Inhalt Editorial
Vierte Gewalt und europäische Identität
Editorial: Genauso wie es möglich sein muss, einen Propheten
Vierte Gewalt und europäische Identität 1 zu karikieren, muss es möglich sein, eine von einer
überwältigenden Mehrheit demokratisch legitimier-
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te Regierung zu kritisieren. Gegebenenfalls, das ist
Geschmacksache, kann Kritik auch unter die Gürtel-
Bericht aus den Institutionen: linie gehen. Im Fall des dänischen Karikaturenstreits
Ungarische Präsidentschaft und Mediengesetz/ war es Europa gelungen, den Angriff auf seine
Atempause für den Euro/ Schäuble will Grundwerte abzuwehren. Die Bundeskanzlerin gar
Wirtschaftsregierung/ Harmonisierung der hat den Karikaturisten, der heute unter Polizeischutz
Wirtschafts- und Sozialpolitik/ Brüssel sucht lebt, besucht und damit nicht ihn, wohl aber die
Lösung für Arbeitszeitrichtlinie/ Opt-out/ Meinungsfreiheit geehrt. Dass Europa möglicherwei-
Barnier für EU-weite Frauenquote/ Rat lehnt se in 2000 gegenüber Österreich überzogen reagierte
20-wöchigen Mutterschutz ab/ Arbeitnehmer- und dafür - bis heute - gegenüber Berlusconis Italien
freizügigkeit: Deutschland wehrt sich gegen geeignete Reaktionen vermissen lässt, kann kein
Kritik/ Leitinitiative zur Armutsbekämpfung/ Argument dafür sein, es nicht im Falle Ungarns bes-
Reform gggg
des Vergaberechts/ Europol 2-8 ser zu machen.
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Die Presse wird auch als vierte Gewalt bezeichnet. Sie
existiert neben der gesetzgebenden, der mit ihr ver-
dbb in Europa: wobenen ausführenden und der – so der nicht mehr
Heesen für moderne Einwanderungspolitik/ überall eingelöste europäische Anspruch – unabhän-
Stöhr fordert gerechte Altersruhesysteme/ gigen rechtsprechenden Gewalt. Auch die Presse ist
Bologna-Prozess und Lehrerbildung/ im Prinzip unabhängig, ihre Freiheit grundrechtlich
Landesleitung des dbb Hessen in Brüssel 9-11 geschützt. So soll es in allen EU-Staaten sein. Die
ungarische Regierung könnte diese Freiheit zur Dis-
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position gestellt haben. Immerhin hat Budapest sich
nun bereit erklärt, das Mediengesetz von der Kom-
Neues von der CESI: mission prüfen zu lassen, die wie viele Europäer, auch
Heesen fordert Durchhaltevermögen/ die Bundesregierung, in großer Sorge ist.
40. Sektoraler Sozialer Dialog begründet/ Die „europäische Identität“ mag nach wie vor von
Bildung: Gemeinsame Erklärung 12/13 nationalen Bindungen überlagert sein. Gleichwohl ist
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ein gemeinsames europäisches Gut und Bestandteil
Bürger und Verbraucher: der sich herausbildenden europäischen Identität.
Himmelfahrtskommandos 14 Dieses Gut aufs Spiel zu setzen, würde Europa nicht
minder gefährden als die nach wie vor virulente Eu-
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rokrise.
Ausblick: Die Europäer tun gut daran, Viktor Orbán und seiner
Fidesz-Partei genau auf die Finger zu schauen – und,
Liegt Europas Zukunft in den Regionen? wie Neelie Kroes es offenbar wirkungsvoll getan hat,
Termine 15-17 darauf zu klopfen. Sie täten gut daran, auch das Reich
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Silvio Berlusconis genauer in den Blick zu nehmen.
Auch hierzulande ist nicht alles eitel Sonnenschein.
Einblick: Die Presselandschaft ist in der Wirtschaftskrise ge-
schrumpft. Ein Konzentrationsprozess ist im Gang,
Gespräch mit Karl-Heinz Lambertz, der nicht nur viele Journalisten den Arbeitsplatz kos-
Präsident der Arbeitsgemeinschaft tet. Er macht die vierte Gewalt auch verletzlicher
Europäischer Grenzregionen gegen mögliche Angriffe von innen wie von außen.
Impressum 18-20 Die Redaktion wünscht viel Freude beim Lesen
6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
Schäuble will europäische Wirtschaftsregierung nen gegen Defizitsünder will er früher, schneller
durch verstärkte Zusammenarbeit und „quasi automatisiert“ verhängt sehen. „Hier-
zu werden wir die haushalts- und wirtschaftspoli-
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat
tische Überwachung im Rahmen des Stabilitäts-
sich in einem am 27. Januar in der Frankfurter
und Wachstumspakts deutlich verschärfen“, so
Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Namensar-
der Minister. Im Herbst vergangenen Jahres war
tikel „für eine bessere Verfassung Europas“ aus-
der deutsche Wunsch nach Automatismen im
gesprochen. Schon 1994 hatte der CDU-Politiker
Sanktionsverfahren am Widerstand anderer EU-
Konzeptionen für Fortschritte in der europäischen
Staaten gescheitert. Eurobonds und mit diesen
Integration entwickelt, an die sich die neuen
eine „Vergemeinschaftung des Zinsrisikos“ soll es
Überlegungen anschließen. Schäuble argumen-
nicht geben, bekräftigt Schäuble die Haltung der
tiert für eine verstärkte Zusammenarbeit der
Bundesregierung.
