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Psychodynamismus
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Psychodynamismus bezeichnet ein Lebens- und Krankheitskonzept, das Anfang des 18. Jahrhunderts,
wesentlich von Georg Ernst Stahl (1659–1734), begründet wurde. Danach ist eine "irregeleitete" Seele
Ursache für die Störung von Organfunktionen. Affekte wie Freude, Trauer, Zorn, Hoffnung, Liebe
seien für Zustand und Funktionsfähigkeit der Organe bedeutsam. Stahls "seelenbeeinflussende"
Therapievorschläge werden als frühe Bemühungen um eine Psychotherapie gedeutet.[1]
Inhaltsverzeichnis
1 Animismus und Dynamismus
2 Unterschiedliche Rezeption
3 Mythologie
4 Prinzip der Synchronizität
5 Einzelnachweise
Demgegenüber ist der Begriff Dynamismus unabhängig von der Existenz einer Seele. Er ist vielseitiger
und allgemeiner interpretierbar, indem er als Kraft oder Macht lediglich etwas Wirkendes oder
Wirkungen Ausstrahlendes bezeichnet. Es bleibt offen, ob dies in einem konkreten Einzelfalle als
naturwissenschaftlicher Kausalzusammenhang gemeint ist oder ob ein unerklärlicher Zusammenhang
vorliegt, der Anlass zu magischen Vermutungen gibt, etwa Tiere seien verhext, weil an der Tür ein
Zeichen angebracht ist (Mana, Wakanda, Orenda).[5] Auch Carl Gustav Jung versteht den Begriff des
psychischen Dynamismus in diesem Sinne. Er sieht ihn im Zusammenhang mit dem Energiebegriff.
Diesen fasst er als reinen Begriff a priori auf. Er unterscheidet zwischen sinnlich nicht erfahrbarer
Energie und den sinnlich wahrnehmbaren Auswirkungen der Energie, die er als Kräfte ansieht. Kräfte
äußern sich z. B. in sinnlich wahrnehmbaren Bewegungen. Bei der Anwendung des abstrakten
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Energiebegriffs auf Stoffe der Erfahrung trete notwendigerweise eine Konkretisierung oder
Veranschaulichung des (reinen) Begriffs auf. Dadurch werde diese veranschaulichte Begriffsbildung
substanzialisiert und hypostasiert, so etwa die des Äthers.[6] Dynamismus stellt daher zumindest eine
gewisse Konkretisierung des ursprünglich abstrakten Seelenbegriffs dar. Auch Philippe Muller sieht
den Begriff der psychischen Energie als Metapher an, um auf den dynamischen Aspekt des Verhaltens
hinzuweisen.[7] - Der durch Stahl aufkommende Begriff der Nervenkraft bedeutete eine Dynamisierung
und Funktionalisierung der bisherigen mechanischen Nerventheorien.[4] Der Begriff der seelischen
Energie und ihrer Dynamik ist jedoch nicht nur von Gerorg Ernst Stahl gebraucht worden, sondern
schließt eine jeweils ganz bestimmte Lösung des Leib-Seele-Problems in sich ein.[7]
Unterschiedliche Rezeption
Besonders die Romantische Medizin befasste sich mit Stahls Anima-Konzept.[8] Johann Gottfried
Langermann (1768–11832) hat die Theorie Stahls im Gegensatz zu den pragmatischen Psychiatern in
England und zu den Vitalisten in Frankreich durchgehend akzeptiert. Die engergetisch-dynamische
Vorstellung ist jedoch auch von Freud und C. G. Jung verwendet worden, um die verschiedenen
Erscheinungsformen der Libido zu erklären. Dabei wurden von Freud und Jung unterschiedliche
Definitionen für den Begriff „Libido“ verwendet.[6][7]
Mythologie
C. G. Jung fasst die Dynamik des Seelischen als archetypisch
auf. Archetypen werden als Kraftfelder aufgefasst.[9]
Mythologische Darstellungen sind daher die klassische Form
der Darstellung seelischer Dynamik. Eine begrenzte Anzahl
archetypischer Konstellationen ist für die energetisch-
dynamischen seelischen Abläufe, für seelische Entwicklungen
und Veränderungen bestimmend, vgl. Psychogenese. Hier sei
als Beispiel für die Darstellung dynamischer seelischer Abläufe
die Behandlung des Themas Drachen in der Mythologie
herausgegriffen. Wenn auch die Dynamik in der angegebenen
Paolo Uccello: Der heilige Georg im
Abbildung des Gemäldes von Paolo Uccello auf den Gegensatz
Kampf mit dem Drachen. Öl auf
Animus und Anima hinzudeuten scheint, so ist damit die
Leinwand, um 1470. National
Interpretation des Symbols „Drache“ sicherlich nicht erschöpft.
