Sie sind auf Seite 1von 505

INSTITUTUM IUDAICUM, TÜBINGEN

OTTO MICHEL UND MARTIN BENGEL

ARBEITEN ZUR GESCHICHTE


DES ANTIKEN JUDENTUMS
UND DES
URCHRISTENTUMS

BAND I

DIE ZELOTEN

LEIDEN/KÖLN
E. J. BRILL
1976
DIE ZELOTEN
UNTERSUCHUNGEN ZUR JÜDISCHEN
FREIHEITSBEWEGUNG
IN DER ZEIT VON HERODES 1. BIS 70 N. CHR.

VON

MARTIN HENGEL
Institutum ]udailum, Tübingen

2. VERBESSERTE UND ERWEITERTE AUFLAGE

LEIDEN/KÖLN
E. J. BRILL
1976
Erstausgabe 1961

ISBN 90 04 04327 6

Copyright 1976 by E. J. Brdl, Leiden, Netherlands


All rights reserved. No part of this book may be reproduced or
translated in any form, by print, photoprint, microfilm, microfiche
or any other means witholtt written permission trom the publisher
PRINTED IN THE NETHERLANDS
MEINEN EL TERN
VORWORT

Diese Arbeit wurde im Oktober 1959 der Ev. Theol. Fakultät an der
Eberhard-Karls-Universität in Tübingen als Dissertation vorgelegt.
Die Anregung dazu ging von oer J osephus-Übersetzung der Herren
Professoren D. :NIichel und D. Bauernfeind aus, an der ich als Assis-
tent mitwirken durfte. Besonderen Dank schulde ich meinem Dok-
torvater, Herrn Professor D. Otto :NIichel, für sein stets gleichbleiben-
des, reges Interesse und seine verständnisvolle Geduld, mit der er das
von mancherlei Widrigkeiten unterbrochene Fortschreiten der Arbeit
verfolgte. Ihm habe ich auch für wertvolle Anregungen zu danken.
:NIein weiterer Dank für hilfreiche Gespräche gilt Herrn Prof. D.
Bauernfeind, meinem Freund Dozent Dr. Betz, Herrn Privat-Dozent
Dr. Gese und Herrn Rabbiner Dr. Geis in Karlsruhe. Die Fertigstel-
lung der Arbeit erfolgte fern der Universität neben einer völlig anders
gearteten verantwortlichen Tätigkeit in einem Industriebetrieb. Ge-
wisse Lücken in der angeführten Literatur sind durch die Schwierig-
keiten der Literaturbeschaffung bedingt. Hier habe ich noch der
Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart zu danken, die
mich unermüdlich im Rahmen des :NIöglichen mit den notwendigen
Büchern versorgte. Dem Institutum Judaicum in Tübingen und hier
insbesondere Herrn Dozent Dr. Betz und Herrn Assistent Schmidt
danke ich für das sorgfältige Mitlesen der K.<?rrekturen. Wieviel
meine liebe Frau mitgetragen hat, lässt sich mit Worten nicht aus-
drücken.

AALEN, den 1. März 1961 :NIARTIN BENGEL


VORWORT ZUR 2. AUFLAGE

Bei der 2. Auflage wurden Druckfehler und Versehen beseitigt,


neue Quellenhinweise und Literaturangaben beigefügt sowie eine
Reihe kleinerer Änderungen und Ergänzungen vorgenommen.
Der Nachtrag bringt eine Auseinandersetzung mit meinen Kritikern.
Größere Änderungen erschienen mir nicht notwendig; ich glaube,
nach wie vor zu den Ergebnissen meiner Dissertation stehen zu können.
Auf die Ergebnisse der interessanten Arbeit von David jl1. Rhoads,
Some Jewish Revolutionaries in Palestine from 6 A.D. to 73 A.D.
According to Josephus, Diss. Duke University N.C., 1973, konnte
ich aus zeitlichen Gründen nicht mehr eingehen. Ich hoffe, dies
nachholen zu können, sobald das bei der Fortress-Press angekündigte
Werk im Druck vorliegt. Sein Versuch, unter Berufung auf J osephus
die Bedeutung der jüdischen Freiheitsbewegung vor dem Ausbruch
des Jüdischen Kriege~ 66 n. Chr. herabzuspielen, konnte mich nicht
überzeugen. Josephus hatte als Apologet des Judentums ein lebens-
wichtiges Interesse daran, den Einfluß der jüdischen Revolutionäre
gegen Rom vor Ausbruch des Jüdischen Krieges möglichst zu
verkleinern und ihre Wirkungen auf das Volk als gering darzustellen.
Dies gilt vor allem für die Zeit zwischen dem Census des Quirinius
bzw. dem Auftreten Judas des Galiläers 6 n. Chr. und dem Tode
König Agrippas 1. 44 n. Chr., eine Zeit, aus der J osephus überhaupt
nur wenige, anekdotische Nachrichten bringt. Das Schweigen des
Josephus über die jüdische Freiheitsbewegung jener Zeit ist nicht
anders zu bewerten, als sein Schweigen über die Christen. Auch
von den jüdischen Parteien und ihren Führern erfahren wir herzlich
wenig. Die Existenz des Lehrers der Gerechtigkeit, eines Schirneon
b. Schetach, der Schulen Hillels und Schammais, des Urchristentums
und seiner 1:Iission, ja selbst die Namen der bedeutendsten zeit-
genössischen pharisäischen Lehrer bis hin zu J ochanan b. Zakkai,
dies alles wird von ihm beharrlich verschwiegen. Sollte man darum
an ihrer historischen Existenz und Wirksamkeit zweifeln? J osephus
ist ein durch und durch tendenziöser Schriftsteller, dessen Reden
und Schweigen von seinen Tendenzen her verstanden werden muß.
Eben darum ist er ein wichtiges Paradigma für das Studium der
antiken Polemik. Jede Aussage muß bei ihm kritisch auf ihre Tendenz
hin geprüft werden.
VORWORT ZUR 2. AUFLAGE IX

Für die Durchsicht des Buches danke ich Herrn Kollegen Helmut
NIerkel, Herrn Dr. G. O. Neuhaus und Herrn Fritz Herrenbrück.
Dem letzteren. gilt mein Dank vor allem auch für die sorgfältige
Erstelh~ng des großen Registers und das Lesen der Korrekturen.

Tübingen, im Januar 1975. NIARTIN HENGEL


INHAL TSÜBERSICHT
VORWORT .. VII

VORWORT ZUR 2. AUFLAGE VIII

EINLEITUNG . • . . . . . 1
1. Zur Geschichte der Forschung 1
2. Aufbau und Ziel der Darstellung 3

1. DIE QUELLEN. . . . 6

A. Josephus als Hauptquelle 6


Exkurs I: Der slawische Josephus 17
B. Die Nebenquellen . . . . . . . 19
1. Zeitgenössische jüdische Quellen 19
2. Die rabbinischen Quellen. 21
3. Die christlichen Quellen . 22
4. Die antiken Schriftsteller . 23

II. DIE VERSCHIEDENEN BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN


FREIHEITS BEWEGUNG 25

A. Die "Räuber". . . . . 25
1. Der antike Sprachgebrauch. 25
Exkurs II: Zum Räuberunwesen in der antiken Welt. 26
a) Im römischen Reich . . . . . . . . . . . . 26
b) In Syrien und Palästina . . . . . . . . . . . . 28
c) Zur Strafverfolgung und juristischen Beurteilung. 31
d) Die soziologischen Grundlagen. . . 34
2. Die C"~C""
.: .
im rabbinischen Schrifttum . 35
3. Die AYl(HCXL bei Josephus. . . . 42
B. Die Sikarier. . . . . . . . . . . 47
1. Die lateinische Grundbedeutung 47
2. Die Sikarier bei J osephus 48
3. Die Sikarier in der rabbinischen Literatur. 51
Exkurs III: Das Sikarikongesetz . 52
C. Barj one und Galiläer . 55
1. Die Barjone ("~;"l~) 55
2. Die Galiläer . . . 57
XII INHALTSÜBERSICHT

Seite
D. Die "Eiferer". . . . . . . . . . . . . . . . . . 61
1. Der griechische Sprachgebrauch. . . . . . . . . 61
2. Die "Eiferer" als Partei im' "J üdischen Krieg" des
J osephus. . . . . . . . . . . . . . . 0 • • • 64
3. Die "Eiferer" als Partei in der jüdischen Überlieferung 68
4. Die "Eiferer" in den christlichen Quellen. 72
E. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . 0 • 0 • • 76

IIr. DIE ,,4. PHILOSOPHENSEKTE" DES JUDAS GALILÄUS 79


A. Die Aussagen der Quellen 79
B. Die ,,4. Sekte" als selbstständige Partei innerhalb des
Spätjudentums 0 • 0 • • • • • • • • • • • 85
1. Die Geschlossenheit und Eigenständigkeit der ,,4. Sekte" 85
2. Die ,,4. Sekte" und die Pharisäer . . . 89
3. Die Bezeichnung der neuenBewegung 0 91
C. Die Botschaft des Judas Galiläus. 93
1. Die Alleinherrschaft Gottes. . . . . . 93
a) Die Aussage der Quellen 0 • • • • 93
b) Die verschiedenen Ausgangspunkte der neuen Lehre 95
aa) Die Königsherrschaft Gottes. . 0 • • • • • • 95
bb) "Ich bin der Herr, Dein Gott .. 0" • • • • • 0 98
cc) Der Zusammenstoß des palästinischen Juden-
tums mit dem Kaiserkult . . . . . . . . 0 0 103
c) Das Weiterwirken der Vorstellung von der Allein-
herrschaft Gottes . 111
2. Die Freiheit Israels . 114
a) Bei Josephus. . . 114
b) Auf den jüdischen Aufstandsmünzen 120
c) In der rabbinischen Tradition . . . 123
3. J?as Zusammenwirken mit Gott bei der Erlösung Israels 127
a) Die Aussagen des J osephus . . 0 0 • 0 • • 127
b) Das Herbeidrängen der Heilszeit im Rabbinat 129
4. Der Census. . 0 • • • • • • 0 • • 132
a) Die Volkszählung . . . . . . . 134
b) Die Erfassung des Grundbesitzes . 136
c) Die Steuerzahlung an den Kaiser. 139
d) Judas der Galiläer und die religiöse 1Ylotivation des
Widerstandes gegen Census und Steuerzahlung . . . 143
INHALTSÜBERSICHT XIII

Seite
D. Zusammenfassung: Der religiöse Charakter der von Judas
begründeten Bewegung. . . . . . . . . . . . . . . . 146
1. Zur Beurteilung der Sekte des Judas als einer nationa-
listischen Bewegung. . . . . . . . . . . 146
2. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse 149

IV. DER EIFER. • • • . . • • . • . • . • • • 151


A. Die alttestamentlichen Voraussetzungen des Eifers für Gott 151
1. Der eifers üchtige Gott. . . . . . . . . . . . . . . 151
2. Der Eifer für Jahwe. . . . . . . . . . . . . . . . 152
B. Der Eifer für das Gesetz in Verbindung mit der Pinehas-
tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
1. Der Eifer in der Makkabäerzeit . . . . _. . . . . . . 154
2. Der makkabäische "Eifer für das Gesetz" und die Gestalt
des Pinehas nach der Darstellung des Josephus . . . . 159
3. Pinehas (bzw. Elia) und sein Eifer in der rabbinischen
Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
a) Sifre Nu. 25 und die Weiterführung der rabbinischen
Exegese in Nu. R. und den Talmuden. . . 160
b) Pinehas als Führer im Heiligen I<.rieg. . . 165
c) Das ewige Hohepriestertum des Pinehas u. seine
Gleichsetzung mit Elia . . . . . . . . . 167
d) Die rabbinische Kritik an Pinehas und Elia 172
4. Zusammenfassung: Der Eiferer Pinehas als Vorbild
der .iYIakkabäer und Zeloten ., .. .... 175
a) ßiIakkabäer und Zeloten. . . . . . . .... 176
b) Die Zeloten und die rabbinische Pinehas-Tradition 178
C. Der "Eifer" als typischer Wesenszug spätjüdischer Fröm-
migkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
D. Der Eifer für Gesetz und Heiligtum im palästinischen
Judentum und bei den Zeloten . . . . . . . . . . . . 188
1. Die "Gesetzlosigkeit" der Zeloten nach Josephus . . . 188
2. Der Eifer für die Reinheit Israels und für seine religiösen
Vonechte . . . . . . . . . . . . . . . . 190
a) Der Kampf gegen die Zauberei und die sexuelle
Verbindung mit den Heiden. . . . . . . . . . . 190
b) Der Kampf um die strenge Einhaltung des Bilder-
verbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
XIV INHALTSÜBERSICHT

Seite
c) Die Zwangsbeschneidung als Schutz für die Vor-
rechte Israels. . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
d) Die Achtzehn Halachot und die Absonderung von
den Heiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
3. Der Eifer für die Reinheit des Heiligtums ..... 211
a) Die Bedrohung des Tempels durch die heidnische
Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
b) Die Entweihung des Heiligtums von jüdischer Seite 215
c) Versuche, die Reinheit des Tempels zu wahren. . 219
d) Die "Reinigung" des Tempels durch die Zeloten . . 223
e) Das Heiligtum als Mittelpunkt und Rückhalt im letz-
ten Kampf gegen Titus . . . . . . . . . . 226
E. Zusammenfassung: Der Eifer als eschatologische Tora-
verschärfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

V. DIE ZELOTEN ALS ESCHATOLOGISCHE BEWEGUNG 235


A. Zelotische Profeten . . . . . . . . . 235
1. Die falschen Profeten nach Josephus. . . . . . 235
2. Die Profetie im Spät judentum . . . . . . . . . 239
3. Die zelotische Profetie als charismatische, eschatologische
Schriftdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
a) Eine messianische Weissagung. . . . . . . . . . 243
b) Profetie und Gegenprofetie beim letzten Kampf um
den Tempel . . . . 246
4. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . 250
B. Die Zeit des großen Zorns . . . . . . . . 251
1. Die endzeitlichen Wehen im Spät judentum 251
2. Die "messianischen Wehen" und die zelotische Bewegung 253
C. Der Rückzug in die Wüste . . . . . . . . . . . . . . 255
1. Der Rückzug in die Wüste als verbreitete Erscheinung
im Spät judentum . . . . . . 255
2. Die Zeloten in der Wüste 259
D. Die Bereitschaft zum Martyrium. 261
1. NIärtyrer im ] udentum der hellenistisch-römischen
Zei t bis Herodes . . . . . . 261
2. Das NIartyrium bei den Zeloten . 263
a) Zwei Martyrien unter Herodes 263
b) Zelotische Märtyrer. . . . . 265
INHALTSÜBERSICHT xv

Seite
3. Der religiöse Selbstmord als Sonderform des !vlartyriums 268
4. Zusammenfassung: Das Verständnis des !vlartyriums
bei den Zeloten. 271
E. Der Heilige Krieg . 277
1. Im Alten Testament und in der Makkabäerzeit 277
2. Die eschatologisch-dualistische und messianische Deu-
tung des Heiligen K.rieges in der Apokalyptik und der
Kriegsrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
a) Die eschatologisch-dualistische Deutung. . . 279
b) Der Messias als Führer im endzeitlichen Krieg 281
c) Die Kriegsrolle . . . . . . . . . . . . . 283
3. Der Heilige Krieg und die Zeloten . . . . . . 287
a) Die Zeit bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges 288
b) Der Jüdische I<.rieg als "Heiliger Krieg" 289
4. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . 292
Exku1:S IV: Sabbatheiligung und Heiliger Krieg. 293
F. Zelotische Messias-Prätendenten. . . . . . . . 296
1. Die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . 296
2. Messianische Prätendenten in der Jüdischen Freiheits-
bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297
a) Vom Bandenführer Hiskia bis zu Judas dem Galiläer 297
b) Menahem als zelotischer Messias 299
c) Simon bar Giora. . . . . 303
3. Die Davidssohnschaft . . . . 304
4. Zelotische Messiashoffnung und das palästinische
Christentum . . . . . . . . 306
G. Der Endsieg und die Weltherrschaft Israels . 308
1. Die Vernichtung der gottfeindlichen Weltmacht 308
a) Die Beurteilung Roms . . . . . . . 308
b) Der Endtyrann . . . . . . . . . . . 309
c) Die Vernichtung der römischen !vlacht 310
2. Die Herrschaft Gottes und seines Volkes. 312
a) Die Gottesherrschaft . 312
b) Die Herrschaft Israels. 314
H. Zusammenfassung. . . . . 315
XVI INHALTSÜBERSICHT

Seite
VI. DIE ENTWICKLUNG DER ZELOTISCHEN BEWEGUNG 319
A. Die Vorgeschichte bis zur Verbannung des Archelaos 319
1. Der Räuberhauptmann "Hiskia" und die Unruhen in
Galiläa beim Regierungsantritt des Herodes . 319
2. Die Herrschaft des Herodes . . . . . . . . . . . . . 324
3. Die Unruhen nach dem Tode des Herodes . . . . . . 331
B. Von der Gründung der 4. Sekte bis zum Tode Agrippas 1. 336
1. Die Gründung der neuen Bewegung durch Judas den
Galiläer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
2. Die zelotische Bewegung zur Zeit J esu. . . . . . 344
3. Von Pilatus bis zum Tode des Herodes Agrippa I. 348
C. Die Ausbreitung der zelotischen Bewegung nach dem Tode
Agrippas 1. bis zum Ausbruch des Jüdischen Krieges. . . 349
1. Die Entwicklung von Cuspius Fadus bis zur Absetzung
des Cumanus. . . . . . . . . . . . . . . -. . . . 349
2. Die zunehmende Verschärfung der Lage von Felix bis
Albinus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
3. Die letzte Zuspitzung der Situation unter Gessius Floms 361
D. Das Auseinanderfallen der zelotischen Bewegung im
Jüdischen Krieg und ihr Ende. . . . . 365
1. Eleazar und :NIenahem . . . . . . . 365
2. Der weitere Verlauf des Jüdischen I<rieges bis zur
Niederlage des Cestius Gallus. 373
3. Die politische Wende nach dem Sieg über Cestius, der
daraus hervorgehende Bürgerkrieg und das Ende der
Aufstandsbewegung . 376
Gesamtüberblick und Hinweis auf neutestamentliche Frage-
stellungen . . . . . . . 384
Nachtrag: Zeloten und Sikarier 387
Abkürzungen 413
Literaturverzeichnis 417
Literaturnachtrag . . 432
Stellenregister . . . 437
Personen- und Sachregister . 465
Begriffsregister . 484
Autorenregister . . . . . . 486
EINLEITUNG

