immer mehr öffnete, liegt für
den Therapeuten daran, dass er ihr von seiner
eige­nen Angst erzählte. Und daran, dass er selbst
an einer posttraumatischen Belastungsstörung lei-
de. Als Kind gehörte Siad wie Khaula einer Min-
derheit an: Er wuchs als Kurde in Mossul auf, ei-
ner mehrheitlich von Arabern bewohnten Stadt.
Anfang der Nullerjahre lebte Siad dort in ständi-
ger Angst vor Anschlägen von Terrorgruppen wie
Al-Kaida. Irgendwann wurde es seiner Familie zu
viel, sie ging in den kurdischen Nordirak.
Wie alle seine Kommilitonen hat Siad sich
verpflichtet, nach dem Abschluss mindestens vier
Jahre im Irak zu arbeiten. Was danach kommt,
weiß er nicht. Siad und seine Frau haben eine
kleine Tochter. »Kann ich ihr zumuten, in einer
Region aufzuwachsen, in der alle zehn Jahre etwas
Schreckliches passiert?« Das frage er sich oft.
Auch sei es trotz seiner Qualifikation und des
großen Bedarfs an therapeutischer Hilfe nicht
leicht, einen Job zu finden. Nicht mal in Dohuk,
wo es viele Hilfsorganisationen gibt. »Eine Stelle
bekommt, wer Kontakte hat«, sagt Siad. Er habe
das mehrfach erlebt, seine Kommilitonen erzähl-
ten Ähnliches. Sie könnten ihre eigenen Kliniken
eröffnen. Wenn da nicht eine bürokratische Hür-
de wäre. Die Studenten haben ihren Prüfungs-
stoff schneller gelernt, als die Behörden arbeiten:
Die Berufsbezeichnung »Psychotherapeut« ist im
Irak bisher nicht anerkannt.
AA www.zeit.de/audi
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 DIEZEIT 35

STELLENMARKT
Die Position

Ideen machen unabhängig

Globalen Krisen müssen wir mit europäischen Innovationen begegnen  VON ANNA CHRISTMANN UND DANYAL BAYAZ

Der Aufschrei vor einigen Wochen war groß: Das Tübin-
ger Biotech-Unternehmen Cure­Vac verhandelte angeb-
lich mit der Trump-Regierung über einen Impfstoff ge-
gen das Coronavirus – exklusiv für die USA. Cure­Vac
und sein Hauptinvestor Dietmar Hopp stellten bald klar,
dass es zu solchen Verhandlungen nie gekommen sei. Der
Impfstoff werde für die ganze Welt entwickelt.
Der Fall Cure­Vac – wie auch immer die Gespräche genau
verlaufen sein mögen – zeigt: Um Krisen bewältigen zu
können, sind wir nicht nur auf Innovationen angewiesen.
Wenn wir Abhängigkeiten verhindern wollen, sollten­
Innovationen auch aus Deutschland und Europa kommen.
Es geht um unsere technologische Souveränität – auch gegen-
über dem staatsautoritären China und einer­
America first-Politik. Andere Länder stellen mehr
Fotos: Stefan Kaminski
gefördert. Vergleichbares Geld für Forschungsprojekte gibt
es bei uns bisher kaum. Ein Investor wie Dietmar Hopp ist
eher die Ausnahme als die Regel.
»Whatever it takes« sollte auch für die Förderung von
Forschungsprojekten gelten. Unsere Ausgangslage – in
Deutschland wie in Europa – ist eigentlich gut: Spitzen-
forscherinnen und -forscher, herausragende Universitä-
ten, ein erfolgreicher Mittelstand und viel privates Kapital.
Doch darauf können wir uns nicht ausruhen. Es braucht
Veränderungen in drei Bereichen:
1. Auf Innovationen setzen
Für den künftigen Erfolg unserer Wirtschaft werden völlig
neue Geschäftsmodelle und Technologien von
zentraler Bedeutung sein. Solche Innovationen
braucht jetzt den nötigen finanziellen Aufwuchs. Und sie
muss konsequent europäisch aufgestellt werden – vernetzt
mit anderen nationalen Agenturen und dem Europäischen
Innovationsrat (EIC). Und: Nicht jede geförderte Idee wird
Früchte tragen. Eine erfolgreiche Innovationspolitik braucht
die Bereitschaft zu Versuch und Irrtum.
2. Ausgründungen aus der Wissenschaft stärken
Ausgründungen aus der Wissenschaft sind ein entschei-
dender Schritt, damit Innovationen verwertet werden. Es
braucht bessere Bedingungen an Hochschulen und For-
schungseinrichtungen, damit ­Ideen zur Reife gebracht
werden können. Bestehende Förderprogramme des Wirt-
schaftsministeriums wie Exist reichen oft nicht
aus. Wir müssen in Gründungszentren an
Hochschulen im einstelligen Prozentbereich zum neuen
Ausgründungsstandard werden.
3. Start-ups dauerhaft eine Heimat geben
Innovative Unternehmen zu fördern ist eine Sache, sie
dauerhaft hier zu halten eine andere. Unser Wagniskapital­
markt ist immer noch unterentwickelt. Ein staatlicher
Wagniskapitalfonds wäre entscheidend, gerade in Berei-
chen wie Greentech, künstliche Intelligenz oder Life­
sciences. Mittelfristig würde sich mit staatlichen Anstö-
ßen auch ein Markt für privates Risikokapital entwickeln.
Es ist kein Naturgesetz, dass I­deen ins Silicon Valley ab-
wandern – es könnte auch umgekehrt sein. Dabei sind
wir auf private Investoren angewiesen. Der
Staat kann das nicht allein stemmen. Der Staat

und gezielter Geld für Forschung und Entwick-
lung bereit. Trump ist nicht ohne Grund auf ­
Cure­Vac gekommen. Schon früh wurde das Un-
ternehmen durch die Forschungsagentur Darpa
des amerikanischen Verteidigungsministeriums
verlangen vom Staat mehr Mut in der Förderung.
Die neue Agentur für Sprunginnovationen des
Bundes ist ein Anfang. Das Silicon Valley wäre
ohne starke staatliche Unterstützung niemals so
erfolgreich geworden. Diese Bundesagentur
Hochschulen investieren. Außerdem müssen kann allerdings dafür sorgen, dass eine innovati-
die Anreize für Forschende stimmen, mit ihren­ ve und unternehmerische Forscher-, Gründer-
Ideen die Selbstständigkeit zu wagen. Statt und Investorenlandschaft entsteht, die globale
komplizierter Lizenzierungen sollte die stille Probleme lösen kann. Damit sichern wir Wohl-
Beteiligung von Forschungseinrichtungen und stand und Lebensqualität in unserem Land.

Dr. Anna Christmann Dr. Danyal Bayaz

ist Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik ist Leiter des Wirtschaftsbeirats der ­
der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
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Der Senator für Finanzen

Aus- und Fortbildungszentrum
Verwaltungsschule

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt einen
Leiter (m/w/d) der
Stabsstelle Organisationsberatung
Das Ziel dieser neu eingerichteten Stelle ist der Aufbau eines internen Consul-
tings, das Einrichtungen und Abteilungen bei der Gestaltung und Optimierung der
eigenen Aufbau- und Ablauforganisation berät, dabei Schnittstellen zur Univer-
sitätsverwaltung und weiteren Einrichtungen abstimmt und schließlich bei der
Umsetzung von Neuerungen begleitet. Insbesondere soll die Stabsstelle Unter-
stützung bei der Auswahl und nutzerorientierten Einbindung von IT-Werkzeugen in
die Arbeitsprozesse leisten. Die Stabsstelle ist direkt dem Präsidium unterstellt.
Die Innovationskraft, der Ideenreichtum und der Anspruch unseres
Medienhauses drücken sich in vielen Facetten aus: in Deutschlands größter Ihre Aufgaben:
• Analyse der Aufbau- und Ablauforganisation universitärer Einrichtungen und
Qualitätszeitung DIE ZEIT, Online-Aktivitäten, ZEIT Reisen, den ZEIT deren Dokumentation, z. B. in Form von Organigrammen oder Prozessmodellen
Magazinen, einem umfangreichen Veranstaltungs- und Konferenzgeschäft • Aufbau und kontinuierliche Weiterentwicklung eines zentralen Katalogs mit
Best Practices für wiederkehrende organisatorische Aufgabenstellungen
und exklusiven Sondereditionen. Leben Sie Ihre Talente in einem • Beratung des Präsidiums zur Gestaltung organisatorischer Neuerungen und
dynamischen Umfeld aus, das Tradition, Werte und Kreativität vereint. Anpassungen sowie die Unterstützung bei deren Umsetzung und das zentrale
Monitoring
• Beratung der Leitung universitärer Einrichtungen zu organisatorischen Opti-
mierungsmöglichkeiten, zur Gestaltung von Aufgabenbereichen, Rollen und
Bereichern Sie unser Team als Arbeitsprozessen sowie Unterstützung bei der Abstimmung von Prozess-
Der Senator für Finanzen beabsichtigt – vorbehaltlich der Freigabe der Haushalts-
mittel -, die
Leitung (w/m/d) des Aus- und
Fortbildungszentrums für den
bremischen öffentlichen Dienst und
der Verwaltungsschule der
Freien Hansestadt Bremen
mit der Besoldungsgruppe A 16 bzw. einer entsprechenden
außertariflichen Vergütung
zu besetzen.
Beide Funktionen werden in Personalunion wahrgenommen. Die Stelle wird
voraussichtlich zum 1. Februar 2021 vakant; sie soll aber zur Ermöglichung
von Wissenstransfer bereits zum nächstmöglichen Zeitpunkt besetzt werden.
Das Aus- und Fortbildungszentrum (AFZ) ist eine Dienststelle im Geschäfts-
bereich des Senators für Finanzen und besteht zurzeit aus vier Referaten. Es
managt die Ausbildung von Verwaltungspersonal, nimmt in der dualen Berufs-
bildung die Aufgaben des Ausbildenden wahr, ermöglicht Jugendlichen mit
besonderen Zugangsbarrieren eine Ausbildung im öffentlichen Dienst und bie-
tet eine auf Berufsausbildungen vorbereitende Einstiegsqualifizierung für junge
Geflüchtete an. Im Fortbildungsbereich qualifiziert und berät das AFZ
Mitarbeiter*innen und Dienststellen der bremischen Verwaltung und leistet es
Unterstützung in Veränderungsprozessen.
Die Verwaltungsschule ist in Bremen die berufliche Schule für die öffentliche

IT-Application-Manager
schnittstellen zu weiteren Einrichtungen und zur zentralen Universitätsverwal-
tung Verwaltung. Sie ist eine nichtrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie
wird von den auszubildenden Verwaltungs- und Justizfachangestellten sowie
• Beratung zum Aufbau von Projektstrukturen und zum Projektmanagement von Kaufleuten für Büromanagement besucht. Für Beamtenausbildungen ist
• Fachliche Beratung der Leitung universitärer Einrichtungen zu technischen

(m/w/d)
sie Fachschule. Daneben betreut sie die Praxisanteile im dualen Bachelor-
Optimierungsmöglichkeiten durch die Einbindung von IT-Werkzeugunterstüt- Studium der angehenden Verwaltungsinspektor*innen und übernimmt Aufga-
zung ben in der beruflichen Einstiegs-, Aufstiegs- und Weiterbildung der bremischen
• Begleitung von Einrichtungen bei der Umsetzung von Optimierungen und sowie Verwaltung.
damit einhergehende Anwenderschulungen zur Einführung von IT-Werkzeug- AFZ und Verwaltungsschule haben gemeinsam ca. 75 Mitarbeiter*innen, sind
unterstützung miteinander verzahnt und kooperieren eng mit den Referaten der senatori-
Hamburg – Vollzeit – Feste Anstellung schen Behörde, insbesondere mit der Abteilung 3, „Verwaltungs- und Perso-
Unsere Anforderungen: nalmanagement“.
• Erfolgreich abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium, z. B. der Voraussetzungen
Bei Rückfragen: Wirtschaftsinformatik oder Informatik Wenn Sie die Befähigung zum zweiten Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2
Christin Spitzner • Nachweisbare, mehrjährige Erfahrung in der Leitung von Organisationsent- oder einen verwaltungsbezogenen oder pädagogischen Studienabschluss auf
Masterniveau oder eine vergleichbare berufliche Qualifikation besitzen und die
Zeigen Sie, was in Ihnen steckt. Candidate Experience Managerin wicklungs- oder IT-Einführungsprojekten weiteren in der ausführlichen Fassung dieser Ausschreibung formulierten An-
040/32 80-266 • Fundiertes methodisches Wissen und praktische Erfahrungen bei der Erhe- forderungen erfüllen, freuen wir uns auf Ihre Bewerbung.
· Als IT-Application-Manager (m/w/d) verantworten Sie die Redaktions- und bung von Anwenderanforderungen und bei der Analyse, Dokumentation und
Zeitverlag Gerd Bucerius Im Online-Karriereportal der Freien Hansestadt Bremen ist diese Ausschrei-
Produktionssysteme in der ZEIT Verlagsgruppe. Optimierung abteilungsübergreifender Arbeitsprozesse bung unter www.karriere.bremen.de mit einer ausführlichen Beschreibung der
GmbH & Co. KG, • Umfangreiche Kenntnisse zu agilen Vorgehensmodellen, zum Einsatz von Aufgaben und Anforderungen veröffentlicht.
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Speersort 1, 20095 Hamburg sowie zur ARIS-Plattform und umfangreiche Erfahrungen im Einsatz von Senator für Finanzen, Dr. Anke Saebetzki (Tel. 0421-361-4070) oder der Leiter
und führen neue IT-Lösungen ein.
Softwarelösungen für das Projekt-, Aufgaben- und Wissensmanagement (z. B. des AFZ und Direktor der Verwaltungsschule Holger Wendel (Tel. 0421-361
Direkt online bewerben: Jira, Confluence, Redmine oder Trac) 5335) gerne zur Verfügung.
· Die eigenständige Steuerung von Anforderungen aus den Fachbereichen
www.zeit-verlagsgruppe.de/ • Selbstständige und analytische Arbeitsweise sowie hohe Kommunikations- bzw. Senden Sie bitte Ihre aussagefähige Bewerbung, der ein Motivations-
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z.B. InterRed, Journal Designer oder NewsWay gehören ebenfalls zu karriere/jobs 23.05.2020 an:
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· Sie erarbeiten verlagsgruppenweite Entscheidungen und vertreten
• Eine attraktive und der Position angemessene Vergütung nach den Bestim- 28195 Bremen
diese in Entscheidungsgremien. mungen des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) E-Mail: personalbuero@finanzen.bremen.de oder direkt über das Online-
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Interessiert? • Eine universitäre Gesundheitsförderung und ein familienfreundliches Arbeits-
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Dann finden Sie unsere vollständige Stellenausschreibung • Nebenleistungen wie z. B. Vermögenswirksame Leistungen, Job-Ticket und
auf unserer Karriereseite www.zeit-verlagsgruppe.de/karriere. betriebliche Altersvorsorge (VBL)
Die Einstellung erfolgt unbefristet, es handelt sich um eine Vollzeitstelle mit
40 Wochenstunden.
Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung, Befähigung und fach-
licher Qualifikation bevorzugt berücksichtigt.
Bayerisches Staatsministerium für Haben wir Ihr Interesse geweckt? Dann senden Sie Ihre aussagekräftigen Bewer-
BITTE BEACHTEN Wohnen, Bau und Verkehr bungsunterlagen unter Angabe Ihrer Gehaltsvorstellungen, gerne auch per E-Mail,
Anzeigen- / Druckunterlagenschluss Print-Online-Stellenanzeigen: bitte unter Angabe der Registrier-Nummer 105/2020 bis zum 09.06.2020 an:
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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Montag der Erscheinungswoche, 14 Uhr
WIR BAUEN
Dezernat 5 - Personal
Fürstengraben 1, 07743 Jena Der Wasserverbandstag e.V. Bremen | Niedersachsen | Sachsen-Anhalt betreut
Andrea.Brandhoff@zeit.de 040/32 80396 oder dez5@uni-jena.de als Dachvereinigung ca. 950 Wasser- und Bodenverbände und Zweckverbände,
die als Körperschaften öffentlichen Rechts in den namensgebenden Bundes-
das Klinikum Großhadern Wir bitten darum, Ihre Unterlagen nur als Kopien einzureichen, da diese nach Ab-
schluss des Bewerbungsverfahrens ordnungsgemäß vernichtet werden. Bitte beachten
ländern vielfältige Aufgaben u. a. aus den Bereichen Trinkwasserversorgung,
Abwasserbeseitigung, Deicherhaltung, Gewässerausbau- und unterhaltung,
Sie auch unsere Bewerberhinweise unter: www.uni-jena.de/stellenmarkt_hinweis.html Beregnung usw. wahrnehmen.
400.000 m2 BGF, drei medizinische Spezialzentren. Werde Teil unseres Bitte beachten Sie zudem die Informationen zur Erhebung personenbezogener Daten
interdisziplinären Teams für den Klinik-Neubau Großhadern. unter: www.uni-jena.de/Universität/Stellenmarkt/Datenschutzhinweis.html Da der bisherige Stelleninhaber in den Ruhestand geht, wird zum 1. Juni 2020
ein/eine
Wir suchen für das Staatliche Bauamt München 2,
am Standort Großhadern ab sofort Mehr Infos:
Volljurist/Volljuristin (m/w/d)
ƒ Architekten / Bauingenieure (m/w/d)
ƒ Elektroingenieure (m/w/d) Über 1.000 anspruchsvolle für die Stelle eines Referenten/einer Referentin gesucht. Die Stelle kann falls
gewünscht auch bereits früher angetreten werden. Die Vergütung erfolgt
ƒ Versorgungsingenieure (m/w/d) Stellen auch online! gemäß Entgeltgruppe 14 TVöD (VKA).
ƒ Bauingenieure Tiefbau (m/w/d) Dienstort ist Hannover, die Bereitschaft zu Dienstreisen wird vorausgesetzt.
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Fragen und Infos: Frau Djemaa, Tel. 089 / 693321-231 Weitere Informationen zum Aufgabenschwerpunkt der Stelle sowie zu dem
erwarteten Profil finden Sie unter
Bewerbungen per E-Mail an: bewerbung@stbam2.bayern.de jobs.zeit.de
www.wasserverbandstag.de/service/stellenangebote
 Diözese

RO ENBURG-
STU GART
Leitung der Diözesanbibliothek Rottenburg und
der Bibliothek des Wilhelmsstifts Tübingen (m/w/d)
Die Diözesanbibliothek der Diözese Rottenburg-Stuttgart hat die Funktion
einer wissenschaftlichen Zentralbibliothek für die Literaturversorgung
und Beratung sowohl der kirchlichen MitarbeiterInnen als auch
einer wissenschaftlich interessierten Öffentlichkeit an den beiden
zentralen Standorten der Diözesanbibliothek in Rottenburg und der
Bibliothek des Wilhelmsstifts in Tübingen. Gleichzeitig fungiert sie als
Behördenbibliothek für die diözesane Verwaltung.
Das Bibliothekssystem der Diözese Rottenburg-Stuttgart umfasst
650.000 Bände an beiden Standorten sowie 20 Landkapitelsbibliotheken
in zehn über die Diözese verteilten Depots.
Ihre Aufgaben
– Personalführung und -entwicklung
– konzeptionelle und strategische Weiterentwicklung des diözesanen
Bibliothekssystems
– Verantwortung für die Datensicherheit und die Datenlangzeitverfügbarkeit
– Bestandsaufbau: Leitlinie ist die Grundidee des diözesanen
Bibliothekswesens, wonach die Aktualität der in Kirche und
Gesellschaft diskutierten Themen maßgeblich ist.
– Betreuung des Altbestands
Ihr Profil
– abgeschlossenes Hochschulstudium (Theologie und/oder Geschichte)
– abgeschlossene bibliothekarische Ausbildung
– Mitglied in der Katholischen Kirche sowie die Identifikation mit ihren
Zielen
Unser Angebot
– gute, profunde Einarbeitung
– ein aufgeschlossenes Team
– Ermöglichung der fachlichen und persönlichen Entwicklung
– Anstellung und Vergütung nach der Arbeitsvertragsordnung der
Diözese Rottenburg-Stuttgart (AVO-DRS), vergleichbar dem
Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes der Länder (TV-L)
– die im Öffentlichen Dienst üblichen Sozialleistungen
– schwerbehinderte Menschen werden bei gleichem Profil bevorzugt
berücksichtigt.
Schriftliche Bewerbung: bis 31.05.2020 an
Bischöfliches Ordinariat HA XII - Medien, Jahnstraße 32, 70597 Stuttgart,
E-Mail: ha-xii@bo.drs.de, Tel. 0711 9791-2002
Aufgrund der erfolgreichen Einwerbung im Bund-Länder-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses (Tenure-
Track-Programm) sind an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) nachfolgende Professuren zum nächstmöglichen Zeitpunkt
zu besetzen:
1. Im Fachbereich Medizin der JLU und in der Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH, Standort Gießen, die
W1-Professur für Systemische Neurowissenschaften
bei psychischen Erkrankungen
(mit Tenure Track nach W2)
unter Beachtung des § 64 Abs. 3 und 4 Hessisches Hochschulgesetz (HHG) für die Dauer von sechs Jahren im außertariflichen
Arbeitsverhältnis. Gemäß § 64 Abs. 3 HHG soll die Bewerberin oder der Bewerber an einer anderen Hochschule als der JLU pro-
moviert haben oder nach der Promotion mindestens zwei Jahre außerhalb der JLU wissenschaftlich tätig gewesen sein. Die Dauer
der wissenschaftlichen Tätigkeit nach der Promotion soll vier Jahre, im Fall der erfolgreichen Absolvierung einer Weiterbildung nach
§ 62 Abs. 6 HHG sieben Jahre, nicht übersteigen. Im Falle der Bewährung, die gem. § 64 Abs. 2 HHG in einem Evaluationsverfahren
festzustellen ist, wird die dauerhafte Übertragung einer W2-Professur zugesagt.
Aufgaben:
Mit der Professur ist die Leitung einer Arbeitsgruppe im Rahmen des translationalen Forschungsschwerpunktes der Professur für
Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Einbindung in laufende und in Planung befindliche Forschungsverbünde des Fachbereichs
Medizin und des Fachbereichs Psychologie und Sportwissenschaft der JLU verbunden. Die wissenschaftliche Tätigkeit soll ihren
Schwerpunkt insbesondere auf der Erforschung systemisch-neurowissenschaftlicher Fragestellungen im Bereich der neuronalen
Mechanismen bei Wahrnehmung und Anpassung sowie Kognition bei psychischen Erkrankungen wie z. B. Psychosen haben und
mit innovativen methodischen Ansätzen zur neurobiologischen Intervention und Modulation von Hirnaktivität mit nichtinvasiver Hirn-
stimulation wie TMS, tDCS oder tACS die Forschungsschwerpunkte des Fachbereichs stärken und weiterentwickeln. Eine enge
Kooperation mit dem universitären Schwerpunktbereich „Mechanismen der Wahrnehmung und Anpassung“ sowie die Integration im
Schwerpunktbereich des Fachbereichs Medizin „Digitale Medizin, E-Health und Telemedizin“ wird erwartet.
Während der Tätigkeit an der JLU werden Erfolge in der eigenständigen Einwerbung von Drittmitteln erwartet. Die Bewerberin/
Der Bewerber sollte sich aktiv in bestehende Forschungsverbünde einbringen, selbstständig Forschungsprojekte (vorzugsweise
DFG, BMBF, EU) einwerben und bei DFG-Verbünden sowie nationalen und internationalen Vernetzungen mitarbeiten. Dies schließt
unter anderem die Anbindung an bestehende Verbundforschungsprojekte – insbesondere den SFB 936 und den SFB/Transregio 135 –
sowie zukünftige Forschungsverbünde ein. Darüber hinaus wird eine Vernetzung mit dem Campus-Schwerpunkt „Geist, Gehirn
und Verhalten“ sowie dem „Center for Mind, Brain and Behaviour“ innerhalb des Forschungscampus Mittelhessen angestrebt. Die
Mitarbeit in etablierten Strukturen zur Förderung des wissenschaftlich-klinischen Nachwuchses wie dem Gießener Graduierten-
zentrum Lebenswissenschaften (GGL), dem strukturierten Promotionsprogramm (JLU-TRAINEE) und dem Clinician Scientist Programm
(JLU-CAREER) und dem Schwerpunkt-Curriculum (SPC) „Mind and Brain“ wird erwartet.
Die Universitäten Gießen und Marburg haben mit der Technischen Hochschule Mittelhessen eine Forschungsallianz gegründet
(Forschungscampus Mittelhessen), in deren Rahmen die beiden Fachbereiche Medizin eine strukturierte Kooperation auf der Basis
abgestimmter Schwerpunkte praktizieren. Von den Bewerberinnen/Bewerbern wird entsprechend die Bereitschaft zur hochschul-
und fachbereichsübergreifenden Kooperation und Mitarbeit in Verbundprojekten erwartet.
Es wird erwartet, dass die zukünftige Stelleninhaberin/der zukünftige Stelleninhaber während der Qualifikationsphase Lehrveranstal-
tungen im Umfang von 4 SWS durchführt. Wesentliche Aufgabe im Bereich der Lehre ist die leitende Gestaltung und Mitwirkung am
curricularen Unterricht im Fach Psychiatrie und Psychotherapie am Zentrum für Psychiatrie/der Klinik für Psychiatrie und Psycho-
therapie im Studiengang Medizin. Dies umfasst vor allem die Beteiligungen an den Vorlesungen in der Psychiatrie, die Seminarver-
anstaltungen und die Mitwirkung am Wahlfach Psychiatrie und Psychotherapie. Die Thematik der Professur soll einen wesentlichen
Beitrag im Schwerpunktcurriculum Mind and Brain leisten. Eine Integration von Genderaspekten im Bereich der Forschung und
Lehre wird ausdrücklich gewünscht.
Voraussetzungen:
Die zukünftige Stelleninhaberin/Der zukünftige Stelleninhaber sollte auf ihrem/seinem Forschungsgebiet international anerkannt
sein; darüber hinaus sollte sie/er umfangreiche Erfahrungen in der wissenschaftlichen Anwendung von EEG und/oder fMRI haben
sowie Erfahrungen in der Verwendung von neurobiologischen Interventionsverfahren wie der nichtinvasiven Hirnstimulation. Voraus-
gesetzt werden neben einem abgeschlossenen Hochschulstudium der Medizin oder Psychologie die für die Erfüllung der Aufgaben
gem. § 61 Abs. 1 HHG erforderliche Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch eine herausragende Promotion
nachgewiesen wird und international sichtbare fachspezifische Publikationen. Erste Erfahrungen in der Einwerbung von Drittmitteln,
vorzugsweise bei der DFG, der EU bzw. dem BMBF, sind erwünscht. Bei entsprechender fachlicher Voraussetzung (Facharztweiter-
bildung in Psychiatrie und Psychotherapie) kann die Professur mit einer Leitungsaufgabe im psychiatrisch-psychotherapeutischen
Bereich verbunden werden. Gefordert sind auch Erfahrungen in der Lehre sowie der Nachweis einer besonderen pädagogischen
Eignung, um das Fachgebiet in der akademischen Lehre mit großem Engagement in seiner vollen Breite zu vertreten.
Bewerbungsaktenzeichen: K-02/20; Bewerbungsende: 05.06.2020
Hinweis: Wir erbitten zusätzliche Angaben auf unserem Bewerbungsbogen unter https://www.uni-giessen.de/fbz/fb11/dekanat/dekanat/ref1
sowie alle Bewerbungsunterlagen auch digital auf einem Datenträger.
Die Universität zu Köln, die Universität Duisburg Essen und das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung –
Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. (DIE) haben beim Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes
Nordrhein-Westfalen in einem wettbewerblichen Verfahren Mittel für das „NRW Forschungsnetzwerk Grundbildung und Al-
phabetisierung“ eingeworben. Ziel des Forschungsnetzwerks ist eine empirisch fundierte Auseinandersetzung mit Fragen
von Grundbildung und Alphabetisierung auf allen Ebenen des Weiterbildungssystems. Von besonderer Bedeutung ist das
dialogische Vorgehen des NRW Forschungsnetzwerks zwischen Praxis, Politik und Wissenschaft.
Für das NRW Forschungsnetzwerk suchen wir Bewerberinnen und Bewerber für
1 Postdoc Stelle (TVL 14, 100%) für die Dauer von drei Jahren sowie
6 Doktorandenstellen (TVL 13, 65%) für die Dauer von drei Jahren.
Die Doktorandinnen und Doktoranden können sich für die Mitarbeit in drei thematischen Bereichen bewerben.
Ein thematischer Bereich wendet sich Forschungsfragen auf der Makroebene zu. Im Blick stehen etwa rechtliche und finan-
zielle Rahmenbedingungen zur Förderung eines zielgruppen-spezifischen Angebots, bildungspolitische Rahmenbedingungen
von Grundbildung und Alphabetisierung sowie die Schnittstelle von Grundbildung und beruflicher Weiterbildung. Erwar-
tet werden das Interesse an Forschungen zur Educational Governance und zur Bildungspolitik, ein sehr guter Hochschul-
abschluss in Erwachsenenbildung, Erziehungswissenschaft, Empirischer Bildungsforschung, Soziologie oder Politikwissen-
schaft, fundierte Kompetenzen in qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden und die Bereitschaft sich fortzubilden.
Ein weiterer thematischer Bereich wendet sich Forschungsfragen auf der Mesoebene zu. Im Mittelpunkt steht u.a. die Veran-
kerung von Grundbildung und Alphabetisierung in impliziten und expliziten Einrichtungen der Weiterbildung, die Vernetzung
von Weiterbildungsorganisationen mit Akteuren des Sozialraums zur Gewinnung von Teilnehmenden sowie von Angebots-
strukturen, auch zur politischen, gesundheitlichen oder informationstechnischen Grundbildung. Erwartet werden das Inte-
resse an Forschungen zur Passung von Angebotsformen zu Motivlagen und Alltagskontexten von Adressat*innen, ein sehr
guter Hochschulabschluss in Erwachsenenbildung, Erziehungswissenschaft, Empirischer Bildungsforschung, Soziologie oder
Politikwissenschaft, fundierte Kenntnisse der qualitativen und/ oder quantitativen Methoden der Bildungs- und Sozialfor-
schung und die Bereitschaft sich fortzubilden.
Ein dritter thematischer Bereich beschäftigt sich mit Forschungsfragen auf der Mikroebene der Lehr-Lernprozesse. Hier
können Fragen der Qualifizierung des pädagogischen Personals, der Erfassung der kognitiven und linguistischen Fähigkei-
ten der Lernenden, der Gestaltung von Kursen, des Einsatzes diagnostischer Verfahren und digitaler Lernmedien innerhalb
und außerhalb des Unterrichts oder der Systematisierung und Evaluation von Lehrmaterialien bearbeitet werden. Erwartet
werden ein ausgeprägtes Interesse an empirischer Forschung, ein sehr guter Hochschulabschluss in Erziehungswissenschaft,
Erwachsenenbildung, Empirischer Bildungsforschung, Psychologie, Rehabilitationswissenschaften, Sonderpädagogik oder
Linguistik. Erwartet werden zudem Kenntnisse im Bereich professioneller Kompetenzen von Lehrkräften oder der Diagnostik
kognitiver Fähigkeiten, sehr gute Kenntnisse in quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden und die Bereitschaft, sich
fortzubilden.
Die Universität zu Köln (Prof. Schemmann; Koordination), die Universität Duisburg Essen (Prof. Bremer) und das DIE (Prof.
Bar-Kochva, Prof. Schrader) bieten Ihnen u.a. ein interdisziplinär arbeitendes Forschungsumfeld, Zugang zu wissenschaftli-
chen Infrastrukturen und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Wenn Sie sich durch die Stellenausschreibungen angesprochen fühlen, so senden Sie Ihre Bewerbung bitte in elektronischer
Form bis zum 20.05.2020 an: Universität zu Köln - Professur für Erwachsenenbildung/Weiterbildung – Herrn Prof. Dr. Mi-
chael Schemmann – Innere Kanalstr. 15, 50823 Köln, (michael.schemmann@uni-koeln.de). Wenn Sie sich für die
Post-doc-Stelle interessieren, so fügen Sie Ihrer Bewerbung bitte ein etwa dreiseitiges Konzept für Ihre eigenen
Fragestellungen bei.
Für Rückfragen steht Ihnen Prof. Dr. Michael Schemmann unter der Rufnummer 0221 470-6676 zur Verfügung.
Weitere Informationen zur Leibniz-Gemeinschaft
finden Sie unter www.leibniz-gemeinschaft.de

2. Im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften die

W2-Professur für Politikwissenschaft

mit dem Schwerpunkt Methoden der Politikwissenschaft
unter Berücksichtigung der Demokratie- und politischen Sozialisationsforschung
(mit Tenure Track nach W3)
unter Beachtung des § 64 Abs. 1 und 4 HHG für die Dauer von sechs Jahren; es gelten die Einstellungsvoraussetzungen nach
§ 62 HHG. Im Falle der Bewährung, die gem. § 64 Abs. 2 HHG in einem Evaluationsverfahren festzustellen ist, wird die dauerhafte
Übertragung einer W3-Professur zugesagt.
Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) ist die Aufgaben: The Center for International Development and Environmental Research (Zentrum für internationale Entwicklungs- und
Stelle der/des Erwartet werden Forschungsschwerpunkte, welche die Bereiche qualitative und/oder quantitative Methoden verknüpfen mit einem Umweltforschung, ZEU), based at the Justus Liebig University Giessen (JLU), Germany in the project SDGnexus Network,
Fokus auf die Bereiche Demokratie- und politische Sozialisationsforschung sowie Politikfeldanalyse. supported by the DAAD with funds from the Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ) the Higher Education
Die Bereitschaft zum Nachweis des Erfolgs bei der eigenständigen Einwerbung begutachteter Drittmittel bis zur Endevaluation der Excellence in Development Cooperation (exceed) invites applications for three full-time positions for

Direktorin / Professur wird vorausgesetzt.

Direktors (*gn)
zum 1. Oktober 2021 zu besetzen.
Das IOW ist Mitglied der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm
Leibniz (WGL). Es betreibt mit den vier Fachsektionen Physikalische
Ozeanographie und Messtechnik, Meereschemie, Biologische Meeres-
kunde und Marine Geologie meereskundliche Grundlagenforschung
im Rahmen eines mehrjährig angelegten Forschungsprogramms.
Der Schwerpunkt liegt in Küsten-, Rand und Schelfmeeren mit
besonderer Hinwendung zur Ostsee. Das IOW ist durch eine Verwal-
tungsvereinbarung mit dem Bundesamt für Schifffahrt und Hydro-
graphie für die hoheitsrechtlichen Aufgaben der Umweltüber-
wachung der Ostsee im Rahmen der HELCOM verantwortlich. Die
Position der Direktorin/des Direktors (*gn) wird für 5 Jahre besetzt.
Wiederbestellung ist möglich.
Die Stelle ist verbunden mit einer
Darüber hinaus wird die Bereitschaft zur Mitarbeit an den Zentren der JLU, wie dem Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI), dem
Gießener Graduiertenzentrum Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften (GGS), dem International Graduate Centre for the
Study of Culture (GCSC), dem Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) oder dem Gießener Zentrum
Östliches Europa (GiZo), erwartet. Erwartet wird auch eine Mitwirkung an Netzwerkbemühungen im sozialwissenschaftlichen und im
darüber hinausgehenden Methodenbereich an der JLU. Erwünscht ist die Bereitschaft zur Beteiligung an vernetzten Forschungs-
und Lehrinitiativen innerhalb des Fachbereichs.
Die Professur sollte sich aktiv an den einschlägigen internationalen Kooperationen der JLU beteiligen und sich mit eigenen Auslands-
verbindungen in der weiteren internationalen Profilierung des Fachbereichs engagieren.
Sie lehren in allen Studiengängen, an denen das Institut für Politikwissenschaft beteiligt ist. Diese sind der BA Social Sciences, der
MA Demokratie und Governance, das Unterrichtsfach Politik und Wirtschaft in den Lehramtsstudiengängen L2 mit L5 und L3 sowie
die Grundwissenschaft Politologie in allen Lehramtsstudiengängen.
Die Berücksichtigung von Genderaspekten in Forschung und Lehre ist erwünscht.
Voraussetzungen:
Erwartet wird eine hervorragende Promotion in einem einschlägigen Themenfeld sowie ein einschlägiges Publikationsprofil mit inter-
national sichtbaren Publikationen in relevanten Fachzeitschriften. Erwartet werden auch Erfahrungen in der selbstständigen Dritt-
mitteleinwerbung. Nachgewiesene einschlägige didaktische Erfahrungen und Konzepte werden vorausgesetzt. Die Bereitschaft und
Fähigkeit, in englischer Sprache zu lehren, ist erwünscht.
Bewerbungsaktenzeichen: 3-04/20; Bewerbungsende: 24.06.2020
Die JLU strebt einen höheren Anteil von Frauen im Wissenschaftsbereich an; deshalb bitten wir qualifizierte Wissenschaftlerinnen
nachdrücklich, sich zu bewerben. Aufgrund des Frauenförderplanes besteht eine Verpflichtung zur Erhöhung des Frauenanteils.
Die JLU verfolgt auch das Ziel einer verstärkten Gewinnung von Führungskräften mit Gender- und Familienkompetenz. Die JLU
versteht sich als familiengerechte Hochschule. Bewerberinnen und Bewerber mit Kindern sind willkommen.
Ihre Bewerbung (keine E-Mail) richten Sie bitte unter Angabe des oben genannten Aktenzeichens mit den erforderlichen Unter-
lagen einschließlich aussagefähiger Belege über Ihre pädagogische Eignung an den Präsidenten der Justus-Liebig-Universität
Research Associates
for Investigating Sustainable Development Goal Interactions
The positions are available as of now until December 31st, 2024. The salary of the position is determined by payment group E 13
according to the collective labor agreement of the State of Hessen (TV-H).
The SDGnexus Network
The SDGnexus Network, consisting of partners from Colombia, Ecuador, Germany, Kyrgyzstan, Tajikistan and Uzbekistan, provides a
common research framework related to the Sustainable Development Goals (SDGs) of the United Nations (UN) and aims to analyze
synergies and trade-offs among individual SDGs (SDG nexus analysis). The Network intends to prepare the next generation of
scientists by implementing a variety of teaching programs (including e-Learning) and training activities, with particular attention for
the needs of junior researchers. The SDGnexus Network investigates interrelations among single SDGs within the following five focal
research areas: Food systems, Water, Urban & rural areas, Natural resources, SDG monitoring. Please find further information
on the research areas at https://t1p.de/snnra.
Job description
Based at the Center for International Development and Environmental Research (Zentrum für internationale Entwicklungs- und
Umweltforschung, ZEU) at JLU, you will conduct research related to one or more research areas as defined above. Furthermore,
you will foster the relations among and work closely with the international partners, contribute to the development of and actively
participate in (e-Learning) teaching modules related to sustainable development, take part in and design networking events, and
support the supervision of early-stage researchers. The research associates report about their projects to the Project Management
Board of the SDGnexus Network.
Your requirements profile includes: You should have a Master’s or an equivalent degree in a topic related to SDGs and a Ph.D or
at least three years of relevant academic experience in, e.g., agricultural science, food systems, geography, development economics,
political science, sociology or environmental science. Leadership qualities characterize your personality. You have good knowledge
of the SDGs and of the methods for measuring and solving trade-offs between them. You already have experience in teaching,
including e-learning. You have advanced communication skills in spoken and written English and excellent scientific writing skills.
Knowledge of the Spanish or Russian language is a clear advantage. We are looking for highly motivated persons that bring curiosity
in research and commitment to scientific excellence. The enthusiasm to work in a multi-disciplinary, collaborative, and international

W3-Professur für
Gießen, Erwin-Stein-Gebäude, Goethestraße 58, 35390 Gießen. Zu den Einstellungsvoraussetzungen und erforderlichen environment characterizes you.
Bewerbungsunterlagen wird empfohlen, unsere Hinweise unter https://www.uni-giessen.de/org/admin/dez/c/beschaeftigung/
professuren/merkblatt-deutsch zu beachten. Bewerbungen Schwerbehinderter werden – bei gleicher Eignung – bevorzugt. Wir The JLU is seeking a larger percentage of women in academia; therefore, qualified female researchers are especially encouraged

Erdsystemforschung
an der Universität Rostock.
Das Berufungsverfahren erfolgt gemeinsam mit der Universität Rostock.
Gesucht wird eine/ein Wissenschaftler/-in (*gn) von internationalem
Rang mit herausragenden Leistungen in der Erdsystemforschung –
vorzugsweise auf dem meereskundlichen Gebiet, mit ausgeprägten
Führungserfahrungen und umfangreichen Tätigkeiten in Wissen-
schafts-Management. Der Direktorin/Dem Direktor (*gn) obliegt die
wissenschaftliche Leitung des IOW sowie die Vertretung des Instituts
nach außen und innen. Insbesondere werden Impulse zu For-
schungsgestaltung und -strukturen, zur Beförderung der Drittmittel-
einwerbung und die Federführung im Programmbudget des IOW
sowie eine konstruktive Mitarbeit in der Profilinie Maritime Systeme
der Interdisziplinären Fakultät der Universität Rostock erwartet. Die
Lehrverpflichtung beträgt 2 SWS.
Auskünfte erteilt: Herr Prof. Dr. Detlef Schulz-Bull, Leibniz-Institut
für Ostseeforschung Warnemünde, Vorsitzender der Berufungs-
kommission, Telefon: 0381 5197 310, E-Mail:
detlef.schulz-bull@io-warnemuende.de
****
Die Einstellungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 58 Landeshoch-
schulgesetz Mecklenburg- Vorpommern (LHG M-V). Die Professur
wird gemäß § 61 LHG M-V im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, ggf.
auch im Beamtenverhältnis auf Zeit für 5 Jahre besetzt. Es besteht
die Möglichkeit, die Professur im Angestelltenverhältnis zu besetzen.
Einzelheiten werden auf Anfrage erläutert.
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung mit den üblichen Unterlagen bis
05.06.2020 vorzugsweise per E-Mail an:
dekan.mnf@uni-rostock.de oder an
Universität Rostock
Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät
18051 Rostock
Den vollständigen Text der Ausschreibung
entnehmen Sie bitte dem Internet unter:
www.uni-rostock.de/stellen/professuren/
und www.io-warnemuende.de
Fachbereich Veterinärmedizin, Tiermedizinisches Zentrum
für Resistenzforschung (TZR) und Fachbereich Mathematik
und Informatik, Institut für Informatik
Universitätsprofessur für Bioinformatik in der
tiermedizinischen Resistenzforschung
Besoldungsgruppe: W 2 auf Zeit (fünf Jahre)
Kennung: Bioinformatik-TZR
Aufgabengebiet: Vertretung tiermedizinischer, infektionsmedizinischer und
-biologischer Bioinformatik im TZR in Forschung und Lehre. Die Professur
soll Methoden der Datenerhebung und -auswertung im Kontext von Wirkstoff-
Resistenzen als auch Strategien ihrer Vermeidung erforschen. Die Lehre ist
hauptsächlich am Fachbereich Mathematik und Informatik in den Bachelor-
und Masterstudiengängen „Bioinformatik“ zu erbringen.
Einstellungsvoraussetzungen: gem. § 100 BerlHG
Den ausführlichen Ausschreibungstext finden Sie ab dem
27.04.2020 unter www.fu-berlin.de/universitaet/beruf-karriere/jobs
unter der angegebenen Kennung.
bitten, Bewerbungen nur in Kopie und ohne Hefter/Hüllen vorzulegen, da diese nach Abschluss des Verfahrens nicht zurückgesandt
werden.
Weitere Informationen zur Karriere an der Justus-Liebig-Universität Gießen erhalten Sie auf unserer Internetseite:
https://www.uni-giessen.de/karriere
DAS DUALE HOCHSCHULSTUDIUM
MIT ZUKUNFT.
Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) zählt mit
derzeit über 34.000 Studierenden (an 12 Standorten) und über
9.000 kooperierenden Unternehmen und sozialen Einrichtungen
zu den größten Hochschulen des Landes.
AN DER DHBW LÖRRACH IST FOLGENDE STELLE ZU BESETZEN:
Professur für Betriebswirtschaftslehre,
insbesondere Personalmanagement
Besoldungsgruppe W2, Kz. 4/22
Das Aufgabengebiet umfasst die Lehre in allgemeinen und
insbesondere personalspezifischen Modulen der Betriebswirt-
schaftslehre, die zur Qualifikation der Studierenden für ver-
schiedene Industrie-, Handels- und Dienstleistungsbranchen
beiträgt.
Sie haben ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Betriebs-
wirtschaftslehre, idealerweise mit Schwerpunkt Personalmana-
gement und entsprechende berufliche Erfahrungen, welche
auch Führungstätigkeiten beinhalten.
Erwartet werden berufspraktische Erfahrungen und Kompe-
tenzen sowie die Bereitschaft zur Übernahme von Vorlesungen
u. a. in folgenden Bereichen:
Allgemeines Personalmanagement, mit Vertiefungsthemen
wie z. B.
EINSTELLUNGSVORAUSSETZUNGEN:
Vorausgesetzt werden gemäß § 47 LHG ein abgeschlossenes
Hochschulstudium, besondere wissenschaftliche Befähigung
(in der Regel Promotion), pädagogische Eignung sowie min-
destens fünf Jahre berufspraktische Erfahrung, davon mindes-
tens drei Jahre außerhalb des Hochschulbereichs. Sie müssen
zudem bereit sein, an der wissenschaftlichen Entwicklung,
insbesondere durch Forschung und wissenschaftliche Wei-
terbildung, teilzuhaben. Erwartet wird ein besonderes Maß
an Engagement, Kooperationsbereitschaft mit den beteiligten
Unternehmen und sozialen Einrichtungen sowie die Bereit-
schaft zur Gremienarbeit.
Bei Erfüllung der Voraussetzungen ist die Übernahme in das
Beamtenverhältnis auf Lebenszeit als Professor*in nach einer
dreijährigen Bewährung im Beamtenverhältnis auf Probe mög-
lich, falls das Lebensalter bei Einstellung 47 Jahre, bei Erfül-
lung besonderer Voraussetzungen 52 Jahre, nicht übersteigt.
Wir legen großen Wert auf die Präsenz unserer Lehrenden.
Entsprechend wünscht die DHBW Lörrach, dass Ihr zukünftiger
Lebensmittelpunkt in der Region liegt.
to apply. The JLU sees itself as a family-friendly university. Applicants with children are most welcome. Applications from disabled
people of equal aptitude will be given preference.
Please send your application, preferably via e-mail (sdgnexus@zeu.jlug.de), stating the reference number 261/Z until June 5th, 2020 to
the project coordinator Bjoern Weeser, Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU), Senckenbergstraße 3,
35390 Giessen, Germany.
Applications must be submitted as a single PDF file and must include a curriculum vitae, publication list, project list, list of
teaching experience (if available), a minimum of two references with full contact details, academic certificates, and a research project
proposal. Within the research project proposal (1000-1500 words) applicants should outline the focal research areas they are
interested in, describe their motivation, and summarize how they intend to contribute to the SDGnexus Network, including teaching.
For further information on the Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) see https://www.uni-giessen.de/zeu.
Would you like to learn more about jobs & careers at JLU? Convince yourself of our benefits at www.uni-giessen.de/karriere.
Die DHBW Lörrach (2.100 Studierende) bietet in Kooperation
mit über 750 ausgewählten Unternehmen 16 national und inter-
national akkreditierte, praxisintegrierte Bachelorstudiengänge Die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) vereint praxisorientierte
in den Bereichen Wirtschaft, Technik und Gesundheit an. Lehre und anwendungsnahe Forschung. Regionales Alleinstellungsmerkmal der Hochschule ist ihr
breites ingenieurwissenschaftlich-technisches Profil. Zusammen mit den Bereichen Informatik,
Wirtschaft, Soziales und Kultur bietet sie ein vielfältiges Lehr- und Forschungsangebot in Leipzig, einer
der attraktivsten und am schnellsten wachsenden Städte Deutschlands.
An der HTWK Leipzig sind nachfolgende
Professuren
zu besetzen:
 Geschäfts-/Organisationsmodelle im HRM Professur „Nachhaltiges Bauen/Bauen im Bestand“ (W2)
 Personalentwicklung zum 01.10.2020 an der Fakultät Bauwesen
 Personalcontrolling
Professur „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre,
 Personaleinsatz und Entgeltabrechnung
Bei allen Vorlesungen wird erwartet, dass aktuelle Entwick- Digitalisierte Geschäftsprozesse und -modelle“ (W2)
lungen im Bereich Digitalisierung und digitale Transformation zum nächstmöglichen Termin an der Fakultät Wirtschaftswissenschaft und
intensiv eingebunden werden. Wirtschaftsingenieurwesen
Bedarfsbezogen wird auch die Bereitschaft erwartet, Vorle- Alle Details zu den Ausschreibungen finden Sie unter
sungen im Bereich der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre
www.htwk-leipzig.de/stellenausschreibungen
zu übernehmen.
Neben den wissenschaftlichen und didaktischen Kompetenzen
wird insbesondere die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung
an der Weiterentwicklung des Studienangebots sowie an der
kooperativen Forschung mit Dualen Partnern vorausgesetzt.
Chancengleichheit ist fester Bestandteil unserer Personal-
politik. Bewerbungen von Frauen sind besonders erwünscht.
Die Hochschule München ist eine der größten Hochschulen für angewandte Wissen-
Schwerbehinderte werden bei gleicher fachlicher Eignung schaften in Deutschland. Wir sehen unsere Herausforderung und Verpflichtung in einer
vorrangig berücksichtigt, es werden die Grundsätze des AGG aktiven und innovativen Zukunftsgestaltung durch Lehre, Forschung und Transfer. Die
beachtet. Die Stelle ist grundsätzlich teilbar.
Für fachliche Fragen steht Ihnen Herr Prof. Dr. Theodor Sproll
Zusammenarbeit mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft ist für uns von zentraler
Bedeutung.
gerne zur Verfügung.
Bitte richten Sie Ihre Bewerbung bis zum 31.05.2020 unter Für die nachstehend aufgeführte Professur in der Fakultät für Design, die zum
Angabe der Kennziffer an: sproll@dhbw-loerrach.de oder Wintersemester 2020/2021 oder später zu besetzen ist, wird eine Persönlichkeit mit
Berufs- und Lehrerfahrung, Begeisterung für die Vermittlung des Lehrgebiets und
per Post an:
Vernetzung in die Fotografie-Szene gesucht.
Duale Hochschule Baden-Württemberg Lörrach
Rektor Prof. Dr. Theodor Sproll W2-Professur für das Lehrgebiet Fotografie (m/w/d)
Hangstraße 46-50, 79539 Lörrach Kennziffer: 1231
Erfahren Sie mehr in der detaillierten Stellenausschreibung unter:
https://stellen.hm.edu/22gwt
Bewerben Sie sich über unser Online-Portal bis zum 11.06.2020.
Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen!