Gallery, London
In der Abbildung weisen die dunklen Elemente wie „Nacht“,
„Höhle“, „Unterwelt“, „Tiefe“ und nicht zuletzt des Elements
„Drache“ auf die Entwicklungsreihe des weiblichen Archetypus
hin, ebenso wie die Elemente „Erde“, „Berg“, „Tal“.[9] Die
hellen Elemente, die hauptsächlich durch das Pferd
gekennzeichnet sind, weisen auf den männlichen Archetypus
hin. Die weibliche Dynamik ist von anderer Qualität (Halsband
des Drachen) als die männliche. Am Beispiel der
innerseelischen Dynamik zwischen Animus und Anima ist auf
die prinzipielle Gegensatzstruktur der innerseelischen wie auch Das Seeungeheuer Ketos auf dem
der physiologischen Abläufe hinzuweisen, vgl. → Gemälde „Perseus befreit
Bereitstellung. - Ganz anders erscheint die Darstellung des Andromeda“ von Piero di Cosimo. Öl
Kampfs mit dem Drachen von Piero di Cosimo in der auf Holz, 1513. Uffizien, Florenz
Perseussage. Hier scheint wegen der von Perseus getadelten
Schutzlosigkeit[10] von Andromeda (im Gemälde nicht an den
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Felsen, sondern an einen Baum gefesselt) der gesellschaftliche Aspekt des Mutterarchetyps im
Vordergrund zu stehen wie er in der psychologischen Deutung des Drachenmotivs durch Lutz Röhrich
dargestellt wurde und nicht der vorgenannte Gesichtspunkt des innerseelischen Individuationsprozesses
bzw. der Individualmythologie.[11][12] Auf dynamische Aspekte weist u. a. auch die Heraklessage hin,
siehe den Kampf mit dem Nemëischen Löwen.[9] Erich Neumann hat den Gegensatzcharakter auch im
Hinblick auf Leitfiguren der Ethik beschrieben. Der Heilige vertrete das Lichtprinzip, das durch den
Heiligenschein symbolisiert werde, siehe → Pleroma. Ähnlich verhalte es sich bei Darstellungen, in
denen St. Georg den Drachen erlegt.[13]
Einzelnachweise
1. Eckart, Wolfgang: Geschichte der Medizin, Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York 1990,
ISBN 3-540-51982-3, S. 173f.
2. Ackerknecht, Erwin H.: Kurze Geschichte der Psychiatrie. Enke, Stuttgart 31985, ISBN
3-432-80043-6; Seite 35 f.
3. Jung, Carl Gustav: Aion. Beiträge zur Symbolik des Selbst. Gesammelte Werke. Walter-Verlag,
Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 9, 2. Halbband, ISBN 3-530-40085-8, zur
Phogiston-Theorie: Seite 266, § 394
4. Dörner, Klaus: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der
Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN
3-436-02101-6; (a) zu Stw. „Batties Kritik an Stahl“: Seite 55 f.; (b) zu Stw. „metaphysischer
Charakter des Anima-Begriffs Stahls und Kritik der Vitalisten an ihm“: Seite 122; (c) zu Stw.
„Nervenkraft und Dynamik“: Seite 63;
5. Gruhle, Hans Walter: Verstehende Psychologie. Erlebnislehre. Georg Thieme, Stuttgart 21956;
Seite 437
6. Jung, Carl Gustav: Die Dynamik des Unbewußten. Gesammelte Werke. Walter-Verlag,
Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 8, ISBN 3-530-40083-1; (a-b) zu Stw.
„Begriff des Dynamismus“: II. Die Anwendung des energetischen Standpunkts. Kap. D.
Energetismus und Dynamismus. Seite 532 ff., §§ 927-931; (c) zu Stw. „Synchronizität“: Seite
457 ff. (XVIII. Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge; zusammen mit
Wolfgang Pauli erstellte Schrift)
7. Arnold, Wilhelm et al. (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Bechtermünz, Augsburg 1996, Band 2,
ISBN 3-86047-508-8; zu Stw. „Psychische Energie“ von P. Muller: Spalte 1711
8. Langermann, Johann Gottfried: De methodo cognoscendi curandique animi morbos stabilienda.
(1797); Anmerkung: In der Einleitung dieser Schrift - Seite 3-94 - sind große Auszüge der
Anima-Theorie Stahls abgedruckt.
9. Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C.G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk. Mit einem
Geleitwort von C. G. Jung. Fischer Taschenbuch, Frankfurt März 1987, ISBN 3-596-26365-4,
(a) zu Stw. „Kraftfelder“: Seite 50; (b) zu Stw. „Drachen und andere Elemente in der
Entwicklungsreihe des Archetypus des Weiblichen“: Seiten 53 f., (c) zu Stw. „Drachen“: Seiten
53 f., 98; (d) zu Stw. „Synchronizität“: Seite 55
10. Ovid: Metamorphosen. Liber IV, Vers 695 ff.
11. Röhrich, Lutz: Drache, Drachenkampf, Drachentöter, Seite 813–815.
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Psychodynamismus – Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Psychodynamismus
12. Kerényi, Karl: Über Ursprung und Gründung in der Mythologie. In: Einführung in das Wesen
der Mythologie. Amsterdam 1941, Anm.: Der Ausdruck „Individualmythologie“ wurde von
Kerényi geprägt. Seite 36
13. Neumann, Erich: Tiefenpsychologie und neue Ethik. © 1964 by Kindler-Verlag München,
Ausgabe im Fischer-Taschenbuch-Verlag 1985, Reihe: Geist und Psyche, ISBN 3-596-42005-9;
Seiten 33, 79-84
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