1. ZUR GESCHICHTE DER FORSCHUNG

Die Geschichte. des Palästinischen Judentums von der Eroberung


Jerusalems durch Pompeius bis zum Aufstand des Bar Koseba rund
zweihundert Jahre später, ist geprägt durch den Kampf um die
religiös-politische Unabhängigkeit. Im mittleren Teil dieses Zeit-
raums - von der Umwandlung J udäas in eine römische Provinz
bis zur Zerstörung J erusalems - erscheinen als Träger des Kampfes
um die Freiheit die sogenannten "Zeloten".
Während andere spätjüdische Parteien und Sekten wie die Pharisäer,
Sadduzäer, Essener und nicht zuletzt das palästinische Urchristen-
tum immer wieder Gegenstand eingehender Behandlung gewesen
sind, finden sich ausführlichere Untersuchungen der zelotischen
Freiheitsbewegung relativ selten. Zwar haben die Altmeister jüdischer
Geschichtsschreibung, Graetz 1) und Derenbourg 2), der Entwicklung
d·.:s jüdischen Unabhängigkeits kampfes in dem genannten Zeitraum
besondere Aufmerksamkeit geschenkt und vor allem die Angaben
des J osephus durch die rabbinischen Quellen reichlich ergänzt, doch
konnten in diesen Gesamtdarstellungen das Wesen und die Geschlos-
senheit der zelotischen Freiheitsbewegung noch nicht deutlich genug
herausgearbeitet werden. Einen Versuch in dieser Richtung unter-
nahm K. Kohler in seinem Artikel "Zealots" in "The Jewish Ency-
clopaedia" und später in einem Aufsatz der Harkavy-Festschrift 3),
doch ließ die Knappheit des Raums nur eine - allerdings ausge-
zeichnete - Zusammenstellung des NIaterials zu. Während das große
Geschichtswerk Schürers der zelotischen Bewegung wenig Beachtung

1) H. Graetz, Geschichte der Juden, Bd. III, 1/2 Geschichte der Judäer von
dem Tode Makkabis bis zum Untergang des jüdischen Staates, in 5.A. bearbeitet
v. :M. Braun, Leipzig 1905 s. Register unter Zeloten und die Noten 24. 26. 29.
2) J. Derenbourg, Essai sur l'histoire et la geographie de la Palestine d'apres
les Thalmuds et les autres SOUl'ces rabbiniques, Premiere Partie: Histoire de
la Palestine depuis Cyrus jusqu'a Adrien, Paris 1867, 237ff.
3) S. JE VoL XII (1906), p. 639-643 und der Aufsatz: "Wer waren die Zeloten
oder Kannaim?", Festschrift in Ehren des Dr. A. Harkavy, Petersburg 1909,
6-18. J. W. Lightley gibt in seinem Werk, Jewish Sects and Parties in the Time
of J esus, London 1925, auch eine Darstellung der Zeloten, doch beschränkt er
sich nahezu ausschließlich auf die Angaben des J osephus. Sie bedeutet daher
einen Rückschritt gegenüber der Arbeit der jüdischen Forscher.
2 EINLEITUNG

schenkte 1), versuchte Adolf Schlatter in verschiedenen Werken


insbesondere die theologischen Grundzüge derselben darzustellen;
er hatte auch klar die Bedeutung der Zeloten für das Verständnis
des Neuen Testaments und hier vor allem für die Evangelien erkannt 2).
Zelotismus und Neues Testament war auch das Thema, unter dem
die Arbeit Robert Eislers stand 3), jedoch konnte die "kombinatori-
sche :NIagie" 4) des Verfassers trotz umfassender Gelehrsamkeit und
einer Fülle trefflicher Einzelbeobachtungen kaum gültige Ergebnisse
erzielen. Von seiner vorwiegend jüdisch-nationalen Ausgangstellung
her hat sich Joseph Klausner mit besonderem Interesse den Zeloten
zugewandt. Die letzten bei den Bände seiner "Geschichte des zweiten
Tempels" enthalten wohl die ausführlichste Zusammenfassung des
historischen :NIaterials über die Zeloten, allerdings auch hier wieder
im Rahmen einer Gesamtdarstellung der spät jüdischen Geschichte 5).
Neben den genannten Arbeiten steht eine Fülle kürzerer Stellung-
nahmen zur Frage der Zeloten. Gerade sie zeigen, wie wenig man sich
weithin über die Entwicklung und Form dieser Bewegung einig
war; so konnte man z.B. den Zelotismus teilweise nur als eine
allgemeine Tendenz innerhalb des Spät judentums verstehen 6) oder
die Partei der Zeloten auf eine Gruppe innerhalb des jüdischen
Krieges beschränken 7). Auch die Versuchung eines nationalistisch··
politischen NIißverständnisses lag sehr nahe 8). In neuerer Zeit hat
W. R. Farmer die enge Verbindung zwischen den Zeloten und der
Tradition der :NIakkabäerzeit aufgewiesen, doch ließ auch diese
Spezialuntersuchung viele Fragen offen, vor allem trat das Problem

1) Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, 3. u. 4. A. Leipzig


1901, vgl. 1,486f. 573ff.
2) Geschichte Israels von Alexander dem Großen bis Hadrian, 3. A. Stuttgart
1925, 259ft' u.ö. siehe Register; Die Theologie des Judentums nach dem Bericht
des Josephus, BFCT 2. R. Bd. 26, 1932, 214-224; Die Geschichte der ersten
Christenheit, BFCT 2. R. Bd. 11, 3. u. 4.A. 1926 s. Register; Die Geschichte des
Christus, Stuttgart 1921, 304ff. A. Stumpff in seinem Artikel ~'ijAoe; ThWB 2,
886ff verwendet vor allem die Ergebnisse Schlatters (887 A.18).
3) •I 'lJaoGe; ßa.O'LAe:Ue; ou ßa.O'LAe:uaa.e;, die messianische Unabhängigkeits bewegung
vom Auftreten Johannes des Täufers ... , 2 Bde. Heidelberg 1929/30.
0,1) So charakterisierte M. Dibelius die .Methode R. Eislers: ThBl 6 (1927), 219.
Ö) 'llZi;' n~:t;' ~lZi ;'''''~O'';' 4.A. Jerusalem 5714 (1954), s. Register 5,317 unter
O"~(li'. V gl. auch J. Klausner, Jesus v. Nazareth, 3.A. 1952, 215 ff u. 272ff.
6) So etwa C. Guignebert u. Ba Reicke s.u. S. 86 A. 2.
7) So vor allem F. J. Foakes Jackson u. K. Lake, die Herausgeber von "The
Beginnings of Christianity", Part I: The Acts of the Apostles, London 1920,
1,421ff.
8) So u.a. S. Dubnow u. H. Preisker s.u.S. 146.
EINLEITUNG 3

einer möglichen eschatologischen Bestimmtheit beider Bewegungen


zu wenig hervor 1). Die Handschriftenfunde vom Toten :Nleer
erweckten bei einigen Forschern die Vermutung, daß die Verfasser
dieser Schriften mit den Zeloten zu identifizieren seien 2). Diese
Ansicht konnte sich jedoch in keiner Weise durchsetzen, es sprechen
dagegen schwerwiegende religionsgeschichtliche, historische und
archäologische Gründe 3); es erübrigt sich daher von vornherein,
auf die teilweise sehr gezwungenen Kombinationen in dieser Rich-
tung einzugehen.

2. AUFBAU UND ZIEL DER DARSTELLUNG

Die vorliegende Arbeit versucht von den Quellen aus zur religiösen
Eigenart und historischen Entwicklung der zelotischen Bewegung
in dem engeren Zeitraum zwischen Herodes 1. und dem jüdischen
Krieg vorzudringen. Dabei sollen jeweils die einzelnen Quellen-
aussagen im Zusammenhang mit den entsprechenden religiösen
Anschauungen des Spät judentums und des Rabbinats interpretiert
werden. Die Verschiedenartigkeit und Bruchstückhaftigkeit der
Quellen bewirkt, daß die einzelnen Ergebnisse oft nur einen gewissen
Grad der Wahrscheinlichkeit erreichen. Zuweilen müssen wir uns
auch mit nur beschränkt begründbaren Hypothesen begnügen.
Trotz dieser Schwierigkeiten wird angestrebt, ein möglichst geschlos-
senes Bild der zelotischen Bewegung zu erlangen.
Der Aufbau gestaltet sich in folgender Weise: 1. Am Anfang
steht eine kritische Beurteilung der Quellen, insbesondere der Haupt-
quelle, der Werke des Josephus. 2. Es folgt die philologisch-histo-
rische Untersuchung jener Bezeichnungen, die der jüdischen Frei-
1) \v, R. Farmer, Maccabees, Zealots, and Josephus, An Inquiry into Jewish
Nationalism in the Greco-Roman Period, New Y ork 1956; vgl. auch den Aufsatz,
Judas, Simon and Athronges, NTS 4 (1957/58), 147ff.
2) Als erster H. E. del Medlco, Deux :Manuscrits de la :NIer Morte, 1951 und
L'enigme des manuscrits de la Mer Morte, 1957. Auch J. Klausner, Hist. 5,324ff
vermutet einen Zusammenhang zwischen den Schriftrollen und den Zeloten.
Neuerdings wird die These vor allem von C. Roth, The Historical Background
of the Dead Sea SeraIls, Oxford 1958 und G. R. Driver, The Judaean Serails,
Oxford 1965, vertreten.
8) Die Unhaltbarkeit dieser Vermutungen hat vor allem H. H. Rowley, Qum-
ran, the Essenes and the Zealots, in "Von Ugarit nach Qumran", Btr. z. atl. u.
altoriental. Forschung, O. Eissfeldt ... dargebracht, BerEn 1958, 184-192, nach-
gewiesen.Vgl. aueh die Fülle der Theorien, die M. Burrows, The Dead Sea SeraIls,
1956, 123-186 anführt. Zur \Viderlegung der Zelotenhypothese s. vom selben
Verfasser, More Light on the Dead Sea Serails, 1958, 232-245 u. 271-274 und
R. de Vaux, Essenes or Zealots, NTS B (1966/7), 89-104.
4 EINLEITUNG

heitsbewegung von den verschiedenen Seiten beigelegt wurden.


·3. Diese führt hin zu der von Judas, dem Galiläer, gegründeten
"vierten Philosophensekte" . Hier wird zunächst versucht, die
Eigenständigkeit und Organisationsform der von Judas ausgehenden
Partei herauszuarbeiten, daraufhin werden die verschiedenen charak-
teristischen Züge dieser neuen Sekte, die Forderung nach der Allein-
herrschaft Gottes, das Zusammenwirken mit Gott bei der Gewinnung
der Freiheit und die Ablehnung des Census erörtert. Es ergibt sich
daraus die primär religiöse Bestimmtheit dieser neuen Bewegung.
4, Das nächste I<:'apitel ist dem Begriff des "Eifers" gewidmet.
Ausgangspunkt ist das Verständnis des Pinehas in der jüdischen
Tradition. Im Anschluß daran wird nach der Bedeutung des Eifers
im zeitgenössischen Judentum überhaupt gefragt, und schließlich
folgt eine Darstellung des "Eifers" im Zusammenhang mit der
zelotischen Bewegung, getrennt nach den beiden Gesichtspunkten
des Eifers für das Gesetz und des Eifers für das Heiligtum. Am Schluß
steht der Nachweis, daß dieser Eifer als eschatologische Verschärfung
des Gesetzes zu verstehen ist. 5. Im Folgenden werden nun die
verschiedenen eschatologischen Züge der zelotischen Bewegung
untersucht und in den Zusammenhang der spätjüdischen Eschatologie
eingeordnet. Hier sind vor allem der profetische Enthusiasmus und
die V orstellung von der vormessianischen Leidenszeit wesentlich,
aus ihnen erklären sich konkrete Züge wie die Aufgabe des Besitzes,
die Flucht in die Wüste und die bedingungslose Bereitschaft zum
ßiIartyrium. Der Weg zur Herrschaft des ßiIessias führt über den
Heiligen Krieg; als Endziel erhofft man die Weltherrschaft Israels.
6. Das Schlußkapitel will einen Überblick über die geschichtliche
Entwicklung der. jüdischen Freiheitsbewegung geben. Eingesetzt
wird mit der Ermordung des Bandenführers Hiskia durch den jungen
Herodes. Die Herrschaft Herodes I. bildete dann die Vorbereitung
der späteren Unruhen, die auch unmittelbar nach seinem Tode
aus brachen. Doch fehlte noch zunächst die organisatorische und
ideologische Zusammenfassung der Aufständischen. Diese erfolgte
durch Judas; von nun an bildeten die "Zeloten" eine dem Phari-
säismus nahestehende, jedoch selbstständige Partei, deren Spuren
allerdings wegen der bruchstückhaften Berichterstattung des J osephus
nur stellenweise verfolgt werden können. Wir finden sie auch im
Neuen Testament und in der rabbinischen Tradition. Ihr Ziel
erreichten die Zeloten mit dem Ausbruch des Jüdischen Krieges;
durch die überras~hende Ermordung ihres Führers Menahem, des
EINLEITUNG 5

Sohnes des Judas, wurde die Partei jedoch im entscheidenden Augen-


blick gespalten. Es standen von jetzt an verschiedene, sich bekämp-
fende Gruppen einander gegenüber, die zwar das geistige Erbe der
Zeloten weitertruge~ jedoch selbst zu keinem geschlossenen Handeln
mehr fähig waren.
Diese Zusammenfassung des Gedankengangs läßt zugleich die
Grundthese deutlich werden, die sich im Verlauf der Arbeit heraus-
kristallisiert : Es handelt sich bei den "Zeloten" um eine relativ
geschlossene Bewegung mit eigenständigen religiösen Anschauungen,
die die Geschichte des palästinischen Judentums in der entschei-
dungsvollen Zeit zwischen den Jahren sechs und siebzig n. ehr.
maßgeblich beeinflußt hat.
KAPITEL EINS

DIE QUELLEN

Die Frage nach dem Wesen der zelotischen Bewegung setzt als
Erstes die Frage nach Art und Tendenz der Quellen voraus. Es
zeigt sich schon hier die ganze Schwierigkeit, die einer genaueren
Erfassung des Gegenstandes entgegensteht.

A. JOSEPHUS ALS HAUPTQUELLE

Am ausführlichsten hat über die jüdische Freiheitsbewegung in


dem uns betreffenden Zeitraum der jüdische Schrifsteller Flavius
J osephus berichtet. Nahezu unser ganzes Wissen erhalten wir aus
seinem "Jüdischen Krieg" und den Büchern XIII-XX seiner
"J üdischen Altertümer", dazu kommt für einen ganz bestimmten
Zeitabschnitt, die Zeit zu Beginn des Jüdischen Krieges, seine
sogenannte "Lebensbeschreibung". Bei diesen Werken stehen wir
jedoch vor einem zweifachen Problem: Einmal verwendet J osephus
darin selbst wieder Quellen von verschiedener Herkunft und Tendenz;
zum andern zeigt er in Auswahl und Beurteilung des Stoffes eine
ausgeprägte eigene Stellungnahme, die dazu noch in den einzelnen
Schriften etwas differiert.
Seine politische Haltung ist vor allem durch seinen eigenartigen
Lebensgang bestimmt: Er stammte aus dem Priesteradel von J eru-
salem, der angesehenen Klasse J ojarib, der auch die Hasmonäer
angehörten, mit denen er zudem direkt verwandt war 1). So zählte
er zu jenen _Kreisen, die zumindest seit Herodes I. in ihrer über-
wiegenden Mehrzahl den Bestrebungen der jüdischen Freiheits-
bewegung feindlich gegenüberstanden. Wenn er sich auch später
selbst als Anhänger der Pharisäer bezeichnete 2), so waren doch er
und seine Familie mit führenden Sadduzäern engstens befreundet 3).
Schon seine Wirksamkeit in Galiläa brachte ihn in scharfen Gegensatz

1) Vita 2.198; b 1,3; 3,352; c. Ap. 1,54; vgl. 1. ehr. 24,7-18; 1. l\fakk. 2,1.14.
Sein Ururgroßvater Matthias heiratete eine Tochter des Hohenpriesters Jonathan.
2) Vita 12. Die Angabe ist mit Vorsicht aufzunehmen s.u. S. 378 A. 3.
3) Vita 204 bezeichnet sich Josephus als CPLAOC:; ••• xcd O'uv~e"l)C:; des Hohen-
priesters Jesus S.d.Gamala.
JOSEPHUS ALS HAUPTQUELLE 7

zu den Führern des radikalen Flügels der Aufständischen 1). Durch


seinen Übertritt Zu den Römern wurde der Bruch mit der Aufstands-
partei endgültig. Für seine Verdienste zugunsten der Sieger erhielt
er nach Beendigung des Krieges reichen Lohn 2). Als Freigelassener
des Kaisers bekam er das römische Bürgerrecht, er wohnte im
früheren Palast Vespasians und war außerdem im Besitze eines
Gnadengehalts 3).
In dieser Weise dem flavischen Kaiserhause verpflichtet, stellte
er seine Arbeitskraft zunächst ganz in dessen Dienst. Schon der
Titel seines ersten Werkes, "Über den Jüdischen Krieg", zeigt, daß
es vom römischen Standpunkt aus geschrieben ist 4). Der uns über-
lieferten griechischen Fassung ging eine aramäische voraus, die
insbesondere dem nichtrömischen Osten die Macht der römischen
Waffen und die Sinnlosigkeit einer Erhebung deutlich machen
sollte 6). Die griechische Form stellt wohl eine erweiterte, freie
Bearbeitung dieser aramäischen Urfassung dar. Da das Werk in
glänzendem, klassischem Stil geschrieben wurde 6), J osephus aber,
nach eigenem Zugeständnis, in der griechischen Sprache nie besondere
Fähigkeiten erlangt hat, müssen bei seinem Entstehen griechische
Stilisten mitgewirkt haben 7). Dies erklärt auch, warum das Ge-
schichtswerk des Priestersohnes aus J erusalem ein so völlig helle-
nistisches Gewand erhielt. Die endgültige Abfassung des "Jüdischen
Kriegs" liegt zwischen den Jahren 75 und 79·n. ehr. 8). Das Werk
1) b 2,585ff. 593f. 598; vita 43ff. 134ff u.a.
2) Vita 422.425.429. Es handelte sich vor allem um größeren Grundbesitz;
unter Domitian kam dazu noch Steuerfreiheit.
3) Vita 423.
4) J. nennt diesen Titel selbst in seinen späteren Schriften, a 20,258 (vita 412):
m:pl 'rOU 'louSet'exot) 7to).€[.L0u. Auf diese Tatsache machte als erster R. Laqueur,
Der jüdische Historiker Flavius Josephus, 1920, 98 u. 417, aufmerksam. Bei
den von Niese zu seiner Ausgabe herangezogenen Handschriften lautet der
Titel (bis auf die ersten beiden Bücher von P) m:pt <XAWcre:<UC;; s. seine Einleitung
Zu Bd. VI S. IH. R. Eisler, 1,264ff vermutet, daß es sich hier um die Bezeichnung
der ursprünglich aramäischen Fassung handle.
6) b 1,3.6. Das Verhältnis dieser Fassung zum griechischen Polemos ist nicht
mehr bestimmbar. R. Eisler 1,335f nimmt wohl mit Recht an, daß diese politische
Tendenzschrift nicht allein für die Juden sondern für alle aramäisch sprechenden
Völker' des Ostens bestimmt war.
G) H. St. J. Thackeray, Josephus, the man and historian, 1929, 104: "An
excellent specimen of the Atticistic Greek".
7) a 20,263; c.Ap. 1,50. über den großen Anteil dieser am Werk, s. W. Weber,
Josephus und Vespasian, 1921, 13 u. H. St. J. Thackeray, op. cit. 103ff.
8) Frühester Zeitpunkt: Die Einweihung des Tempels der Friedensgöttin
(b 7,158) nach Dio Cassius 66,15,1 i. J. 75 n. Chr.; spätester Termin:, Der Tod
Vespasians im Juli 79; vgl. Schürer 1,79; CAH 10,884.
8 DIE QUELLEN

