Sie sind auf Seite 1von 7

DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAKRUN03

Nachdem die Grabungen, welche das deutsche archäologi-


sche Institut im letzten Jahre in Athen zwischen Areopag und
Pnyx veranstaltet hat (vgl. oben S. 90 und 281), durch die
Auffindung der gesuchten Brunnenanlage zu einem vorläufi-
gen Abschlüsse gelangt sind, veröffentliche ich hier eine
kurze Mitteilung über die erzielten Resultate. Ein ausführ-
licher Bericht wird nach Fertigstellung der notwendigen Pläne
und Zeichnungen in einem der nächsten Hefte dieser Zeit-
schrift erscheinen.
Die alte Fahrstrasse, welche von der Agora westlich
um den Aieopag herum zur Akropolis hinaufführte, ist jetzt
in einer Länge von etwa 220m festgestellt. Von ihr zweigen
mehrere Fusswege ab, welche teils zum Volksversammlungs-
platz auf der Pnyx, teils zum Haupteingangsthore der Akro-
polis führten; sie waren wegen ihrer Steigungsverhältnisse
für Wagen nicht benutzbar.
Auf der westlichen Seite der Strasse, also zwischen ihr und
dem Pnyxfelsen, sind ausser dem früher schon beschriebenen
Heilig turne mit Tempelchen und Altar, mehrere griechi-
sche Privathäuser entdeckt worden, von denen zwei nach
den erhaltenen Inschriften mit Hypotheken belastet waren.
Ihnen gegenüber zwischen der Strasse einerseits und dem Areo-
pag und der Akropolis andrerseits scheinen keine Wohnhäu-
ser gelegen zu haben, sondern nur heilige Bezirke, weil die
dort aufgedeckten Mauern einen anderen Charakter haben als
auf der entgegengesetzten Seite; es sindUmfassungs- und Stütz-
mauern, aber keine Hauswände. In dem nördlichsten, an den
Areopag anstossenden Bezirk, der im Altertume tiefer lag als
die Strasse, vermute ich das Dionysion in den Sümpfen;
einen mittleren dürfen wir nach den darin gemachten Funden
als Asklepieion bezeichnen; der südlichste, am westlichen
Fusse der Akropolis gelegene Bezirk, welcher von der anti-
440 DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAKRUNOS

ken Strasse auf drei Seiten im Bogen umfasst wird, kann


kaum etwas anderes als das Eleusinion sein.
Nur von dem Asklepieion ist ein grösseres Stück ausgegra-
ben, wobei ausser der Umfassungsmauer und dem Eingangs-
thor die Reste eines in einer kleinen Kapelle stehenden Mar-
mortisches. mehrere Weihreliefs und eine grössere Anzahl
von Fundamentsteinen für Stelen und andere Weihgeschenke
zum Vorschein kamen. Die Reliefs sind Weihegaben der ver-
schiedensten Form für erfolgte Heilung; eines von ihnen, auf
welchem eine weibliche Brust dargestellt ist. trägt eineWeihin-
Schrift an Asklepios. Da die meisten der Fundamentsteine und
auch der Unterteil des mit zwei Schlangen verzierten Mar-
mortisches an ihrer ursprünglichen Stelle gefunden wurden,
ist die Annahme, dass die Reliefs sämtlich von dem grossen
neben dem Theater gelegenen Asklepieion hierher verschleppt
worden seien, vollständig unzulässig. Neben der kleinen Ka-
pelle ist eine Brunnenmündung zum Vorschein gekommen,
welche vermutlich zu demjenigen Brunnen gehört, der den
Mittelpunkt des Gultus bildete und das heilkräftige Wasser
enthielt. Da der Bezirk älter zu sein scheint als die Einfüh-
rung des Asklepioscultes in Athen, wird in ihm ursprünglich
eine andere Heilgottheit verehrt worden sein.
Gerade gegenüber dem Asklepieion und in der Axe der
Propyläen der Akropolis ist am Fusse des Pnyxfelsens eine
grosse Brunnenanlage zu Tage getreten, in welcher wir die
Enneakrunos, den Stadtbrunnen Athens erkennen dürfen.
Genau unterhalb des Volksversammlungsplatzes kamen,wie
die Ausgrabungen gelehrt haben, mehrere natürliche Quellen
aus dem Pnyxfelsen hervor. Um ihr Wasser zu vermehren
und für den täglichen Gebrauch auszunützen, ist man den
Wasseradern durch Stollen bis tief in den Felsen nachgegan-
gen und hat mehrere Felskammern hergestellt und als Was-
serbehälter eingerichtet. Sieben solcher Felscanäle und sechs
Wasserbehälter von verschiedener Form sind bis jetzt aufge-
funden worden. Heute liefern diese Stollen zwar kein Wasser
mehr; dass solches aber im Altertume vorhanden war, be-
DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAÜRUNOS 44 t