Regierungen, die sich auf eine engere Verzah-
nung ihrer Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpoliti-
ken verständigen wollen. Der aktuelle Beitrag des
Bundesfinanzministers ist vor allem als eine Ant-
wort auf die europäische Schuldenkrise zu verste-
hen.
Bericht aus den Institutionen
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
Kommission sucht Lösung für Zeiten vorgesehen. Die Kommission nennt dies
Arbeitszeitrichtlinie nun anders, sieht es aber weiterhin vor. Aller-
dings nicht mehr als generelle Regelung, son-
Die EU-Kommission hat am 21. Dezember 2010
dern als Ausnahme für bestimmte Bereiche
einen Bericht und eine Mitteilung zur Arbeits-
(Gesundheit, Sicherheit, Feuerwehr). Dies soll
zeitrichtlinie vorgelegt. Der Bericht gibt einen
den Widerstand gegen diese Änderung schwä-
Überblick über die Umsetzung der Arbeitszeit-
chen. Für die betroffenen Arbeitnehmer wäre
richtlinie und etwaige Probleme in den Mit-
das schlecht, da ihre Bereitschaftsdienste un-
gliedstaaten. Deutschland wird als eines der
günstiger bewertet werden könnten.
Länder angeführt, das Defizite in der Umset-
zung hat. Die Mitteilung beinhaltet eine Bewer- Die EU-Kommission scheint den Arbeitgebern
tung durch die Kommission und zeigt Hand- aber mehr Flexibilität zusichern zu wollen, weil
lungsoptionen auf, die das wahrscheinliche dies ihrer beschäftigungspolitischen Philoso-
gesetzgeberische Vorgehen der Kommission bei phie („Flexicurity“) entspricht. Opt-out-
der Neufassung der Richtlinie andeuten. Regelungen, bei denen die Kommission viele
Verstöße und schwere Kontrollierbarkeit fest-
In der gegenwärtigen Phase könnten die bran-
gestellt hat, passen nicht in ihre Philosophie,
chenübergreifenden europäischen Sozialpart-
wohl aber „flexiblere“ Bereitschaftsdienste.
ner beschließen, im Wege des Sozialen Dialogs
Wenn der Bereitschaftsdienst in seiner Wer-
Bericht aus den Institutionen
Opt-out
Opt-Out bezeichnet die arbeitsrechtliche Mög-
lichkeit, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber
individuell eine längere Arbeitszeit als die
grundsätzlich erlaubten 48 Wochenstunden
festlegen können, wenn dies, vor allem im
Rahmen von Bereitschaftsdiensten, erforderlich
Arbeit und Zeit ist, um die Versorgung sicher zu stellen. Dies
© Orlando Florin Rosu - Fotolia.com geschieht in Deutschland nur in wenigen Fällen
wie zum Beispiel bei der Feuerwehr. In Ländern
Die Kommissionsmitteilung leitet die zweite wie beispielsweise Großbritannien ist es aber
Konsultationsphase der Sozialpartner ein. Im durchaus ein gängiges Mittel.
anzunehmenden Fall der Ablehnung der Sozial-
partner, die Überarbeitung im Sozialen Dialog In Deutschland sind die Bestimmungen der
zu vereinbaren, dürfte die Kommission bald europäischen Arbeitszeitrichtlinie im Arbeits-
eine Änderungsrichtlinie initiieren. In ihrem zeitgesetz (ArbZG) beziehungsweise für die
Bericht heißt es: „Die Kommission ist entschlos- Beamten in Arbeitszeitverordnungen umge-
sen, die Überarbeitung der Arbeitszeitrichtlinie setzt. Das ArbZG sieht die Möglichkeit der Ab-
zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.“ weichung im Sinne des Opt-out vor. Der Euro-
päische Gerichtshof (EuGH) hat festgelegt, dass
Die im Frühjahr 2009 im Vermittlungsverfahren die Zustimmung der Beschäftigten unbedingt
zwischen Rat und Parlament gescheiterte Ände- individuell zu erfolgen habe.
rungsrichtlinie hatte bereits eine Aufsplittung
des Bereitschaftsdiensts in aktive und inaktive
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sarin Viviane Reding hatte allerdings schon im schlagen, den Mutterschutz zu erhöhen. Das Eu-
September 2010 gegenüber EurActiv.de eine bin- ropäische Parlament unterstützte diese Forde-
nen zehn Jahren von 30 auf 40 Prozent anwach- rung mehrheitlich. Beide Seiten, sowohl Befür-
sende Quote gefordert. Offenbar haben sich Ar- worter als auch Gegner der Erhöhung, streiten
beits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen über den wirtschaftlichen Nutzen, den eine solche
und Familienministerin Kristina Schröder in Erhöhung bringen beziehungsweise nicht bringen
Deutschland auf eine Regelung verständigt. Diese könne. Die unmittelbaren Mehrkosten für
sieht eine Quote ab 2013 vor, sollte die Wirtschaft Deutschland werden vom Zentralverband des
bis dahin nicht freiwillig 30 Prozent der Sitze in Deutschen Handwerks zum Beispiel mit über 1,5
Aufsichtsräten und Vorständen mit Frauen be- Milliarden Euro angegeben. Die mittelbaren wirt-
setzt haben. schaftlichen Vorteile sind deutlich schwieriger zu
berechnen, werden sie im Zweifelsfalle doch nur
auf lange Sicht eintreten.