war Vespasian und Titus gewidmet 1), Titus selbst versah es mit
seiner eigenhändigen Unterschrift 2).
Als Hauptquelle für die ausführliche V orgeschichte von der
Makkabäerzeit bis zum Regierungsantritt des Archelaos benutzte
Josephus wohl durchweg das Geschichtswerk des Herodesfreundes
Nikolaus von Damaskus 3). Dadurch wurde natürlich die Darstellung
dieses Teils der jüdischen Geschichte einseitig parteüsch. So wird
die Widerspenstigkeit des jüdischen Volkes getadelt und die Treue
der hellenistischen Syrer gelobt 4); die Versuche der Hasmonäer,
ihre Macht wieder zu gewinnen, werden verurteilt, dagegen erhält
Herodes 1. eine relativ günstige Beurteilung 5). Auch vermißt man
die für einen Juden unerläßliche religiöse Begründung des Geschichts-
verlaufs durch Gottes Eingreifen, während Josephus in dem weiteren
Verlauf seines Werkes häufig davon Gebrauch macht 6). Selbst-
verständlich müssen hier alle Bestrebungen der Juden zur Wieder-
gewinnung ihrer Unabhängigkeit negativ beurteilt werden. Mit dem
Aufhören dieser Quelle 7) bricht der fortlaufende Erzählungsfaden
plötzlich ab und die Überlieferung wird außerordentlich dürftig.
Die Berichterstattung des Josephus beschränkt sich vorwiegend auf
die Darstellung jüdischer Unruhen unter Pilatus, I<:'aiser Caligula
und den späteren Prokuratoren Cumanus und Felix 8). Erst über die
unmittelbare Vorgeschichte des Jüdischen Krieges berichtet er
wieder ausführlicher 9). Für den weiteren Verlauf der Auseinander-
setzung war er, wie er selbst hervorhebt, als Geschichtsschreiber
besonders geeignet. Er hatte ja als Augenzeuge an den entscheidenden
1) Vita 361; c.Ap. 1,50.
2) Vita 363; vgl. R. St. ]. Thackeray, op. cit. 27.
3) Ein in Bellum und Antiquitates oft genannter Freund des Rerodes, der in
einer Universalgeschichte von 144 Büchern auch die jüdische Geschichte aus-
führlich behandelt hat; s. G. Rälscher, Art. ]osephus, PW IX (1916), 1945ff;
Schürer 1,83 A. 16; CAR 10,885. Zur allgemeinen Tendenz des Nikolaus v.
Damaskus s. A. Schlatter, G.I., 241-245. Der ganze Bericht des Josephus von
b 1,31-2,110 dürfte nur ein ausführliches Exzerpt aus dem Werk des Nikolaus sein.
V gl. B. Z. Wacholder, Nicolaus of Damascus, Berkeley 1962, 60ff u.ä.
4) b 1,88.90.94; 2,92; vgl. Rälscher, op. cit. 1945.
5) b l,171ff. 357. Auch in der Beurteilung der familiären Schwierigkeiten des
Rerodes stand Nikolaus in der Regel auf dessen Seite s. 1,432.436f. Gelegent-
licher Tadel 1,493. 533. 543 kann das positive Gesamtbild der Herrschaft des
Herodes (l,429f.665) nicht ändern.
6) Vgl. u.a. b 3,404; 4,323.622; 5,2; 6,288.310.
7) Sie endet wohl mit dem Betrüger Alexander 2,110; G. Rälscher, op. cit.
1949 vermutet das Ende der Quelle erst nach der Verbannung des Archelaos 2,116.
B) b 2,169ff.184ff.247ff.
9) b 2,277ff vom Amtsantritt des Florus an.
JOSEPHUS ALS HAUPTQUELLE 9

Ereignissen zum großen Teil selbst teilgenommen, auch war er mit


den Verhältnissen in beiden Lagern in gleicher Weise vertraut 1).
Dennoch legen Unterschiede in den Berichten über den Verlauf des
Krieges die Vermutung nahe, daß J osephus auch hier teilweise
schriftliche Quellen herangezogen hat 2). Selbst wenn die Hypothese
W. Webers von der Existenz eines flavianischen Geschichtswerks,
das J osephus ausgiebig benutzt haben soll, zu weit geht 3), bleibt
doch die Vermutung gerechtfertigt, daß J osephus auf die noch
unveröffentlichten K.riegsberichte der Imperatoren zurückgreifen
konnte, die ihm, nach seiner eigenen Aussage, be~annt waren 4).
Auch Agrippa H. scheint Material beigesteuert zu haben 5).
Eine besondere Frage bilden die großen Unterschiede zwischen
den Berichten des J osephus über seine Tätigkeit in Galiläa im zweiten
Buch des "Jüdischen Krieges" und in der "Lebensbeschreibung"
(Vita) 6). Der Quellenwert dieser ihrem Stil nach wohl von Josephus

1) Josephus wurde nach b 1,3 u. vita 5 im 1. Jahr des Caligula (13.9.37-16.3.38


n. Chr.) geboren, s. Rölscher op. cit. 1934. Er war also zu Beginn des Krieges
ca. 28 Jahre alt. Seine Augenzeugenschaft hebt er besonders in der Auseinander-
setzung mit Justus v. Tiberias hervor: vita 357-367 u. c.Ap. 1,46-56, vgl. auch
die Kritik an früheren Darstellungen des jüdischen Krieges b 1,3ff.6.18; c.Ap.
1,55. Nach c.Ap. 1,49 hatte Josephus die Überläufer zu verhören und war dadurch
über das Geschehen in der Stadt informiert.
2) Schürer (1,79) war noch der Meinung, daß sich J osephus das Material
größtenteils durch eigene Aufzeichnungen schon während des Krieges verschafft
hat. W. Weber, op. cit. 68ff.79ff u. ö. und R. Drexler, Untersuchungen zu
Josephus u. zur Geschichte des jüdischen Aufstandes, Klio 19 (1925), 277ff haben
jedoch auf den Unterschied zwischen dem üblichen Stil des Josephus und dem
der "römischen Partien" aufmerksam gemacht, die im Gegensatz zu der sonstigen
Darstellungsweise "knapp, sachlich und durchsichtig" sind (Drexler op. cit.
292, A. 2 vgl. auch 304). Auffallend sind vor allem die vielen präzisen Zeit- und
Ortsangaben. .
3) Op. cit. 78ff U.ö. Dieses Werk soll nahezu das gesamte Material von 3,1-
7,162 enthalten haben. Zur Kritik W. Webers s. R. Laqueur, Philol. Wochenschr.
41 (1921), 1105 ff, und Thackeray op. cit. 37. Das negative Urteil über seine
Vorgänger b 1,lff und die Schwierigkeit für die zeitliche Ansetzung-- zwischen
75 u. 79 n. Chr. müßten das flavianische Werk, der aram. u. griechische Polemos
entstanden sein - machen die Vermutung W. Webers sehr unwahrscheinlich.
Auch das Interesse des Titus am Werk des Josephus wäre bei einem bloßen
Plagiat unverständlich (vgl. vita 363).
4) Vita 342.358; c.Ap. 1,56.
5) In einem vita 366 angeführten Brief macht er darauf aufmerksam,
daß er ihm noch unbekannte Tatsachen mitzuteilen habe.
6) Die Entstehungszeit der Vita ist umstritten, sie hängt vom Todesdatum
Agrippas H. ab (93/94 oder 100 n. Chr.). G. Rölscher, op. cit. 1941f, vermutet
auf Grund von a 20,265 den früheren Termin, zugleich nimmt er an, daß die Vita
in einer 1. kürzeren Fassung sich unmittelbar an die Antt. anschloß und erst
später zu einer Apologie gegen Justus v. Tiberias erweitert worden sei. Vgl.
10 DIE QUELLEN

selbst verfaßten Schrift wird sehr unterschiedlich beurteilt 1). Seit


der Arbeit von R. Laqueur ist jedoch die Überzeugung gewachsen,
daß die "Lebensbeschreibung" der historischen Wahrheit näher
komme als der Parallelbericht des ,,] üdischen Krieges" 2) . Vermutlich
geht die "Lebensbeschreibung" auf frühere Aufzeichnungen des
] osephus zurück, aus denen er dann jene Verteidigungs schrift
gegen die Angriffe des ]ustus von Tiberias formte 3). Am auffallend-
sten ist der Unterschied zum ,,] üdischen Krieg" bei der Sendung des
] osephus nach Galiläa: Während die "Lebensbeschreibung" J osephus
nur als Glied einer Gesandtschaft darstellt, schildert er sich im
"Jüdischen Krieg" als einen mit allen Vollmachten ausgestatteten
Oberkommandierenden; die Absicht, sich selbst militärischen Rang
und Ruhm zuzuschreiben, wird nur allzu deutlich 4). Der "Lebens-
beschreibung" kommt dadurch besondere Bedeutung zu, daß sie
einen Einblick in die ländlich-kleinstädtische Struktur Galiläas zu
Beginn des Jüdischen I<rieges gibt, und auch die soziologischen
Verhältnisse und verwickelten Parteikämpfe außerhalb J erusalems
relativ deutlich hervortreten läßt.
Aus dem zuvor über die Persönlichkeit des ] osephus und den
,,] üdischen Krieg" Gesagten ist wohl die Grundhaltung seines
Werkes schon deutlich geworden: Er hat es unter der Protektion,
ja vielleicht sogar im Auftrag der Kaiser Vespasian und Titus und
mit einer ganz bestimmten Absicht geschrieben; es soll den Leser
von der Berechtigung der jüdischen Niederlage und der Unüber-
R. Laqueur, Der jüdische Historiker Flavius Josephus, 1920, 2ff; A. Schlatter,
G.I. 342f; M. Gelzer, Die Vita des Josephus, Hermes 80 (1952), 67ff.; Th. Frank-,
fort, Revue Belge de philologie et d'histoire 39 (1961), 52ff vertritt die Daten:
92/4 Tod Agrippas II; 93/4 Antiquitates; 93/6 Vita.
1) Schürer 1,94: "Die schwächste Leistung ist ... die Selbstbiographie";
G. Hölscher, op. cit. 1994; N. Bentwich, Josephus, 1926,74; H. Drexler, op.
cit;.303.
2) R. Laqueur, op. cit., Vorwort u. 1. Teil; die These Laqueurs, die Vita
sei in ihrem Grundstock ein Rechenschaftsbericht des Josephus über seine
Wirksamkeit in Galiläa gegenüber dem Synhedrium, geht jedoch zu weit (s. schon
die ausführliche Kritik von R. Helm, Philolog. Wochenschr. 41 [1921], 481-493
u. 505-516). Lediglich R. Eisler 1, XXXVIIlf. 233 u.ö. schloß sich kritiklos
Laqueur an, er fand in ihm eine Bestätigung seiner noch phantasievolleren
eigenen Kombinationen.
3) Vgl. W. Weber, op. cit. 99; M. Gelzer, op. cit. 87f. Diese Aufzeichnungen
sind wahrscheinlich älter als der "Jüdische Krieg" und können schon während
der Belagerung J erusalems bzw. der Gefangenschaft des J. von diesem verfaßt
worden sein.
4) M. Gelzer, op. cit. 90: "Da war es auch für ihn persönlich vorteilhafter,
sich von Anfang an heroisch zu geben. So plusterte sich der Partisanengeneral
wider Willen zu einem regulären Heerführer auf ... "
JOSEPHUS ALS HAUPT QUELLE 11

windlichkeit der römischen Macht überzeugen 1). Dieses Anliegen


nimmt bei ihm geradezu religiöse Gestalt an 2). Gott selbst hatte
J erusalem und den Tempel wegen der Sünden, die - insbesondere
durch die Zeloten - darin geschahen, zum Untergang bestimmt 3).
In der großen Mahnrede konnte J osephus seinen Volksgenossen
zurufen:
"Darum glaube ich, die Gottheit ist aus ihrem Heiligtum geflohen
und steht auf der Seite jener, gegen die ihr kämpft!" 4)
Vespasian und Titus werden dagegen als die Erwählten Gottes, die
Zuchtruten Gottes gegenüber seinem Volk und als Bringer des
kommenden Friedensreiches dargestellt 5). Andererseits versucht
J osephus, sein Volk, mit dessen Glauben und Schicksal er sich immer
noch verbunden weiß, dadurch zu verteidigen, daß er als eigentliche
Urheber des Unglücks nur eine kleine Minderheit von ruchlosen
Fanatikern anklagt, während er die große J\iIasse des Volkes als deren
passive Opfer entschuldigt 6). So wird sein Werk zu einer großen
Anklageschrift gegen die verbrecherischen Anstifter des I<rieges,
d.h. die J\iIänner der jüdischen Freiheitsbewegung, die mit der ganzen,
ungeheuren Schuld am Untergang der Stadt und des Heiligtums
belastet werden, und andererseits zu einer Apologie des edlen Titus,
der alles versuchte, um das schreckliche Zerstörungswerk zu ver-
hindern. In der Einleitung zum "Jüdischen I<rieg" hat Josephus
sein Programm klar entwickelt:
"Denn daß innere Zerrüttung es zerstörte, daß die Tyrannen. der
Juden die Römer gegen deren Willen zwangen, den Feuerbrand gegen

1) b 3,108: "Dies habe ich nicht beschrieben, um die Römer zu loben, sondern
vielmehr um die Unterworfenen zu trösten und die Empörungslustigen zurück-
zuhalten". (Nach der ausführlichen Schilderung des römischen Heerwesens).
Dies galt in erster Linie natürlich für den ständig unruhigen Aramäisch sprechen-
den Osten, aber auch für die Griechisch sprechende jüdische Diaspora im Reiche
selbst, in der es auch nach dem Kriege weiter gärte (b 7,407-453).
2) Dies hat W. \"'o/eber hervorgehoben, op. cit. 66 u. 77: ,,]osephus hüllt sich
als Historiker in ein profetisches Gewand" und zwar in bewußtem Gegensatz zu
dem jüdischen, zelotischen Profetentum (s. dazu u. S. 247f): Er hält Mahnreden
gegen die Verstockten (b 5,393): EfLe 'rov 7tCl.PCl.XCl.AOUV'rCl. Tt'pOC;; a(O}'r7)ptCl.V ufLli.C;;
ßACl.acp"l)!.LEL're:, vgl. 6,96; er stimmt auch das Klagelied über die Stadt an (5,19f
vgl. 1,12).
3) b 2,539; 5,60.368ff; 6,4. 39f.299.
4) b 5,412 vgl. 6,300 u. Hes 10,18f; 11,22f.
5) b 3,6.401; 4,622; 5,2.367. In der großen Mahnrede b 5,362-419 zieht
]. deutlich die Parallele zu ]eremia und Nebukadnezar (390ff.411).
11) b 2,445.449.525.529.538.540; 5,28.53.265.333f; vgL auch a 20,166.172.
12 DIE QUELLEN

den Tempel zu schleudern, dafür ist dessen Zerstörer, der Caesar Titus
selbst Zeuge; während des ganzen Krieges bewegte ihn das Mitleid
mit dem von den Aufrührern vergewaltigten Volk, mehrfach verschob
er die Erstürmung der Stadt aus eigenem Entschluß, um den Schuldigen
während der Belagerung Zeit zur Umkehr zu geben. Wenn uns aber
einer tadeln sollte über das, was wir als Ankläger gegen das Raub-
gesindel vorbringen, während wir das Unglück des Vaterlandes
beseufzen, so möge er diesen Verstoß gegen das Gesetz der Geschichts-
schreibung meinem Schmerze zugute halten" 1).
Die verhaßten Gegner wurden zur dunklen Folie~ auf der der Helden-
jüngling Titus umso heller erstrahlte 2). NIit dieser eindeutigen,
religiös gefärbten, politischen Tendenz dürfte J osephus der Zustim-
mung seiner kaiserlichen Gönner gewiß gewesen sein; die schon
erwähnte Unterschrift des Titus, die Zustimmung Agrippas H. und
der beachtliche materielle Erfolg 3) bestätigen dies.
Die "Jüdischen Altertümer" ('Iou~a.~x.~ &pzcaoAoyta.) kommen
durch ihre ausführlichere Darstellung der jüdischen Geschichte bis
zum Ausbruch des Jüdischen Kriegs vor allem als Quelle für die
V orgeschichte der zelotischen Bewegung unter Herodes I. und ihre
Ent\vicldung unter den Prokuratoren in Frage. Das Werk wurde
93/94 n. ehr. vollendet 4); es ist nicht mehr dem Kaiser, sondern
wie die "Vita" und "contra Apionem" einem Gönner des J osephus,
Epaphroditus, gewidmet 5). Josephus war damals nicht mehr so eng
wie unter Vespasian und Titus mit dem Kaiserhaus verbunden. Die
Absicht der Antiquitates geht daher weniger in eine politische, als
vielmehr in die religiös-ethische Richtung: J osephus will die gebildete
römisch-hellenistische Welt über Geschichte und Glauben der Juden
aufklären und dem verachteten V ülke Anerkennung verschaffen 6).
Das gibt den "Altertümern" eine grundsätzlich andere Tendenz als

1) b 1,10f; vgl. 5,15-20.


