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I.
In einer Abhandlung von Engisch aus dem Jahr 1932, die hinsichtlich der
Entwicklung des Kausalitätsbegriffs im Übrigen Geschichte gemacht hat,
befindet sich ein Beispielsfall, der zum Klassiker geworden ist: Der Vater
eines Mordopfers stößt den Henker zurück, als dieser gerade ansetzt, die –
damals geltende – Todesstrafe am Mörder seines Kindes zu vollstrecken, und
vollzieht gleichzeitig selbst die Hinrichtung, um sein Kind zu rächen 1. En-
gisch wählte dieses Beispiel in seinem Kampf gegen die conditio-sine-qua-
non-Formel, die er durch die „Formel der (natur-)gesetzmäßigen Bedin-
gung“ ersetzen wollte 2. Es bestand allerdings kein Zweifel, dass es der Vater
und kein anderer war, der den zum Tode Verurteilten getötet hatte, auch
wenn seine Handlung hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg
entfallen wäre.
Feuerbach hatte jedoch etwa 100 Jahre zuvor in einem gleich gelagerten
Fall die Auffassung vertreten, dass der Täter „wider die öffentliche Ordnung
als Polizeiübertreter handelt, nicht wider das Recht des andern auf Leben,
als Mörder“ 3.
4 BGHSt. 2, 20, 24; 10, 369, 370; 13, 13, 14 f.; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Straf-
rechts Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, S. 281 ff.; Wessels/Beulke, Strafrecht Allgemeiner
Teil, 36. Aufl. 2006, Rdn. 161; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2005, § 4
Rdn. 11 ff.; Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rdn. 58 ff.;
Schönke/Schröder-Lenckner/Eisele, StGB, 27. Aufl. 2006, Rdn. 80 vor §§ 13 ff.;
Eb. Schmidt, Arzt im Strafrecht, 1933, S. 161 ff., 200 ff.; Jakobs (Anm. 3), 7/74 ff.; ders.,
Risikokonkurrenz – Schadensverlauf und Verlaufshypothese im Strafrecht, Festschrift
für Lackner, 1987, S. 53 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des
Erfolgs, 1988, S. 562 ff.; Puppe, Der Erfolg und seine kausale Erklärung im Strafrecht,
ZStW 92 (1980), S. 863 ff., 888 ff.; dies, Nomos Kommentar, 2. Aufl. 2005, Rdn. 152 vor
§ 13; Freund, MüKo-StGB, 2003, Rdn. 309 Vorbemerkung §§ 13 ff. A. A.: grundsätz-
lich Samson, Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972, S. 88 ff., 125 ff.; Arthur
Kaufmann (Anm. 3); Rudolphi, Systematischer Kommentar, 6. Auflage, 26. Lfg. Juni
1997, Rdn. 60 ff. vor § 1; Hoyer, Kausalität und/oder Risikoerhöhung, Festschrift für
Rudolphi, 2004, S. 95 ff., insbes. S. 103 f.; ders, Überbedingte Erfolge, Festschrift für
Jakobs, 2007, S. 175 ff., insbes. 186 ff.; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 2007,
9/27 ff.
5 Genauso wie die herrschende Meinung die Möglichkeit ablehnt, dass ein hypothe-
tischer Verlauf die Zurechnung eines realen Verlaufs aufheben kann, akzeptiert sie –
kaum vereinbar mit der grundsätzlichen Ablehnung jeglicher Relevanz – in bestimm-
ten Situationen, dass das Vorliegen eines hypothetischen Verlaufs, der den gleichen Er-
folg verursacht hätte, die Verantwortlichkeit abschwächen kann; vgl. dazu Engisch
(Anm. 1), S. 18, Fn. 1; Spendel, Der Conditio-sine-qua-non-Gedanke als Strafmilde-
rungsgrund – zugleich ein Beitrag zum Besonderen Teil der Strafzumessungslehre,
Festschrift für Engisch, 1969, S. 509 ff., insbes. 523 ff.; Jakobs (Anm. 3), 7/90 ff., 92;
Frisch (Anm. 4), S. 568, Fn. 220.
zur Todesstrafe verurteilt, verlangte aber im Prozess für eben diesen Fall,
dass er erschossen und nicht gehängt werde. Es wäre mithin vorstellbar ge-
wesen, dass ein Gefolgsmann des Angeklagten sich diesen Wunsch zu Her-
zen genommen hätte und zur Stunde der Hinrichtung einen Schuss abgege-
ben hätte. Durch den Überraschungseffekt und den Sturz des Körpers wäre
das Erhängen verhindert worden, das „Opfer“ aber an der Schussverletzung
einige Minuten später und damit zur vorgesehenen Hinrichtungszeit gestor-
ben. Die „mutmaßliche Einwilligung“ könnte die Tat nach der herrschenden
Meinung höchstens zu einer Tötung auf Verlangen werden lassen, nicht je-
doch das Unrecht ausschließen. Mit den Worten von Jakobs: „Kraß: Dem
Hinzurichtenden ist garantiert, dass er vom Zuständigen getötet wird“ 9.
Jedoch ist die Enttäuschung dieser „Erwartung“ eher eine Anmaßung
staatlicher Gewalt und nicht die Entziehung des Lebens an sich, das der
Staat bereits für wertlos erklärt hat. Dass der Todesschütze wegen der Ver-
letzung staatlicher Kompetenzen verurteilt wird, stärkt in keiner Weise das
Vertrauen in den Wert des eigenen Lebens, was aber gerade Aufgabe des
Tötungsverbots ist.
II.
Auf der anderen Seite bildet Jakobs in seinem Lehrbuch „einen Oberbegriff
des Verhaltens …, der in der vermeidbaren jeweiligen Erfolgsdifferenz die
Gemeinsamkeit von Handeln wie Unterlassen umfasst“ 10. Ob diese Verhal-
tensdefinition die bestmögliche darstellt, soll hier nicht beurteilt werden; in
jedem Fall ist es richtig, dass, wenn etwas als objektives äußeres Datum, z. B.
ein Erfolg, zugerechnet werden kann, dieses aus einer Differenz bestehen
muss.
Die entscheidende Frage wird jedoch nun sein, welcher Zustand von
Dingen als Grundlage für den Vergleich mit dem durch den Täter verursach-
ten Zustand angenommen wird, um die Differenz festzustellen und, falls
diese existiert, sie auch gerecht zu behandeln.
Die herrschende Strafrechtslehre wählt die Differenz zwischen dem sta-
tus quo ante (ein lebendiger Mensch, ein heiles Glas) und der nach der
Handlung des realen Verlaufs vorliegenden Situation (ein toter Mensch, ein
III.
der objektiven Zurechnung vertreten, wie Jakobs, Frisch oder Puppe, in die-
sem Punkt der herrschenden Meinung darin beipflichten, dass „Reserveursa-
chen“ die Zurechnung eines durch den realen Verlauf verursachten Erfolges
nicht ausschließen. Die Selbstsicherheit der vorwiegenden Auffassung soll
daher hier in Zweifel gezogen werden, indem zunächst eine kurze Einleitung
zum Stand der Diskussion über die „Differenzhypothese“ in der deutschen
Zivilrechtslehre gegeben wird.