Die Technische Universität Braunschweig besetzt am Institut für Mathema-
tische Optimierung im Rahmen des Bund-Länder-Programms zur Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses (Nachwuchspakt) zum nächstmöglichen
Zeitpunkt eine
Juniorprofessur für „Optimierung und
Unsicherheit in der Mobilität“
(W1 mit Tenure Track nach W2)
Gesucht wird eine ausgewiesene Persönlichkeit des wissenschaftlichen Nach-
wuchses mit einem Forschungsschwerpunkt vorzugsweise auf einem der Gebiete
Optimierung mit reduzierten Modellen, Optimierung unter Unsicherheiten oder
robuste Optimierung.
Der*die zukünftige Stelleninhaber*in soll ein sehr gutes Anbindungspotential an
das Forschungsprofil des Instituts für Mathematische Optimierung in den Be-
reichen nichtlineare Optimierung, Optimale Steuerung sowie kombinatorische
Optimierung und zu den Forschungsschwerpunkten der TU Braunschweig be-
sitzen. Außerdem soll er*sie Aufgeschlossenheit gegenüber anwendungsnaher
Arbeit im Exzellenzcluster SE²A und weiteren koordinierten Forschungsvorhaben
zum Thema Mobilität im wissenschaftlichen Umfeld der TU Braunschweig zeigen.
Nachgewiesene Aktivitäten zur Drittmitteleinwerbung sind erforderlich. Wün-
schenswert ist darüber hinaus die Anschlussfähigkeit an weitere Institute des
Departments Mathematik.
Das Department Mathematik etabliert derzeit die Initiative „Mathematics in Data
Science“ und bietet in diesem Rahmen zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten
mit Instituten der Informatik, der Ingenieur- und der Wirtschaftswissenschaften.
Eine angemessene Beteiligung in Forschung und Lehre seitens des*der zu-
künftigen Juniorprofessor*in wird vorausgesetzt.
Die Beschäftigung erfolgt bei Erfüllung der allgemeinen dienstrechtlichen Vor-
aussetzungen in einem Beamtenverhältnis auf Zeit zunächst für die Dauer von
drei Jahren. Bei erfolgreicher Zwischenevaluation gem. § 30 Abs. 4 S. 2 NHG
wird die Professur um weitere drei Jahre verlängert. Bei positivem Ausgang
des in der Tenure-Track-Ordnung der TU Braunschweig geregelten Verfahrens
erfolgt bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen eine Berufung
auf eine unbefristete Professur in der Besoldungsgruppe W2 NBesO ohne weitere
Ausschreibung.
Die Einstellungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 30 des Niedersäch-
sischen Hochschulgesetzes.
Mit nahezu 20.000 Studierenden und 3.700 Beschäftigten ist die TU Braun-
schweig die größte Technische Universität Norddeutschlands. Sie steht für stra-
tegisches und leistungsorientiertes Denken und Handeln, relevante Forschung,
engagierte Lehre und den erfolgreichen Transfer von Wissen und Technologien
in Wirtschaft und Gesellschaft. Konsequent treten wir für Familienfreundlichkeit
und Chancengleichheit ein. Unsere Forschungsschwerpunkte sind Mobilität, In-
fektionen und Wirkstoffe, Metrologie sowie Stadt der Zukunft. Starke Ingenieur-
wissenschaften und Naturwissenschaften bilden unsere Kerndisziplinen. Diese
sind eng vernetzt mit den Wirtschafts- und Sozial-, Erziehungs- und Geistes-
wissenschaften. Unser Campus liegt inmitten einer der forschungsintensivsten
Regionen Europas. Mit den über 20 Forschungseinrichtungen in unserer Nach-
barschaft arbeiten wir ebenso erfolgreich zusammen wie mit unseren internati-
onalen Partnerhochschulen.
Die TU Braunschweig ist bestrebt, den Frauenanteil zu erhöhen, und for-
dert daher Frauen nachdrücklich zur Bewerbung auf. Frauen werden bei
gleichwertiger Qualifikation bevorzugt berücksichtigt. Bewerbungen von
Wissenschaftler*innen aus dem Ausland sind ausdrücklich erwünscht. Schwer-
behinderte Bewerber*innen werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt.
Weitere Auskünfte erteilt der Vorsitzende der Berufungskommission, Herr Prof.
Dr. Volker Bach, Tel. +49 531 391-7429, E-Mail: v.bach@tu-bs.de.
Bewerber*innen werden gebeten, ihre Bewerbung unter Angabe der Kenn-
ziffer 2020_f1_W002 mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugnissen
und Urkunden, Lehrportfolio, Publikationsliste und Verzeichnis der geleisteten
Lehre, Darstellung der eigenen Forschung und Auflistung der eingeworbenen
Drittmittel) in deutscher oder englischer Sprache digital im PDF-Format (bis
zu 50 MB) gerichtet an den Dekan der Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät, Herrn
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Fritz, TU Braunschweig, Rebenring 58a, 38106
Braunschweig, bis zum 31. Mai 2020 nur per E-Mail an berufungen@tu-
braunschweig.de zu senden.
Mit der Einreichung der digitalen Bewerbungsunterlagen wird deren digitaler
Weiterverarbeitung im Rahmen des gesamten Bewerbungsprozesses zuge-
stimmt. Die Hinweise zum Datenschutz finden Sie unter www.tu-braunschweig.
de/abt12/berufungen
Als einzige staatliche Fernuniversität haben wir seit über 40 Jahren Erfahrung
mit lebenslangem Lernen. Unsere Studierenden nutzen flexible Studienmöglich-
keiten auf Basis eines Blended-Learning-Studienmodells. An fünf Fakultäten erzielen
wir fachbezogene und fachübergreifende zukunftsweisende Forschungsergeb-
nisse. Zu unserem Selbstverständnis gehören interdisziplinäre Kooperation, die
Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Berücksichtigung
genderspezifischer Aspekte in Forschung und Lehre.
In der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften besetzen wir ab sofort die
Universitätsprofessur – W 2
für Allgemeine Bildungswissenschaft
Die Stelleninhaberin/Der Stelleninhaber soll das Fachgebiet Allgemeine Bildungs-
wissenschaft in Lehre und Forschung am Institut für Bildungswissenschaft und
Medienforschung (IfBM) vertreten. In der Lehre gehören dazu die Klärung, Reflexion
und Einordnung von Grundfragen und Grundbegriffen der Bildungswissenschaft/ t Kontinuumsmechanik, Biologie, Chemie und Physik. Gefordert sind Erfahrungen
Erziehungswissenschaft, die historische Ideen-, Sozial- und Wissensgeschichte
der Pädagogik, Adressatinnen/Adressaten und Handlungsfelder sowie wissen-
schaftstheoretische Ansätze der Bildungswissenschaft.
Die Bewerberin/Der Bewerber soll zudem in der Forschung in mindestens einem
der folgenden Schwerpunkte ausgewiesen sein:
- Kindheits- und Jugendforschung
- Lernen, Bildung und Sozialisation in unterschiedlichen Lebensphasen
- Transitionsforschung
Das IfBM ist genuin sozialwissenschaftlich ausgerichtet und gewichtet grund-
lagen- und anwendungsorientierte Fragestellungen in Forschung und Lehre
gleichrangig. Die Bereitschaft zu fachübergreifender Zusammenarbeit sowie die
Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung werden erwartet.
Vorausgesetzt werden umfangreiche Publikations- und Forschungsleistungen
und nachgewiesene Erfahrungen bei der erfolgreichen Einwerbung von Dritt-
mitteln. Erwartet wird ein hohes Engagement in der Lehre und der curricularen
Weiterentwicklung der Studiengänge des IfBM.
Die Lehre an der FernUniversität ist eingebettet in multimediale Lehr-Lern-Um-
gebungen. Die Stelleninhaberin/Der Stelleninhaber beteiligt sich an der Entwick-
lung und der Durchführung netzgestützter Lehre im Rahmen des universitären
Qualitätsstandards.
Einstellungsvoraussetzung sind wissenschaftliche Leistungen gemäß § 36 Hoch-
schulgesetz NRW. Gesundheits- und familienorientierte Aspekte sind in unserer
Personalkultur wichtig. Wir bieten ausgezeichnete Personal- und Sachausstat-
tung sowie Unterstützung für Sie und Ihr Team durch die verschiedenen Bereiche
der Universität.
Wenn wir Ihr Interesse geweckt haben und Sie diesem Profil entsprechen, dann
freuen wir uns über Ihre Bewerbung mit den üblichen Unterlagen an die
Rektorin der FernUniversität in Hagen, 58084 Hagen oder per E-Mail an:
rektorin@fernuni-hagen.de
Auskunft erteilt: Prof. Dr. Julia Schütz, Tel.: 02331/987-4691
E-Mail: julia.schuetz@fernuni-hagen.de
Die Bewerbungsfrist endet am 14. Juni 2020 (Eingang an der FernUniversität
in Hagen).
Wir wollen die Anzahl der Frauen in Forschung und Lehre deutlich erhöhen
und fordern daher qualifizierte Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung auf. Frauen
werden nach Maßgabe des Landesgleichstellungsgesetzes NRW bevorzugt be-
rücksichtigt.
Bewerbungen schwerbehinderter und gleichgestellter Personen sind erwünscht.
Mit Ihrer Bewerbung an die o. a. E-Mail-Adresse willigen Sie ein, dass Ihre
Bewerbungsunterlagen zum Zwecke des Berufungsverfahrens verarbeitet,
gespeichert und verwendet werden.
REICHWEITENSIEGER
Platz für 2.344.000 Bewerber*innen
Ihre Ausschreibung in Deutschlands reichweitenstärkster Qualitäts-
zeitung erscheint parallel mit wöchentlich 256.853 Visits auf
jobs.zeit.de und academics.
Quellen: AWA 2019 / Webtrekk, wöchentlicher Durchschnitt 2. Halbjahr 2019.
Die Technische Universität Braunschweig besetzt am Institut für Partielle
Differentialgleichungen im Rahmen des Bund-Länder-Programms zur Förderung
des wissenschaftlichen Nachwuchses (Nachwuchspakt) zum nächstmöglichen
Zeitpunkt eine
Juniorprofessur für „Flows and Dynamics“
(W1 mit Tenure Track nach W2)
Es wird eine ausgewiesene Persönlichkeit mit einem aktuellen Schwerpunkt in den
partiellen Differentialgleichungen und ihrer Numerik mit Relevanz für ingenieur-
wissenschaftliche Anwendungen gesucht, insbesondere in Strömungsmechanik,
in der Forschungsarbeit mit Ingenieuren.
Der*die zukünftige Stelleninhaber*in besitzt sehr gutes Anbindungspotential
an das Forschungsprofil des Instituts für Partielle Differentialgleichungen und
zu den Forschungsschwerpunkten der TU Braunschweig. Wünschenswert ist
darüber hinaus die Anschlussfähigkeit an weitere Institute des Departments
Mathematik. Außerdem werden Aufgeschlossenheit gegenüber anwendungs-
naher Arbeit und koordinierten Forschungsvorhaben im wissenschaftlichen
Umfeld der TU Braunschweig sowie nachgewiesene Aktivitäten zur Drittmittel-
einwerbung vorausgesetzt.
Die TU Braunschweig legt Wert auf eine hervorragende Lehre und erwartet
Veranstaltungen im Rahmen der Servicevorlesungen für Studierende der In-
genieurwissenschaften, insbesondere Engagement im internationalen Studien-
gang CSE (Computational Sciences in Engineering) sowie in den Studiengängen
der Mathematik.
Die Beschäftigung erfolgt bei Erfüllung der allgemeinen dienstrechtlichen Vor-
aussetzungen in einem Beamtenverhältnis auf Zeit zunächst für die Dauer von
drei Jahren. Bei erfolgreicher Zwischenevaluation gem. § 30 Abs. 4 S. 2 NHG
wird die Professur um weitere drei Jahre verlängert. Bei positivem Ausgang
des in der Tenure-Track-Ordnung der TU Braunschweig geregelten Verfahrens
erfolgt bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen eine Beru-
fung auf eine unbefristete Professur in der Besoldungsgruppe W2 NBesO ohne
weitere Ausschreibung.
Die Einstellungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 30 des Niedersächsischen
Hochschulgesetzes.
Mit nahezu 20.000 Studierenden und 3.700 Beschäftigten ist die TU Braun-
schweig die größte Technische Universität Norddeutschlands. Sie steht für stra-
tegisches und leistungsorientiertes Denken und Handeln, relevante Forschung,
engagierte Lehre und den erfolgreichen Transfer von Wissen und Technologien
in Wirtschaft und Gesellschaft. Konsequent treten wir für Familienfreundlichkeit
und Chancengleichheit ein. Unsere Forschungsschwerpunkte sind Mobilität,
Infektionen und Wirkstoffe, Metrologie sowie Stadt der Zukunft. Starke Inge-
nieurwissenschaften und Naturwissenschaften bilden unsere Kerndisziplinen.
Diese sind eng vernetzt mit den Wirtschafts- und Sozial-, Erziehungs- und
Geisteswissenschaften. Unser Campus liegt inmitten einer der forschungs-
intensivsten Regionen Europas. Mit den über 20 Forschungseinrichtungen in
unserer Nachbarschaft arbeiten wir ebenso erfolgreich zusammen wie mit unseren
internationalen Partnerhochschulen.
Die TU Braunschweig ist bestrebt, den Frauenanteil zu erhöhen, und fordert daher
Frauen nachdrücklich zur Bewerbung auf. Frauen werden bei gleichwertiger Quali-
fikation bevorzugt berücksichtigt. Bewerbungen von Wissenschaftler*innen aus
dem Ausland sind ausdrücklich erwünscht. Schwerbehinderte Bewerber*innen
werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt.
Weitere Auskünfte erteilt der Vorsitzende der Berufungskommission, Herr Prof.
Dr. Jens-Peter Kreiß, Tel. +49 531 391-7566.
Bewerber*innen werden gebeten, ihre Bewerbung unter Angabe der Kenn-
ziffer 2020_f1_W001 mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugnissen
und Urkunden, Lehrportfolio, Publikationsliste und Verzeichnis der geleisteten
Lehre, Darstellung der eigenen Forschung und Auflistung der eingeworbenen
Drittmittel) in deutscher oder englischer Sprache digital im PDF-Format (bis
zu 50 MB) gerichtet an den Dekan der Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät, Herrn
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Fritz, TU Braunschweig, Rebenring 58a, 38106
Braunschweig, bis zum 31. Mai 2020 nur per E-Mail an berufungen@tu-
braunschweig.de zu senden.
Mit der Einreichung der digitalen Bewerbungsunterlagen wird deren digitaler
Weiterverarbeitung im Rahmen des gesamten Bewerbungsprozesses zuge-
stimmt. Die Hinweise zum Datenschutz finden Sie unter www.tu-braunschweig.
de/abt12/berufungen
Das Deutsche Historische Institut Paris, ein Forschungsinstitut der öf-
fentlich-rechtlichen Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissen-
schaftliche Institute im Ausland, sucht zum 1. Oktober 2020 oder später
1. eine/n wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in und
Abteilungsleiter/in (TVöD 14) mit einem
Forschungsschwerpunkt in der Frühen Neuzeit;
2. eine/n wissenschaftliche/n Mitarbeiter/in (TVöD 13)
mit einem Forschungsschwerpunkt
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Das Deutsche Historische Institut Paris arbeitet unter den drei Leitbegrif-
fen »Forschen – Vermitteln – Qualifizieren« auf dem Gebiet der französi-
schen, deutsch-französischen und westeuropäischen Geschichte von
der Spätantike bis zur Gegenwart und nimmt eine Vermittlerrolle
zwischen Deutschland und Frankreich ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte
sind Digital Humanities und die Geschichte Afrikas.
Es handelt sich um befristete Qualifikationsstellen (3+2 Jahre) auf der
Stufe Postdoc, welche die Bearbeitung eines Forschungsprojekts aus
dem Arbeitsgebiet des DHIP erlauben. Das genaue Stellenprofil und
weitere Informationen finden sich unter https://www.dhi-paris.fr/institut/
ausschreibungen.html. Für inhaltliche Fragen zur Frühneuzeit-Stelle
steht Prof. Dr. Rainer Babel (rbabel@dhi-paris.fr) zur Verfügung, für die
Neuere und Neueste Geschichte Dr. Jürgen Finger (jfinger@dhi-paris.fr).
Bewerbungen gemäß https://www.dhi-paris.fr/institut/ausschreibungen.html
richten Sie bitte in elektronischer Form (vollständig und in einer PDF-
Datei) bis zum 30. Juni 2020 an Prof. Dr. Thomas Maissen, bewerbung@
dhi-paris.fr.
Die Auswahlgespräche werden voraussichtlich am 10. und 16. Juli 2020
in Paris oder per Videokonferenz stattfinden.
Prof. Dr. Thomas Maissen | Deutsches Historisches Institut Paris
Machen Sie fest an der nördlichsten
Hochschule Deutschlands
An der Hochschule Flensburg studieren ca. 4.000 Studierende in insgesamt 18 Studien-
gängen. Die Hochschule verfügt über moderne Hörsäle und Labore auf einem großzügig aus-
gestatteten Campus. Durch die Lage an der Ostsee ist die Fördestadt Flensburg ein attraktiver
Wohnort und bietet vielfältige Freizeitmöglichkeiten.
Zum nächstmöglichen Zeitpunkt ist im Fachbereich Information und Kommunikation folgende
Stelle zu besetzen:
W2-Professur für Informatik,
insbes. Software-Entwicklung (m/w/d)
Ihre Aufgaben:
Als neue Kolleg*in werden Sie vorwiegend im Bachelor- und Master-Studiengang der Ange-
wandten Informatik Lehrveranstaltungen in den Bereichen Grundlagen der Programmierung,
Software Engineering und Webprogrammierung durchführen und dabei auch neue und inno-
vative Lehrkonzepte entwickeln. Es wird erwartet, dass Sie den Schwerpunkt Web- und Soft-
waretechnologien in Lehre und Forschung vertreten. Bei Bedarf sind Lehrveranstaltungen
auch in englischer Sprache anzubieten.
Es wird die Bereitschaft vorausgesetzt, dass Sie praxisnahe Forschung und Entwicklung be-
treiben, sich in die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten des Fachbereiches und in die Ein-
werbung von Drittmitteln einbringen sowie in der akademischen Selbstverwaltung mitwirken.
Ihre Kompetenzen:
Gesucht wird eine teamfähige Persönlichkeit mit fundiertem Grundlagenwissen in der Infor-
matik. Sie bringen fundierte Kenntnisse aus Forschung oder Praxis in einem oder mehreren
Bereichen der Software-Entwicklung mit. Bevorzugt liegen diese Kenntnisse in den Bereichen
Web-Engineering und/oder Datenbanken/Informationssysteme.
Sie bringen gute didaktische Fähigkeiten mit und haben Freude an der
Arbeit mit Studierenden. Aufgrund Ihrer mehrjährigen Berufserfahrung in
der Software-Entwicklung sind Sie in der Lage, Vorlesungen, Übungen
und Praktika praxisnah und projektorientiert zu gestalten.
Die vollständige Stellenausschreibung mit der genauen Beschreibung
der Aufgabengebiete und den Einstellungsvoraussetzungen finden Sie
auf unserer Homepage www.hs-flensburg.de unter der Rubrik Stellen-
ausschreibungen, Bewerbungsfrist: 22.05.2020.

KI-CAMPUS
© KRESINGS ARCHITEKTUR
DER UNIVERSITÄT OSNABRÜCK
Der »KI-Campus Universität Osnabrück« ist Das La dersachsen unterstützt die Realisierung einer zweiten Themenfeldern Mathematische Datenanalyse und Maschinelles Lernen,
Ausdruck einer langjährigen Profilbildung Ausbaustufe des »KI-Campus Universität Osnabrück« mit Algebraische Statistik, Multivariate Statistik, Angewandte Algebra und Geometrie,
Algorithmische Topologie und/oder Hochdimensionale Approximation liegen.
der Universität Osnabrück in den Bereichen der Etablierung der folgenden zusätzlichen Professuren (m/w/d):
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung.
Im Mittelpunkt dieser Profilbildung stehen die Autonome Robotik (Bes. Gr. W3) Modellbasierte Wissensverarbeitung (Bes. Gr. W3)
am Institut für Informatik, Fachbereich Mathematik/Informatik am Institut für Informatik, Fachbereich Mathematik/Informatik
Fächer Informatik, Kognitionswissenschaft,
Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen in den Themenbereichen autonome Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen in den Themenbereichen Inferenz
Mathematik, Rechtswissenschaften, Wirt- in räumlich-zeitlichem Wissen, Inferenz über Ereignisse und Aktionen, Induktion
mobile Roboter (insb. auch Langzeitautonomie), kognitive Robotik, autonomes
schaftsinformatik und Sozialwissenschaften. Fahren und Umfeldwahrnehmung mobiler Fahrzeuge, Kooperation mobiler Roboter, und Abduktion, Erklärung in Inferenz- und Lernverfahren, inkrementelle Wissens-
In der Forschung besteht vor Ort eine in- Mensch-Roboter-Kollaboration oder Benchmarking für mobile Roboter liegen. akquisition (Update, Revision, Zusammenführen von Wissensbeständen) und/oder
stitutionelle Vernetzung mit dem Deutschen Planerkennung liegen.
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz Ethik der Künstlichen Intelligenz (Bes. Gr. W2)
(DFKI). Der »KI-Campus Universität am Institut für Kognitionswissenschaft, Fachbereich Humanwissenschaften Die Stadt Osnabrück, der Landkreis Osnabrück, die IHK Osnabrück
Osnabrück« wird geprägt durch zahlreiche Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen einen Fokus auf ethische und sowie verschiedene regional ansässige Unternehmen unterstützen den
Kooperationen mit international agierenden gesellschaftliche Fragen der Entwicklungen in der Künstlichen Intelligenz und Ausbau des KI-Campus der Universität Osnabrück zusätzlich mit der
Digitalisierung haben, wie beispielsweise Fragen, die mit autonomem Fahren, Etablierung der folgenden Stiftungsprofessur (m/w/d):
Unternehmen. Kommunikation in sozialen Netzwerken, Filterblasen, informationeller Privatsphäre,
Anwendungen der KI in Bildung und Arbeitswelt, Big Data, Autonomie und
Maschinelles Lernen (Bes. Gr. W3)
Verhaltensmodifikation, explainable AI oder social credit systems verbunden sind.
am Institut für Kognitionswissenschaft, Fachbereich Humanwissenschaften
Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen das gesamte Feld des Maschinellen
Maschinelle Sprachverarbeitung (Bes. Gr. W2)
Lernens einschließlich des Deep Learning abdecken.
am Institut für Kognitionswissenschaft, Fachbereich Humanwissenschaften
Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen das gesamte Feld der Maschinellen
Sprachverarbeitung (Computerlinguistik), einschließlich der Verarbeitung von Big Die offiziellen Stellenausschreibungen zu diesen sechs Professuren mit
Data und multimodalen Daten, wie z. B. Videodaten, abdecken. ausführlichen Beschreibungen der jeweiligen Aufgabenbereiche, der
Einstellungsvoraussetzungen, die Angabe der Bewerbungsfristen sowie
Mathematische Methoden der Datenanalyse (Bes. Gr. W2) weitere Informationen finden Sie unter:
am Institut für Mathematik, Fachbereich Mathematik/Informatik www.uni-osnabrueck.de/stellenangebote
Weitere Informationen
und Video zum KI-Campus unter: Die Arbeitsschwerpunkte der Professur sollen im Bereich mathematisch fundierter
www.uni-osnabrueck.de/ki-campus Untersuchungen mit Anwendungsbezügen zu der Künstlichen Intelligenz in den Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!

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An der Fachhochschule Südwestfalen – Standort Meschede –
sind im Fachbereich Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften
zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stellen zu besetzen:
Professur für Wirtschaftspsychologie
mit dem Schwerpunkt Coaching (31/2020)
(BesGr W 2)
Ihre Aufgaben – akademische Lehre und innovative Forschung
• anwendungsorientierte Lehre im Bereich Coaching in Studien-
gängen auf Bachelor- und Masterniveau zur Verknüpfung von
Wissen und Kenntnissen im Bereich Wirtschaft mit psychologischen
Ansätzen und Methoden
• Durchführung von Veranstaltungen im Bereich Schlüssel-
kompetenzen sowie von Grundlagenveranstaltungen in den vom
Fachbereich angebotenen Studiengängen
• Aufbau einer Zertifikatsausbildung im Bereich Coaching für Interne
und Externe
• Mitarbeit in zukunftsgewandten, interdisziplinären Forschungs-
schwerpunkten in enger Zusammenarbeit mit der regionalen und
überregionalen Wirtschaft
• Bereitschaft zur Einwerbung von Drittmitteln zur Unterstützung
eigener Forschungsaktivitäten
• Durchführung von Lehrveranstaltungen auch an Samstagen und
Erstellung von Studienbriefen
• aktive Beteiligung in der Selbstverwaltung der Hochschule
Ihre Kompetenzen – wissenschaftlich fundiert und praxisnah
• abgeschlossenes Hochschulstudium (vorzugsweise Wirtschafts-
psychologie oder Psychologie)
• überdurchschnittliche Promotion beziehungsweise vergleichbare
wissenschaftliche Qualifikation
• zertifizierte Ausbildung zum Coach (m/w/d)
• einschlägige Erfahrung als Coach (m/w/d)
• Engagement in Organisationen mit Bezug zum Coaching ist
erwünscht
• Approbation als psychologische Psychotherapeutin / psycholo-
gischer Psychotherapeut (m/w/d) ist von Vorteil
• besondere didaktische Fähigkeiten und Bereitschaft zum Unter-
richten in englischer Sprache
Sprechen Sie uns an:
Frau Prof. Dr. Christina Krins, Tel.: 0291 / 9910-4113
Professur für Wirtschaftspsychologie
FAKULTÄT FÜR MATHEMATIK, INFORMATIK UND STATISTIK
An der Fakultät für Mathematik, Informatik und Statistik ist
zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine
Professur (W2) auf Zeit
(6 Jahre/tenure track)
für Reine Mathematik
zu besetzen.
Wir suchen hervorragend ausgewiesene Kandidatinnen und
Kandidaten (m/w/d) in einem aktuellen Kerngebiet der Reinen
Mathematik, die die Forschungsrichtungen der vorhandenen
Arbeitsgruppen am Mathematischen Institut in Algebraischer/
Arithmetischer Geometrie bzw. in Differentialgeometrie/Topo-
logie erweitern und ergänzen. Es wird die Beteiligung an
den allgemeinen Lehraufgaben des Mathematischen Instituts
erwartet. Darüber hinaus sollten Bewerberinnen und Bewer-
ber (m/w/d) bereit sein, aktiv an Initiativen des Instituts in
Forschung und Lehre mitzuwirken.
Die Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) wendet
sich mit dieser Ausschreibung insbesondere an hochqualifi-
zierte Nachwuchswissenschaftler und Nachwuchswissenschaft-
lerinnen (m/w/d), die im Anschluss an ein abgeschlossenes
Hochschulstudium sowie eine überdurchschnittliche Promo-
tion oder eine vergleichbare besondere Befähigung durch ihre
Leistungen in Forschung und Lehre ein außerordentliches
Potenzial für eine weitere Karriere in der Wissenschaft nach-
gewiesen haben.
Die Berufung erfolgt bei Vorliegen der beamtenrechtlichen
Voraussetzungen in einem Beamtenverhältnis auf Zeit für die
Dauer von sechs Jahren. Bei positiver Evaluation der fach-
lichen, pädagogischen und persönlichen Eignung kann das
Beamtenverhältnis auf Zeit frühestens nach drei Jahren in ein
Beamtenverhältnis auf Lebenszeit umgewandelt werden.
Im Rahmen des LMU Academic Career Program besteht in
besonderen Ausnahmefällen und bei herausragenden Leistun-
gen in Forschung und Lehre die Möglichkeit einer späteren
Anhebung der Professur von W2 nach W3.
Die LMU strebt eine Erhöhung des Anteils der Frauen in
Forschung und Lehre an und bittet deshalb Wissenschaftle-
rinnen nachdrücklich, sich zu bewerben.
Schwerbehinderte werden bei ansonsten im Wesentlichen glei-
cher Eignung bevorzugt.
Die LMU bietet Unterstützung für Doppelkarriere-Paare an.
Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf,
Zeugnisse, Urkunden, Schriftenverzeichnis) sind bis zum
15. Juni 2020 beim Dekan der Fakultät für Mathematik,
Informatik und Statistik der Ludwig-Maximilians-
Universität München, Herr Prof. Dr. Göran Kauermann,
Theresienstraße 39, 80333 München, einzureichen. Es wird
gebeten, die Unterlagen auch in elektronischer Form als ein
We are one of the youngest universities
in Germany and think in terms of
unlimited possibilities instead of
possible limitations. Located in the
heart of the Ruhr metropolis, our 11
faculties develop ideas for the future. Open minded
We are strong in research and teaching,
we embrace diversity, promote
academic potential, and we are highly
committed to educational equality.
The Medical Faculty of the University of Duisburg-Essen is inviting
applications for a
Full Professorship in Radiology
with Focus on Artificial Intelligence
(W3 BBesO grade post, limited to 5 years)
The position is newly established and will work in concert with three additional
professorship positions (two of them within the framework of the Cancer
Research Center Cologne Essen (CCCE)), all related to the use of artificial
intelligence (AI) in medicine.
Core tasks of the applicant are (i) the analysis of clinical processes with
regard to improvement potential through AI systems (ii) the design and
implementation of corresponding systems and (iii) the seamless integration
of these systems into clinical processes. For this purpose, the applicant must
have a deep understanding of practical clinical medicine and the technical
competence to process clinical data on a large scale, to train AI systems using
classical machine learning and deep learning, and to finally integrate these
systems back into the hospital infrastructure. Special emphasis will be placed
on the suitability of such systems for routine clinical use, in particular with
regard to user interaction.
The future jobholder must have a German board certification in Radiology or
an equal qualification. In addition, good knowledge and practical experience
with standards for data exchange in healthcare (in particular DICOM, HL7,
FHIR, SNOMED-CT and LOINC) are required. Practical skills in the areas of
machine learning and deep learning are also required. Proven practical
skills in programming distributed systems, microservices and big data
architectures as well as extensive experience in dealing with relational and
non-relational database systems are desirable. Further prerequisites are
previous experience in the development and implementation of industrial
cooperations as well as intensive scientific activity that can be proven by
scientific publications.
The future chair will also contribute to the main research focus of the
Medical Faculty and will collaborate with and contribute to ongoing and
evolving research consortia. As the University of Duisburg-Essen puts special
emphasis on the quality of academic teaching, concepts on the participation
in teaching activities with regard to the profile of the University Duisburg-
Essen should be provided. Furthermore, the future chair will possess
dedicated teaching skills and use innovative methods in teaching and
qualified post graduates qualification.
Qualifications according to § 36 Hochschulgesetz NRW are required.
Publications in peer-reviewed journals or patents, and successful experience
with third-party funding applications are mandatory.
The Medical Faculty in Essen promotes research particularly in the
following areas: Cardiovascular Disease, Oncology, Transplantation Medicine
and Translational Neuro- and Behavior Sciences, as well as the bridging
disciplines of Immunology and Infectious Diseases.
The positions will be available at the earliest.
Application deadline: 27.05.2020
The University of Duisburg-Essen aims to increase diversity among its faculty
members (see http://uni-due.de/diversity) and strives to increase the number
of women in such positions; therefore, we especially encourage women with
relevant qualifications to apply. Women with the appropriate qualifications
will receive preferential consideration. Applications from severely disabled
candidates according to § 2 Abs. 3 SGB IX are welcome.
Applications with the usual supporting documents [curriculum vitae, list of
scientific publications (see http://www.uni-due.de/imperia/md/content/
medizin/formblatt_aufbau_schriftenverzeichnis.pdf)], documents on scien-
tific and professional career, certificate copies, information on third-party
funding, participation in academic self-administration, past teaching
experience and concepts for teaching, and 5 key publications should be
submitted by email (medizin-dekanat@uk-essen.de) to Univ.-Prof. Dr. J. Buer,
Dekan der Medizinischen Fakultät, Universitätsklinikum Essen,
Hufelandstr. 55, 45147 Essen.
Furthermore, we need you to fill in our application form at
https://www.uni-due.de/med/de/organisation/bewerbungsbogen.php.
Further information on the position and its embedding in the
University of Duisburg-Essen as well as in the Faculty can be found at
Die Technische Universität Braunschweig besetzt am Institut für Mathema-
tische Stochastik im Rahmen des Bund-Länder-Programms zur Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses (Nachwuchspakt) zum nächstmöglichen Zeit-
punkt eine
Juniorprofessur für „Statistisches Lernen
und Informationstheorie“
(W1 mit Tenure Track nach W2)
Gesucht wird eine ausgewiesene Persönlichkeit des wissenschaftlichen Nach-
wuchses mit einem Forschungsschwerpunkt vorzugsweise im Bereich der Ent-
wicklung und Anwendung moderner Methoden und Algorithmen des statistischen
Lernens, insbesondere im Zusammenhang mit der Entscheidungs- und Informa-
tionstheorie. Mögliche Schwerpunkte sind zum Beispiel (aber nicht ausschließlich):
Netzwerke, Stochastische Differentialgleichungen, Inferenz und Datenschutz
(Privacy Constraints), Funktionale oder Hochdimensionale Daten, Inverse Probleme.
Der*die zukünftige Juniorprofessor*in soll sehr gutes Anbindungspotential an
das Forschungsprofil des Instituts für Mathematische Stochastik sowie zu den
Forschungsschwerpunkten der TU Braunschweig zeigen. Darüber hinaus sind
die Anschlussfähigkeit an weitere Institute des Departments Mathematik sowie
erste nachgewiesene Aktivitäten zum Einwerben von Drittmitteln vorausgesetzt.
Das Department Mathematik etabliert derzeit die Initiative „Mathematics in Data
Science“ und bietet in diesem Rahmen zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten
mit Instituten der Informatik, der Ingenieur- und der Wirtschaftswissenschaften.
Eine angemessene Beteiligung in Forschung und Lehre seitens des*der zukünf-
tigen Juniorprofessor*in wird vorausgesetzt.
Die Beschäftigung erfolgt bei Erfüllung der allgemeinen dienstrechtlichen Vor-
aussetzungen in einem Beamtenverhältnis auf Zeit zunächst für die Dauer von
drei Jahren. Bei erfolgreicher Zwischenevaluation gem. § 30 Abs. 4 S. 2 NHG
wird die Professur um weitere drei Jahre verlängert. Bei positivem Ausgang
des in der Tenure-Track-Ordnung der TU Braunschweig geregelten Verfahrens
erfolgt bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen eine Beru-
fung auf eine unbefristete Professur in der Besoldungsgruppe W2 NBesO ohne
weitere Ausschreibung.
Die Einstellungsvoraussetzungen ergeben sich aus § 30 des Niedersäch-
sischen Hochschulgesetzes.
Mit nahezu 20.000 Studierenden und 3.700 Beschäftigten ist die TU Braun-
schweig die größte Technische Universität Norddeutschlands. Sie steht für stra-
tegisches und leistungsorientiertes Denken und Handeln, relevante Forschung,
engagierte Lehre und den erfolgreichen Transfer von Wissen und Technologien
in Wirtschaft und Gesellschaft. Konsequent treten wir für Familienfreundlichkeit
und Chancengleichheit ein. Unsere Forschungsschwerpunkte sind Mobilität,
Infektionen und Wirkstoffe, Metrologie sowie Stadt der Zukunft. Starke Inge-
nieurwissenschaften und Naturwissenschaften bilden unsere Kerndisziplinen.
Diese sind eng vernetzt mit den Wirtschafts- und Sozial-, Erziehungs- und
Geisteswissenschaften. Unser Campus liegt inmitten einer der forschungsin-
tensivsten Regionen Europas. Mit den über 20 Forschungseinrichtungen in un-
serer Nachbarschaft arbeiten wir ebenso erfolgreich zusammen wie mit unseren
internationalen Partnerhochschulen.
Die TU Braunschweig ist bestrebt, den Frauenanteil zu erhöhen, und fordert daher
Frauen nachdrücklich zur Bewerbung auf. Frauen werden bei gleichwertiger Quali-
fikation bevorzugt berücksichtigt. Bewerbungen von Wissenschaftler*innen aus
dem Ausland sind ausdrücklich erwünscht. Schwerbehinderte Bewerber*innen
werden bei gleicher Qualifikation bevorzugt.
Weitere Auskünfte erteilt der Vorsitzende der Berufungskommission, Herr Prof.
Dr. Dirk Lorenz, Tel. +49 531 391-7423. E-Mail: d.lorenz@tu-braunschweig.de.
Bewerber*innen werden gebeten, ihre Bewerbung unter Angabe der Kenn-
ziffer 2020_f1_W003 mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugnissen
und Urkunden, Lehrportfolio, Publikationsliste und Verzeichnis der geleisteten
Lehre, Darstellung der eigenen Forschung und Auflistung der eingeworbenen
Drittmittel) in deutscher oder englischer Sprache digital im PDF-Format (bis
zu 50 MB) gerichtet an den Dekan der Carl-Friedrich-Gauß-Fakultät, Herrn
Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Fritz, TU Braunschweig, Rebenring 58a, 38106
Braunschweig, bis zum 31. Mai 2020 nur per E-Mail an berufungen@tu-
braunschweig.de zu senden.

mit dem Schwerpunkt qualitative und Pdf-File (nicht größer als 10 MB) an dekanat16@lmu.de zu https://www.uni-due.de/med/de/organisation/berufungen.php. Mit der Einreichung der digitalen Bewerbungsunterlagen wird deren digitaler
Weiterverarbeitung im Rahmen des gesamten Bewerbungsprozesses zuge-
quantitative Forschungsmethoden (32/2020) schicken. stimmt. Die Hinweise zum Datenschutz finden Sie unter www.tu-braunschweig.
de/abt12/berufungen
(BesGr W 2)