Für die Realisierungschancen der zu erwartenden Im Kern uneinig? Viviane Reding und Kristina Schröder
© Consilium, 2011
EU-Regelung wird es, unabhängig vom Kommis-
sionsvorschlag, nicht zuletzt auch auf die deut- Eine endgültige Lösung in dem Konflikt ist noch
sche Haltung im Ministerrat ankommen. Wobei nicht gefunden. Weitere Verhandlungen sind
die Befürworter einer verbindlichen Regelung ebenso wie eine endgültige Festlegung für dieses
darauf verweisen, dass es in vielen EU-Staaten Jahr zu erwarten. Die damalige belgische Ratsprä-
bereits gesetzliche Quotenregelungen gebe. sidentschaft hatte angekündigt, dass ein Kom-
promiss darin bestehen könnte, sich wieder auf
den ursprünglichen Vorschlag der Europäischen
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Kommission zu besinnen, der eine Erhöhung von Kommission stellt Leitinitiative zur
14 auf 18 Wochen vorgesehen hatte. Eine Ent- Armutsbekämpfung vor
scheidung wird aber womöglich erst in der zwei-
Im Rahmen der Wachstumsstrategie Europa 2020
ten Jahreshälfte unter polnischer Ratspräsident-
stellt die Europäische Kommission nach und nach
schaft fallen.
Leitinitiativen vor, die den Zielen der Strategie
dienen sollen. Am 16. Dezember wurde die Mit-
teilung „Europäische Plattform gegen Armut und
Arbeitnehmerfreizügigkeit: Deutschland wehrt soziale Ausgrenzung: ein europäischer Rahmen
sich gegen Kritik für den sozialen und territorialen Zusammenhalt“
Können europäische Arbeitnehmer in Deutschland veröffentlicht. Die Kommission kommt in der
aufgrund ihrer Nationalität diskriminiert werden? Mitteilung zu dem Schluss, dass die beste Strate-
Der Bericht eines Expertennetzwerks zur europäi- gie gegen Armut mehr Beschäftigung sei. Dane-
schen Arbeitnehmerfreizügigkeit ist zu dem Er- ben müssten auch bessere Bildung angeboten
gebnis gekommen, dass es in der rechtlichen Flan- und umfassendere Fertigkeiten vermittelt wer-
kierung dieser europäischen Grundfreiheit in den. Dringenden Handlungsbedarf zeigt auch
Deutschland noch Defizite gebe. Diese beträfen die eine aktuelle Studie auf.
Diskriminierungsfreiheit aufgrund der Nationali- Bei der Vorstellung des Berichts betonte der zu-
Bericht aus den Institutionen
tät. Auftraggeberin des Berichts war die Europäi- ständige Kommissar für Beschäftigung, Soziales
sche Kommission, die offenbar über eine Neufas- und Integration, László Andor, dass die Bekämp-
sung des Freizügigkeitsrechts nachdenkt. Die Bun- fung der Armut auch eine Frage der Vernunft sei:
desregierung widerspricht dieser Einschätzung. „Die Bekämpfung der Armut ist eine wirtschaftli-
Die Kritik, die die Experten an Deutschland äußern, che Notwendigkeit. Kinder, junge Menschen,
bezieht sich darauf, dass Diskriminierung aufgrund Migranten, die Älteren und andere gefährdete
der Nationalität nicht explizit in den nationalen Gruppen brauchen besondere Aufmerksamkeit.“
Gesetzen vorgesehen sei. Das Grundgesetz verbiete Bis 2020 will die Europäische Union die Anzahl der
zwar eine Ungleichbehandlung unter anderem von Armut betroffenen Menschen um insgesamt
aufgrund von Abstammung, Heimat und Herkunft. 20 Millionen verringern. Teil der Initiative ist es,
Nationalität sei hingegen nicht explizit genannt. So Innovationen in der Sozialpolitik zu fördern, die
könnten Opfer von entsprechender Benachteili- zur Verfügung stehenden EU-Fonds besser zu
gung ausschließlich aufgrund ihrer Nationalität nutzen, die Sozialschutzsysteme effizienter zu
dies nicht vor deutschen Gerichten geltend ma- gestalten und möglichst viele Partner in die Ar-
chen. Allerdings besteht die Möglichkeit, sich direkt mutsbekämpfung einzubeziehen.