Zur Anwendung der „Differenztheorie“ denkt die sie vertretende Lehre
nicht nur die zu beurteilende Handlung mit der conditio-sine-qua-non-For-
mel hinweg – abgesehen davon, dass der Kausalitätsbegriff selbst aus der
Formel der „naturgesetzlichen Bedingung“ herrührt –, sondern denkt jene
Verläufe hinzu, die sich ergeben hätten, wenn die Handlung, die den tatsäch-
lichen Schaden verursacht hat, nicht vollzogen worden wäre. Auf den ersten
Blick ist diese Lösung sogar durch das positive deutsche Recht selbst im
Wortlaut des § 249 Abs. 1 BGB vorgegeben, der Art und Umfang des Scha-
densersatzes regelt: „Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zu-
stand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende
Umstand nicht eingetreten wäre“.
Im modernen Lehrbuch von Lange/Schiemann 11 wird die Differenz-
hypothese mit folgenden Worten vorgestellt:
„Denkt man in den Fällen hypothetischer Schädigungen den zum Ersatz verpflich-
tenden Umstand hinweg, so wäre dem Ersatzberechtigten der vom Verpflichteten an-
gerichtete Schaden ganz oder teilweise auch entstanden. Das Gesetz sagt zwar nicht
ausdrücklich, dass bei der Schadensberechnung hypothetische Schädigungen hinzuzu-
denken sind. Aber es ist schwerlich zu bestreiten, dass im Rahmen der Differenzhypo-
these nicht nur das schädigende Ereignis hinwegzudenken ist, sondern die Errechnung
des maßgeblichen Saldos ganz allgemein auch die Berücksichtigung von Geschehens-
abläufen erfordert, die nicht stattgefunden haben“ 12.
Auch wenn diese Interpretation plausibel erscheint, kann der Text des § 249
Abs. 1 BGB jedoch genauso gut als bloße Regel verstanden werden, die im
Prinzip die Naturalrestitution anstelle des Schadensersatzes in Geld vor-
schreibt und gleichzeitig zu vollständigem Ersatz verpflichtet (restitutio in
integrum). Aber in jedem Fall leitet sich die Notwendigkeit, Ersatzursachen
bei der Bestimmung eines gerechten Schadensersatzes zu berücksichtigen,
aus dem allgemeinen Grundsatz des Verbots der ungerechtfertigten Berei-
cherung beziehungsweise aus dem daraus abgeleiteten Prinzip der „Vorteils-
ausgleichung“ (compensatio lucrum cum damno) ab. Der vom Schädiger her-
beigeführte Vorteil für den Geschädigten besteht gerade in der Aufhebung
des Schadens, der entstanden wäre, wenn der Schädiger nicht gehandelt
hätte. Grunsky fasst dies wie folgt zusammen: „Der Vorteil besteht im
Nichteintritt eines anderen schädigenden Ereignisses“ 13.
Obwohl die „Differenzhypothese“ 14 ihren Ursprung vor langer Zeit
hatte und zumindest bis auf Friedrich Mommsen zurückgeht 15, waren die
deutsche Rechtsprechung und Lehre Anfang des vergangenen Jahrhunderts
grundsätzlich gegen die Berücksichtigung von Reserveursachen. Jedoch
machten sie gewisse Ausnahmen, etwa für den Fall, dass die hypothetischen
Umstände im Moment der Verletzung bereits vorlagen, wie bei anlagebe-
dingten Verletzungsfolgen des Opfers, aber auch in anderen Fällen. In der
grundsätzlichen Ablehnung, Hypothesen zu berücksichtigen, spielte die Be-
vorzugung der Kausalitätstheorie als Zurechnungskriterium eine Rolle.
„Vor allem das RG stützte sich auf die Erwägung, daß die Kausalität der
»Eingriffsursache« durch das Vorhandensein der »Reserveursache« nicht
aufgehoben werde“ 16. Ähnlich argumentierte die frühe Rechtsprechung des
BGH, nach der eine ausgelöste Kausalität nicht mehr aufgehoben werden
konnte: „… weil mit dem Eingriff sogleich der Anspruch auf Schadensersatz
entstanden war und das Gesetz den späteren Ereignissen keine schuldtil-
gende Kraft beigelegt hat“ 17.
IV.
18 Diese Autoren hatten Einfluss auf das spanischsprachige zivilrechtliche Denken durch
die Übersetzungen der 1. Aufl. von v. Tuhr (durch W. Roces, Madrid, 1934) und der
11. Bearbeitung von Enneccerus/Lehmann (durch B. Pérez González und J. Alguer,
Barcelona, 1954). Die spätere Entwicklung ist, soweit ich weiß, im Allgemeinen unbe-
kannt geblieben.
19 Eine besondere Ausnahme, die im späteren Schrifttum kaum Beachtung fand (evtl.
im Zivilrecht), befindet sich im Buch von Max Ludwig Müller, Die Bedeutung des
Kausalzusammenhanges im Straf- und Schadensersatzrecht, 1912, der neben der Kau-
salität die selbstständige Voraussetzung der „objektiven Rechtsnormwidrigkeit“ prüft
(S. 22 ff., 29), ganz ähnlich wie einige Jahre später Honig in seinem Aufsatz Kausalität
und objektive Zurechnung, in Festgabe für von Frank, Bd. I, 1930, S. 174 ff. Selbst bei
Mommsen (Anm. 15), S. 158, 161 ff., wurde ein Unterschied zwischen Kausalität und
Zurechnung angedeutet: „Außerdem mögen auch hier noch einige Entscheidungen fol-
gen, in welchen es sich nicht sowohl um den Causalnexus zwischen dem eingetretenen
Schaden und der zum Ersatz verpflichtenden Thatsache, als vielmehr darum handelt,
ob eine zur Frage stehende Thatsache in der Weise herbeigeführt ist, daß sie zur Be-
gründung eines Anspruchs auf das Interesse dienen kann“ (Hervorhebung von mir).
Übereinstimmend Schiemann (Anm. 14), S. 266.
ches später mit allen Passagieren unterging, so wenig er sich darauf berufen kann, daß
X doch einmal gestorben wäre. Denn es bleibt trotzdem wahr, dass der Tod des X, so
wie er sich ereignet hat, durch Verschulden des Täters herbeigeführt wurde“ 20.
