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Felix Dörmann (1870-1928): Gedichtauswahl

Satanella (aus der Sammlung Neurotica, 1891)

1.
Wenn die Gluten des Weines
Dein Antlitz röten,
Bleiche Madonna,
Dann flieh' meinen Augen.
Ich bete Dich an
Und liebe Dich grenzenlos, -
Aber nur mit todesblassen Wangen;
Doch zeigst Du Dich mir
Durchflutet vom Feuer
Des spanischen Weines,
Sanft erglühend,
So faßt mich die Lust,
Die schreiende Lust,
Dich zu küssen, zu küssen, zu küssen,
Und im Kuß zu erdrosseln; -
Denn Du mußt bleich sein,
Totenbleich.

2.
Ruhbedürftig, liebesübersättigt,
Sinkt nach tobenden Genüssen
Dein gespensterblasser,
Herrlicher Leib
Keuchend zurück.
Weit geöffnet, in schweren Atemzügen
Zittern die Nüstern,
Und im leisen Nachtkrampf
Zerren sich die hochgeschürzten Lippen …
Langsam steigt von Deinem tiefgelegnen
Onyxdunklen Auge
Deines Lides leichtumblauter,
Schwerer Schleier.
Liebesicher und hochmut-funkelnd
Glutet Dein Blick in meinem …
Plötzlich, den hilflos-zornigen,
Liebezermarterten Leib
Machtvoll niederzwingend,
Wühlt sich der Wille zur Wollust
Nochmals stürmisch auf aus Deiner Seele,
Und herüber zu mir
Zischt Dein gewaltiges
Grauenhaft süßes:
"Her zu mir!"

3.
Blaugrünes Ampellicht
Flutet in vollen Strömen,
Wie zitternder Weihrauchdampf,
Wie phosphorschimmernde Mondesgloriole
Um Dein weit zurückgebogenes
Geisterhaft herrliches Haupt;
Schreckhaft leuchten
Aus dem mattgetönten Antlitz
Deiner Augen
Bräunlich violette Ringe.
Düster glosend wie Granaten
Wühlen und drängen und bohren sich
Deine gewaltigen, bannenden
Flammensterne
Tief hinein ins Herz meines Herzens …
Nein, ich kann nicht,
Kann nicht widerstehen
Diesem wortlos-heißen Wollen,
Dieser liebesirren Bitte -
Nimm mich hin!

4.
Ineinander schlingen sich die Glieder …
Aus Deinem hoch aufwogenden,
Wonnegepreßten Busen quillt
Ein seliges Seufzen und Stöhnen …
Wieder wirft und biegt sich mein Leib
In markaussaugenden Krämpfen der Lust …
Durch jede Nervenfaser bebt ein Sturm …
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Von Deinem blutig gebissenen Lippen bricht
Unheimliches Freudengeheul -
Weiter wütet die Liebesfeier.
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5.
Zerfetzte Kamelien
Im heliotrop-durchtränkten,
Blauschwarzen Haar;
Die strotzende Brust,
Dicht an die meine gebettet,
Mich umschlingend
Mit den kußgeröteten Armen,
Mit dem ganzen schlangengeschmeidigen Leib -
Also teilst Du mein Lager.
Agonie der Wollust,
Süß betäubende,
Hat Dir langsam
Deine fiebernden Sinne
Eingeschläfert,
Hat die hochgespannten,
Pressenden Muskeln
Leise gelöst.
Ruhig steigt Dein Atem
Auf und nieder
Und ein Lächeln,
Eines glücklichen Kindes
Seliges Lächeln,
Streift verklärend,
Dämon verscheuchend
Über Dein Antlitz.

Intérieur (aus der Sammlung Sensationen, 1892)

Ein Intérieur von lichter Scharlachseide,


Ein wohldurchwärmtes, traulich-enges Heim.
Aus schlankgeformten Ständerlampen quillt,
Von buntgefärbten Abas-jours gedämpft, –
Ein rosig warmer Lichtstrom zitternd nieder.
Orangen und Narzissen hauchen träumend
Die duftig-schweren Blüthenseelen aus –
Und tiefes, tiefes Schweigen. – Hingelagert
Auf üppig weichen Eisbärfellen, ruht
Ein schlankes Weib, die Lippen halberbrochen,
Mit leicht-umblauten, müden Schwärmeraugen, –
Und träumt und träumt von seelenheißer Freude,
Von zügellosem Schwelgen, trunknem Rasen,
Von einem hochgepeitschten Taumelreigen
Der abgestumpften, wurzelwelken Nerven,
Von einem letzten, niegekannten Glück,
Von einer Wonne, die der Wonnen höchste
Und doch nicht Liebe heißt – und träumt und träumt.

Was ich liebe (aus der Sammlung Sensationen, 1892)

Ich liebe die hektischen, schlanken


Narzissen mit blutrothem Mund;
Ich liebe die Qualengedanken,
Die Herzen zerstochen und wund;

Ich liebe die Fahlen und Bleichen,


Die Frauen mit müdem Gesicht,
Aus welchen in flammenden Zeichen,
Verzehrende Sinnenglut spricht;

Ich liebe die schillernden Schlangen,


So schmiegsam und biegsam und kühl:
Ich liebe die klagenden, bangen,
Die Lieder von Todesgefühl;

Ich liebe die herzlosen, grünen


Smaragde vor jedem Gestein;
Ich liebe die gelblichen Dünen
Im bläulichen Mondenschein;

Ich liebe die glutendurchtränkten,


Die Düfte, berauschend und schwer;
Die Wolken, die blitzedurchsengten,
Das graue wuthschäumende Meer;

Ich liebe, was niemand erlesen,


Was keinem zu lieben gelang:
Mein eigenes, urinnerstes Wesen
Und alles, was seltsam und krank.
Hugo von Hofmannsthal: Gedichtauswahl

Vorfrühling (1892)

Es läuft der Frühlingswind


Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,


Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Er glitt durch die Flöte,


Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.