auf die EU-Verordnung 1612/68 zu berufen, die
eine solche Diskriminierung explizit ausschließt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
wies diese Einschätzung Anfang Januar 2011 zu-
rück. Der Bericht erwecke den Eindruck, Opfer einer
Diskriminierung wegen der Nationalität erhielten
in Deutschland keine Unterstützung. Dies sei
falsch, so das Ministerium. Die Bundesrepublik
Deutschland handle seit der Unterzeichnung der
Römischen Verträge von 1957 im Einklang mit dem
Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsange-
hörigkeit. Insbesondere das Betriebsverfassungsge- Armut: Nicht nur, aber auch ein Problem des Einkommens
setz und das Bundespersonalvertretungsgesetz © Yantra - Fotolia.com
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„Egal wie ein System gestaltet ist, es muss ein Bologna Quo vadis Teil 2
Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten“, be- Bologna-Prozess und Lehrerbildung
schrieb Stöhr den Kern seiner politischen Forde-
„Bologna entzieht der Lehrerbildung ihre
rung. „Es kann nicht sein, dass Arbeitnehmer in
Grundlagen“, beklagt der stellvertretende Vor-
die Altersarmut abrutschen. Jeder soll auch im
sitzende des Deutschen Philologenverbands
Alter ein würdiges Leben führen können“, so
(DPhV) Horst Günther Klitzing. Der Beruf des
Stöhr. Dies müsse Ziel jeder verantwortungsbe-
Lehrers verlange eine hochprofessionelle Aus-
wussten Renten- und Pensionspolitik sein. In der
bildung. Er müsse ebenso hohen Anforderun-
Studiengruppe „Grünbuch – Pensionen und Ren-
gen wie denen an einen Arzt oder Ingenieur
ten“ machte sich Stöhr vor allem für einen zu-
entsprechen, insbesondere wegen der engen
kunftsgewandten Ansatz stark. „Der demogra-
Verknüpfung von Fachwissenschaft und Päda-
phische Wandel wird die Gesellschaften in der
gogik. Seit dem offiziellen Abschlussbericht der
EU deutlich verändern, der Veränderungsprozess
Kultusministerkonferenz (KMK) 1999 in Husum
hat bereits begonnen. Hier sehe ich die Aufgabe
waren Fachwissenschaften, Fachdidaktik und
der Union; sie muss durch Rahmenbedingungen
schulpraktische Erfahrungen anerkannte
dafür sorgen, dass mehr menschenwürdige Ar-
Grundelemente jeder Lehrerbildung, die in ei-
beitsplätze geschaffen werden“, forderte Stöhr.
nem grundständigen Universitätsstudium für
Auch bei der demographischen Entwicklung
alle Lehrämter vermittelt werden sollten. „Die-
könne die Europäische Union den Mitgliedstaa-
se Grundannahmen wurden durch die Bologna-
ten helfen, den Wandel der Gesellschaften zu
Reformen erschüttert“, so Klitzing.
meistern oder zumindest sozial abzufedern.
Mit „Bologna“ sollte ein System leicht verständ-
dbb in Europa
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Neben den Ländern Bayern, Baden- gleichbarkeit sichernden Einfluss verliere. Gerade
Württemberg, Hessen und Saarland, die bislang in den Herkunftsländern der konsekutiven Leh-
auf BA- und MA-Abschlüsse verzichteten, will rerbildung besäßen Lehrer häufig keinen profes-
nun auch Sachsen zur Staatsprüfung zurück- sionellen Status mit vollwertiger wissenschaftli-
kehren. cher Ausbildung und entsprechender autonomer
Handlungskompetenz wie andere akademische
Berufsgruppen. „Wer aber will das in der ‚Bil-
dungsrepublik‘ Deutschland?“ fragt Klitzing. „Ich
will es nicht, schon im Interesse der Gymnasial-
absolventen.“
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Ein Jahr Lissabon-Vertrag: Heesen fordert Auch wenn sich das neue Institutionengefüge
Durchhaltevermögen noch nicht endgültig eingespielt hat, zieht der
dbb Bundesvorsitzende eine vorsichtig optimis-
„Für das Projekt Europa braucht es einen lan-
tische erste Bilanz: „Europa hat zwar auch im-
gen Atem“, bilanziert der dbb Bundesvorsit-
mer über politische Führer zueinander gefun-
zende und Präsident der Europäischen Union
den. Ohne Adenauer, de Gaulle und viele andere
der unabhängigen Gewerkschaften (CESI) Peter
wäre die politische Einigung Europas nicht
Heesen das erste Jahr mit dem Vertrag von
möglich gewesen. Aber heute befinden wir uns
Lissabon. Als dieser am 1. Dezember 2009 in
in einer anderen Situation“, so Heesen. Die Her-
Kraft trat, war die Erleichterung in vielen Mit-
ausforderungen seine mittlerweile andere.
gliedstaaten groß. Lange hatte der Streit die
„Angesichts der aktuellen Krisen ist den meis-
Europäischen Institutionen gelähmt, zuletzt in
ten Menschen klar geworden, dass es nicht
Zeiten einer globalen Wirtschafts- und Finanz-
mehr ohne Europa geht. Wie es mit Europa
krise. Seine Feuertaufe hat der neue Vertrag
geht, ist vielen aber leider auch nicht klar.“ Die
2010 zwar glimpflich überstanden, doch erste
EU müsse sich weniger auf sich selbst konzent-
Änderungsklauseln werden bereits diskutiert.
rieren. „Neue Strukturen brauchen immer eine
„Europa ist mehr als die Summe seiner Verträ-
Eingewöhnungszeit, haben eine gewisse Schon-
ge. Leider gerät dies im alltäglichen Klein-Klein
frist. Doch die ist nun endgültig vorbei.“
zu sehr aus den Augen“, so Heesen.
