Frappante Ähnlichkeit: Links der Sündenfall von Tizian (um 1550), rechts der von Rubens (1628/29).
Dieser Tizian hat es als Vorbild und Vorlage in sich: Auf den grossen Meister
der italienischen Renaissance griffen gleich zwei der drei Referenten zurück,
die sich an der Tagung «Kunst und Recht» der Juristischen Fakultät der Uni
Basel mit dem Prinzip der künstlerischen Aneignung und den möglichen
Zitieren erlaubt
Als Aneignung bezeichnet: Gerhard Richters «Verkündigung nach Tizian» (1973) – eines der vier
Variationen, die vom Kunstmuseum Basel erworben werden konnten. (Bild: Kunstmuseum Basel –
©Gerhard Richter)
Es sind zwei besonders augenfällige und durch die Popularität ihrer Schöpfer
auch spektakuläre Beispiele für künstlerische Aneignungen von Motiven oder
ganzen Werken anderer Künstler – ein Prinzip, das sich durch die gesamte
Kunstgeschichte durchzieht. Seit der Postmoderne spricht man von
Appropriation Art. Anders als beim Plagiat oder der Fälschung verfolgt hier
die Kopie das Ziel, ein eigenständiges neues Kunstwerk zu schaffen.
Rechtsprofessor Jayme sprach in seinem Referat von «Zweitkunst».
Bei der «Zweitkunst» gerät man schnell mal ins «Zwielicht des Rechts», wie
Jayme sich ausdrückte. Wann ist eine Kopie eine Fälschung oder ein
urheberrechtlich zu beanstandendes Plagiat, wann ein eigenständiges Werk,
das sich auf die künstlerische Freiheit oder Meinungsfreiheit berufen kann?
Und hier wird es komplex, wie Jayme ausführte. Denn während sich der
Erstkünstler auf sein Urheberrecht berufen kann, steht dem Zweitkünstler die
Kunstfreiheit zu. Zumindest dann, wenn er die Erstkunst parodiert, sie in
eine Karikatur umwandelt oder sie in einer Pastiche, also im Stil anderer
Maler, zitiert. In diesen Fällen wird die Erstkunst aufgegriffen, um einen
anderen Zweck zu erreichen.
Bei den vorgebrachten grossen Namen Tizian und Rubens gab es noch kein
Urheberrecht. Auch die vielzitierte «Aura des Originals» aus Walter
Benjamins berühmten Aufsatz «Das Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit» spielte noch keine wesentliche Rolle.
Rubens hatte also, als er bei Tizian abkupferte, so oder so keine
Beanstandung wegen Urheberrechtsverletzung zu befürchten. Und auch
Gerhard Richter hätte Tizian ungestraft auch Pinselstrich für Pinselstrich
nachmalen können, denn der Urheberrechtsschutz erlischt 70 Jahre nach dem
Tod des Erstkünstlers.
Das gilt natürlich auch für auch den Altmeister Albrecht Dürer (1471–1528),
den Kunsthistoriker Andreas Beyer mit mehreren Beispielen vorbrachte. Der
bereits zu Lebzeiten sehr populäre und deshalb oft kopierte Künstler wandte
Weil sich dieser Schutz vor Raubkopien aber auf das Reichsgebiet
beschränkte, konnte Marcantonio Raimondi in Venedig ungestraft Kopien
von Dürers Holzstichen anfertigen. So zumindest sieht es Beyer, andere
Kunsthistoriker berufen sich auf Quellen, die besagen, es sei tatsächlich zu
einem – dem ersten – Urheberrechts-Prozess gekommen.
Wer entscheidet nun, wann von rechtlich zulässiger Aneignung, also von
Appropriation Art, die Rede ist oder von einer Kopie, die das Urheberrecht
verletzt? Hier wird ein Grundprinzip der Kunstgeschichte tangiert, nämlich
dass Kunst von Kunst komme, wie Beyer sich ausdrückte. Jedes neue
Kunstwerk baut letztlich auf vorhandenen Vor-Bildern auf. Ein Gericht stösst
hier an seine Grenzen und ist entsprechend auf Sachverständige angewiesen.