weisen die Wasserrinnen aus Tlion, welche noch jetzt in und


■vor einigen von ihnen liegen. Die brunnenartigen Behälter
enthalten dagegen noch jetzt einiges Wasser. Bei dem heuti-
gen Zustande der Oberfläche des Pnyx-und Museionhügels
darf man auch keine reichen Quellen mehr an ihrem Fusse
erwarten, da das Regenwasser nach allen Seiten bequem ab-
fliesst und daher nicht in den Boden eindringt.
Dass auch im Altertume das Wasser der Pnyxquellen zu-
weilen knapp gewesen ist, zeigen einerseits die mühevollen
Felsarbeiten und andrerseits mehrere Tiefbrunnen, welche auf
dem Platze vor der Felswand, wo wir uns das älteste Brun-
nenhaus zu denken haben, zum Vorschein gekommen sind
und zum Teil noch jetzt Wasser liefern. Selbst wenn die Quel-
len im Hochsommer fast ganz versiegt waren, konnte diesen
Brunnen noch Wasser entnommen werden.
Die wahrscheinlich oft wiederkehrende Wassernot musste
sich steigern, je mehr die Stadt anwuchs. Mit neuen Stollen
und Bassins liess sich nun nichts mehr ausrichten. Eine gründ-
liche Abhülfe war nötig. Sie ist Peisistratos zu verdanken, der
im 6. Jahrhundert vermittelst einer grossartigen Felsleitung
reichliches Wasser aus dem oberen llissosthale an den alten
Brunnenplatz leitete. Dieser Aquaeduct, welcher tief unter dem
Hofgarten und unter dem Südabhang der Akropolis hindurch-
führt, ist schon im vorigen Jahrgange dieser Mittheilungen
(S. 444) beschrieben worden. Sein nördliches Ende, das als
Ausgangspunkt für unsere Ausgrabungen diente, hat sich als
eine aus römischer Zeit stammende Verlängerung der griechi-
schen Leitung herausgestellt. Das wirkliche Ende der Leitung
bestand in einem mächtigen Wasserbehälter, welcher unmit-
telbar oberhalb des alten Brunnenplatzes angelegt war. Seine
ursprüngliche Grösse lässt sich nicht mehr genau feststellen,
in späterer Zeit nach einem Umbau umfasste er eine Fläche
von etwa 250 war also ebenso gross als das Bassin der statt-
lichen hadrianischen Wasserleitung am Fusse des Lykabettos.
Die Stelle, wo die Leitung aus dem Akropolisfelsen heraus-
tritt, ist noch nicht bestimmt: es wird das eine der Aufgaben
442 die aus&raRunGen an der ennEakrunös
für die beabsichtigte Fortsetzung der Grabungen sein. Das
zwischen der Akropolis und dem grossen Bassin aufgefundene
Stück der Leitung besteht aus grossen Porosquadern, die ei-
nen begeh baren unter dem Erdboden liegenden Canal bilde-
ten. Von dem letzteren gehen zwei alte Thonrohrleitungen aus,
welche für die Üatirung der ganzen Anlage von besonderem
Werte sind. Die eine, welche einen inneren Durchmesser von
0,19—0,22ru hat, leitete das Wasser unterirdisch zum grossen
Bassin; die andere, nur 0,12— 0,14 starke, deren Ende noch
nicht aufgedeckt ist, scheint Wasser zum Asklepieion gebracht
zu haben. Die einzelnen Rohrstücke sind 0,60 bis 0,61 lang
(ohne den Ansatz zum Ineinandergreifen) und bestehen aus
einem feingeschlemmten gelblichen Thon. Im Inneren sind sie
mit rotem Firniss überzogen, im Ausseren haben sie keinen
Überzug, sondern nur an beiden Enden, und in der Mitte je
zwei Streifen von demselben Firniss. Durch einen Bleiverguss
mit einander verbunden, bildeten die Rohre eine sehr dichte
Leitung, deren Reinigung dadurch ermöglicht war, dass jedes
Rohr eine mit einem besonderen Deckelchen geschlossene el-
liptische Öffnung besass. Diese Robre stimmen in auffallen-
der Weise überein mit den Thonrohren der berühmten Was-
serleitung, welche Polykrates von Samos im 6. Jahrhundert
durch Eupalinos von Megara hersteilen liess. Soweit man nach
der von E. Fabricius (Athen. Mittheilungen IX S. 175) gege-
benen Beschreibung und Abbildung urteilen kann, scheinen
die Rohre fast identisch zu sein. Eine unmittelbare Vergleich-
ung hoffe ich bald vornehmen zu können. Schon jetzt braucht
man kein Bedenken zu tragen, die Thonrohrleitungen (und
damit auch die ganze Anlage) wegen ihres Firnisses, wegen
der Art des Ineinandergreifens der einzelnen Rohre und we-
gen der Dichtung mit Blei für ein altgriechisches Erzeugniss
zu halten.
Um das alte Brunnenhaus aufzufinden, haben wir den Raum
zwischen dem Bassin und der alten Strasse freigelegt. Das
Brunnenhaus selbst ist dabei nicht zu Tage gekommen, wol
aber mehrere Steine, welche nachweisbar dem Brunnenhause
DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAKRUNOS 443