Neues von der CESI
Peter Heesen: „Die Schonfrist ist vorbei“ Der Vertrag von Lissabon
© dbb, 2010 © Europäische Kommission, 2008
Den Einstand in ein neues Zeitalter des institu- Es gehe nun darum, Europa besser zu erklären.
tionellen Gefüges in Europa gab das Europäi- „Wir schaffen es kaum, die Menschen bei den
sche Parlament noch im Dezember 2009. Durch rasanten Entwicklungen mitzunehmen. Wir
die Ablehnung des SWIFT-Abkommens, das die müssen uns wieder mehr Bemühen, Europa
Übertragung von privaten Bankdaten an die verständlich zu machen“, so Heesen. Die Ge-
USA regeln sollte, demonstrierte es seine neue schichte habe gezeigt, dass große Projekte nur
Macht. „Ich freue mich, dass das Parlament dann Erfolg haben könnten, wenn eine Mehr-
seine demokratische Verpflichtung nun besser heit der Bevölkerung hinter ihnen stand. Die
wahrnehmen kann als bislang“, erklärte Hee- Krise und wie die Europäischen Institutionen
sen. „Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, mit ihr umgehen, sei eine Chance für Europa, da
in den europäischen Institutionen ein Abbild sich das Europabild vieler Menschen nun weiter
unserer nationalen Strukturen zu suchen. Es entwickle. „Die Europäische Union hat sich als
gibt ein europäisches Selbstverständnis. Ich bin sturmfest erwiesen. Es muss alles dafür getan
überzeugt, dass wir das in den kommenden werden, dass das auch so bleibt!“ bekräftigte
Jahren mehr und mehr als Bereicherung emp- Heesen.
finden werden.“ Die Parlamentarier seien der
Europäischen Idee genauso verpflichtet wie den
Bürgern in den einzelnen Mitgliedstaaten.
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40. Sektoraler Sozialer Dialog begründet ce, im Sinne der Verwaltung mit dem branchen-
übergreifenden Sozialen Dialog zusammenzu-
Für die Beschäftigten der Zentralverwaltung
wirken. Der für den Sozialen Dialog zuständige
können nun auch auf europäischer Ebene sozial-
leitende Beamte der EU-Kommission, Jean-Paul
partnerschaftliche Vereinbarungen getroffen
Tricart, sprach von der „Bewegung des europäi-
werden. Die zweijährige Testphase eines Sozia-
schen Sozialen Dialogs“ und erklärte den Ver-
len Dialogs im Sektor der Zentralverwaltungen
sammelten: „Sie sind Pioniere dieser Bewegung.“
fand am 17. Dezember 2010 in der Gründung
des 40. Sektoralen Sozialen Dialogs ihren Ab- In Brüssel wird davon ausgegangen, dass schon
schluss. Der Ausschuss, in dem sich Arbeitneh- bald weitere EU-Staaten den Schritt der Formali-
mer und Arbeitgeber unter der Moderation der sierung gehen und dem Ausschuss beitreten
EU-Kommission ab sofort regelmäßig begegnen, werden. Neben den genannten großen EU-
nimmt am 14. Februar seine Arbeit auf. Staaten sind Belgien, Griechenland, Luxemburg,
Rumänien und die Tschechische Republik von
Neun Regierungen, darunter mit Frankreich,
Beginn an dabei. Vertreter der slowenischen
Großbritannien, Italien und Spanien vier der fünf
Regierung und der seit dem 1. Januar 2011 die
größten EU-Staaten, sowie Delegierte der reprä-
EU präsidierenden ungarischen nahmen vorerst
sentativen Gewerkschaften des öffentlichen
als Beobachter teil. Zentrale Themen der kom-
Diensts aus 26 EU-Staaten versammelten sich
menden Wochen werden unter anderem die
am 17. Dezember 2010 in Genval bei Brüssel.
Bewältigung der Folgen der Finanzkrise und die
Nach jahrelangen Bemühungen war im Herbst
Neufassung der Arbeitszeitrichtlinie sein.
