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Das Verhältnis
von
bei
Thomas H o b b e s.
Inaugural-Dissertation
zur
der
Ludwigs-Universität zu Giessen
eingereicht von
Mainz,
Bruck von Jon. Falk III. Sölme.
1893.
Dem Andenken meines verehrten Lehrers
Ludwig Noire
gewidmet.
Vorbemerkung.
Die Schriften des Thomas Hobbes sind citiert nach der Gesarat
ausgabe von Molesworth (London 1839 ff.) Die Schrift de corpore politico
steht im vierten Band derEnglish Works; die Schrift de cive im zweiten
der Opera latina ; der Leviathan im dritten der englischen wie auch der
lateinischen Schriften.
1. Der unserem Worte „Sittengesetz" zunächst ent
sprechende Ausdruck »lex moralis" (law moral) findet sich bei
Hobbes verhältnismässig selten. An mehreren Stellen erklärt
er jedoch, die lex moralis sei identisch mit der lex naturalis,
so d. civ. 3. 31 (II p. 196): legem naturalem eandem esse
cum lege morali consentiunt omnes scriptores 1).
Da der Begriff der lex naturalis, wie bei den Scholastikern,
so auch bei H. eine wichtige Rolle spielt und von ihm aus
führlich erläutert wird, so haben wir zunächst zu untersuchen,
was er darunter versteht. Eine Definition des Begriffes findet
sich d. civ. 2. 1. (II p. 168 f.)8). Seiner Methode8) getreu
„nur von allgemein angenommenen Begriffsbestimmungen aus
zugehen", sucht er hier eine von Allen anerkannte Definition
der lex naturalis.
Nachdem er zwei gebräuchliche Definitionen als unge
nügend verworfen, fährt er fort: Alle geben zu, dass das mit
Recht (iure) geschieht, was nicht gegen die recta ratio d. h.
gegen eine "Wahrheit, welche aus wahren Principien durch
richtige Schlussfolgerung gefunden ist, verstösst ; was gegen die
recta ratio geschieht, das geschieht iniuria. Dann aber reden
wir von Unrecht (iniuria), wenn ein Verstoss gegen ein Ge
setz vorliegt. Es ist demnach die recta ratio ein Gesetz, und
da sie nicht minder ein Teil der menschlichen Natur ist, als
irgend eine andere Fähigkeit oder ein Affekt, so darf das
Gesetz , das in ihr enthalten ist , als naturalis bezeichnet
werden. So gelangt er zu dem Ergebnis : Est igitur lex na-
turae, ut eam definiam, dictamen rectae rationis circa ea, quae
agenda vel omittenda sunt ad vitae membrorumque conservätio-
nem, quantum fieri potest, dinturnam*).
(d. i. die Gesamtheit der Staatsgesetze), als die aus der Sitte
hervorgegangene „zwingendere Lebensnorm welche „die un-
veräusserlichsten Zwecke des einzelnen und der Gesamtheit in
Besitz genommen hat", davon scheiden, so ist von einer solchen
Scheidung von „ Sitte" und „Recht" bei H. noch nichts zu
merken. Es hängt dies damit zusammen, dass ihm die gesell
schaftlichen Bildungen der Familie, des Stammes, des Standes,
welche den einzelnen umschliessen und seine Lebensführung in
viel umfassenderer und eingreifenderer Weise als der Staat
regeln, in dieser ihrer Bedeutung nicht zum Bewusstsein ge
kommen sind: er operiert nur mit zwei Faktoren, dem Indivi
duum und dem aus den Individuen als seinen Atomen mecha
nisch zusammengefügten Staate. So wird es begreiflich, warum
er in der oben angeführten Definition des Staatsgesetzes diesem
Begriffe einen so grossen Umfang einräumt, dass er ungefähr
mit dem Begriffe der „Sitte" (in der oben erwähnten Bedeu
tung) sich deckt, und dass nach H. vieles im Staatsgesetze
enthalten ist, (oder wenigstens enthalten sein soll; denn er
construiert ja den Staat, wie er sein soll) was nach unserer
Auffassung nicht hinein gehört.
