Johanniskraut –
von Inhaltsstoffen und
anderen Unwägbarkeiten
■
1 Hypericum perforatum L. (Johanniskraut) wird bereits seit dem Altertum zur Behandlung von Depressio-
nen verwendet. Schon Paracelsus (1493 –1541) bezeichnete Johanniskraut als »Arnica der Nerven«, aber
erst im letzten Jahrhundert wurde die antidepressive Wirkung wissenschaftlich untersucht.
W ■
eenngleich zahlreiche Details der Krankheits- 2 Volkskrankheit
Krankheitsentstehung und Verlauf
entstehung und ihres Verlaufs ■ 2 noch unklar Depression. Die
sind, so gilt als gesichert, dass während einer Erkrankung ver- Psychische Beschwerden im
läuft typischerwei- Zusammenhang mit Depressionen
Depression das Gleichgewicht von Serotonin und/oder
se in Form von Antriebsmangel bei innerer Unruhe
Noradrenalin – diese so genannten Neurotransmitter Episoden. Diese Krankhafte Schuldgefühle
sind an der Signalübertragung zwischen Nervenzellen sind durch eine Stimmungsschwankungen
im Gehirn beteiligt – aus der Balance geraten ist. Entwe- Reihe psychischer, Aktivitätstiefpunkt am Morgen
der sind sie in zu geringer Konzentration vorhanden, aber auch körper- Unfähigkeit, Freude zu empfinden
oder die Übertragung zwischen Nervenzellen ist gestört. licher Beschwer- Hoffnungslosigkeit und innere Leere
den gekennzeich- Angstgefühle
Viele antidepressive Medikamente wirken an dieser Selbstmordgedanken
net.
Stelle: Sie korrigieren das gestörte Gleichgewicht der
Botenstoffe im Gehirn. Körperliche Beschwerden
Schlafstörungen
Appetitmangel
Therapie der Depression Sexuelle Unlust
mittel grundsätzlich die gleichen Anforderungen für die drei Kategorien eingeteilt werden: Inhaltsstoffe tra-
gen über unter-
Zulassung erfüllen wie ein Arzneimittel mit chemisch- – Typ A (Standardised extracts) schließt pflanzliche Arz-
schiedliche Me-
definierten Arzneistoffen. Hauptkriterien für die Zulas- neimittel ein, für die wirksamkeitsbestimmende In- chanismen zur
sung sind neben der Wirksamkeit und Unbedenklich- haltsstoffe bekannt sind. antidepressiven
keit vor allem die pharmazeutische Qualität des Arznei- – Typ B1 (Quantified extracts) sind Pflanzenextrakte, Wirkung von
mittels. Das Qualitätskriterium der Chargenkonformität bei denen das wirksamkeitsgebende Prinzip nicht voll- Johanniskraut bei.
Rutin
Isoquercitrin
Hyperforin
Quercitrin
Hyperosid
lipophil hydrophil
1,0
■5 Die Ergebnisse zeigen, dass die Forderung nach einer kon-
stanten Extraktzusammensetzung trotz der natürlichen
0,5
Schwankungsbreite von Inhaltsstoffen pflanzlicher Extrakte
von einigen, nicht jedoch von allen Präparaten erfüllt wird. Die
0 Schwankungen des Hyperforingehaltes von Charge zu Charge
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Die schlechte Chargenkonformität einzelner Präpara-
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te ist entweder auf den Einsatz von Extrakten mit un-
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terschiedlichen Hyperforingehalten oder aber auf man-
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gelnde Stabilität des Hyperforins zurückzuführen.
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Beim Gesamthypericingehalt schnitt das Produkt He- Freisetzung der wirksamkeitsbestimmenden Inhaltsstof-
larium® 425 mit einer Standardabweichung von knapp fe aus der Darreichungsform nachgewiesen werden.
30 Prozent am schlechtesten ab ■6 . Alle übrigen Präpa- Für Präparate, deren wirksamkeitsbestimmende Sub-
rate wiesen eine deutlich bessere Chargenkonformität stanzen nur zum Teil bekannt sind (Typ B1), ist eine
auf (< 20 Prozent). Untersuchung der Auflösegeschwindigkeit von Inhalts-
stoffen (noch) nicht zwingend vorgeschrieben, während
Freisetzung des Wirkstoffs bei Extrakt-Präparaten vom Typ B2 die Charakterisie-
rung des in vitro-Freisetzungsverhaltens einer einzelnen
Neben der Gleichförmigkeit des Gehalts an Wirk- Leitsubstanz nur wenig Sinn macht, da hier nicht klar
stoff(en) hat auch die reproduzierbare Freisetzung der ist, welche Substanz bei diesen Extrakten einen thera-
Wirksubstanz(en) aus der Arzneiform einen entschei- peutischen Effekt besitzt.
denden Einfluss auf die Wirksamkeit des Präparats, da Nach unserer Meinung ist die Untersuchung des
erst mit der Freisetzung die Voraussetzung für die Bio- Freisetzungsverhaltens von wirksamkeitsmitbestim-
verfügbarkeit des Wirkstoffs geschaffen wird. Die Frei- menden Inhaltsstoffen von Extrakten der Kategorie B1
setzung aus festen, einzeldosierten Darreichungsformen sinnvoll, da damit Aussagen über die pharmazeutisch-
zur oralen Applikation kann durch so genannte in vitro- galenische Qualität der einzelnen Präparate möglich
Dissolutiontests bestimmt werden. sind. Diese Untersuchungen sind allerdings nur dann
Für Fertigarzneimittel mit chemisch definierten Arz- zweckmäßig, wenn die untersuchten Präparate über
neistoffen gibt es genau definierte Spezifikationen zur eine ausreichend gute Chargenkonformität verfügen.
