Sonderband
ZUKUNFT DER ARBEIT
Human Resources
Consulting Review
Band 12
Herausgeber:
2020 Jens Nachtwei & Antonia Sureth
Sonderband Zukunft der Arbeit
HR Consulting Review, Band 12
2020
Zitierweise
Zitation des Sonderbandes:
Nachtwei, J., & Sureth, A. (Hrsg.). (2020). Sonderband Zukunft der Arbeit (HR Consulting Review, Bd. 12). VQP.
https://www.sonderbandzukunftderarbeit.de
Veröffentlichungsreihe
Die Veröffentlichungsreihe für Qualitätssicherung in Personalauswahl und -entwicklung (VQP) wurde 2012 zur För-
derung des Austauschs von Forschung, Lehre und Praxis begleitend zur Vorlesung Personal- und Organisationsbe-
ratung von Jens Nachtwei am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin ins Leben gerufen.
HR Consulting Review
Im Herausgeberband HR Consulting Review der Veröffentlichungsreihe stellen Praktiker*innen und Forscher*innen
Projekte, Modelle und Sichtweisen sowie wissenschaftliche Studien vor. Die Themen stammen vorwiegend aus den
Bereichen Führung, Personalauswahl, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung.
ISSN: 2196-0232
In einigen Artikeln des Herausgeberbandes wird die männliche Sprachform verwendet. Gemeint sind alle Geschlechter
gleichermaßen. Die Verwendung der männlichen Sprachform impliziert keine Benachteiligung anderer Geschlechter.
Copyright © VQP
Wie werden Menschen und
Maschinen kollaborativer?
Daniel Stoller-Schai
Change Companion | Founder, Collaboration Design GmbH, Bäretswil (Schweiz)
KURZFASSUNG: Wir werden in Zukunft vermehrt mit lernfähigen technischen Systemen (deep learning) kollabo-
rieren und dabei unsere Möglichkeiten ‚augmentieren‘ (überhöhen). Wir werden uns zudem vermehrt in temporären
Organisationsformen zusammenfinden, um konkrete Probleme zu lösen. Das bedingt, dass wir lernfähige technische
Systeme verstehen (was sie leisten, wo ihre Grenzen sind) und gleichzeitig verstehen, wo unsere Stärken als Men-
schen sind (Colvin, 2016). Next Work im Allgemeinen und Kollaboration im Speziellen basieren in Zukunft auf zwei
Kollaborationsformen: Kollaboration in Flash-Organisationen und Kollaboration in Smart-Data-Systemen. Beides er-
fordert sowohl interkulturelle Kompetenzen als auch toolbezogene Fertigkeiten.
Sonderband Zukunft der Arbeit, HR Consulting Review – Band 12 (2020), Herausgeber: Jens Nachtwei & Antonia Sureth 416
Wie werden Menschen und Maschinen kollaborativer?
tenzen ein; permanentes Weiter- rithmen ermöglicht; die Zusammen- Ergebnisse zurückliefern. Mehrere
lernen und die dazu erforderliche arbeit der Projektmitglieder wird Software-Roboter bilden das virtu-
Selbstlernkompetenz sind dafür durch die Kollaboration mit Smart- elle Mitarbeiter-Netzwerk von Free-
grundlegend. Data-Systemen ermöglicht und lancern und Kleinunternehmen.
Klassische Organisationen und erweitert. Implantierte Chips geben Daten/
grosse Konzerne sind dagegen Warnsignale ab, wenn Grenzwerte
mit Tankschiffen zu vergleichen, 2 Kollaboration in Smart-Data- überschritten werden, z. B. Messen
die grosse Lasten über große Di- Systemen sie den Blutdruck der Teilnehmen-
stanzen bewegen. Sie brauchen Next Work wird weiter maßgeblich den in einer Verhandlungssituation
eine Reihe von ergänzenden bestimmt sein durch die Kollabo- und zeigen diesen an.