Hier taucht vor allem ein doppeltes Problem auf: Einerseits wird hier das
Beispiel einer Tötung angeführt, um die Relevanz hypothetischer Verläufe
zu verneinen, was das Ausmaß, in dem solche Verläufe relevant sein können,
erheblich beschränkt – wenn sie denn relevant sind. Hinzu kommt anderer-
seits, dass – in dem Beispiel von Tuhrs – die alternative Herbeiführung des
Todes durch einen hypothetischen Verlauf in jedem Fall erst später als im
realen Verlauf eingetreten wäre. Die zeitliche Dimension spielte in der späte-
ren Diskussion jedoch eine entscheidende Rolle. Als Samson für die Rele-
vanz hypothetischer Verläufe im Strafrecht eintrat, wählte er das Tötungs-
delikt tatsächlich als Mittelpunkt seiner Argumentation. Aber da das Tö-
tungsverbot zumindest nach aktuellem Verständnis ein absolutes Verbot je-
der Verkürzung der Gehirnaktivität auch nur um eine Sekunde ist, muss jede
Lebensverkürzung im Prinzip unter das Tötungsverbot fallen. Selbst von
Tuhr hebt durch kursive Schreibweise hervor, dass der Tod nach dem alter-
nativen Verlauf erst später („nach der Entstehung des Schadens im realen
Verlauf“) eingetreten wäre. Aber seine Argumentation sagt nichts gegen die
Berücksichtigung hypothetischer Verläufe, wenn der alternative Tod vorher
oder gleichzeitig eingetreten wäre 21. Auch sagt sie nichts gegen deren Be-
rücksichtigung, wenn derjenige, der das „Opfer“ davon abhält, das Schiff zu
besteigen, keine Tötung begeht, sondern bloß einen kleineren Schaden be-
22 Der Fall ändert sich grundlegend, wenn es sich nicht mehr um das Tötungsverbot han-
delt, sondern um das Verbot der Sachbeschädigung. Nicht jede Sekunde zerebraler Ak-
tivität eines Rindes ist strafrechtlich geschützt. Wer fahrlässig eine Kuh vom benach-
barten Feld tötet, schuldet keinerlei Schadensersatz, wenn das Gesundheitsamt die Kuh
am nächsten Tag ohnehin notgeschlachtet hätte – es sei denn, es treten besondere Um-
stände hinzu (genau in der Zwischenzeit würde eine wichtige Rinderschau abgehalten).
23 Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil, Bd. I, 14. Aufl. 1987, S. 526 f.;
Frank/Löffler, Grundfragen der überholenden Kausalität, JuS 1985, 689 ff. [insbes.
692]. Einigen Autoren zufolge ist jedoch der Schädiger hier nur in dem Maße verant-
wortlich, in dem der Dritte Ersatz leisten müsste. Vgl. u.a. Esser/Schmidt, Schuldrecht,
Allgemeiner Teil, Bd. I, 8. Aufl. 2000, § 33 IV 1 in diesem Sinne: „Folglich sind nur sol-
che Einwirkungen zu berücksichtigen, für die niemand einstehen muß. Der von dem
Erstschädiger zu ersetzende Nachteil besteht praktisch im Entgang des Ausgleichsan-
spruchs gegen den Zweiturheber.“ Das Prinzip des Ausschlusses hypothetischer Ver-
läufe in Fällen, in denen diese die Verantwortlichkeit eines Dritten ausgelöst hätten, be-
weist die geringe Eignung des Beispiels, mit dem von Thur seine Argumentation
fortsetzt: „Ein Bankbeamter, der am 1. März Wertpapiere aus dem Kassenschrank ent-
wendet, wird nicht dadurch entlastet, daß am 2. März ein Einbruch erfolgt, durch wel-
chen auch die Wertpapiere, die er an sich genommen hat, dem Prinzipal verloren ge-
gangen wären“ (Anm. 20), S. 76. Denn aufgrund der ersten Entwendung hat die Bank
auf den Verursacher ungerecht sein, wenn der Unterschied zwischen Vorteil
und Schaden sehr groß ist. In jedem Falle genügt die Argumentation von
Thurs nicht, die hypothetische Kausalität außer Acht zu lassen, wenn es kei-
nen für den hypothetischen Verlauf Verantwortlichen gibt und der tatsäch-
liche Verlauf den Zustand des Rechtsguts in keiner Weise – im Vergleich zur
Situation, die auf hypothetischem Wege eingetreten wäre – verschlechtert
hat.
2. Was das Lehrbuch von Enneccerus angeht, so wird das Thema bis zur
10. Bearbeitung von 1928 – der letzten, die dieser bedeutende Autor alleine
herausgab bevor das Werk von Lehmann fortgeführt wurde – mit wenigen
Worten abgehandelt. Auch hier ist zu sehen, in welchem Maße das Problem
ohne nähere Begründung mit dem Kausalitätsbegriff verbunden wird. En-
neccerus führte aus:
„Würde die eine Handlung den Schaden zwar herbeigeführt haben, ist aber, bevor sie
ihre Wirkung entfalten konnte, der Schaden ganz unabhängig davon durch eine andere
herbeigeführt, so ist Kausalzusammenhang zwischen der (ersten) Handlung und dem
Schaden nicht vorhanden. War aber der Schaden infolge der Handlung schon eingetre-
ten, so wird der Kausalzusammenhang dadurch nicht wieder aufgehoben, daß der
Schaden später durch andere Umstände doch eingetreten wäre“ 24.
die Möglichkeit verloren, ihren Anspruch gegen die Räuber zu richten (unabhängig da-
von, ob diese auffindbar sind oder nicht). Aber wenn die Wertpapiere, ohne vorher ab-
gehoben worden zu sein, durch ein Feuer verloren gegangen wären und der Schaden
weder von einer Versicherung gedeckt noch von einer anderen Person verursacht wor-
den wäre, wird der Angestellte keinen – bis auf einen vielleicht „moralischen“ – Scha-
den herbeigeführt haben, unabhängig davon, dass er die Titel an ihren Eigentümer
zurückgeben muss. Vom strafrechtlichen Blickpunkt müsste seine Tat in diesem Fall in
letzter Konsequenz durch die spätere Aufhebung des zunächst herbeigeführten Er-
folgsunwerts als Versuch bewertet werden. Vgl. Arthur Kaufmann (Anm. 3). Dass im
Strafrecht, bei dem es um den Vorwurf der fehlerhaften Motivation geht, der Täter –
zumindest bei Vorsatztaten – lediglich für den Handlungsunwert verantwortlich ge-
macht werden sollte, steht auf einem anderen Blatt.
24 Enneccerus, Recht der Schuldverhältnisse, 10. Bearbeitung, 1928, § 235; siehe auch
Anm. 9 (L. 11, § 3, L. 15, § 1, I. 51, pr. u. § 2, D. ad I. Aqu. 9, 2) und Anm. 10 (L. 7, § 4,
i. f. D. quod vi 43, 24). In der Letzteren ergänzte er: „Anders aber, wenn der Schadens-
ersatz in Form einer Rente zu leisten ist, weil es dann auf das Kausalitätsverhältnis für
jeden Zeitabschnitt ankommt, so daß, wenn ein neuer Umstand eintritt, der denselben
Schaden ohnehin verursacht hätte, insoweit die Ersatzpflicht wegfällt.“
Und unter Verweis auf die Beispiele der §§ 287 und 848 BGB als Fälle der
Entlastung des Schuldners aufgrund von relevanten hypothetischen Verläu-
fen, lobte Lehmann die Ausführungen, die kurze Zeit zuvor Philipp Heck 26
zugunsten einer gewissen Berücksichtigung von Reserveursachen gemacht
hatte, als „beachtlich“ 27.