2) W. \'V' eber, op.cit. 215: "Wir dürfen vermuten, daß J osephus, seine Feinde
eifersüchtig hassend und Titus umwerbend, die Bilder dieser Gegner verdunkelt
hat, um den lichten Helden stärker strahlen zu lassen".
3) Vita 363-366; c. Ap. 1,50f; s. auch o.S. 7 A. 2 u. 3.
4) a 20,267: Im 13. Regierungsjahr Domitians.
5) a 1,84; vgl. R. Laqueur, op. cit. 23-36; H. St. J. Thackeray, op. cit. 53.
6) a 1,5 u. 15: "Jeden, der diese Bücher in die Hand bekommt, ermahne id:,
seinen Sinn auf Gott zu richten und zu prüfen, ob unser Gesetz Gottes Natur
richtig aufgefaßt und ihm nur Taten zugeschrieben hat, die seiner Kraft würdig
sind". 16,175: "Ich erwähne diese Dinge häufiger, um fremde Völker mit unseren
Einrichtungen zu befreunden und um die bei unvernünftigen :Menschen tief
eingewurzelten Ursachen des Hasses gegen uns und unsere Gottesverehrung zu
beseitigen" .
JOSEPHUS ALS HAUPTQUELLE 13

dem "Jüdischen Krieg". Die äußere Form ist einer hellenistischen


Vorlage nachgebildet 1), auch werden - um die Glaubwürdigkeit
zu untermaue~n - mehrfach die herangezogenen Quellen erwähnt
und eine große Anzahl antiker Schriftsteller zitiert 2). Die Frage der
Quellen ist wesentlich verwickelter als im "Jüdischen Krieg". Außer
Nikolaus v. D~maskus wurden sicher noch das 1. Makkabäerbuch
und wahrscheinlich auch Strabo herangezogen 3). Hinzu kommen
einzelne jüdische Legenden, die sich zum Teil auch in der talmudi-
schen Literatur finden 4). Für die Geschichte des Herodes ist bedeut-
sam, daß im Gegensatz zum "Jüdischen Krieg" mehrfach scharfe,
kritische Stellungnahmen eingeflochten sind. Vermutlich stand
J osephus hier eine besondere herodesfeindliche Quelle jüdischen
Ursprungs zur Verfügung 5). Dazu kommt noch Dokumentenmaterial
aus römischen Archiven, das vor allem die freie Religionsausübung
der Juden in früherer Zeit nachweisen soll 6). Schließlich legte
J osephus als Priestersohn großen Wert auf die Geschichte der
Hohenpriester; auch hier geht er wohl auf schriftliche Unterlagen
zurück 7). Die Vielfältigkeit der Quellen läßt die "Antiquitates"
weniger einheitlich erscheinen als das "Bellum", ebenso können
sie sich im Stil - vor allem in den letzten Büchern - mit diesem
1) Josephus folgt der 'P(llf.Lcm{."~ &.pXawAoyta des Dionys v. Halikarnass, die
ebenfalls in 20 Bücher untergeteilt ist (s. Schürer 1,79f).
2) S. die Aufstellung bei G. Hölscher, op. cit. 1964f. Natürlich hat Josephus
nur die geringere Anzahl von Schriftstellern im Original gelesen, die andern
Zitate übernahm er aus seinen Quellen.
3) Strabo wird am häufigsten -12 mal in Buch 12-15 - genannt; sein als
judenfreundlich geltendes Geschichtswel'k geht bis 30 v. Chr.; Nikolaus v.
Dam. wird in Buch 12-16 dagegen nur 7 mal angeführt.
4) a 13,282f = Sota 33a parr.; 13,288-298 = Qidd. 66a; 14,22ff = Taan.
3,9ff; 15,245 = Taan. 23a u.a.; vgl. Derenbourg, 74-150; G. Hölscher, op. cit.
1973f.
5) Schüret 1,84; CAH 10,886. G. Hölscher, ap. cit. 1971ff, vermutet, ein
"tendenziöser Korrektor oder richtiger Verfälscher" habe das \'V'erk des Nikolaus
und eine Herodesbiographie, die möglicherweise von Ptolemäus v. Askalon
(1981) stammte, zusammengefügt und in jüdisch-antiherodianischem Sinne
bearbeitet (vgl. auch \'V'. Otto, Herodes 1., 1933, 11f). Doch ist diese Konstruktion
unwahrscheinlich. Die Charakteristik des "Fälschers" würde am ehesten auf
Josephus selbst passen. R. Laqueur, op. cit. 218, u. H. St. J. Thacketay, op. cit.
67, führen daher die antiherodianischen Stellen (16,150ff.183ff.395 u.a.) auf
J osephus selbst zurück. Laqueur vermutet wohl mit Recht eine bewußte Annähe-
rung des J. an den national-jüdischen Standpunkt.
6) Schürer 1,85; H. St. J. Thackeray, op. cit. 70.ff; R. Laqueur, op. cit. 221-230.
7) c.Ap. 1,31, vgl. Schürer 1,85. G. Hölscher, loc. cit. glaubt, daß sowohl die
Urkunden wie die Hohenpriesterliste auf das von ihm vermutete jüd. Geschichts-
\verk zurückgehen (s. auch G. Hölscher, Die Hohenpriesterliste bei Josephus
u. die evangelische Chronologie, SAH 30 [1939/40], Phil. hist. Kl., 1ff).
14 DIE QUELLEN

nicht messen 1). Gewisse stilistisch-inhaltliche Nachlässigkeiten


führten Laqueur zu der Vermutung, ] osephus habe in den "Antiqui-
tates" das "Bellum" nur abgesch:rieben bzw. paraphrasiert, auch seien
die "Antiquitates" mehrfach vom V e:rfasser überarbeitet worden 2).
Für die Zeit der Prokuratoren verfügte] osephus über eine wesentlich
größere Zahl von anekdotenhaften Berichten als bei der Abfassung
des ,,] üdischen Krieges", sie beziehen sich vor allem auf Unruhen
in Judäa, die Schicksale der Herodäer und auf Vorgänge, die den
Tempel und seinen Kult betreffen. E. Norden 3) wies nach, daß sich
] osephus bei der Aufzählung der Unruhen eines festen Komposi-
tionsschemas bediente, das sich ähnlich auch bei den römischen
Annalisten findet. Die Herkunft dieser Anekdoten läßt sich im
einzelnen schwer bestimmen. Vielleicht standen ihm in Rom Berichte
der Prokuratoren und ähnliches Aktenmaterial zur Verfügung 4,).
Auch Agrippa II. und die herodeische Verwandtschaft kommen als
Nachrichtenquelle in Frage 5). Schließlich wird man für die Ereignisse
seit Felix persönliche Erinnerung und mündliche Berichte als Quellen
voraussetzen dürfen 6).

1) Vgl. dazu vor allem Thackeray, op. cit. 105-124. Nach a 1,7ff wollte J. die
Arbeit aufgeben. Mehrfach wechselte er seine griechischen Stilisten; das 20.
Buch ist - wie die Vita - wohl von ihm selbst geschrieben.
2) Op. cit. 128-215, besonders 198ff. Vgl. den Nachweis von R. Eisler 1,108f,
wo er zeigt, daß Teile aus den Antt. ohne Sinnverlust um mehr als die Hälfte
zusammengezogen werden können; s. jedoch G. Hölscher, op. cit. 1988 und
Schürers Antwort (1,83 A. 16) auf eine äp-nliche Vermutung von B. Niese (Hist.
Zeitschr. 76 [1896], 218ff): "eine der in der Archäologie ausgiebiger benützten
Quellen (vermutlich Nicolaus Damascenus) liegt auch schon der kürzeren
Darstellung des BelIum Judaicum Zu Grunde". Die überarbeitungshypothese
hängt eng mit dem Problem der "Lebensbeschreibung" zusammen, auf die
Josephus am Ende seines \Verkes (a 20,267) hinweist. Ob ihr jedoch ein solches
Ausmaß zukommt wie R. Laqueur (op. cit. Vorwort, 79,91 A. 3 u. S. 234ff. u.ö.)
u. R. Eisler (1,97f. 233f. 526 A. 3 u.ö.) vermuten, bleibt sehr fraglich.
3) Josephus u. Tacitus über Jesus Christus, Neue Jahrb. f. d. klass. Altertum,
31 (1913), 643.
~) So R. Eisler 1, XXXIXf. 26f. u.ö.; E. Norden, op. cit. 642 A.2, vermutet
die Vermittlung eines rämischen Annalisten wie Cluvius Rufus; s. auch G. Höl-
scher op. cit. 1985.
6) Vita 362ff; c. Ap. 1,51.
8) G. Hälscher, op. cit. 1971-1993, möchte die Berichte über die Zeit der
Prokuratoren seinem "anonymen, jüdischen Autor" (1974) zuschreiben (s. auch
o.S. 13 A. 5). Von ihm sollen im Wesentlichen die letzten 3 Bücher der "Antiqui-
tates" stammen. Er vertrete den gemäßigten jüdischen Standpunkt, lobe die
Gesetzestreue und tadle die Abtrünnigen ebenso wie die Eiferer. Gegenüber der
hellenistischen Kultur, Theater u. Gladiatorenkämpfen zeige er eine gewisse
Freisinnigkeit (1992f). Es handle sich um ,,(einen) aristokratische(n) Priester,
begeistert für das Hasmonäerhaus, eingenommen für die Vornehmen und gegen
JOSEPHUS ALS HAUPTQUELLE 15

Es ist für die "Jüdischen Alte:t:tümer" bezeichnend, daß durch


den größeren Abstand des Verfassers gegenüber dem Kaiserhaus und
die projüdisch--:apologetische Tendenz auch der gesetzlich-jüdische
Standpunkt wesentlich stärker hervortritt als im "Jüdischen Krieg" 1).
Jedoch behält Josephus sein Urteil über die jüdische Freiheitsbewe-
gung, über deren Ursprünge und Entwicklung er jetzt ausführlicher
berichtet 2), in voller Schärfe bei: von den Gründern der "Vierten
Philosophensekte" ging jenes entsetzliche Unheil aus, das ganz Judäa
in Aufruhr, Not und Elend stürzte und schließlich zur Zerstörung
des jüdischen Staates führte 3). Andererseits wird jetzt aber auch die
IvIitschuld der römischen Verwaltung, insbesondere der Prokuratoren
Felix, Albinus und Florus stärker hervorgehoben 4), selbst den
Besatzungstruppen wird ein Teil der Verantwortung für die spätere
Katastrophe zugeschoben 5).
Die Zuverlässigkeit des J osephus als Geschichtsschreiber darf
nicht zu hoch eingeschätzt werden. Sie ist vor allem von der Qualität
seiner Quellen abhängig. Durch seine oft flüchtige Arbeitsweise hat
er mehrfach falsche oder sich widersprechende Aussagen seiner
verschiedenen Quellen einfach übersehen 6). Trotz der Betonung
seiner Wahrheitsliebe und seiner Fähigkeiten als Historiker, war er
im Grunde nicht so sehr Geschichtsschreiber als vielmehr Tendenz-
schriftsteller und Apologet. Seine verschiedenen Werke sind alle
durch feste politische bzw. religiöse Absichten bestimmt 7).
Für unser Ziel, die Untersuchung der zelotischen Bewegung in
dem oben umrissenen Zeitraum 8), ergeben sich aus der bisherigen
Charakteristik der Hauptquellen und ihres Verfassers Flavius J osephus
schwerwiegende Konsequenzen:

die Plebs, voll Haß gegen den Emporkömmling Hemdes" (1982f). Diese Charak-
teristik trifft jedoch am besten J osephus selbst.
1) V gl. a 16,186f; 19,329ff; 20,100.143f.218. u.a.; s. dagegen b 5,45ff die posi-
tive Beurteilung des Apostaten Tiberius Alexander.
2) Vgl. a 18,4-9.23ffu. b 2,118; s. auch a 20,5.102.160ff-u. a.
S) a 18,25; 20,252-258.
4) a 20,162ff (vgl. dagegen b 2,256); 20,215.252ff.
6) a 19,366; 20,175.
11) Eine kleine Sammlung von offensichtlichen Widersprüchen gibt Eisler
1,99ff, s. auch u. S. 338 A. 1.
7) Zur Selbstcharakteristik s. b 1,16; 7,455; a 16,187; 20,157: "Wir, die wir
den festen Vorsatz haben, nur die Wahrheit zu sagen ... " Treffend ist das Urteil
von N. Bentwich, Josephus, 1926, 106: "He was a sophist rather than a sage,
afld circumstances compelled him to be a court chronicler rather than anational
historian" .
8) S. o. S. 1.
16 DIE QUELLEN

1.) Das von Josephus dargebotene Quellenmaterial über die


Zeloten war - ins besondere was ihre frühe Entwicklung anbetrifft
- sehr bruchstückhaft und verschiedenartigen Ursprungs 1).
2.) J osephus selbst hatte keinerlei Interesse daran, die Geschichte
dieser Bewegung, ihre Lehren und die Schicksale ihrer Führer, den
Tatsachen entsprechend zu schildern. Seine Auswahl war weithin
willkürlich-tendenziös, d.h. es wurden, je nach Absicht, Tatsachen
und Ereignisse übertrieben, umgebogen oder vertuscht 2).
3.) Dies erklärt sich aus seiner erbitterten Feindschaft gegenüber
der jüdischen Freiheitsbewegung 3) ; sein ganzes Interesse zielte darauf-
hin, die Gegner als Gesetzlose (&VOfLOL), erklärte Verbrecher, für die
keine Strafe groß genug war, oder als Wahnsinnige 4) hinzustellen.
Es ergibt sich so eine doppelte Schwierigkeit: das Bild von den
Zeloten, das wir von J osephus erhalten, ist nicht nur von vorne
herein fragmentarisch, sondern es sind auch, darüber hinaus, die
Konturen desselben verzerrt und verdunkelt. Unsere Aufgabe wird
daher nicht nur darin bestehen, durch Herbeiziehung anderen Quellen-
materials das von J osephus gezeichnete Bild der Zeloten zu ergänzen,
sondern auch die wahren Züge jener umstrittenen Bewegung-
wenigstens an einzelnen Punkten - wieder freizulegen.

1) S. o. S. 8 f u. 13 vgl. u. S. 79 ff.
2) V gl. u.a. die widerspruchsvolle Schilderung des Joh. von Gischala b
2,585ff u. vita 43ff. Als typische Übertreibungen erscheinen b 4,382ff.559-565;
5,429ff.562ff; 6,201ff. Auf die Unterschlagung der z"elotischen Messiaserwartung
bzw. deren Umdeutung auf Vespasian hat schon W. Weber, op. cit. 35.43ff
hingewiesen (s. auch u. S. 243f. 247); lediglich in den Antiquitates werden Spuren
davon sichtbar (4,125; 10,210; 17,45). Bezeichnend ist auch die Umdeutung der
Selbstbezeichnung "Zeloten" b 4,160f. Den Sachverhalt sahen schon klar H.
Drexler, Klio 19 (1925),287:" ... vor allem erfahren wir nichts von dem Wesent-
lichen: \'V'as sind die treibenden Kräfte und Ideen dieses nationalen und religiösen
Radikalismus, was die Unterschiede der einzelnen Gruppen? Für Josephus sind
sie ... Verbrecher, nämlich die Schuldigen am Untergange des Volkes." und
W. Weber, op. cit. 215: "Die Tiraden des Josephus über ... die Rücksichts-
losigkeit der ,Räuber' und, Tyrannen' verschmieren die Linie des ganzen Bildes ...
Nur gelegentlich wird die Stärke ihres Anhangs erwähnt, werden ihre Unter-
führer vorgeführt ... ; diese bleiben Schemen, wie die Führer selbst es sind,
sobald man die Ergüsse des J osephus wegnimmt".
3) S. dazu u. S. 42. Vgl. auch die Charakteristik b 1,11 (s. o. S. 12 A. 1 und
vor allem die abschließende Zusammenfassung b 7,253-274: "Es mag einer
sogar sagen, daß sie für das, was sie getan hatten, zu wenig leiden mußten, denn
ein gerechtes Strafmaß für sie gibt es gar nicht." (273: ähnlich b 4,185).
4) Josephus gebraucht zu ihrer Charakterisierung mit Vorliebe Begriffe wie
&1t'()vow., Cl..vow. und !LGtVLGt s. b 2,265.651; 3,454.479; 4,362; 5,34.121.424.436;
6,20; 7,213.267.412 u. ö.; a 17,263.271; 18,25; vita 19.
JOSEPHUS ALS HA UPTQUELLE 17

Exkurs I: Der slawische Josephus.


Die altrussische Fassung des "Jüdischen Krieges" 1) enthält u.a.
einige höchst sondel~bare Stücke, die Joharmes d. Täufer, Jesus und die
Urgememde betreuc:n und in denen diese .mit der jüdischen Freiheits-
bewegung in Verbindung gebracht werden 2). Vor allem R. Eisler hat
den Nachweis 'Iersucht, dem Übersetzer ins Altrussische habe eine
griechische Fassung des Werks vorgelegen, die selbst wieder auf die
aramäische Urform des Bellum zurückginge 3). Auf dieser Grundlage
baute Eisler dann unter Heranziehung anderer von ihm "neuerschlosse-
ner Quellen" 4) ein phantasiereiches Bild der Zeit Jesu auf, wobei der
Täufer, Jesus und die Urkirche ganz in der zelotischen Bewegung
aufgehen. Obwohl Eislers Werk eine überwiegend kritische Beurteilung
erfuhr 5), ließen sich doch einige Forscher von einer zumindest möglichen
Echtheit jener eigenartigen Zusätze überzeugen 6). Für die vorliegende
Arbeit hätte der erwiesene Quellenwert dieser Stücke zur Folge, daß
auch die Täuferbewegung und das Urchristentum wenigstens teilweise
als zelotische Strömungen mit politisch-religiösen Zielen in den Rahmen
der Betrachtung einbezogen werden müßten. Eine Reihe eingehender
Untersuchungen hat jedoch nachgewiesen, daß die Hypothese Eislers
äußerst unwahrscheinlich ist 7). Dies zeigt eine Analyse des Textes, der