Ihre Aufgaben – akademische Lehre und innovative Forschung

• anwendungsorientierte Lehre im Bereich qualitativer und quantita-
tiver Forschungsmethoden in Studiengängen auf Bachelor- und
Masterniveau
• Durchführung von Grundlagenveranstaltungen in den vom Fach-
bereich angebotenen Studiengängen
• Schwerpunkt ist die Bearbeitung wirtschaftspsychologischer
Fragestellungen, aber es sind auch Anknüpfungspunkte mit den
Bereichen Data Science, Digitalisierung und/oder Marktforschung
denkbar
• Aufbau einer Methodenberatung für die Begleitung von Forschungs-
vorhaben des Standorts ist erwünscht
• Mitarbeit in zukunftsgewandten, interdisziplinären Forschungs-
schwerpunkten in enger Zusammenarbeit mit der regionalen und
überregionalen Wirtschaft
• Bereitschaft zur Einwerbung von Drittmitteln zur Unterstützung
eigener Forschungsaktivitäten
• Durchführung von Lehrveranstaltungen auch an Samstagen und
Erstellung von Studienbriefen
• aktive Beteiligung in der Selbstverwaltung der Hochschule
Ihre Kompetenzen – wissenschaftlich fundiert und praxisnah
• abgeschlossenes Hochschulstudium mit dem Schwerpunkt
Forschungsmethoden
• überdurchschnittliche Promotion beziehungsweise vergleichbare
wissenschaftliche Qualifikation
• Einschlägige Praxiserfahrung beim Einsatz von quantitativen und
qualitativen Methoden
• Programmierkenntnisse in R oder Python sind erwünscht
• besondere didaktische Fähigkeiten und Bereitschaft zum Unter-
richten in englischer Sprache
Sprechen Sie uns an:
Prof. Dr. Rüdiger Waldkirch, Tel.: 0291 / 9910-4113
Wir bieten Ihnen
• attraktive und abwechslungsreiche Tätigkeit an einer der größten
staatlichen Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen
• selbstständige Gestaltungsmöglichkeiten in Lehre und Forschung
• starke Vernetzung mit Unternehmen der Wirtschaftsregion
Südwestfalen, der größten Industrieregion Nordrhein-Westfalens
mit über 160 Weltmarktführern
• gute Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben
• Wohnen und Arbeiten in einer lebenswerten Region mit hohem
Freizeitwert und günstigen Lebenshaltungskosten
Ihre Bewerbung
Nähere Informationen zu den Einstellungsvoraussetzungen und
den rechtlichen Rahmenbedingungen finden Sie im Internet unter
www.fh-swf.de/stellen.
Bitte bewerben Sie sich mit aussagekräftigen Unterlagen (Lebenslauf,
Darstellung des wissenschaftlichen und beruflichen Werdegangs,
Publikationsverzeichnis, Lehr- und Forschungskonzept, Liste der bisher
durchgeführten Lehrveranstaltungen, Zeugniskopien u. a.) bis zum
28.05.2020 unter Angabe der jeweiligen Stellenangebot-Nr. über
unser Online-Bewerbungsportal unter www.fh-swf.de/cms/stellen.
www.fh-swf.de
Die Universitätsmedizin Tübingen ist Bestandteil der Exzellenzuniversität Tübingen. Sie bietet
medizinische Leistungen auf höchstem Niveau und deckt das gesamte Spektrum moderner
Medizin, Forschung, Lehre und Krankenversorgung ab.
An der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen ist im Department für Frauenheilkunde,
Forschungsinstitut für Frauengesundheit als Gemeinsame Berufung (Karlsruher Modell) mit
dem NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut an der Universität Tübingen in
Reutlingen, eine
W3-Professur für Organ-on-a-Chip Systeme (w/m/d)
zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu besetzen.
Die Medizinische Fakultät der Universität Tübingen und das NMI Reutlingen kooperieren be-
reits eng auf den Gebieten der Medizintechnik, Biomedizin und Personalisierten Medizin. Die
W3-Brückenprofessur soll diese strategische Verbindung zwischen der Universität Tübingen
und dem NMI Reutlingen auf dem Gebiet der Organ-on-a-Chip Technologien ausbauen.
Dienstorte sind daher sowohl die Universität Tübingen als auch das NMI Reutlingen.
Zentrale Aufgabe der W3-Brückenprofessur ist die Stärkung der Schwerpunktthemen Medizin-
technik, Biomedizin und Personalisierte Medizin in Forschung und Lehre, mit besonderer
Berücksichtigung der Anwendung auf dem Gebiet der Frauengesundheit, sowie die Brücken-
bildung zu den Kernkompetenzen des NMI Reutlingen – Pharma- und Biotechnologie sowie
Biomedizin und Materialwissenschaften.
Der Stelleninhaber/Die Stelleninhaberin soll durch international kompetitive, innovative For-
schung ausgewiesen sein, die durch eigenständig eingeworbene Drittmittel und Publikationen
in internationalen Fachzeitschriften belegt ist. Voraussetzung für eine erfolgreiche Bewerbung
sind eine Promotion im Fach Biologie, Pharmazie, Physik oder einem verwandten naturwis-
senschaftlichen Fachgebiet, mehrjährige Auslandserfahrung sowie mehrjährige Erfahrung im
außeruniversitären Forschungssystem und/oder in der Industrie. Mögliche Forschungsschwer-
punkte liegen auf den Gebieten der Etablierung komplexer humaner induziert-pluripotenter
Stamm (iPS) Zell-basierter in vitro mikrofluidischer Testsysteme (Lab-on-a-Chip Systeme)
sowie der Weiterentwicklung von Imaging-Verfahren zum Monitoring von Zellen und Geweben.
Bereitschaft und Engagement zur Mitgestaltung des Schwerpunkts Medizintechnik der Medi-
zinischen Fakultät und eine aktive Beteiligung an laufenden und geplanten Forschungsver-
bünden der Universität Tübingen, insbesondere im neu zu etablierenden 3R-Center (Reduce,
Replace, Refine), werden vorausgesetzt.
Im Bereich der Lehre werden umfangreiche und herausragend evaluierte Lehrerfahrungen und
Engagement, insbesondere im Hinblick auf innovative Curricula der Studiengänge der Medizi-
nischen Fakultät, sowie die aktive Mitgestaltung von Vorlesungen und anderen Lehrformaten
– vor allem im interuniversitären Bachelorstudiengang Medizintechnik sowie im Masterstudien-
gang Biomedical Technologies – erwartet.
Einstellungsvoraussetzungen sind die Habilitation oder eine gleichwertige Qualifikation sowie
nachgewiesene didaktische Eignung.
Die Universität Tübingen strebt eine Erhöhung des Anteils der Frauen in Forschung und Lehre
an und bittet deshalb entsprechend qualifizierte Wissenschaftlerinnen nachdrücklich um eine
Bewerbung. Qualifizierte internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind aus-
drücklich aufgefordert, sich zu bewerben.
Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Bitte reichen Sie Ihre kompletten Bewerbungsunterlagen über das Berufungsportal der
Medizinischen Fakultät unter https://berufungsportal.medizin.uni-tuebingen.de bis zum
28.05.2020 ein.
Rückfragen können an den Dekan (komm.) gerichtet werden.
Dekan (komm.) der Medizinischen Fakultät der
Eberhard Karls Universität Tübingen
Herr Professor Dr. med. Diethelm Wallwiener
Geissweg 5/1
72076 Tübingen
An der Hochschule Bremen ist in der Fakultät 2 – Architektur, Bau und Um-
welt – in der SCHOOL OF ARCHITECTURE zum nächstmöglichen Zeitpunkt
eine Stelle als
Technische/r Angestellte/r (w/m/d)
Entgeltgruppe 11 TV-L
zu besetzen.
Ihre Tätigkeiten:
Sie betreuen eigenständig Studierende und erfüllen folgende Aufgaben:
• Unterstützung bei der Ausbildung in Modulen des Bachelor- und
Masterstudiengangs zu den Themen Modellbau, Materialexperiment,
Modelling und Präsentation
• Durchführung von Sicherheitskursen für Studierende vor Nutzung der
Werkstatt
• Betreuung und Beratung der Studierenden bei der Erstellung von Modellen
und Experimenten während der Öffnungszeiten der Modellbauwerkstatt, in
den Vorlesungszeiten und in den Prüfungsphasen
• Koordination der Aktivitäten von Studierenden und Lehrenden in der
Modellbauwerkstatt sowie Beteiligung an der Vernetzung aller Angebote in
den Serviceinstitutionen der School of Architecture (CAD-Studio, Mod- und
Plot-Shop, Baudokumentation, Institut für Architektur und Städtebau)
• Durchführung öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen zur Profilierung der
School of Architecture (z. B. Jahresausstellung, Tag der offenen Tür, Kids
College, Studieninfotag, Girls and Boys Day etc.)
Sie übernehmen zudem die eigenständige und hauptverantwortliche Tätigkeit
für die
• Betreuung bzw. Wartung aller Einrichtungen, Werkzeuge, Geräte und
Maschinen der Modellbauwerkstatt (Soft- und Hardware): Bankraum,
Styrocutmaschinen (auch dezentral in Atelierräumen), Spritzkabine,
CNC-Fräse, Maschinenraum mit Bandsäge, Tellerschleifern, Kreissägen,
Ständerbohrmaschine, Tiefziehmaschine Laser-Gravier-/Schneidemaschi-
ne, 3D-Drucker,
• Entwicklung und Ausbau des Angebots in der Modellbauwerkstatt im
Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel so, dass einerseits der
aktuelle Stand der Technik angeboten werden kann, andererseits durch
eigenständige Ansätze neue Impulse und Innovationen zur Entwicklung
des Planens und Bauens – auch in Kooperation mit anderen Institutionen
aufgegriffen werden,
und arbeiten mit
• in hochschulinternen Gremien sowie der hochschulinternen Selbstverwaltung.
Qualifikationsvoraussetzungen:
Sie haben ein abgeschlossenes Architekturstudium oder Studium im Bereich
der Darstellung und Gestaltung. Sie sind teamfähig und haben Erfahrungen
im Umgang mit dem analogen und digital unterstützten Modellbau, sind
befähigt sowie autorisiert den Umgang mit Maschinen zu beaufsichtigen und
arbeiten gern mit jungen Menschen.
Die Bereitschaft sich in neue Aufgabenfelder einzuarbeiten sind Vorausset-
zung und runden Ihr Profil ab.
Weitere Informationen zu der Ausschreibung erhalten Sie bei Herrn Prof. Clemens
Bonnen, Tel.: (0421) 5905-2200, E-Mail: Clemens.Bonnen@hs-bremen.de.
Schwerbehinderten Bewerbern und Bewerberinnen wird bei im Wesentlichen
gleicher fachlicher und persönlicher Eignung der Vorrang gegeben. Die
Hochschule Bremen ist bestrebt, den Anteil von weiblichem Personal im
technischen Bereich zu erhöhen und fordert daher qualifizierte Frauen
ausdrücklich auf, sich zu bewerben. Bewerbungen von Menschen mit
Migrationshintergrund sind erwünscht.
Wir bitten um Zusendung Ihrer Bewerbungsunterlagen verbunden mit dem
Hinweis, dass diese aus Kostengründen nicht zurückgesendet werden
können. Sofern Ihnen eine schriftliche Ablehnung zugeht, werden Ihre
Bewerbungsunterlagen bis zum Ablauf der Frist gemäß §
15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
aufbewahrt und anschließend vernichtet.
Ihre Bewerbungen senden Sie bitte unter Angabe der
Kennziffer FK2-TA-1-20 bis zum 23. Mai 2020 an
Hochschule Bremen, Personalabteilung, Frau Schwöppe,
Neustadtswall 30, 28199 Bremen
An der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften ist zum 01.10.2021
folgende Professur zu besetzen:
W2-Professur Kunstpädagogik/Kunstdidaktik
Die Stelle ist schwerpunktmäßig mit der Aufgabe verbunden, für das Lehramt der
Primarstufe und der Sekundarstufen I und II sowie in Förder- und Ergänzungsschulen
vollumfänglich im kunstpädagogischen und fachdidaktischen sowie kunst- und ge-
staltungstheoretischen Bereich auszubilden. Hinzu kommt die entsprechende Aus-
bildung für den Bildungsweg Außerschulische Kunstpädagogik (BA/MA). Zu den
umfassenden kunstpädagogischen und fachdidaktischen Aufgaben in der Lehre in
Verbindung mit Kunst- und Gestaltungstheorie gehört die Betreuung fachwissen-
schaftlicher und didaktisch basierter Projekte in Kooperation mit schulischen und
außerschulischen Bildungs- und Kulturinstitutionen. Mit der kontinuierlichen Be-
treuung und Begutachtung von Qualifizierungsarbeiten ist ein wesentlicher Beitrag
zur Theoriebildung zu leisten. Speziell ist die intensive Mitarbeit am BMBF-Projekt
„OFFENE-KUNST-Praxis als nachhaltiges Angebot der kulturellen Bildung im länd-
lichen Raum“ erforderlich.
Gesucht wird eine Persönlichkeit, die durch herausragende kunstpädagogische
Leistungen ausgewiesen ist. Sie weist nach dem ersten und zweiten Staatsexamen in
Kunstpädagogik mindestens drei Jahre Lehrpraxis im Schuldienst, vorzugsweise am
Gymnasium, nach und hat ihre besondere wissenschaftliche Befähigung durch Pro-
motion belegt. Zum erwarteten Lehr- und Forschungsprofil gehören auch Aspekte der
museumspädagogischen bzw. außerschulischen Kunstvermittlung. Als zusätzliche
wissenschaftliche Leistung wird eine Habilitation, Juniorprofessur oder habilitations-
adäquate gleichwertige wissenschaftliche Tätigkeit erwartet. Darüber hinaus werden
regelmäßige Publikationen und Tagungsbeiträge zur Lehr- und Lernforschung im
kunstpädagogischen Bereich erwartet.
An der Juristenfakultät ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Professur zu
besetzen:
W3-Professur International Business Law
Der oder die künftige Stelleninhaber/-in lehrt und forscht im Bereich des interna-
tionalen Wirtschaftsrechts und des anglo-amerikanischen Rechts (Common Law).
Sie oder er sollte über einen anerkannten wissenschaftlichen Ausweis im anglo-ameri-
kanischen Recht verfügen sowie über gute Kenntnisse im deutschen Privatrecht und
der deutschen Sprache. Es wird vorausgesetzt, dass sie oder er sich substantiell am
Aufbau eines englischsprachigen Master-Studiengangs beteiligt. Erwünscht sind die
Mitwirkung an der Lehre und den Prüfungen auch in anderen Master-Studiengängen,
im Schwerpunktstudium und an den Moot-Court-Aktivitäten der Fakultät. Eine
Teilnahme an den Forschungsprofilbereichen „Riskante Ordnungen“ und/oder „Globale
Verflechtungen und Vergleiche“ der Universität Leipzig ist ebenso erwünscht wie Er-
fahrung in der Einwerbung von Drittmitteln.
-------------------------
Eine ausführliche Stellenbeschreibung mit weiteren Informationen zu den Erwar-
tungen an den/die zukünftige/-n Stelleninhaber/-in, die persönlichen Voraussetzun-
gen eines/einer erfolgreichen Bewerbers/Bewerberin sowie rechtliche Grundlagen
für die Berufung, einzureichende Unterlagen und Ausführungen zum Datenschutz
finden Sie unter http://www.uni-leipzig.de/universitaet/stellen-und-ausbildung/
stellenausschreibungen/hochschullehrer-und-leiter.html

UNIVERSITÄT GREIFSWALD
Wissen lockt. Seit 1456 UNIVERSITÄT GREIFSWALD
Wissen lockt. Seit 1456
nnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnnn

An der Technischen Hochschule Wildau sind zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald
Professuren zu besetzen: ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine
An der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald ist im Institut für
Im Fachbereich Ingenieur- und Naturwissenschaften:
Professur (W3) für Neuere skandinavische Literaturen Psychologie zum 01.10.2021 eine
Professorinnen / Professoren zu besetzen. Die hochschule 21 ist eine staatlich anerkannte Hochschule W3-Professur für Entwicklungspsychologie und
(Bes.-Gruppe W2 BbgBesO) Gesucht wird eine wissenschaftliche Persönlichkeit, die das Fach Neuere skandinavische Literaturen in privater Trägerschaft mit Sitz in Buxtehude in der Me- Pädagogische Psychologie
in Forschung und Lehre in seiner Breite vertritt. Vorausgesetzt werden mindestens zwei Forschungs-
für die Fachgebiete schwerpunkte und Lehrerfahrung im Bereich der neueren skandinavischen Literaturen und Kulturen.
tropolregion Hamburg. Aktuell sind ca. 1.100 Studierende
zu besetzen. Gesucht wird eine Persönlichkeit, die die Fachgebiete der Entwicklungspsychologie und
Erwartet wird eine aktive Mitwirkung an allen am Institut für Fennistik und Skandinavistik angebo- in acht dualen Bachelorstudiengängen und bei rund 1.000 Pädagogischen Psychologie umfassend in der Lehre gemäß den Prüfungsordnungen für Studierende
Elektrotechnik in intelligenten tenen skandinavistischen Studiengängen sowie an den interdisziplinären Studiengängen mit skandi- Partnerunternehmen beschäftigt. der Psychologie (B. Sc. / M. Sc.) vertreten kann. Darüber hinaus ist die Professur für die Lehramtsaus-
Fertigungssystemen navistischer Beteiligung. Erwünscht sind Erfahrungen in der Einwerbung von Drittmitteln und in
der akademischen Selbstverwaltung. Die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit mit Im Fachbereich Bauwesen ist unter den Voraussetzungen
bildung in diesen Fachgebieten verantwortlich. Vorausgesetzt werden ein exzellentes, international
sichtbares Forschungsprofil im Bereich der experimentellen Entwicklungspsychologie und / oder
(Kennziffer: AT4) den anderen Fächern der Fakultät sowie die Mitarbeit im Rahmen des Forschungsschwerpunktes des § 25 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) Pädagogischen Psychologie und die erfolgreiche Einwerbung kompetitiver Drittmittel. Das For-
„Kulturen des Ostseeraums“ werden vorausgesetzt. Die Professur soll die Partnerschaftsbezie- zum 01.02.2021 zu besetzen: schungsprofil sollte anschlussfähig an die Forschungsschwerpunkte des Instituts für Psychologie
Betriebsmanagement hungen der Universität Greifswald mit den nordischen Ländern und ihren wissenschaftlichen Institu- sein. Die Bereitschaft zur Mitarbeit in Gremien der akademischen Selbstverwaltung wird erwartet.
(Kennziffer: WI6) tionen weiter ausbauen.
Die detaillierte Stellenausschreibung mit weiteren Hinweisen, insbesondere zu den Einstellungs- Professur (1/1 Stelle) für Konstruktiver Auslandserfahrung und die Bereitschaft zur englischsprachigen Lehre sind wünschenswert.

Antriebstechnik in intelligenten voraussetzungen, den einzureichenden Bewerbungsunterlagen sowie zum Datenschutz, finden Sie
Ingenieurbau und Baustatik
Die detaillierte Stellenausschreibung mit weiteren Hinweisen, insbesondere zu den Einstellungs-
voraussetzungen, den einzureichenden Bewerbungsunterlagen sowie zum Datenschutz, finden Sie
Fertigungssystemen unter www.uni-greifswald.de/stellen/professuren. Die Bewerbungsfrist endet am 31.05.2020. unter www.uni-greifswald.de/stellen/professuren. Die Bewerbungsfrist endet am 12.06.2020.
(Kennziffer: MB4) Bewerbungsschluss: 31.07.2020
Die ausführlichen Ausschreibungstexte finden Sie auf unserer Die vollständige Ausschreibung finden Sie unter:
Homepage unter:
https://www.th-wildau.de/hochschule/jobs-und-karriere/ www.hs21.de/stellenangebote
stellenangebote/
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
An der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
ist am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften folgende Stelle im
Beamten- bzw. im Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu
besetzen:
Professur (W3) für Soziologie
mit dem Schwerpunkt Kultur und Migration
Sie sind in Forschung und Lehre in der kultursoziologischen Migrations-
forschung ausgewiesen und können Schwerpunktsetzungen in den
Bereichen Intersektionalität und/oder Postcolonial Studies durch inter-
national sichtbare Forschung und Publikationen belegen. Erfahrungen
in der Einwerbung und Durchführung von Drittmittelprojekten werden
vorausgesetzt.
Erwartet wird ferner die Bereitschaft zur Mitarbeit an laufenden und
geplanten Forschungsvorhaben der Universität sowie Lehrengagement
in allen Studiengängen des Fachbereichs. Die Professur ist auch an
der Lehrerbildung beteiligt; Erfahrungen und Konzepte zur Vermittlung
der Fachinhalte an Schulen werden begrüßt. Darüber hinaus ist eine
Bereitschaft zur Mitarbeit im Cornelia Goethe Centrum erwünscht.
Von Ihnen wird im Falle Ihrer Berufung eine Beteiligung an der Selbst-
verwaltung der Universität erwartet.
Die Goethe-Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Frauen
in Forschung und Lehre an und fordert daher qualifizierte Wissenschaft-
lerinnen nachdrücklich auf, sich zu bewerben. Personen mit inter-
nationalen Erfahrungen, Personen mit Migrationshintergrund und Persons
of Color werden ausdrücklich zur Bewerbung ermuntert. Bewerbungen
von schwerbehinderten Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt
berücksichtigt. Details zu den rechtlichen Rahmenbedingungen der
Einstellungsvoraussetzungen finden Sie unter: www.vakante-professuren.
uni-frankfurt.de. Einstellungsvoraussetzung sind neben den allgemeinen
dienstrechtlichen Bestimmungen die Habilitation oder habilitations-
äquivalente Leistungen.
Wenn Sie in Forschung und Lehre exzellent ausgewiesen sind und dies
durch international sichtbare Forschungsleistungen belegen können,
sind Sie eingeladen, Ihre Bewerbung mit Lebenslauf (wissenschaftlichem
und beruflichem Werdegang), Schriftenverzeichnis, Fotokopien der
Zeugnisse und Urkunden, Verzeichnis der selbstständigen Lehrveran-
staltungen, Lehrkonzept und Lehrevaluationen (soweit vorhanden), zu
einem PDF-Dokument zusammengeführt innerhalb von sechs Wochen
nach Erscheinen dieser Anzeige (Bewerbungsfrist: 10.06.2020) elektronisch
an die Dekanin des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der
Goethe-Universität, Prof. Dr. Birgit Blättel-Mink, E-Mail: dekanat.
fb03-bewerbungen@soz.uni-frankfurt.de (Empfangsbestätigung ergeht
innerhalb einer Woche) zu übersenden. Bitte kennzeichnen Sie Ihre
Bewerbung mit der Kennziffer 04/2020.
WWW.UNI-FRANKFURT.DE
Die Technische Fakultät besetzt im Department Elektrotechnik-Elektronik-Informa-
tionstechnik / Nuremberg Campus of Technology (NCT) zum frühestmöglichen Zeit-
punkt eine
W3-Professur für Elektrische Smart-City-Systeme
im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.
Zu den Aufgaben der Professur gehört, eines oder mehrere der nachfolgend
genannten Gebiete in Forschung und Lehre angemessen zu vertreten sowie die
Leitung des zugehörigen Lehrstuhls. Bewerber (m/w/d) sollen einen ingenieurwis-
senschaftlichen elektrotechnischen Hintergrund aufweisen und in der Forschung in
den Themengebieten
• Smart City, Smart Home, Smart Infrastructure, Smart Grid
mit einem oder mehreren der folgenden Unteraspekte wissenschaftlich hervor-
ragend ausgewiesen sein:
• elektronische Systeme
• resiliente elektrische / elektronische Systeme
• Systeme der elektrischen Energietechnik
• integrierte Sensorsysteme, Intelligente Sensoren
• Informationssysteme
• elektronische Schnittstellen einschließlich der Mensch-Maschine-Schnittstellen
• elektrische Mobilitätssysteme
• Automatisierung von Energie- und Materialflüssen
Die Bereitschaft zu interdisziplinärer Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen
der Universität, mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Industrie
wird erwartet. In der Lehre ist die Mitwirkung in den Studiengängen des Depart-
ments und benachbarter Fachrichtungen der Technischen Fakultät erforderlich. Die
Bereitschaft zur Übernahme von bestehenden Pflichtvorlesungen und Praktika in
der Grundlagenausbildung wird erwartet.
Eine ausführliche Stellenbeschreibung finden Sie online unter https://www.fau.de/
universitaet/stellen-praktika-und-jobs/ausgeschriebene-professuren/.
Bewerbungen sind mit den üblichen Unterlagen (CV, Schriftenverzeichnis, Lehr-
erfahrung, Drittmitteleinwerbungen, Zeugnisse und Urkunden) webbasiert unter
https://berufungen.fau.de bis zum 18.05.2020 erwünscht, adressiert an den Dekan
der Technischen Fakultät. Für Fragen und weitere Informationen steht das Dekanat
unter tf-dekanat@fau.de sehr gerne zur Verfügung.
DIVERSITY-AUDIT
DES STIFTERVERBANDES
www.fau.de
ZERTIFIKAT 2019
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Sie möchten Ihre Anzeige elektronisch übermitteln und
haben noch Fragen? Dann rufen Sie uns gerne an oder schreiben uns:
0931 / 6001758
1 zeit@anzeigeneingang.de
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5 www.anzeigeneingang.de
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ANZEIGE
An der Physikalisch-Astronomischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität
Jena ist zum Sommersemester 2021 eine
Professur (W3 oder W2 mit Tenure Track auf W3)
in Optischem Systemdesign und Simulation
zu besetzen.
Gesucht wird eine Forscherpersönlichkeit (m/w/d) mit Schwerpunkten im Bereich
Konzeptentwicklung, Auslegung, Optimierung und physikalische Simulation sowie
Tolerierung optischer Systeme. Dies beinhaltet exzellente Forschungsarbeiten unter
anderem zu modernen Komponenten, Bildfehlertheorie, Entwicklung digitaler
Abbildungssysteme, Messtechnik und Charakterisierung von Systemen für Abbil-
dungs- und Beleuchtungsanwendungen sowie physikalisch-optische Simulationen
von realen Systemen. Eines der wichtigsten Ziele in diesem Forschungsgebiet
ist die Entwicklung und Untersuchung neuartiger Methoden und Algorithmen im
optischen Design im Bereich des optischen Instrumentenbaus. Dabei wird ein
konzeptionelles Systemdenken unter Berücksichtigung klassischer und moderner
Ansätze sowie technologischer Fragestellungen der Realisierung erwartet. Es
wird eine stark praktisch ausgerichtete Arbeitsweise in einer engen Zusammen-
arbeit mit anderen Forschungsgruppen der Universität Jena und thematisch ent-
sprechend ausgerichteten Instituten und Firmen im Rahmen eines bestehenden
und wachsenden Netzwerkes erwartet. Aktive Beiträge zur Profillinie Light der
Universität sind gewünscht. Engagement in der akademischen Selbstverwaltung
wird erwartet. In der Lehre soll insbesondere das Design optischer Systeme in den
Masterstudiengängen Physik und Photonics vertreten werden, wobei die Lehrver-
anstaltungen überwiegend auf Englisch zu halten sind.
Einstellungsvoraussetzungen sind ein abgeschlossenes Studium, die pädagogische
Eignung, eine einschlägige Promotion und eine Habilitation oder gleichwertige
wissenschaftliche Leistung im Themenfeld. Erfahrungen in der Einwerbung von
Drittmitteln, Projektakquise und bei der Durchführung von Drittmittelprojekten sowie
Führungskompetenz sind erwünscht. Im Fall einer erstmaligen Berufung in ein
Professorenamt soll die Professur zunächst als W2-Professur für sechs Jahre be-
fristet werden. In diesem Fall findet auf Grundlage einer positiven Tenure-Evaluation
spätestens nach sechs Jahren die Überleitung auf eine W3-Professur ohne erneute
Ausschreibung statt.
Die Friedrich-Schiller-Universität strebt die Erhöhung des Anteils der Frauen am
wissenschaftlichen Personal an und begrüßt daher besonders Bewerbungen von
Wissenschaftlerinnen. Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung,
Befähigung und fachlicher Qualifikation bevorzugt berücksichtigt.
Eine aussagekräftige Bewerbung mit Lebenslauf, Angaben zum beruflichen Werde-
gang, Publikations- und Vortragsverzeichnis, Dokumentation der Lehrtätigkeit
(ggf. mit Evaluationen), einem Bericht über die bisherigen wissenschaftlichen Tätig-
keiten einschließlich der Drittmittelbilanz, einer Darstellung der Interessengebiete
und geplanten Forschungsvorhaben sowie eines Lehrkonzepts sind bis zum 31.07.2020
bevorzugt elektronisch als ein PDF-Dokument zu richten an:
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Physikalisch-Astronomische Fakultät
Dekan Prof. Dr. Christian Spielmann, Max-Wien-Platz 1, 07743 Jena
E-Mail: dekanat-paf@uni-jena.de
Die Universität Siegen ist mit knapp 20.000 Studierenden, ca. 1.300 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern sowie 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Technik und Verw r altung eine inno-
vative und interdisziplinär ausgerichtete Universität. Sie bietet mit einem breiten Fächerspektrum von
den Geistes- und Sozialwissenschaften über die Wirtrschaftswissenschaften bis zu den Natur- und
Ingenieurw
r issenschaften ein hervr orragendes Lehr- und Forschungsumfeld mit zahlreichen inter- und
transdisziplinären Forschungsprojekten. Die Universität Siegen bietet vielfältige Möglichkeiten, Beruf
und Familie zu vereinbaren. Sie ist deswegen seit 2006 als familiengerechte Hochschule zertrifiziertr
und bietet einen Dual Career-Serv r ice an.
In der Fakultät V – Lebenswissenschaftliche Fakultät – der Universität Siegen ist zum nächstmög-
lichen Zeitpunkt eine
Universitätsprofessur
(Bes. Gr. W2 LBesG NRW)
für Bioinformatik
zunächst befristet auf 5 Jahre zu besetzen. Es besteht die Möglichkeit der Entfristung bei Vorliegen
der haushalterischen und strukturellen Gegebenheiten.
Die/Der zukünftige Stelleninhaber/-in soll das Fach Bioinformatik in seiner gesamten Breite in
Forschung und Lehre vertreten. Es wird erw r artet, dass die zukünftige Stelleninhaberin/der zu-
künftige Stelleninhaber maßgeblich zur strategischen Weiterentwicklung der Forschung an der
Fakultät V beiträgt und die Forschungsschwerpunkte der Universität Siegen insbesondere des
Departments Chemie-Biologie verstärkt. Wesentliche Bestandteile der Tätigkeit sollen die aktive
Teilnahme am und die maßgebliche Mitgestaltung im interdisziplinären Projekt „Medizin neu den-
ken“ der Universität Siegen zur Erf r orschung innovativer Konzepte regionaler, digitaler und mobiler
Gesundheitsversorgung sein. Dazu gehört insbesondere die federf r ührende Mitarbeit bei der Kon-
zeption und Implementierung neuer grundlegender Strategien in der medizinischen Diagnostik.
In der Forschung soll die/der Stelleninhaber/-in die Bioinformatik mit einem Schwerpunkt im
Bereich der Metagenomik von Prokaryoten vertreten. Sie/Er soll dabei in einem oder mehreren der
folgenden Bereiche besonders ausgewiesen sein:
l Mikrobielle Bioinformatik
l Metagenomanalyse von Biofilmen
l Integrative Analyse von bakteriellen Omics-Daten
l Bakterielle Phylogenetik
l Computergestützte Evolutionsbiologie von Prokaryoten
In der Lehre soll sich die Professur maßgeblich an den im Aufbau befindlichen Studiengängen der
Lebenswissenschaftlichen Fakultät (Bachelor „Digital Biomedical and Health Sciences“ und Master
„Biomedical Technology“) sowie dem fakultätsübergreifenden Export grundlegender Lehrangebote
in der Bioinformatik beteiligen. Das Lehrdeputat beträgt 9 SWS.
Die Einstellungsvoraussetzungen sind neben den allgemeinen dienstrechtlichen Voraussetzungen
ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Bioinformatik, Biologie, Mikrobiologie oder in einem
daran angrenzenden naturw r issenschaftlichem Fachgebiet, pädagogische Eignung, die besondere
Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit mit naturw r issenschaftlichem Hintergrund, die in der Regel
durch die Qualität einer Promotion nachgewiesen wird, und zusätzliche wissenschaftliche Leis-
tungen, die ausschließlich und umfassend im Berufungsverf r ahren bewertet werden. Die zusätzli-
chen wissenschaftlichen Leistungen werden im Rahmen einer Juniorprofessur, einer Habilitation
oder einer Tätigkeit als wissenschaftliche/-r Mitarbeiter/-in an einer Hochschule oder außeruni-
versitären Forschungseinrichtung oder im Rahmen einer sonstigen wissenschaftlichen Tätigkeit
erbracht.
Im Speziellen erw r arten wir: i) hervorragende Forschungsleistungen, die in international renom-
mierten Fachzeitschriften publiziert wurden, ii) Erfr ahrungen in interdisziplinärer Zusammenarbeit,
iii) die erf
r olgreiche Einwerbung von Drittmitteln, iv) eine einschlägige Promotion von überdurch-
schnittlicher Qualität, v) die Bereitschaft zur Mitwirkung in der akademischen Selbstverw r altung
sowie vi) Lehrerf r ahrung und Nachweis didaktischer Kompetenz.
Die Universität Siegen strebt eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre an.
Entsprechend qualifiziertre Frauen werden um ihre Bewerbung gebeten. Bewerbungen geeigneter
Schwerbehindertrer sind erw r ünscht. Sofern die allgemeinen beamtenrechtlichen Voraussetzungen
nicht erfrüllt werden, kommt eine Beschäftigung im Angestelltenverhältnis in Betracht.
Für Fragen und nähere Information wenden Sie sich bitte an den Herrn Universitätsprofessor Dr.
Merzendorfrer unter: merzendorfrer@chemie-bio.uni-siegen.de, Telefon: 0271-740 3917.
Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugniskopien, Darstellung der bisherigen
Forschungs- und Lehrträtigkeit, ggf. Referenzen etc.) richten Sie bitte bis zum 11.06.2020 an den
Gründungsdekan der Fakultät V, Universität Siegen, Am Eichenhang 50, 57076 Siegen.
Bevorzugt wird die Zusendung der Bewerbung per E-Mail als PDF-Datei an dekan@lwf.uni-siegen.de.
Informationen über die Universität Siegen finden Sie auf unserer Homepage ww www.uni-siegen.de.
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STELLENMARKT 39
Die Universität Siegen ist mit knapp 20.000 Studierenden, ca. 1.300 Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern sowie 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Technik und Verwaltung eine
innovative und interdisziplinär ausgerichtete Universität. Sie bietet mit einem breiten Fächerspektrum
von den Geistes- und Sozialwissenschaften über die Wirtrschaftswissenschaften bis zu den Natur-
und Ingenieurw r issenschaften ein hervorragendes Lehr- und Forschungsumfeld mit zahlreichen An der Technischen Universität Darmstadt ist zum nächstmöglichen
inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten. Die Universität Siegen bietet vielfältige Möglich- Zeitpunkt eine
keiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Sie ist deswegen seit 2006 als familiengerechte Hoch-
schule zertifiziert und bietet einen Dual Career-Service an.
In der Fakultät V – Lebenswissenschaftliche Fakultät – der Universität Siegen ist zum nächst-
möglichen Zeitpunkt eine Universitätsprofessur (W3)
Universitätsprofessur Hybride Quantensysteme (Kenn-Nr. 207)
(Bes. Gr. W2 LBesG NRW)
für Biotechnologie
zunächst befristet auf 5 Jahre zu besetzen. Es besteht die Möglichkeit der Entfristung bei Vorliegen am Fachbereich Physik im Institut für Festkörperphysik zu besetzen.
der haushalterischen und strukturellen Gegebenheiten.
Die/Der zukünftige Stelleninhaber/-in soll das Fach Biotechnologie in seiner gesamten Breite in Gesucht wird eine international ausgewiesene Persönlichkeit zur
Forschung und Lehre vertrreten. Es wird erw r artret, dass die zukünftige Stelleninhaberin/der zukünftige Etablierung dieses neuen Forschungsgebiets an der TU Darmstadt.
Stelleninhaber maßgeblich zur strategischen Weiterentwicklung der Forschung an der Fakultät V
Mögliche Themen dieser experimentell ausgerichteten Professur sind
beiträgt und die Forschungsschwerpunkte der Universität Siegen insbesondere des Departments
Chemie-Biologie verstärkt. Wesentliche Bestandteile der Tätigkeit sollen die aktive Teilnahme am unter anderem Quantenspinsysteme, Quantensensoren, 2D-Schicht
und die maßgebliche Mitgestaltung im interdisziplinären Projekt „Medizin neu denken“ der Uni- Systeme, Quantenpunkte, nanomechanische Oszillatoren oder
versität Siegen zur Erf r orschung innovativer Konzepte regionaler, digitaler und mobiler Gesund- circuit-QED Systeme.
heitsversorgung sein. Dazu gehört insbesondere die federf r ührende Mitarbeit bei der Konzeption
und Implementierung neuer grundlegender Strategien in der medizinischen Diagnostik pathogener
Mikroorganismen und der Entwicklung von Biosensoren. Mögliche Anwendungen variieren hierbei von Quantencomputern bis
hin zur kontrollierten Erzeugung neuer Quantenzustände kondensier-
In der Forschung soll die/der Stelleninhaber/-in die Biotechnologie mit einem Schwerpunkt im Bereich
des Protein-Engineerings vertrreten. Sie/Er soll dabei in einem oder mehreren der folgenden Bereiche ter Materie mit neuartigen physikalischen Eigenschaften oder der
besonders ausgewiesen sein:
Beprobung von flüssiger, weicher und amorpher Materie.
• Mutagenese-Verf r ahren
• Phage-Display-Techniken
• Hochdurchsatz-Verf r ahren
Die Professorin/Der Professor soll einen deutlich sichtbaren For-
• Gelenkte Evolution von Proteinen schungsschwerpunkt anführen und an der zeitnahen Besetzung von
• Biokatalysatoren einer weiteren Professur auf diesem Gebiet mitwirken. Es wird erwar-
• Zellkulturtechnik tet, dass Anknüpfungspunkte an die Forschungsaktivitäten der existie-
In der Lehre soll sich die Professur maßgeblich an den im Aufbau befindlichen Studiengängen der
renden Gruppen der Festkörperphysik und des Instituts für Angewand-
Lebenswissenschaftlichen Fakultät (Bachelor „Digital Biomedical and Health Sciences“ und Master te Physik herausgebildet werden. Darüber hinaus besteht die Möglich-
„Biomedical Technology“) sowie dem fakultätsübergreifenden Export grundlegender Lehrangebote
in der Biotechnologie beteiligen. Das Lehrdeputat beträgt 9 SWS. keit, insbesondere mit Gruppen in den Fachbereichen Materialwissen-
Die Einstellungsvoraussetzungen sind neben den allgemeinen dienstrechtlichen Voraussetzungen schaft, Elektrotechnik & Informationstechnik und Chemie der Univer-
ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Biologie, Biochemie, Biotechnologie oder in einem daran sität zusammenzuarbeiten.
angrenzenden naturwissenschaftlichem Fachgebiet, pädagogische Eignung, die besondere
Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit mit naturw r issenschaftlichem Hintergrund, die in der Regel
Neben einer hervorragenden Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit
durch die Qualität einer Promotion nachgewiesen wird, und zusätzliche wissenschaftliche Leistungen,
die ausschließlich und umfassend im Berufungsverfahren bewertet werden. Die zusätzlichen werden auch eine entsprechende pädagogische Eignung sowie die
wissenschaftlichen Leistungen werden im Rahmen einer Juniorprofessur, einer Habilitation oder Bereitschaft, die Experimentelle Physik in ihrer gesamten Breite zu leh-
einer Tätigkeit als wissenschaftliche/-r Mitarbeiter/-in an einer Hochschule oder außeruniversitären ren, vorausgesetzt.
Forschungseinrichtung oder im Rahmen einer sonstigen wissenschaftlichen Tätigkeit erbracht.
Im Speziellen erw r artren wir: i) herv
r orragende Forschungsleistungen, die in international renommiertren Die Einstellung erfolgt im Beamtenverhältnis oder in einem außertarif-
Fachzeitschriften publiziert wurden, ii) Erf r ahrungen in interdisziplinärer Zusammenarbeit, iii) die
erfrolgreiche Einwerbung von Drittmitteln, iv) eine einschlägige Promotion von überdurchschnittlicher lichen Angestelltenverhältnis mit einer qualifikationsabhängigen Besol-
Qualität, v) die Bereitschaft zur Mitwirkung in der akademischen Selbstverw r altung sowie vi) Lehrer- dung/Vergütung entsprechend der W-Besoldung. Diese wird zwischen
fahrung und Nachweis didaktischer Kompetenz.
Bewerber_in und Hochschulleitung verhandelt. Es gelten ferner die
Die Universität Siegen strebt eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Forschung und Lehre an. Einstellungsvoraussetzungen der §§ 61 und 62 Hessisches Hochschul-
Entsprechend qualifizierte Frauen werden um ihre Bewerbung gebeten. Bewerbungen geeigneter gesetz.
Schwerbehinderter sind erw r ünscht. Sofern die allgemeinen beamtenrechtlichen Voraussetzungen
nicht erf
r üllt werden, kommt eine Beschäftigung im Angestelltenverhältnis in Betracht.
Die Technische Universität Darmstadt strebt eine Erhöhung des Anteils
Für Fragen und nähere Information wenden Sie sich bitte an den Herrn Universitätsprofessor Dr.
Merzendorfer unter: merzendorf r er@chemie-bio.uni-siegen.de, Telefon: 0271-740 3917. der Frauen am Personal an und fordert deshalb besonders Frauen auf,
Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Zeugniskopien, Darstellung der bisherigen sich zu bewerben. Bewerber_innen mit einem Grad der Behinderung
Forschungs- und Lehrtätigkeit, ggf. Referenzen etc.) richten Sie bitte bis zum 11.06.2020 an den von mindestens 50 oder diesen Gleichgestellte werden bei gleicher Eig-
Gründungsdekan der Fakultät V, Universität Siegen, Am Eichenhang 50, 57076 nung bevorzugt. Die Technische Universität Darmstadt ist als familien-
Siegen. Bevorzugt wird die Zusendung der Bewerbung per E-Mail als PDF-Datei an dekan@ gerechte Hochschule zertifiziert und verfügt über ein Dual Career Pro-
lwf.uni-siegen.de.
gramm.
Informationen über die Universität Siegen finden Sie auf unserer Homepage www.uni-siegen.de.
Bewerbungen sind in englischer Sprache zu verfassen und mit den
üblichen Unterlagen, insbesondere Lebenslauf, Schriftenverzeichnis,
Zeugnisunterlagen, Übersicht über ggf. bisherige Lehrtätigkeit (inklusi-
ve Lehrevaluationen) und Darstellung wissenschaftlicher Aktivitäten
unter Angabe der Kenn-Nummer zu senden an den Dekan des Fachbe-
reichs Physik, Herrn Prof. Dr. Thomas Walther, Technische Universität
Darmstadt, Hochschulstraße 12, D-64289 Darmstadt. Eine Bewerbung
in einer einzigen pdf-Datei an dekanat@physik.tu-darmstadt.de ist
erwünscht. Wir bitten, schriftliche Bewerbungsunterlagen in Kopie vor-
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus - Reformfakultät des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft
zulegen, da diese nach Abschluss des Verfahrens nicht zurückgesendet
werden können.
An der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen
Universität Dresden ist zum 01.08.2021 eine
Bewerbungsfrist: 15. Juni 2020
W3-Pr
An der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg (HfJS)
ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt die
Tenure-Track-Professur für Jüdische
Religionslehre, -pädagogik und -didaktik
(m/w/d) (W1-Besoldung)
zu besetzen.
Die Stelleninhaberin/der Stelleninhaber soll das Teilgebiet
Jüdische Religionslehre, -pädagogik und -didaktik in seiner
gesamten Breite in Forschung und Lehre an der
Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg vertreten.
Aufgrund des besonderen Profils der HfJS und der engen Koopera-
tion mit der Universität Heidelberg sind interdisziplinäre Kompe-
tenz sowie die Bereitschaft erwünscht, sich mit anderen Bereichen
der Jüdischen Studien und relevanten Fachbereichen an der Uni-
versität Heidelberg, der PH Heidelberg (Erziehungswissenschaft,
Bildungswissenschaft, Religionspädagogik, Philosophie etc.) sowie
an der Heidelberg School of Education aktiv zu vernetzen. Voraus-
gesetzt wird ferner die Bereitschaft zu drittmittelfinanzierter For-
schung auf der Basis eigener Vorhaben. Das besondere Profil des
Lehrstuhls erfordert auch die Zusammenarbeit und Vernetzung
mit jüdischen Landesverbänden und Bildungsträgern.
Wir bitten um Ihre Bewerbung bis spätestens 12. Juni 2020.
Bitte senden Sie Ihre Unterlagen zusammen-
gefasst in einer PDF-Datei an den stellv. Rektor
Professor Dr. Frederek Musall, Hochschule für
Jüdische Studien Heidelberg, Landfriedstraße
12, 69117 Heidelberg, E-Mail: rektor@hfjs.eu
Die ausführliche Stellenbeschreibung finden
Sie hier: http://www.hfjs.eu/aktuell/jobs.html
Die Technische Universität Dresden ist eine der führenden Universitäten Deutschlands. In der Exzellenzinitiative
des Bundes und der Länder war sie mit insgesamt vier Anträgen erfolgreich und wurde mit dem Titel „Exzellenz-
Universität“ ausgezeichnet.
An der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ ist im Institut für Verkehrstelematik zum
nächstmöglichen Zeitpunkt die
Professur (W3) für Verkehrsprozessautomatisierung
zu besetzen. Die Professur für Verkehrsprozessautomatisierung arbeitet verkehrsträgerübergreifend an zukunfts-
weisender Methodik der Regelungs- und Steuerungstechnik und innovativen Konzepten zur Effizienzsteigerung von
Verkehrssystemen, die im Sinne von Nachhaltigkeit erarbeitet, getestet und evaluiert werden.
Wir suchen Sie als dynamische und engagierte Persönlichkeit, die international auf dem Gebiet der Regelung
und Steuerung von Verkehrssystemen unter Nutzung innovativer Ansätze der Automatisierung und Digitalisierung
ausgewiesen ist. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung, wenn Sie über Expertise in mindestens einem der folgenden
Gebiete verfügen:
• verkehrstelematische Lösungen im Rahmen des operativen Verkehrsmanagements, insbesondere zur Echtzeit-
steuerung von Verkehrsprozessen,
• automatisiertes Fahren bzw. Fliegen und kollektive Intelligenz innerhalb der Verkehrssysteme,
• Schätzung von Zustandsgrößen im Verkehrssystem, insbesondere auf Basis von Echtzeitdaten.
Wir erwarten von Ihnen methodische Forschung auf dem Gebiet der Regelungs- und Steuerungstechnik, bei-
spielsweise unter Nutzung von Ansätzen der künstlichen Intelligenz oder des maschinellen Lernens. Die Daten
der Verkehrsleitzentrale VAMOS stehen Ihnen für Forschungsvorhaben zur Verfügung. Zu Ihren Aufgaben in der
Lehre gehört die aktive Mitwirkung in den Diplom-, Bachelor- u. Masterstudiengängen der Fakultät Verkehrswis-
senschaften „Friedrich List“ sowie im Lehrexport. Ihre Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung wird
vorausgesetzt. Die Berufungsvoraussetzungen richten sich nach § 58 SächsHSFG. Den vollständigen Ausschrei-
bungstext finden Sie unter: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/7629.
Am Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine
Stelle für die
Leitung der Abteilung Operative Prozesse und Systeme
Jetzt auf jobs.zeit.de (bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen E 14 TV-L)
zu besetzen. Die Abteilung Operative Prozesse und Systeme (OPS) ist für den Betrieb und die Überwachung der
zentralen Systeme und Dienste inklusive Hochleistungsrechner zuständig und unterstützt die Struktureinheiten
mit zentral bereitgestellten IT-Diensten. Dabei stehen neben Administration und Monitoring der Systeme auch die
Beratung und Unterstützung der Nutzenden der IT-Dienste im Vordergrund. Gesucht werden Bewerber/innen mit
wiss. HSA bzw. Promovierte in Informatik, Mathematik o. einer vergleichbaren Ingenieur- bzw. Naturwissenschaft.
Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie unter: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/7630.
Im Rahmen der Initiative „Exzellenz-Universität“ ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Stelle als
Referent/in Technologieplattformen
(bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen E 13 TV-L)
zunächst bis zum 31.10.2026 (Befristung gem. TzBfG) zu besetzen. Eine zentrale Maßnahme ist die Entwicklung
gemeinsamer Technologieplattformen und eines Portals, welches den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lern eine umfangreiche Datenbank zu hoch spezialisierten Geräten einschl. passgenauen Dienst- und Serviceleis-
tungen zur Verfügung stellt sowie Synergieeffekte bei der Anschaffung und Nutzung der Forschungsinfrastruktur
der DRESDEN-concept Partner ermöglicht. Für die strategische und konzeptionelle Entwicklung von Technologie-
plattformen werden Bewerber/innen mit einschlägigem wiss. Hochschulabschluss, vorzugsweise in Ingenieur- o.
Naturwissenschaften, einschlägiger Berufserfahrung u. umfangreichen Kenntnissen sowie Erfahrungen in der
Konzepterstellung, Erarbeitung von Leistungsbeschreibungen u. im Projektmanagement gesucht. Den vollständi-
gen Ausschreibungstext finden Sie unter: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/7631.