Tatsächlich klingen seine Worte am Anfang nach dem Zungenschlag von
Jakobs, wenn Heck sagt: „Schaden ist nicht die Änderung der Körperwelt,
sondern die zur Zeit der Feststellung des Schadens hervortretende Differenz
des Güterbestands. Es liegt deshalb kein Anlaß vor, bei den hypothetischen
Wirkungen, die wir schließlich einsetzen müssen, die Wirkung der Reserve-
ursache […] auszuschalten“ 28. Anschließend schlägt Heck eine Unterschei-
dung für den Fall vor, dass der tatsächliche Verlauf mit einem zufälligen Ver-
lauf konkurriert oder mit dem eines anderen verantwortlichen Urhebers. Im
ersten Fall muss kein Schaden ersetzt werden, im zweiten deutet sich zu-
nächst die Möglichkeit an, allein den zuerst Handelnden verantwortlich zu
machen – vergleichbar mit der Lösung von Jakobs für die überbedingten Er-
folge 29 –, aber schließlich entscheidet er sich für eine andere Lösung: Beide
Täter sollen zur Verantwortung gezogen werden, der Erste, dessen Verlauf
aufgrund des Eingriffs des Zweiten Reserveursache blieb, sowie der Zweite
als Realverursacher 30.
V.
33 Neben den bereits zitierten Autoren siehe auch die zusammenfassenden Darstellungen
in den Dissertationen von Studhalter, Die Berufung des präsumtiven Haftpflichtigen
auf hypothetische Kausalverläufe – Hypothetische Kausalität und rechtmäßiges Alter-
nativverhalten, 1995, und Heier, Zur Existenz eines einheitlichen Schadensbegriffs im
Sinne der Differenzhypothese unter besonderer Berücksichtigung des Dispositions-
interesses, 2001; vgl. auch Gebauer, Hypothetische Kausalität und Haftungsgrund,
2007.
34 Vgl. Nachweise in Lange/Schiemann (Anm. 11), S. 181, Fn. 3.
35 Genau die entgegengesetzte Auffassung vertretend, Kindhäuser, Zum Vermögensscha-
den beim Betrug, Festschrift für Lüderssen, S. 635 ff., insbes. S. 641 ff., unter 2. u. 3.
Dass die Bestimmung des Schadens durch eine Verrechnung im Strafrecht „unüblich“
ist, ist zuzugeben, aber dass es der „intuitiven Zurechnung des Schadens“ widerspricht,
ist genau das, was hier bestritten werden soll. Es gibt kaum ein grundlegenderes Ge-
rechtigkeitsgefühl als das der Notwendigkeit, Schäden durch Vorteile auszugleichen.
36 Niese, Die moderne Strafrechtsdogmatik und das Zivilrecht, JZ 1956, 457 ff.
Bezug auf den angeblich „realen Verlauf“ bereits angelegt war. Das ist darauf
zurückzuführen, dass der entgangene Gewinn an sich der Verlust einer
Chance ist, das heißt einer Hypothese mit gewisser Wahrscheinlichkeit, und
das Zunichtemachen dieses Gewinns kann, wie jeder andere Erfolg, nur ein
einziges Mal bewirkt werden.
b) In den Fällen in denen die Reserveursache schon bereit steht, den glei-
chen Erfolg herbeizuführen, und der reale Verlauf dieser Herbeiführung we-
der zeitlich vorgeht noch den Schaden intensiviert, entfällt die Pflicht, die
Handlung zu unterlassen – bzw. wird durch eine (bloße) Solidaritätspflicht
ersetzt – und damit auch die Zurechnung, auch wenn dies nicht für die Kau-
salität 40 gilt.
c) In Fällen, in denen der hypothetische Verlauf den Erfolg erst nach
dem realen Verlauf bewirkt hätte, wird über den späteren Wegfall des Scha-
dens noch zu sprechen sein.
Die zweite Gruppe enthält die im Strafrecht am häufigsten diskutierten
Fallkonstellationen, die gleichzeitig die größte theoretische Bedeutung ha-
ben. Bevor die entscheidenden Punkte dieser Diskussion (unten VI ff.) erör-
tert werden, soll mit einigen Missverständnissen aufgeräumt werden.
2. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass der materielle
Grund für die Nichtberücksichtigung hypothetischer Verläufe als Grund-
lage für die Befreiung des Verursachers vom „tatsächlichen Schaden“ darin
liegt, dass der „Vorteil“ der Aufhebung des hypothetischen Verlaufs selten
mit der Handlung in einem adäquaten Kausalzusammenhang steht.
Im Zivilrecht wurde lange Zeit die Auffassung vertreten, dass die hypo-
thetischen Schadensursachen in jedem Fall nur dann berücksichtigt werden
könnten, wenn diese in einem adäquaten Kausalzusammenhang stünden (ein
seinerseits „hypothetischer“ Zusammenhang) 41. Aus welchem Grund sollte
der Verursacher der Verletzungen aufgrund des zufälligen Umstandes be-
günstigt werden, dass das Schiff, welches der Verletzte nehmen wollte, spä-
ter sank? Heute wird das Erfordernis der Adäquanz abgelehnt 42. Das hat
seinen Grund: Denn so wie das schlichte Ausbleiben eines Schadens nach
einer Handlung, die einen vom Täter zu vertretenden Schaden nach aller
Wahrscheinlichkeit hätte herbeiführen müssen, eine Ersatzpflicht nicht be-
40 Es sei denn, man bedient sich der Kausalitätsdefinition im Sinne der c.s.q.n.-Formel.
Diese Theorie verteidigend Frister (Anm. 4).
41 Vgl. die Nachweise bei Lange/Schiemann (Anm. 11), S. 186, Fn. 26.
42 Lange/Schiemann (Anm. 11), S. 186.
VI.
48 Samson (Anm. 4), S. 116; Rudolphi (Anm. 4), Rdn. 60; Frister (Anm. 4), 9/28; Hoyer
(Anm. 4 f. [FS Rudolphi]), S. 104 f.
49 Vgl. Sancinetti, Festschrift für Jakobs, 2007, S. 583 (wo zwar ein größerer Unwert der
Vorsatztat gegenüber der fahrlässigen Tat anerkannt wird, aber weder des vollendeten
Delikts gegenüber dem [beendeten] Versuch noch der Begehung gegenüber der Unter-
lassung).
VII.
VIII.
63 Siehe Anm. 4.
64 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 62 vor § 13 (Hervorhebung dort).
65 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 73 vor § 13 (Hervorhebung dort).
66 Puppe (Anm. 4 [Der Erfolg]), S. 880 f.
67 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 74 vor § 13.
68 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 77 vor § 13 (Hervorhebung dort).
spekt vor den Rechtsgütern“ und eine „verbesserte Sicherung ihres Bestan-
des“ geschaffen werden soll. Welches wäre der in diesem Fall gesicherte
Respekt? Demgegenüber kann man sich genauso wenig auf einen Erfolgs-
begriff im Sinne „eines objektiv feststehenden“ Ereignisses berufen. Denn
wenn der Erfolg eines Tatbestandes von einer normativen Auslegung ab-
hängt, wie Puppe richtigerweise sagt, weil „nicht einmal der tatbestands-
mäßige Erfolg ‚wertfrei‘ bestimmt werden kann“ 73, dann ist ein Erfolg nicht
etwas uns „objektiv Gegebenes“, sondern etwas, das aufgrund eines Wertur-
teils bestimmt wird. In diese Bewertung müsste allerdings einfließen, dass
dank des realen Verlaufs, welcher das Gut beschädigt hat, Schadensverläufe
aufgehoben worden sind. Zumindest darf es ausgehend vom „objektiv Ge-
gebenen“ nicht zu einem belastenden Faktor werden.