Erwähnt sei auch, dass die verschiedenen Wirkungsweisen
der Staatsgewalt, die wir als „Gesetzgebung" und „Verwaltung"
von einander scheiden, bei H. in ihrem Unterschiede nicht klar
hervortreten. So wird es erklärlich , dass er, von dem Ge
danken ausgehend, dass das Staatsoberhaupt das Wohl der Ge
samtheit, nicht das einzelner fördern müsse, den Satz aus
spricht J) : Non enim imperans, quatenus talis, civium saluti
aliter prospicit, quam per leges, quae universales sunt. Was
doch, wörtlich genommen, besagen würde, die Wirkungsweise
des Staatshauptes bestehe nur in der Gesetzgebung2).
3. Nach dieser Erörterung der Begriffe „lex naturalis"
(moralis) und „lex civilis", die notwendig schien, um die
Fassung und Ausprägung, welche dieselben bei II. erfahren
1) d. civ. 13. 3. (II p. 299.) — 2) Doch klingt in den bald darauf
folgenden Worten: ut per salutares constitutiones etc. Die Rück
sicht auf die Verwaltungsthätigkeit an. Ähnlich Lev. 26. (III p. 197)
und 30 (p. 240 [322 f.]).
— 13 —
1) d. civ. 14. 14. (II p. 322). — 2) Lev. 27. (III p. 210 f. [277 f.]).
— 3) d. civ. 6. 13. (II p. 226 cf. p. 177). Lev. 21. (III p. 164 ff. cf.
p. 104. [203 ff.]). — 4) Freilich muss in dieser Klasse von Fällen eine
Voraussetzung zutreffen, dass nämlich durch die Gehorsamsverweigerung
nicht der Staatszweck überhaupt vereitelt werde.
2
— 18 —
■wozu Tönnies1) zutreffend bemerkt, man ersehe daraus, „wie
die realen Haifische noch über den ideellen Haifisch hinaus
gingen."
Es offenbart sich abor gerade hier die Unzulänglichkeit
des H'schen Moralprincips ; denn aus ihm vermag er nicht ab
zuleiten, dass es unter Umständen sittliche Pflicht sein
kann, auch das Leben hinzugeben — nicht einmal sittlich
wertvoll kann ihm die Selbstaufopferung erscheinen.
Wenn er gleichwohl erklärt, falls die Lage es erheische,
seien alle zum Kriegsdienst (und damit doch wohl auch zur
Hingabe des Lebens für das Vaterland) verpflichtet, so hat dies
darin seinen Grund, dass er mit Recht glaubt, nur so werde
der Bestand des Staates gegen äussere Feinde ausreichend
gesichert ; aber dieses Zugeständnis entspricht nicht seinem
obersten Princip.
5. Der Zweck des Sittengesetzes ist, wie schon oft gesagt,
die Selbsterhaltung. Nun würde aber der Einzelne durch ge
wissenhafte Befolgung desselben diesem Zwecke geradezu ent
gegenhandeln, wenn nicht auch alle andern, mit denen er in
Beziehung tritt, es beobachteten.
Eine Gewähr dafür ist aber in status naturalis nicht vor
handen, (wenn sie vorhanden wäre, so wäre der Staat über
haupt nicht nötig2) daher verpflichtet die lex naturalis im Na
turzustand im Allgemeinen nicht zu wirklicher Befolgung, son
dern nur zur Bereitwilligkeit sie zu befolgen 3).
Erst durch die Existenz der Staatsgewalt, welche die
Rechtssphären der einzelnen abgrenzt und jede Übertretung
bestraft, ist die Möglichkeit gegeben, das Sittengesetz nach
seinem ganzen Umfange zu befolgen *). Also beruht die Ver-
1) Deutsche Rundschau Bd. 49 (1889) p. 111. — 2) Lev. 17. (III
p. 128 [155]). — 3) d. civ. 3. 27. (II p. 195). — 4) Dabei ergiebt sich
freilich eine Schwierigkeit: das Sittengesetz kann nur befolgt werden
im status civilis, aber zum status civilis kann man aus dem status na
turalis nur gelangen durch Befolgung des Sittengesetzes (nämlich durch
Beobachtung des den Staat begründenden Vortrags). Diese Schwierig
keit lässt sich nicht dadurch lösen, dass man erklärt, der status natura
lis sei für H. eine reine Fiktion; da der Staat für ihn aus den
Einzelnen bestehe, für die Einzelnen da sei, und von den Einzelnen „ge
— 19 —
jenige, was den einzelnen und der Gesamtheit als das „Ihrige"
zukommt, abgegrenzt.