40
Zum Geburtstag des stärksten Mädchens der
Welt liest du hier eine besondere Geschichte: »Der
Räuber Assar Bubb­la. Oder: Um ein Haar hätte
es kein Buch über Pippi Langstrumpf ­gegeben«.
Astrid Lindgren schrieb sie im Jahr 1987 und
verriet darin viel Wahres; etwa, dass sie ihre ­
Bücher in Kurzschrift verfasste. Aber ob sich alles
J
genau so zugetragen hat? Na, entscheide selbst!
etzt möchte ich euch erzählen, wie es
kam, dass es um ein Haar kein Buch
über Pippi Langstrumpf gegeben hät­
te. Daran war der berüchtigte Räuber
Assar Bubb­la schuld, der mir meine
Aktentasche gestohlen hatte. Es ge­
schah in einer Straßenbahn, denn sol­
che Fahrzeuge gab es früher noch in Stockholm,
aber das alles liegt ja auch weit zurück.
An einem schönen Apriltag ging ich die Stra­
ße entlang, schwenkte vergnügt meine Ak­ten­
tasche und dachte, was ist heute für ein schöner
Tag! Dann stieg ich in die Straßenbahn und
setzte mich auf einen freien Platz. Die Tasche
stellte ich neben mich auf den Sitz.
Mir gegenüber saß ein kleiner, dicker Kerl mit
einem gelben Schnauzbart – Hilfe, wie tückisch er
aussah, und was für stechende Augen er hatte! Ich
wusste ja nicht, dass es der berüchtigte Räuber Assar
Bubb­la war, sonst hätte ich bestimmt besser auf­
gepasst. Wieso glotzt der mich bloß so an, dachte
ich. Seine Augen waren irgendwie komisch. Er
starrte mich an, ohne zu blinzeln, und plötzlich
drehte sich mir alles im Kopf.
Damals wusste ich es noch nicht, aber hinter­
her erfuhr ich, dass Assar Bubb­la hypnotisieren
konnte. Und das bedeutet, dass er andere Leute
dazu bringen konnte, ihm zu gehorchen, sodass
sie das taten, was er wollte, wenn er sie nur lange
genug anstarrte und dabei scharf an etwas dachte.
Und jetzt starrte er also mich an. Denn er
wollte meine Aktentasche haben. Wahrscheinlich
dachte er, dass sie voller Schätze war. Oder »Kost­
barlichkeiten«, wie er es nannte, nein, er sagte
nicht »Kostbarkeiten« wie andere Leute! »Kost­
barlichkeiten sind irgendwie kostbarer, man
kriegt mehr Geld dafür«, behauptete er später auf
der Polizeiwache, als dann alles aufgeklärt wurde.
Doch darüber wollen wir jetzt nicht reden,
denn erst mal will ich erzählen, wie ich damals an
jenem Apriltag hypnotisiert wurde. Assar Bubb­la
saß, wie gesagt, da und glotzte mich an, und seine
Gedanken flitzten mir geradewegs in den Schädel,
kein Wunder, dass mir komisch zumute wurde!
Und dieser Schurke Assar Bubb­la dachte: Erstens
hast du deine Aktentasche gar nicht mitgenommen,
als du von zu Hause weggegangen bist! Zweitens
wirst du deine Aktentasche beim Aussteigen aus der
Straßenbahn vergessen. Drittens hast du in deinem
ganzen Leben noch nie eine Aktentasche gehabt.
Und viertens – wie kann man sich bloß eine braune
Aktentasche kaufen, wieso hast du keine schwarze
genommen, du dumme Pute?
Völlig durcheinander und hypnotisiert, stieg
ich an der Haltestelle aus. Ohne Aktentasche!­
Irgendwie war ich jedoch beunruhigt, tief in mir
spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Aber dann
sagte ich mir tröstend: Eine Aktentasche hab ich ja
leider noch nie im Leben gehabt, und übrigens
steht sie zu Hause im Flur und ist schwarz.­
Außerdem kriegt man ja alles, was man in der
Straßenbahn vergisst, im Fundbüro wieder. Aber
da nehme ich dann lieber eine braune ... oder viel­
leicht doch eine schwarze ... oder wieso ­eigentlich
zur Abwechslung nicht mal eine braune?
Was dann geschah, stellte sich ebenfalls erst beim
Polizeiverhör heraus. Assar Bubb­la schnappte sich
nämlich meine Aktentasche und lief damit in seine
verdreckte, kleine Räuberhöhle, die in einer richti­
gen Bruchbude lag. Dort stapelten sich alle »Kost­
barlichkeiten«, die er gestohlen hatte und die die
Polizei später in Verwahrung nahm.
Aber jetzt war er also mit meiner Aktentasche
allein zu Hause. Bestimmt glaubte er, dass sie vol­
ler Sparbücher und Geldscheine oder gar »Jufeh­
len« war. Nein, er sagte nicht »Juwelen«, wie es ja
heißt, er sagte »Jufehlen«. Und er hoffte jetzt na­
türlich, dass die ganze Tasche voller »Kostbarlich­
keiten« und »Jufehlen« war oder dass darin doch
wenigstens ein paar gute Wurstbrote lagen.
Haha, aber da hatte er sich geschnitten. Das
Einzige, was in meiner Tasche lag, war ein Steno­
grammblock. »Stenogramm« stand auch ganz
deutlich darauf. Aber Assar Bubb­la wusste nicht,
was das ist, und er wusste auch nicht, dass ich alle
meine Bücher in Stenografie schrieb.
Solche gekritzelten Schnörkel, das ist Steno­
grafie! Und jetzt ratet mal, was da in normaler
Sprache stand! »Pippi Langstrumpf war ja das
stärkste Mädchen der Welt«, stand da.
Stenografieren können ist gut, man kann dann
nämlich sehr schnell schreiben. Assar Bubb­la wur­
de wütend, als er nur einen Block mit komischen
»Schnurkeln« hervorholte, die er nicht mal lesen
konnte. Nein, er sagte nicht »Schnörkel«, wie
man sonst sagt. Und beim Polizeiverhör erzählte
er, warum er so wütend geworden war. »Leute, die
so ’ne Schnurkel schreiben, machen das doch nur,
um andere zu ärgern, und damit keiner ihre Ge­
heimnisse rauskriegt«, sagte er.
Assar Bubb­la konnte bei der kleinsten Gelegen­
heit wütend werden, aber jetzt platzte er fast vor
Wut. Vor ihm durfte keiner Geheimnisse haben,
so was ließ er sich einfach nicht gefallen. Er saß da
29. A P R I L 2020 D I E Z E I T N o 19
TITELTHEMA: PIPPI LANGSTRUMP F – DIE SEITE FÜR KINDER
Bei den Dreharbeiten zu einem der Pippi-Filme (1968) hält
Astrid Lindgren die Hauptdarstellerin Inger Nilsson gut fest
Der Pippi-Diebstahl
Vor 75 Jahren erschien eins der berühmtesten Kinderbücher der Welt: »Pippi Langstrumpf«.
Glaubt man ihrer Erfinderin ASTRID LINDGREN , wäre es dazu fast nicht gekommen
und fluchte eine ganze Weile vor sich hin. Doch Tinte innen auf dem Deckel geschrieben, na warte!
dann sauste er los zu einer Buchhandlung, und da Jetzt würde er ihr etwas über Eisbein beibringen!
klaute er sich ein Lehrbuch für Stenografie.­ Mittlerweile war mir längst klar geworden, dass
Danach hockte er eine ganze Woche lang zu Hau­ meine Aktentasche für immer futsch war und mein
se und buchstabierte sich durch das Buch. Schließ­ Manuskript auch, und daraus hatte doch ein Buch
lich glaubte er, die Sache mit der Stenografie­ über Pippi Langstrumpf werden sollen. Ich hatte
begriffen zu haben. Er riss den Stenogrammblock den Verlust der Polizei gemeldet, aber die hatte ja
wieder aus der Tasche. Ha, jetzt würde er diese so viel mit anderen Klauereien zu tun. Die Tasche
dummen Schnurkel schon entziffern! sehe ich nie wieder, dachte ich.
A
Aber Stenografie ist viel vertrackter, als Assar
Bubb­la auch nur im Entferntesten ahnte. Lange ls ich dann eines Tages zu Hause saß
buchstabierte er herum und raufte sich die Haa­ und mich darüber grämte, klingelte
re, es war wirklich schwierig. Doch endlich kam es an der Tür, und nun ratet mal,
er auf die Lösung oder was er dafür hielt: »Eis­ wer da stand! Nein, es war nicht
bein schmeckt am besten mit Erdbeerkompott!« Assar Bubb­la, es war Pippi Lang­
Der arme Assar Bubb­la, jetzt geriet er ganz außer strumpf. Herrn Nilsson, ihren Affen, und ihr
sich vor Wut und brüllte: »Das ist eine faustdicke Pferd hatte sie auch mitgebracht, denn sie war ja
Lüge! Eisbein schmeckt am besten mit Sauerkraut! aus ihrem Heimatstädtchen nach Stockholm
Das weiß doch keiner besser als ich!« Eisbein mit geritten. Weil im Fahrstuhl nicht genug Platz für
Sauerkraut war nämlich Assar Bubb­las Leibgericht, das Pferd gewesen war, hatte Pippi es die Treppe
und darum brachte ihn das Erdbeerkompott in heraufgetragen, und jetzt standen die drei also
solche Wut. Und da entschloss er sich, ein paar vor meiner Tür.
Takte mit dieser verrückten Schrulle zu reden, die Ich bat sie, einzutreten und es sich im Wohn­
Eisbein mit Erdbeerkompott aß und in ihrer schä­ zimmer gemütlich zu machen. Pippi wollte wissen,
bigen, braunen Aktentasche nicht mal ein paar was aus ihrem Buch geworden war, deshalb war sie
Kostbarlichkeiten oder Jufehlen hatte. Ihr Name gekommen. Und da musste ich ihr die traurige
und ihre Adresse standen ja fein säuberlich mit Wahrheit gestehen: »Das Manuskript ist weg, aus
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Wenn dieser Assar Bubb­la richtig Stenografie
gelernt hätte, dann hätte er meine »Schnurkel« auf
dem Stenogrammblock lesen können und hätte
gewusst, dass Pippi Langstrumpf das stärkste Mäd­
chen der Welt ist. Nun wusste er es aber nicht, und
er schrie sie an: »Halt den Mund! Misch dich hier
nicht ein! Eisbein mit Erdbeerkompott ...« Hier
unterbrach Pippi ihn. »Das klingt doch gut«, sagte
sie. »Vielleicht könnte man noch ein bisschen­
geriebenen Käse drüberstreuen.« Ich stand stumm
dabei und begriff kein Wort. Denn das alles klang
ja völlig blödsinnig, das müsst ihr zugeben.
Und plötzlich kam Assar Bubb­la auf die Idee,
Pippi sei an allem schuld. Sie hätte das von dem
Eisbein mit Erdbeerkompott behauptet. Wo Eis­
bein doch sein Leibgericht war! »Du kannst auch
nicht ganz bei Trost sein«, sagte er. »Dazusitzen und
ein Pferd zu schaukeln, so was tut doch kein nor­
maler Mensch.« – »Hast du noch nie was von
Schaukelpferden gehört?«, fragte Pippi. »Das hier
ist ein typisches Schaukelpferd, das kann ich dir
sagen. Und es will jeden Tag geschaukelt werden,
sonst schlägt es aus und weint.« – »Dann werde ich
das Biest mal schaukeln, dass ihm Hören und Sehen
vergeht!«, brüllte Assar Bubb­la.
Ja, wie dieser Kerl sich aufregte! Er stürzte zum
Pferd, packte es beim Schwanz, der über der Stuhl­
lehne hing, und zerrte aus Leibeskräften daran. Das
Pferd wieherte laut und wild, denn es tat ihm na­
türlich weh. »Na, dann will ich dich mal schaukeln,
dass dir Hören und Sehen vergeht«, sagte Pippi.
Sie schob das Pferd vom Schoß, erhob sich aus
dem Schaukelstuhl, packte Assar Bubb­ la und
schleuderte ihn so hoch in die Luft, dass er mit dem
Kopf an die Decke knallte. Auf dem Weg abwärts
kriegte sie ihn wieder zu packen, und dann! Ja, dann
wurde er geschaukelt, das kann ich euch versichern!
Pippi wirbelte ihn hoch über ihrem Kopf im Kreis
herum, rund, rund, rund. Schließlich bat er mit
kläglicher Stimme: »Aufhören, bitte, liebes Fräulein,
aufhören! Mir ist so schwindelig!«
U
nd Pippi hörte auf und ließ ihn mit
einem Bums runter. Schwindelig,
Foto: picture-alliance/dpa/TT NEWS AGENCY/danapress; Abb. Stenoschrift: Astrid Lindgren aus »Der Räuber Assar Bubbla«
wie er war, fiel er um, und da lag er
nun, der arme Kerl! Nach dieser
Lektion konnte er übrigens nie wie­
der hypnotisieren. Jedes Mal, wenn er es versuch­
te, wurde ihm so schwindelig, dass er aufhören
musste. Seiner Laufbahn als Straßenräuber hat
das sehr geschadet.
Während Assar Bubb­la da noch jämmerlich auf
dem Fußboden lag, läutete es wieder an der Tür. Ich
lief hin und machte auf, ja, an diesem Tag gab es
wirklich ein ewiges Gerenne. Draußen stand ein
Polizist, der eine schwarze Aktentasche in der Hand
trug. »Ist dies hier vielleicht Ihre Aktentasche?«,
fragte er. »Nein, leider nicht«, sagte ich. »Meine war
braun.« – »Dann ist es vielleicht die, die hier liegt«,
sagte der Polizist und zeigte auf die Kommode im
Flur. Und wahrhaftig, da lag meine braune Tasche!
Assar Bubb­la hatte sie dort hingelegt. Ich stieß einen
lauten Freudenschrei aus, und als ich die Tasche
aufmachte und darin meinen Stenogrammblock
liegen sah, einen noch lauteren. »Pippi«, schrie ich,
»das Buch über dich! Hier ist es! Es ist wieder da!«
Aus dem Wohnzimmer erklang jetzt so etwas
wie ein Wimmern, und der Polizist warf einen
Blick hinein, um zu sehen, ob er irgendwie helfen
könnte. Er schien sich kein bisschen darüber zu
wundern, dass dort ein Pferd herumspazierte und
meine Topfpflanzen abgraste. Aber Polizisten
kriegen ja so viele seltsame Dinge zu sehen, dass
sie nicht leicht die Fassung verlieren.
Natürlich sah er auch Assar Bubb­la auf dem
Fußboden liegen und hörte sein Gewinsel.
»Schau an, da haben wir ja Assar Bubb­la«, sagte
der Polizist. »Was hat unser alter Stammkunde
denn hier zu suchen?« Er lächelte Assar Bubb­la
an. »Dann warst du es wohl, der neulich in der
Straßenbahn die Aktentasche gestohlen hat?«,
fragte er. »Ja, so war es doch«, sagte Pippi und sah
Assar Bubb­la streng an. »Oder ...?« – »Ja, ja, doch,
so war es«, stieß Assar Bubb­la hastig hervor und
kam jetzt geschwind auf die Beine. »Ich will euch
alles haarklein erzählen, wenn ich bloß von hier
wegkomme.« Und er stolperte auf den Polizisten
zu, als ob er bei ihm Schutz suchte.
Ich aber stand da und drückte den Steno­
dem Buch wird nichts!« – »Dann musst du eben ein grammblock liebevoll an mein Herz, ich hatte
neues zusammenlügen«, sagte Pippi. ihn ja so schrecklich vermisst.
Ja, das sagt sich so leicht, aber so einfach ist das »Das eine sag ich dir noch«, flüsterte Assar
nicht. Jedenfalls freute ich mich sehr, das liebe Kind Bubb­ la, als er an mir vorbeiging, »lass dieses
wiederzusehen. Ich machte uns Kaffee, und das Buch bloß nicht drucken. Jedes einzelne Wort
Pferd kriegte alle meine Haferflocken, sodass ich darin ist erstunken und erlogen.« Er stellte sich so
am nächsten Morgen zum Frühstück keinen Hafer­ dicht neben den Polizisten, wie er nur konnte.
brei essen konnte, sondern mich mit Grießbrei »Ja, dann nehme ich also Assar Bubb­la und
begnügen musste. Aber wenn man Gäste hat, dann diese schwarze Tasche mit«, sagte der Polizist. Da
hat man sie eben. Jedenfalls hatten wir ein nettes blitzte etwas in Assar Bubb­las Augen auf. Seine
Stündchen zusammen, Pippi und ich und das Pferd. dicke, gierige Hand schoss vor und tätschelte die
Plötzlich läutete es wieder an der Tür, eine gan­ schwarze Tasche. »Sind da Kostbarlichkeiten und
ze Reihe langer, erboster Klingelzeichen. Ich lief hin Jufehlen drin?«, fragte er. »Oder wieder nur dum­
und öffnete. Und hereingestürzt kam Assar Bubb­la, me Schnurkel?« – »Das geht dich gar nichts an«,
immer noch wütend wie eine Wespe. »Eisbein mit sagte der Polizist.
Erdbeerkompott ...«, brüllte er los. Doch dann ver­ Als wir danach endlich wieder allein waren, da
schlug es ihm die Sprache, und er riss die Augen auf. waren wir sehr vergnügt. »Jetzt gibt es also doch
Denn jetzt hatte er Pippi entdeckt. Sie saß in mei­ ein Buch über mich«, sagte Pippi. »Dann brauchst
nem Schaukelstuhl und hatte das Pferd auf dem du ja nichts mehr zusammenzulügen!«
Schoß. Und sie schaukelte es hin und her, sodass Und ganz gewiss wurde es ein Buch. Aber das
HI E R AU S RE I SS E N!
das ganze Haus wackelte. ist nun schon lange her.
Assar Bubb­la starrte sie an und atmete schwer.
Dann drehte er sich zu mir um. »Eine Person, die Diese Geschichte, ins Deutsche übersetzt von Anna-
im Wohnzimmer ein Pferd hat und außerdem be­ Liese Kornitzky, ist auch zu lesen in dem neuen Buch
hauptet, Eisbein schmeckt am besten mit Erdbeer­ »Pippi Langstrumpf. Heldin, Ikone, Freundin«, das
kompott, die gehört eingesperrt!« – »So, meinst du am 9. Mai im Oetinger Verlag erscheint.
das?«, sagte Pippi. »Wieso eigentlich?« © The Astrid Lindgren Company
 FEUILLETON
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Zwischen Willkür
und Freiheit
Das Prinzip der Gleichheit und der Kult um die Volksgesundheit scheinen die einzigen Maximen des
politischen Handelns in der Corona-Krise zu sein. Das führt zu gefährlichen Widersprüchen  VON JENS JESSEN
V
ielleicht wird man Angela Merkel
dereinst Kränze winden, wenn
die Corona-Krise vorbei ist
und in Deutschland weitgehend
glimpflich verlaufen sein sollte –
für die berühmt ruhige Hand der
Kanzlerin, den Verzicht auf eine
Kriegsrhetorik, wie sie in anderen Ländern ange-
stimmt wurde, für ihre Fähigkeit, größeren Zank
über den Sinn der Zwangsmaßnahmen zu unter-
binden. Sollte sich allerdings zeigen, dass die Kon-
taktsperren die Pandemie nur sinnlos verschleppt
haben, dass die Volkswirtschaft erstickt wurde und
man der Jugend des Landes eine unabsehbare
Schuldenlast für den Rest ihres Lebens aufgebürdet
hat, könnte das Urteil schon ganz anders ausfallen.
Nicht dass man der Kanzlerin die Verantwortung
für etwas anlasten würde, das niemand absehen konn-
te – aber dass die Politik insgesamt jede Debatte, jede
nationale Selbstverständigung, jede öffentliche Ab-
wägung von Nutzen und Opfer sogleich abgewürgt
hat, könnte dem Volk dann doch bitter aufstoßen.
Von Anbeginn wurde drohend erklärt, dass der
Schutz von Gesundheit und Leben oberste Priorität
habe und demgegenüber alle anderen Grundrechte
zurückstehen müssten – auf Freizügigkeit, Gewerbe-
freiheit, überhaupt auf jede Selbstbestimmung und
Selbstverantwortung. Nur Wolfgang Schäuble hat
darauf hingewiesen, dass die Annahme, »alles andere
habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten ...
in dieser Absolutheit nicht richtig« sei.
Und tatsächlich enthält das Grundgesetz – wie
auch jeder philosophische Katalog der Menschen-
rechte – eine solche Hierarchie nicht. Es gibt eine
natürliche Konkurrenz der Grundrechte, die immer
mitgedacht wurde. Weder das Recht auf Leben noch
Illustration: Doreen Borsutzki; kl. Foto: Rolf Hayo/Süddeutsche Zeitung
das auf Freiheit, noch das auf Gleichheit lassen sich
absolut verwirklichen, ohne das jeweils andere zu
beschädigen. Nur als Prinzipien gelten diese Rechte
absolut, in der Praxis müssen sie stets ge­gen­ein­an­der
abgewogen und maßvoll beschnitten werden.
Wie ist es der Politik gelungen, diese Abwägung
zu unterbinden, an deren Ende sonst vielleicht die
individuellen Freiheitsrechte den kollektiven Kon-
taktsperren in die Quere gekommen wären? Nun,
durch eine Mischung von moralischer Einschüch-
terung und einer, allerdings nur höchst punktuel-
len, Verabsolutierung des Gleichheitsgrundsatzes.
Die Stichwörter lauteten »Solidarität« und »Dis-
kriminierungsverbot«. Mit diesen wurde der nahe-
liegende Einwand abgeschmettert, dass es viel-
leicht besser sei, die Kontaktsperren auf die Hoch-
Vor der Seuche, heißt es, seien alle gleich.
Aber einige sind immer noch gleicher ...
risikogruppen der Älteren und gefährlich Vor­
erkrank­ten zu beschränken, anstatt das ganze Volk
einzusperren, einschließlich der nahezu ungefähr-
deten Kinder und Jugendlichen.
Allein nur diesen Gedanken zu denken wurde als
»zynisch« und ungerecht gebrandmarkt. Als würde
Gerechtigkeit gebieten, dass Beschränkungen, die für
den einen hilfreich oder lebensnotwendig sind, sofort
und ausnahmslos allen anderen aufgezwungen wer-
den – damit niemand besser dasteht? Darf, wenn
einer auf den Rollstuhl angewiesen ist, niemand
anders mehr zu Fuß gehen? Wenn einer salzlose Diät
braucht, kein anderer sein Essen salzen? Man muss
die Gedankenfigur einmal, und sei es »zynisch«, zu-
spitzen, um den scheinhumanen Schleier von der
logischen Struktur des Arguments zu reißen.
Der Gerechtigkeitsbegriff, der hier unerklärt an-
gewandt wird, beruht abermals auf einer Verabsolu-
tierung des Gleichheitsprinzips. Tatsächlich besteht
aber auch der Gerechtigkeitsgrundsatz in zwei wider-
streitenden Prinzipien – dem Prinzip des Suum
cuique (»Jedem das Seine«) und dem Gleichheits-
prinzip. Üblicherweise werden diese beiden in der
Formel versöhnt, dass Ungleiches ungleich und
Gleiches gleich behandelt werden müsse. Wer indes
bestreitet, dass es Ungleichheiten überhaupt gebe
oder geben dürfe, wird Gerechtigkeit nur in dem
egalisierenden Rasenmäherprinzip verwirklicht se-
hen – alle gehören einen Kopf kürzer gemacht.
Nun wäre es natürlich unfair, den Politikern in
ihrer Entscheidungsnot vorzuwerfen, einseitig ja-
kobinische Lösungen zu bevorzugen und Gleich-
heit und eine kollektiv gedachte, vom Einzelnen
abstrahierende Volksgesundheit über die Indivi-
dualrechte zu stellen. Dass die Politiker aus dem
Strauß widerstreitender Prinzipien, die der Verfas-
sung zugrunde liegen, diese zwei herausgriffen,
deren Priorität keineswegs zwingend ist, beruht
ausschließlich auf der Unsicherheit der Lage, in
der es geboten schien, den Weg des mutmaßlich
geringeren Widerstands zu gehen.
Und da zeigte sich in der Tat, dass die Bevölke-
rung eher geneigt schien, Freiheitsrechte zu verlie-
ren und ihren Wohlstand zu riskieren (vorausge-
setzt, es wäre nicht auf Dauer), als auf grobe Kon-
flikte zwischen mächtigen Bevölkerungsgruppen
(den Senioren) und weniger mächtigen (Kindern,
Eltern, jungen Erwachsenen) zuzusteuern. Die
Priorität der ausgewählten Grundrechte war eine
rein pragmatisch-opportunistische, und da sich
auf prinzipieller Ebene Grundrechte nun einmal
nicht ge­gen­ein­an­der aufrechnen lassen, mochte es
wohl angehen, sie nach Maßgabe der konkreten
Si­tua­tion zu bestimmen.
Indes lassen sich auch durch abmoderierende
Politik Prinzipien nicht dauerhaft ruhigstellen und
in ihrer Anwendung begrenzen; es gehört zum
Wesen von Prinzipien, dass ihre Reichweite unbe-
grenzt ist. Erst recht gilt das für das Prinzip der
Gleichheit, das auf einen Spitzenplatz gehoben
wurde und von diesem aus nun einen Wider-
spruch nach dem anderen in der Praxis sichtbar
werden lässt. Anders gesagt: Gleichheit wurde be-
hauptet, aber überall verletzt.
Das beginnt schon mit der Bestimmung der
Verkaufsfläche, die es Läden erlaubt zu öffnen –
gilt Gewerbefreiheit allein für kleinere, nicht für
größere Geschäfte? Was ist mit der Regel, dass nur
Kinder gewisser Altersgruppen in die Schule dür-
fen? Die bevorzugte Beschulung von Viertklässlern
hat der hessische Verwaltungsgerichtshof bereits
gekippt. Aber wie ist es in den anderen Ländern?
Über alle Einzelfallverstöße gegen die Gleichheit
erhebt sich noch der föderalistische Verstoß gegen
die grundgesetzlich garantierte Gleichheit der Le-
bensbedingungen – jedes Bundesland diskrimi-
niert und privilegiert nach eigener Willkür.
Nun könnte man sagen, so sei halt die krautige
Praxis. Aber auch Praxis ist folgenreich. Wenn sich
das Gleichheitsprinzip hier und dort und an vielen
anderen Stellen keine Geltung verschaffen darf, dann
stellt sich mit Macht die Frage, warum es ausgerech-
net im Falle der Senioren und anderer Risikogruppen
durchgesetzt werden soll. Warum dürfen nur diesen
keine höheren Beschränkungen als der Gesamtheit
auferlegt werden – während es sonst überall schmerz-
haft unterschiedliche Regeln gibt?
So entsteht eine Verletzung des Gleichheits-
grundsatzes zweiter Ordnung: Es gibt Bereiche,
wo er gilt, und andere, wo nicht. Das kann seine
pragmatische Vernünftigkeit haben, diese anzuer-
kennen heißt aber auch zwingend, auf das Gleich-
heitsprinzip als Argument überhaupt zu verzich-
ten. Wo überall auf ein Prinzip mit guten prakti-
schen Gründen verzichtet wird, kann es nicht
mehr an einer einzelnen Stelle anklagend ins Feld
geführt werden. Es ist diskreditiert.
Wir müssen uns also entscheiden – für Pragmatik
oder für Prinzipien. Ein Prinzip staatlicherseits nur
hier und da anzuwenden ist Willkür, die einer De-
mokratie unwürdig ist, ein Herrschaftsinstrument
von Diktaturen, das dazu dient, die Bürger in steter
Un­sicher­heit zu halten: nämlich darüber, ob gerade
die Verfassung gilt oder gerade nicht.
Vor allem lässt sich die Geltung der Verfas-
sung nicht von technischen oder organisato­
rischen Erfordernissen abhängig machen. Die
Apelle »Unser Gesundheitssystem schützen« oder
»Kliniken nicht überlasten« sind nicht geeignet,
in einen Diskurs über Grundrechte einzutreten.
Es handelt sich um zwei gänzlich verschiedene
Sphären; in der einen herrschen Zufall und
Markt, in der anderen – nun ja, immerhin Seine
Majestät, das Recht. Man kann ein Grundrecht
auf Leben nicht von der Verfügbarkeit techni-
scher Apparate abhängig machen – genauso we-
nig, wie sich Freiheitsrechte mit dem Verweis auf
das Fehlen solcher Apparate einschränken lassen.
Höchstens lässt sich sagen, dass die Durchset-
zung eines Rechts in einer gegebenen Situation
aufgrund technischer Defizite gerade nicht mög-
lich scheint – eine sonderlich belastbare Recht-
fertigung für Grundrechtseinschränkungen wird
das jedoch niemals sein. Erst recht lässt sich
nicht eine wacklige historische Errungenschaft
wie »unser Gesundheitssystem« in dieselbe grund-
gesetzlich verbriefte Schutzklasse hochjubeln wie
die bürgerlichen Freiheitsrechte – und schon gar
nicht gegen diese ausspielen.
Den Höhepunkt rechtlicher Haltlosigkeit mar-
kiert das Gebot, in Läden und öffentlichen Ver-
kehrsmitteln Atemmasken zu tragen – jene Mas-
ken, die derzeit kaum und nur zum Preis eines
U-Bahn-Tickets zu haben sind (für den einmali-
gen Gebrauch, wohlgemerkt). Das Mindeste wäre,
dass ein Staat, der Masken verlangt, diese auch
ausgibt. Andernfalls handelt es sich um einen Ver-
stoß gegen das Gleichheitsprinzip, der an diskri-
minierender Schärfe alles bisher Geduldete über-
trifft. Als wolle man die Gewährung von Bürger-
rechten vom Erwerb bestimmter, schwer zu be-
schaffender Schuhe abhängig machen.
Insofern hat Angela Merkel Grund, sich im
Ton zurückzuhalten. Sie sagt selbst: »Diese Pande-
mie ist eine demokratische Zumutung.« Die Kanz-
lerin kann nur auf die gutmütige Bereitschaft der
Bürger setzen, es mit der Verfassung vorüberge-
hend nicht zu genau zu nehmen und sich auf das
Gewimmel unausgegorener Ad-hoc-Vorschriften
einzulassen. Mit Prinzipien darf man dem Volk
dann allerdings nicht mehr ­kommen.
Notiz: Der Autor gehört zur Hochrisikogruppe der
über 60-jährigen Raucher
AA www.zeit.de/audi
41
Die Waffenkultur
der Kanzlergattin
Eine ARD-Dokumentation zeigt
die unbekannte Hannelore Kohl
Als Hannelore Kohl mit der Pistole zielt, er-
scheint sie in einem neuen Licht. Anfang der
Siebzigerjahre, als Reporter die auffällig fri-
sierte Frau des rheinland-pfälzischen Minister-
präsidenten in ihrem Garten in Oggersheim
so ablichteten, sorgte das beinahe für einen
Skandal. Sie war seit ihrem 16. Lebensjahr
eine begeisterte Sportschützin; »bis an die
Zähne bewaffnet waren wir immer«, erinnert
sich ihr Sohn Peter Kohl an die »Waffenkul-
tur« seiner Kindheit. Es sind überraschende
Episoden wie diese, die Hannelore Kohl – Die
erste Frau zu einer erstaunlichen Dokumen-
tation machen (ARD, 1. Mai, 18.30 Uhr).
Diese Farben! Diese Möbel! Diese Mode!
Stefan Aust und Daniel Bäumler, der­
Ex-Spiegel-Chefredakteur und der jetzige
Welt-Autor, schwelgen
in der westdeutschen
Inneneinrichtung der
Sech­ziger- und Siebzi-
gerjahre. Sie haben
Filmmaterial aus den
Archiven geholt (sen-
sationell: Familie Kohl Archivmaterial aus
privat zu Besuch in »Hannelore Kohl –
der DDR, in Leipzig, Die erste Frau«
wo Hannelore auf-
wuchs) und Zeitzeugen interviewt, von Kurt
Biedenkopf und Bernhard Vogel bis zu Hilde
und Ecki Seeber, Haushälterin und Fahrer.
Das anderthalbstündige Porträt zeigt eine
selbstbewusste Frau, deren Schicksal es war,
dass ihr Mann Spitzenpolitiker und Bundes-
kanzler wurde. Jahrzehntelang waren die
Kohls das wohl meistverachtete und -bespöt-
telte Paar des Landes, und natürlich bleibt
Aust auch posthum kohlkritisch; wir schauen
hinter die skurrilen alljährlichen Wolfgang-
see-Inszenierungen im Sommer und auf die
Entfremdungen der Kohls. Die sonst so lar-
moyanten Kohl-Söhne Walter und Peter stören
diesmal überhaupt nicht; sie liefern kluge und
anrührende Erinnerungen. Als »Hochsicher-
heitstrakt mit Schulanschluss« beschreibt
Walter seine Kindheit; der Terror der RAF lag
über allem. »Hoffentlich passiert unseren
Männern nichts«, sorgte sich Hannelore ge-
genüber Hilde Seeber. Die Abgründe der ver-
meintlich heilen Welt der alten Bundesrepu-
blik sind zu sehen; sie hinterlassen Spuren im
tragischen Leben der Kanzlergattin, die als
Zwölfjährige von Sowjetsoldaten vergewaltigt
worden war und 1994 tief erleichtert über den
Abzug der russischen Armee war. Die kalte
Einsamkeit an der Seite der Macht, aber auch
die Zähigkeit einer in ihren letzten Lebens-
jahren unter ihrer unheilbaren Krankheit
schwer leidenden Frau, die, ungewöhnlich
damals, fließend Englisch und Französisch
sprach, ihre Stiftung aufbaute und Angela
Merkel den empfundenen Verrat an ihrem
Mann nicht verzieh: All das ist Milieustudie,
ein Stück Frauengeschichte, Zeitreise und
filmische Rehabilitierung einer vielleicht doch
Verkannten.  ALE X ANDE R CAMMANN
Im grünen Ferrari
gegen den Kleinmut
Peter Jonas, der die Oper und den
Widerspruch liebte, ist gestorben
Auf Sir Peters Schreibtisch lag, neben Kunst-
objekten, eine Eierhandgranate, und skurril
daran war nicht das Spiel mit dem Feuer.
Skurril war, mit welcher Zärtlichkeit er die
Granate in seiner Hand verschwinden ließ.
An Peter Jonas war vieles groß, die Augen,
Witz und Intellekt, die hagere Gestalt. Am
größten aber war seine Lust am Wider-
spruch. Der Oper pflanzte er gleich zu­
Beginn seiner Ära als Münchner Intendant
einen Stachel ein: Der Dinosaurier, der da in
Händels Giulio Cesare kollabierte, war das
System, die Kunstform, das waren wir alle
in unserem größenwahnsinnigen Kleinmut.
Premieren besuchte der gebürtige Londoner
stets im Kilt (das familieneigene Karo ging
auf die schottisch-spanisch-libanesischen
Wurzeln der Mutter zurück, der Vater war
Hamburger), seine Leidenschaft für Autos
krönte er mit einem grünen Ferrari, und als
er »in Rente« ging, zog er nach Zürich, in das
Haus, in dem Ferruc­cio Busoni Doktor Faust
komponiert hatte. Seine erste Krebs­dia­gno­se
erhielt Jonas mit Ende 20, als Assistent von
Georg Solti in Chicago, die jüngste vor zwei
Jahren. Er verschickte Sensenmann-Cartoons
aus dem New Yorker und feierte Anfang No-
vember ein letztes großes Fest. Jetzt ist Peter
Jonas im Alter von 73 Jahren gestorben.
Farewell, my dear friend.  CLM
42 FEUILLETON 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

Woran arbeiten Sie gerade?

SIBYLLE BERG

Ich denke die Angst der

anderen mit
Alles ist wie immer. Also so wie immer, wenn mei-
ne Wohnung in der Nacht auf die Spitze eines
Berges getragen und da befestigt worden wäre und
ich aufpassen müsste, mich nicht zu schnell zu
bewegen, weil die Wohnung sonst kippt und in
den Abgrund rauscht. Ich fühle mich gut, aber ver-
unsichert wie alle, und das muss man ja jetzt im-
mer mitsagen, dass man bei jeder Angst, die man
so hat, die viel größere und gerechtfertigte Angst
anderer mitdenkt. Also ich denke die Angst der
anderen mit und die Toten und den Ärger über
den arroganten Westen und mache damit, was ich
immer mache. Irgendein Zeug schreiben, um den
Nobelpreis zu bekommen, von einigen sehr ge-
fährdeten Männern verliehen. Gerade habe ich ein
Stück für das Gorki-Theater abgegeben, und die
Rohfassung eines Musik-Stücks – irgendwas nach »Ich fühle mich gut, aber
meinem Buch GRM Brainfuck, das im nächsten
Jahr mit Jugendlichen aus England entstehen soll. verunsichert wie alle ...«
Also, falls es England dann noch gibt, und mich, SIBYLLE BERG, SCHRIFTSTELLERIN
und Theater. So, und jetzt habe ich nichts mehr zu
tun, also fange ich an, wieder irgendwelche Wis-
senschaftlerinnen zu suchen, von denen ich Dinge
lernen kann. Weil lernen geht immer. Auch in­
einer Wohnung, die auf der Spitze eines Berges­
befestigt wurde.
Sibylle Berg ist Dramatikerin und Schriftstellerin.
Ihr jüngstes Buch heißt »Nerds retten die Welt«

TINO SEHGAL

Die Erdkruste beruhigt sich

Ich bin gerade vor allem damit beschäftigt, die Kinder
gut durch den Tag zu bringen. Die allermeisten Pro-
jekte sind verschoben worden. Ende März hätte eine
neue Arbeit zum Beethoven-Jubiläum im Kunsthis-
torischen Museum in Wien gezeigt werden sollen,
ich war fast fertig, es fehlte mir nur noch eine Cho-
reografie für drei, vier Minuten des 4. Satzes der
9. Sinfonie. Die Ausstellung soll wohl im Herbst er-
öffnen, um diese letzten Minuten zu choreografieren,
habe ich jetzt wahrscheinlich ein halbes Jahr Zeit – im
Fall der 9. Sinfonie vielleicht gar nicht schlecht. Mich
interessieren aber auch die Auswirkungen dieser
»Ich ging in Berlin in
globalen Entschleunigung auf die Erde, wie die Ab-
nahme der Vibrationen der Erdkruste oder der CO₂-
Quarantäne«
Emissionen. Nicht unbedingt realistisch, aber viel- EDGAR SELGE , SCHAUSPIELER
leicht könnten die Industrienationen in Zukunft
jedes Jahr eine Art Fastenzeit für die Erde verabreden.
Tino Sehgal, geboren 1976, ist Künstler.
Er choreografiert in den großen Museen der Welt
Werke, die nur für den Moment geschaffen sind

HAR ALD SCHMIDT

Ich bezahle Rechnungen

Ich bereite meinen nächsten Auftritt am Theater »Arbeiten mit der Ruhe der
in Stuttgart vor. Natürlich weiß ich nicht, wann
der sein wird, geplant war er für den 11. Mai. Meister im Mittelalter«
Dafür sichte ich stündlich die Meldungen der

Fotos: Birgit Püve/Arvo Pärt Centre; Vanessa Maas für DIE ZEIT; Dominik Butzmann/laif; Sepp Spiegl/Süddeutsche Zeitung; G. Nitschke/Brauer Photos; Matthew Joseph (v. l. o. n. r. u.)
ARVO PÄRT, KOMPONIST
Mahner, Warner, Meisterdenker und Hellseher.
Sloterdijk, Agamben, Gumbrecht, Žižek, Fergu-
son ... man kommt ja kaum noch nach.
Wichtigster Satz aller Giganten: »Die Welt
wird eine andere sein.« Uuuups!
Auf meiner Hitliste der Mediziner haben sich
derzeit die Palliativen deutlich vor die Pneumolo-
gen und Virologen geschoben.
Zwischendurch gern mal ein Ethiker, zur Lo-
ckerung. Dann und wann ein Text einer bloggen- »Ich denke über
den Mutter, die auch nach Ostern noch mit Pascal
und dem Stuhl und dem Zimmer überrascht. Süß. Maria Callas nach«
Und ich bezahle Rechnungen. Bin ja kein Konzern. MARINA ABR AMOVIĆ, KÜNSTLERIN
Harald Schmidt, geboren 1957,
ist Entertainer und Autor

HITO STEYERL

Ist das die Selbsteinsparung?