Puppe besteht darauf, dass „der Bürger nicht in Spekulationen über die
Zukunftsaussichten eines Rechtsgutsobjekts eintreten dürfen soll, mit dem
Ziel, es seinerseits straflos vernichten zu können“ 74. Das Argument, dass es
dem Bürger nicht erlaubt werden kann, „in Spekulationen einzutreten“,
müsste, wenn es denn richtig wäre, auch für die Rechtfertigungsgründe gel-
ten, die hinsichtlich der Erforderlichkeit notwendigerweise auf einer Pro-
gnose der Entwicklung des Tatgeschehens und der zukünftigen Aussichten
der betroffenen Güter beruhen. Auch beim Unterlassen und der Unterbre-
chung hypothetischer Verläufe muss der Täter in diese „Spekulationen“ ein-
treten. Das Wort „Spekulation“ seinerseits klingt nach der Möglichkeit, dass
der Täter in Wahrheit Zweifel hat, inwieweit die Erfolgsaussichten sich
unterscheiden, das heißt er nicht absolut sicher ist, dass seine Handlung auf
den Fortbestand des Rechtsguts ohne Einfluss ist. Dagegen ist einzuwenden,
dass im praktischen Leben niemand sicher sein kann, dass seine Handlung
straflos ist, wenn der Einfluss auf den Fortbestand zweifelhaft ist, denn er
wüsste erstens, dass er sich damit bereits im Bereich der Versuchsstrafbarkeit
befindet, und zweitens (unterstellt, dass das Argument dazu führte, sich in
Fahrlässigkeitstaten ebenso zu verhalten – ein höchst konstruierter Fall: Spe-
kulationen über Hypothesen bei vorsatzlosen Taten!) wird der Täter wissen,
dass derjenige, der über seine Tat im Nachhinein urteilt, seine Handlung
ohne jeden Zweifel als Verschlechterung der Bestandschancen des Gutes be-
werten könnte. Im Übrigen könnte man rein theoretisch in diesen Fällen die
Handlung als vollendete Tat bestrafen, wobei der Erfolgsunwert nur dann
75 Natürlich besteht im Zivilrecht eine breite Übereinstimmung darüber, dass die Beweis-
last hinsichtlich der Auswirkungen des hypothetischen Verlaufes bei dem tatsächlichen
Verursacher liegt. Dazu vgl. anstelle vieler, Lange/Schiemann (Anm. 11), 4, XI
(S. 198 f.); die Gegenmeinung wird möglicherweise allein von Lemhöfer (Anm. 32),
S. 341, 343, vertreten. Zur Ansicht von Mommsen siehe auch oben, Anm. 15.
76 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 152 vor § 13.
Puppe führt als letztes Argument dafür ins Feld, dass „Kausalverläufe,
die nicht stattgefunden haben, den Täter grundsätzlich auch dann nicht ent-
lasten, wenn sie sich bereits im Zeitpunkt seiner Tat für den objektiven Be-
obachter mehr oder weniger deutlich abzeichnen“ 77. Ihr zufolge ist die Ma-
xime „,was fällt, das darf man auch noch stoßen‘, demnach keine gute
Maxime für das Recht“ 78. Dieser Satz betrifft praktisch uns alle in unseren
tiefsten moralischen Überzeugungen, weil wir gewohnt sind, uns in das
Schicksal des Opfers nicht einzumischen, wenn für dieses nichts mehr getan
werden kann oder wenn zwar noch etwas getan werden kann, aber dies uns
nichts angeht oder wir nicht die geeigneten Retter sind. Wenn jemand jedoch
ein anderes Verhalten wählt, kann ihm vorgeworfen werden, dass die Mehr-
zahl von uns bevorzugt, dass das Schicksal ohne äußeren Einfluss seinen
Lauf nimmt? Der Gebrauch des Wortes „stoßen“ deutet einen Kreislauf an.
Doch müsste zunächst geklärt werden, warum das Gut zu „stoßen“ den
Austausch eines Giftes durch ein gleichartiges oder schwächeres, aber im
konkreten Fall genauso tödliches, bedeuten würde. Die Tatsache, dass das
Gut durch die bestehenden Umstände bereits gestoßen wird, ist Bestandteil
der Anfangssituation des Gutes, auf die der Täter trifft. Natürlich ersetzt der
Täter den bestehenden Verlauf dadurch, dass er sich in diesen einschaltet,
aber im Saldo verschlechtert er nicht die Anfangssituation.
2. Wahrscheinlich eine der anschaulichsten Arbeiten zur Risikokonkur-
renz und gegen die Berücksichtigung hypothetischer Verläufe ist der Beitrag
von Jakobs zur Festschrift für Lackner 79. Jakobs unterscheidet grundsätz-
lich zwischen bloßen Variationen desselben Risikos und der Ersetzung eines
Risikos durch ein anderes: „Wenn das Risiko identisch bleibt, geht durch
Berücksichtigung von Hypothesen keine Erklärungsmöglichkeit verloren“ 80.
Hingegen ist ihm zufolge „… die Berücksichtigung von Hypothesen nur
innerhalb eines Risikos angebracht, aber bei der Konkurrenz mehrerer Risi-
ken falsch“ 81. Die praktische Durchführbarkeit dieser Unterscheidung ist
mehr als einmal bezweifelt worden 82, soll hier aber als richtig unterstellt
werden.
77 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 152 vor § 13 (Hervorhebung dort).
78 Puppe (Anm. 4 [NK]), Rdn. 152 vor § 13.
79 Jakobs (Anm. 4).
80 Jakobs (Anm. 4), S. 56.
81 Jakobs (Anm. 4), S. 56 (Hervorhebung dort).
82 Diese Unterscheidung befürwortend, vgl. u. a., E. A. Wolff, Kausalität von Tun und
Unterlassen, 1965, S. 17, 22 ff.; Wessels/Beulke (Anm. 4), § 6 Rdn. 195; Roxin (Anm. 4),
§ 11 Rdn. 54. Gegen die Durchführbarkeit der Unterscheidung Samson (Anm. 4), S. 45,
110 ff.; Dencker (Anm. 3), S. 77; zweifelnd Sancinetti (Anm. 49), S. 588, Fn. 27.
Das ist der Grund, warum Jakobs sich der Ansicht entgegenstellt, wo-
nach „nicht erst die Verwirklichung eines Risikos enttäuschen und der Er-
klärung bedürfen [soll], sondern schon das Entstehen einer Lage, in der ein
Gut nicht mehr zu retten ist“ 88, als ob es auf den „Rechtsgutchancensaldo“
ankomme 89. Wiederum gegen dieses Argument führt er an: „Diese Lehre
scheint sich freilich dem schon angeführten Dilemma der Hypothesen-
berücksichtigung auszuliefern …: Eines der Risiken scheidet aus, da das an-
dere in Reserve steht, und dieses scheidet aus, da es sich nicht verwirklicht
hat“ 90. Oder wie er es in seinem Lehrbuch darstellt: „Ganz parallel der Feh-
lerhaftigkeit der Formel von der conditio sine qua non führt bei der Feststel-
lung der Risikoverwirklichung die Berücksichtigung von Hypothesen zu
Fehlern, wenn ein Ersatzrisiko bereitsteht. Das zu prüfende Risiko und das
Ersatzrisiko blockieren gegenseitig die Feststellung ihrer Verwirklichung“ 91.