Schnellbooten, Lotsenbooten und ration mit intelligenten Maschinen Proximity Tracing ist 2020 einge-
Versorgungsbooten, die sie dabei und Tools, die zusammen Smart- führt worden, um die Verbreitung
unterstützen, ihre Mission zu er- Data-Systeme bilden (für alle des Covid-19 Virus aufzuhalten.
füllen. Freelancer, Kleinfirmen und Grundlagen, Definitionen und Ge- Das Prinzip wird auch auf ganz
virtuelle Unternehmen bilden diese staltungsfelder zum Thema „Kolla- andere Bereiche ausgedehnt wer-
Armada an Spezialbooten. Sie ste- boration“ verweise ich auf Stoller- den, z. B. um den Wissenstransfer
hen sowohl in einem kooperativen Schai, 2019, 2003). in einem Unternehmen sichtbar zu
wie auch kompetitiven Verhältnis Die Arbeit in solchen Systemen machen.
zueinander. überhöht die Möglichkeiten des Empfehlungsmaschinen (recom-
Damit Fragestellungen und Prob- Einzelnen (Augmentation). Das mendation engines) kennen unse-
leme konkret angegangen werden Smartphone mit zahlreichen Sen- re Verhaltensweisen und unsere
können, braucht es Methoden, die soren, dem App-Store, dem Cloud- Kompetenzen wie auch diejenigen
dazu beitragen, Ziele präzise zu speicher und der Sprachschnittstel- von anderen Mitgliedern in unseren
beschreiben, Probleme einzugren- le – alles bereits 2007 eingeführt Netzwerken. Sie können uns emp-
zen (problem framing & reframing), – steht hier exemplarisch für solche fehlen, mit wem wir zusammenar-
Abgrenzungen vorzunehmen (Was Systeme. beiten sollten, welche Quellen wir
wird gemacht, was wird nicht ge- Wie wird Kollaboration in Smart- uns anschauen sollten oder mit
macht?) und Ideen zu visualisieren Data-Systemen aussehen? Das welchen Maßnahmen wir spezifi-
und sie so verhandelbar zu machen kollaborative Muster – die Art und sche Fähigkeiten weiter ausbauen
(Prototyping-Ansatz). Weise, wie wir mit wem zusammen- könnten.
Ein wichtiges Moment ist das Vor- arbeiten – kann über die Auswer- Lernsysteme, die intelligentes
stellen (pitching) der Prototypen vor tung von Daten sichtbar gemacht Feedback zu Aufgaben und Tests
den Auftraggebern. Hier spielt die werden. Kollaborative Handlungen abgeben können (z. B. Taskbase),
dazu passende Geschichte (sto- werden dadurch verstehbar, ver- beschleunigen unsere Lernkurven
rytelling) eine zentrale Rolle. Die handelbar und gestaltbar. und flachen unsere Vergessenskur-
Lösungsidee muss visualisiert und Intelligente Sprachassistenten ven ab (z. B. Magma Learning).
kommuniziert werden. unterstützen die Zusammenarbeit Der Vorteil von Smart-Data-
Der Vorteil von Flash-Organisa- in vielfältiger Weise, indem sie Systemen liegt darin, dass sie uns
tionen liegt in der schnellen Ideen- Texte übersetzen, paraphrasieren, maßgeschneidert unterstützen kön-
generierung, der Nachteil in der po- zusammenfassen, in gesprochene nen und Zusammenhänge sichtbar
tenziell mangelnden Nachhaltigkeit: Sprache oder geschriebenen Text machen, die uns gemeinhin verbor-
Schaffen es gute Ideen in die Um- überführen. gen sind. Der Nachteil liegt in der
setzung? Die Zusammensetzung Software-Roboter können mit kompletten Transparenz unseres
der Projektteams in Flash-Organi- Aufgaben losgeschickt werden, Verhaltens, unserer Kompetenzen
sationen wird durch Matching-Algo- die sie selbständig lösen und die und unserer Datenspuren. Smart-
Sonderband Zukunft der Arbeit, HR Consulting Review – Band 12 (2020), Herausgeber: Jens Nachtwei & Antonia Sureth 417
Wie werden Menschen und Maschinen kollaborativer?
Data-Systeme legen schonungs- Reputation nicht leisten kann. laufend neue Tools zu testen und
los offen, wer wir sind und was wir Diese Fähigkeit kann man von auszuprobieren. Selbstanwendung
tun, aber auch was wir tun und sein Schweizern und Schweizerinnen ist der Schlüssel zu neuen toolbe-
könnten. lernen. Warum sind wir immer so zogenen Umsetzungsfertigkeiten.
nett zueinander? Aus dem einfa- Die Verbreitung von Wissen, Me-
3 Interkulturelle Kompetenzen chen Grund, weil wir wissen, dass thoden, Kompetenzen geht sehr
Next Work in Flash-Organisatio- wir uns in der kleinen Schweiz mit schnell. Solange man an die rich-
nen erfordert neue interkulturelle Garantie in einem anderen Kontext tigen Netzwerke angeschlossen
Kompetenzen. Wir brauchen ei- wieder begegnen. ist, werden einem neue Tools und
nen „Team-Flow“, um gemeinsam Es ist einfacher, Konflikte sofort Methoden quasi automatisch durch
im kollaborativen Feld zu wachsen zu lösen, als sich eine Phalanx von Netzwerkpartner vorgestellt.