Karl Kraus schrieb über den Ersten Weltkrieg: Der
Menschheit ist die Kugel bei einem Ohr hinein-
und beim andern hinausgegangen. Kann sein, dass
es uns mit der Pandemie genauso geht und jetzt
beschworene Werte wie Solidarität, Gesellschaft,
Vernunft schnell wieder vergessen werden.
Ich arbeite an denselben Themen wie vorher. Die
sind ja wegen Covid-19 nicht verschwunden, sondern
werden zusätzlich intensiviert: soziale Ungleichheit,
Überwachung, Automatisierung durch Digitalisie-
rung und KI, Rassismus, Kunstwelt in der Krise. Der
Kulturbereich drängt derzeit ins Virtuelle, als gäbe es
da was zu kolonisieren: Tatsächlich wird das für viele
ein Schritt zur freiwilligen Selbsteinsparung. Theater,
Museen, Bibliotheken, der Bildungsbereich: Der
öffentliche Raum schlechthin darf nicht in die gated
communities digitaler Plattformen verschoben wer-
den, auch nicht unter Sparzwang.
»Momentan arbeite ich an einem Film mit »Die vielen Flüge nach Asien
Hito Steyerl, Jahrgang 1966, ist Künstlerin,
Sandra Bullock« vermisse ich nicht«
Filmemacherin und Kunsttheoretikerin NOR A FINGSCHEIDT, FRISCHGEBACKENE FILMPREISTR ÄGERIN PATRIK SCHUMACHER , ARCHITEKT
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
Der Werkstattbericht ist ein beliebtes Genre des Feuilletons: Wie leben und denken die Künstlerin, der Autor, die Regisseurin, ehe sie
ihre Werke veröffentlichen? In den Zeiten der Pandemie hat, wie wir auf dieser Doppelseite zum Tag der Arbeit am 1. Mai zeigen wollen,
der Werkstattbericht eine tiefere Funktion: Er stellt jene Öffentlichkeit her, die anders momentan kaum zu haben ist
WOLFGANG JOOP
Keine Kurzarbeit
Mein Kopf kennt keine Kurzarbeit. Auch mein
»Darunter« scheut die verordnete Entschleunigung.
Unerlaubt und führerscheinlos fuhr ich auf der
Überholspur. Meine Generation war anti. Anti-
autoritär hieß das Lebensmotto.
An den vor Corona begonnenen Projekten
habe ich bis jetzt weitergearbeitet. Sowohl plane-
risch, handwerklich als auch selbstmotivierend.
So als gäbe es ein »Morgen«, und das schon bald.
Meine Mutter hatte für mich, der ich ihr als
Kriegskind unbequeme Fragen nach diesem »Mor-
gen« stellte, ein lakonisch klingendes Lied auf den
Lippen: »Schau nicht hin / Schau nicht her / Schau
nur geradeaus / Und was dann noch kommt / Mach
dir nichts draus«.
Wolfgang Joop, 75, ist Modeschöpfer
ARVO PÄRT
Schönheit muss auch
dort geschaffen werden,
wo man sie nicht sieht
Der Schriftsteller John Updike stellte einen treffen-
den Vergleich her, um seine Arbeitsweise zu be-
schreiben. Er versuche mit der gleichen Ruhe zu
arbeiten, wie es die Meister im Mittelalter taten, die
in Kirchen die Sitzbänke mit Schnitzereien an
Stellen versahen, wo es gar nicht möglich war, sie
zu sehen. Ich versuche, soweit ich kann, dem zu
folgen, auch wenn es mir nicht immer gelingt in
diesen schweren Zeiten.
Arvo Pärt, 84, ist Komponist
MARINA ABR AMOVIĆ
Sport und
Videokonferenzen
Wir mussten leider die Vorbereitungen für mein
Opernprojekt 7 Deaths of Maria Callas an der
Bayerischen Staatsoper vor über zwei Wochen un-
terbrechen. Wie wir alle konnte ich meine Woh-
nung in der Münchner Innenstadt kaum verlassen,
mein Alltag bestand aus Sportübungen und Video-
konferenzen mit meinem Team in New York. Das
Virus ist schrecklich, aber für unser Bewusstsein ist
eine solche Zwangsquarantäne ein Segen – es ist
erstaunlich, wie viele Gedanken einem in den Sinn
kommen. Endlich konnten wir die technische Ein-
richtung von 7 Deaths vorsichtig abschließen und
an den letzten Details arbeiten. Das Stück wird
seine Uraufführung feiern, sobald die Oper in
München wieder eröffnet werden kann – hoffent-
lich im September! Die Idee, ein Werk über Maria
Callas zu machen, kreist in meinem Kopf seit über
30 Jahren – ein paar weitere Wochen Verzögerung
fallen nicht mehr ins Gewicht.
Marina Abramović, 73, ist Performance-Künstlerin
und Regisseurin
EDGAR SELGE
»Risikogruppe« ist mein
Unwort des Jahres
Herr Selge, wie erleben Sie die Zeit des Lockdowns?
Man kann sie als gestohlene, aber auch als ge-
schenkte Zeit betrachten. Für mich persönlich ist
es auch geschenkte Zeit. Ich habe keinerlei Auf-
tritte, keine Dreharbeiten. Ich kann an dem Buch
schreiben, das im Herbst 2021 erscheinen soll. Es
behandelt die Situation einer Familie in einer
deutschen Kleinstadt im Umfeld einer Jugend-
strafanstalt. Erzählt wird es aus der Perspektive ei-
nes Zehnjährigen, der seine Kindheit in der Nach-
kriegszeit zunehmend als Gefängnis empfindet.
War nicht Ihr Vater Direktor einer Strafanstalt?
Doch. Alle Details sind autobiografisch, der Ich-
Erzähler ist eine Art ferner Bruder von mir. Seine
Eltern verarbeiten das Trauma des Zusammen-
bruchs Deutschlands durch Bildung, durch Hin-
gabe an klassische Musik und Literatur – so ha-
ben es auch meine Eltern versucht.
Hat die Pandemie Sie unmittelbar getroffen?
Ja. Wir fuhren am 8. März nach Hamburg, um
unseren Sohn, den Schauspieler Jakob Walser,
bei einer Derniere im Lichthoftheater zu sehen.
Wir umarmten ihn nach der Vorstellung. Am
nächsten Tag fühlte er sich nicht wohl; er ließ
sich testen und war positiv. Er hat dann mit
meiner Frau 14 Tage in unserem Münchner
Haus in getrennten Stockwerken in Quarantäne
gelebt. Und ich ging in Berlin in Quarantäne.
Aber innerhalb der Familie haben wir uns nicht
angesteckt.
Aus welcher Arbeit hat Sie die Krise gerissen?
Ich war am Beginn eines Filmprojektes des Re-
gisseurs Andres Veiel mit dem Arbeitstitel Öko-
zid. Der Film spielt 2034 und handelt davon,
dass 31 Länder des globalen Südens die Länder
des Nordens, darunter Deutschland, verklagen;
sie fordern Entschädigung von den Verursachern
der Klimakatastrophe. Ich spiele den Richter.
Der Film beschreibt die noch tiefere Krise hinter
der Krise, die wir momentan erleben. Ich hoffe,
dass wir im Mai oder Juni – mit den nötigen Vor-
kehrungen – die Dreharbeiten beginnen können.
Wie bewerten Sie die politischen Auswirkungen
der Pandemie?
Ich empfinde die Einschränkung unserer Grund-
rechte als bedenklich. Es befremdet mich auch, wie
schnell wir selbst, also die Bevölkerung, Verbote
fordern. Am schlimmsten ist für mich die in der
Luft schwebende Diskriminierung der alten Leute.
In der Filmbranche gibt es jetzt schon die Tendenz,
dass ältere Schauspieler aus Drehbüchern rausge-
schrieben werden – weil sie zur Risikogruppe ge-
hören. »Risikogruppe« sollte zum Unwort des
Jahres werden.
Edgar Selge, 72, ist Schauspieler
NOR A FINGSCHEIDT
Warten mit einem
Hollywoodstar
Momentan arbeite ich in Vancouver an einem Spiel-
film für Netflix mit Sandra Bullock in der Haupt-
rolle. Wir mussten den Dreh zwar stoppen, nutzen
die Zeit aber im Schneideraum. Gleichzeitig erlaubt
mir die Pause die Weiterentwicklung zukünftiger
Projekte in Deutschland, vor allem eines Herzens-
projektes, das mich seit zwölf Jahren begleitet, und
nun scheint endlich (und unerwartet) die Zeit dafür
gekommen zu sein. Es handelt sich um eine wahre
Familiengeschichte, die sich Ende der Fünfziger-
jahre in einem kleinen Dorf in Niedersachsen abge-
spielt hat.
Nora Fingscheidt, 37, gewann mit ihrem Regiedebüt
»Systemsprenger« beim Deutschen Filmpreis 2020
acht Auszeichnungen, darunter die für
den besten Film
JONATHAN FR ANZEN
Mitten in der Arbeit
Ich schreibe an den letzten Kapiteln eines Ro-
mans, der der erste Band einer auf drei Bände
angelegten Reihe sein wird.
Jonathan Franzen, 60, ist Schriftsteller
TEODOR CURRENTZIS
Musik handelt davon, wie wir
miteinander umgehen
Jetzt müssen wir uns unserer eigenen Natur stellen.
Wir können uns nicht mehr davonstehlen, wie wir
es in normalen Zeiten getan haben. Musik kann uns
dem Leben wieder näherbringen und zur Heilung
beitragen. Darum geht es in der Musik, nicht um
Konzerte und schönen Klang. Sie klingt nur, wenn
wir uns umeinander kümmern, wenn wir uns mit
dem Spirituellen auseinandersetzen, wenn wir bereit
sind, der Welt unsere tiefsten Geheimnisse zu offen-
baren. Die Verbindung zwischen uns allen, die sich
in dieser erzwungenen Stille entwickelt hat, kann
nur stärker werden. Musik ist die wichtigste Form
der Kommunikation. Selbst in größter Isolation,
selbst in kosmischer Einsamkeit wird sie dafür
sorgen, dass wir zusammenbleiben.
Teodor Currentzis, 48,
ist Chefdirigent des SWR Symphonieorchesters
R AHEL JAEGGI
Nachdenken über Solidarität
und Fortschritt
Solidarität ist ein Thema, das mich schon länger
beschäftigt. Aber plötzlich hat es drängende Ak-
tualität bekommen, weil der Umstand, dass wir un-
ausweichlich »assoziiert sind«, plötzlich als Risiko-
und Bedrohungsgemeinschaft fassbar wird. Mich
beunruhigt etwas, wie vage und auch ideologisch
der Begriff zurzeit manchmal eingesetzt wird. Des-
halb ist es wichtig, den Begriff zu präzisieren und zu
schärfen. Solidarität ist, meinem Verständnis nach,
gleichzeitig gegeben und gemacht. Sie beruht auf be-
stehenden Verflechtungen, entsteht aber nicht ein-
fach als gewachsene Verbundenheit oder Herkunft,
sondern muss praktisch verwirklicht werden.
Zweitens bin ich mit einem Projekt beschäf-
tigt, das eigentlich schon abgeschlossen ist, aus
dem sich aber immer weitere Fragen ergeben: das
Thema Fortschritt. In den Hochzeiten des Be-
griffs waren technisch-wissenschaftlicher, sozialer
und moralischer Fortschritt unzertrennbar mit-
einander verbunden. Mit dem Fragwürdigwer-
den des Fortschritts ist vor allem auch diese Ver-
bindung zerbrochen. Aber nicht erst das Ausmaß,
in dem zurzeit alle Hoffnungen auf dem medizi-
nisch-technischen Fortschritt – der Entwicklung
eines Impfstoffs – liegen, sondern auch der Um-
stand, dass moralische Fortschritte in umfassende
soziale Entwicklungen eingebunden sind, zeigt,
dass man dieses Verhältnis neu bedenken sollte.
Das führt zur Notwendigkeit, so etwas wie einen
»normativen Materialismus« neu zu bedenken.
Rahel Jaeggi, 52, ist Professorin für Praktische
Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin
DAVID GR AEBER
Staat und Ursprung
Ich arbeite mit meinem guten Freund, dem Ar-
chäologen David Wengrow, am 10. Kapitel unse-
res gemeinsamen Buches; es hat den Titel Warum
der Staat keinen Ursprung hat. Wir wollen darin
herleiten, dass das, was wir den Nationalstaat
nennen, in Wahrheit das spezielle Zusammen-
spiel dreier Kräfte ist (Eigenstaatlichkeit, Büro-
kratie und widerstreitender politischer Mächte),
die sich erst in jüngerer Zeit vereint haben und
nun wieder auseinanderdriften.
David Graeber, 59, ist Ethnologe und Anarchist
SONJA HEISS
Auf der Hut vor Innenräumen
Anfangs habe ich an der Drehbuch-Adaption von
Joachim Meyerhoffs Wann wird es endlich wieder so,
wie es nie war geschrieben. Das war schön, weil ich
da in dieser guten, begreifbaren Welt der Siebziger-
und Achtzigerjahre weilte. Jetzt schreibe ich an
meinem neuen Roman und bin verwundert, wie
schwer es mir fällt. Wann spielt der überhaupt,
frage ich mich plötzlich, denn jetzt ist die Corona-
Zeit, eine Zeit, die jede Geschichte für sich ver­
einnahmen würde. Und danach ist das Leben
vielleicht gar nicht mehr so, wie ich es kannte. Ist
das Buch, das ich jetzt schreibe, dann vielleicht auf
eine seltsame Art »historisch«? Immerhin erschre-
cke ich mich gerade sogar, wenn sich in Büchern
nicht ersten Grades verwandte Figuren in Innen-
räumen begegnen.
Sonja Heiss, 44, hat als Regisseurin zuletzt den Film
»Hedi Schneider steckt fest« und als Autorin den
Roman »Rimini« veröffentlicht
MA X GOLDT
Ich träume wild und intensiv
Vor etwa zehn Jahren habe ich mit etwas ange-
fangen, was ich »Traum-Videos« nenne. Nach-
dem ich etwa um sieben Uhr morgens austreten
muß und danach das erlebe, was ich das »zweite
Zubettgehen« nenne, träume ich oft sehr wild
und intensiv, und wenn ich die Zeit habe, die
Inhalte dieser Träume zu sammeln, renne ich mit
meiner Kamera durch die Wohnung und erzähle
vom Geträumten. Die Kameraarbeit während
dieser Rennereien ist durchaus kinoartig. Ich
habe bisher etwa 130 dieser Videos, und mo-
mentan schaue ich sie mir an. Das ist meine Co-
rona-Arbeit! Wäre ich ein Kitschpriester, würde
ich sagen, ich lerne soeben mein Leben kennen.
Man müßte aus diesen Traumnacherzäh-
lungs-Videos etwas machen. Ein toller Regisseur
müßte etwas daraus machen.
Ich sah neulich Oskar Roehler an einem frü-
hen Sonntagmorgen durch die Kantstraße spa-
zieren. Ich dachte: »Oh, er kommt gerade aus
dem Puff.« Er trug eine gelbe Cordhose und ver-
schränkte seine Hände hinter seinem Rücken.
Der Kerl sah aus wie ein großer Mann, der von
hinten gesehen wird. Auch ich habe gerade be-
gonnen, meine Hände hinter dem Rücken zu
verschränken, und ich erwarte etwas.
So etwas macht man, wenn man sechzig ist und
leidlich superklug. Ich bin im Übrigen durchaus
fröhlich gerade, doch hätte ich gern, daß ich Oskar
Roehler eines Tages von vorn sähe. Doch würde er
mich anspeien?
Max Goldt, 61, ist Schriftsteller und Musiker
SANDR A RICHTER
Ist Ironie jetzt noch eine
Möglichkeit?
Covid-19 führt zu einem neuen Ton der Ernst-
haftigkeit. Er äußert sich unter anderem in einem
verknappten Wortschatz, wie die lexikalische Platt-
form OWIDplus nachweist: In der Öffentlichkeit
dominieren Begriffe wie »Coronakrise« oder »Pan-
demie«. Es geht darum, die Krankheit einzudäm-
men, abzuwägen, welche Maßnahmen sich dafür
eignen, wie die Folgen aufzufangen sind. Nicht
»lebensnotwendige« Themen haben zurückzuste-
hen. Ironie und Witz wollen auf ihre Nebenwir-
kungen getestet werden. Schließlich können sie
verletzen und unangemessen wirken. Wer Angehö-
rige durch die Krankheit verloren hat, wird auf
Scherze keinen Wert legen – oder doch? Hilft Hu-
mor, einander in Krisenphasen zu verstehen? Spielt
Ironie eine Rolle, wenn es darum geht, den Streit
über das richtige Vorgehen gegen die Pandemie zu
entschärfen? Ich arbeite daran, solche Tonlagen und
ihren Wandel zu analysieren. Sie sind nicht nur
schmückendes Beiwerk, sondern Teil unseres geis-
tigen Wohlbefindens. Auf welche Weise können
wir unter Extrembedingungen scherzen und sogar
lachen? Ausnahmezustände fordern neue Spielarten
von Humor ja geradezu heraus, spätestens, wenn
sie vorüber sind.
Sandra Richter, 46, ist Literaturwissenschaftlerin.
Sie leitet das Deutsche Literaturarchiv Marbach
ULRICH TUKUR
Ich habe mich noch keine
Sekunde gelangweilt
Anfänglich war ich fast amüsiert, so unwirklich
kam mir dieser ganze pandemische Veitstanz vor.
Als hätte irgendeine höhere Instanz einen Domino­
stein umgestoßen, und nun fiel ein Stein nach
dem anderen um, und am Ende würde alles platt
am Boden liegen. Und das wäre eine echte, wenn
schon nicht biblische, so doch politisch-ökono­
mische Katastrophe, wie die vom Herbst 1929.
Es begannen irreale, ja absurde Tage, und ich
muss zugeben, dass ich sie genieße. Ich führe
zum ersten Mal seit Jahren eine Ehe (und sie
funktioniert!), ich habe Zeit, zu lesen, zu faulen-
zen, Fahrrad zu fahren, spazieren zu gehen. Die
Kirschbäume blühen, kein Flugzeug stört am
Firmament.
Vor ein paar Tagen war ich im Berliner Wohn-
zimmer des Geigers Daniel Hope und habe mit
ihm und dem Pianisten Sebastian Knauer Beet-
hovens ins Wasser gefallenen Geburtstag gefeiert.
Für Daniel Brühls schöne Aktion, kleine in Not
geratene Unternehmen zu unterstützen, habe ich
Gedichte in die weite Welt des Netzes gespro-
chen. Ich spiele viel Klavier, und Herr Jeske aus
dem Unterstock freut sich, wenn ich ihn mor-
gens wecke: Präludien für ein neues Musikpro-
gramm und Konzerte, die abgesagt oder auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wurden.
So gehen die Tage in angenehmer Gleichför-
migkeit dahin; sie gleiten mir durch die Hände
wie Wasser, und ich habe mich noch keine Se-
kunde gelangweilt. Meine Gedanken sind oft bei
denen, die mit dem Rücken an der Wand stehen
und für die diese Zeit kein absurdes Theater ist,
sondern existenziell bedrohliche Wirklichkeit.
Ich hoffe inständig, dass sich der Vorhang
bald über dieses seltsame Stück senkt und wir da-
nach alle etwas bescheidener nach Hause gehen
und darüber nachdenken, was da eigentlich ge-
spielt wurde. Vielleicht fühlen wir dann endlich,
wie zerbrechlich diese Welt ist und wie schüt-
zenswert. Wissen tun wir es längst.
Ulrich Tukur, 62, ist Schauspieler, Musiker und
Schriftsteller
HÉLÈNE GRIMAUD
Diese Antwort bleibt
unübersetzt
I am working on becoming a human being as­
opposed to a »human doing«.
Hélène Grimaud, 50, ist Pianistin
SUSAN NEIMAN
Ich sammle gute Nachrichten
Zu meinem neuen Buch Von den Deutschen lernen
waren mehrere Lesereisen geplant; nun muss ich
mich auf Interviews dazu beschränken. Dabei in-
teressieren mich besonders die unterschiedlichen
Reaktionen von Ost- und Westdeutschen. Eine der
provozierendsten Thesen des Buches ist, dass man
den Antifaschismus der DDR würdigen muss, auch
wenn er problematische Züge aufweist. Selbst ehe-
malige DDR-Bürger, die Regimegegner waren,
finden die These selbstverständlich. Fast alle West-
deutschen lehnen sie entrüstet ab, ohne auf meine
Argumentation einzugehen. Bis dieser Unterschied
in der Wahrnehmung der Nachkriegsgeschichte
überwunden ist, wird keine vollständige Wiederver-
einigung möglich sein.
Zweitens sammele ich Artikel unter dem Begriff
Corona – gute Nachrichten. Sie bestätigen unter
anderem die Auffassung Rousseaus, dass allgemeine
Aussagen zum Urzustand der menschlichen Natur
immer Projektionen sind, die den eigenen norma-
tiven Standpunkt bestätigen. Als deutlich wurde,
wie verheerend das Virus sein wird, waren die Vor-
hersagen sehr düster: Bald kommt die Hobbessche
Gesellschaft, in der man sich wegen Klopapier die
Köpfe einschlägt. Statt Schlägereien gibt es Tausen-
de von Solidaritätsinitiativen überall auf der Welt.
FEUILLETON 43
Drittens denke ich darüber nach, inwieweit
die Philosophie die kantische Frage »Was ist der
Mensch?« beantworten kann und ob die Litera-
tur nicht besser geeignet ist, uns damit weiterzu-
helfen. Das probiere ich derzeit aus.
Susan Neiman, 65, ist Philosophin und Direktorin
am Einstein Forum in Potsdam
PATRIK SCHUMACHER
Finanziell geht es blendend
Lockdown-Report: Bei Zaha Hadid Architects geht
die Arbeit weiter auf vollen Touren, allerdings ar-
beiten alle 400 Mitarbeiter von zu Hause. Das geht
so: Unsere Bürogebäude stehen nicht leer, sondern
da brummen unsere vernetzten, leistungsstarken
Computer. Die Maschinen werden von unseren Mit-
arbeitern von zu Hause aus fernbedient, übers In-
ternet. Der dazu nötige Datenfluss ist kein Problem.
Die Umstellung hat nur eine Woche gedauert. Dazu
kommen massenweise Videokonferenzen mittels
Gotomeeting, Zoom und Skype for Business. Wir
machen so auch unsere Projektpräsentationen. Das
klappt alles besser als erwartet. Finanziell geht es uns
blendend, denn unsere Projekte in China gehen
weiter, und neue kommen auch hinzu. Dass das so
reibungslos funktioniert, ist eine Erfahrung, die
wahrscheinlich nachwirken wird. Die vielen Flüge
nach Asien vermisse ich nicht. An die neue Routine,
vom Bett direkt an den Schreibtisch zu gehen oder
mit Laptop im Bett zu bleiben oder auf der sonnigen
Dachterrasse zu sitzen, könnte ich mich längerfristig
gewöhnen. Meine Lehrtätigkeit an der Architek-
turschule AA passiert jetzt auch mittels Zoom. Live-
Interviews auf Instagram und Debatten auf Zoom
lassen auch das öffentliche kulturelle Leben florieren.
Nur, meine Fitness leidet schon ein bisschen.
Patrik Schumacher, 58, leitet von London aus das
Architekturbüro Zaha Hadid Projects. Zu seinen
Bauten zählt der neue Flughafen von Peking
BRIGITTE FASSBAENDER
Fragen an den lieben Gott
Ich arbeite an der Erkenntnis, dass die kurz- und
mittelfristige Lebensplanung vollkommen über
den Haufen geworfen ist. Zeit zu haben für dies
und das und noch etwas ist ein neuer Zustand für
mich. Vor allem auch unwichtige Dinge tun zu
können, ohne dass einem das Theater im Nacken
sitzt, weil schon die nächste Inszenierung vor der
Tür steht. Das ist in unbestimmte Ferne gerückt,
denn das Theater jeder Couleur wird überwiegend
von der absoluten Risikogruppe besucht, und Ab-
stand halten ist weder in der Arbeit auf der Bühne
noch im Publikum wirklich möglich. Zum ersten
Mal in meinem Leben ist mir ein Humor, der
trotzdem lacht, suspekt. Das weltweite Corona-
Elend ist zum Heulen. Ich hätte viele Fragen an
den lieben Gott ...
Brigitte Fassbaender, 80, ist Sängerin und
Opernregisseurin
WOLFGANG RIHM
Ist das Spiel unterbrochen?
Ich arbeite am Arbeiten. Am Arbeitenkönnen, am
Arbeitenwollen. Ich gehöre nicht zu den asketisch
Privilegierten, denen das Lesen einer Partitur die
Musik ersetzt. Musik ist ein soziales Phänomen.
Seit Jahrzehnten erfinde ich Musik – nicht für
Gott, Götter, Engel, den Kosmos, politische
Ideale, ästhetische Moden, sondern für die
menschliche Wahrnehmung. Was wahrgenommen
wird, ist mir nicht egal, aber es ist frei. Dieses freie
Spiel scheint unterbrochen. Mein Arbeiten war
immer intuitiv, ja instinktiv. Ich hoffte auf ebenso
intuitiv bestimmte Reaktionen. Weil sich aus all-
dem neue Fragen an meine Antwortfähigkeit
formten, aus denen mir wieder neue Gestalten als
Antworten formbar wurden. Das Schaffen schien
sich selbst zu schaffen. In den ersten Wochen der
coronabedingten Isolation schien es, als würde ich
in schalltote Räume hineinartikulieren. Nichts
wollte mehr gelingen, allem war eine Art Vergeb-
lichkeit eingeschrieben. Bis ich mir klarmachte,
dass ebendieser Zustand »die Frage« ist, die mir als
Antwort aus dem sozialen Feld Musik entgegen-
tönte. Meine Versuche bekamen wieder etwas
Festigkeit. Schrieb ich nun anders? Vielleicht noch
unbesorgter um »Richtig« oder »Falsch« ... jeden-
falls gelangen (gelangen?) erste kleinere Arbeiten.
Aber es beherrscht mich ein flaues Gefühl: Ich bin
der Herausforderung des Moments noch lange
nicht gerecht geworden. Da ist noch etwas, an das
ich erst heranwachsen muss.
Wolfgang Rihm, 68, ist Komponist
ELFRIEDE JELINEK
macht es kurz
Ich arbeite an überhaupt nichts.
Elfriede Jelinek, 73, ist Literaturnobelpreisträgerin
44 FEUILLETON 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

ÜBER DEN LINDEN

Celan
verstehen

Abb.: Stadtkino Filmverleih; Rachel Levit für DIE ZEIT (l.)

Woher kommt die kalte Liebe der Deutschen
zu einem ihrer wichtigsten Dichter?  VON MA XIM BILLER

Es war einer der ersten schönen Tage des Jah-
res – Mitte April. Die Luft war warm, roch
aber noch gar nicht nach Frühling. Ich saß
auf dem Balkon, guckte ab und zu auf den
leeren, schon ziemlich grünen Park vor der
Zionskirche und las Celan. Jedenfalls ver-
suchte ich, Celan zu lesen, denn seine Ge-
dichte kommen mir meistens so vor wie das
undeutliche, dunkle Gestammel, das ich
selbst von mir gebe, wenn ich im Traum­
Todesangst habe und um Hilfe rufe.
liche Distanziertheit, mit der der k.-u.-k.-Jude
Paul Antschel von den Deutschen als Jahrhun-
dertdichter gelobt und gefeiert und sogar ein
bisschen gegen die Nazijungs von der Gruppe
47 verteidigt wurde, langweilte mich. Das kann-
te ich schon, das war derselbe unehrliche Ton,
in dem bei uns seit Hitlers Ende fast immer über
Juden geschrieben wurde. Und darum suchte
ich dann lieber im Internet immer wieder die Phantome und Menschen sind in »Ghost Town Anthology« nicht immer zu unterscheiden
Namen der vielen anderen Juden, die wie Celan
nach dem Krieg gehofft hatten, dass sie und die

Geister des Winters

Wahrscheinlich war es keine besonders gute
Idee, genau jetzt, in diesen rätselhaften, depri-
mierenden Tagen und Wochen der weltweiten
Fledermausseuche und Ausgangssperre Celans
deprimierende, rätselhafte Sätze und Strophen
lesen zu wollen. Aber schon seit einer Weile
warfen mir genervte DHL-Männer – um mir
nicht zu nah zu kommen – Pakete vor die Füße,
in denen fast jedes Mal ein anderes Buch über
diesen tragischen Dichter steckte, dessen Eltern
Deutschen wieder Freunde werden könnten,
und als sie ihren Irrtum begriffen hatten, brach-
ten sie sich genauso wie er alle um: Der Histori-
ker Joseph Wulf sprang aus dem Fenster, der
SPD-Politiker Philipp Auerbach machte es mit
Schlaftabletten, der Literaturwissenschaftler
Peter Szondi ging für immer in den Halensee,
und dem Staatsanwalt Fritz Bauer reichte fürs Horrorfilm und Trauergeschichte: »Ghost Town Anthology« von
Ertrinken seine eigene Badewanne.
Und wie würde ich selbst enden?, dachte Denis Côté kommt nun als Stream heraus  VON K ATJA NICODEMUS

ausgerechnet von den Leuten umgebracht
wurden, deren Kultur, Literatur, Sprache er so
liebte wie keine andere. Darum hat er sich dann
ja auch vor genau fünfzig Jahren in der Seine
ertränkt, und hätte er das nicht getan, wäre er
im kommenden November vielleicht sogar
hundert Jahre alt geworden. Und genau darum
las ich jetzt also Celan.
Auf dem Balkon neben mir saß ein Mann,
den ich erst seit ein paar Wochen dort ab und
zu sah. Er war keine zwei Meter von mir ent-
fernt, gerade noch weit genug, damit keiner von
uns den anderen anstecken konnte, und igno-
rierte mich so wie immer. Er war um die fünfzig,
schlank, er hatte ein trauriges Gesicht und einen
nach innen gewendeten Blick, und wenn er
nicht Knöpfe annähte oder alte Kissenbezüge
ausbesserte, schrieb er etwas in sein kleines – ich
glaube, blaues – Notizbuch. Ich stellte mir vor,
dass er ein noch unbekannter, armer Dichter
war und gerade an einem sehr dunklen, kom-
plizierten Corona-Zyklus saß, und dann ver-
suchte ich es mit dem nächsten Celan-Gedicht.
Worum ging es eigentlich in den Büchern,
die ich zurzeit fast so oft wie Werbung bekam?
Um Celan und die Deutschen, Celan und die
Bachmann, Celan und Heidegger, Celan und
die Todesfuge, Celan und Celan. Ab und zu
hatte ich in einem der Bücher ein paar Seiten
gelesen, und obwohl ich sie etwas verständlicher
fand als Celans Gedichte, hörte ich schnell
wieder auf damit. Denn die Kälte und ängst­
An dieser Stelle erscheinen
im Wechsel vier Kolumnen. Lesen Sie nächstes Mal
»Mein Leben als Frau« von Antonia Baum
E
ich jetzt plötzlich erschrocken. War ich ge-
nauso naiv wie diese Männer, wenn ich ver- ine lange, schmale Straße führt über
suchte, ein jüdischer Schriftsteller in Deutsch- eine schneeverwehte Ebene in diesen
land zu sein? Dann klingelte aber zum Glück Film hinein, der mit einem Knall be-
das Telefon, und ich vergaß sofort wieder ginnt. Metall auf Beton, zersplittertes
diesen Gedanken. »Was machst du gerade?«, Glas. Ein Unfall? Ein Selbstmord? Im
sagte Ljuba, die zum Arbeiten immer lieber Wagen saß S­ imon, ein junger Mann. Seine Leiche
in ihre alte Wohnung ging, auch während der wird kurzerhand im Schuppen des Friedhofsgärt-
Ausgangssperre. »Ich lese Celan«, sagte ich. ners aufgebahrt, bis zum Frühjahr, wenn der Bo-
»Echt? Du bist ja verrückt! Warst du heute den auftaut.
noch nicht depressiv?« Ich lachte, so laut, dass Hier, in Irénée-les-Neiges, hat man die Dinge
der Nachbar vom anderen Balkon genervt immer pragmatisch unter sich geregelt. Der Ort ist
von seinem Notizbuch zu mir aufschaute, er winzig, ein Nichts von einer Siedlung, eine An-
hörte auf, an seinem Corona-Zyklus oder was sammlung von einem paar Dutzend Häusern in
auch immer weiterzuarbeiten, und dann der endlosen weißen Weite des kanadischen Win-
stand er schnell auf und verschwand wortlos ters. Draußen herrschen 20 Grad minus. Und wo-
in seiner Wohnung. »Was hast du gegen Ce- möglich bringt der Tod in diesem Niemandsland
lan?«, sagte ich zu Ljuba. »Nichts«, sagte sie, eine andere, umfassende Erstarrung hervor, die
»nur dass die Deutschen ihn plötzlich zum immer schon da war.
Deutschen machen wollen.« »Schön wär’s«, Der frankokanadische Filmemacher Denis
sagte ich. »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie, Côté folgt den Bewohnern des Dorfes, zeigt ihre
»bei Kafka haben sie es auch nicht geschafft.« Trauer, ihre Verstörung. S­ imons Mutter sitzt wie
Nachdem wir aufgelegt hatten, guckte ich versteinert auf ihrem Sofa und glaubt nicht an ei-
kurz zur Zionskirche herüber, deren dunkles nen Selbstmord. Sein jüngerer Bruder Jimmy wird
Dach jetzt zwischen den ersten, noch ganz den Freitod irgendwann hinnehmen und vergeb-
kleinen Blättern der Bäume vor meinem Haus lich nach Gründen suchen. Romuald, der Vater,
in dem grellen Aprillicht glitzerte. Dann mach- setzt sich ins Auto und fährt einfach los. Vielleicht
te ich wieder die schöne, dicke Celan-Gesamt- war er schon vor dem Verlust des Sohnes depressiv.
ausgabe von Suhrkamp auf und suchte das Es scheint ihm völlig gleichgültig zu sein, ob die
Gedicht, von dem zurzeit so viele Leute spra- Fahrt zu einem einsamen Hotel führt, an zugige
chen und das Corona hieß. Ich hoffe, dachte ich, Straßenränder oder in tief verschneite Wälder.
ich werde wenigstens das verstehen. Ghost Town Anthology (er lief 2019 im Wett-
bewerb der Berlinale und kommt nun auf der
Streamingplattform Mubi heraus) ist ein Film
über Trauerarbeit, die ja tatsächlich Arbeit, An-
strengung, mühselige Bewegung ist. Die Fragen,
für die sich Denis Côté interessiert, sind aber nicht
nur psychologischer Natur. Man könnte sogar sa-
gen, der Tod eines jungen Mannes ist für ihn ein
sehr ernst zu nehmender Vorwand für ganz andere
Gedanken. Was bringt Menschen überhaupt dazu,
sich in dieser gottverlassenen Gegend anzusiedeln?
Und dort auszuharren? Hat es nicht etwas inhä-
rent Absurdes, in der einsamen Natur des nord-
amerikanischen Kontinents Französisch zu spre-
chen? Welche Weiß- und Grautöne kann Schnee
ent­wickeln, wenn man ihn mit 16-mm-Filmmate-
rial aufnimmt?
Tatsächlich ist das, was in diesem Film ge-
schieht, nicht von seiner Ästhetik zu trennen. Die
entsättigten Farben verleihen dem Schauplatz eine
gespenstische Gegenwart. Wenn sich die Kamera
durch die Landschaft bewegt, verschwimmen die
Konturen zu körnigen Gebilden aus Schnee, wei-
ßem Himmel und schwarzen Baumskeletten. Auf-
nahmen verlassener und nie zu Ende gebauter
Häuser erzählen von entschwundenen Hoffnun-
gen an diesem wie aus der Zeit gefallenen Schau-
platz. Verrostete Förderbänder einer stillgelegten
Mine. Hauswände, in die nie Fenster eingesetzt
wurden. Das dunkle verlassene Holzgebäude am
Rande des Ortes, über das man sich gruselige Ge-
schichten erzählt. Und wer oder was sind die vier
Kinder, die immer wieder mit unheimlichen Mas-
ken durch den Schnee stapfen?
Ghost Town Anthology ist auch ein Horrorfilm.
Die Geister oder Wiedergänger sind in diesem
Film einfach da. Sie laufen über die vereiste Ebene,
stehen am Hockeyplatz, sammeln sich am Rand
der Siedlung. In den flirrenden Bildern sind die
Phantome kaum zu unterscheiden von den Men-
schen, deren verdrängte Vergangenheit sie ans
Tages­licht bringen. Mit den Augen der Wieder-
gänger betrachten wir die Bewohner und Bewoh-
nerinnen von Iré­née-­les-­Neiges, ihren Alltag, ihre
kleinen Routinen. ­Adèle, eine allein lebende jun-
ge Frau, fühlt sich von Dämonen verfolgt, die sie
all­
abend­lich mit einer blauen Pille bekämpft.
Ma­ dame Small­ wood, die Bürgermeisterin, be-
schwört zwischen kleinen Schlucken aus ihrem
silbernen Flachmann den Normalzustand und
den Zusammenhalt der 215 Dorfbewohner. Von
der besorgten Kreisverwaltung bekommt Iré­née-­
les-­Neiges sogar eine Psychologin aus Montreal
geschickt, die Hi­dschab tragende Ma­dame Bou-
zidi. Deren Intervention beschränkt sich aller-
dings auf den vagen Hinweis, dass Verdrängung
nicht sinnvoll sei.
Denis Côté hat einen Film über die Tiere des
Safariparks von Quebec gedreht (Bestiaire, 2012),
über ein lesbisches Kriminellenpaar in der kana-
dischen Wildnis (Vic + Flo haben einen Bären ge­
sehen, 2013), über eine depressive Premierministe-
rin und ihren Kotzbrocken von einem Ehemann
(Boris sans Béatrice, 2016). Was diese Filme und
ihr heterogenes Figurenarsenal verbindet, ist der
zugeneigte und dabei völlig unbeeindruckte Blick
eines Regisseurs auf das Bestiarium des Lebens.
Und seine Fähigkeit, dessen Bewohnerinnen und
Bewohnern jeweils eine ur­eige­ne Ästhetik zur Seite
zu stellen. Auch den geisterhaften Trauernden in
der Schneewüste von Iré­ née-­les-­
Neiges konnte
nichts Besseres geschehen, als uns im Blick von
Denis Côté zu erscheinen.
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Wie rassistisch ist der Westen?

Der Historiker Achille Mbembe aus Kamerun sollte die Ruhrtriennale eröffnen – und geriet unter
Antisemitismusverdacht. Sein Israelhass rückt die Postcolonial Studies ins Zwielicht  VON IJOMA MANGOLD

D
ie Frage, ob der kamerunische

Abb.: Bridgeman Images (Gemälde von François-Auguste-Biard, ca. 1833); Stephanie Füssenich (u.)
Historiker und Philosoph
Achille Mbembe die Ruhr-
triennale eröffnen soll, ist
gelöst, ohne beantwortet
werden zu müssen: Wegen
Corona wird das Kulturfesti-
val dieses Jahr nicht stattfinden. Entzündet hatte
sich die Debatte an der Frage, ob Mbembe als
Unterstützer des BDS gelten muss, einer politi-
schen Kampagne, die zu »boycott, divestment and
sanctions« gegen den Staat Israel aufruft, aus Protest
gegen dessen Besatzungspolitik. Der Bundestag
hatte im vergangenen Jahr den BDS als antisemi-
tisch verurteilt, keine staatlichen Gelder sollen
mehr an Veranstaltungen fließen, auf denen Akti-
visten des BDS auftreten. Achille Mbembes Eröff-
nungsrede der Ruhrtriennale wäre ein Anwen-
dungsfall dieses Beschlusses gewesen.
Aber viel fruchtbarer als die Durchsetzung­
eines Pauschalverbots ist schon jetzt die Debatte,
die der Vorgang ausgelöst hat. Sind Mbembes­
Positionen zu Israel antisemitisch, wie nicht nur
Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bun-
desregierung, befand, oder handelt es sich um eine
Hexenjagd, wie der Afrika-Historiker Andreas
Eckert im SWR erklärte? Und unabhängig davon,
wie Mbembe selbst sein Verhältnis zum BDS be-
schreibt, warum erfreut sich sein Denken unter
BDS-Unterstützern so großer Beliebtheit?
Schauen wir uns sein vielfach ausgezeichnetes
Werk genauer an. Mbembe gilt als Galionsfigur des
Postkolonialismus, einer interdisziplinären For-
schungsrichtung, die in den vergangenen zwanzig
Jahren die akademischen Diskurse dominiert hat. In
seinem Hauptwerk Kritik der schwarzen Vernunft
arbeitet Mbembe eindrucksvoll heraus, wie Europa
seit der Neuzeit ein Bild des Afrikaners geschaffen
hat, in dem dieser in Kategorien des Animalischen
beschrieben wird, an der Grenze zwischen Mensch
und Tier, triebhaft und unterentwickelt, der Vernunft
kaum teilhaftig. Mbembe spricht dabei stets vom
»Neger«, um, vergleichbar der Schwulenbewegung,
den ursprünglich abwertend gemeinten Begriff durch
Selbstaneignung umzuwerten.
Dieses rassistische Phantasma war die diskursi-
ve Voraussetzung, um den so seines Menschseins
beraubten »Neger« versklaven und Afrika insge-
samt kolonisieren zu können. Die Neuzeit beginnt
für Mbembe nicht mit dem Humanismus oder der
Renaissance, sondern mit der Erfindung des Ras-
sismus, der es erlaubt, dem Beispiel der Dehuma- Erst musste der Afrikaner dehumanisiert werden, um ihn dann versklaven zu können: Das Gemälde »Sklavenhandel« von François-Auguste Biard, um 1833
nisierung des schwarzen Menschen folgend, alle
nicht europäischen Völker als Gestalten »minderen
Seins« zu betrachten, sie auszuschlachten, zu ver-
dinglichen und wie eine Ware zu behandeln. Von
hier nehmen die großen Expansionsbewegungen Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit aus einem großen schwarz sein. »Neger« sind heute alle, die vom Ka- die Metapher der Apartheid reicht nicht aus, um das wir nicht zu dieser Ultima Ratio zu greifen. Es wirft
der Neuzeit ihren Ausgang: Eroberung der Neuen Wurf abzuleiten. pitalismus ausgeschlachtet werden. israelische Trennungsprojekt zu erfassen.« Die »fana- schon genug Fragen auf, warum ein Autor, der im
Welt und Vernichtung der indigenen Bevölkerung, Für diese Rückkehr zur großen Erzählung zahlt Sowohl in Kritik der schwarze Vernunft von 2013 tische Zerstörungsdynamik« Israels ziele darauf ab, Zentrum des Menschheitsunheils den Rassismus
transatlantischer Sklavenhandel zur Bewirtschaf- Mbembe einen hohen Preis. Denn in diesem als auch in Politik der Feindschaft von 2016 spricht »das Leben der Palästinenser in einen Trümmerhau- identifiziert, geradezu um sich schlägt, sowie es um
tung der Plantagen in Übersee und zuletzt die Werk, immerhin das eines Historikers, gibt es Mbembe immer wieder davon, dass »die Ähnlich- fen und einen zur Entsorgung bestimmten Berg aus Israel geht. Eine mögliche Erklärung bietet sich an:
Kolonisierung Afrikas, die sich selbst als Zivilisie- eigent­lich keine Entwicklung: Wenn Kapitalismus keiten zwischen Markt und Krieg niemals so deutlich Müll zu verwandeln. In Südafrika erreichten die In Mbembes Gedankenarchitektur werden wir alle
rungsprojekt an den »Wilden« gerechtfertigt habe. Rassismus ist und Rassismus Kapitalismus, dann waren wie heute«. Der datengestützte Finanzkapita- Trümmerberge niemals solche Ausmaße.« zu »Negern«, die höchste Form des »Negers« aber
Das zu lesen ist bewegend, und herausgearbeitet ist die Geschichte der Neuzeit bis zur Gegenwart lismus sei nur die neueste Spielart der Entmenschli- In einem Vorwort zu dem englischsprachigen waren die Juden als Opfer des Holocaust. Wenn aber
zu haben, wie dem Akt der ökonomischen Ausnut- von niederschmetternder Statik. Die Abolition- chung, die den Menschen auf seine Warenhaftigkeit Buch Apartheid Israel, dessen Erlös dem BDS zu- die Juden in diesem Sinne »Neger« waren, dann sind
zung der afrikanischen Völker ihre diskursive Zu- Bewegung, die seit dem 18. Jahrhundert, von Eng- reduziere. Wie einst der Schwarze ein bewegliches Gut floss, nennt Mbembe die »Besetzung Palästinas« die Israelis als Grenzzieher keine Juden mehr, son-
richtung vorausging, ist ein bleibendes Verdienst von war, sind wir heute alle »Arbeitsnomaden«. Wenn die den »größten moralischen Skandal unserer Zeit, dern Weiße.
Mbembes Hauptwerk. Sein eigentlicher Impuls, der Kapitalströme aber nur eine neue Form der globalen eine der am stärksten dehumanisierenden Tortu- »Das Apartheidregime in Südafrika und – in einer
Initialschrecken sozusagen, ist das unbestreitbare Zirkulation von Humankapital sind, dann verliert der ren des Jahrhunderts, in dem wir leben, und die ganz anderen Größenordnung und in einem anderen
Skandalon, dass die Erklärung der Menschenrechte transatlantische Sklavenhandel des 17. und 18. Jahr- größte Feigheit des letzten halben Jahrhunderts«. Kontext – die Vernichtung der europäischen Juden
und die Sklavenwirtschaft Teil ein und derselben his- hunderts, um es vorsichtig zu formulieren: etwas von Man könnte zugunsten Mbembes darauf ver- sind zwei emblematische Manifestationen dieses
torischen Bewegung waren, dass die Aufklärung den seiner Spezifik. Dann ist die Sklaverei dasselbe wie der weisen, dass seine Rhetorik grundsätzlich nur Super- Trennungswahns.« Relativiert Mbembe mit diesem
Universalismus hervorgebracht hat und den Kolo- Kolonialismus, der Kolonialismus dasselbe wie die lative kennt und der Grenzzaun, mit dem Israel die Satz den Holocaust? Die Frage hat etwas Steriles. Viel
nialismus. Dass Thomas Jefferson als Mitverfasser Apartheid und die Apartheid nicht zu unterscheiden besetzten Gebiete abriegelt, für ihn nur das Sahne- interessanter ist etwas anderes: Die Opfer der Schoah
der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung den vom Neoliberalismus und der Demokratie, von der häubchen einer weltweiten Tendenz zu Mauerbau, kann Mbembe problemlos in sein Weltbild integrie-
Satz »All men are created equal« niederschreiben konn- Mbembe sagt, sie trage »die Kolonie tief in sich«. Das Abschottung und tödlicher Ausgrenzung des Frem- ren, der Staat Israel hingegen mit seinen ganzen
te und dass der nämliche Jefferson auf seiner Farm in meint Mbembe, wenn er mit Blick auf unsere Gegen- den darstellt, Israel sich, so gesehen, in bester Gesell- Ambivalenzen, Verbündeter der USA, aber tödlich
Virginia Sklaven besaß (unter Gewissensbissen, aber In der vergangenen Woche hatte wart apokalyptisch raunt, »die Welt werde schwarz«. schaft befindet. Aber da eben liegt ein weiteres Pro- bedroht durch seine Nachbarn, fügt sich weit weniger
eben dann doch nicht unter allzu unüberwindlichen Achille Mbembe in der ZEIT den Anti­ Mbembe beschreibt – unter Bezug auf Carl blem mit Mbembes Werk: Die Rhetorik des mora- in Mbembes Aufteilung der Welt in Täter und Opfer.
Gewissensbissen). Diesen Widersinn kann man semitismusvorwurf zurückgewiesen Schmitt – sehr plausibel, wie im Zeitalter des Kolo- lischen Maximalismus, die immer klingt, als sprächen Sein Hass auf Israel hat etwas vom Zorn über einen
entweder mit Heuchelei erklären: Dann hätten die nialismus eine Linie gezogen worden sei zwischen die sieben Engel der Apokalypse gleichzeitig, macht Verräter, der die Seite gewechselt hat.
europäischen Nationen und die Vereinigten Staaten den Weißen und den anderen, zwischen Europa und sein Denken der düsteren Gesten anschlussfähig für Selten war eine Debatte so produktiv wie diese.
den Afrikaner nur als halben Menschen betrachtet, land ausgehend, für die Abschaffung der Sklaverei der überseeischen Welt: Jenseits dieser Linie habe der politischen Aktivismus. Doch ist diese Rhetorik zu- Selbst in der postkolonial stets gut informierten
weil ihnen sonst ihre eigenen aufklärerischen Stan- kämpfte, findet in der Kritik der schwarzen Ver- »freie Raum ungehemmten Kampfes« begonnen, gleich eine Immunisierungsstrategie gegen kritische taz wird jetzt die Frage aufgeworfen, ob es an­
dards das Geschäftsmodell verunmöglicht hätten. nunft so gut wie keine Erwähnung, sie wäre für »offen für freien Wettbewerb und freie Ausbeutung, Nachfragen. Indem Mbembe alles dafür tut, dass ihn einem »grundsätzlichen Konstruktionsfehler« der
Oder aber man hält wie Mbembe beide Bewegungen Mbembe auch schwer zu erklären, denn sie müsste in dem die Menschen frei sind, sich zueinander wie niemand zu überbieten vermag in seiner radikalen Postcolonial Studies liege, wenn ihre Theoretiker
für die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Dann ja Effekt eines Formtiefs des Kapitalismus gewesen wilde Tiere zu verhalten«. Verwerfungsgeste, klingen Fragen nach historischer das Fach meistens nicht nur »als Wissenschaft,
ist Kapitalismus nichts anderes als Rassismus, gleich- sein – jedenfalls gewiss nicht Ergebnis eines mora- Hier kommt eine weitere Gedankenfigur, die für Differenzierung immer schon so, als wolle man den sondern auch als Widerstandsform« verstünden.
ursprünglich und wesensgleich, eine Wirtschafts- lischen Paradigmenwechsels, wie es der britisch- das Werk entscheidend ist, zum Tragen: Diese einst fundamentalen Rassismus wo nicht leugnen, so zu- Was folgt daraus? Mbembe sollte weiterhin nach
form, die stets eine Klasse von Ausgebeuteten fabri- ghanaische Philosoph und Historiker Kwame An- von den Europäern in die Welt jenseits dieser Linie mindest verharmlosen. Deutschland eingeladen werden. Es ist intellektuell
ziert, die sie rassisch markiert, um ihr die Gleich­ thony Appiah beschrieben hat (zwei afropolitane externalisierte Gewalt kehre heute an ihren Ausgangs- Dabei ist Mbembe in seinem unerbittlichen fruchtbarer, ihn mit kritischen Nachfragen zu­
behandlung verweigern zu können. Die Duldung der Denker, wie sie im Übrigen unterschiedlicher punkt zurück: in Form des Neoliberalismus und der Antiliberalismus repräsentativ für ein ganzes poli-
Sklaverei durch die Gründungsväter der USA wäre kaum sein könnten). Armutsmigration – zwei Seiten derselben Medaille. tisch-akademisches Milieu, in dem sich die BDS- ANZEIGE

dann keine Doppelmoral, kein feiges Einknicken vor
den Interessen der Südstaaten-Farmer, sondern die
Kernidee des Projekts Moderne. Es ist letztere These,
der Mbembe nicht nur zuneigt, sondern die seinem
Werk den spezifischen Orgelton des Verhängnisses
verleiht. Der Sklavenhandel, schreibt er, sei das »Tauf-
becken unserer Moderne«.
Die Postcolonial Studies sind ein Kind des Post-
strukturalismus. Nicht zufällig orientiert sich Mbem-
bes Schreibstil vor allem in der Handhabung von
Körpermetaphern an Michel Foucault – wo Foucault
allerdings lakonisch wird, neigt Mbembe zu Pathos
und Superlativ. Aber etwas anderes ist hier interes-
sant. Einer der Gründungstexte des Poststruktura-
lismus war Jean-François Lyotards Aufsatz Das post-
moderne Wissen, in dem er Abschied von den großen
Erzählungen nahm, also vor allem von der Ge-
schichtsphilosophie Hegelscher und Marxscher
Provenienz. Bei Mbembe kehrt die große Erzählung
nun zurück – in ihrem totalisierenden Anspruch, die
Auch der Begriff des »Negers« ist bei Mbembe
eine zeitlose Chiffre. So reich sein Buch an Zitaten
ist, die das rassistische Phantasma eindrucksvoll be-
legen, so wenig vermag der Leser diese Zitate einem
spezifischen historischen Kontext zuzuordnen: Die
Großepoche des rassistischen Kapitalismus kennt
keine Binnenperiodisierung. Aber Mbembes »Neger«
ist nicht nur zeitlos, er ist in gewisser Weise auch
ortlos: Dass die Erfahrung der Kolonialisierung eine
andere ist als die der Versklavung, dass Afroamerika-
ner nicht in gleicher Weise schwarz sind wie Afrika-
ner, das tut für Mbembe nichts zur Sache. Vermutlich
würde er diese Ortlosigkeit sogar als Effekt der ge-
waltsamen Entwurzelung des Afrikaners insgesamt
deuten. Es ist der Blick des Weißen auf ihn, der ihn
selbst noch als rebellierendes Subjekt konstituiert.
Ohnehin ist der »Neger« für den Zeitkritiker
Mbembe keine empirische Gestalt, sondern eine
metaphysische Größe: Er muss, eine zentrale Pointe
von Mbembes Gegenwartsdiagnose, auch gar nicht
»Früher oder später«, schreibt Mbembe in Politik
der Feindschaft, »wird man in der Heimat ernten, was
man in der Ferne gesät hat.« Der ursprüngliche Akt
der Diskriminierung, mit dem man zwischen dem
Weißen und dem Afrikaner eine kategoriale Seins-
grenze gezogen hatte, wiederhole sich heute in den
Grenzregimen der westlichen Welt. 80 Seiten lang
beschreibt Mbembe in Politik der Feindschaft in
düster flackernden Metaphern, aber ohne historische
Konkretion, inwiefern der Rassismus in der heutigen
Gesellschaft nichts von seiner tödlichen Gewalt ein-
gebüßt habe. Und während man als Leser ungeduldig
auf einen konkreten Beleg wartet, wo genau die ja
nicht ganz harmlos klingenden »Verfahren zur Ver-
nichtung all derer, die von der Demokratie zu Staats-
feinden erklärt werden«, Gestalt annehmen, wird
Mbembe plötzlich, als breche es wie bei einem unter
Tourettesyndrom Leidenden aus ihm heraus, furcht-
bar konkret: in Israel und seinem Besatzungsregime,
das »an das Modell der Apartheid« erinnere. »Doch
Bewegung nicht zufällig großer Beliebtheit erfreut.
Im Zentrum dieses Denkens, zu dessen Stichwort-
gebern auch der italienische Philosoph Giorgio
Agamben gehört, steht die Überzeugung, dass die
Welt ein einziges Lager geworden sei und gerade die
westlichen Demokratien mit ihren befestigten Staats-
grenzen Orte der Entrechtung und der Vernichtung
seien. Dem liberalen Rechtsstaat darf in diesem
Denken keinerlei Kredit gewährt werden. Dass
Flüchtlinge in Europa einen Rechtsanspruch haben,
kommt Mbembe nicht über die Lippen, vermutlich
weil er ihn für einen bloßen, heuchlerischen Taschen-
spielertrick hält. Vom Humanitätsversprechen des
liberalen Universalismus lässt sich nämlich einer wie
Mbembe keinen Sand in die Augen streuen.
Wie soll man aber nun die Frage nach dem Anti-
semitismus beantworten? Ich glaube nicht, dass die
Fixierung auf diesen Begriff die Linderung bringen
wird, die man sich davon verspricht. Um sich kritisch
mit Mbembes Werk auseinanderzusetzen, brauchen
Filmkritiken
von ZEIT-Autoren können Sie auch hören, donnerstags 7.20 Uhr.
konfrontieren, als seinen moralischen Maximalismus
wie eine Donnerpredigt schuldbewusst über sich
ergehen zu lassen. Die Postcolonial Studies sind für
die Rekonstruktion unserer Gegenwart zu wichtig,
als dass wir es uns leisten könnten, sie für sakrosankt
zu erklären. Auch hier gilt es, Dogmatismus auf-
zumischen. Die Debatte um Achille Mbembe wird
Argumente und Zusammenhänge schärfen und
Phrasen aussortieren, ohne Mbembes großen Beitrag
zur Geschichte des Rassismus grundsätzlich infrage
zu stellen.
46 FEUILLETON 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

Die Edelweißbrosche trug Hannah Arendt oft in Fernsehrunden,

als eines ihrer kleinen Erkennungszeichen

Bolzenschneider

Fotos: S. Ahlers/DHM/© Privatbesitz, München; Sony Music (l.)