7. Da somit H. im „Sittlichen" eigentlich nur das „Natur-
rechtliche" sieht, so müssen wir die Frage aufwerfen, ob nach
seiner Ansicht schon das Naturgesetz darüber Bestimmungen
enthält, was jeder (Gesamtheit sowohl wie der einzelne) als
das „Seinige" beanspruchen kann; mit andern Worten, ob er
ein „Naturrecht" annimmt in dem Sinne, wie es
zunächst vor ihm die Scholastik vertreten hatte.
— Es ist nun interessant zu beobachten, wie bei H., der doch,
wie wir soeben gesellen, Staats- und Sittengesetz in die engste
Beziehung setzt, eine Anschauung sich anbahnt, welche ganz
im Gegensatz hierzu das „Recht" (also den eigentlichen Gegen
stand der Staatsgesetze) von der Sittlichkeit abtrennt, indem
sie die Existenz eines „Naturrechts" im Sinne eines sittlichen
Faktors, der auch für das „positive" Recht noch seine Bedeu
tung behält, verneint.
H. bemerkt in der Dedicationsepistel zu de cive, dass er
den Begriff der iustitia einer besonders eingehenden Betrachtung
unterzogen habe, und in der That können wir noch aus seinen
Schriften erkennen, wie er mit der Umformung gerade dieses
Begriffes lange beschäftigt war.
In de cive 1. 7. (II p. 163) ') sagt H. : Quod contra rec-
tam rationem non est, id iuste et iure factum omnes dicunt.
Neque enim iuris nomine aliud significatur, quam libertas, quam
quisque habet, facultatibus naturalibus secundum rectam
rationem utendi. Nun ist aber, fähri er fort, die Selbster
haltung das oberste, von der Vernunft gebilligte Ziel, mithin
hat auch jeder das Recht auf die ihm zur Erreichung dieses
Zieles als notwendig erscheinenden Mittel ; da nun aber alles
unter Umständen als ein dazu notwendiges Mittel erscheinen
kann, so hat jeder ein Recht auf Alles.
Diese Argumentation ist ein Fehlschluss ; denn wenn wir
auch zugeben wollen, dass alles unter Umständen als zu unserer
Selbsterhaltung notwendig erscheinen kann, so haben wir da-
1) Für jetzt wollen wir davon absehen, dass H. den Menschen völlig
individualistisch isoliert und nicht als notwendig neben und mit an
deren existierend fasst. Andernfalls hätte er erkennen müssen, dass .lie
recta ratio gleichzeitig allen ein Recht auf Selbstei'haltiuig zugesteht
und somit dem einzelnen nicht nur Anspruch darauf einräumt, sondern
ihm auch den gleichen Anspruch der anderen anzuerkennen gebietet.
Staatshaupt erlangt damit nur die Beseitigung der Hin
dernisse für die Ausübung seines ius omniura in omnia, nicht
einen Zuwachs an positiver Macht, nicht die Möglichkeit
andere zu zwingen nach seinem Willen zu handeln.
H. hat deshalb hier die Verpflichtung ad non resisten-
dum einfachhin gleichgesetzt der Verpflichtung dorn Staatsober
haupte die eigne Macht gegen jeden anderen zur Verfügung
zu stellen1). Aber das Ungenügende dieser Darlegung hat
er wohl selbst empfunden, er hat deshalb im Leviathan eine
andere gegeben2), derzufolge der Träger der Staatsgewalt als
der Vertreter (actor) der Gesamtheit der Bürger (als
der autores)3) erscheint.
Doch wie H. auch seine Ansicht über die Beseitigung des
ius ouinium in omnia im Laufe der Zeit auch ausgeprägt haben
mag, von vornherein steht ihm fest : Vor der Existenz des
Staates kann von Recht und Unrecht nicht die Rede
sein; das Naturgesetz an sich besagt also hierüber
nichts: der Staat ist es, welcher das „Recht" schafft.