„Deshalb geht bei diesem Verfahren“ – so liest man noch in seiner Abhand-
lung zur Risikokonkurrenz – „Zurechnung verloren“ 92.
Trotz dieses entschiedenen Widerspruchs räumt Jakobs für den Fall, dass
ein austauschbares Gut betroffen ist, ein, dass die Gegenansicht „durchge-
hen“ mag, gibt aber zu bedenken, dass „bei einem höchstpersönlichen Gut
das Ansehen des Guts leiden dürfte, wenn man es ohne vernünftigen Grund
vernichten kann, nur weil es sowieso nicht mehr zu retten ist“ 93. Danach
wäre es unterschiedlich zu beurteilen, ob jemand „Löcher in die Bordwand
eines Schiffes“ schieße oder Schüsse „in die Köpfe der Besatzungsmitglie-
der“ abfeuere 94. Im ersten Fall könne man an dem Vorliegen einer Sachbe-
schädigung zweifeln, im zweiten nicht an dem eines Totschlages. Hier wird
allerdings über die Tatsache hinweggegangen, dass der „Kopfschuss“ eine
Verschlechterung der Situation herbeiführt (Intensivierungsprinzip), die ge-
rade auch nach der Auffassung Samsons bereits durch den Totschlagstatbe-
stand erreicht wird. Sicherlich gibt es Unterschiede hinsichtlich des betroffe-
nen Strafrechtstatbestandes 95, aber in Bezug auf das Totschlagsdelikt ist
notwendig ein Fall zu bilden, der keinerlei Intensivierung bewirkt, so wie in
unserem Beispiel des Fischers oder dem Bergsteigerfall von Dencker.
IX.
dieser Situation keine Kenntnis hat, feuert einen Schuss auf C ab. Der Schuss
führt dazu, dass C das Gift erbricht, welches ihn unmittelbar darauf getötet
hätte. C stirbt etwas später an den Schussfolgen. Für diejenigen, die wie
Frister 101 und Toepel 102 die Conditio-Formel ohne die „Korrekturen“ der
„Ergänzungsformeln“ anwenden, hat keiner der beiden Handelnden eine
Erfolgsbedingung gesetzt. Aber auch wer die Kausalität der Handlung von
B anerkennen wollte, dürfte ihm jedenfalls nicht den Erfolg zurechnen, zu-
mindest soweit er sich der Ansicht anschließt, dass die Verzögerung der
Herbeiführung des Todeserfolges eine Verantwortlichkeit wegen Totschla-
ges nicht begründet103. Jedoch könnte nach der Verursachungslehre der Tod
auch nicht dem A zugerechnet werden. Wer ist also für den Tod verantwort-
lich?
Frister und Toepel lehnen mit beachtlichen Argumenten sogar im Fall der
so genannten „alternativen Kausalität“ das Vorliegen eines Kausalzusam-
menhangs ab. Also wenn „A und B eine volle tödliche Dosis in das Getränk
gegeben haben“, so dass „sowohl die Handlung des A als auch die des B hin-
weg gedacht werden kann, ohne dass der Tod des C entfiele“, ist weder A
noch B für den Erfolg kausal geworden, obwohl natürlich der Erfolg entfal-
len wäre, wenn keiner der beiden gehandelt hätte 104. Denn das so genannte
„kausale Feld“, das heißt „die übrige Welt unter Absehen vom zu prüfenden
Faktor“, muss man laut Toepel bei der Prüfung des fraglichen Faktors un-
verändert lassen105.
Meiner Ansicht nach ist die Frage zweitrangig, ob in solchen Fällen ein
Kausalzusammenhang besteht. Entscheidend dürfte sein, dass man nicht an-
nehmen sollte, dass in diesen Fällen die Zurechnung des Erfolges verloren
geht. Es ist richtig, ein Zurechnungskriterium zu schaffen, welches das
Dogma der Verursachung als Voraussetzung für die Verantwortlichkeit
überwindet.
2. Für die herrschende Meinung ist in den Fällen „alternativer Kausali-
tät“ selbstverständlich Verursachung und deshalb Verantwortlichkeit gege-
ben. Jedoch ist die Lösung weder auf die Unterlassung noch auf den
Schadensersatz gegen beide Schuldner, weil dieser wegen des Verzuges des
einen Lieferanten den anderen nicht als Verursacher des entgangenen Ge-
winns in Anspruch nehmen kann. In der Literatur wurde bei diesem Fall re-
gelmäßig unterstellt, dass die Nichterfüllung der beiden Schuldner „gleich-
zeitig“ stattfand. Aber wie müsste man entscheiden, wenn eine der beiden
Leistungen bereits vor der anderen unmöglich geworden wäre? Wäre es
nicht vertretbar, die Ansicht Titzes nur auf den Schuldner zu reduzieren, der
zuerst die Leistungserbringung endgültig unmöglich gemacht hat?
Erteilen wir erneut Jakobs das Wort. Ihm zufolge „haftet, wenn mehrere
Personen ein Kind nur gemeinsam retten können, nur derjenige, der sein
Versagen als erster perfekt macht“ 109. Jakobs befürwortet diese Lösung im
Zusammenhang mit den überbedingten Erfolgen. Aber dann müsste die glei-
che Lösung auf die alternative Kausalität im Fall der Begehung übertragbar
sein: Nur der zuerst Handelnde dürfte verantwortlich sein, denn bei Ein-
greifen des Zweiten legt die Norm diesem bereits keine Pflicht mehr auf,
weil seine Handlung für die Herbeiführung des Erfolges gleichgültig ist. Wie
sollte tatsächlich eine zweite, mit der ersten vermischte Giftdosis, die da-
durch zur Teilursache wird, als „naturalistisches“ Datum Berücksichtigung
finden, wenn in jedem Falle klar war, dass der Teller mit Essen bereits völlig
zureichend vergiftet war.
Sogar das Beispiel, mit dem Jakobs seine Lösung für den Fall überbeding-
ter Erfolge veranschaulicht (ein Fahrstuhl ist über das erlaubte Gewicht be-
laden, aber trägt seinerseits aufgrund einer Destabilisierung des Antriebs-
systems weniger als vorgesehen), wäre in der Lehre vor Jakobs Lösung
womöglich als Fall alternativer Kausalität behandelt worden, indem beide
rechtswidrig Handelnden ohne Rücksicht auf den Ersttäter verantwortlich
gemacht worden wären.
Die Ansicht jedoch, dass es richtig sein könnte, dem zuerst Handelnden
die Tat anzurechnen, wird bereits sehr früh, aber nur selten in der Literatur
vertreten. 1912 schilderte M. L. Müller 110 einen Fall, in dem A und B jeder
für sich entschlossen ist, zwei Züge zusammenstoßen zu lassen, weshalb A
dem Weichensteller ein starkes Schlafmittel einflößt und B, der davon nichts
weiß, diesen fesselt und knebelt. Danach kommt es zum Unfall. Müller hielt
es für falsch, dass niemand der beiden Handelnden für den Erfolg verant-
wortlich sein sollte. Und auch wenn er die Zurechnung gegenüber beiden
111 M. L. Müller (Anm. 19), S. 17, Fn. 1. Es ist bemerkenswert, dass Mezger (Strafrecht,
1931, S. 116, Fn. 21) in diesem Fall nur den Zweittäter als verantwortlich betrachtete,
während laut Engisch (Kausalität, 1931, S. 27, Fn. 5) beide verantwortlich sein sollten,
so wie es letztendlich auch – allen Zweifeln zum Trotz – Müller andeutete.