öffnen Herzen
Das lange Warten auf das neue Album der US-Songwriterin
Fiona Apple hat sich gelohnt: Es ist epochal  VON JENS BALZER

D
ies ist Musik von großer Rohheit Die »hounds of l­ove«, die während der­
und Intimität, sie klirrt und knis­ Session treu lauschen und sich am Ende zu
tert und scheppert und knallt, einem jubelnden Gebell-Chor erheben: Das ist
manchmal wird ein Klavier ge­ ein Zitat und eine Hommage, aber auch ein
spielt und noch öfter geschlagen, manchmal klang­liches Zeichen jener ganz aus der Welt
schwingt ein bundloser Bass ebenso melodiös gefallenen Intimität, aus der heraus die Songs
wie verzweifelt unter dem Aufruhr, der sich auf diesem Album entstanden.
hier erhebt. Den Aufruhr entfacht Fiona So ist es durchweg: Man hört hier einer
Apple: die größte Songwriterin, die wir gegen­ Musik zu, die gleichermaßen hochwelthaltig
wärtig besitzen. Fetch the Bolt Cutters, so lautet ist, wie sie den Rückzug aus der Welt als gute
der Titel ihres neuen Albums, »Hol den Bol­ Möglichkeit nahelegt, um sich vor Demüti­
zenschneider« heißt das auf Deutsch. Mit dem gung und Schmerz zu schützen. Wenn Fiona
Bolzenschneider will sie sich Zugang verschaf­ Apple von Liebe singt und von der Öffnung
fen zu den eingezäunten und abgeriegelten für andere Menschen, dann wird diese Öff­
Orten, in denen die Traumata sich verschlie­ nung mit Unterwerfung belohnt und mit Ge­
ßen, die Erfahrungen von Erniedrigung und walt. Sie singt von gescheiterten Liebesaffären
Gewalt. Fiona Apple singt mit tiefer Altstim­ und von Beziehungen mit Männern, die in
me, manchmal fällt sie in die hyperventilieren­ ihr nur einen Gegenstand sahen oder einen

Jenseits der Ikone

den Rhythmen des Scat, dann Spiegel, in dem sie sich selber ver­
findet sie wieder in ruhige, melan­ größerten und verschönten. Sie
cholische Bögen; und wenn der singt von all den Männern da
Aufruhr, den das gequälte Klavier draußen, die Frauen benutzen und
und die zitternd angerissenen Gi­ ihnen Gewalt antun, um ihr se­
tarrensaiten erzeugen, der gra­bes­ xuelles Begehren zu befriedigen
tief unrein vibrierende Bass und die und ihr Begehren nach Macht –
Percussion aus Trommeln, ­Snares und die dafür doch nichts zu be­ Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet Hannah Arendt eine bemerkenswerte
und zornig bedengelten Haushalts­ fürchten haben, weil die Welt ih­
geräten – wenn dieser Aufruhr nen zur Seite steht. Sie singt für Ausstellung. In zwei Wochen wird sie tatsächlich eröffnen  VON THOMAS E . SCHMIDT

Z
plötzlich einmal verstummt, dann Die Songwriterin die Frauen, die sich von solchen
singt sie sich mit silbriger Kopf­ Fiona Apple, 42 Männern benutzen lassen und die wei Schlagwörter machten Hannah folgte sie den Eichmann-Prozess in Jerusalem und determiniert sah und damit auch Handlungsmög­
stimme aus der Szene heraus, als oft so lange brauchen, viel zu lan­ Arendt zu einer der berühmtesten in­ benannte früh der Nachkriegsdeutschen Neigung lichkeiten verstellte.
wäre dies ein Wiegenlied und sie ge, um sich das einzugestehen, tellektuellen Frauen ihrer Zeit: Das Böse zur Verdrängung. Sie fragte nach der Rolle jüdischer Wie sehr ein solcher existenziell aufgeladener Li­
eine Mutter, die ihr Kind in den Schlaf geleitet weil sie das Gefühl des Benutztwerdens und sei »banal« geworden, meinte sie, weil Funktionäre in den besetzten Ostgebieten und beralismus dazu zwang, auch die eigene Person zur
oder ins Sterben. die Scham darüber in jenen inneren Räumen rational, verwaltend und subaltern, ähn­ überwarf sich darüber mit vielen ihrer Freunde. Sie Geltung zu bringen, zeigt die Ausstellung eindrück­
Fiona Apple ist 42 Jahre alt, sie wurde in verschließen, zu denen sich nur mit gröbstem lich wie das Verhalten des NS-Mörders Adolf Eich­ kommentierte Israels Sechstagekrieg, die nukleare lich. Arendt begriff früh, dass sie nicht nur eine bio­
New York geboren und lebt heute in Kalifor­ Gerät ein Zugang verschaffen lässt, mit einem mann, an dem sie diese Beobachtung gewann. Und Aufrüstung genau wie den Vietnamkrieg, die Ras­ grafische Last trug, sondern dass ihre Zeitgenossen­
nien, seit den Neunzigerjahren hatte sie bislang Bolzenschneider zum Beispiel. Nationalsozialismus und Stalinismus waren für sie sentrennung in den USA, den beginnenden Femi­ schaft auch ein Privileg darstellte. Sie inszenierte
vier Alben veröffentlicht. Dies ist ihr erstes seit For Her heißt das stärkste von den vielen recht ähnliche Terrorregime, ein Vergleich, den ihr nismus und die Studentenbewegung, der sie im sich nach dem Krieg als öffentliche Intellektuelle,
2012, und es ist das größte und berührendste, starken Stücken auf diesem Album. Darin singt Linke bis heute nicht verzeihen, weil er daran erin­ eige­nen Land und in Frankreich mit Sympathie während Rollenmuster für den public intellectual
das ihr bislang gelungen ist. Sie singt von den Fiona Apple mit sich selber: Sie verdoppelt und nert, dass die historische Zwangsläufigkeit, auf die begegnete, nicht so derjenigen in Deutschland. – und zwar den globalen – noch kaum vorlagen.
Qualen der Jugend, vom Aufwachsen ohne multipliziert ihre Stimme zu einem Gospelchor sich Sozialisten bis heute berufen, etwas Fanatisches Nach heutigen Begriffen lag sie mit ihren Urtei­ Freunde und Gefährten, sie alle Inspiration ge­
Liebe und Freundschaft; von den vergeblichen und singt nun also von einer Frau, die sich als hatte und zur Gewaltausübung geradezu aufrief. len gelegentlich falsch. Doch entsprangen sie einer nauso wie Provokation, bildeten ihre eigentliche
Versuchen, der Welt zu gefallen und kein ein­ Mädchen einem mächtigen Mann unterwarf Für beide Thesen erntete Hannah Arendt nicht Haltung, die human und ausdrucksstark ist, getra­ intellektuelle Ressource. Philosophin oder Histori­
sames Mädchen zu sein. Im Titelstück erinnert und seinem Begehren ge­fügig machte. Dazu zu knappen Widerspruch, doch mit ihnen prägte gen von der Überzeugung, dass es Rechte sind und kerin wollte sie nicht sein. Ihre politischen Urteile
sie sich an ihre Schulzeit und daran, wie sie sich drischt sie noch zorniger als sonst auf die sie das politische Bild vom 20. Jahrhundert. Mord gemeinsames Handeln, die Menschen vor dem sind historisch unterfüttert, vor allem aber sind sie
verleugnete und verbog, um so begehrenswert, Drums – um dann, als der Aufruhr plötzlich und Unfreiheit sind keine vergangenen Wirklich­ Schlimmsten bewahren. Als Theoretikerin entwi­ auf Wirkung hin angelegt. Dafür verstieß sie auch
cool und selbstsicher zu wirken wie jene ande­ verstummt, sich mit glockenheller Stimme an keiten. Die von Monika Boll und Raphael Gross ckelte sie ihre Position nicht aus abstrakten Prinzi­ gegen die Gepflogenheiten der Wissenschaft, das
ren, von denen sie nur Erniedrigungen erfuhr. diesen Mann selbst zu wenden: »Well, good kuratierte Ausstellung im Deutschen Historischen pien, sondern aus Zeitgenossenschaft. Ihre Analy­ wurde ihr entgegengehalten, und darunter litt sie.
Aber sie war nun einmal »in Schuhen geboren«, morning / Good morning / You r­ aped me in the Museum in Berlin – sie wird ab dem 11. Mai fürs sen blieben an den Phänomenen orientiert, und ihr So gesehen zeigt die Ausstellung die Chancen, aber
mit denen sie den Hügel nicht hinaufkommen ­same bed your daughter was born in.« Darüber Publikum zugänglich sein – glättet keine Kontro­ Aufbegehren gegen die politische Inhumanität ist auch den Preis der öffentlichen Intervention an einem
konnte, auf dem diese anderen standen: »And I erhebt sich der Chor nun sanft klagend, als verse um Arendt, und sie korrigiert keine Ge­ geradezu existenzialistisch. herausragenden Beispiel des 20. Jahrhunderts. Sehens­
need to run up that / I need to run up that hill«. wolle er den Schrecken gleich wieder bannen, schichtsbilder. Sie präsentiert auch nicht die Le­ Einer Zeit, die organisierte Menschenvernich­ wert ist das Ganze, weil hier der Gegenstand nicht
Was auch eine Verneigung vor ihrem Idol K ­ ate der aus dieser Zeile spricht. Aber das nützt bensgeschichte einer großen weißen Frau, sondern tung technikphilosophisch oder theologisch erklärte, historisiert wird, auch nicht unfreiwillig durch Pseudo­
Bush ist und vor deren Song Running Up That nichts: Wer das gehört hat, dem steht das Herz erinnert an jene Konstellationen, in die Hannah setzte sie einen aus der antiken Tradition gewonne­ aktualität. Die Ausstellung trägt stattdessen Kom­
Hill, und weil das Album, auf dem dieser Song immer noch still, so groß ist dieser Schrecken – Arendt intervenierte, mit scharfen Urteilen und oft nen und doch ganz neuen Begriff von Politik ent­ plexität in eine Figur zurück, die lange von ihrem iko­
1985 erschien, Hounds of L ­ ove hieß, lässt Apple aber so stark ist auch das Gefühl der Befreiung, mit Wucht. Es werden Dokumente und Objekte gegen. Das Politische ist, wie sie schreibt, »um die nenhaften Bild verdeckt war. Wenn das Publikum
am Ende ihrer Nabelschau ausgiebig den eige­ das darin liegt, dass dieser Satz nun gesagt aus ihrem persönlichen Besitz gezeigt, viele Film- Freiheit zentriert«, und es darf mit der Voll­streckung endlich ins Museum zurückkehren darf, wird es eine
nen Hund bellen, mit dem sie zurückgezogen werden konnte und gesungen. Das ist allerdings und Tondokumente vervollständigen das Bild. von Wahrheit oder historischen Gesetz­mäßigkeiten Maskenpflicht geben. Mehr als 65 Besucher dürfen
in der Nähe von V ­ enice B
­ each lebt – zusammen ein singulärer Moment – auf einem Album, das Arendt lebte lange als Staatenlose, bis sie 1951 in nicht verwechselt werden. Arendt eröffnete im Ge­ nicht hinein. Deswegen muss sich jeder online mit
mit der Schauspielerin Cara Delevingne und man nur epochal nennen kann: Man wird ge­ die USA eingebürgert wurde. Migration, Exil und genteil das Politische als einen eigenen und genui­ dem Ticket seine Besuchszeit buchen. Auch diese
ihren beiden Hunden; mit Delevigne duettiert genwärtig keine andere Musik finden, die so Rechtelosigkeit waren entscheidende Erfahrungen, nen Raum von Möglichkeiten – eben von Freiheit, neue soziale Choreografie hätte Hannah Arendt
sie dann auch im Refrain. reich und so verletzt ist und so mutig wie diese. und sie formten ihre politische Haltung. 1961 ver­ in einer Moderne, die sich so sehr von »Prozessen« brennend interessiert.

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«Was für eine Sprache! Mariam Kühsel-Hussaini beherrscht

die Kunst des federleichten Erzählens mit unerhörten Wort-
kombinationen.» Elke Heidenreich, Die ZEIT

«Dieser Roman ist selbst ein Meisterwerk. Die deutsche

Sprache wird so lange durchgeschüttelt, bis sie aufwacht
und Dinge sagt, die so neu, wild und impressionistisch sind
wie ihr Gegenstand.» Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Ein federleichtes, schillerndes, expressives und immer

eigenwilliges Deutsch. Ein Berlin-Roman, wie man ihn noch
nicht gelesen hat.» Neue Zürcher Zeitung
© Patrick Bienert
 29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
P
rärie, goldrote Weite, sanft im
Wind wehendes Gras, Kakteen
und Kojotenheulen. Der Wilde
Westen, wie er uns im Film
oder einfach nur in Karl Mays
Büchern begegnet, ist Geburts-
ort amerikanischer Selbsterfin-
dung und hat universale Bilder geschaffen, die
in uns weiterleuchten, auch wenn es verwegene
Cowboys und grüblerisch einsame Marlboro-
Männer schon lange nicht mehr gibt. Man
nehme zum Beispiel den Roman Herzland der
serbisch-amerikanischen Autorin Téa Obreht,
der nicht mehr vom »weißen Mann« bevölkert
wird, sondern von knorrigen, bisher im­
Western­ genre nur schwer zu poetisierenden­
Figuren, von Frauen, Kindern, osteuropäischen
­Migranten.
Obreht gehört zu den jungen Erfolgsauto-
rinnen der USA. Auch Herzland ist das Werk
einer Millennial mit all den typischen wichti-
gen Anliegen: Es geht um die Umwelt, die Tie-
re darin, das Wetter. Um Lügenpresse, weib­
liche Selbstermächtigung und Einwanderung.
Ohne Donald Trump, ohne Fake-­News und
#MeToo wäre das Buch ein anderes geworden,
sagt Obreht. Eigentlich sei es fertig gewesen,
doch nach der Wahl Trumps zum Präsidenten
habe sie sich hingesetzt und das fertige Buch
noch einmal gen Zeitgeist überarbeitet.
Und gerade weil nur wenig politisch so un-
korrekt ist wie ein Cowboy und weil der­
Western spätestens mit Broke­back Moun­tain
tolerant und mit The Ballad of Buster Scruggs
der Coen-Brüder selbstironisch geworden ist,
ohne dass der Mythos dadurch verloren hätte,
stellt sich im Falle von Herzland allerdings die
Frage, ob der Western nun wirklich Sammel-
becken für aber auch jedes gegenwärtige­
Anliegen werden muss – und wann ein literari-
sches Genre aufhört, eines zu sein.
Von der Kritik wird Obrehts Schreibstil in
die Nähe des Stils von Gabriel García Márquez
gerückt. Herzland ist ein Hybrid aus Western,
magischem Realismus, Volkserzählung. Es ist
das Jahr 1893 in Arizona, und der Sommer
Foto: Ali Smith/eyevine/ddp
heiß. Auf der Farm der Pioniersfrau Nora Lark
ist das Wasser knapp, und Nora hat Durst, der
mit jeder Seite schlimmer wird. Die Lippen
reißen ihr ein, an den Mundwinkeln sammelt
sich dicklich eingetrockneter Speichel, das Re-
den fällt schwer. Noras Mann Emmett ist auf ­
Dürfen wir
Ihnen jemanden
vorstellen?
Nach den strengen Kontaktsperren der
vergangenen Wochen streitet Deutsch-
land darüber, wie es in der Corona-
Krise weitergehen soll. Der Politik und
allen Bürgerinnen und Bürgern stellen
sich grundlegende Fragen: Sollten in
der Corona-Krise für jüngere und älte-
re Menschen dieselben Einschränkun-
gen gelten? Ist die Maskenpflicht in al-
len Bundesländern richtig? Sollte der
Staat zur Eindämmung der Epidemie
auf Mobilfunkdaten zugreifen kön-
nen? Informiert die Politik ausreichend
über das, was passiert?
Die ZEIT und ZEIT ONLINE laden
alle Leserinnen und Leser ein, den rich-
tigen Weg in dieser Krise miteinander
und über Meinungsunterschiede hin-
weg zu diskutieren und rufen ab sofort
zu einer aktuellen Ausgabe des Debat-
tenformats »Deutschland spricht« auf.
Um sich für ein persönliches Ge-
spräch anzumelden, müssen Sie ledig-
lich unter www.zeit.de/ds20 unsere
sieben kontroversen Ja/Nein-Fragen
beantworten und einige persönliche
Daten hinterlassen. Wir versuchen im
Anschluss, Sie mit einem anderen Teil-
nehmenden zusammenzubringen, der
ganz anders denkt als Sie. Anfang Mai
stellen wir Sie einander per E-Mail vor.
Am 10. Mai um 15 Uhr sollen dann
Tausende Vier-Augen-Gespräche zwi-
schen Menschen stattfinden, die über
die Corona-Politik unterschiedlich
denken. Damit der Abstand gewahrt
bleibt, unterhalten sich die Gesprächs-
paare per Videoanruf.
Streit ist in einer Demokratie im-
mer wichtig. Während der Corona-
Pandemie aber wohl wichtiger denn je.
Melden Sie sich an, und werden Sie
Teil der Debatte!
Beantworten Sie diese Fragen bis zum 3. Mai online, und diskutieren Sie mit bei »Deutschland spricht«: www.zeit.de/ds20
Wassersuche verschwunden, ihre beiden Söhne
sind ihm im Streit gefolgt, und Nora ist, von
obskuren Indianerängsten geplagt, allein auf
der Farm mit ihrem jüngsten Sohn, der glaubt,
in der Nähe des Hauses ein Monster zu sehen.
24 Stunden umfasst der Roman, in denen
Nora ihr Leben Revue passieren lässt. Sie denkt
über ihre Situation als Pioniersfrau nach und
entwickelt zunehmend einen diffusen, von ihr
selbst noch nicht ganz durchschauten Groll ge-
gen ihren Mann, den sie bis dato bedingungslos
zu lieben meinte. In Noras Erzählung eingefaltet
ist eine weitere: Lurie Mattie, ein als Kind in die
USA eingewanderter Bosnier, ist nach einem
Mord auf der Flucht in den W ­ esten, wo er sich
dem Kamelcorps anschließt, mit dem das US-
Militär versucht, den Westen zu erschließen. An
einem bestimmten Punkt treffen die beiden Er-
zählungen auf­ein­an­der, und es kommt zu einem
ergreifenden Romanende.
Téa Obreht lebt in New York und unter-
richtet am Hunter College kreatives Schreiben,
Herzland ist ihr zweiter Roman. Mit Die Tiger-
frau (2011), der Erzählung einer taubstummen
Frau, die in einem serbischen Dorf einen Tiger
pflegt, wurde sie mit nur 25 Jahren über Nacht
zum Literaturstar in den USA. Das Buch ge-
wann den ­Orange ­Price for Fiction und ver-
kaufte sich über eine Million Mal. Geboren
wurde Obreht 1985 in Belgrad als Tea Bajrak-
tarević. Ihr heutiger Nachname ist der ihres
Großvaters, der am Anfang all ihres Schreibens
steht. Obreht wuchs mit der Mutter und den
Großeltern auf, ohne Vater. Als 1992 in Jugo-
slawien der Bürgerkrieg ausbrach, ging Obrehts
Familie nach Zypern, später nach Kairo und
von dort nach Nordkalifornien. In Interviews
beschreibt die Autorin sich als nachdenklich,
introvertiert und abergläubisch – eben wie die
Menschen auf dem Balkan. Um Pech abzuwen-
den, klopft sie dreimal auf Holz.
Auch Herzland hat etwas Insichgekehrtes, die
Figuren sind selbstreflektierte Up­dates all der Rol-
lenklischees, die das Genre bereithält: Lurie der
Outlaw, Nora die Pioniersfrau, ein halbattraktiver
Sheriff, ein weiser Dorfarzt, eine Verrückte in der
Hütte am Dorfrand, ein Saloon-Inhaber. Aber
niemand schimpft mehr oder flucht, keiner raucht
Kette oder sagt Hüa! zum Pferd, und Schieße­reien
kommen so wenig vor wie ranzige Männer, die an
von Kugeln durchlöcherten Bartresen ­Whiskeys
kippen.
Fühlen Sie sich in der Corona-Krise
ausreichend und transparent informiert?
Sollte der Datenschutz gelockert werden, um Infektionsketten schneller verfolgen zu können?
Hat die Bundesregierung bisher richtig auf die Corona-Krise reagiert?
Sind die Einschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronavirus verhältnismäßig?
Sollte Online-Unterricht auch nach der Pandemie ein fester Bestandteil des Lehrplanes an Schulen bleiben?
Sollten in der Corona-Krise für jüngere und ältere Menschen dieselben Einschränkungen gelten?
FEUILLETON 47
LIT E RAT UR
Der Western steht am Beginn Amerikas
und war bis dato weitgehend frauenlos. Die-
se lugten höchstens mit abgearbeiteten und
bitteren Gesichtern aus verfallenen Hütten
hervor, aus deren Schornsteinen schwarzer
Rauch quoll. Der Fokus lag auf dem Mann
und dem Reiter, der Landschaft mit Büffeln,
auf Schießen, Jagen, Kämpfen. Western ist
Cowboy mit Ledergesicht, ist Butch Cassi-
dy, ist Fliege auf der Wange. Nora hingegen
ist in Herzland eine alleinerziehende Mutter,
sie hat ihren Mann betrogen, gerät in einen
Streit mit der Lokalpresse, die zugunsten
von Rinderbaronen Fake-­ News verbreitet.
Der Ton des Buches ist betont nachdenk-
lich. Pferde werden kaum erwähnt, klassi-
sche Männerabenteuer nicht erzählt. Statt-
dessen lesen wir von Kamelen, bockigen
Frauen, träumenden Kindern. In Herzland
gibt es keine grölenden oder herrischen Dia-
loge zwischen Männern – ob es nun Pionie-
re, Siedler, Cowboys oder Banditen sind –,
sondern die Gedanken der Alleingelassenen,
die sich noch nicht ganz zurechtfinden in
dieser Welt, aber das kann ja noch kommen.
Muss der Western politisch korrekt sein?
Muss er öko, brav, vernünftig sein? Kommt der
Krimi ohne Verbrechen aus, die Gothic Novel
ohne Ruine, der Agententhriller ohne Agent?
Anstatt nun noch einen Text aus dem alten
Cowboylappen herauszuwringen, den Western
Die Schriftstellerin Téa Obreht wurde 1985 in Belgrad geboren weiter zu beschwören, zu verklären, ganze­
Ästhetiken wiederzuerwecken, um sie derartig
umzuformen, dass dem Western auch noch
sämtliche Anliegen der Millennialgeneration
Kein Land für
aufgedrängt werden können, mit dem un-
freiwilligen Ergebnis, dass dann auch die e­ igene
Gegenwart zum Klischee ihrer selbst wird –
warum nicht einfach einsehen, dass es mit dem
»Wilden Westen«, der Ich-projiziere-mein-Ich-
in-die-Prärie-Mythologie vorbei ist? Es ist aus,
weiße Männer
wie es mit dem Schnurtelefon oder dem spon-
tanen Telefonanruf aus ist. Als Romanprojekt
funktioniert Herzland nicht. Die Erzählung ist
bräsig, überkorrekt, angstvoll anbiedernd, ­um
die Gunst der Leser zu sehr bemüht. Herzland
ist nicht flott. Ganz anders als der Western,
wie er mal war.
Téa Obreht hat mit »Herzland« einen politisch
korrekten Western geschrieben, der in den USA Téa Obreht: Herzland. ­Roman;
aus dem ­Englischen von Bernhard Robben;
begeistert gefeiert wurde  VON SAR AH PINES Rowohlt, Berlin 2020; 512 S., 24,– €
Ja Nein
Ja Nein
Ja Nein
Ja Nein
Ja Nein
Halten Sie die bundesweite Maskenpflicht für richtig?
Ja Nein
48 FEUILLETON 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19

LIT E RAT UR

Die Sachbuch-Bestenliste für Mai Ist Sex mit

Lori Gottlieb: Vielleicht
1
solltest du mal mit
jemandem darüber reden
A. d. Engl. v. E. Liebl;
hanserblau; 496 S., 25,– €
(–)
Ein Auf und Ab der Gefühle: Mit erzählerischer Kraft und psychologischem Wissen
Robotern besser?
berichtet die Therapeutin Lori Gottlieb aus ihrer eigenen Therapiepraxis. Alle Gefühle, die
die Patienten empfinden, kennt auch der Leser: Abwehr, Widerstand, Trauer,
Enttäuschung, Wut, Erstaunen, Hoffnung und immer wieder diese zarte Liebe zu diesem
krummen, widerstandsfähigen menschlichen Leben. 61 Punkte
Ohne Angst vor Teledildonik: Kate Devlin erklärt in »Turned on«,
wie die Technik das Intimleben verändert  VON EVA WEBER- GUSK AR

A
Der britische Archäologe Ian Morris zeichnet das ganz große Bild: die Entwicklung der

2
Ian Morris: Menschheit in drei Stufen. Er stellt dar, wie die Art der Energie­gewinnung auch die soziale lle dürfen mit allen – solange nur Doch im Unterschied zu Richardson hält sie
Beute, Ernte, Öl Moral bestimmt. Gesellschaften der »Jäger und Sammler« würden egalitär handeln, beide (oder mehrere) Lust haben, als »Pro-Sex-Feministin« das alles nur für eine von
A. d. Engl. v. J. Neubauer; während in modernen, fossilen Gesellschaften Toleranz, aber auch ungleiche Verteilung volljährig sind und genau wissen, sehr vielen möglichen Formen von Sexrobotik; ein
(1) DVA; 432 S., 26,– € von Ressourcen vorherrschten. Das Ergebnis: der Kampf ums Öl. 40 Punkte was sie da tun: Sex haben. Darüber Totalverbot sei also unnötig. Ihre Zukunftsfanta-
ist man sich in den Kreisen einig, in sien reichen bis zu einer ungegenderten Sexdecke
denen das Buch ­Turned on. Intimität und Künst- aus streichelempfindlichem Stoff, die bei Berüh-
Jede dritte Frau wird zum Gewaltopfer. Gewalt gegen Frauen ist ein alltägliches Phänomen, liche Intelligenz mit Lektüre rechnen kann. Des- rung Laute von sich gibt und sich anschmiegt.

3
auch wenn es nur selten in die Öffentlichkeit gerät. Die Strafrechtsanwältin Christina sen Autorin ­ Kate Devlin, Computerwissen- Außerdem hat Devlin Menschen aufgesucht, die
Christina Clemm: Clemm erzählt Geschichten von Frauen, die körperliche und sexualisierte Gewalt erlebt ­ schaftlerin am King’s Col­lege in London, fragt die bisher verfügbaren Puppen, mit oder ohne KI-
AktenEinsicht haben. Dabei schildert sie nicht nur Fallbeispiele, sondern gibt auch Einblicke in die Arbeit aber weiter: Was ist mit Robotern? Was ist mit Innerem, kaufen und mit ihnen leben: Sie offen-
(4) Kunstmann; 206 S., 20,– € von Justiz und Polizei. Eine wichtige Studie gegen das Schweigen. 38 Punkte Tech-Sex? Warum wird der immer noch schief barten einen sehr pfleglichen, sorgsamen Umgang
angesehen, und wie stichhaltig sind die Vorurtei- mit ihren teuren Begleiterinnen und würden auch
le? Wie viel Gutes könnte er bringen? Und was nicht vereinsamen, sondern sich mit anderen
Kate Kirkpatrick: Simone de Beauvoir ist eine der bekanntesten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts und ist überhaupt bisher technisch möglich? Puppenliebhabern zusammentun. Sex sei häufig

3
Simone de Beauvoir
A. d. Engl. v. E. Fischer u.
C. Richter-Nilsson;
(–) Piper; 528 S., 25,– €
zugleich eine der umstrittensten: Sie schockierte durch ihre freie Verbindung mit Jean-Paul Mit Lust und einigem Gekicher führt Devlin nur ein kleiner Teil dessen, was die Beziehung zu
Sartre und durch die frühfeministische Studie »Das andere Geschlecht«. Die englische uns zunächst durch die Geschichte der Dinge zur den Silikon-und-Silizium-Wesen ausmache. Devlin
Historikerin Kate Kirkpatrick hat eine Biografie über die Existenzialistin geschrieben und Erzeugung von körperlicher Erregung. Der Anfang nimmt Berichte ernst, wonach es den Besitzern um
zeichnet ein komplexes Bild – jenseits von Klischees und vorschnellen Urteilen. 38 Punkte liegt auch hier in den Mythen: Ihn macht eine »un­er­schüt­ter­liche, bedingungslose
Laodameia, die sich den verstorbenen Gemeinschaft, die auf ihre Bedürfnisse
Gatten als Bronzefigur nachbilden ließ zugeschnitten ist«, gehe.
Brendan Simms ist Professor für Geschichte an der Universität Cambridge und legt eine und ihn mit ins Bett nahm. Es ist von Die Autorin gibt zu, dass die empi­

5
Brendan Simms: neue Biografie über Adolf Hitler vor. In seiner Studie vertritt er eine originelle These: Dildos aus Schluffstein, Leder und Brot rische Lage dabei noch unklar sei. Ge-
Hitler Hitlers Denken richtete sich nicht etwa, wie allgemein angenommen, vorrangig gegen den die Rede. Das erste Spielzeug dieser Art waltbereitschaft oder Einstellungsände-
A. d. Engl. v. K.-D. Schmidt; »Bolschewismus«, sondern gegen »Anglo-Amerika«. Hitlers globaler Ex­pan­sions­krieg war glaubt Devlin bereits in einem 28.000 rungen gegenüber dem anderen Ge-
(1) DVA; 1056 S., 44,– € vor allem ein Angriff auf das angloamerikanische Lebensmodell. 30 Punkte Jahre alten archäologischen Fundstück schlecht aufgrund von Sexpuppen seien
erkennen zu können. Damit setzt sie, die genauso schwierig zu erfassen wie bei
ein Erststudium in Archäologie absol- Pornokonsum oder Computerspielen.
Bernd Ladwig: Der Berliner Politologe Bernd Ladwig hält es für ein moralisches Grundgebot, Säugetieren vierte, sich allerdings von der vorherr- Deswegen allerdings vorsichtiger sein?

6
Politische Philosophie kein Unrecht zuzufügen. Die Praxis des Tötens von Nutztieren zur Fleischerzeugung sei schenden wissenschaftlichen Meinung Kate Devlin: Das hat in Devlins hedonistisch-optimis-
der Tierrechte immer mit Leid und Schmerz verbunden, schreibt der Philosoph. Die These seiner neuen ab, die darin nur einen kultischen Ge- Turned on. tischem Weltbild keine große ­Chance.
suhrkamp wissenschaft; Moraltheorie: Tiere können ihre Rechte selber nicht verteidigen, also müssen wir genstand sieht. Ihr Überblick führt je- Intimität und Nebenbei streift sie in ihrem Buch
(–) 411 S., 22,– € Menschen auf ihre Interessen Rücksicht nehmen. 28 Punkte denfalls bis zu aktuellen Erscheinungen Künstliche andere hochinteressante Fragen: Warum
wie Vibratoren in Kaninchenform und Intelligenz; a. d. sind wir so schnell bereit, allem, was sich
Teledildonik, bei der über das Internet Engl. v. Axel auch nur rudimentär selbstständig ver-
Wo findet das wirkliche Leben statt? Muss man den Rückzug suchen in die unberührte ­ verbundene Geräte genutzt werden. Walter; Wissen- hält, menschliche Fähigkeiten zuzu-

7
Natur? Oder nach der Unsterblichkeit greifen? Diese Fragen verknüpft Michael Hampe in Die anschließende Einführung in die schaftliche schreiben und ihm Gefühle wie Sorge
Michael Hampe: einer Reflexion, die auch eine Erzählung sein könnte. Hampes Text hilft zu erkennen, wie Geschichte und Gegenwart von Robotik Buchgesell- oder Zuneigung entgegenzubringen?
Die Wildnis uns die Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit daran hindert, mit unserem und künstlicher Intelligenz folgt den schaft/Theiss, Was genau suchen Menschen in intimen
Hanser; 304 S., 26,– € eben tatsächlich klarzukommen. 25 Punkte üblichen Pfaden; hier hätte man sich von Darmstadt Beziehungen, was davon könnten künst-
(9)
einer Expertin mehr erwartet. Immerhin 2020; 240 S., liche Gefährten ersetzen? Was spricht
ist Devlin bei der Beschreibung des Ent- 25,– € gegen eine Ehe mit einem Roboter? Und,
Was über Jahrhunderte als ärztliche Kunst bezeichnet wurde, können Maschinen jetzt schon wicklungsstands von Sexpuppen und vielleicht am radikalsten: Sollten KI-

7
besser: Krankheiten diagnostizieren, individuelle Behandlungen auswählen oder ­operative Sexrobotern gründlich. Das ist wichtig, da hier die Roboter auch mit Sexualität ausgestattet sein, um
Christian Maté: Eingriffe durchführen. Sind Ärzte aus Fleisch und Blut bald überflüssig? Das fragt der Arzt Fantasie (und die Werbung) meist weit über die ihnen eine der unseren vergleichbare Intelligenz
Medizin ohne Ärzte und Autor Christian Maté und zeigt: Ganz so weit wird es wohl nicht kommen. Aber beim Realität hinausreicht. Ansatzweise in Serie produ- zu ermöglichen?
Residenz; 176 S., 22,– € Arzt der Zukunft werden andere Fähigkeiten wichtig sein als heute. 25 Punkte ziert werden nämlich bisher nur Silikonpuppen, Differenzierte Antworten auf diese Fragen
(–)
denen man ein Sprachsystem eingebaut hat, wie gelingen ihr jedoch selten. Devlin sucht zwar da-
man es beispielsweise von Siri kennt. Nur bei einem nach in der Philosophie, Psychologie, Biologie und
Zhao Tingyang: Hierarchisch strukturiert wie eine chinesische Familie: So sieht die gerechte Weltordnung Modell sind einschlägige Stellen am Puppenkörper Kognitionswissenschaft. Aber sie präsentiert nur

7
Alles unter dem Himmel des Philosophen Zhao Tingyang aus. Er will die Welt retten mit einem chine­sischen Prinzip mit Sensoren ausgestattet, sodass eine Berührung Theorieversatzstücke wie archäologische Funde
A. d. Chines. v. namens »Tianxia«, was in etwa »Alles unter dem Himmel« bedeutet. Wenn wir Menschen dort »sprachliche Interaktion« auslöst – oder Stöh- ne­ben­ein­an­der in einer Vitrine – ohne diese zu
M. Kahn-Ackermann; dieses nicht ausgrenzende Prinzip befolgten, glaubt Zhao, so entstehe eine Welt ohne nen. Unterhalb des Kopfes kann sich keine von Einsichten zu verbinden. Fröhlich gibt sie zu, dass
Suhrkamp; 259 S., 22,– € Nationalstaaten und Feindseligkeit – und ohne Demokratie. 25 Punkte ihnen selbst bewegen; mithin ist die Bezeichnung sachliche Analyse noch nie ihre Stärke gewesen sei.
(–) als »Roboter« doch fragwürdig. Auch normative Argumente scheinen ihr nicht
Dennoch gibt es bereits eine Kampagne für das besonders zu liegen: Weil es schon mal einen Mann
Der Journalist Michael Kraske ist kurz nach der Einheit aus dem Sauerland nach Leipzig ­ Verbot von Sexrobotern und Sexpuppen. Eine gab, der Sex mit einem Gehsteig hatte (es wird

10
gezogen. Seit Jahren beobachtet er schon, wie in Sachsen rechte Strukturen in der ihrer Initiatorinnen ist die in Cam­bridge lehrende nicht erläutert, wie er das angestellt hat), folgert
Michael Kraske: Bevölkerung und in den Behörden Fuß fassen und demokratische Kräfte massiv angreifen Anthropologin Kathleen Richardson. Sie sieht eine sie, dass Sex mit Robotern ja wohl nicht seltsam
Der Riss und ­einschüchtern. In seinem Buch berichtet er über seine erschreckenden Erfahrungen enge Verbindung zwischen der Nutzung solcher sei. Auch wenn so etwas sicher wieder kichernd
Ullstein; 352 S., 19,99 € und fordert schließlich einen »New Deal Ost«. 24 Punkte Dinge, einer objektifizierenden Haltung Frauen geschrieben wurde, zeigt sich an solchen Stellen,
(–) gegenüber und einer Vereinsamung von Männern. dass man sich schon gut genug in beidem zugleich
Gegen diese Kampagne zu sein ist eigentlich das auskennen sollte, in Technik und in Ethik. ­Kate
Hauptanliegen ­Devlins. Dabei sind sich die beiden Devlin bietet durchaus einige Denkanstöße. Den-
Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte. Die Jury: René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur),
Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (FAS), Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT),
Frauen im Kern ziemlich einig: Die Tatsache, dass noch: Die Wissenschaft der Robotersexologie, wie
Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (DIE ZEIT), die humanoiden Puppen hauptsächlich weiblich Devlin ihre Forschungen nennt, steht offensicht-
Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Kim Kindermann (Deutschlandfunk), Inge Kutter (DIE ZEIT), Hannah Lühmann (Die Welt), Ijoma Mangold (DIE ZEIT), sind, ist problematisch. Und Puppen, die in der lich noch ganz am Anfang.
Susanne Mayer (DIE ZEIT), Tania Martini (taz), Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Körperform, der Gesichtsaufmachung und den zur
Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung), Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte), Verfügung stehenden Worten extrem sexualisiert Eva Weber-Guskar ist Professorin für Ethik und
Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT), Julia Voss (Leuphana-Uni Lüneburg) sind, steht auch Devlin ablehnend gegenüber. Philosophie der Emotionen in Bochum

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29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 49

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 29. APRIL 2020 DIE ZEIT No 19

GLAUBEN & ZWEIFELN 50

In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen

Wer hilft jetzt eigentlich noch den Obdachlosen? Die Berliner Fotografin JOHANNA- MARIA FRITZ porträtierte Menschen aus ihrem Kiez

»Nächstenliebe
können wir uns
immer leisten«
Michael Kaib, Vorstandschef der
Reemtsma Cigarettenfabriken,
über die Spendenaktion seiner
Firma für Obdachlose

DIE ZEIT: Herr Kaib, seit dem Shutdown

ist die Hilfe für Obdachlose in unserem
Land vielerorts zusammengebrochen, selbst
kirchliche Dienste haben sich zurückge­
zogen. Ihr Unternehmen setzte am Firmen­
hauptsitz in Hamburg ein Zeichen und
spendete bereits Anfang April 300.000
Euro. Wie kamen Sie auf die Idee?
Michael Kaib: Die Idee kam aus dem Kreis
der Mitarbeiter – und sie fand bei uns im
Vorstand sofort Unterstützung. Erstens hat
Reemtsma schon immer auf soziale Verant­
wortung gesetzt. In den 1920ern waren wir
in Hamburg Vorreiter bei der Fürsorge für
unsere Mitarbeiter, damals entstanden zum
Beispiel Werkskantinen und Wohnheime.
Zweitens hat mich persönlich das Schicksal
der Obdachlosen in der Corona-Krise sehr
1 2 berührt. Ich fand, da müssen wir schnell
und punktgenau helfen.
ZEIT: Die meisten Firmenchefs sind jetzt
rund um die Uhr damit beschäftigt, den
Ruin ihres Geschäftes zu verhindern und
Arbeitsplätze zu sichern. Sie als Vorstands­
chef von Reemtsma nicht?
Kaib: Wir mussten Gott sei Dank bislang
keine Kurzarbeit beantragen für unsere
knapp 1000 Mitarbeiter am Standort
Hamburg und insgesamt fast 2000 deutsch­
landweit. Allerdings arbeiten viele im
Homeoffice. Und natürlich ist es in der
Krise schwieriger, eine Balance herzustellen
zwischen dem Überleben des Unterneh­
mens und der Hilfe für Bedürftige. Aber
die Entscheidung selbst fiel uns leicht.
ZEIT: Die gespendete Summe ist recht
hoch. Gab es wirklich keinerlei internen
Widerstand gegen diese Geste?
Kaib: Ich gebe zu: Unser Finanzchef hielt
kurz die Luft an und fragte dann, wo um
Himmels willen er jetzt 300.000 Euro
hernehmen soll. Aber wir wurden uns
schnell einig. Dank unserer Kooperations­
partner Diakonie, Alimaus und Hinz &
Kunzt, die alle lange Erfahrung in der
Obdachlosenbetreuung haben, können
wir ganz gezielt helfen.
ZEIT: Barmherzigkeit ist eine alte Tugend.
Im Christentum galt sie zunächst als eine
Eigenschaft Gottes, doch Jesus predigte sie
auch den Menschen: »Selig sind die Barm­
herzigen, denn sie werden Barmherzigkeit
erlangen.« Hat Ihre Aktion einen christli­
3 4 chen Hintergrund?
Kaib: Ich selber bin schon vor vielen Jah­
ren aus der katholischen Kirche ausgetre­
ten. Beim Gottesdienst war ich zuletzt bei
der Kommunion meines Sohnes, der heute
18 ist. Um das Richtige zu tun, muss man
kein Kirchenmitglied sein. Und Nächs­
tenliebe können wir uns immer leisten.
Wir bringen jetzt 250 Obdachlose in
Hamburger Hotels und Pensionen unter,
das ist unsere Zielzahl. Für 161 hat das­
bereits geklappt. Jeder hat ein eigenes Zim­
mer. Aber was mich daran so freut, ist
nicht nur, dass wir diesen Menschen in der
Krise Sicherheit geben, sondern auch
Hoffnung. Einige haben bereits angefan­
gen, ihren Herbergsgebern zu helfen,­
indem sie leichte Gartenarbeit verrichten.
So bekommen die Bedürftigen das Gefühl,
dass sie gebraucht werden – und können
wieder nach vorn schauen.
ZEIT: Zu den sieben Werken der Barmher­
zigkeit in der Bibel gehört es nicht nur,
Hungernde zu speisen, sondern auch Tote
zu begraben. Im Umgang mit der Corona-
Pandemie herrscht hierzulande Streit, wel­
che Hilfe wo am vordringlichsten ist. Gibt
es beim Corona-Management etwas, das
Sie als erfahrenen Manager stört?
Fotos: Johanna-Maria Fritz/Ostkreuz

Kaib: Ich sage es mal so herum: Als Vor­

standssprecher bemühe ich mich in der
Krise um eine klare und eindeutige Füh­
rung. Das schafft Vertrauen und stärkt
den Zusammenhalt im Team. An unserer
Politik stört mich, dass die Pandemie
5 6 auch für Parteipolitik missbraucht wird
und dass Einzelne sich durch Alleingänge
profilieren.
Ab 1. Mai werden in Berlin viele Notunterkünfte für Obdachlose geschlossen. Benjamin, Miriam Zu den Fotos: 1. Dieser Baum ist ein Schutzschirm: Unter seinen bunt angestrahlten Zweigen sitzt ZEIT: Besuchen Sie die Obdachlosen und
und Sebastian haben noch Glück. Gemeinsam kampieren sie in einer leer stehenden Fabrik im manchmal ein Obdachloser, wenn er allein sein will. 2. Benjamin, 44, kommt aus Island. Wie alle schauen, ob Ihre Spende ankommt?
Zentrum von Berlin. Sie teilen alles: Essen, Trinken, Desinfektionsmittel – und ihre Sorgen. Mit Protagonisten dieser Seite lebt er in einer ehemaligen Fabrik in Berlin. 3. Miriam ist seine Freundin. Kaib: Natürlich, ich war schon vor Ort.
dem Ausbruch der Corona-Pandemie fielen Hilfen für Obdachlose weg. So gibt es nur wenige Seit einem Jahr obdachlos, spricht sie ungern über ihre Vergangenheit, um sich zu schützen. 4. Der Und meine Familie und ich haben noch
Möglichkeiten, sich zu duschen. Informationen bekommen die drei vor allem über das Radio. Glücksbringer war ein Geschenk der evangelischen Kirche an Sebastian, er trägt ihn immer bei sich. eine Einladung, die wir gern annehmen.
Gegen die Isolation hilft der Kontakt zu Sozialarbeitern und Anwohnern aus dem Kiez. Zu diesen 5. Vor dem Fabrikeingang stand ein Zelt der Obdachlosen, das von Unbekannten angezündet
gehört auch die Fotografin Johanna-Maria Fritz. Ihre Porträts entstanden im März und April. wurde. 6. Sebastian, 35, war früher Koch. Ihn tröstet, wenn er an der Spree sitzen kann. Die Fragen stellte Evelyn Finger
29. APRIL 2020 DIE ZEIT No 19 T I T E LT H E M A : P I P P I L A N G S T R U M P F

ZEIT ZUM ENTDECKEN

Schieß
drauf!
Foto [M]: A.P.L. Allstar Picture Library/Beta Film

Anarchisch. Radikal. Frei. Wie Pippi Langstrumpf Frauen in der ganzen Welt ein Vorbild wurde  VON NINA PAUER
52 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
T I T E LT H E M A : P I P P I L A N G S T R U M P F

D
Schieß drauf !