Daraus ergeben sich ihm eine Reihe wichtiger Folgerungen :
1) Da erst der Staat unter Aufhebung des ius omnium in
omnia Eigentum in wahrem Sinne begründet, da er die In
teressenkreise der einzelnen überhaupt erst abgrenzt und be
stimmt, was jeder als „das Seinige " beanspruchen kann, so hat
er auch zu definieren, was als „widerrechtlicher" Eingriff in
die Rechtssphäre des einzelnen anzusehen ist , also welche
Handlung als furtum, homicidium , adulterium und überhaupt
als iniuria zu betrachten ist4). Das Naturgesetz verbietet diese
Handlungen nur insofern, als es die Verletzung der Staats
gesetze überhaupt verbietet 5).
2) Der Träger der Staatsgewalt, oder, was dasselbe ist,
der Staat ist den Staat sgesotzen nicht unterworfen; denn
1) d. civ. p. 224 Anm. ; im Lev. 18. (III p. 135. [163]) setzt er dafür
„inique." — 2) Hier lässt er sogar unter Umständen das Naturgesetz
corrigierend gegen den Willen des Staatshauptes eingreifen. Wenn das
selbe z. B. auf wesentliche Bechte der Staatsgewalt verzichtet, so ist
ein solcher Verzicht kraft Naturgesetzes ungültig. Lev. 21. (III. p. 168.
[207]). — 3) Dieses wird doch durch die Lehre des H. vom „natür
lichen* ius omnium in omnia negiert.
— 26 —
1) Freilich auch erst auf dem Umwege über das bellum omnium
contra omnes; denn um diesen zu beseitigen, fordert die lex naturalis
jene Fülle von Machtbefugnissen und von »Rechten" für das Staatshalt.
zuerkannt wird), anzuerkennen. Dies zeigt sich, was hier zum
Sehluss noch dargelegt werden soll namentlich in seinen Er
örterungen über die Frage, ob und inwieweit überhaupt
Konflikte zwischen Staatsgesetz u n d S i tt e nge s et z
möglich sind. — Gelegentlich führt er aus, Naturgesetz und
Staatsgesetz stünden sich gegenüber als höheres und n i e-
deres Gesetz. Für ihr Verhältnis ergeben sich also (rein
theoretisch betrachtet) folgende Sätze1):
1) Was durch Naturgesetz geboten ist, kann durch Staats
gesetz nicht verboten werden.
2) Was durch Naturgesetz verboten wird, das kann durch
Staatsgesetz nicht erlaubt (oder geboten) werden.
3) In den Fällen, in denen das Naturgesetz nichts ge
bietet und nichts verbietet, also jedem seine natürliche Hand
lungsfähigkeit zu bethätigen erlaubt, kann durch Staatsgesetz
dem Belieben des einzelnen (seiner libertas oder seinem ius
naturale) eine engere Schranke gezogen werden.
Ferner betont H. auf das nachdrücklichste, dass der
Träger der Staatsgewalt überhaupt, also auch in seiner
gesetzgebenden Thätigkeit dem Sittengesetze unter
worfen sei. So heisst es im Leviathan 29. (III p. 233,
[312]): Subditum illum (sc. principem) esse legibus naturae
verum est; leges illae divinae sunt neque possunt ab homine
vel civitate quacunque abrogari *).
Er hebt hervor, dass der Satz : „salus populi suprema lex"
für ihn als Richtschnur gelten müsse ; er hat auch die Pflichten,
die sich hieraus für den Träger der Staatsgewalt ergeben für
die einzelnen Seiten des Staatswesens ausführlich erörtert3).
Er kann freilich nicht umhin zuzugestehen, dass das Staatshaupt
diesen Pflichten möglicherweise nicht nachkomme und dadurch
das Naturgesetz verletze. Dass aber auch in den Fällen, in
denen objektiv ein Conflikt zwischen Staatsgesetz und Sittenge-
sei; dass also in der That ihre ratio „recta ratio" sei; aber
ausser der ratio civitatis und der ratio der einzelnen Bürger
giebt es eben keine ; bleibt die Gesetzesauslegung den letzteren
überlassen, so wird der Zweck aller Gesetze, der Friede, ver
eitelt ; demnach bleibt nur die ratio civitatis berechtigt zur
Auslegung ; „authoritas non veritas facit legem" 1).
Da freilich die Naturgesetze als göttliche Gesetze ewig
und unveränderlich sind , so kann ein irrige Auslegung der
selben durch einen Richter noch keine Präjudiz abgeben für
folgende Fälle. Wenn also der Irrtum erkannt wird, so muss
(nach Naturgesetz) eine billigere Entscheidung gefällt werden 2).
