Sie sind auf Seite 1von 2

Lena Jurjewa

Die Kronkolonie in Nairobi hatte in den letzten fünf Jahren immer mehr
Menschen vom Kontinent aufgenommen. Mittellose Flüchtlinge mit Namen,
die sich schwer aussprechen und schreiben, waren zwar schon in Friedenszeiten
für die Briten ein Ärgernis. Allgemein galten sie aber als diszipliniert und leicht
lenkbar. Es war lange Zeit ein Hauptanliegen der Behörden gewesen, die Stadt
von den Emigranten zu verschonen und sie auf Farmen unterzubringen. Dies
war dank der Jüdischen Gemeinde immer sehr rasch geschehen.
Der Krieg hat alles verändert. Innerhalb von drei Tagen waren alle
feindlichen Ausländer dem Militär in Nairobi übergeben und informiert worden,
dass sie nicht mehr den Status von “Refugees” hatten, sondern “Enemy Aliens”
waren. Alle Männer ab dem sechzehnten Lebensjahr, außer Kranke und
Pflegebedürftige, wurden interniert. Colonel Whiddett leitet die Aktion “Enemy
Aliens”. Die jungen Soldaten hatten den Refugees nicht einmal Zeit gelassen,
einen Koffer zu packen. Die Männer, die manchmal gar im Schlafanzug im
Ngong abgeliefert wurden, mussten erst einmal eingekleidet werden.
In Kenia war es aber so sittenwidrig, Weiße in die gleiche Kleidung zu
stecken wie schwarze Gefangene. Die überraschten Bürger wurden zu
entsprechenden Spenden aufgerufen. Das führte zur Gleichheit der äußeren
Erscheinung zwischen den Verteidigern der Heimat und ihren eventuellen
Angreifern da erregte der ungewollte Unwillen.
Weibliche Internierte und erst recht Kinder waren nicht in
Militärbaracken unterzubringen, aber auch da fand Colonel Whidett eine
Lösung. Die luxuriöse Norfolk Hotel und New Stanley werden für die
Familien der Enemy Aliens requiriert. Die Frauen waren verblüfft, als sie nach
den langen Fahrten von den Farmen in Nairobi ankamen. Sie wurden jubelnd
vom Hotelpersonal empfangen. Auch Ärzte, Krankenschwestern,
Kindergärtnerinnen und Lehrer waren in die beiden Hotels befohlen worden.
Der Transport von traf als letzter im Norfolk Hotel ein. Jettel war so fasziniert
von der Eleganz und der Stimmung des Hotels, dass sie zunächst einmal den
Schock der plötzlichen Trennung von Walter verlor.
Auf der Fahrt hatte Regina nur geweint und nach Owuor, Aja, Suara,
Rummler und ihrem Vater gerufen. Doch die Atmosphäre des luxuriösen
Hotels lenkten sie sofort von ihrem Kummer ab. Das kleine Mädchen stand mit
offenem Mund da. Das Norfolk hatte seine sorgsam komponierten Menüs, für
die nicht nur in Kenia, sondern in ganz Ostafrika berühmt war. Der Chefkoch,
hatte nicht die Absicht, nur deshalb mit der Tradition des Hauses zu brechen,
weil irgendwo in Europa ein Krieg ausgebrochen war. Da war Hummer aus
Mombasa, Lamm aus dem Hochland und dazu gab es die Minzsauce, die als
legendäre Spezialität des Norfolk galt. Gratin auf französische Art, tropische
Früchte in zartem Bisquit und eine Käseauswahl. Viele Portionen gingen
unberührt in die Küche zurück, weil man über die jüdischen Speisevorschriften
nicht wusste.
Auch ein geräumiges Hotel wie das Norfolk hatte nicht genug Platz. So
mussten sich zwei Frauen mit ihren Kindern ein Zimmer teilen. Regina teilte
mit einem Mädchen eine Couch. Inge Sadler war ein kräftiges Kind und trug
das Dirndl. Sie war noch ein Jahr in Deutschland zur Schule gegangen und
bereit, ihre Kenntnisse an Regina weiterzugeben. Inge hatte in Weiden das
Pogrom vom 9. November erlebt und zusehen müssen, wie ihr Vater und die
beiden Onkel waren aus dem Haus gezerrt, geschlagen und nach Dachau
verschleppt worden. Inge hasste alle Deutschen.
Regina vermisste ihr Vater und quälte sie ihr Gewissen, weil sie den
Lastwagen als erste gehört hatte. Alle Frauen sprachen vom Krieg und der Ton
im Norfolk veränderte sich. Sie waren schon lange nicht mehr so fröhlich wie in
der ersten Zeit der Internierung. Der Hotelmanager hieß Applewaithe und er
verabscheute ungebetene Gäste mit ihrer Kinder. Dazu immer deutlicher ließ er
die Frauen spüren, dass sie für ihn nur Enemy Aliens waren.

Das könnte Ihnen auch gefallen