»Die Regeln, die Pippi bricht, lernt sie erst

in dem Moment kennen, in dem sie gegen sie verstößt«
VON NINA PAUER

Eine krakelige Zeichnung auf einem Notiz-
block. Muskelpakete wölben sich auf dem
prallen Männeroberkörper. Auf der Brust
prangt ein »S« – S wie Superman. Im Nach-
hinein lässt sich nicht sagen, ob Astrid Lind-
gren, der der Notizblock einst gehört hat,
ihre Zeichnung 1944 als Kampfansage malte
oder einfach nur vor sich hingekritzelt hat.
In jedem Fall war es ein hochprophetisches
Bild. Denn der kleinen Protagonistin, deren
Geschichte Lindgren auf den folgenden
Seiten erstmals niederschrieb, stand eine
Karriere bevor, die die des – wenige Jahre
zuvor erschienenen – Comic-Helden Super-
man vielleicht sogar übertraf.
Heute ist Pippi der Welt so vertraut wie der
Weihnachtsmann. Mit ihr ist es wie mit einem
Familienmitglied: Sie war einfach immer
schon da. Stark, autonom, frech und freiheits-
liebend, so hat Pippi als übernatürliches­
Geschöpf ganze Generationen von Kindern
und Eltern geprägt, vor allem die Töchter und
Mütter. Doch welche Wirkung entfaltete sie
damals, bei ihrem Erscheinen? Welche Rolle
spielte sie für die Eman­zi­pa­tion der Frau? Und
ist sie noch wichtig für das heutige Bild von
Weiblichkeit?
Im Rückblick verhält es sich mit Pippi ähn-
lich wie mit den Frauenrechten: Welch ein
Meilenstein sie waren, begreift man erst, wenn
man sich in eine Welt ohne sie z­ urückversetzt.
Eine Welt, in der Frauen weder wählen noch
arbeiten dürfen, in der ihnen die Freiheit fehlt,
sich für oder gegen die Ehe zu entscheiden, für
oder gegen Kinder. Eine Welt, in der Töchter
still und gehorsam zu sein haben, lieb und
hübsch, selbstlos und fleißig. In ebenjene Welt
spazierte Pippi Langstrumpf hinein. Damit
ging vor 75 Jahren, am 26. November 1945,
eine Bombe hoch, in Kinderzimmern – und
in der ganzen Gesellschaft.
Bis dahin hatten die dicken Märchen-
bücher der Brüder Grimm die Kinder­
geprägt. Mädchen waren hier bestenfalls
Prinzessinnen, von ihren Königsvätern mal
diesem, mal jenem Prinzen versprochen.
Oder Figuren wie das Alpenkind Heidi
(von Johanna Spyri), die der Heimat ent-
rissen waren, um in der Stadt unter garsti-
gen Frauencharakteren (wie dem fiesen
Fräulein Rottenmeier) leiden zu müssen.
Doch bei Pippi – das war das Revolutionä-
re – gab es kein Leid mehr.
Glücklich und radikal angstbefreit lebt
Denn so untergeordnet die Rolle der Frau-
en damals war, es herrschte immerhin Ord-
nung. Und auch wenn Pippi auf die Mütter
der 1950er insgeheim einen Sog, einen sinis-
tren Zauber ausgeübt haben mag, es war zu-
nächst die Anziehungskraft von etwas Gefähr-
lichem. Nicht das Versprechen der Freiheit.
Trotz der anfänglichen Skepsis wurde
Pippi Langstrumpf zum Bestseller und da-
mit zum Main­ stream. Waren es in der
Kunst Salvador Dalí, Pablo Picasso und die
Dadaisten, die alte Ordnungen über Bord
kippten, so darf auch Pippi Langstrumpf
als Impuls einer Zeitenwende gelten. Einer
Wende für kleine Mädchen. Pippi und ihre
Schöpferin Astrid Lindgren werden aus
heutiger Sicht ganz selbstverständlich in die
Pippi also eine Ideologie vertrat, dann die der
Ideologiefreiheit.
Und so nimmt Pippi »eher aus Verse-
hen«, wie die Literaturprofessorin Barbara
Vinken feststellt, jenen Platz nicht ein, der
den Mädchen damals zugedacht war. Ohne
Eltern und festen Wohnsitz lebend, unbe-
einflusst durch Schule und sonstige Institu-
tionen, ist Pippi gar nicht erst so sozialisiert
worden, dass sie sich in einem rebellischen
Akt dieser Sozialisierung hätte widersetzen
müssen. Die Regeln, die Pippi bricht, lernt
sie erst in dem Moment kennen, in dem sie
gegen sie verstößt. Dann aber durchschaut
sie diese Vorschriften als ungerecht und
engstirnig. Und schickt sie mit einem Grin-
sen an den Absender zurück.
Frauenbild veränderte, wirkte Pippi dank
dieser wachsenden Beliebtheit eben doch
mit ihr und durch sie. Auf subversive Weise. letzen könnte. Deshalb muss Elsa auf Ge-
»Pippi Langstrumpf war mein Mädchen«,
antworten weltberühmte Frauen wie Mi-
chelle Obama auf die Frage nach den prä-
genden Figuren ihres Lebens heute. Als
Kraftquelle weiblicher Stärke wirkte Pippi
Langstrumpf in jenen fort, die seit Mäd-
chentagen anarchischen Vorbildern folgen
wollten, und trug so dazu bei, dass diese
Frauen selbst groß und ihrerseits Vorbilder letztlich doch eine Art logische Verlängerung
wurden für eine neue Generation. Für junge
Frauen von heute sind weibliche Führungs-
kräfte und Politikerinnen keine Ausnahme-
erscheinungen mehr. Pippi, von Astrid
Lindgren lange vor der Frauenbewegung der
Foto [M]: dpa; Illustration: Myriam Rathfelder für DIE ZEIT
kann zaubern –, diese aber nicht nutzen
darf, weil sie damit andere versehentlich ver-
heiß ihrer Eltern jahrelang im Schloss he-
rumsitzen. Eine junge Frau, die Macht hat,
weiß dummerweise nicht damit umzuge-
hen. Deshalb muss sie weggesperrt werden.
Das ist die Botschaft.
Ein kolossaler Rückschritt!
Oder doch nicht?
Dass Elsa nicht das Gegenteil, sondern
von Pippi ist, wird klar, wenn man das tut, was
Astrid Lindgren stets propagierte: Kindern
zuhören. Und sich mit dem aus­ein­an­der­setzt,
was sie begeistert. Wer dann die Eiskönigin
Elsa im zweiten Teil ihrer Geschichte – der
Fortsetzung ihrer Kino-Existenz – beobachtet,
sieht ein Mädchen, das wie Pippi ohne Eltern
lebt (die sind gestorben). Ein Mädchen, das
durch eigene Superkraft wie Pippi außerhalb
der Gesellschaft der Normalen steht, ein Mäd-
chen, das stets in Begleitung eines anderen,
angepassten und ängstlicheren Mädchens ist
(einer Art Annika, eines Gegenprogramms,
nur dass dieses hier Anna heißt). Und wie
Pippi trägt Elsa stets Zopf, nicht zwei, sondern
bloß einen, den sie allerdings löst, wenn sie
mit ihrem Pferd (!) mutig über das dunkle
Meer galoppiert (sie kann das Wasser unter
sich vereisen lassen).
Am Ende besiegt Elsa in glorreicher­
Eigenregie sämtliche Feinde und lebt ver-
eint mit der Natur im Wald. Ihre Kräfte
weiß sie nun selbstsicher einzusetzen, die
ehemals öde Anna krönt sie zur Königin
ihres Reiches und begründet damit eine Art
jugendliches Matriarchat, das ohne Erzie-
hungsberechtigte und nennenswerte männ-
liche Figuren auskommt.
Auf den zweiten Blick verbindet Elsa
mit Pippi also doch ein bemerkenswertes
Verwandtschaftsverhältnis. Für Kinder ist
die Sache klar: Das stärkste Mädchen der
Welt gibt es nun eben zweimal. Oder so-
gar dreimal?
Eine weitere geheime Erbin von Pippi
Langstrumpf ist nämlich aufgetaucht. Ein
Mädchen, das wie sie aus Schweden kommt,
erst zwei Zöpfe trug und nun einen, das wie
Pippi mit seinem Papa über die Meere s­ egelt
und wie Pippi Millionen von Kindern h ­ inter
sich versammelt. Zwar aus ganz ­ anderen
Gründen als Pippi, aber nicht ­weniger ent-

Pippi ohne Vater und Mutter in einer­
eigenen Villa, fröhlich, unbeschwert, voll
der Selbstliebe und der Liebe für andere.
Im Gegensatz zu vielen ihrer ersten klei-
nen Leserinnen und Leser hatte sie nie
unter Hunger gelitten, keine einzige Nacht
im Bombenkeller verbracht, sie kannte
keinen Krieg und keine gewalttätigen El-
tern oder Lehrer.
Körperlich und seelisch unversehrt war
diese Pippi – und in dieser Unversehrtheit
fast unbedrohbar. Bei ihr gab es alles, was
es für die Kinder der Kriegs- und Nach-
kriegszeiten nicht gab: genug Platz, Geld
im Überfluss, Essen und Süßigkeiten ohne
Ende. Regelrechte Orgien veranstaltete
Pippi mit Pfefferkuchen und Pfannkuchen.
Ein freies und verrücktes Leben, zusam-
men mit Tieren und Freunden inmitten
idyllischer Natur – den Kindern der
1940er und 1950er muss es vorgekommen
sein, als ginge die Sonne auf über einer
engen, düsteren Welt.
Kein Wunder, dass Pippi von diesen Kin-
dern vom ersten Moment an geliebt wurde.
»Ich habe Pippi angehimmelt«, erinnert sich
etwa das erste deutsche Mädchen, die Pippi-
Bücher lesen durfte. Silke Weitendorf ist
heute 79 Jahre alt, aber noch immer weiß
die Stieftochter des Lindgren-Verlegers
Friedrich Oetinger, wie stolz sie war, als an
ihrem zehnten Geburtstag ihren Freundin-
nen und ihr selbst aus dem neuesten Pippi-
Band vorgelesen wurde. Nicht bei allen stieß
das auf Beifall. Verschnupft hätten manche
Mütter der Freundinnen auf Pippi reagiert,
erinnert sich Weitendorf – »teilweise ein
bisschen heftig«. Dieses ungepflegte rothaa-
rige Mädchen – was für ein grauenhaftes
Vorbild für die eigene Tochter!
Phalanx der großen feministischen Figuren
eingeordnet. Das starke Mädchen und ihre
willensstarke Erfinderin, eine Alleinerzie-
hende, die mit achtzehn schwanger gewor-
den war, sich dagegen entschieden hatte,
den viel älteren Vater des Kindes zu heira-
ten, und dafür einen hohen Preis bezahlte.
Die Stärke beider, von Astrid wie Pippi,
entsprang keineswegs der theoretischen fe-
ministischen Aus­ein­an­der­set­zung – sondern
kam direkt aus dem Leben. »Pippi ist eine
Idee, kein von Anfang an durchgeplanter
Typus«, hat Lindgren einmal über die be-
rühmteste ihrer Figuren gesagt. Pippi war eben
nicht als Vehikel ersonnen worden, um irgend-
eine Weltsicht, irgendeine Form der Program-
matik am Beispiel durchzudeklinieren. Wie
Astrid Lindgren selbst betete Pippi keine
frauenrechtlerischen Pamphlete herunter, sie
existierte einfach. Anarchisch. Radikal. Frei.
Und immer auf Gerechtigkeit bedacht. Wenn
Es mag ebendieser eher intuitive als
durchdachte Charakter der Pippi gewesen
sein, der sie – anders als vielleicht zu erwar-
ten – gerade nicht zu einer Ikone der
Frauen­ bewegung werden ließ. Ein weib­
licher Che Guevara oder ein feministischer
Marx, den man sich übers Bett hängte, war
sie nie. Die Frauen der 1968er-Bewegung
benannten keine Gesprächskreise nach ihr,
sie suchten lieber nach realen, erwachsenen,
ernsten und vor allem intellektuellen Vor-
bildern wie Si­mone de Beauvoir oder Clara
Zetkin. Pippi war für sie nichts weiter als
eine Figur aus einem Kinderbuch.
Und doch geschah es genau in den Jah-
ren der Studentenbewegung, also 1968 und
1969, dass die Pippi-Bücher verfilmt wur-
den und als Serie ins Fernsehen kamen. Die
mediale Bebilderung versetzte Pippis Popu-
larität einen massiven Schub. Während sich
die Frauenbewegung formierte und das
schieden legt sich die 17-jährige Greta Thun-
berg mit allen Autoritäten an. Sie verweigert
die Schule und bringt Er­wachsene – unter
ihnen die mächtigsten Poli­tiker und Wirt-
schaftskapitäne der Welt – auf die ­Palme.
Als »Superkraft« bezeichnete Gretas Mut-
ter den Asperger-Autismus ihrer ­Tochter,
jene psychische Erkrankung, die Greta
eine absolute Andersartigkeit ­verleiht und
damit eine Ressource, die vielen unheim-
lich ist.
Greta selbst hat in ihren vielen Anspra-
chen vor den UN und anderswo kein Wort
über Pippi verloren. Hätte es ihr nicht­
genutzt, sich als unverkennbares Pippi-­
Zitat vor die Welt zu stellen? Oder wirkt
Pippis Stärke gerade deshalb, weil Greta
sich gar nicht erst auf sie bezieht, sondern
lieber gleich zu leben versucht wie sie?
1960er- und 1970er-Jahre entworfen, ist­ Auch ­Gretas Fans und Follower sind nicht
damit nicht nur eine prä-, sondern zugleich darauf eingegangen.
eine postfeministische Figur. Ein Symbol für Nur ein Mal. Im Internet kursiert eine
die zeitlose Durchsetzungskraft der Frauen. Zeichnung, auf der sieht man Greta Thun-
Mütter verschenken Pippis Abenteuer heute berg, wie sie ein Pappschild hochhält, auf
nicht mehr zähneknirschend, sondern mit dem ­»Save the planet« steht. Der Schatten,
Freude an ihre Töchter. den sie wirft, ist jedoch nicht ihr eigener.
Und die Kinder selbst? Fragt man kleine An der Wand hinter ihr bildet das Papp-
Mädchen, wer das stärkste Mädchen der schild den Schattenriss eines Pferdes,
Welt sei, antworten sie nicht automatisch hochgestemmt von zwei dünnen Mäd­chen­
mit dem P-Wort, das ihre Mütter vielleicht armen, und statt der hängenden Zöpfe der
erwarten. Heute heißt es viel öfter: Elsa. Greta stehen die zwei wohlbekannten der
Eine neue Heldin kleiner Mädchen ist auf- Pippi waagrecht rechts und links vom
getaucht, ein Albtraum für selbstbewusste Kopf ab.
Frauen. Elsa, der Kino-Kassenschlager aus Hinter Greta baut sich, unverkennbar,
dem Hause Disney, zieht Mädchen in ihren Pippi Langstrumpf auf. Als Silhouette zwar
Bann. Auf den ersten Blick erscheint sie als nur angedeutet, aber ohne Zweifel: Sie ist
Anti-Pippi: eine Prinzessin in Glitzer und es. Das stärkste Mädchen der Welt hinter
Pastell, mit riesigen Wim­per­klimper­augen dem stärksten Mädchen der Welt – dieses
und einer überirdischen Wespentaille. Eine, Mal ist das Bild der Superheldin nicht nur
die zwar auch über Superkraft verfügt – sie dahingekritzelt. Sondern volle Absicht.
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
V
Von bedeutenden Menschen heißt es, sie hin-
terließen große Fußstapfen. Astrid Lindgrens
Spuren sind eher klein: Vor dem schmalen Holz-
bett in ihrer Stockholmer Wohnung ist der
braune Teppich an zwei Stellen durchgewetzt.
Fünfzig Jahre lang hat Lindgren hier jeden Mor-
gen ihre Füße aus dem Bett geschwungen und
immer an genau derselben Stelle abgesetzt. »Spä-
testens hier kommen den Besuchern die Tränen«,
sagt Johan Palmberg. Er ist Lindgrens Urenkel
und führt durch die Wohnung. Seit 2015 ist sie
für kleine Besuchergruppen geöffnet. Das Zim-
mer mit den Fußabdrücken ist der Abschluss
jedes Rundgangs, der zugleich eine Zeitreise ist.
In den Morgenstunden des 28. Januar 2002
starb Astrid Lindgren in diesem Bett, in dieser
Wohnung. Seither wurde hier nichts verändert:
die mechanische Schreibmaschine im Arbeits-
zimmer, die Brille auf dem Sofatisch, selbst der
Ketchup im Kühlschrank – alles auf den 150
Quadratmetern ist genau wie am Tag ihres Todes.
Lindgrens Urenkel Johan, damals elf Jahre
alt, wurde aus der Schule geholt und traf in der
Dalagatan 46 auf seine trauernde Familie. »Alle
weinten, das hatte ich zuvor nie gesehen«, sagt
der heute 29-Jährige. Jeder verabschiedete sich
einzeln von Astrid. Auch er. Und als die Familie
gegen Mitternacht auf die Straße trat, lag zu ih-
ren Füßen ein Meer aus Blumen und brennenden
Kerzen. Zur Trauerfeier in der Storkyrkan, dem
Stockholmer Dom, kamen der Ministerpräsident
und die königliche Familie, Zehntausende Men-
schen säumten die Straßen.
Je älter Astrid Lindgren wurde, desto größer
war ihr Ansehen. Auch weil sie sich in politische
Debatten einmischte (für Tierschutz, gegen zu
hohe Steuern, für eine gewaltfreie Erziehung),
war sie für viele weit mehr als die berühmte Kin-
derbuchautorin. Noch zu Lebzeiten kürte man
sie zur »Schwedin des Jahrhunderts« und benann-
te einen Asteroiden nach ihr, inzwischen ziert ihr
Gesicht die 20-Kronen-Banknote. 20 Kronen,
das sind nicht einmal 2 Euro, doch man wählte
absichtlich einen geringen Wert, damit möglichst
viele Kinder mit dem Schein bezahlen können.
Alles begann vor 75 Jahren mit einem rot-
bezopften kleinen »Übermenschen«, wie Lind-
gren selbst einmal sagte – mit Pippi Langstrumpf.
Im November 1945 erschien das Buch der da-
mals noch unbekannten Autorin. Bis heute ist
Pippi die erfolgreichste unter all den berühmten
Lindgren-Figuren, wie Michel aus Lönneberga,
Karlsson vom Dach, die Brüder Löwenherz,
Ronja Räubertochter und die Kinder aus der
Krachmacherstraße. Die Pippi-Bücher wurden
in 77 Sprachen übersetzt und mehr als 66 Mil-
lionen Mal verkauft.
Jetzt, zum 75. Geburtstag, soll die ewig
Neunjährige kräftig gefeiert werden: mit Jubi-
läumsbüchern und einer englischsprachigen
Neuverfilmung (die Produzenten von Harry
Potter und Paddington wurden verpflichtet).
Theaterstücke, Musicals und Lesungen muss-
ten wegen der Corona-Pandemie aufgescho-
ben werden. Doch Pippi-Tassen, Pippi-Arm-
bänder, Pippi-Bügelperlen und Pippi-Pullis
kann man online bestellen.
Würde Astrid Lindgren dieser Rummel gefal-
len? Dieser Frage müssen sich Lindgrens Nach-
fahren stellen: ihre Tochter, ihre Enkel und ihre
Urenkel. Sie haben es sich zum Lebensinhalt
gemacht, das Andenken ihrer Vorfahrin zu be-
wahren, ihr Werk zu schützen – und Geld damit
zu verdienen. Astrid Lindgrens Nachlass ist für
ihre Familie das, was für Pippi ihr Koffer voller
Goldstücke war.
Der Familienkonzern
»Pippi ist unsere stärkste Marke«, sagt Olle Ny-
man. Der 51-Jährige ist Astrid Lindgrens Enkel
und Chef der Astrid Lindgren Company. An-
fangs kümmerte sich die Familie mit zwei, drei
Mann um die Rechtefragen der Lindgren-­
Stoffe, heute sind fast 20 Mitarbeiter damit be-
schäftigt, Buch-, Illustrations-, Film-, Musik-,
Theaterrechte und Merchandise-Produkte zu
lizenzieren. Zum Konzern gehört inzwischen
auch der hauseigene Verlag »Astrid Lindgren
Text«, in dem die Familie Stoffe für erwachsene
Leser veröffentlicht – etwa Lindgrens Kriegs­
tagebücher. Und dann gibt es noch den Freizeit-
park Astrid Lindgrens Welt und das Museum
Näs in Vimmerby. Zuletzt machte der Konzern
53
T I T E LT H E M A : P I P P I L A N G S T R U M P F
DIE ERBEN
Johan Palmberg, 29, Urenkel
von Astrid Lindgren,
kümmert sich um die digitale
Fotos: Linus Sundahl-Djerf für DIE ZEIT; Meli Petersson Ellafi/dpa; Interfoto (v.o.); Illustration: Myriam Rathfelder für DIE ZEIT
Verwertung von Lindgrens Werk
Olle Nyman, 51, Enkel,
ist Chef der Astrid Lindgren
Company. Sein Lindgren-Lieblings-
buch ist »Karlsson vom Dach«
Karin Nyman, 85, Tochter
von Astrid Lindgren. Sie erfand
im Alter von sieben Jahren
den Namen Pippi Langstrumpf
Astrid Lindgren, geboren
am 14. 11. 1907, gestorben
am 28. 1. 2002
einen Jahresumsatz von knapp 24 Millionen
Euro mit der »Marke Lindgren«.
Eine Marke, über die die Familie streng
wacht. Die Nachkommen lassen Plagiate auf-
spüren und verbieten. »Dann verklagen wir sie«,
ist ein Satz, der auf den Fluren der Company mit
großer Selbstverständlichkeit ausgesprochen
wird. Derzeit läuft ein Verfahren gegen das deut-
sche Pippi-Lied (»Ich mach mir die Welt, wide-
wide wie sie mir gefällt«), weil weder Lindgren
noch ihre Erben an den Erlösen beteiligt waren.
Verzwickt wird es, wenn man nicht klagen
kann – etwa bei falschen Zitaten: Einmal mel-
dete sich eine Deutsche und bat um die schwe-
dische Übersetzung des Pippi-Satzes »Sei wild und
frech und wunderbar«, weil sie ihn sich als Tattoo
stechen lassen wollte. Bloß stammt der gar nicht
von Lindgren, er hatte sich über eine nicht geneh-
migte Postkarte in Deutschland verbreitet. Den
deutschen Fan störte das nicht, die Erben sehr:
Postkarten können sie verbieten, den Satz kriegen
sie nicht mehr aus der Welt.
Wütend wird die Familie, wenn ihre Vor-
fahrin für eine üble Sache vereinnahmt werden
soll. Als 2019 der Vorsitzende der rechtsnatio-
nalen Partei Alternativ för Sverige erklärte, er
würde einen blonden Michel immer einem
Flüchtlingskind vorziehen, setzte sich Olle
Nyman mit einem offenen Brief in den Medien
zur Wehr: Nichts widerspreche den Werten
seiner Großmutter mehr als Fremdenhass.
Zum Pippi-Jubiläum sammeln die Erben Geld
für Mädchen auf der Flucht.
Um die Kontrolle über ihr Werk zu behalten,
tat schon Astrid Lindgren zu Lebzeiten viel:
Pippi Langstrumpf sollte ein Theaterstück wer-
den? Lindgren schrieb das Skript. Ronja Räuber-
tochter sollte verfilmt werden? Lindgren schrieb
das Drehbuch. Man brauchte Gesang zur Musik?
Lindgren schrieb die Texte. Es habe sie gestört,
wenn andere ihr Werk bearbeiteten, sagen ihre
Erben. Übersetzern schickte sie schon mal sehr
genaue »Anregungen«. Und wenn Schüler ihr in
Briefen offenbarten, sie hätten eine Lindgren-
Geschichte umgeschrieben, antwortete sie: »Tut
das nie wieder!«
Die Bücher waren Lindgren immer das Wich-
tigste, doch obwohl es allesamt Klassiker sind,
verkaufen sie sich nicht von allein. Der Buch-
markt sei getrieben von Novitäten, sagt der Com-
pany-Chef. Da Lindgren nichts Neues mehr
schreiben kann, wird das Alte immer wieder »um-
verpackt«: Mal werden Illustrationen aus den
Sechzigerjahren koloriert, mal wird ganz neu be-
bildert, mal gestaltet man Passagen eines Romans
zu eigenständigen Bilderbüchern um. Wichtig
sind außerdem neue Märkte: Nirgendwo würden
heute so viele Lindgren-Bücher verkauft wie in
China, sagt Nyman.
Wie gut man mit der schwedischen Autorin
verdienen kann, weiß auch der Hamburger
Oetinger Verlag. 20 Prozent des Jahresumsatzes
macht er mit Lindgren. Als Friedrich Oetinger
1949 die Pippi kaufte, war das für beide Seiten
ein Gewinn: Die deutsche Übersetzung legte
den Grundstein für Lindgrens internationalen
Durchbruch, und der Hamburger Verlag hatte
die Kinderbuchautorin der Nachkriegszeit
unter Vertrag. Inzwischen muss man sich auch
bei Oetinger mit den globalen Vermarktungs-
plänen der Erben arrangieren. Zum Jubiläum
erscheinen hierzulande erstmals die Pippi-­
Geschichten mit den schwedischen Original-
Illustrationen. Wenn es nach Olle Nyman
ginge, sollte Pippi weltweit nur ein Gesicht
haben – das alte schwedische. Aus Marketing-
sicht einleuchtend und lukrativ, denn Lind-
grens Erben halten die Rechte an diesen Illus-
trationen, verdienen also doppelt.
»Was habe ich nur für eine gotteserbärm­
Pippis Erben
liche Menge Geld verdient ... Das macht mir
Angst. Ich will kein Geld haben«, schrieb Lind-
gren an Weihnachten 1972 in ihr Tagebuch.
Der Konzern ihrer Nachfahren zielt hingegen
auf Wachstum, business, brands und global stra-
tegies: Würde Astrid Lindgren das verstehen?
»Sie war klug und hatte durchaus einen Sinn
fürs Geschäft«, sagt ihr Enkel Olle Nyman.
»Gleichzeitig hätte sie vermutlich gedacht, dass
all das doch nicht so wichtig ist.«
Lindgren selbst stellte strenge Regeln auf, etwa
Astrid Lindgren war es immer wichtig, möglichst viel Kontrolle über ihr Werk zu haben. für Merchandising. Wenn schon, dann sollten es
Ihre Nachkommen haben von ihr gelernt – und verdienen gut daran  VON KATRIN HÖRNLEIN Fortsetzung auf S. 54
 54
Fortsetzung von S. 53
Dinge sein, mit denen Kinder wirklich Spaß
haben. Lernspielzeuge waren ihr ein Graus.
Und heute? »Ich muss meiner Großmutter
nach jeder Entscheidung in die Augen sehen
können«, sagt Olle Nyman und blickt zur
Wand. Wie eine Mahnung hängt dort, seinem
Schreibtisch gegenüber, ein überlebensgroßes
Schwarz-Weiß-Porträt Lindgrens. Wenn man
dann im Foyer aber auf eine hüfthohe, auf
Knopfdruck losplappernde Pippi Lang-
strumpf-Puppe trifft, beschleicht einen der
Verdacht, dass Nyman bei gewissen Entschei-
dungen am Foto der Oma vorbeischaut.
Die marinierte Tochter
In einem Häuschen im Stockholmer Schären-
garten sitzen am Vorabend von Lindgrens
Geburtstag zwei Frauen auf einem Sofa und
erinnern sich an die Autorin, die das Leben so
vieler Menschen prägte. Auch das ihre. Im
ersten Moment könnte man glauben, Astrid
Lindgren selbst säße da, doch es ist ihre Toch-
ter Karin, ihrerseits 85 Jahre alt. Im Alter ist
sie der Mutter sehr ähnlich geworden.
Ohne Karin Nyman gäbe es keine Pippi
Langstrumpf. Als die damals Siebenjährige im
Winter 1941 mit einer Lungenentzündung
im Bett lag, forderte sie Geschichte um Ge-
schichte von ihrer Mutter. Und eines Abends
rief Karin: »Erzähl mir von Pippi Lang-
strumpf!« So kam eine Kinderbuchheldin in
die Welt, die stärker ist als alle Erwachsenen.
Dass den Anstoß dafür ein von einem Kind
spontan erfundener Name gab: Man hätte es
sich nicht schöner ausdenken können.
Das weiße Kinderbett mit den Holzschnit-
zereien, in dem Karin damals lag, steht übri-
gens noch immer in Lindgrens Stockholmer
Wohnung. »Sitt inte här – tack!« – »Hier bitte
nicht hinsetzen – danke!«, warnt das Papier
auf der blau karierten Tagesdecke. Wie sich
die erwachsene Tochter Karin und ihre alte
Mutter Astrid noch einmal in dieses Kinder-
bett quetschten, kann man auf einem Foto an
der Wand sehen.
An diesem Abend sitzt Karin Nyman neben
Silke Weitendorf, 79, die ihrerseits eine enge
Beziehung zu Pippi hat: Sie ist die Stieftochter
des Hamburger Verlegers Friedrich Oetinger
und war das erste deutsche Kind, das Pippi
lesen durfte. Seit je waren die Lindgrens und
die Oetingers mehr als Geschäftspartner: Astrid
Lindgren übernachtete im Haus ihres Verle-
gers, man schrieb einander persönliche Briefe.
Und auch die Töchter pflegen bis heute eine
Art Freundschaft. Anders als Silke Weitendorf,
die viele Jahre den Hamburger Verlag leitete,
hat Karin Nyman nie in der Lindgren Com-
pany gearbeitet; aber sie schwebt wie eine all-
mächtige Instanz über allem. Ihr Sohn Olle
sagt, niemand wisse so genau, was Astrid ge-
wollt hätte, wie seine Mutter; sie sei in den
Werten und Gedanken der Großmutter »ma-
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riniert« worden. Und er gibt zu, dass diese
Marinade mit jeder Generation dünner wird.
Karin Nyman sagt: »Ich staune, in was sich
unser kleines Büro verwandelt hat. Es ist ein
bisschen unheimlich, dass Astrid immer und
immer größer wird.« Und Silke Weitendorf
erwidert: »Ich glaube, das ist das Werk deiner
Kinder, Karin. Die sind so busy!« Was würde
Lindgren zu alledem sagen? »Sie wäre froh
darüber, aber auch ein bisschen verängstigt«,
sagt Karin Nyman. »Ich erinnere mich, in ihren
letzten Jahren, als ihre Augen so schlecht wa-
ren, da mussten wir ihr vorlesen. Eines Tages
las ich zwei oder drei Briefe, in denen Men-
schen schrieben, wie wichtig ihre Bücher für
sie gewesen waren. Wie sie damit ihre eigene
schlechte Kindheit bewältigt hätten. Astrid
unterbrach mich, schaute mich an und sagte:
›Findest du nicht, dass das bemerkenswert ist?‹
Sie war wirklich angerührt.«
All das wäre nicht geschehen, hätte sich
Karin vor bald 80 Jahren nicht den Namen
Pippi Langstrumpf ausgedacht. Die 85-Jäh-
rige lacht. Pippi hat sie ihr ganzes Leben be-
gleitet, »aber ich selbst war kein starkes Mäd-
chen. Ich war eher Annika.«
Die Magie im Kleiderschrank
Astrid Lindgren hatte Superkräfte, davon ist
Kerstin Kvint überzeugt. Etwas von dieser
Kraft, erzählt die 83-Jährige, steckt heute in
ihrem Kleiderschrank. An Tagen, an denen sie
etwas mehr Glück braucht, öffnet sie ihn und
streicht über die Ärmel einer rosafarbenen
Strickjacke. Sie gehörte einst Lindgren, Kers-
tin Kvint hat sie als Erinnerung an fünfzig
gemeinsame Jahre behalten: 1952 lernte Kvint
die Autorin kennen. Die 15-Jährige fing da-
mals als »kontorsflicka« (Mädchen für alles)
im Verlag Rabén & Sjögren an, wo Lindgrens
Kinderbücher bis heute erscheinen und wo
die Autorin gleich noch selbst die Chefin fürs
Kinderbuch war. Später kümmerte sich Kvint
darum, Lindgrens Romane ins Ausland zu ver-
kaufen, und als die Autorin alt wurde, be-
suchte Kvint sie zweimal die Woche in der
Dalagatan, ging die Post mit ihr durch und
beantwortete Briefe. Wenn Kerstin Kvint am
Ende eines Arbeitstages sagte: »Heute waren
wir beide aber tüchtig«, war die typische Lind-
gren-Antwort: »Ja, besonders du!«
Glücklich sei Lindgren gewesen, wenn sie
keine Verpflichtungen hatte. Kvint erinnert
sich an einen Besuch: Astrid saß mit hochge-
legten Beinen auf Kvints Sofa, es lief Musik,
sie summte mit und nickte mitunter ein wenig
ein. Beim Essen sagte sie dann: »Wenn ich mal
so richtig alt bin, kann ich doch vielleicht hier
einziehen?«
In den letzten drei Lebensjahren, erzählt
Kvint wehmütig, habe sich Lindgren dann sehr
verändert. »Sie hatte einen Schlaganfall, ver-
stummte für einige Zeit. Sie verstand, was man
sagte, wollte aber nicht sprechen.« Doch dann,
urplötzlich, sei der alte Witz wieder aufgeblitzt.
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Als Kvint 65 Jahre alt wurde, sagte sie zu ihrer
Chefin: »Kannst du dir das vorstellen, jetzt bin
ich Rentnerin!« Die Chefin erwiderte: »Von
mir wirst du dich ja wohl nicht pensionieren
lassen.« Kvint antwortete: »Uns kann nur der
Tod trennen.« Kerstin Kvint schmunzelt, als sie
das erzählt. »Aha, so siehst du das?«, habe Lind-
gren nämlich hintersinnig geantwortet, »und
was soll ich dann tun? Herumlaufen und schrei-
en?« Einen Monat später starb sie.
Pippis Heimat
Man begrub Astrid Lindgren in ihrer Ge-
burtsstadt Vimmerby in Småland, 300 Kilo-
meter südlich von Stockholm. Hier liegt sie
bei ihren Eltern und ihrem Bruder Gunnar.
Ohne Statue, ohne Pomp, ein großer Natur-
stein trägt ihre geschwungene Unterschrift.
Ohne Karin Nyman Die Ruhe, die Lindgren im Leben ersehnte,
hat sie hier gefunden.
Der 28. Januar 2020, Lindgrens Todestag,
gäbe es keine Pippi. ist kalt und regnerisch. Geduckt huschen ein
paar Gestalten über den Hauptplatz der klei-
nen, kleinen Stadt, auf dem die Autorin als
Als die damals Skulptur noch immer an der Schreibmaschine
sitzt. Ein dicker Regentropfen hängt an der
kupfernen Nase. Auf den Friedhof hat sich
Siebenjährige 1941
niemand verirrt. Kein Blumenmeer, nur zwei
kleine, herbstliche Kränze liegen auf dem
Grab. Die Kerze in der Laterne ist auf die Seite
gekippt. Auch Stunden später hat niemand sie
mit einer aufgerichtet und entzündet.
Während Lindgrens Grab mit der Däm-
merung verschmilzt, wird anderthalb Kilo-
Lungenentzündung meter entfernt ein Gebäude von grellen
Scheinwerfern angestrahlt: die »Villa Kunter-
bunt« der Pippi Langstrumpf. Sie steht in
im Bett lag, forderte »Astrid Lindgrens Welt« und ist in diesen Ja-
nuartagen eine Großbaustelle. In dem Freizeit-
park – halb Freilichttheater, halb Waldspiel-
sie Geschichte um
platz – wird Pippis Jubiläum mit dem Neubau
der »Villa Villekulla« gefeiert: Drei Stock-
werke, die Front lässt sich öffnen, auf den
Geschichte von ihrer
Rängen finden demnächst 2000 (statt vormals
1000) Zuschauer Platz. Noch aber stehen
behelmte Bauarbeiter im Regen und hämmern
stoisch gegen das schlechte Wetter an.
Mutter. Und eines Lena Möller, Marketingchefin von Astrid
Lindgrens Welt, steuert ihr Auto über die
Wege, auf denen man sich sonst nur mit
Abends rief Karin: Bollerwagen fortbewegen darf. Wie auf einer
Lindgren-Safari geht es von Pippis Villa
Kunterbunt vorbei an Maditas Birkenlund
»Erzähl mir von und Ronjas Mattisburg bis zum Heckenro-
sental der Brüder Löwenherz, ach und da
drüben liegt Michels Katthult.
Pippi Langstrumpf!«
Grund und Boden des Freizeitparks wurden
früher von Lindgrens Vorfahren bewirtschaftet.
Lena Möller zeigt auf einen Wall aus bemoos-
ten Felsen und sagt: »Die hat Astrids Großvater
hier aufgetürmt.« An einem moderigen Tümpel
vorbeizockelnd bemerkt sie: »Da hat Astrid
Lindgren Schlittschuhlaufen gelernt.« Besu-
cher, die hier im Sommer zu Tausenden herum-
spazieren und sich die Theatervorstellungen
anschauen, ahnen davon nichts. In der ver-
gangenen Saison hat der Park mehr als eine
halbe Million Gäste gezählt: ordentlich Umsatz
für den Lindgren-Konzern. Das Rekordergeb-
nis sollte mit der Pippi-Party in diesem Jahr
übertroffen werden, dann kam Corona. Der
Park ist geschlossen. Wann er wieder öffnen
kann? Ungewiss.
Lena Möller fährt weiter zu einer Holz-
hütte mitten im Park, die in den Achtziger-
jahren noch einsam im Wald lag. Drei Fami-
ür
Exklusiv f
lien aus Vimmerby hatten sie damals errichtet
und Lindgren gefragt, ob sie hier Michel-
Studenten Theater spielen dürften. In den Folgejahren
wurde daraus ein Märchendorf, das zum Frei-
zeitpark anwuchs. 2010 fanden Lindgrens
Erben, sie müssten hier nun »Verantwortung«
übernehmen und kauften Astrid Lindgrens
Värld. Dass sie nur sehr wenig dafür zahlten,
ärgerte so manchen in Vimmerby. Doch das
Recht war aufseiten der Erben: Was den Park
wertvoll mache, urteilten Gutachter, seien
Lindgrens Geschichten – und die gehörten
nun einmal den Nachfahren.
Heute bemühen die sich, als guter Partner
und Arbeitgeber aufzutreten: Im Sommer gibt
es hier normalerweise Jobs für 600 Saison-
t ens
kräfte, die Gastronomie setzt auf Produkte aus
b e s der Region. Allerdings wohnen die meisten
Besucher nicht im Ort, sondern schlafen in
einem der 1100 Betten der parkeigenen Un-
terkünfte. Dass sich der ein oder andere mal
in die Innenstadt verirrt und dort einen Kaffee
trinkt, muss reichen für Vimmerby.
Lindgren war ihr Heimatstädtchen zeit­
lebens wichtig, immer wieder kehrte sie an den
Ort zurück, an dem sie als Kind so glücklich
gewesen war. In den Sechzigerjahren kaufte sie
den Pachthof ihrer Eltern, sammelte allerlei
Möbel, Teppiche und Küchengeräte, die ihrer
up-
Erinnerung nach ins Haus passten. Wenn es
schon ein Lindgren-Museum geben müsse,
dann sollte es hier sein.
d Karriere
Durch die Hintertür betreten die Besucher
heute die alte Bauernküche und können noch
einmal Lindgrens Stimme vom Band lauschen.
Auf Schwedisch erzählt sie, wie sie und ihre
Geschwister hier gespielt und der Magd die
Liebesbriefe abgeluchst haben.
Vieles von dem, was die Autorin erlebte,
fand sich später in ihren Geschichten: Im
Garten steht eine knorrige Ulme, das Vorbild
für Pippis Limonadenbaum. Im Familien-
schlafzimmer spielten Astrid und ihre Ge-
schwister das Nicht-den-Boden-berühren-
Spiel, das Pippi den braven Nachbarskindern
Tommy und Annika vormacht. Und in der
guten Stube steht ein Harmonium, zu dem es
29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
eine Anekdote aus Lindgrens Kindheit gibt,
die ahnen lässt, aus welchem Holz Pippi ge-
schnitzt war: Die Familie war sehr musikalisch,
die Stunden am Harmonium aber verabscheu-
te Astrid. Um vom Unterricht befreit zu wer-
den, stellte sie sich neben dem Instrument so
lange auf den Kopf, bis der schmerzte.
Letzte Geheimnisse
Zu ihrem Lebensende glaubte man, Lind-
grens Biografie sei bis ins Detail ausgeleuch-
tet. Und doch kam manches erst nach ihrem
Tode ans Licht, zum Beispiel, warum sie ih-
ren Sohn Lasse nach der Geburt bei einer
Pflegefamilie zurückließ. Der Kindsvater,
Chefredakteur der Vimmerby Tidning, steck-
te in einem schwierigen Scheidungsverfah-
ren. Wäre die Vaterschaft bekannt geworden,
hätte ihm eine empfindliche Strafe gedroht.
Dass ausgerechnet diese Zeit aus Lindgrens
Leben vor zwei Jahren zu einem Spielfilm
wurde, hat ihre Familie erzürnt: »Meine
Mutter hätte getobt, wenn sie das noch er-
lebt hätte«, sagt ihre Tochter Karin Nyman.
Anderes wollte Lindgren die Welt nach
ihrem Tod aber sehr wohl wissen lassen. Zehn
Jahre lang verbrachte die Literaturwissenschaft-
lerin Lena Törnqvist damit, in der Königlichen
Bibliothek zu Stockholm Lindgrens Nachlass
zu katalogisieren. Er füllt im Keller des impo-
santen Gebäudes 160 Regalmeter. Lindgren
hatte der Bibliothek schon zu Lebzeiten Briefe
und Manuskripte geschenkt. Einiges aber hielt
sie in Kisten auf dem Dachboden zurück, das
durfte erst nach ihrem Tod umziehen.
Törnqvist sortierte allerhand Papiere: Origina-
le von Geschichten lagen neben Grußkärtchen
und Abrechnungen ausländischer Verlage. Sie
wühlte sich durch 75.000 Briefe an die Autorin
(ein Drittel von Kindern), durch 100.000
Zeitungsausschnitte, stapelweise Theaterpla-
kate, Zeichnungen, Fotos. Es ist das größte
Archiv, das ein einziger Schwede je hinterlassen
hat. 2005 wurde es ins Unesco-Weltkulturerbe
aufgenommen.
Törnqvist, die im selben Jahr wie Pippi ge-
boren wurde, ist seit zehn Jahren in Rente. Sie
darf nicht mehr in die Keller hinunter, hat aber
ausgewählte Dokumente bestellt, die sie im
Lesesaal ausbreitet: Eine Fotokopie der Ur-
Pippi, die Lindgren ihrer Tochter Karin zum
zehnten Geburtstag schenkte (das Original liegt
im Safe der Erben). Törnqvist löst ein rotes
Glitzerband von einem Stapel betippter Seiten:
Das Manuskript zu Ronja Räubertochter, Lind-
grens letztem Buch. In einer dicken Mappe sind
Briefe von deutschen Kindern. »Hätte Astrid
nicht so viel Post bekommen, hätten wir viel-
leicht ein oder zwei Bücher mehr«, sagt die
Bibliothekarin.
Auch im Archiv: das Herzstück des Lind-
grens-Werks – 658 DIN-A5-Notizblöcke voll
mit kryptischen Kringeln. Es sind die Ge-
schichten in Stenografie. Lindgren, die aus-
gebildete Sekretärin war, schrieb ihre Manu-
skripte in Kurzschrift. Erst wenn sie mit einem
Text ganz zufrieden war, tippte sie ihn ab. Man
finde daher kaum Korrekturen, sagt Lena
Törnqvist. Alle Arbeit, alle Änderungen muss
sie in Steno gemacht haben – bloß kann das
kaum einer lesen. Bei erfahrenen Stenotypis-
tinnen wie Lindgren ähneln die Zeichen einer
Geheimschrift. Törnqvist entzifferte, unter-
stützt von einer Kurzschrift-Expertin, lediglich
die Beschriftungen der Blockdeckel.
Könnten sich in diesen Blöcken weitere,
unbekannte Lindgren-Geschichten verbergen?
»Keine Ahnung«, sagt Lena Törnqvist. Aber sie
habe gehört, dass ein Lindgren-Nachfahre ge-
rade Steno lerne: der Urenkel Johan Palmberg.
In Astrid Lindgrens Wohnung hebt der ein
Seil vom Wohnzimmersofa, setzt sich und sagt:
»Um die Absperrung müssen wir uns heute
nicht kümmern.« Ganz selbstverständlich
bewegt er sich in diesen Räumen, die doch ein
Museum sind. »Mein Bruder und ich hatten
früher Klavierstunden ganz in der Nähe. Der-
jenige, der nicht dran war, wartete hier bei
Astrid«, erzählt er. »Sie konnte damals schon
nicht mehr gut hören und sehen. Ich musste
mich hinabbeugen und mich vorstellen: ›Ich
bin’s. Johan.‹ Dann antwortete sie: ›Oh, Jo-
han!‹, und tätschelte meine Wange.« Das weiß
er noch genau. Bei vielen Erinnerungen könne
er aber nicht mehr unterscheiden, was er selbst
mit seiner Uroma erlebt, was er von anderen
gehört und was er bei seiner Arbeit in der­
Familien-Company herausgefunden hat.
Fragt man in der Familie, ob es noch etwas
gebe, das sie bisher nicht veröffentlicht haben,
bekommt man ein Nein zur Antwort. Aller-
dings nach einem kurzen Zögern.
Vielleicht werden einige Geheimnisse für
immer im Kreis der Familie bleiben, Geschäfts-
sinn hin oder her. Und vielleicht gibt es auch
Geheimnisse, die nicht einmal die Nachfahren
werden lüften können. Eins davon hängt über
dem schmalen Bett, vor dem sich Lindgrens
Fußspuren in den Teppich eingeschrieben
haben. Es ist das Bild eines kleinen Hauses,
vielleicht in Südeuropa. Jeden Morgen, wenn
Lindgren die Augen aufschlug, blickte sie da-
rauf. »Wir haben keine Ahnung, wo das ist
oder was es damit auf sich hat«, sagt ihr Ur-
enkel. Alle Möbel, Kunstwerke, Skulpturen
der Wohnung sind katalogisiert. Doch dieses
kleine Bild bleibt ein Rätsel.
Schön, dass es noch immer Dinge gibt,
die man nicht herausgefunden hat, findet
Johan: »Astrid hatte ihr eigenes Leben, und
wir werden nicht alles ans Licht zerren.«
Dann dreht er sich um, schaltet die Lampe
aus und schließt die Tür.
29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19
H
allo Frau Neubauer, ja, jetzt sehe
und höre ich Sie, guten Morgen,
neun Uhr früh hier bei mir und
natürlich auch bei Ihnen.
Sie sitzt nicht weit entfernt
von mir, also auch in Berlin, nicht in Göttin-
gen, wo sie ja eigentlich studiert, am Küchen-
tisch ihrer Zweier-WG, in der sie, wie sie sagt,
ein Zimmerchenchen hat als pied-à-terre in der
Hauptstadt. Eindrucksvoll, wenn man so was
schon mit 24 Jahren braucht, weil man ständig
mit Politikern und Wirtschaftsbossen konfe-
riert oder Reden hält.
Luisa Neubauer, noch mal zur Erinnerung:
die sogenannte deutsche Greta beziehungswei-
se eben das Gesicht des deutschen Zweigs von
Fridays for Future. Wofür waren die noch mal?
Ach richtig, ja, wir erinnern uns, Klimakata-
strophe, das war vor Corona, da war was mit
dem Planeten, der sich erhitzte und Millionen
von Kindern, die vor lauter Zukunftssorgen
nicht mehr in die Schule gehen wollten.
Erst mal vorbei. Jetzt ist ja Pandemie.
Neubauer also an diesem Küchentisch, auf
den hell die Morgensonne fällt, wunderbarstes
Frühlingswetter hier in Berlino, 21 Grad,
prächtig, will man jedenfalls meinen, aber­
Luisa Neubauer erinnert einen mit unfassbar
freundlichem, geduldigem Lächeln noch mal
daran, dass gerade der wohl trockenste April
Screenshot: privat
seit Menschengedenken sei, dass mit ziemli-
cher Sicherheit erschreckende Waldbrände ins
Haus stünden im umliegenden Brandenburg,
dass das Jahr 2020 ein entscheidendes poli­
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H AU S B E S U C H
tisches Jahr sei, wenn die Menschheit
noch hoffen möchte auf die Einhaltung
der längst vereinbarten Klimaschutzziele
von Paris, die das Desaster einer brennen-
den Welt in Grenzen halten sollen.
Was also, dies die Fragen, die man sich
für Luisa Neubauer zurechtgelegt hat,
macht eigentlich die Klimapolitik so?
Gibt es die noch? Und wenn Sie so sehen,
Frau Neubauer, wie ein blödes Virus gera-
de dazu führt, dass die ganze Welt die
Notbremse zieht, und keine Maßnahme
ist zu teuer, zu wild, zu harsch – wie den-
ken Sie im Lichte dieser Entwicklungen
über die insgesamt bislang ja eher la-
schen Maßnahmen zur Eindämmung der
Klima­katastrophe?
Auf die Bitte vorab, bevor es ans Ein-
gemachte geht, mit der Kamera eine kleine
Schlossführung zu machen, reagiert sie­
lächelnd und höflich, indem sie einmal
durch das Wohnzimmer schwenkt, Flur
oder gar Schlafzimmer bleiben ungezeigt,
es ist aber, muss man sagen, ja auch nur teil­weise
ihre Wohnung, sie ist Untermieterin eines­
»Autors«. Wir entdecken: Couchlandschaft,
darüber dieses Schwarz-Weiß-Foto von den­
italienischen Männern, die einer schönen Frau
hinterherblicken. Ein Strauß Klatschmohn, Ge-
schenk zum zwei Tage zurückliegenden Ge-
burtstag. Ein paar – ja, echt – Demoschilder
lehnen an der Wand, »#fighteverycrisis«.
Luisa Neubauers Alltag gerade: irrsinnig
viel telefonieren und konferieren, spazieren,
In unserer Porträtreihe »Hausbesuch« begegnen wir unseren Protagonisten per Videochat in den eigenen vier Wänden
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bei Luisa Neubauer
darüber, dass auf Corona ganz anders,
also so scharf geantwortet wird. Zumal
die Pandemie ja auch eine Katastrophe für
viele, viele Menschen ist. Aber man er-
kennt vielleicht gerade auch sehr deutlich,
was in der Kommunikation der Klima­
katastrophe lange gefehlt hat: die Dimen-
sion des menschlichen Leidens.«
Die Bilder von weinenden italieni-
schen Ärzten, die Leichentransporte in
Militärfahrzeugen haben uns deutlich­
gemacht, dass Corona eine Gefahr bedeu-
tet für unser Leben. Die Aufnahmen kal-
bender Gletscher machten dagegen nicht
ganz so klar, dass »die Klimakatastrophe
auch eine Menschheitskatastrophe ist«.
Erst Greta, findet Neubauer, erst Fridays
for Future hätten dem Problem ein
menschliches Antlitz gegeben, mit dem
VON ALARD VON KITTLITZ sich der Westen ernsthaft auseinander-
setzte: Unsere eigenen Kinder bezichtigen
uns des Zukunftsraubes, #howdareyou.
Hätten Sie mehr weinende Kinder­
bisweilen zu zweit, aber mit Abstand. Radfah- zeigen müssen auf Twitter, verkohlte Koalas?
ren. Teilen auf Insta und Twitter, Vorbild sein Müssten Sie radikaler agitieren? »Wir sind in
in der Disziplin des Social Distancing, Luisa unserem Kern null radikal. Wir möchten, dass
Neubauer betrachtet sich als Vorbild, jeden Politiker sich an eine unterzeichnete Verein­
Tag, sagt sie, wird sie auch von irgendwem­ barung halten. Das ist sehr unradikal.« Fridays
erkannt auf der Straße. Sie ist berühmt. for Future sei eine Familienveranstaltung, da
Klimakatastrophe also. »Ich habe mich nie könne die Masse mitmachen.
der Illusion hingegeben«, sagt sie, »dass unsere Problem: Demonstrieren geht sehr schlecht
Gesellschaft wirklich verstanden hat, wie exis- gerade, und Masse, sagt Neubauer, ist uner-
tenziell der Klimawandel unser Leben bedroht. setzbar, wenn es um Aufmerksamkeit geht,
Insofern bin ich jetzt auch nicht bitter oder so den Druck von Hunderttausenden Menschen
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55
auf der Straße kann man nicht simulieren. Sie
versuchen sich mit Netzdemonstrationen zu
behelfen, mit Livestreams.
Luisa Neubauers große politische Sorge:
Milliarden-, nein, Billionenpakete werden­
geschnürt, um die Corona-Krise glimpflich
ausgehen zu lassen – »es wird jetzt gerade das
Fundament gegossen der Politik der kom-
menden zehn, zwanzig Jahre«. Wenn dabei
nicht »intersektional« gedacht, also nicht mit-
überlegt werde, was diese Investitionen auch
das Treibhausgasbudget betreffend bedeuten,
wenn etwa Milliarden gesteckt würden in­
irgendeine klimakillende Industriebranche,
die dann noch ewig weiterarbeiten muss, da-
mit der Steuerzahler seine Kröten zurück-
kriegt, na, dann gute Nacht, und zwar ernst-
haft, siehe Waldbrände, Dürren, Stürme und
so weiter.
Verrückt auf einmal, man macht so Screen-
shots von Luisa Neubauer da in ihrer WG-
Küche: Als Studentin schultert sie diese gigan-
tischen Sorgen. Lächelt geduldig, warm, rauft
sich nicht die Haare, organisiert. Aber wie soll
sie in dem Getöse der Gegenwart ihren ja
wirklich sehr wichtigen Einwänden Gehör
verschaffen? Es ist, denkt man, zum Verzwei-
feln, aber Moment, die Verbindung ist kurz
unterbrochen.
Sorry, sagt Luisa Neubauer, das war ein­
Anruf, der Assistent eines EU-Kommissars,
mit dem muss ich gleich noch was besprechen.
Okay, ganz vergessen hat die Politik sie also
doch nicht.
Quizbox
»Allgemeinwissen«
23.04.20 16:03
56 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
ENTDECKEN