1) Textausgabe: La prise de Jerusalem de Josephe le Juif, Texte vieux-russe


publie par V. Istrin, A. Vaillant, P. Pascal, Paris I 1934, II 1938 (zit. Istrin).
Buch I-IV liegen in deutscher Übersetzung vor: Flavius Josephus, vom jüdischen
Kriege I-IV, nach der Slavischen Übersetzung deutsch herausgegeben und mit
dem griech. Text verglichen ·v. A. Berendts u. K. Grass, Dorpat 1924.
2) Diese Zusätze wurden schon von A. Berendts, Die Zeugnisse vom Christen-
tum im slawischen de beHo judaico, TU NF XIV, 4 (1906), vorgelegt. Ein
QueHenwert derselben wurde schon in der Besprechung von E. Schürer, ThLZ
31 (1906), 262-266 verneint. .
3) S. o. S. 7 A. 5.
4) U.a. des hebräischen Josippon, der Pilatusakten und der Toledot Jeschu s.
Re gister in Bd. 2. .
5) Vgl. die Besprechungen von W. Bauer, ThLZ 55 (1930), 557-563; H. Levy,
DLZ 50 (1930), 491-494; W. Windfuhr, Philol. Wochenschrift 50 (1930) 1421-27,
M. Goguel, Les theories de M. Robert Eisler, RHPR 10 (1930), 177-190.
H. Windisch, Unser Wissen um Jesus, Neue Jahrbücher f. Wiss. u. Jugend-
bildung 7 (1931), 289-307.
6) So S. Reinach, REJ 87 (1929), 113-131 und mit Einschränkungen R. Laqueur,
Hist. Zeitschr. 148 (1933), 326-328. Auch Thackeray, der die Zusätze als Anhang
zu seiner Ausgabe des "Jüdischen Krieges" veröffentlichte, neigt der These
R. Eislers zu: Josephus the man and historian, 1929, 33f.152. Neuerdings ver-
suchten S. G. F. Brandon, The Fall of Jerusalem and the Christian Church,
1951, 110-118; F. Scheidweiler, Sind die Interpolationen im altrussischen J osephus
wertlos? ZNW 43 (1950/51), 155-178, und O. CuHmann, Der Staat im N.T.,
1956, 34, einen gewissen historischen Quellenwert der Interpolationen zu retten.
7) Wesentlich sind: S. Zeitlin, J osephus on J esus with particular reference to
the Slavonic Josephus and the Hebrew Josippon, 1931; J. M. Creed, The Slavonic
version of Josephus' history oE the Jewish War, HTR 25 (1932),276-319, J. W.
Jack, The Historie Christ, 1933 und die hervorragende Untersuchung E. Bicker-
18 DIE QUELLEN

sich als relativ späte Mischform erweist 1), die Prüfung der Auslassungen
und Kürzungen, die wohl auf willkürliche Eingriffe des Übersetzers
zurückgehen 2), und schließlich eine Untersuchung der zahlreichen
Erweiterungen, die außer den christlichen Einschüben lediglich stilistisch-
literarischer Art sind und keine historische Geltung besitzen. Letztere
enthalten dagegen nichts, was nicht auf apokryphe Motive, die Kirchen-
väter, christlich-antijüdische Polemik oder auf die Evangelien selbst
zurückgeführt werden könnte 3). Der Schreiber will nur seine Leser
erbaulich unterhalten; im Ganzen hat seine Darstellung doch die Ver-
herrlichung Jesu und seiner Jünger zum Ziel 4). Vielleicht ist er mit dem
Übersetzer ins Altrussische identisch (12./13. Jh. n. Chr.), möglicherweise
handelt es sich bei ihm auch um einen byzantinischen Chronisten 5).
Auch die neueste russische Untersuchung über den altrussischen
Josephustext lehnt die historische Echtheit jener vieldiskutierten Zusätze
ab. Es ist bezeichnend, daß Eisler in dem Bemühen, seine Hypothesen
zu halten, alle Züge innerhalb des altrussischen Werkes, die seiner
Konstruktion widersprechen, als christliche Einfügungen entfernt.
Der Grund, warum die Einschübe solches Aufsehen erregen konnten,
liegt in einem Kunstgriff des byzantinischen Interpolators, den E.
Bickermann deutlich erkannt hat:

"Le faussaire a donne aux figures evangeliques une physiognomie qui


paraissait nouvelle, et de plus pouvait etre sympathique ades hommes
de notre temps. Jean Baptiste, Jesus, les apotres apparaissent comme
t'evolutionnaires" 6).
manns, Sur la version vieux-russe de Flavius-Josephe, Melanges Franz Cumont,
1936, 53-84. Die neueste ausführliche russische Untersuchung von N. A. Mes-
cerskij kommt zu einer entschiedenen Ablehnung der Thesen Eislers: s. die
Besprechung des russischen Werkes von S. Szyszman, Revue de Qumran I,
1959, 451-458.
1) Der Text entspricht meist der Gruppe VR von Niese, zeigt aber häufig
Einflüsse von PA und L; Levy op. cit. 487f, Creed 290ff u. Bickermann 59f.
2) Creed 293ff, Bickermann 61ff. U.a. wird die ganze so wesentliche Menahem-
Episode weggelassen, eine Tatsache, die R. Eisler nur schwer erklären kann
s. 1,319f u. 2,556.
3) Bickermann 69f.77ff; Zeitlin 36-50.106ff. Es bestehen u.a. Beziehungen
Zu dem apokryphen Nikodemus-Evangelium. Die Frage nach der Messianität
des [Ierodes (Istrin 1,55) stammt aus der Kirchenväterdiskussion s. Bickermann
74, Eisler 1,348. Der scharfe Ausfall gegen die Lateiner (Istrin 1,107f) ist
wohl durch den 4. Kreuzzug u. die Gründung des lateinischen Kaisertums
bedingt.
4) Die Vermutung von J. W. Jack, op. cit. 77ff, der an die Fälschung einer
judaisierenden, russischen Sekte denkt, ist überflüssig. Auch der sogenannte
"Hegesippus" eine christlich bearbeitete, lateinische Übersetzung des Bellum
aus dem 4./5. Jh. n. Chr. enthält eine ganze Reihe von Interpolationen über
Jesus u. die Apostel, s. Zeitlin 52.
6) Bickermann 81f; Zeitlin 36.60; Levy, op. cit. 489ff. V gl. auch H. Fuchs,
Der geistige Widerstand gegen Rom, 1938, 73. Schon M. Dibelius, Theol. BI. 6
(1927), 221 äußerte diese Vermutung.
') Op. cit. 79.
DIE NEBENQUELLEN 19

B. DIE NEBENQuELLEN

Das außer den Werken des Josephus noch herangezogene Quellen-


material ist seiner Herkunft nach sehr verschiedenartig. Seine
Einordnung und Sinngebung wird jedoch erst dadurch möglich, daß
es in eine gewisse Beziehung zu den von J osephus berichteten
Tatsachen gebracht werden kann. Wir unterscheiden im Einzelnen
die zeitgenössischen jüdischen Quellen außerhalb des Josephus, das
rabbinische Material, christliche Quellen und einige Notizen antiker
Schriftsteller.
1. Zeitgenö'ssische Jüdische Quellen
Das große jüdische Geschichtswerk des Justus von Tiberias, das
J osephus so erbittert angreift und dessen Verfasser er - sicher zu
Unrecht - als Führer der Aufstandspartei in Tiberias bezeichnet 1),
ist verlorengegangen ; sehr wahrscheinlich hätten wir darin mehr
über die Bestrebungen der jüdischen Freiheitsbewegung erfahren als
bei dem allzu tendenziösen J osephus. Die im Kampf gegen die
römische Übermacht unterlegenen Zeloten konnten auch nicht mehr
wie früher die siegreichen Makkabäer eine eigene Geschichtsschrei-
bung entwickeln, die Geist und Taten des jüdischen Freiheitskampfes
ihrem Sinne entsprechend festgehalten hätte. Die einzige uns erhaltene
Schrift, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit den jüdischen
Aufständischen zugeschrieben werden kann, ist eine knappe Samm-
lung jüdischer Sieges- und Gedenktage, die sogenannte "Fastenrolle" 2).
Bei der Kürze und umstrittenen Deutung dieses kleinen Werks ist
jedoch inhaltlich nicht sehr viel zu gewinnen. Die vermutlich kurz
nach der Zeitwende entstandene Assumptio Mosis 3), die zuweilen

1) Vgl. vita 34ff.88 u.ö.; s. auch Schürer 1,59f. u. H. Luther, Josephus u.


Justus v. Tiberias, Diss. Halle 1910, 41ff.
2) Zum Text der Fastenrolle s. G. Dalman, Aramäische Dialektproben, 1896,
1-3 u. 32-34. Vgl. auch H. Lichtenstein, Die Fastenrolle, HUCA 8/9 (1931/32),
268ff. Zur zeitlichen Fixierung s. Schürer 1,156f; S. Zeitlin, Megillat Taanit as
a Source for Jewish Chronology and History in the Hellenistic and Roman Period,
1922, 3f; Lichtenstein, op. cit. 257f. u. W. R. Farmer, Maccabees, Zealots, and
Josephus, 1956, 208f. Daß möglicherweise noch Daten des Bar-Koseba-Auf-
standes genannt werden, steht dieser Annahme nicht entgegen; die späteren
Ereignisse wurden einfach nachgetragen. Zum Problem s. Farmer, op. cit.
6.151ff u. 158: "The purpose of Megillath Taanith was to inspire the Jews in
their resistance to Rome by reminding them of the Maccabean victories ... "
Ähnlich schon J. Z. Lauterbach, Art. Megillat Taanit, JE 8,427 und S. Zeitlin,
op. cit. 4. V gl. u. S. 208
3) Zur zeitlichen Festsetzung s. Schürer 3,299 u. O. Eißfeldt, Einleitung in
das A.T. 3.A. 1964,846.
20 DIE QUELLEN

als zelotische Schrift bezeichnet wurde 1), enthält in der uns über-
lieferten Form keine spezifisch zelotischen Züge. Es bleibt daher
sehr ungewiß, ob sie innerhalb der jüdischen Freiheitsbewegung
entstanden ist 2) ; sie kann mit gleichem Recht auch quietistisch-
pharisäischen oder essenischen K.reisen zugeordnet werden 3).
Wenn es also - mit einer Ausnahme - nicht möglich ist, einzelne
Werke des reichen spätjüdisch-palästinischen Schrifttums direkt der
zelotischen Bewegung zuzuweisen, so sind in jenem doch eine ganze
Reihe von V orstellungen enthalten, die in besonderer Weise auch
für die "Eiferer" von Bedeutung waren. Hier handelt es sich vor
allem um den "Eifer" für Gesetz und Heiligtum, der eine bedingungs-
lose Leidensbereitschaft in sich schließt, den profetischen Enthusias-
mus, den Haß gegen die heidnischen Unterdrücker, die Vorstellung
vom "Heiligen Krieg", die Erwartung eines Kriegsmessias und der
Herrschaft Israels über die Völker der Welt. Zur Herausarbeitung
dieser "zelotischen Vorstellungen" wird eine ganze Reihe spät-
jüdischer Schriften herangezogen. Dazu zählen unter anderen die
beiden Makkabäerbücher, der äthiopische Henoch, das Jubiläenbuch,
die Testamente der 12 Patriarchen, die Psalmen Salomos, das 3. u. 4.
Makkabäerbuch, die schon erwähnte Assumptio Mosis, gewisse
Teile der sibyllinischen Bücher, die Apokalypsen Esras und Baruchs
und das pseudophilonische liber antiquitatum biblicarum. In diesen
Zusammenhang gehört auch die historisch- apologetische Schrift
Philos über die Gesandtschaft an Gaius, die in Ergänzung zu J osephus
einen interessanten Einblick in die Auseinandersetzung des palästi-
nischen Judentums mit den Ansprüchen des Kaiserkultes gibt.
Auch das durch die Funde vom Toten Meer bekanntgewordene
essenische Schrifttum vermag wertvolle Hinweise zu geben. So
enthält die Rolle vom "Krieg der Kinder des Lichts gegen die
Kinder der Finsternis" eine Schilderung des endzeitlichen heiligen
Krieges, die inhaltlich in manchem dem Geist der zelotischen Bewe-
gung nahesteht 4). Die eschatologisch-messianischen Fragmente aus
1) Zu den älteren Vertretern der Zelotenhypothese s. J. W. Lightley, Jewish
Sects and Parties in the Tüne of Jesus, 1925, 349. In seiner 2. Auflage (3,219)
hatte Schürer derselben ebenfalls noch zugestimmt; er wandte sich jedoch in der
3. A. (3,300) dagegen.
2) So Schürer 3,300; C. Clemen in Kautzsch, Apok. u. Pseudep. 2,315; B.-Gr.
87/88 A. 3.
3) S. P. Rießler, Alt jüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel, 1928, 1301;
J. Klausner, The Messianic Idea in Israel, übersetzt ins Englische von W. F.
Stinespring, 1955, 325 u. O. Eißfeldt, loc. cit.
4) S. die eingehende Darstellung u. S. 283ff.
DIE NEBENQUELLEN 21

Höhle I und IV, einzelne Stellen aus der Sektenschrift und den
Hymnen führen ebenfalls in die Nähe zelotischer Ideen.
Eine Quelle ganz besonderer Art stellen die Münzen des 1. jüdischen
Aufstandes 66-70 n. ehr. mit ihren Abbildungen und Aufschriften
dar 1). Sie gehören zu den wenigen direkten Zeugnissen, die uns noch
von der jüdischen Freiheitsbewegung des 1. Jahrhunderts n. ehr.
erhalten geblieben sind.
Da gerade die religiösen Anschauungen der "Zeloten" von
J osephus nur sehr einseitig und bruchstückhaft dargestellt werden,
kann das Bild dieser Bewegung durch das überwiegend religions-
geschichtliche Material, welches von den genannten jüdischen
Quellen der hellenistisch-römischen Zeit beigesteuert wird, in wert-
voller Weise ergänzt werden. Zugleich zeigt sich, daß sich im Zelo-
tismus bestimmte Anschauungen konzentrierten, die in weiten
Kreisen des palästinischen Judentums verbreitet waren.

2. Die rabbinischen Quellen


Die schriftliche Fixierung der rabbinischen überlieferung geschah
in ihren frühesten Teilen zwar erst vom Ende des 2. Jahrhunderts
n. ehr. an und erstreckte sich über einen sehr langen Zeitraum 2);
die jüdischen Freiheitsbestrebungen waren damals schon endgültig
zusammengebrochen. Dennoch ist der rabbinische Beitrag für die
Darstellung der zelotischen Bewegung neben dem Werk des J osephus
der bedeutendste. Den Formen rabbinischer Tradition entsprechend
handelt es sich dabei nicht um größere zusammenhängende Berichte,
sondern um einzelne verstreute Sentenzen oder Anekdoten, in denen
die "Eiferer" bzw. die Sikarier erwähnt werden 3), auch die Namen
von Führern dieser Bewegung werden genannt 4). Von besonderem
Interesse ist die Tradition über den "Eiferer" Pinehas, in der sich
wohl ein zelotischer Midrasch erhalten hat, der allerdings in der
späteren Tradition kritisiert und umgestaltet wurde 5). Dieser
Tatb~stancr ist typisch für die Einstellung des späteren Rabbinats
gegenuber der jüdischen Freiheitsbewegung, die mit dem vergeb-
lichen Aufstand Simeon Bar-Kosebas endgültig zusammengebrochen
war. Der Versuch, durch Gewaltanwendung im Kampf gegen die
1) L. Kadman. The Coins of the Jewish War of 66-73, Jerusalem 1960.
2) S. H. Strack, Einleitung in Talmud und Midras, 5. A. 1921, 16ff; G. F. Moore>
Judaism 1,93ff.
3) S. u. S. 51f. 68f.
4) S. U. S. 52 A. 1 ; 355f. 367
5) S. Kp. IV B 3. S. 160ff.
22 DIE QUELLEN

heidnischen Weltmächte die Gottesherrschaft "herbeizudrängen",


wurde als eigenmächtige Handlung verurteilt 1). Die negative
Haltung gegenüber dem Unabhängigkeitsstreben des eigenen Volkes
erklärt, warum historisch auswertbare Nachrichten über die zelotische
Bewegung im 1. Jahrhundert n. ehr. gemessen an der Fülle des
rabbinischen Materials relativ selten sind. Die Ereignisse der jüngeren
Vergangenheit wurden grundsätzlich nur noch unter dem Gesichts-
punkt des Erleidens und nicht mehr als eine positiv zu wertende
"Geschichte" verstanden 2).
Die Frage nach dem Geschichtswert der rabbinischen Traditionen,
die möglicherweise die zelotische Bewegung betreffen, kann nur im
Einzelfall auf Grund des Alters der jeweiligen Überlieferung und
ihres Verhältnisses zu dem anderen Quellenmaterial entschieden
werden.
Die Tatsache, daß die rabbinische Überlieferung historische
Nachrichten und theologische Anschauungen des Zelotismus aufnahm
und sich damit auseinandersetzte, deutet darauf hin, daß auch bei
einzelnen Lehrern der älteren tannaitischen Zeit der Geist des Auf-
standes gegen Rom lebendig gewesen war 3). Vielleicht gehört die
Auseinandersetzung mit dem zelotischen Gedankengut und dessen
Umformung bzw. Ausscheidung zu den Wesenszügen in der Ent-
wicklung des Rabbinats nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. ehr.
3. Die christlichen Quellen
Spuren der zelotischen Bewegung und ihrer Ideen finden wir schon
in den Evangelien 4). Auch in der Apostelgeschichte hat ihre Wirk-
samkeit Eindrücke hinterlassen 5). Die Paulusbriefe zeigen an einigen
Stellen, daß der "Eifer" in pharisäischen Kreisen vor der Zerstörung
J erusalems wesentlich positiver bewertet wurde als im späteren
rabbinischen Sprachgebrauch 6). Die spätere kirchliche Geschichts-
-----
1) S. U. S. 129.
2) S. N. N. Glatzer, Geschichte der talmudischen Zeit, 1937, 11: "Die jüdische
Geschichtsschreibung ist nicht aus ,Mangel an Kraft' erloschen, ... sondern
aus der Erkenntnis, daß es eine jüdische ,Geschichte' im eigentlichen Sinne
des Wortes nicht mehr gab .... Der Jude schuf nicht mehr Geschichte, sondern
er erlitt sie".
3) Die Wirkung der Katastrophen von 70 u. 134/35 n. ehr. auf die innere
Entwicklung des Judentums kann nicht hoch genug bewertet werden. Das
Bild, das das Rabbinat später von der Zeit vor dem politischen Zusammenbruch
entwarf, ist einseitig und muß kritisch betrachtet werden.
4) S. U. S. 344ff.
5) S. u. S. 48f. 81f.
~ S.u. S. 182. 184a
DIE NEBENQUELLEN 23

schreibung etwa eines Euseb sieht die Zeloten lediglich mit den
Augen des Josephus und weiß nichts Neues dazu beizutragen 1).
Dagegen bringt Hippolyt in seiner "Widerlegung aller Häresien"
bei der Beschreibung der jüdischen Sekten auch einige aufschluß-
reiche Nachrichten über die Zeloten, die er als Untergruppe der
Essener darstellt 2).
Während die neutestamentlichen Hinweise auf die jüdische Frei-
heitsbewegung schon wegen ihrer zeitlichen Nähe besonders interes-
sant sind, ist es der kurze Bericht des Hippolyt auf Grund seiner
eindrücklichen Schilderung des zelotischen Eifers, der durch verwand-
te talmudische Berichte seine Bestätigung findet 3).

4. Die antiken Schriftsteller


Selbstverständlich konnten die Unruhen in dem abgelegenen
Palästina die antike Welt nur am Rande bewegen, und die Ziele und
Schicksale einer antirömischen Aufstandsbewegung in diesem Wetter-
winkel fand man erst recht nicht der Erwähnung wert. Erst der
Ausbruch des Jüdischen Krieges wurde - zumindest im Osten des
Reiches - stärker beachtet, denn solch eine explosive Erhebung
eines unterworfenen Volkes hatte sich seit Jahrzehnten im Römischen
Reiche nicht mehr ereignet. Auch die Tatsache, daß Vespasian, der
Feldherr im Kriege gegen die Juden, überraschend I<aiser wurde
und sein Sohn und späterer Nachfolger den Feldzug siegreich zu
Ende führte, mag das Interesse der römischen Geschichtsschreiber
geweckt haben. So kommt es, daß Tacitus, Sueton und Dio Cassius
zwar dje Unruhen in Judäa vor Ausbruch des Jüdischen Krieges
kaum erwähnen 4), dafür aber relativ ausführlich über den Jüdischen
Krieg berichten und dabei die Ausführungen des J osephus in wert-
voller Weise ergänzen 5). Möglicherweise entstammt ihr Quellen-
material- wenigstens zum Teil- der Schrift "de Judaeis" des
Antonius Julianus, der von Josephus als Prokurator Judäas während
der Belagerung Jerusalems genannt wird 6). Darüber hinaus haben

1) H. e. II, 20; III, 6f.