des Peisistratos angehört haben. Wie die Terrainverhältnisse


lehren, muss dieses selbst nördlich von dem grossen Bassin
unmittelbar am Pnyx-Felsen, also an derselben Stelle ange-
setzt werden, wo auch das älteste Brunnenhaus mit den na-
türlichen Quellen lag. Da der Platz gerade unter der heutigen
mit Bäumen bepflanzten Fahrstrasse liegt, konnten nur klei-
nere Nachgrabungen vorgenommen werden, die noch kein
sicheres Resultat ergeben haben. Es wird später neben der
heutigen Strasse gegraben und der ganze Platz bis zum anti-
ken Fahrwege freigelegt werden müssen. Viel von dem alten
Brunnenhause erhalten zu finden, dürfen wir allerdings nicht
erwarten, nachdem durch die in ein römisches Haus verbau-
ten Steine des Brunnenhauses festgestellt ist, dass mindestens
ein Teil der Anlage in späterer Zeit zerstört worden ist. Aber
wir dürfen auf weitere bestätigende Funde hoffen, die bei der
Wichtigkeit der Frage, um deren Entscheidung es sich hier
handelt, Jedem erwünscht sein werden.
Die Steine des Brunnenhauses sind teils grosse Porosqua-
dern, von denen eine Wasserrinnen mit zwei Mündungen ent-
hält und mit Kalksinter überzogen ist, wie er sich in den athe-
nischen Wasserleitungen noch heute bildet, teils aus Quadern
eines am Fusse des Hymettos hei dem Dorfe Karä gewonne-
nen Kalksteines, welcher zu den Stylobaten und den unteren
Teilen der Bauten des 6. Jahrhunderts regelmässig benutzt
ist. Eine der letzteren Quadern scheint zu dem Fussboden der
Brunnenhalle gehört zu haben, während die andere wegen
ihrer Gestalt und ihrer Auswaschungen vermutlich zu dem als
Wasserrinne dienenden Aufbau gehört hat, der sich auf anti-
ken Abbildungen des Brunnenhauses unterhalb der Mündun-
gen befindet. An diesem Steine kommt überdies gerade dieje-
nige Klammerform ( h ) vor, welche bei den ältesten atheni-
schen Bauten beobachtet ist.
Noch ein weiterer Fund passte sehr gut zu dieser Zeitbe-
stimmung der grossen Wasserleitung. Zwischen den Bassins
im Pnyxfelsen und der antiken Strasse wurden zwei Schacht-
brunnen gefunden, welche spätestens im 6. Jahrhundert vor
444 DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAKRUNOS

Chr. zugeschüttet worden sind. Sie waren bis obenan mit


Schutt gefüllt, der Hunderte von Vasenscherben enthielt, und
zwar lediglich Topfware des geometrischen und anderer ver-
wandten Stile. Schwarzfigurige, rotfigurige oder andere Scher-
ben jüngerer Zeit kamen nicht vor. Ist demnach die Zuschüt-
tung spätestens im 6. Jahrhundert erfolgt, so darf sie in Ver-
bindung gebracht werden mit der Veränderung der Wasser-
verhältnisse, welche durch die Anlage der peisistratischen
Wasserleitung hervorgerufen wurde. Nachdem gutes und reich-
liches Trinkwasser vom Hymettos oder Pentelikon zur Agora
geleitet war, konnten die alten unbequemen Tiefbrunnen zu-
gesch üttet werd en.
Vereinigen sich so Funde der verschiedensten Art zu dem
wichtigen Resultat, dass es in ältester Zeit an dem Fahrwege
zwischen Agora und Akropolis und zwar am Fusse der Pnvx
einen aus mehreren Quellen und Tiefbrunnen bestehenden
Stadtbrunnen gab und dass dieser im 6. Jahrhundert durch
Anlage einer grossen aus dem oberen llissosthale kommen-
den Wasserleitung vergrössert und wegen seiner Wasserfülle
zu einer Sehenswürdigkeit Athens wurde, so müssen wir auf
Grund der Nachrichten der alten Schriftsteller in dieser Brun-
nenanlage die berühmte Enneakrunos erkennen.
Es ist hier nicht der Ort, auf diese litterarisehen Nachrich-
ten einzugehen; in einem der nächsten Hefte der Mittheilun-
gen soll das geschehen. Es mag hier nur für diejenigen, wel-
che ein besonderes Interesse für die Frage haben, angedeutet
werden, dass Thukydides meines Erachtens nur deshalb als
Zeuge für die Lage der Enneakrunos am llissos aufgerufen
werden konnte, weil seine Angabe (11, 15) unrichtig aufge-
fasst worden ist. Mit τούτο το (λέρος της ιτόλεως bezeichnet er
nicht den am südlichen Fuss der Akropolis gelegenen Teil der
Altstadt, sondern denjenigen Teil der Stadt seiner Zeit, wel-
cher die älteste Stadt war und auch damals amtlich πόλις ge-
nannt wurde, also die ganze, aus der oberen Akropolis und
einem Stück an ihrem südlichen (und südwestlichen) Fusse
bestehende Altstadt. Nach dieser Altstadt hin, d. h. vor ihrem
DIE AUSGRABUNGEN AN DER ENNEAKRUNOS 445

dem Areopag gegenüber gelegenen Thore, lagen nicht nur die


x?on Thukydides besonders genannten alten Heiligtümer, son-
dern auch der früher Kalirroe, später Enneakrunos genannte
Stadtbrunnen.
Von Einzelfunden müssen noch einige alte Gräber erwähnt
werden, welche gegenüber dem Stadtbrunnen am west-
lichen Abbange der Akropolis entdeckt worden sind. Ein
kleines in den Felsen gehauenes Grab enthielt ausser den Ge-
beinen zwei Vasen mit mykenischen Verzierungen, während
zwei andere grössere Felsgräber viele Holzasche, einige ver-
brannte Knochen und einzelne Vasenscherben etwa des 6.
Jahrhunderts enthielten. Diese letzteren sind also Brandgrä-
ber, wie sie auch in anderen Teilen Attikas schon gefunden
sind.
Bei der in Aussicht genommenen Fortsetzung der Ausgra-
bungen kann leicht die Probe auf die Richtigkeit der Benen-
nung unserer Brunnenanlage als Enneakrunos gemacht wer-
den. Oberhalb der Enneakrunos sah Pausanias das Eleusinion
und nach dem Markte zu, also unterhalb, ein Odeion genann-
tes Theater. Beide Anlagen müssen sich auffinden lassen. Das
Eleusinion muss am westlichen Abhänge der Akropolis, süd-
lich von dem entdeckten kleinen Asklepieion und an der Stelle
gelegen haben, wo die drei Gräber gefunden sind. Das Odeion
dagegen muss an der Westseite des Areopags liegen. Seine Auf-
suchung ist ohne Weiteres möglich und muss bald zum Ziele
führen, da die Auffindung einer runden Mauer oder Stufe ge-
nügt, um den Bau als Theater zu erkennen.
Je weniger die Lage des aufgefundenen Brunnens zu dem
Bilde passt, welches sich die meisten Fachgenossen von dem
alten Athen gemacht haben, um so mehr ist es Pflicht, die
Ausgrabungen fortzusetzen. Sichere Resultate werden nicht
ausbleiben.
WILHELM DÖRPEELD.

i—--»—£c~—-

Athen, mittheilungkn xvii. 30

Das könnte Ihnen auch gefallen