(Burow, 2015). Ein solcher Team- Feinden aufzubauen. Dieses gilt in
Flow ist abhängig von unterschied- der digitalen Welt noch mehr als in 5 Fazit
lichen Kompetenzen. der analogen. Wie werden Menschen und Maschi-
Es braucht eine gemeinsame nen kollaborativer? Flash-Organi-
Sprache. Mit Englisch als Basis- 4 Toolbezogene Fertigkeiten sationen und Smart-Data-Systeme
sprache ist die Zusammenarbeit Neben interkulturellen Kompeten- verändern die Art und Weise, wie
möglich, sie ist aber nicht unprob- zen fordert Next Work in Smart- wir Zusammenarbeiten organisie-
lematisch. Intelligente Sprachas- Data-Systemen zudem neue Fer- ren. Unternehmensspezifische und
sistenten werden das Problem ent- tigkeiten. Wir müssen Tools kennen gesellschaftliche Fragestellungen
schärfen, da sie meinen Dialekt in und selber anwenden, um mit neu- werden durch global-vernetzte,
den Dialekt meines Gegenübers en Arbeitsmethoden mithalten zu projektbezogene Verbünde aus
übersetzen können. können (Tegmark, 2017). Firmen und assoziierten Partnern
Weiter ist performative Kompe- Toolkenntnisse sind essentiell analysiert, gelöst und umgesetzt.
tenz gefragt. Das neue Leitmotiv und müssen laufend erweitert und Für assoziierte Partner bedingt
am MIT Media Lab lautet „Deploy or ergänzt werden. Kollaboration ver- dies eine permanente Weiterbil-
Die“. Die Ergebnisse aus kollabora- ändert sich mit den Werkzeugen, dung und Profilierung sowie das
tiven Projekten müssen vorgestellt, die uns dazu zur Verfügung stehen. Arbeiten in kooperativ-kompetitiven
kommuniziert und entfaltet werden. In einer virtuellen Welt sind es Verhältnissen.
Wer dies nicht kann, kann seine virtuelle Werkzeuge. Jedes neue Dazu braucht es neue bildungs-
Ideen nicht verkaufen. Dies führt zu Werkzeug birgt in sich ein eigenes politische und arbeitsmarktrecht-
einer eigentlichen Kollaborations- Irritationspotenzial, da es anders liche Rahmenbedingungen sowie
Grammatik. funktioniert als dasjenige, welches daran angepasste Kompetenzpro-
Die Zusammenarbeit braucht in- wir schon kennen. Dies erzeugt file (Kirchherr et al., 2018; Davies
ternationale Standards, einen ei- einen Lernwiderstand und führt et al., 2011).
genen Kodex, ein eigenes Narrativ, dazu, dass man mit den Werkzeu- Die Gestaltung und das Design
welches allen bekannt ist und dazu gen arbeitet, die man schon kennt. von kollaborativen Handlungsfel-
führt, dass schnell und effizient zu- In einer volatilen, global vernetz- dern wird zu einer Schlüsselkom-
sammengearbeitet werden kann. ten Arbeitswelt kann man sich dies petenz in einer zukünftigen Arbeits-
Schliesslich ist auch gute Kon- nicht leisten, weil man dadurch sehr welt, die den Menschen gerecht
fliktfähigkeit gefordert. In einer virtu- schnell die eigene Arbeitsmarktfä- wird.
ellen Welt müssen Konflikte gelöst higkeit verliert.
werden, da man den Konfliktpart- Perpetual Beta: Es gilt, eine ei- Literatur
nern mit Garantie wieder begegnen gentliche „Tool-Neugierde“ aufzu- Burow, O.-A. (2015). Team-Flow:
wird und sich eine schlechte Netz- bauen und sich darin zu trainieren, Gemeinsam wachsen im Krea-
Sonderband Zukunft der Arbeit, HR Consulting Review – Band 12 (2020), Herausgeber: Jens Nachtwei & Antonia Sureth 418
Wie werden Menschen und Maschinen kollaborativer?
Sonderband Zukunft der Arbeit, HR Consulting Review – Band 12 (2020), Herausgeber: Jens Nachtwei & Antonia Sureth 419