112 M. L. Müller (Anm. 19), S. 17, Fn. 1.
113 Hoyer (Anm. 4 [Festschrift für Jakobs]), S. 186 ff.
zug stürzt tatsächlich ab. Laut Hoyer kann nur A als Gehilfe verfolgt wer-
den, auch wenn C nur die von B bereitgestellte Last benutzt. Dabei handelt
es sich um eine bloße Übertragung der Lösung auf die Beihilfe, die Hoyer 114
bereits in seinem Beitrag für die Festschrift für Rudolphi im Hinblick auf die
Täterschaft vorgeschlagen hatte: A vergiftet das Getränk des C. B tauscht das
von A vergiftete Glas gegen ein von B selbst vergiftetes aus. Obwohl der Tod
des C im Hinblick auf die Bedingung (sowohl nach der Conditio-Formel als
auch nach der Formel der naturgesetzmäßigen Bedingung) durch die Hand-
lung des B eintritt, betont Hoyer, dass, „wenn dagegen eine reine Risikobe-
trachtung angestellt wird, B durch sein Verhalten keinerlei zusätzliches Ri-
siko für das Leben des C begründet hat, da der von ihm vorgenommene
Austausch der Gläser an der Art und Dosierung des Gifts nichts änderte und
somit auch die Wahrscheinlichkeit und den Zeitpunkt des Erfolgseintritts
nicht beeinflusste“ 115.
Die gleiche Lösung wurde in meinem Beitrag für die Festschrift für
Jakobs116 sowohl hinsichtlich der Täterschaft (B bringt eine Bombe an, die
durch einen Kontaktfehler mit einer anderen zuvor von A platzierten
Bombe diese ausschaltet, so dass die Herbeiführung des Erfolges durch die
Bombe des B verzögert wird – Abwandlung eines Falles von Samson) als
auch der Beihilfe (C und D streiten sich nicht – wie in einem Fall von En-
gisch – um denselben Baseballschläger, um diesen A zu geben, damit er mit
diesem B schlägt, sondern hier hat C seinen Schläger bereits A übergeben
und erst danach macht D das Gleiche mit seinem weniger schweren Schläger.
A schlägt B schließlich mit diesem zweiten Schläger.) angedeutet. Von Hoyer
weiche ich nur minimal hinsichtlich der Begründung, warum der zuerst
Handelnde den Erfolg zu verantworten hat, ab. Im Wesentlichen jedoch
stimmen wir überein.
Dass A im Falle des von B durchgeführten Austausches der Giftdosis we-
gen vollendeten Totschlags zu bestrafen ist, erklärt Hoyer wie folgt:
„A dagegen hat aktiv ein unerlaubtes Risiko für das Leben des C geschaffen, indem er
zuvor reinen Wein mit Gift vermischte. Das Verhalten des B nicht als Schaffung eines
neuen Risikos zu bewerten, heißt zugleich auch, dass es trotz des Verhaltens von B der
Art und der Höhe nach bei dem alten, von A geschaffenen Risiko geblieben ist. Also
war es immer noch die dem A anzulastende Steigerung des Erfolgsrisikos, die sich
schließlich auch im Erfolgseintritt niedergeschlagen hat. Demzufolge ist A im Unter-
schied zu B für die Tötung des C ursächlich geworden und kann wegen vollendeten
Tötungsdelikts bestraft werden. Im Ergebnis leuchtet es ein, dass (nur, aber auch jeden-
falls) entweder A oder B ein vollendetes Begehungsdelikt vorgeworfen werden kann.
Objektiv verschlechtert hat jedoch allein A die Überlebensaussichten des Opfers“117.
Diese Erklärung ist von Puppe als das Ergebnis einer Vermischung von Kau-
salität und Risikoerhöhung bewertet worden118. Der Titel des ersten Bei-
trags von Hoyer zu diesem Thema trägt zu diesem Eindruck bei: „Kausalität
und/oder Risikoerhöhung“. Wenn man nun den Vorschlag Hoyers und das,
wovon er tatsächlich handelt (oder handeln sollte), etwas eingehender be-
trachtet, so geht es um die Einführung eines selbstständigen Zurechnungs-
prinzips, das es erlaubt, dem von X geschaffenen Risiko, welches sich als
solches nicht realisiert hat, die Verwirklichung eines von Y später eingescho-
benen Verlaufes anzulasten, der die Bestandsaussichten des Gutes nicht ver-
schlechterte. Und weil es – umgangssprachlich ausgedrückt – „die Schuld
von X“ war, dass Y die Chancen nicht verschlechtert hat, muss der an sich
verwirklichte Verlauf des Y dem X zugerechnet werden, der schließlich
tatsächlich die Bedingungen gesetzt hat, aufgrund derer das Risiko nicht
mehr Y zugerechnet werden kann. Hoyer kann in dieser Weise verstanden
werden, denn zum einen beruft er sich auf einen in anderem Zusammenhang
stehenden Vorschlag Jakobs119, nach dem „Kausalität strafrechtlich als ein
Derivat der Zurechnung einzustufen ist“, – was so zweideutig ist, dass es in
die eine oder die andere Richtung verstanden werden kann – und zum ande-
ren bezieht er sich zum Ende seiner zweiten Abhandlung auf etwas, das mei-
nes Erachtens – beeinflusst von der Lösung Titzes – entscheidend ist: „A
muss verantwortlich sein“, so Hoyer, „gerade wegen der durch ihn bewirk-
ten Entlastung des B“ 120. Nach dieser Auffassung verwirklicht der als zwei-
ter Handelnde – der Täter des Verlaufes, der den Erfolg tatsächlich her-
beiführte – in diesen Fällen durch seine Handlung einen Verlauf, der dem
zuerst Handelnden zurechenbar ist. Er vertritt ihn in diesem Sinne – „Über-
tragungsprinzip“.
Der zuerst Handelnde muss mithin die Verwirklichung eines durch die
Handlung eines anderen entstandenen selbstständigen Risikos auf sich neh-
men, wenn nicht sicher ist, ob sein eigenes Risiko sich verwirklicht hätte
oder nicht. Aber darin ist keine Ungerechtigkeit zu sehen, weil der Grund
dafür, dass er dieses vom Zweittäter geschaffene Risiko vertritt, darin be-
steht, dass sein eigenes Risiko bereits ihm zurechenbare Bedingungen ge-
setzt hat, die erst durch die Zweithandlung unerheblich werden. Ausgehend
von der Risikoersetzung belasten oder entlasten die Unwägbarkeiten des Er-
folges oder des Scheiterns des zweiten Verlaufes den Ersttäter, als ob es sein
Verlauf wäre (als Ausgleich hat der Zweite den Ersten vom Risiko der Ver-
wirklichung seines eigenen Verlaufes befreit).