Freisetzung des Wirkstoffs aus unterschiedlichen Darrei- Unsere Untersuchungen ergaben, dass es eine erheb-
chungsformen. So sollte in der Klasse der »schnellfrei- liche Rolle spielt, welche Freisetzungsmedien für die
setzenden Arzneiformen« gewährleistet sein, dass der Qualitätskontrollen verwendet werden. Werden wie
enthaltene Wirkstoff innerhalb von 20 bis 30 Minuten üblich zum Beispiel Salzsäure (pH 1,2) oder Phosphat-
bis zu 80 Prozent freigesetzt wird. puffer (pH 6,8) eingesetzt, kann besonders die Freiset-
Für pflanzliche Arzneimittel, die normierte Extrakte zung von lipophilen (fettliebenden) Wirkstoffen erheb-
enthalten (Typ A), muss im Rahmen der Zulassung die liche Probleme bereiten. Dies gilt auch für den pharma-
kologisch relevanten Johanniskraut-Inhaltsstoff Hyper-
forin, der aufgrund seiner Lipophilie in wässrigen Lö-
Freisetzungscharakteristik von Hyperforin in FESSIF sungsmitteln und in SGFsp (Simulated Gastric Fluid sine
pepsin) nahezu unlöslich ist.
Freisetzung (%) Auch im biorelevanten Medium FaSSIF (Fasted State
100 Texx 300 Simulated Intestinal Fluid), das die Flüssigkeit im proxi-
Jarsin 300
90 Neuroplant 300 malen Dünndarm in nüchternem Zustand im Hinblick
Laif 600 auf pH-Wert, Osmolalität und Konzentration der Gallen-
80 Felis 425
70
60
50
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7 Neben der Gleichförmigkeit des Gehaltes an Wirkstoffen ist
40 die reproduzierbare Freisetzung der Wirkstoffe aus der Arznei-
form der zweite Qualitätsparameter. Das biorelevante Medium
30
FeSSIF (Fed state simulated intestinal fluid) simuliert die Be-
20 dingungen im Dünndarm nach einer Mahlzeit. Lipophile Wirk-
stoffe werden unter diesen Bedingungen aufgrund der erhöh-
10
ten Konzentration an Gallensalzen, die als Lösungsvermittler
0 auftreten, freigesetzt. Dargestellt in die Freisetzungscharakte-
0 50 100 150 200 250 ristik von Hyperforin am Beispiel von fünf ausgewählten Präpa-
Zeit (min) raten
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Batch-to-Batch Re- Pharm. Pharmacol. ras M., Müller
54, 1615 – 1621. W.E., Volmer D.A.,
Adhyperforin
Wirkstoff und Wirkort 0
3,68
0,00 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0 6,0
Time (min)
NMRI (m)
In den bisher vorgestellten Untersuchungen haben wir 3 – 4 Monate alt HPLC-Massenspektrometrie
die Unterschiede in der pharmazeutischen Qualität ver- p.o., mittels Schlucksonde Zellaufschluss Multiple Reaction Monitoring
schiedener Johanniskraut-Trockenextrakt-Präparate be-
leuchtet. Ein ausreichender Wirkstoffgehalt sowie des-
■8 Die Mäuse erhalten das Johanniskraut-Trockenextrakt per
sen Freisetzung aus der Arzneiform sind die Vorrausset- Schlucksonde. Die Entnahme des Gehirns erfolgt zwei Stun-
zung, aber noch keine Gewähr für die Wirksamkeit, den nach der Fütterung. Hyperforin wird nach dem Zellauf-
denn es muss darüber hinaus sichergestellt werden, dass schluss durch Flüssig-flüssig-Extraktion aus dem Gewebe iso-
der Wirkstoff in pharmakologisch relevanten Konzen- liert und anschließend quantifiziert.
trationen am Wirkort ankommt und verfügbar ist. Dazu
wurden Ende der 1990er Jahre die Plasmaspiegel der
relevanten Johanniskraut-Inhaltsstoffe nach oraler
Gabe von Trockenextrakten oder Fertigarzneimitteln
bestimmt. Dabei konnten zumindest für Hyperforin kli-
nisch relevante Plasmaspiegel nachgewiesen werden. Die Autoren
Die Frage, ob Hyperforin in der Lage ist, die Blut-Hirn-
Schranke zu überwinden, konnte jedoch erst vor kur-
zem geklärt werden. Unsere Arbeitsgruppe hat in Zu-
sammenarbeit mit dem Pharmakologischen Institut für
Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt und
einer kanadischen Arbeitsgruppe tierexperimentell mit
Hilfe einer besonders sensitiven Massenspektrometrie-
Methode den Nachweis erbracht, dass sich Hyperforin
nach oraler Gabe eines Johanniskraut-Extrakts in kli-
nisch relevanten Konzentrationen im Gehirn von Mäu-
sen anreichert ■8 . Somit ist sichergestellt, dass der Wirk-