2010 unter der belgischen Ratspräsidentschaft
Neues von der CESI
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Bavaria in Holland
Bayerisches Bier ist weltberühmt, manch einer
würde gar sagen, das Beste der Welt. Diese Frage
musste der EuGH im Dezember 2010 zwar nicht
entscheiden, wohl aber, ob ein holländisches Bier
den Namen Bavaria tragen darf oder nicht. Geklagt
hatte der Bayerische Brauerbund, der eine Irrefüh-
rung der Verbraucher beklagte. Nach dem Urteil
der europäischen Richter ist nun nicht zu erwarten,
dass die Verwirrung an der Biertheke ein Ende
haben wird. Der EuGH kam zu dem Schluss, dass
der Schutz der Marke Bavaria allein schon durch die
markenrechtliche Beantragung gültig wurde, lange
bevor die geographische Bezeichnung „Bayerisches Ungehindert in den Himmel
© crimson - Fotolia.com
Bier“ geschützt wurde. Der Bundesgerichtshof, der
diese Frage zur Klärung eingereicht hatte, wird Zwei Fälle und was daraus geworden ist
wohl auch zukünftig Bavaria nicht verbieten.
Fall 1 (europathemen, Dezember 2010):
Verständigungsprobleme in der Kommission Aufstand der Schokoladenfiguren verhindert
Die Europäische Kommission muss im Alltag mit
Bürger und Verbraucher
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Liegt Europas Zukunft in den Regionen? Ort geklärt werden. So wie ein Fluss sich nicht für
Ländergrenzen interessiert, sollte es zum Beispiel
Sie sind der Kern des Alltaglebens der meisten
die Hochwasservorsorge auch nicht; nur weil zwei
Europäer: die Regionen. Hier definiert sich nicht
Verwaltungen auf unterschiedlichen Seiten der
selten die Identität der Bevölkerung; hier werden
Grenze liegen, heißt das nicht, dass sie sich nicht
die meisten wirtschaftlichen Kontakte geknüpft
bei wichtigen Entscheidungen gegenseitig konsul-
und kulturelle Traditionen gelebt. In Zeiten der
tieren und stützen können.
europäischen Integration und des Wegfalls der
Grenzkontrollen gilt dies vermehrt auch für Das erste europäische Projekt der regionalen Zu-
grenzübergreifende Regionen. Doch große me- sammenarbeit über Ländergrenzen hinweg be-
diale Aufmerksamkeit bekommen solche Europa- steht seit 1958. Damals wurde die so genannte
regionen nur selten. Wurden Sie anfänglich als EUREGIO gegründet, die allen anderen darauffol-
weiterer wichtiger Schritt in der europäischen genden Projekten zumindest in der Namenswahl
Integrationsgeschichte gefeiert, sind sie heute Pate stand - häufig wird „Euregio“ als Oberbegriff
scheinbar normaler Bestandteil des europäischen für Europaregionen genutzt, wird aber dann im-
Alltags. Allenfalls an den Rändern der Europäi- mer mit geografischen Zusätzen präzisiert. Insge-
schen Union erschließen sie noch Neuland in der samt 131 Städte, Gemeinden und Landkreise aus
regionalen Zusammenarbeit. den Niederlanden und Deutschland haben sich in
einem festen Lokalverbund zusammengeschlos-
Die Europäische Integration, so wie sie heute de-
sen, um ihre regionalen Interessen gemeinsam zu
finiert wird, hat über große Gesten begonnen.
vertreten. Die EUREGIO sieht sich damit in einer
Sechs unabhängige Nationalstaaten vereinbarten
historischen Tradition, da die Region bis zum
eine - anfänglich hauptsächlich wirtschaftliche -
Westfälischen Frieden 1648 durch keine Staats-
Zusammenarbeit. Mittlerweile hat die Europäi-
grenzen getrennt war.
sche Union Kompetenzen in fast allen Bereichen
Ausblick
der Politik; ein Wandel der europäischen Identität Als Kernaufgaben beschreibt die EUREGIO selbst
setzt langsam ein. Dennoch wird das europäische die Förderung der grenzüberschreitenden sozial-
Projekt häufig verkürzt wahrgenommen als enge kulturellen Zusammenarbeit, die praktische In-
Kooperation zwischen Staaten. In der großen formation von Bürgern und Unternehmen bei
Politik wird aber nur selten deutlich, dass die eu- grenzübergreifenden Fragen, die Stärkung der
ropäische Einigung auch ein langsames aber ste- wirtschaftlich-sozialen Entwicklung; das Lösen
tiges Zusammenwachsen auf allen Ebenen be- von grenzüberschreitenden Problemen und die
deutet. Anregung der Zusammenarbeit in den Bereichen
Wirtschaft, Raumentwicklung und Gesellschaft.
Historische Karten Europas zeigen, dass der Kon-
Außerdem bietet die EUREGIO durch ihre recht
tinent – zumindest in seiner Mitte - lange eher
umfangreiche Struktur eine gute Plattform für die
durch regionale Strukturen, als durch große Zent-
interregionale Zusammenarbeit und kann so auch
ralstaaten geprägt war. Spätestens nach dem
das Sprachrohr der Europaregion sein, wenn poli-
zweiten Weltkrieg und durch den Eisernen Vor-
tische Anliegen von grenzübergreifender Bedeu-
hang waren die nationalen Grenzen häufig un-
tung in die Regierungen der Länder kommuniziert
durchlässig geworden. Ehemals blühende Regio-
werden müssen.