Er flog mit Schweigen


Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind


Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Durch die glatten


Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten

Und den Duft,


Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.

1
Terzinen I-IV (1894)

I
Über Vergänglichkeit

Noch spür ich ihren Atem auf den Wangen:


Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?

Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,


Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt

Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,


Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.

Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war


Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,

So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

II

Die Stunden! wo wir auf das helle Blauen


Des Meeres starren und den Tod verstehn,
So leicht und feierlich und ohne Grauen,

Wie kleine Mädchen, die sehr blass aussehn,


Mit grossen Augen, und die immer frieren,
An einem Abend stumm vor sich hinsehn

Und wissen, dass das Leben jetzt aus ihren


Schlaftrunk´nen Gliedern still hinüberfliesst
In Bäum´ und Gras, und sich matt lächelnd zieren

Wie eine Heilige die ihr Blut vergiesst.

2
III

Wir sind aus solchem Zeug wie das zu Träumen,


Und Träume schlagen so die Augen auf
Wie kleine Kinder unter Kirschenbäumen,

Aus deren Krone den blassgoldnen Lauf


Der Vollmond anhebt durch die große Nacht.
.... Nicht anders tauchen unsre Träume auf.

Sind da und leben, wie ein Kind, das lacht,


Nicht minder gross im Auf- und Niederschweben
Als Vollmond, aus Baumkronen aufgewacht.

Das Innerste ist offen ihrem Weben


Wie Geisterhände in versperrtem Raum
Sind sie in uns und haben immer Leben.

Und drei sind Eins: ein Mensch, ein Ding, ein Traum.

IV

Zuweilen kommen niegeliebte Frauen


Im Traum als kleine Mädchen uns entgegen
Und sind unsäglich rührend anzuschauen,

Als wären sie mit uns auf fernen Wegen


Einmal an einem Abend lang gegangen,
Indes die Wipfel atmend sich bewegen

Und Duft herunterfällt und Nacht und Bangen,


Und längs des Weges, unsres Wegs, des dunkeln,
Im Abendschein die stummen Weiher prangen

Und, Spiegel unsrer Sehnsucht, traumhaft funkeln,


Und allen leisen Worten, allem Schweben
Der Abendluft und erstem Sternefunkeln

Die Seelen schwesterlich und tief erbeben


Und traurig sind und voll Triumphgepränge
Vor tiefer Ahnung, die das große Leben

Begreift und seine Herrlichkeit und Strenge.

3
Mein Garten (1891)

Schön ist mein Garten mit den goldnen Bäumen,


Den Blättern, die mit Silbersäuseln zittern,
Dem Diamantentau, den Wappengittern,
Dem Klang des Gong, bei dem die Löwen träumen,
Die ehernen, und den Topasmäandern
Und der Volière, wo die Reiher blinken,
Die niemals aus dem Silberbrunnen trinken ...
So schön, ich sehn mich kaum nach jenem andern,
Dem andern Garten, wo ich früher war.
Ich weiß nicht wo ... Ich rieche nur den Tau,
Den Tau, der früh an meinen Haaren hing,
Den Duft der Erde weiß ich, feucht und lau,
Wenn ich die weichen Beeren suchen ging ...
In jenem Garten, wo ich früher war ...

Die Beiden (1895)

Sie trug den Becher in der Hand


- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:


Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand


Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:

Denn beide bebten sie so sehr,


Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

4
Richard Beer-Hofmann: Schlaflied für Mirjam (1898)

Schlaf mein Kind – schlaf es ist spät!


Sieh, wie die Sonne zur Ruh dort geht,
Hinter den Bergen stirbt sie im Rot.
Du – du weißt nichts von Sonne und Tod,
Wendest die Augen zum Licht und zum Schein;
Schlaf, – es sind so viel Sonnen noch dein,
Schlaf mein Kind, – mein Kind schlaf ein.

Schlaf mein Kind – der Abendwind weht;


Weiß man woher er kommt, wohin er geht?
Dunkel, verborgen die Wege hier sind,
Dir, und auch mir, und uns Allen, mein Kind!
Blinde – so gehn wir, und gehen allein,
Keiner kann Keinem Gefährte hier sein, –
Schlaf mein Kind – mein Kind schlaf ein!

Schlaf mein Kind – und horch nicht auf mich!


Sinn hat’s für mich nur, und Schall ist’s für dich;
Schall nur, wie Windeswehn, Wassergerinn,
Worte – vielleicht eines Lebens Gewinn!
Was ich gewonnen gräbt mit mir man ein,
Keiner kann Keinem ein Erbe hier sein –
Schlaf mein Kind, – mein Kind schlaf ein!

Schläfst du Mirjam? – Mirjam, mein Kind,


Ufer nur sind wir, und tief in uns rinnt
Blut von Gewesnen, – zu Kommenden rollt’s;
Blut unsrer Väter, voll Unruh und Stolz.
In uns sind Alle. Wer fühlt sich allein?
Du bist ihr Leben, – ihr Leben ist dein, –
Mirjam, mein Leben, – mein Kind, schlaf ein.

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