2) S. U. S. 73f.
3) S. U. S. 195ff.201ff.
4) Lediglich Tacitus bringt einige Hinweise (ann. 12,54; s. u. 355 A. 1) u. den
lapidaren Satz: "Duravit tamen patientia Iudaeis usque ad Gessium Florum
procuratorem" (hist. 5, 10.)
5) Vgl. Tacitus, hist. 5,10-13; Sueton, Vesp. 6, Tit. 3f.; Dio Cassius,
66,1.4-7.
6) b 6,238; sein Werk de Judaeis wird von Minucius Felix, Octavius c. 33,4
24 DIE QUELLEN

wir noch eine Notiz des älteren Plinius, der vermutlich nicht an der
Belagerung teilnahm 1) und eine Erwähnung von Martyrien der
"Galiläer" durch Epiktet; hier liegt es nahe, an die Hinrichtung
jüdischer Aufständischer nach Beendigung des Jüdischen Krieges
zu denken 2). Der Beitrag der nicht jüdischen antiken Schriftsteller
für unser Thema hat jedoch die relativ geringste Bedeutung.

erwähnt, s. Schürer 1,58 und vor allem E. Norden, Neue Jahrbücher f. d. klasse
Altert. 31 (1913), 664ff.
1) S. U. S. 341 A. 2. Gegen frühere Meinungen s. Sir R. Syme, Tacitus, Oxford
1958, 1,20 f (besonders A. 5) u. M. Stern, JRS 52 (1962), 258.
2) S. U. S. 60.
KAPITEL ZWEI

DIE VERSCHIEDENEN BEZEICHNUNGEN DER


JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Im Werk des Josephus erhalten die Glieder der jüdischen Freiheits-


bewegung verschiedene Bezeichnungen, die teilweise auch in den
anderen Quellen erscheinen. Diese Namen haben einen ganz be-
stimmten Inhalt und historischen Hintergrund, auch charakterisieren
sie diese Bewegung in jeweils verschiedener Weise.

A. DIE "RÄUBER" (Allcr't'~L)

Am häufigsten findet sich bei Josephus dafür der Begriff Allcr't'~C;


oder auch Allcr't'PLXOL 1). Gewöhnlich wird man Allcr't'~C; mit "Räuber"
übersetzen, doch hat - wie noch zu erweisen sein wird - der
Begriff bei Josephus einen weiteren Sinn als unser deutsches Wort.
Seine Verwendung durch J osephus ist nicht zufällig; zu seiner Er-
hellung ist zunächst einmal die dahinterstehende Sache in ihrer
allgemeinen Bedeutung zu untersuchen.

1. Der antike Sprachgebrauch


Allcr't'~C; ist ein Begriff der klassischen Graezität und leitet sich ab
von A'Y)tc; (Beute) bzw. A'Y)t~OfJ.~L (Beute machen) 2). Während sein
Synonym &P7t~~ mehr den Räuber von fremdem Eigentum meint,
deutet Allcr't'~C; eher auf den (bewaffneten) Gewaltverbrecher hin 3).
Nicht selten bezeichnet es den gerade im hellenistischen Ostmittelmeer
häufigen Seeräuber 4), daneben kann es aber auch einen irregulären
Soldatenverband, der auf Beute ausgeht, bedeuten 5). Dem griechi-
schen Allcr't'~C; entspricht genau das lateinische latro 6). Beide Begriffe
1) Zum Sprachgebrauch des Josephus s. u. S. 42.
2) S. Liddell-Scott, A Greek-English Lexicon, new (9th) ed., 1046.
3) Ahnlich ist das Verhältnis der entsprechenden Begriffe la/ro u. rapax im
Lateinischen sowie von O"~t?"7 u. 17!~ im talmudischen Hebräisch (s. u. S. 35ff).
4) Liddell-Scott, loc. cit. . .
5) F. Passow, Handwörterbuch d. griech. Sprache, 5. A. 1841ff. II, 1 S. 54:
"Auch von Banden, die keinen geregelten Krieg führen sondern nach Beschaffen-
heit des Ortes und der Umstände in Feindesland einfallen und wieder abziehen".
Vgl. u.a. Sir. 36,31 (= LXX/Vs. 26).
6) Varro, de ling. Lat. 7,52 leitet es vom griech. Ä&:t'PLC; = Söldner ab, s.
Forcellinus, Lexicon totius Latinitatis 1831ff, 2,673f u. Th. Mommsen, Römisches
26 BEZEICHNUNGEN DER JÜbISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

samt den dazugehörigen Abstrakta A71O''t'e:L<X und latrocinium wurden


von den antiken Schrifstellern in der Regel gebraucht, wenn sie auf
das verbreitete Räuberunwesen eingehen wollten. Darüber hinaus
wurden sie termini technici der Rechtssprache.
Exkurs II: Zum Räuberunwesen in der antiken Welt.
a) Im römischen Reich 1)
Unter der Räuberplage hatten die Grenzprovinzen und Gebiete, die
durch ihre geographische Beschaffenheit günstige Schlupfwinkel boten,
am stärksten zu leiden. Auch gab es einzelne Völkerschaften, die beson-
dere Neigung zur A't)O''t'doc zeigten. In Ägypten waren z.B. jahrhunderte-
lang die Bukoien gefürchtet, die als Viehhirten in den Deltasümpfen
hausten 2). Sie wurden schon von Eratosthenes erwähnt (3. Jh. v. Chr.),
doch erst nach ihrem gefährlichen Aufstand unter Mark Aurel gelang
es, sie zu vernichten 3). Nach gewissen Papyri aus dem 2. u. 3. Jh. n.
Chr. waren Bewohner ägyptischer Dörfer besonders dazu verpflichtet,
als sogenannte A't)O''t'omocO''t'ocL die Polizei zu unterstützen. Weigerten
sie sich, so hatten sie strenge Bestrafung zu erwarten 4). Auch in Klein-
asien ließ sich die Räuberplage nie ganz beseitigen. Die Pam:phylier
waren als Räuber berüchtigt 5); gegen die benachbarten Isaurier, die
bis in die byzantinische Zeit hinein Kleinasien in Schrecken versetzten,
mußte schon Augustus, um ihren Raubzügen Einhalt zu gebieten, einen
regelrechten Krieg führen 6). Von der Unsicherheit in Griechenland
Strafrecht 1899,629 A. 4. Dem Begriff latro gegenüber bezeichnet grassator den
einzelnen, in der Regel unbewaffneten Wegelagerer. Doch gehen beide Bedeu-
tungen ineinander über. V gl. 1. Opelt op. eit: (u. S. 47 A. 5), Index s.v.
1) V gl. L. Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms, 10. A.
bes v. G. Wissowa, 1922, 1,352-357; Daremberg-Saglio, Dictionnaire des
antiquites grecques et romaines, IU, 2, Sp. 991f Art. latrocinium v. G. Humbert
(Ch. Lecrivain); O. Hirschfeld, Kleine Schriften, 1913, Die Sicherheitspolizei
im römischen Kaiserreich: 576-612 (593ff); R. MacMullen, Enemies of the
Roman Order, 1966, 60ff. 2) Strabo 17,1,6 (792); 17,1,19 (802).
3) Der Aufstand begann mit der Ermordung von zwei römischen Steuer-
einnehmern. Einer yon diesen sei geopfert u. verzehrt worden. Ein Teil der
ägyptischen Bevölkerung schloß sich den Aufständischen an und diese bedrohten
Alexandria. "Wegen ihrer verzweifelten Wut und Wildheit" wagte Avidius
Orosius, der Beauftragte des Kaisers für den Osten, es nicht, sich in eine offene
Feldschlacht mit ihnen einzulassen. Erst ihre eigene Uneinigkeit verschaffte
ihm den Sieg. s. Dio Cassius 71,4; Script. hist. Aug. Marc Aurel 21. Vgl. auch
Heliodor, Aethiopica passim, besonders 6,2-12. Parallelen zur jüdischen Freiheits-
bewegung sind offensichtlich.
4) S. O. Hirschfeld, op. cit. 613f u. Th. Mommsen, op. eit. 307 A. 1. Ähnliche
Verhältnisse scheinen nach b 2,229 (= a 20,114) auch in Palästina geherrscht zu
haben. 5) Strabo 12,7,2 (570).
6) Dio Cassius 55, 28, 3: 'IO'ocupoL 't'€ y~p €:x A't)O''t'€LOCC; &p~&/-L€VOL xoct d<; 7tOAE/-LOU
8€LV6't''YJ't'oc 7tpoO'~Xe'YJO'ocv. Dasselbe könnte man von den Juden bei Beginn
des jüdischen Krieges sagen. Vgl. CAH 10,261.270ff. Das Kilikische Bergvolk
der Cieten überfiel unter Claudius die fruchtbaren Küstenstriche der Provinz,
s. Taeitus, anno 12,55; vgl. CAH 10,682.
DIE RÄUBER 27

'und hier besonders in Thessalien geben die Metamorphosen des Apuleius


ein anschauliches Bild. Hier, wie in Kleinasien, war das Übel vor allem
durch zu schwache Truppenbesetzung bedingt. Dazu kam der ständige
Statthalterwechsel in diesen senatorischen Provinzen 1). Das KLVMvOLC;
AnO''t'C>V des Paulus mag wohl auf seinen Reiseerlebnissen in Kleinasien und
Griechenland beruhen 2). Wie langwierig und schwierig die Bekämpfung
dieser Landplage sein konnte, zeigt das Beispiel Sardiniens: das Räu ber-
unwesen hatte dort solche Ausmaße angenommen, daß weite Flächen
fruchtbaren Landes unbebaut blieben 3). Schon Cicero berichtet von
"schafpelzbekleideten Räubern", mit denen sich der dortige Proprätor,
unterstützt von einer Auxiliarkohorte, herumschlug 4). Unter Augustus
artete das Übel schließlich in einen förmlichen Aufruhr aus, sodaß man
vom Jahre 6 n. ehr. ab dort richtigen Krieg führen mußte 5). Doch -
schon 19 n. Chr. sandte Tiberius viertausend zum Waffendienst gepreßte
Freigelassene, die vom jüdischen und ägyptischen "Aberglauben"
angesteckt waren, nach Sardinien, "um die Räuber dort zu bekämpfen" 6).
Die Parallelen zu den Verhältnissen in Palästina sind offensichtlich.
Auch in gewissen Teilen Spaniens müssen ähnliche Zustände geherrscht
haben 7). In der Zeit der Republik hatten die römischen Behörden dort
ständig "Räuberkriege" zu führen, wobei allerdings die Unterscheidung
zwischen halbunterworfenen Stämmen, die sich empörten, und wirk-
lichen Räubern schwierig ist. Nach Appian machte eine "Räuberbande"
von zehntausend Mann den Römern schwer zu schaffen; beide Anführer
trugen römische Namen, vielleicht handelte es sich dabei um ehemalige
Soldaten 8). Von den spanischen Räubern berichtet derselbe Verfasset:
"Es war ein solch hoher Geist unter den Räubern, daß keiner der
Gefangenen die Sklaverei ertrug. Einige ermordeten sich selbst,
andere ihre Käufer; ein Teil bohrte die Schiffe, auf denen sie wegge-
führt wurden, in den Grund" 9).
Augustus ließ auf den Kopf des spanischen Räubers Korokotta eine
Prämie von 250 000 Dra,chmen aussetzen; als dieser sich frei willig

1) Hirschfeld, op. cit. 594; vgl. Apuleius, met. 2,18,3: Passim trucidatos per
medias plateas videbis iacere, nec praesidis auxilia longinqua levare civitatem
tanta clade possunt. Zur geringen militärischen Besatzung dieser Provinzen
s. b 2,366.368. .
2) 2. Kor 11,26.
3) Varro, de re rust. 1,16,2: multos enim agros egregios colere non expedit
propter latrocinia vicinorum: ut in Sardinia qu,osdam ... vgl. Josephus b 2,279
u. a 20,256.
4) De provo cons. 7: Res in Sardinia cum mastrucatis latrunculis a propraetore
una cohorta auxiliaria gesta.
5) Dio Cassius 55,28,1.
6) Tacitus, anno 2,85: coercendis illic latrociniis; vgl. Sueton, Tib. 36.
7) Varro loc. cit.: ut in Hispania prope Lusitaniam.
8) Hist. Rom. (Hispania) 6,68.
9) Op. cit. 6,77; vgl. dazu den heroischen Selbstmord jüdischer Aufständischer
U. S. 268ff.
28 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

stellte, ging er straflos aus und erhielt die Prämie 1). Ein eindrückliches
Zeichen für die Wirksamkeit solcher Banden sind die Grabinschriften
ihrer Opfer 2). Selbst vor dem italienischen Stammland machte die
Räuberplage nicht halt, im Gegenteil, sie scheint dort besonders ver-
breitet gewesen zu sein 3). Nach dem übereinstimmenden Urteil einer
Reihe römischer Schriftsteller zwischen Augustus und Domitian war
das Reisen in Italien eine höchst gefährliche Angelegenheit 4). Besonders
schlimm waren die Verhältnisse am Ende des Bürgerkrieges, zu Beginn
der Herrschaft Octavians 5). Dieser suchte allerdings mit energischer
Hand das Unwesen einzudämmen 6); die von ihm begonnene Aufgabe
wurde dann später von Tiberius und Claudius fortgesetzt 7).
b) In Syrien und Palästina
In dem uns besonders naheliegenden Gebiet Syrien und Palästina
war die Lage nicht besser als in den genannten Provinzen. Schon im
Alten Testament finden wir Hinweise auf eine Bandenbildung auf
Grund sozialet Notlage: Unzufriedene Habenichtse ließen sich von
einem unternehmungslustigen Condottiere anwerben, der mit ihnen
seine Privatkriege führte 8). Das beste Beispiel dafür bietet David: vom
König verstoßen, sammelte er eine Freischar von entwurzelten Ele-
menten 9) um sich und zog sich in die Wüste Juda mit ihren ausgedehnten
Höhlen zurück. Bezeichnend ist allerdings, daß diese sehr "weltlichen"
Umstände religiös interpretiert werden können; so wenn Abigail zu

1) Dio Cassius 56,43,3. Eine ähnliche Selbstübergabe gegen Zusicherung des


Lebens bzw. der Freiheit berichtet uns Josephus b 2,64 ( a 17,284) u. b 2,253
(a 20,161) s. u. S. 335 A. 1; s. 357 A. 4.
2) In Spanien: CIL 2,2968 ... eques f (ilius) annorum XX a latronibus occisus;
3479 ... caeditu)r infesto concursu forte latronum. Dacien: CIL 3,1 1559.1579.
1585; Dalmatien: 3,1 2399.2544.
3) Vgl. dazu die ausführliche übersicht bei Friedländer op. cit. 1,354-357.
') Horaz epist. 1,2,32; Seneca dial. 3,16,1; 5,43,3; 6,20,5: locata publice latro-
cinia; de benef. 1,10,5; 2,18,6 u.ö.; epist. 14,9: nur der Arme ist sicher, nudum
latro transmittit. Juvenal sat. 10,22: cantabit vacuus coram latrone viator.
Ähnlich Epiktet diss. 3,13,3: 4,1,91f. Vgl. weiter die eindrücklichen Schilderungen
Juvenal sat. 3,305-307; Martial epigr. 14,20; Plinius d. J. epist. 6,25.
6) Appian bell. civ. 5,132.
8) Sueton Aug. 32,1 : Igitur grassaturas dispositis per opportuna loca stationibus
inhibuit.
7) Sueton Tib. 37,1: Imprimis tuendae pacis a grassaturis ac latrociniis sedi-
tionumque licentia curam habuit. In den drei Begriffen grassatura, latrocinium u.
seditio liegt eine deutliche Steigerung; s. weiter Claudius 25,2. V gl. auch Seneca
de dem. 2,1,1. In späterer Zeit ist besonders der erfolglose Kampf des Kaisers
Septimius Severus gegen den Räuberhauptmann Felix Bulla aufschlußreich s.
Dio Cassius 71,10,6: "Severus war erzürnt, weil er in Brittanien Kriege durch
Fremde gewann, während er selbst in Italien einem Räuber unterlag".
B) Vgl. Ri 9,4 Abimelech; 11,3 Jephta; 1. Kge 11,24 Eljada.
8) Die Truppe Davids unternahm nach 2. Sam 3,22 selbst (räuberische) Streif-
züge. Zur Zusammensetzung seiner Truppe vgl. 1. Sam 22,2, zu seinem Opera-
tionsgebiet 1. Sam 27,1ff; 23,14; 24,1 u.a.
DIE RÄUBER 29

David sagt: " ... denn die Kriege Jahwes, meines Herrn, führst du" 1).
Der soziale Verfall in der späteren Königszeit, der durch die Ausbreitung
des Großgrundbesitzes auf Kosten der verschuldeten Bauern bedingt
war 2), scheint eine ähnliche Bandenbildung begünstigt zu haben 3).
Auch der Makkabäeraufstand wurde - wenigstens in seinen Anfängen
und nach dem Tode des Judas - ganz in der Form eines Bandenkrieges
geführt; da er aber, zumindest in seinem ersten Teil, das Gepräge eines
Glaubenskampfes trägt, wird er noch eingehender zu behandeln sein 4).
Der Zerfall des Seleukidenreiches gegen Ende des 1. Jh. v. ehr. ließ
das Land weithin in die Gewalt arabischer und ituräischer Stämme
geraten 5), die seit jeher den Karawanenraub als ihr Privileg betrachtet
hatten 6). Die Besetzung Syriens durch Pompeius hatte unter anderem
auch den Zweck, diesem Treiben ein Ende zu machen 7). Auch Juden
hatten sich an der Bildung kleiner "Raubstaaten" beteiligt; ihr Mittel-
meerhafen Joppe wurde zu einem Seeräubernest, das das östliche
Mittelmeer unsicher machte 8). Die Zeit der römischen Besatzung
brachte keineswegs die erwünschte Ruhe. Wenn auch der "Räuber-
hauptmann" Hiskia mit seinen Männern schon in den Bereich des
jüdischen Freiheitskampfes gehört und daher auszuklammern ist 9), so
bleiben doch die Räuber in der Trachonitis, die J osephus ebenfalls
A1l0''t'CX( nennt, obgleich sie mit den späteren Zeloten wohl kaum etwas
zu tun haben. Das zerklüftete, für den Ackerbau wenig geeignete Gebiet
der Trachonitis bot mit seinen vielen Höhlen stets geeigneten Unter-
schlupf. An sich waren die Bewohner wohl Hirten 10), doch ihre Haupt-
einnahmequelle waren die Überfälle auf Karawanenstraßen, die nach