nen wurden zu Randgebieten. In Richtung Osten
konnte durch die willkürliche Teilung Europas Ein weiteres Beispiel für eine Europaregion mit
kaum eine Annäherung erfolgen, historisch ge- deutscher Beteiligung, aber deutlich anderer Prä-
wachsene Strukturen wurden auseinander geris- gung als die EUREGIO, ist die 1969 gegründete
sen. War eine institutionalisierte, grenzüber- Saar-Lor-Lux Europaregion. Ursprünglich setzte sie
schreitende regionale Zusammenarbeit Richtung sich aus dem Bundesland Saarland, dem Großher-
Osten bis 1989 undenkbar, gab es in Westeuropa zogtum Luxemburg und der Region Lothringen
bereits in den späten fünfziger Jahren erste Pro- zusammen. Mittlerweile sind auch die Wallonie
jekte dieser Art. und Rheinland-Pfalz Teil dieser Großregion, die
nun gleichberechtigt neben der ursprünglichen
Der Blick auf die Regionen zeigt, dass europäische
Europaregion Saar-Lor-Lux existiert. Beide Körper-
Integration mehr heißen kann und muss als
schaften – sowohl die Großregion als auch die
freundschaftliche Kooperation im Großen und
Europaregion – haben sich der grenzüberschrei-
Desinteresse im Kleinen. Viele Fragen, die die
tenden Zusammenarbeit in verschiedenen Kör-
Menschen direkt betreffen, können nur direkt vor
perschaften verpflichtet.
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Einen Schub in der regionalen Entwicklung gab es schaften heißt es im zweiten Artikel: „Als grenz-
seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Mehr und überschreitende Zusammenarbeit im Sinne dieses
mehr mittel- und osteuropäische Regionen be- Übereinkommens gilt jede Abstimmung mit dem
gannen sich zusammenzuschließen. So ist euro- Ziel der Stärkung und Weiterentwicklung der
paweit eine Vielzahl von verschiedenen Koopera- nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den
tionsformen entstanden. Es gibt Regionen, die mit Gebietskörperschaften von zwei oder mehr Ver-
einem sehr großen Verwaltungsaufwand in vielen tragsparteien sowie der Abschluss der dazu erfor-
politischen Fragen zusammenarbeiten, so zum derlichen Vereinbarungen. Die grenzüberschrei-
Beispiel die erwähnte Großregion. Viele neuere tende Zusammenarbeit erfolgt im Rahmen der
Europaregionen sind aber eher lose Zusammen- Zuständigkeiten der Gebietskörperschaften, wie
schlüsse, die sich auf einzelne Fachfragen begren- sie im innerstaatlichen Recht festgelegt sind.
zen, als gewachsene tatsächliche grenzüber- Ausmaß und Art dieser Zuständigkeiten werden
schreitende Regionen. durch dieses Übereinkommen nicht berührt.“ Da
im Europarat auch Staaten außerhalb der Europä-
ischen Union Mitglied sind, kann diese Definition
auch auf die Zusammenarbeit über die Außen-
grenzen der EU hinweg herangezogen werden.
Die Europäische Union ist an der Entstehung von
Europaregionen nicht direkt beteiligt. Dennoch
wurde der große Nutzen grenzübergreifender
Regionen für die europäische Integration auch auf
EU-Ebene längst erkannt. Mit eigenen Program-
men sollen bestehende regionale Projekte geför-
Ausblick
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
gebiete. Gefördert werden konkret innovatives und Organisationsfragen besser in der Kooperati-
Unternehmertum, lokale Beschäftigungsinitiati- on geklärt werden können als im Alleingang. Die
ven, Unterstützung der Integration auf dem Ar- Zusammenarbeit nimmt in der praktischen Um-
beitsmarkt und der sozialen Eingliederung, ge- setzung dennoch verschiedenste Formen an und
meinsame Nutzung der Humanressourcen und kann von sporadischer Zusammenarbeit bei ein-
Einrichtungen in den Bereichen Forschung, tech- zelnen Projekten bis hin zu gemeinsamen Institu-
nologische Entwicklung, Bildung, Kultur, Kommu- tionen gehen. Doch egal welche Organisations-
nikation, Gesundheit und öffentliche Sicherheit; form die Partnerregionen wählen, die Zielstellung
die Verstärkung der Zusammenarbeit in den Be- ist meist dieselbe: möglichst effizient die Proble-
reichen Justiz und Verwaltung und die Stärkung me einer Region durch gezielte Zusammenarbeit
der Humanressourcen und des institutionellen lösen und neben partnerschaftlichem Austausch
Potentials für die grenzübergreifende Kooperati- auch neue Projekte begründen.
on.