Bei den Staatsgesetzen aber, welche ihrer Natur nach veränder
lich sind, kann ein bei ihrer Auslegung erfolgter Irrtum iustar
novae legis werden — doch nur wenn er die stillschweigende
Billigung der höchsten staatlichen Autorität gefunden hat3).
"Wenn wir nun bedenken, dass die Auslegung aller
Gesetze überhaupt dem Staate zusteht, dass ferner in allen
zweifelhaften Fällen der einzelne die ratio des Staates als recta
ratio anzusehen hat, dann kann derselbe in der That niemals
in die Lage kommen zwischen dem Gehorsam gegen das Sitten
gesetz und dem gegen das Staatsgesetz wählen zu müssen.
Denn, wenn er auch einen Confiikt zwischen beiden glaubte
annehmen zu müssen, so wäre doch durch die jedenfalls wider
streitende Ansicht der Vertreter des Staates eine controversia
gegeben, mithin müsste immerhin die ratio civitatis als recta
angesehen werden.
So ergibt sich als schliessliches Ergebnis unserer bis
herigen Ausführungen: publica lex unicuique pro cons-
cientia habenda est*).
Dies folgt übrigens schon daraus, dass, wie oben gezeigt,
das Sittengesetz den Gehorsam gegen alle Staatsgesetze schlecht
hin befiehlt. —
Wir haben uns in unseren seitherigen Erörterungen ledig
lich auf dem Gebiet der leges saeculares bewegt : so kann
man nämlich alle die Gesetze nennen, welche sich auf das
Verhältnis der Menschen zueinander und zum
Staate beziehen. Neben ihnen stehen die leges sacraeoder
ecclesiasticae, die sich auf das Verhältnis der Menschen
zu Gott beziehen. H. hat die Frage, ob etwa Conflikte
zwischen beiden Gesetzen möglich seien, für dieses
Gebiet einer besonderen Untersuchung unterzogen 1).
Von den Naturgesetzen kommen hier diejenigen in Be
tracht, quas recta ratio dictat' circa honorem et eultum divinae
maiestatis.
Honor (im eigentlichen Sinne) ist opinio alienae potentiae
coniunctae cum bonitate. Diese opinio begleiten notwendig
3 Affekte : amor (in Bezug auf die bonitas), spes und metus
(in Bezug auf die potentia). Diese Innenstände geben sich auch
nach aussen kund, und darin besteht eben der Cultus (oder
honor im übertragenen Sinne). Er ist also der Inbegriff der
signa honoris. Nun haben aber die signa ihre Bedeutung ent
weder von Natur oder durch (ausdrückliche oder still
schweigende) Übereinkunft. Letzteres gilt von allen
"Worten.
Was aber durch menschliche Ubereinkunft festgesetzt ist,
das kann durch Menschen auch wieder abgeändert werden.
Mithin hat der Staat das Recht zu bestimmen: quae nomina
sive appellationes Deo honorificae sint, quao non sint 2).
Anders verhält es sich mit den Handlungen. Davon
sind manche natural iter ehrenvoll, andere entehrend. Daran
kann der Staat nichts ändern. Er kann unmöglich solche, die
von Nai.ur Zeichen der Missachtung sind in den Cultus auf
nehmen; denn das hiesse eben die ' Beschimpfung Gottes be
fehlen. Aber zwischen den beiden genannten Classen liegt das
weite Gebiet der ihrer Natur nach indifferenten Handlungen.
Solche können vom Staate als signa honoris festgesetzt werden
und dadurch werden sie wirkliche Ehrenbezeigungen.
1) d. civ. 15. (II p. 337 ff.) Lev. 31. (III p. 257 ff [34S ff.]). Pie
Erörterungen über das Verhältnis des Staates zum Christentum haben
wir hier nicht zu berücksichtigen, weil sie aus dem Rahmen der rein
philosophischen Untersuchungen herausfallen. — 2j d. civ. 14. (II p. 345).
— 31 —
1) d. civ. 15. 16. (II p. 346). — 2) 11. 15. 18. (II p. 348 f.). —
3) IL 15. 17. (H p. 347 f.).
— 32 —
Lebenslauf.
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