1) 1. Sam 25,28.
2) Vgl. Am 2,6ff; 4,H; 5,lH; 6,3ff; 8,4-6. Jes 3,14f; 5,8 u.a.
B) Vgl. Hos 7,5 u. 6,9 .
•) ·s. u. S. 154ff.
5) Th. Mommsen, Römische Geschichte, 14. unv. A. 1933, 3,139ff; M. Ro-
stovtzeff, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte der hell. Welt, 1956, 2,670.683;
s. auch Strabo 16,2,18.20 (755f). 28 (759).
8) Vgl. schon Gen 16,12; 1. Sam 30,lff; 2. ehr 22,1; Hi 1,15ff. Auch einzelne
israelitische Stämme scheinen in früher Zeit Karawanenraub geübt zu haben
s. Gen 49,17.19.27; Dt 33,22.
7) Vgl. Justinus (Pompeius Trogus) 40,2,4: ne rursus Syriam Iudaeorum et
Arabum latrociniis infestam reddat. Vgl. auch den Prolog zu Buch 39. Die
a 14,38-40 und Strabo 16,2,10.18 (752.755) genannten "kleinen Tyrannen" sind
wohl nichts anderes als solche Bandenführer, die durch die allgemeine Anarchie
eine gewisse Machtstellung erwerben konnten. Pompeius ließ einige von ihnen
hinrichten: a 14,39; Strabo 16,2,18 (755).
8) Vgl. a 14,43 (s. auch Strabo 16,2,28 S. 759). Ein Grab in Jerusalem aus der
Zeit Alexander Jannaj's zeigt eine Kriegsgaleere, die ein Schiff verfolgt. Der
Kapitän steht mit gespanntem Bogen am Bug; s. IEJ 6 (1956), 127f. S. jetzt
L. Y. Rahmani etc., The Tomb of Jason, Atiqot 4 (1964). Zu Beginn des Jüdi-
schen Krieges haben die Juden in Joppe das Seeräuberhandwerk wieder auf-
genommen (b 3,415f). 9) S. u. S. 319ff.
10) a 15,346; 16,272. Die Hirten waren im Judentum stets der Räuberei
verdächtig, s. Bill. 3,114.
30 BEZEICHNUNGEN DER .JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Damaskus führten. Der Machthaber dieses Gebiets ließ sie gegen


Gewinnanteil unbehelligt. Herodes, dem der Landstrich von Augustus
zugesprochen wurde, hatte Mühe, dieser Räuberbanden Herr zu werden,
da sie beim König der Nabatäer Schutz und Unterstützung fanden.
Erst als er dort nach Ausräumung der Räubernester 3000 Idumäer und
500 jüdische Reiter aus Babylonien ansiedelte, fand das Übel ein Ende 1).
Jedoch berichtet eine Inschrift aus späterer Zeit wahrscheinlich über die
Vertreibung von Räubern, die in jener Gegend "den Tieren gleich" in
Höhlen hausten, durch Agrippa 1. oder H.2). Reisen von Standes-
personen im Ostjordanland mußten durch militärische Begleitung
gesichert werden 3). Selbst die Essener reisten zum Schutz gegen Über-
fälle bewaffnet 4). Auch das Neue Testament bestätigt diese allgemeine
Unsicherheit. Allerdings ist es schwierig, im einzelnen Fall zu entschei-
den, ob die jeweils genannten A1l0''t'IXL Zeloten oder nur gewöhnliche
Straßenräuber waren. Die Räuber in dem Gleichnis Jesu' vom barm-
herzigen Samariter sind wohl gewöhnliche Wegelagerer; zu einer
weitergehenden Deutung gibt der Text keinen Anlaß 5). In dem Bildwort
vom guten Hirten und seiner Herde verbietet schon der Doppelbegriff
A1l0''t'IXL XIXL XAE1t't'IXL die Annahme einer direkten Beziehung auf die
A1)O''t'IXL des Josephus. Auch in der rabbinischen Literatur war der Räuber
eine beliebte Gestalt im Gleichnis 6). Bei den A1l0''t'IXL in der Leidens-
geschichte dagegen wird man eher einen Zusammenhang mit den Zeloten
annehmen dürfen 7). Auch nach dem Zusammenbrechen des jüdischen
Freiheitskampfes wurde das Land immer wieder von Räubern in Unruhe
gehalten. Achilles Tatius erzählt von Räubern, die das Küstengebiet
zwischen Gaza. und Pelusium durchstreiften 8). Unter Septimius Severus
suchte ein gewisser Claudius mit' einer berittenen Streifschar ganz
Syrien und Judäa heim 9). Überhaupt wurde in der Antike mehrfach

1) b 1,399; a 15,343-348; 16,281-285; 17,23-28; vgl. Strabo 16,2,20 (756).


Nach einer Inschrift (Dittenberger; OGIS. 1,628 Nr. 415) widmete einer der in
der Trachonitis stationierten idumäischen Soldaten dem Herodes eine Bildsäule.
2) R. Cagnat-Lafaye, Inscriptiones graecae ad res Romanas pertinentes, 1223-
= Ditt. OGIS 1,634f, Nr. 424. Es handelt sich um ein Edikt Agrippas I. oder H.:
[BIXO'LAe:U<; Ay]pt1t1tIXC; qnAoxIXLO'IXP [XIXL cpLAOpW](.1.IXLOC; Mye:L [ ... ]8'1)PLW8ouc; XIX't'IX-
O''t'<X.O'e:w[c; .•. ] OllX o!8' 01tWC; (.1.EXPL VUV AIX86v't'e:c; XIXL €V 1tOAAOLC; 't'ljc; XW]pIXC;.
ILtpe:O'LV €(.1.CPWAe:uo-[IXvnc; .•. e:]!Xe:v ~ (.1.'1)8' OAWC; 1t6't'e: ...
Zur Deutung vgl. auch M. P. Charlesworth, Trade routes and commerce of the
Roman empire, 1924, 250.
3) a 18,112.
') b 2,125.
5) Lk 10,30-37. In der Deutung von Rengstorf, ThWB 4,266 wird das Gleichnis
überinterpretiert.
6) Joh 10,1.8 gegen Rengstorf loc. cit. Zu den "Räubern" im Rabbinat
s.u.S. 38ff.
7) Mk 15,27 parr. u. Joh 18,40. S.u.S. 36ff.
8) Leukippe u. Klitophon 3,5.
11) Dio Cassius 75,2,4. J. Juster, Les Juifs dans l'Empire Romain, 1914, 2,2:02
A. 4, vermutet einen Juden in ihm.
DIE RÄUBER 31

gegen die Juden der Vorwurf, sie seien ein Volk von Räubern, erhoben 1)
- ein Urteil, das von Josephus in seiner Apologie des Judentums
verständlicherweise energisch zurückgewiesen wurde 2). Selbst das
rabbinische Schrifttum hat uns Hinweise auf ähnliche, gegen die Juden
vorgebrachte Verleumdungen, erhalten 3).
c) Zur Strafverfolgung und juristischen Beurteilung
Für die Bekämpfung der Räuber und aller derer, die jene unterstützten,
waren in den Provinzen jeweils die Statthalter verantwortlich 4). Die
sehr unterschiedlichen Fähigkeiten der Statthalter, sowie ihr häufiger
Wechsel führten zu einer starken Unsicherheit und unterstützten indirekt
das Brigantentum, wie das Beispiel Palästinas vor Ausbruch des Jüdi-
schen Krieges deutlich zeigt. Eine besondere Sicherheitspolizei hatte
das Reich trotz vereinzelter Ansätze n~)Ch nicht 5). Wo es an regulären
Truppen fehlte, mußte man auf Milizen zurückgreifen. So scheint der
Prokurator Cumanus gegen die Angriffe der Juden unter dem "Räuber-
hauptmann" Eleazar S.d.Dinai die samaritanische Miliz eingesetzt zu
haben 6). Auch die Tempelwache konnte vom römischen Standpunkt
aus als eine solche orts gebundene Miliz angesehen werden 7).
Die juristische Beurteilung des AYlcr't'~C; bzw. "latro" im römischen

1) Vgl. Strabo 16,2,37 (761) vgl. auch 28 (759); ]ustinus 40,2,4; s.u.S.166.
2) c. Ap. 1,62.
3) R. ]ehoschua v. Sikhnin i. N. d. R. Levi (3./4. ]h. n. ehr. s. Strack, Einl.
140), Gen. R. 1,2: " ... damit nicht die Völker Israel lästern, und zu ihm sagen:
seid ihr nicht ein Volk von Räubern?"
Zur antijüdischen Polemik in diesem Zusammenhang vgl. W. Bacher, The
supposed Inscription upon ,]osua the robber', ]QR 3 (1891), 354-357.
4) Dig. 1,18,13 prol. (aus Ulpian Eb. VII de officio proconsulis): (praeses)
sacrilegos latrones plagiarios fures conquirere debet et prout quisque dereliquerit
in eum animadvertere, receptores eorum coercere, sine quibus latro diutius latere
non patest. Ganz ähnlich Marcian, dig. 48,13, 4 § 2; vgl. Hirschfeld op. cit. 593.
Nach Dio Cassius 54,12,1 begehrten Statthalter, die Räuber fingen oder aufrühre-
rische Städte züchtigten, den Triumph.
5) S. Mommsen, Röm. Strafrecht, 1899, 318ff u. ]. luster 2,253. Zu den
Verhältnissen in Ägypten s. o. S. 26 A. 4, zur Rechtsunsicherheit s. S.
28 A. 4.
6) Vgl. a 20,122. In Kleinasien kannte man seit dem 2. ]h. n. Chr. ein Amt der
dP"f)VCXPXCXL; ihnen war die örtliche Miliz der 8LWYfLL't'CXL unterstellt; s. Hirschfeld
op. cit. 594ff; Mommsen op. cit. 308. Nach Mart. Polyc. c. 6 u. 7 wurden sie
auch in Christenverfolgungen eingesetzt, da die Christen als Aufrührer und
Unruhestifter galten. Zur Verwendung gegen Räuber s. Marcian, dig. 48,3,6
§ 1 (aus einem Edikt des Antoninus Pius während seiner Statthalterzeit in Klein-
asien 133-136 n. ,Chr.).
7) S. Lk 22,52 vgl. Apg 4,1; 5,24.26. Das wc; bd AYl(J't'~V bei Lukas wird hier
erst recht verständlich. Als munizipale Miliz hatte die Tempelwache Recht und
Auftrag, gegen A"ncr't'cxL vorzugehen. Nach b 2,263 war sie möglicherweise bei
der Abwehr des ägyptischen Profeten beteiligt. J. spricht freilich nur allgemein
von der Bevölkerung ] erusalems. Bedeutsam ist, daß der Aufstand in ] erusalem
66 n. Chr. von ihrem Befehlshaber ausging: s. u. S. 365ff.
32 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Recht läßt verschiedene Stufen erkennen 1). Die einfachste Definition


betraf den bewaffneten Verbrecher, der andere überfällt, um sie zu
berauben, und dem es dabei auf einen Mord nicht ankommt 2). Als
solcher fiel er unter die schon von Sulla erlassene "lex Cornelia de
sicariis et veneficiis" 3). Entscheidend war dabei wohl der später im
Kaiserreich grundsätzlich verbotene unbefugte Waffenbesitz '): Land-
streich~r (grassatores), die bewaffnet waren, konnten als Räuber ange-
sehen werden (proxime latrones habentur) 5). Verschärfend wirkte der
Zusammenschluß zur Bande (factio) 6). Wer die Räuber in irgend einer
Weise unterstützte, konnte ohne weiteres mit ihnen identifiziert wetden 7).
Wurde so das latrocinium von den kleineren Verbrechen wie Diebstahl,
Totschlag etc. unterschieden, so finden wir auf der anderen Seite eine
politische Abgrenzung :
Bostes sunt, quibus belium publice populus Romanus decrevit vel
ipsi populo Romano: ceteri la trunculi aut praedones appeliabantur.
Et ideo qui a latronibus captus est, servus latronum non est, nec
postliminium illi necessarium est: ab hostibus autem captus, ut puta
aut Germanis et Parthis, et servus est hostium et postliminio statum
primum recuperat 8).
hostes hi sunt, qui nobis aut quibus nos publice belium decrevimus;
ceteri latrones aut praedones 9).
Die "Räuber" standen also außerhalb des Staatsrechtes. Sie wurden
auch nicht dadurch zu gleichberechtigten Gegnern (hostes), daß sie
über eine beträchtliche Beeresstärke und sonstige Machtmittel verfügten,
sondern nur durch eine rechtsgültige Kriegserklärung. Sowohl im
Sprachgebrauch der antiken Schriftsteller wie auch juristisch erstreckte
sich der BegriffArlcr't'~c; bzw. "latro" vom einzelnen bewaffneten Wege-
lagerer bis zu dem wohlorganisierten Beer einer aufständischen

1) Vgl. zum Folgenden Mommsen op. cit. 629f und Pfaff, Art. latrocinium,
PW 12,978-980.
2) V gl. Cicero, pro TuH. 21 (50); Seneca, de benef. 5,14,2: Sic latro est, etiam
antequam manus inquinet: quia ad occidendum iam armatus est, et habet spoliandi
atque interficiendi voluntatem.
3) Paulus, sent. 5,23,1: Lex Cornelia poenam deportationis infligit ei qui
hominem occiderit eiusve rei furtiue faciendi cum telo fuerit. Vgl. instit. 4,18,5.
') Vgl. Mommsen op. cit. 564 A. 2 und J. Juster 2,219 A. 6. Juster glaubt
nach Dio Cassius 69,12,2, das Waffentragen in Palästina sei erlaubt gewesen, doch
ist dort nur von Waffenpflichtlieferungen an die Römer vor dem Bar-Koseba-
Aufstand die Rede; vgl. die ausführliche Erörterung v. R. Eisler 2,268f A. 6.
11) Callistratus, dig. 48,19,28 § 10.
B) Mardan, dig. 48,19,11 § 2.
7) Paulus, sent. 5,3,4: receptores adgressorum itemque latronum eadem poena
adficiuntur qua ipsi latrones; vgl. Mommsen op. cit. 775 A. 2. Auch für Palästina
galt dieser Grundsatz: b 2,253. S. o. S. 31 A. 4. s. u. 355.
8) Ulpian dig. 49,15,24. Zum postliminium vgl. den Art. v. Weller P. W.
22,863-873;
~) Pomponius (Mitte 2. Jh. n. Chr.), dig. 50,16,118; vgl. Paulus ad. Sab.
dig. 49,15,19 § 2.
DIE RÄUBER 33

Provinz 1). Daraus wird deutlich, daß die Römer die Glieder der jüdischen
Freiheitsbewegung - auch nach Ausbruch des Jüdischen Krieges - gar
nicht anders nennen konnten als eben A:nO''t'OC(; sie waren gesetzlose
Aufrührer 2) und darum mit gemeinen Verbrechern gleichzusetzen, auch
wenn sie den Römern in offener Feldschlacht entgegentraten.
Die \i3estrafung der "Räuber", sofern sie römische Bürger waren,
erfolgte nach der lex Cornelia durch Verbannung, doch wurde diese
relativ milde Strafe im Laufe der Zeit wesentlich verschärft 3). Es wurde
daraus die deportatio 4) und später - zumindest bei den humiliores -
die Todesstrafe durch bestiae oder crux 5). Wahrscheinlich hat man hier
die Vorzugs behandlung der römischen Bürger dem schärferen Straf-
vollzug bei Provinzialen und Unfreien angeglichen. Gegen größere
Banden, die wegen Aufruhr (seditio) bzw. Staatsgefährdung (crimen
majestatis) angeklagt werden konnten, kam von vorne herein die
schärfste Strafe in Frage 6). So wurde wohl schon in der früheren Kaiser-
. zeit über "famosi latrones" die Kreuzigung verhängt 7). Die Kreuzigung
gehörte zu den "summa supplicia" 8) und wurde zunächst wohl vor
allem bei Sklaven und Nichtrömern und später allgemein unter Begünsti-

1) V gl. Forcellinus, op. eit. 2,637 unter latroeinium: milites qui illegitimum
bellum privata auctoritate collecta manu, nullo duce publico dato movent ...
Diese Vorstellung scheint schon bei Caesar bell. eiv. 3,109f zugrundezuliegen,
wo die ägyptischen Gegner folgendermaßen charakterisiert werden: ut potius
privatorum paucorum et latronum consilio quam regio susceptum bellum videtur.
2) Im rechtlichen Sinne war jeder Aufrührer ATlO''t'~C;;, darum kann auch für
Josephus ATlO''t'~C;; u. O''t'ocO'tocO'~<;; im selben Sinne gebraucht werden s. u. S. 43.
3) S. Mommsen op. eit. 631f.
') Paulus sent. 5,23,1; Marcian dig. 48,8,5 § 1 u. ö.
11) Paulus loc. cit.: ... humiliores vero in crucem tolluntur aut bestiis obiciun-
tur. Ähnlich Marcian. loc. eit. Der berühmte Räuber Felix Bulla wurde ad bestias
verurteilt: Dio Cassius 76,10,7. Als Strafe für die Zeloten s. b 6,418; 7,24.37ff.
11) Vgl. Mommsen, op. cit. 562ff u. 657ff; s. auch Paulus, sent. 5,22,1 = dig.
48,19,38 § 2: Auctores seditionis et tumultus vel coneitatores populi pro qualitate
dignitatis aut in crucem (furcam dig.) tolluntur aut bestiis obiciuntur aut in
insulam deportantur.
7) Unter Hadrian: dig. 48,19,28 § 15: Famosos latrones in hislocis, ubigrassati
sunt, furca (= cruce s. Mommsen op. eit. 921 A. 2) figendos compluribus placuit,
ut et conspectu deterreantur alii ab iisdem facinoribus ... Eine ähnliche Bestim-
mung scheint schon im 1. Jh. n. Chr. existiert zu haben: Petronius 111,5: cum
interim imperator provinciae latrones iussit crueibus adfigi; Seneca epist. 7,5:
Sed latrocinium fecit aliquis: quid ergo meruit ut suspendatur. Nach Galen ed.
Kühn 2,385 konnte man an den auf den Bergen gekreuzigten Räubern anatomische
Studien treiben. '
8) Callistratus, dig. 48,19,28 prol. u. §15; Paulus, sent. 5,17,2:summasupplicia
sunt crux, crematio, decollatio; 5,23,17: bestiis obiei aut cruci sufligi. Zur Kreuzi-
gung von Aufrührern in Palästina s. u. S. 265f u. ö. Auch das Rabbinat wußte wie
Callistratus um die Kreuzigung und Verbrennung als höchste Strafen: Ex R 9,4:
Pharao sagt: "Wenn der Sohn Amrams (d. h. Mose) noch einmal zu mir kommt,
so bringe ich ihm um; ich kreuzige ihn, ich verbrenne ihn". Hier ist wohl die
Kenntnis römischer Rechtsgrundsätze vorauszusetzen.
34 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