Die Frage der europäischen Integration hat sich in
den vergangenen Monaten und Jahren stark ver-
ändert. Herrschte Anfang des 21. Jahrhunderts
eine gewisse Europaeuphorie, wird die Frage des
europäischen Zusammenwachsens heute eher
rational betrachtet. Zu fern und bedrohlich schei-
nen milliardenschwere Rettungspakete, geplante
Wirtschaftsregierungen. Die regionale Zusam-
menarbeit ist hier eine große Chance, den eigent-
lichen Wert der europäischen Integration zu ver-
deutlichen. Die Europäische Union benötigt zwar
Ausblick
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
Seine politische Karriere bestritt Karl-Heinz Lambertz, geboren 1952 im belgischen Schoppen, hauptsäch-
lich in der Deutschsprachigen Gemeinschaft (DG)- neben Flandern und der Wallonie eine der drei politi-
schen Gemeinschaften Belgiens. Seit 1981 sitzt er für die Parti Socialiste im Parlament der DG und ist schon
mehr als 20 Jahre in verschiedenen Funktionen in der Regierung der DG vertreten. Seit der Wahl 1999 leitet
er diese als Ministerpräsident. 2008 war Lambertz einer von drei belgischen Politikern, die von König Albert
II. beauftragt wurden, Lösungsvorschläge im politischen Konflikt zwischen Flamen und Wallonen zu erar-
beiten. Zudem ist er Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Bildung im Kongress der Gemeinden und
Regionen des Europarates und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Europäischer Grenzregionen (AGEG).
© Lambertz.be
Europathemen: In Belgien konnte seit weit über Europathemen: Auch Belgien muss schmerzhafte
200 Tagen keine Regierung gebildet werden. Reformen durchsetzen, um den Staatshaushalt
Befürchten Sie, dass es zu einem Auseinanderbre- zu stabilisieren. Wie kann dies ohne stabile Regie-
chen des Landes kommt? Wie soll es weiterge- rung gelingen?
hen?
Lambertz: Trotz Regierungskrise ist das Haus-
Lambertz: Ich rechne fest damit, dass es letzt- haltsergebnis 2010 besser als erwartet. Die
endlich zu einer Einigung über die Weiterent- diensttuende Regierung bleibt keineswegs un-
wicklung des belgischen Bundesstaatsmodells tätig und bereitet den Haushalt 2011 sowie
kommen wird. Wegen der sehr unterschiedli- eine Reihe von Reformen vor. Dabei arbeitet sie
chen Standpunkte und Interessen der Flamen eng mit den Regierungen der Gemeinschaften
und Frankophonen erweist sich das Zustande- und Regionen zusammen, die voll handlungsfä-
kommen einer solchen Einigung als äußerst hig sind. Darüber hinaus ist es durchaus denk-
schwierig, aber sie ist immer noch unendlich bar, dass das Parlament der diensttuenden fö-
einfacher als das Bewältigen der Folgen eines deralen Regierung gewisse Vollmachten erteilt
etwaigen Auseinanderbrechens des Landes. Es oder dass es zur Bildung einer Übergangsregie-
muss so lange verhandelt werden, bis ein trag- rung kommt, die mit der Regelung der haus-
fähiger Kompromiss gefunden wird. haltspolitischen Fragen beauftragt wird.
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
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6. Jahrgang aktuell Januar/Februar 2011
Auf dieser Ebene bestehen noch viele Defizite Lambertz: Grenzüberschreitende Zusammenar-
und Unzulänglichkeiten. Diese können durch beit ist nicht nur an den EU-Binnengrenzen,
eine frühzeitige und echte Einbeziehung der sondern auch an den EU-Außengrenzen von
regionalen Ebene in die europäischen Entschei- erheblicher Bedeutung. Dies gilt natürlich für
dungsfindungsprozesse weitgehend behoben die Sicherheits- und Einwanderungspolitik. Aber
werden. auch die Gestaltung der Nachbarschaft zu den
Nicht-Mitgliedsstaaten hängt wesentlich von
Europathemen: Sollte die Europäische Union den
der Qualität der grenzüberschreitenden und
Einfluss der Regionen in Europa weiter stärken
selbst der interregionalen Zusammenarbeit
und wenn ja, wie?
zwischen Regionen dies- und jenseits der EU-
Lambertz: Die Bürgertauglichkeit der europäi- Außengrenzen ab.
schen Entscheidungen muss vermehrt auf regi-
Europathemen: Bei vielen wichtigen politischen
onaler Ebene im Dialog mit den dortigen Ver-
Entscheidungen des vergangenen Jahres hat das
antwortlichen getestet werden. Bei der Subsi-
deutsch-französische Tandem wichtige Akzente
diaritätskontrolle und der Entscheidungsfin-
beinahe im Alleingang gesetzt. Welche Lehren
dung muss die Rolle der Regionen aufgewertet
können grade kleinere Länder wie Belgien aus
werden. Dabei fällt dem Ausschuss der Regio-
dieser Entwicklung ziehen?
nen eine wichtige Aufgabe zu.
Lambertz: Bei aller gerechtfertigten Bedeutung
der deutsch-französischen Zusammenarbeit:
Frankreich und Deutschland haben kein Mono-
pol auf die Beschlussfähigkeit Europas. Wir
brauchen einen partnerschaftlichen Dialog und
einen redlichen Interessenausgleich zwischen
Einblick
Kontakt:
Europathemen: Welche Rolle kann die Zusam-
Lob & Kritik
menarbeit zwischen Regionen auch über die
Außengrenzen der EU hinweg spielen? An- & Abmeldung von Europathemen
Internet: http://www.dbb.de
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