Folgeschäden
V
on seiner späteren Frau sah der
ungarische Zeichenlehrer Jenö
Goldman als Erstes die Beine.
Er führte seine Klasse ins Freie,
auf eine Blumenwiese. Heute
müsste man noch Kilometer
gehen, bis man eine unver-
baute Fläche fände; anstelle
der hüfthohen Blumen und
Von Eva Menasse Gräser steht an der Stelle der damaligen, für Jenö
Goldman schicksalhaften Wiese ein Autohaus. Aber
damals herrschte eine riesige Linde über diesen Ort,
die aussah wie der Baum, den Gott als Krönung des
dritten Schöpfungstages geschaffen hatte. Er sollte
das Modell der Zeichenstunde sein. Als sie näher
kamen, bewegte sich etwas unter der Baumkrone.
Zwei Beine wurden nämlich hochgezogen. Jenö ließ
die Kinder Platz nehmen und trat allein heran. Als
er am Stamm hinaufschaute, sah von oben ein Mäd-
chen zurück, das sich den Zeigefinger über die Lip-
pen hielt. Jenö lächelte und nickte. Er ging mit ein
paar Lindenblättern zu den Kindern zurück. Aber
als er nach Schulschluss wieder vorbeikam, als habe
er regelmäßig bei diesem Baum zu tun, saß das Mäd-
chen noch oben auf dem Ast und las.
In der bäuerlich geprägten Kleinstadt fanden zwei,
die sich für Kunst und Literatur interessierten, schnell
zu­ein­an­der. So geschah es zwischen Jenö und der
jungen Frau, die sich zum Lesen in den Baum zurück-
zog. Sie war gerade achtzehn, er fünf Jahre älter. Ihr
Vater hätte seine älteste Tochter gern einem der Wein-
bauernsöhne gegeben, die aus dem Krieg zurückge-
kommen waren. Doch einen Lehrer ließ sich der
Vater auch einreden, obwohl er von drüben, aus Un-
garn war. Dass Elisabeth die Abstammung des Ver-
lobten verschwieg, wäre ihr zuzutrauen gewesen.
Denkbar auch, dass sie es gar nicht wusste. Vielleicht
besaß Jenö, der außer seiner Eliza nie etwas anderes
wollte, als unbeschadet durchs Leben zu kommen,
längst einen evangelischen Taufschein, der in dieser
vielfach gemischten Gegend nichts Besonderes war.
Und schließlich spielte der Weltenlauf gerade völlig
verrückt, nach dem schockierenden Zerfall des Kaiser-
reichs. Damals wurde dort die Grenze gezogen, die
seither wirkt, genau damals, als Jenö sich verliebte;
eine Grenze mitten durch die gelbgrünen Weiten, die
seit Jahrhunderten vom Osten her die Reichshaupt-
und Residenzstadt Wien ernährten, nicht nur die
Menschen, sondern auch die unzähligen Pferde der
Monarchie. All die Hean­zen und Heidebauern, also
die Geflügelhändler und Heulieferanten – plötzlich
waren sie, von der Metropole aus gesehen, Ausländer
mit Zollbeschränkungen. Und auch wenn die Hun-
gersnöte hier nur in Gestalt von zwielichtigen Händ-
lern und Hamsterern ankamen, hatte man andere
Sorgen als den Taufschein des Schwiegersohns.
Die Bauern im Süden hatten zu essen, aber die
Grenzziehung zwischen Österreich und Ungarn war
umkämpft. Es wurde verhandelt, gedroht, geschos-
sen. Nachbarn gingen mit Mistgabeln auf­ein­an­der
los, Burschen bewaffneten sich und rissen Grenz-
pfähle wieder aus. Beide Seiten verhielten sich so un-
anständig wie möglich, wie immer, wenn staatliche
Autorität geschwächt ist. Dann regiert das Faustrecht,
da können wir uns in Friedenszeiten moralisch zu
verfeinern glauben, wie wir wollen.
Demgegenüber war eine Hochzeit eine gute
Nachricht. Sie hatten hier nicht viel, aber sie ver-
standen es zu feiern. Jenö, der keine Familie zu haben
schien, schlug sich selbst damit Österreich zu, obwohl
er kein Lehrer bleiben konnte.
Denn unterrichtet wurde nun endlich wieder,
nach Jahren der Magyarisierungspolitik, auf Deutsch,
frenetisch begrüßt von der Mehrheit, deren Mutter-
sprache es immer gewesen war. Aus manchen von
Jenös kindlichen Zeichenschülern wurden damals
deutsch-österreichische Nationalisten, die sich lebens-
lang in einem Abwehrkampf gegen fremde, zerstö-
rerische Elemente wähnten.
Für Jenö und Eliza folgten bescheidene, aber
friedliche Jahre. Er war ein Lebenskünstler, der
Illustration: Felix Eckardt für DIE ZEIT

sich durchzuschlagen verstand; wenn es knapp

wurde, arbeitete er in der Fabrik. Im Jahr nach der
Hochzeit wurde ihnen ein Sohn geboren, Sascha
oder Schani gerufen. Er wuchs auf wie alle ande-
ren, nur dass er ein Einzelkind blieb. Sobald er
konnte, lief er dem jüngsten Bruder seiner Mutter
nach wie ein Hündchen seinem Herrn. Elizas Bru-
der Max, nur fünf Jahre älter und dennoch sein
Onkel, wollte nichts von ihm wissen. Manchmal
wandte er sich um und stieß den hoffnungsfrohen
Kleineren mit beiden Fäusten einfach nieder.
Mit zehn Jahren verehrte Sascha die blonde
Vroni, mit dreizehn küsste er Agnes, die sich da-
nach mit dem Handrücken den Mund abwischte.
Mit vierzehn begann er in der Fabrik Buchhaltung
zu lernen. Mit achtzehn war er ein selbstbewusster

Das Dekameron-Projekt/Folge 6 junger Mann, der seinen ­Charme an den älteren

Frauen in der Firma ausprobierte.
Dann fand sich sein und seines Vaters Name
auf jener Liste, die am Rathaus angeschlagen war.
Als im 14. Jahrhundert in Europa die Pest wütete, schrieb der italienische Schriftsteller Giovanni Boccaccio seine Sascha sprach von einem Irrtum, bis ihm seine
Novellensammlung »Das Dekameron«, eines der berühmtesten Werke der Weltliteratur. Zehn junge Edelleute Mutter erklärte, worum es hier vermutlich ging.
fliehen vor der Seuche in ein Landhaus bei Florenz und vertreiben sich die Zeit, indem sie einander Geschichten erzählen. Eines Morgens machten sich die beiden Goldmans
mit zwei Koffern auf den Weg nach Budapest, wo
Wir haben zehn Autorinnen und Autoren um eine zeitgenössische Neuauflage gebeten. Jenö Hilfe zu finden hoffte. Sascha klammerte sich
Sie erzählen uns Geschichten, die um die großen Dinge des Lebens kreisen: Sorge und Wahrheit, Liebe und Macht. an die Worte seiner Mutter, vorübergehend, zur
Sicherheit. Sie gab ihm eine Zeichnung von ihnen
Die sechste Folge stammt von Eva Menasse. Ihr Thema: Treue. dreien mit, ein selbst gemachtes Familienporträt.
Er verlor es in den ersten Wochen. Er verstand
nicht, was ihm da geschah. Im Tempel seiner Hei-
Es schreiben: Nora Bossong, Theresia Enzensberger, Nora Gantenbrink, Karen Köhler, matstadt war er nie gewesen, er stellte sich Hexen-
Eva Menasse, Tilman Rammstedt, Leif Randt, Ingo Schulze, Clemens J. Setz, Jackie Thomae meister mit spitzen schwarzen Hüten vor.
Dass die Mutter mitkäme, war nie zur Debatte
gestanden. Der briefliche Kontakt riss fast sofort ab.
Jenö suchte unaufhörlich nach Möglichkeiten, den
Sohn zu retten, fragte nach Papieren, Schleppern,
Verstecken, aber Sascha weigerte sich. Er hatte Angst,
allein zu sein, und verbarg es hinter der Sorge um den
 29. A P R I L 2 0 2 0 DIE ZEIT No 19 57
ENTDECKEN

»Zusammenbleiben um jeden Preis, das gab Sascha als Auftrag der Mutter aus«
Vater, der ihm mit Mitte vierzig schon ein alter Mann
schien. Zusammenbleiben um jeden Preis, das gab
Sascha als Auftrag der Mutter aus.
So hielten sie durch, auf Dachböden, in Kellern,
in einem Sommer gar auf einem Friedhof, bis sie doch
ins Ghetto kamen. Sie wurden nicht, wie ein paar
Tausend andere, in die eiskalte Donau geschossen.
Aber es fehlte ihnen auch das bisschen Glück, auf
einen der internationalen Helfer zu stoßen, einen
Schweden, Schweizer, Spanier oder den Apostoli-
schen Nuntius, die damals wie Sisyphos’ Brüder im
Diplomatendienst Schutzpässe über Schutzpässe aus-
stellten. Es waren nie genug. Als die Rote Armee auf
Budapest vorrückte, wurden die Goldmans mit
Zehntausenden anderen Budapester Juden in Rich-
tung Westen getrieben, dorthin zurück, von wo sie
über sechs Jahre zuvor mit zwei Koffern gekommen
waren. Die Koffer waren längst verloren, und sie
waren auch nicht mehr dieselben.
Sie wurden in Züge verfrachtet, dann marschier-
ten sie wieder. Anhand der Schilder erkannten sie,
dass sie sich der Heimat näherten. Sie sprachen nicht
darüber. Die Menschen links und rechts erkrankten
an Typhus und Fleckfieber, erfroren oder verhunger-
ten. Alle, die nicht starben, schaufelten den ganzen
Tag. Sie verscharrten die Toten, und sie bauten den
Südostwall, den Fieberwahn von Hitlers letzter Ver-
teidigung, vier Meter tief und vier Meter breit, die
Wände mit Holz verschalt. Der Beton war meist aus-
gegangen, ebenso wie die Verpflegung der Arbeiter.
Als sie in ihrer Stadt ankamen, sprach Saschas
Vater kaum mehr. Saschas Gedanken kreisten zum
ersten Mal weniger um Nahrung als um Flucht. Wo,
wenn nicht hier? Jeder, der zu rennen begann, wurde
erschossen. Nur drei, vier Ecken, und er wäre zu
Hause. Zu zweit fliehen wäre noch unmöglicher als
allein. Wenn er verschwand, würde der Vater er-
schossen. Es gab keinen Ausweg. Er musste bleiben.
Ich muss bleiben, sagte er sich im Takt seiner
Schritte, als sie abends zurück zum Quartier mar-
schierten, ich muss bleiben. Vor dem Tor stockte es,
jemand war gestürzt, andere fielen über ihn. Sein
Vater gab ihm einen Stoß. Ohne schnelle Bewegung,
ohne Blick zu ihm trat Sascha zur Seite, bog ab, ein
einheimischer Passant. Er drückte das Kreuz durch
und wartete auf den Schuss. Ein Tropfen Schweiß
bildete sich zwischen den Schulterblättern und lief
die Wirbelsäule entlang, als malte er die Linie, auf die
zu zielen wäre. Zehn Schritte, dann war er außer Sicht.
Tief in der Nacht fand er sein Elternhaus ver-
schlossen. Er streckte sich und klopfte an die Fenster.
Wo waren sie alle? Da öffnete sich die Tür einen Spalt,
dahinter war es dunkel. Mutter, flüsterte Sascha und
trat näher. Hinter der Tür stand sein Onkel Max und
richtete eine Waffe auf ihn.
Ich bin’s, der Schani, flüsterte Sascha, lass mich
rein, ich bin abgehaut.
Verschwind’, sagte Max so laut, dass Sascha zu-
sammenfuhr, verschwind’, die Elisabeth ist tot, hörst
du, gestorben, hier will dich keiner mehr, geh weg,
du bringst uns alle in Gefahr.
Als er die Tür schloss, begann im Haus ein
Baby zu schreien.
Um halb drei Uhr nachts lief Sascha durch die
Stadt, im Zickzack zwischen Hauswänden. Er woll-
te hinaus in die Wälder, er achtete wenig auf den
Weg, sieben Jahre waren vergangen. Er geriet in eine
Sackgasse. Und hier, wo er sich zwischen Mauern und
Zäunen nach einem Ausweg drehte, entdeckte ihn
jemand, eine zutiefst erschrockene, barmherzige See-
le. Eine Frau rief ihn leise auf Ungarisch an, er ant-
wortete, ein Tor öffnete sich, er schlüpfte hinein. Sie
fragte, ob er ein Wallarbeiter sei, er bejahte, das ge-
nügte. Sie führte ihn in einen Schuppen im Hof,
entzündete eine Kerze, dann verschoben sie in rasen-
der Eile das Brennholz, sodass er dahinterschlüpfen
konnte. Sie brachte ihm eine Decke, Wasser und Brot
und ließ ihn allein.
Er sprach mit ihr nur das Allernötigste. Sie pfiff,
wenn sie ihm das Essen in den Schuppen legte, und
er kam erst hervor, wenn sie gegangen war. Es kann
nicht mehr lang dauern, hatte sie gesagt. Sie war in
seinem Alter, doch er kannte sie nicht. Einmal blieb
sie zwei Tage fort. Der Gefechtslärm war so stark, dass
Sascha hinter seinem Holzstoß blieb. Als sie wieder-
kam, weinte sie. Die Russen seien schon da gewesen,
aber die Deutschen hätten sie wieder hinausgeworfen,
niemand wisse, was noch komme. Sie werde mit den
Frauen in die Wälder gehen. Sie gab ihm ein Päck-
chen mit Essen und wünschte ihm Glück. Er fragte
nach den Arbeitern. Sie biss sich auf die Lippen. Die
sind schon seit einer Weile weg, sagte sie, und das
Gebäude, in dem sie waren, brennt. Danke für alles,
sagte er, als sie sich abwandte.
Nach der Flucht ihrer Männer war Eliza bald aus-
gezogen. Ihr Bruder Max bejubelte die neuen Macht-
haber, die völkische Sauberkeit, den wirtschaftlichen
Aufbruch, der, wie sie es sah, auf Raub und Diebstahl
gründete. Es gelang ihr, im Hotel unterzukommen.
Sie verdingte sich in der Küche, spülte, schälte Kar-
toffeln, und sie war der Hotelchefin dafür so dankbar,
dass sie wortlos akzeptierte, wieder als Fräulein und
mit dem Mädchennamen angesprochen zu werden.
Gegen Ende des Kriegs, als sich alles auflöste, floh
sie mit ihrer Mutter nach Westen. Im Spätsommer
kehrten sie wieder. Max war verhaftet worden. Das
Elternhaus stand noch, es schien naheliegend, sich
um die Schwägerin und ihr kleines Kind zu kümmern.
Ein Jahr später flüsterte ihr die Chefin zu, dass
Jenö am Leben sei. Er warte jenseits der Grenze da-
rauf, für eine Zeugenaussage in die Stadt gebracht zu
werden. Eliza wollte bei den Russen nachfragen, aber
die Chefin verbot es ihr. Sie werde ihr alles rechtzeitig
mitteilen. Zeuge wofür, fragte Eliza, und die Chefin
sagte, ach, diese ganzen Nazi-Verbrechen, wer soll die
denn noch aus­ein­an­der­hal­ten?
Ein paar Tage später klopfte ein Bub an Elizas Tür.
Als sie ihren Namen sagte, schüttelte er den Kopf, die
Faust hinter dem Rücken. Zu wem willst du, fragte
sie. Er wollte verschwinden, doch sie hielt ihn fest
und wechselte in die andere Sprache: Ich heiße Erz-
sébet Goldman. Er gab ihr den Zettel und rannte
davon. Sie wurde gebeten, mittags mit dem Ausweis
an die Grenze zu kommen, nur zur Sicherheit. Da-
runter ein J.
Sie stand schon um halb zwölf Uhr an der Gren-
ze. Es war kaum Betrieb. Russische Soldaten, Zöllner,
militärischer Verkehr. Niemand achtete auf sie. Sie
wusste im Nachhinein nicht mehr, ab wann sie auf
das aufmerksam wurde, was man später die Schieße-
rei an der Grenze nannte.
Es war ein weißer Kastenwagen, der plötzlich von
drüben auf die Grenze zuraste. Er wirbelte Staub auf.
Die Grenzer begannen zu rufen, ihre Kellen zu
schwenken, den Balken zuzuschieben. Der Wagen
näherte sich in Schlan­gen­li­nien. Russische Soldaten
liefen los. Jemand schoss zur Warnung in die Luft. Es
sah aus, als würde der Lastwagen gleich gegen das
Grenzhäuschen fahren, doch wie durch ein Wunder
traf er in die Lücke, die noch offen war. Eliza glaub-
te später, Folgendes gesehen zu haben: einen Sche-
men, der ihr Mann hätte sein können und der ans
Lenkrad gelangen wollte. Der kämpfte, das Auto
unter Kontrolle zu bringen, was ihm nicht richtig
gelang. Es waren Sekunden. Jemand riss sie zu Boden.
Der Wagen wurde von Kugeln durchsiebt, viele ha-
ben ihn später so stehen sehen wie eine Requisite. Ein
Toter und ein Schwerverletzter lagen im Staub, und
die Russen entschieden, den Verletzten zurück nach
Ungarn zu schicken. Über den Toten wurde ein
graues Tuch gebreitet, Eliza wusste nicht, wo es her-
gekommen war. Sie wusste auch nicht, wo die junge
Agnes hergekommen war, die plötzlich neben ihr
stand, sie umarmte und festhielt.
Jenö lag im Staub, aber er schien noch zu leben.
Sie durfte nicht zu ihm, jemand hielt sie eisern fest.
Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit, bis Hilfe kam. Der
Doktor wurde in einem Jeep herangefahren. Jenö
wandte den Kopf, sie wusste nicht, ob von selbst oder
weil er bewegt wurde. Sein Gesicht war voller Blut,
doch sah es aus, als würde er zu ihren Beinen schauen.
Dann wurde er auf eine Ladefläche gelegt. Der Wa-
gen wendete und fuhr zurück. Der Tote blieb liegen.
Es kamen noch mehr Soldaten, Eliza saß mit Agnes
am Straßenrand. Agnes hielt sie fest. Irgendwann
wurde man auf die Frauen aufmerksam.
Sie kann ihn identifizieren, rief Agnes, sie
kennt ihn! Der Tote ist ihr Mann!
Dann deckten sie ihr den Toten auf, den sie noch
nie gesehen hatte. Aber weil es nicht Sascha war und
weil Agnes so viel daran zu liegen schien, nickte sie
schließlich und bestätigte, dass dies Jenö Goldman
sei, geboren am 17. August 1895. Und als der wurde
dieser Mann begraben.
Elisabeth, die, wie es die Stadt zu erwarten schien,
ihren Ehe-Namen nie mehr benutzte, korrespondier-
te noch zehn Jahre lang mit ihrem früheren Mann.
Die Briefe liefen aus Sicherheitsgründen über eine
dritte Person. Sie schrieben ein­an­der, was sie in ihren
jeweiligen Ländern unternahmen, um nach ihrem
Sohn zu forschen. Im Flüchtlingswinter von 1956,
als es drunter und drüber ging, befürchtete Eliza bei-
nahe, dass Jenö bei ihr auftauchen würde. Doch mel-
dete er sich noch einmal brieflich. Er schrieb, er sei
schon in Wien und beabsichtige, nach Israel auszu-
wandern und dort weiterzusuchen. Er versprach, sich
zu melden, sobald er etwas erfahre. Danach hörte sie
nie wieder von ihm. Aber sie wusste, dass er sein Ver-
sprechen nicht gebrochen hätte. Sie wusste, wenn sie
nichts hörte, dann gab es nichts mit­zu­teilen.
Eva Menasse, 49, hat schon im Februar aufgehört,
in der Berliner Staatsbibliothek zu schreiben, als die
Ersten begannen, ihre Tische zu desinfizieren. In der
Wilmersdorfer Heimisolation bedauert sie nur, den
90. Geburtstag ihres Vaters in Wien versäumt zu
haben. Zuletzt erschien der Erzählungsband »Tiere
für Fortgeschrittene« bei Kiepenheuer & Witsch
AA www.zeit.de/audi

Die Serie wird von dem Maler Felix Eckardt illustriert. Seine Originalgemälde kann man kaufen. Den Erlös wird Eckardt jedes Mal spenden. Die Spende geht diesmal an
die Firma Goldeimer Klopapier, die gemeinsam mit der Welthungerhilfe Sanitärprojekte in aller Welt unterstützt. Bei Interesse kontaktieren Sie bitte den Künstler auf felixeckardt.de

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»Ich weiß nicht, was
soll es bedeuten…
… dass ich so traurig bin. Ein
Märchen aus uralten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem
Sinn.« Heinrich Heines be-
rühmter Text zum Lied der
Loreley, die auf einem Felsen
über Sankt Goarshausen im
Rheintal saß und die Schiffer
betörte, ist heute weltbekannt.
Das Tal der Loreley wurde so
zum Inbegriff einer roman-
tischen Rheinlandschaft, die
sich im Oberen Mittelrheintal
von ihrer schönsten Seite
zeigt. Zwischen Rüdesheim
und Bingen im Süden und
Koblenz im Norden hat die
UNESCO das Rheintal 2002
als »einzigartige Kulturland-
schaft von großer Vielfalt und
Schönheit« und damit als
»Welterbe Oberes Mittel-
rheintal« anerkannt. Eine Reise
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umkämpft, nicht selten war tar Land am zwei Kilometer lan-
er sogar feindliche Grenze. gen Sandstrand. Jede Villa ver-
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Tatsächlich hat die kleine Stadt an der
Ilm bis heute nichts von ihrem Zauber
verloren. Im Gegenteil: An keinem Ort
in Deutschland findet sich inmitten
grüner Parklandschaften ein so reiches
Ensemble von Schlössern, Museen und
kulturellen Stätten als Zeugen einer
wegweisenden Epoche der deutschen
Geistesgeschichte. Prägend für das klas-
sische Weimar am Ende des 18. und
Anfang des 19. Jahrhunderts waren
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der Dichter, die alte Universität, das
Schloss Belvedere und sein Park mit der
Orangerie, die Schlösser Ettersburg und
Tiefurt erinnern an diese Blütezeit und
gehören zu den Gebäuden und En-
sembles der UNESCO-Welterbestätte.
Ebenso der prachtvolle Barockbau
der Anna-Amalia-Bibliothek, die nach
einem verheerenden Brand in 2004
wieder restauriert wurde und literari-
sche Zeugnisse seit dem 9. Jahrhundert
bewahrt. Mit dem Nationaltheater, in
dem sich 1919 die Weimarer Republik
konstituierte, Gebäuden, die an die
Gråündung des Bauhauses durch
Walter Gropius erinnern, sowie der
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 58 29. A P R I L 2020 DIE ZEIT No 19
ENTDECKEN

Leben
Was mein
Du
Du siehst
siehst aus,
aus, wie
wie ich
ich mich
mich fühle
fühle
reicher macht

Weißwangenturako Polly lebt in Mesa, im US-Bundesstaat Arizona. Sie hat eine starke und unabhängige Persönlichkeit, kann aber auf ihre Art auch sehr zärtlich sein. Fotografiert von Adrian Delsi
W IE E S W I RK L I C H I ST
Wir sitzen mit unserem siebenjährigen Sohn und

... sich die seinen beiden älteren Schwestern beim Frühstück.

Unvermittelt fragt er: »Was ist eigentlich Puber-
tät?« Kurzes Schweigen. Schließlich antwortet
Turnschuhe zu teilen meine Frau: »Pubertät ist, wenn ein Junge zum
Mann und ein Mädchen zur Frau wird.«

M
it meinem besten Freund Nick teile
ich mir vieles. Sogar die Turnschuhe.
Nicht irgendwelche, sondern die
besten, die es gibt: Yeezys. Das ist
eine Turnschuhe-Reihe, die der Musiker Kanye
West designt hat. Ein Paar kostet 300 Euro, fast
so viel wie meine Miete. Als wir sie uns 2018
gekauft haben, arbeitete ich für zehn Euro in der
Stunde in einer Spielothek und Nick für 13 Euro
in einer Galerie. Wir haben uns erst das Modell
»500 Utility Black« gekauft und ein paar Monate
später die »700 W ­ ave Runner«. Ich weiß nicht
mehr, wer als Erster auf die Idee kam. Es war
wohl Gedankenübertragung, Nick und ich sind
seit 13 Jahren befreundet. Wir wussten beide
sofort: Die Schuhe sind immer schnell ausver-
kauft, und wir wollten verhindern, dass einer von
uns leer ausgeht.
Der Wave Runner ist ein absolut wegweisender
Schuh, er hat den Trend zu klobigen, manche wür-
den sagen, »hässlichen« Turnschuhen losgetreten.
Der Utility ist schwarz und sieht aus wie ein ortho-
pädischer Arbeitsschuh. Der hat noch nichts los-
getreten. Als mich meine Arbeitskollegen in der
Spielhalle in den Utilitys sahen, meinten sie abfällig:
»Hol dir die 20 Euro von Deichmann zurück.« Ein
bisschen bescheuert sehen sie schon aus. Aber das
Gefühl, unschlagbar: Man geht wie auf Wolken.
Nick und ich wohnten damals zusammen,
anders wäre das Schuh-Teilen auch nicht gegangen.
Streit gab es nie, die Schuhe sind sowieso keine
»Beaters«, also keine Schuhe für jeden Tag. Wer sie
brauchte, hat sie sich einfach aus dem Flur genom-
men. Klar hätten wir auch andere Schuhe tragen
können, aber wir beide finden: Kein Schuh steht
so sehr für die Freiheit, alles sagen, machen und
lassen zu können. Ich verstehe Kleidung als Uni-
form, sie muss für etwas stehen. Wie Trikots von
Fußballmannschaften. Mit Schuhen war es immer
ein struggle, will heißen, kompliziert: Passen sie
zum Outfit? Passen sie in mein Umfeld? Seitdem
ich die Yeezys habe: Passt immer! Es ist einfach ein
universeller Schuh.
Vor einem halben Jahr bin ich für mein Film-
studium von Frankfurt nach Wien gezogen. Jetzt
habe ich die W ­ ave Runner in Wien und Nick die
Utilitys in Frankfurt. Neulich war ich für einen Tag
zu Besuch in Deutschland. Als ich gesehen habe,
dass Nick meine Schuhe anhatte und ich seine,
fühlte sich das schon geil an. Als Nick und seine
Freundin geheiratet haben, war ich sein Trauzeuge.
Die Yeezys durften wir leider nicht anziehen. Un-
sere Freunde kennen uns und haben ein striktes
Sneaker-Verbot ausgerufen. An seiner Frau lag es
aber nicht, ihr haben wir längst ein Paar geschenkt.
Johannes Lehnen, 26,
studiert an der Akademie der Bildenden
Künste in Wien
Aufgezeichnet von Miriam Dahlinger
Foto: privat
MEI N WO RTSC H ATZ
»Eine Meise haben« (3)
Kürzlich berichtete hier Bruder Simeon
Friedrich aus Trier vom Besuch einer
Meise in seiner Klosterzelle. Er fragte,
was es mit Verrücktheit zu tun haben
soll, einen so heiteren Gesellen
zu beherbergen. Im Mittelalter galten
Meisen als sehr wertvoll, denn sie
gehörten zu den vorzüglichsten
Insektenvertilgern. Daher durfte man
sie weder töten noch ihre Eier stehlen.
Im »Handwörterbuch des deutschen
Aberglaubens« heißt es dazu: »In
einzelnen Rechtsquellen des fränkischen
Stammesgebietes wird der Fang einer
Meise mit einer außerordentlich hohen
Strafe bedroht.« Wer es dennoch wagte,
eine Meise gefangen zu halten – also
eine Meise zu haben –, musste mit
macht. Ein paar Minuten später kommt das Foto dieser Federkugel als Antwort.
Höchststrafen bis hin zum Tod am
Galgen rechnen. Und das konnte doch
»Ach so«, sagt unser Sohn, »und du zur Oma!«
Michael Trippner, Zetel, Niedersachsen
Das 13-bändige Literaturlexikon, das ich
gebraucht­angeschafft habe, damit es mich bei
meinem spät erfüllten Traum des Literatur­
studiums begleite. Zwangsentschleunigt blättere
ich nun zum ersten Mal darin und finde zu meiner
Freude Notizen des Vorbesitzers und thematisch
passende Zeitungsausschnitte zwischen den Seiten
liegen. Wunderbare Schätze: das erweiterte
Lexikon­und die Zeit, darin zu schmökern.
Sabine Fischer, Versmold, Nordrhein-Westfalen
Heute kommt mein Mann heim, und mit ver-
schmitztem Lächeln sagt er: »Augen zu!« Ich denk,
er habe mir charmanterweise
wieder Blumen mitgebracht.
Nein, er hat einen Besen
hinter seinem Rücken ver-
steckt. »Für kleine Ausflüge«,
meint er.
Brigitte Wöss,
Leonding, Österreich
Am Küchenfenster zu beobachten, wie sich vier
Halsbandsittiche, ein Eichhörnchen und zwei
Stock­enten über das Vogelfutter hermachen –
keiner von ihnen gehört zur Zielgruppe, aber ich
karre säckeweise Nachschub heran.
Anne Schumann, Mainz
Unter dem blühenden Kirschbaum zu stehen
und das Brummen der Hummeln zu hören.
Andreas Krämer, Brandenburg an der Havel
Nachtschicht in der Klinik. Der Lärm der
Gebläse,­die in den Sälen mit Covid-19-Patienten
Unterdruck erzeugen, um die Verbreitung von
Folge 203 Viruspartikeln einzudämmen, zehrt schwer an
den Nerven.
Wie jeden Tag gehe ich meinen Kollegen und
Freund besuchen, der nach fast drei Wochen am
Z EITSP RUNG Beatmungsgerät nun endlich allein atmen kann.
Hier ist alles still.
Vorher/Nachher: Der Falke Als ich durch die Glasscheibe blicke, sehe ich ihn
zum ersten Mal die Augen öffnen. Durch einen
kleinen Spalt in der Scheibe rufe ich ihm zu: »Hey,
Nick, how is every­thing?« Für ein Lächeln ist er
noch zu schwach, aber ich sehe, wie sich sein
rechter Daumen ganz langsam nach oben bewegt.
Mark Weller,
Daniel and Jane Och Spine Hospital, New York
Ehelicher Dialog im Zeichen des Virus: »Du
bist meine System-Relewanze.« – »Und du
mein System-Relewanst.«
Peter Kraemer, Berlin
Meine Katze Lilli, die mich begleitet, seit sie­
geboren wurde. Nun geht es dem Ende entgegen,
und ich genieße jedes Maunzen.
Dagmar Juilfs, Oldenburg, Niedersachsen
Ich schicke ein Foto in unsere Nachbarschafts-WhatsApp-Gruppe und frage,
Machen Sie mit!
wem das Fenster gehört, in dem der Turmfalke gerade ein Nickerchen
Schreiben Sie uns, was ihr Leben reicher macht,
teilen Sie Ihre »Wortschätze« und
Ich freue mich total über diese Interaktion, die sich sicher auch der

Wenn Sie in unserer Rubrik »Wie es wirklich ist« »Zeitsprünge« mit uns.
berichten möchten, nur ein Verrückter tun. Ausgangsbeschränkung verdankt ... Beiträge bitte an leser@zeit.de oder an
melden Sie sich bei uns: wirklich@zeit.de Werner Dreher, Dachau Frauke Vahl, Regensburg Redaktion DIE ZEIT, »Z-Leserseite«, 20079 Hamburg

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