Selbstverständlich ist für diejenigen, die im Handlungsunwert den allein
möglichen Anknüpfungspunkt für einen strafrechtlichen Vorwurf sehen, die
Bedeutung des Übertragungsprinzips viel geringer. Relevanz hätte es beson-
ders dann, wenn der Zweittäter in Kenntnis der bereits risikobehafteten
Situation handelte (= dies ließe sogar den Versuch entfallen). Aber für ein
Schadensersatzrecht, wie es zum Beispiel dem Zivilrecht eigen ist, sollte das
Übertragungsprinzip unabdingbar sein.
X.
121 McLaughlin, Proximate Cause, in „Harvard Law Review“, vol. 39, n.º 2 (1925),
S. 149 ff., insbes. S. 155, Fn. 25. In der Originalversion des Autors entleerte der zuerst
Handelnde die Feldflasche und füllte sie mit Salz. In diesem Fall wäre es möglich, ein-
fach die Kausalität hinsichtlich des Ersttäters zu bejahen, weil seine Handlung einen
Tod durch Verdursten bereits bedingte und die Entwendung eines mit Salz gefüllten
Gefäßes eine bloße Überbedingtheit des Erfolges bewirkte, genauso wie im Fall des
nicht gerufenen Krankenwagens, wenn dieser ohnehin nicht kommen konnte.
122 Hart/Honoré, Causation in the Law, 2. Aufl., Oxford, 1985, S. 239.
123 Hart/Honoré (Anm. 122).
Wenn man davon ausgeht, dass das Gift A getötet hätte, sobald er einen
Schluck getrunken hätte, verhält sich die Situation erneut parallel zu dem
Fall des fehlenden subjektiven Rechtfertigungselements. Der Erfolg kann
dem Zweittäter (C) nicht zugerechnet werden, weil er die Lage des Opfers in
jedem Fall verbessert hat. Aber für diejenigen, die an der Kausalität als Vor-
aussetzung der Zurechnung festhalten, könnte der Tod genauso wenig dem
Ersten (B) zugerechnet werden, weil er ihn nicht verursacht hat. Allerdings
bleibt die Zurechnung gegenüber B bestehen, gerade weil er solche Bedin-
gungen gesetzt hat, aufgrund derer die Tat dem Zweiten nicht mehr zuge-
rechnet werden kann. C hat eine Tat vollendet, die weiterhin B zuzurechnen
ist, auch wenn C von dieser objektiven Übertragung nichts wusste. Wenn er
die gegebenen Umstände gekannt hätte, müsste der Fall auch von der herr-
schenden Meinung auf diese Weise gelöst werden, weil die (veränderte) Vor-
stellung des C von der Tat die Zurechnung gegenüber dem Ersttäter erlau-
ben würde. In Anwendung des Übertragungsprinzips ist dieser innere Vor-
gang im Kopf des Zweittäters jedoch nicht erforderlich, um den Verlauf dem
Ersten zuzurechnen.
Damit muss man für einen geringen Teil der „dolus generalis“-Fälle die
„Versuchslösung“ korrigieren, die aber in den übrigen Fällen aufrechterhal-
ten werden soll 124. Das ist der Fall, wenn eine erste vorsätzliche Handlung
den Erfolg nicht verursacht, diesen aber verursacht hätte, wenn derselbe
Täter nicht eine zweite Handlung vorgenommen hätte, deren Erfolgsver-
wirklichung ihm aufgrund der bereits durch die erste Handlung gesetzten
Bedingungen nicht zugerechnet werden kann. Dieses gälte z.B. – nach einem
Fall von Jakobs 125 –, wenn dasselbe Subjekt (vorsätzlich) das Futter einer
Viehherde und sodann das Trinkwasser (aber nun fahrlässig) vergiftet, mit
dem Ergebnis, dass die Tiere aufgrund des zuerst genossenen Wassers ster-
ben, aber der durch das Wasser verursachte Tod – diese Annahme ist hier zu
unterstellen – für den Eigentümer günstiger gewesen ist als es der Tod durch
das Futter gewesen wäre, z. B. weil die Überreste auf diese Weise besser ver-
wertet werden konnten (= die Vollendung ist der Ersthandlung „durch
Übertragung“ zuzurechnen). Natürlich bestehen Zweifel, wo die Grenzen
eines solchen Prinzips zu ziehen wären126.
sollte weiter seine Obliegenheiten zur Selbsterhaltung erfüllen, damit die Tat auch wei-
ter dem Ersttäter zugerechnet werden kann. Anders gesagt: Das Übertragungsprinzip
wirkt nicht im Kopf des Opfers. Wenn also bereits feststeht, dass dem Herzpatienten
nicht von einem Krankenwagen geholfen werden kann, weil ein Nachbar die Reifen
zerstochen hat, verwirklicht sich jedenfalls dann das Risiko nicht, wenn der Patient
selbst entscheidet, den Krankenwagen nicht zu rufen.
127 Vgl. etwa Mommsen (Anm. 15), S. 155, Fn. 16.
128 Das Strafrecht sollte über ausreichende Mittel verfügen, um diese Lösung in der Straf-
zumessung zu beachten. Der bloß fakultative Charakter der Strafmilderung des Versu-
ches ist ein möglicher Weg, löst aber nicht den gesamten Problemkomplex.
XI.
129 Es ist schwierig ein System frei von Widersprüchen zu schaffen, weil es im Schadens-
recht Bereiche gibt, in denen aus bestimmten Gründen die Berücksichtigung hypothe-
tischer Verläufe ausgeschlossen ist; vgl. dazu oben, Anm. 32 a.E.
nicht in Anspruch nehmen kann. Der Grund liegt darin, dass durch die
„Schuld des Verursachers“ der Geschädigte den hypothetischen Schädiger
nicht in Anspruch nehmen kann. In bestimmten Fällen jedoch, in denen der
Dritte die Risikohandlung bereits vollständig durchgeführt hatte, greift diese
Einschränkung nicht ein.
3. Beide Grundsätze entsprechen den von Samson vorgeschlagenen Prin-
zipien der „Intensivierung“ und „Übernahme“. Sie haben zur Folge, dass
das traditionelle Verbot der Berücksichtigung von Reserveursachen bei der
Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auf ein Verbot der Be-
rücksichtigung noch nicht vollständig durchgeführter Reservehandlungen
zu reduzieren ist.
4. Das Dilemma der reziproken Neutralisierung der Zurechnung eines
Schadens – der reale Verursacher beruft sich auf den bereits vom hypotheti-
schen Verursacher geschaffenen Verlauf, während der hypothetische Verur-
sacher sich darauf beruft, dass er den Erfolg nicht verursacht hat – muss mit-
tels eines selbstständigen Zurechnungsprinzips überwunden werden, nach
welchem dem Ersttäter die Verwirklichung eines von einem später Handeln-
den vollzogenen Verlaufes zugerechnet wird, wenn dieser aufgrund der vom
Ersten gesetzten Bedingungen die Bestandschancen des Gutes nicht ver-
schlechtert hat. Die Verwirklichung dieses neuen Verlaufs ist dem zuerst
Handelnden zurechenbar („Übertragungsprinzip“).