gung der honestiores bei Verbrechern der niederen Stände angewendet 1).
Eine spezielle Strafe für politische Verbrechen war sie nicht; vielmehr
stand die Wahl der Todesart weithin im Ermessen des Richters 2).
d) Die soziologischen Grundlagen
Die Ursachen des Räuberunwesens sind verschieden. Falls es sich nicht
wie bei den Stämmen des kleinasiatischen Taurus, in Sardinien und
Lusitanien um Volksgruppen handelte, die seit jeher unruhig waren,
rekrutierten sich die Räuber vor allem aus entlaufenen Sklaven 3),
fahnenflüchtigen Soldaten 4) und verarmten Bauern, die der Groß-
grundbesitz oder die Unbarmherzigkeit der Steuerbeamten von Haus
und Hof vertrieben hatte. In Gebieten, wo das Bandenunwesen sich auf
Grund ungenügender Abwehr hatte stärker ausbreiten können, wurde
diese Zersetzung des Kleinbauerntums durch die Behinderung eines
geordneten Ackerbaus besonders begünstigt 5). Der berühmte Räuber-
hauptmann Felix Bulla sandte einen gefangenen Centurio mit der
Botschaft zurück: "Melde deinen Herren: Füttert eure Sklaven, damit
sie nicht Räuber werden". Es waren bei ihm viele kaiserliche Freige-
lassene, die keinen Lohn erhalten hatten 6). In Ägypen entsprach dem
die "Anachoresis", in Palästina die Flucht ins Wüstengebirge. Auch die
Abenteuerlust mag manche zu Räubern gemacht haben 7). Das freie,
abenteuerliche Räuberleben zog überhaupt das Interesse der antiken Welt
auf sich. Erzählungen aus diesem Bereich gehörten neben Gespenster-
und Liebesgeschichten zu den beliebtesten Stoffen der Unterhaltungs-
literatur, und in dem Roman, der den Beifall seiner Leser finden wollte,
durften die Räuber auf keinen Fall fehlen 8). Auf elnen and.eren wesent-
lichen Punkt weist J. Juster hin: " ... dans l'antiquite le peuple ne con-
siderait pas les pirates et les brigands comme exer<;ant un metier des-
honorant. Par consequent quoiqu'ils aient aussi commis des meurtres,
il faut les distinguer des simples meurtriers" 9).
1) Mommsen op. cit. 918-21; Hitzig Art. crux PW 4,1728-31; J. Blinzler, Der
Prozeß Jesu, 4. A. 1969, 339ff. 357ff.
2) Sie wird den auctores seditionis angedroht (Paulus sent. 5,22,1), galt aber
auch für gewöhnliche Mörder bzw. für alle die von der lex Cornelia betroffen
wurden, vgl. op. cit. 5,23,1.
3) V gl. die großen Sklavenaufstände zur Zeit der Republik in Sizilien (135-
132 v. Chr. u. 104-102 v. Chr.) und in Italien (Spartakus 73-71 v. Chr.). Nach
b 2,57 = a 17,253 wurde eine Gruppe Aufständischer von einem königlichen
Sklaven geführt, vgI. auch b 4,510.
4) V gI. Spartian (Script. hist. Aug.), Pesc. Niger 3,4: ad comprehendos deserto-
res qui innumeri Gallias tunc vexabant; s. auch u. S. 39 A. 4: Nu. R. 20,19.
5) Beispiele aus .Ägypten s. bei M. Rostovtzeff, Gesellschafts- u. Wirtschafts-
geschichte der hellenistischen Welt, 1956, 2,708; vgI. auch u. S. 342 A. 1. Für
Palästina s. a 18,274; 20,256. 6) Dio Cassius 76,10,5f.
7) Dio Cassius 74,2,5: Dadurch, daß Septimius Severus die Prätorianer nicht
mehr aus Italien nahm, trieb er die kriegs- und abenteuerlustige Jugend dazu,
sich den Gladiatoren und Räubern zuzuwenden. Vgl. auch a 18,10.315.
8) V gI. Friedländer, op. cit. 1,357. So bei Apuleius, Heliodor, Achilles Tatius,
Petronius, Longus u.a.
9) Les Juifs dans l'empire Romain, 1914, 2,208.
DIE RÄUBER 35

See- und Straßenraub konnten so teilweise als Kavaliersvergehen ange-


sehen werden, und besonders wagemutige Räuberführer erlangten
sogar Volkstümlichkeit 1). Unter diesen Umständen war es den Behörden
trotz grausamer Strafen nur bedingt möglich, der immer neu auftauchen-
den Landplage Herr zu werden. "Wahrscheinlich hat in Gegenden,
in denen das Räuberunwesen nicht auszurotten war, die Regierung es
nicht selten vorgezogen, die Briganten unbehelligt zu lassen oder gute
Beziehungen zu ihnen zu unterhalten" 2). Zuweilen suchte man sich
auch dadurch zu helfen, daß man die Räuber in Soldaten verwandelte.
So machte Josephus den Versuch, die "Räuber" Galiläas durch Sold-
zahlung an sich zu binden 3). Eine gewisse Resignation der Behörden
gegenüber den ständigen Unruhen im Lande scheint sich bei den letzten
Prokuratoren in Palästina gezeigt zu haben 4). Dieselbe Haltung wird
auch in der Art und Weise deutlich, wie Dio Cassius die nie völlig zu
überwindende Räuberplage in der Antike charakterisiert: Es hat sie
schon immer gegeben und sie wird nicht aufhören, solange die mensch-
liche Natur dieselbe bleibt 5).

2. Die C"t?9"? im rabbinischen S chriftttim


Wir finden hier den Begriff o"t:?9'? (pI. C"t?9"?) als Lehnwort mit
einer ganzen Reihe von Ableitungen 6). Das Wort erscheint relativ
1) Vgl. Thuk. 1,5ff.; Justinus 43,3; W. Kroll, PW 2. R. 2, 1037. Zur Volkstüm-
lichkeit den Räuber Korokotta (s. o. S. 27f) oder Felix Bulla in Italien unter
Septimius Severus (Dio Cassius 76,10). Arrian, der Schüler Epiktets, schrieb eine
Biographie des kleinasiatischen Räubers Tilliboras: Lukian, Alexander 2. Es
erscheint hier das alte Motiv des edlen Räubers. V gl. die J ohannes-Legende des
Clem. Alex. quis dives salv. 42 = Euseb, h. e. 3,23,6-19; der Sklave Drimakos
auf Chios: Athen. 6,265d/266e. Auch im Rabbinat scheinen einzelne Räuber
eine gewisse Volkstümlichkeit besessen zu haben, so vor allem Eleazar b. Dinai
s. u. S. 355f. 2) Hirschfeld, op. cit. 594.
3) Nach Script. hist. Aug. Mare Aurel 21 reihte M. Aurel die Räuber Dalma-
tiens, deren er nicht Herr werden konnte, in sein Heer ein. Schon Caesar machte
ein ähnliches Verhalten seinen Gegnern in Ägypten zum Vorwurf (bell. civ. 3,110):
Sie sammelten ihre Truppen "ex praedonibus latronibusque Syriae CiIiciaeque
provinciae finitimarumque regionum" . Zu J osephus s. vita 77.
4) Sowohl Albinus wie Florus ließen sich von den "Räubern" bestechen und
sicherten ihnen gegen Geldzahlung eine gewisse Freizügigkeit zu, vgl. b 2,273.
278 = a 20,215.255; s. u. S. 361ff.
6) 36,20,1. über die See- u. Straßenräuber: ou ytXp ~O"nv lh"E: 'taü't" oux eyevE:'t'o,
oUS' &.v 7tauO'IxL't'6 7t0't'E: E:WC; 2X.v au't'~ cpumc; av8pw7twv fI.
6) Aram. N~9"?; als Abstraktum "Räuberei" m~9"? und aram. N~~"~9"?;
weitere Ableitungen 1"i"t:?9"? v. A71(J't'~PLOV; N~99"? v. A71O''t'e:La; O"t:?9"?"!?:~
apXLAYlO''t'~c;. Als Verbalform Ot:?9"7, piel; vgl. S. Krauß, Griechische u. Lateinische
Lehnwörter in Talmud, Midrasch und Targum, 1898f, 2,131.315f; M. Jastrow,
A Dictionary of the Talmudim ... , 1950, 2,708f.713 u. 1,122. Vokalisation nach
Jastrow. G. Dalman, Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch, 3. A. 1938,
218 vokalisiert durchweg O"t:?9"? etc.
36 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

häufig, von den hebräischen Äquivalenten entspricht ihm am ehesten


das mischnische 17I~. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen ist
nahezu derselbe wie zwischen dem griechischen );nO'T~c; und &p7t(X~ 1);
O~~9~7 bedeutet vor allem den bewaffneten Gewaltverbrecher, der
auch in Banden auftritt 2). K. H. Rengstorf versuchte den-Nachweis
zu führen, daß zwischen Josephus und dem Rabbinat eine Über-
einstimmung im Gebrauch der Begriffe AYlO'T~C; und o~~9~7 vorliege,
d.h. daß die c~~9~7 der rabbinischen Literatur auf die zelotischen
"Räuber" des J osephus zurückgingen 3). Die Zeloten hätten dabei
"aus einem von ihren Gegnern beigelegten Schimpfnamen einen
Ehrennamen gemacht" 4). Diese Ansicht läßt sich jedoch schwerlich
halten, zumal- wie Rengstorf selbst zugeben muß - der rabbini-
sche Sprachgebrauch im Grunde kaum auf die jüdische Freiheits-
bewegung bezogen werden kann 5), und auch die von ihm angeführten
Stellen hierin bei genauer Prüfung keine Ausnahme machen. Wenn
z.B. Nicht juden (C~~;~), Räuber (C~~9~7) und ein Dämon nebenein-
ander als Ursachen von Furcht genannt werden, so besagt das
höchstens, daß sie allesamt den .iVlenschen bei Nacht gefährden 6).
Auch die Kreuzigung von gefangenen c~~9~7 braucht keinen tieferen
Hintergrund zu haben, da sie keine spezifisch politische Strafe
darstellte und - zumindest in den Provinzen - bei jedem schweren
Verbrechen angewandt werden konnte 7). Die Regel, daß der Räuber

1) Zu 77T~ s. Jastrow Dict. 1,231. Der Begriff bezieht sich vor allem auf das mit
Anwendung von Gewalt durchgeführte Eigentumsvergehen.
2) Für "Bande" erscheint häufig o~~~ s. dazu J. Levy, Neuhebräisches u.
Chaldäisches \Vörterbuch über die Talmudim u. Midraschim, 2. A. 1876ff, 1,318;
] astrow 1,231.
3) Art. A'(lcrTY)C; Th WB 4,264ff; vgl. 266,33f: "Die Deutung ist durch die
Geschlossenheit des palästinischen Gebrauchs von AYlcrTY)C; (J osephus, Rabbinat)
nahegelegt" . An anderer Stelle ist das Urteil nicht ganz so bestimmt (265,9f):
"So wird man vielleicht sagen dürfen, daß - ungeachtet späteren abweichenden
Gebrauchs - O~~9~? im Rabbinischen ursprünglich den Zeloten bezeichnet".
4) Op. cit. 265,11ff. (gesperrt).
5) Op. cit. 264,37f: "Der Sprachgebrauch ist für uns hier längst nicht so
durchsichtig wie bei J osephus" ...
6) Schab. 2,5. vgl. T. Taan. 2,12 (Z. 218).
7) Kreuzigung von Räubern wird im Rabbinat mehrfach berichtet vgl. Sanh.
46b Bar. (nach einem Gleichnis R. Meir's); Eccl. R. 7,26; Esth. R. 3,14 zu 1,12
u.ö., jedoch war die Kreuzigung durchaus nicht nur politische Strafe: s. o. S.
33 A. 7. Zur besonderen Wertung der Kreuzigung als l\hrtyrium s. u. S. 266.
DIE RÄUBER 37

am Ort seiner j\;fissetaten auch seine Strafe erleiden müsse 1), läßt
sich zwar aus dem römischen Recht ableiten 2), ist aber höchstens ein
Hinweis darauf, daß die Juden in Kapitalsachen keine eigene Zu-
ständigkeit mehr besaßen 3). Jene beiden Grundsätze: "die Frau des
Räubers ist wie der Räuber selbst" 4) und "der Gefährte des Räubers
ist wie der Räuber selbst" 5), sind nicht etwa aus dem "Kriegs- oder
Standrecht" zu erklären, sondern gehen entweder ebenfalls auf das
römische Recht zurück 6), oder aber sie sind als Sprichwort zu
verstehen ähnlich dem deutschen "der Hehler ist wie der Stehler".
Wenn ein o~~9~7 seinem Opfer das Gewand nimmt 7) und ihm sein
eigenes dafür gibt, so tut er das wohl nicht aus Rücksicht auf Dt 24,
13, sondern weil er ein gutes für ein schlechtes eintauscht. Das zeigt
deutlich der Parallelfall, in dem ein Zöllner ein 'gutes Tier abnimmt
und dafür ein altes, ausgedientes gibt.
Auch über die von Rengstorf angeführten Beispiele hinaus deutet
das Wort im Rabbinat nicht spezifisch auf die religiös-politischen
"Eiferer" des 1. Jhs. n. ehr. hin: Die Räuber machen die Verkehrs-
wege unsicher, sie bevorzugen vor allem \Vegkreuzungen, um den
Reisenden aufzulauern 8). Hier sind es vor allem wieder die Kara-
wanenstraßen in der Wüste, die von ihnen heimgesucht werden 9). Das
Reisen wird dadurch zu ejner höchst gefährlichen Angelegenheit 10).
Man schützt sich gegen die Räuber durch Waffen 11), durch gegen-
seitige Hilfe und durch Wachtposten 12), sowie durch Amulette und

1) Esth. R. 3,14 zu 1,12 (Bill. 3,182).


2) S. o. S. 33 A. 7.
3) Zur Rechtslage in Palästina vgl. b 2,117; Mommsen op. cit. 243f; s. auch
Joh 18,31 u. J. Blinzler, Der Prozess Jesu, 4. A. 1969,229ff.
4) J. Keth. 26d,38.
5) J. Sanh. 19b Z. 18: Nach einem Gespräch zwischen dem ,,11~l71 01bllN"
(Quietus zur Zeit Trajans?) und Jochanan b. Zakkai; vgl. S. Krauß, Monumenta
Talmudica, Bd. V Geschichte, Teil I Griechen u. Römer, 1914, Nr. 168 A. 5:
"Wahrscheinlich sprichwörtliche Redensart".
6) Paulus sent. 5,3,4; Ulpian dig. 1,18,13 prolo vgl. Mommsen op. cit. 775,2;
s. o. S. 32 A. 7 gegen Rengstorf op. cit. 265,7.
7) B. Q. 10,2 s. Rengstorf op. cit. 266 A. 23.
B) Sanh. 72a = j. 26b, 75f. Bar.; Gen. R. 75,3 zu 32,2; 92,6 zu 44,lff; Lev. R.
30,6. u.ö. Selbst Nasiräer sind vor ihnen nicht sicher: Nazir 6,3a.
9) Zur Wüste als dem Zufluchtsort der Räuber vgl. S. Dt. zu 32,10 ed. Fried-
mann § 313. S. auch u. A. 12.
10) Ber. 1,3; Mek. Ex. 14,19 u. 19,4; A. Z. 25b/26a: Hier wird zwischen den
Räubern in Palästina und Babylonien unterschieden; die ersteren hätten noch
Achtung vor dem Lehrer. Vgl. weiter A. Z. 43a; Jeb. 16,7 u. B.Q. 116 b.
11) R. H. 1,9; vgl. Josephus b 2,125.
12) R. H. 2,5; Pes. 3,7: Hilfeleistung bei Überfällen von Räubern war auch am
38 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Gebete 1). Aber auch die Hirten und die Landbevölkerung sind durch
Raubüberfälle von Banden bedroht 2).
Eine besondere Gattung bilden solche Berichte, in denen die
Auseinandersetzung zwischen Räuber und Obrigkeit geschildert
wird. NIeist handelt es sich dabei um maschalartige Stücke, nicht so
sehr um auf ein historisches Ereignis zurückgehende Anekdoten.
Sie bilden einen Teil jener Königsgleichoisse, die für die späteren
Midraschim typisch sind 3). Voraussetzung ist darin die tödliche
Feindschaft zwischen König und Räuber: letzterer droht einmal den
Königssohn umzubringen 4), dann wieder wird der königliche Prinz
gefangen, doch sein Vater rettet ihn und tötet die Banditen 5). Auch
eine Königstochter läßt man von Räubern bedrängt werden 6); dann
wieder verwüsten diese einen königlichen Weinberg und werden vom
Besitzer vernichtet 7). Die Gefangennahme der Banditen durch die
staatliche Macht findet sich mehrfach 8), desgleichen ihre Bestrafung 9).
Am ehesten könnte man das NIotiv des Überfalls auf einen könig-
lichen Beamten als einen Hinweis auf das Treiben der zelotischen
ArJ(jTaL verstehen 10):

Sabbat erlaubt. Zur Errichtung von Wachtposten gegen Räuber vgl. Lev. R.
35,5; Nu. R. 20,2; Cant. R. 6,11; Midr. Teh. 10,2 (s. S. Krauß, Monumenta
Talmudica V, Nr. 360b) berichtet von "Burgänln" d.h. Wachtstationen in der
Wüste. Eine Karawane wird aufgefordert, dort wegen Räubergefahr einzu~.
kehren. In Inschriften (CIL 8,2494.2495) werden solche "burgi" in Nordafrika
mehrfach erwähnt: s. Daremberg-Saglio III, 2 S. 992.
1) Ber. 4,4 u. 29b; Lev. R. 25,1.
2) B. Mez. 7,9; B.Q. 6,1; Pea 2,7f; S. Lev. zu 19,5.
3) Eine teilweise Zusammenstellung des .Materials findet man bei S. Krauß, .0iIonu-
menta Talmudica V, S. 161ff Nr. 383-390 und bei 1. Ziegler, Die Königsgleich-
nisse des Midrasch, 1903, 93-100.
4) Jalqut 2,620 aus Mek. (Mon. Tal. V Nr. 389); vgl. Mek. Ex. zu 14,19 u.
Cant. R. zu 3,6, § 3: "Er (der Engel) war wie ein Räuber (C"~C"'''~'N) der mit
einem Königssohn (Jakob) rang". Vgl. Gen. R. 77,2 zu 32,24.
6) Ex. R. 20,12 s. Ziegler op. cit. 94.
11) Ex. R. 21,5 s. Ziegler op. cit. 95.
7) Ex. R. 30,17 s. Ziegler op. cit. 93.
8) Gen. R. 48,6 zu 48,1 = Mon. TaL V Nr. 386; Lev. R. 30,6 = Mon. Tal.
V Nr. 390.
Q) Eccl. R. zu 3,17: R. Chanina b. Papa (Ende d. 3. Jh. n. Chr.) : "Den Gerechten
wie den Frevler wird Gott richten, der Räuber besteigt den Richtplatz und R.
Akiba besteigt den Richtplatz". Vgl. auch T. Jeb. 4,5 (Z. 244) = bab. 25b. und
Jalqut 1,76 s. Ziegler op. cit. 97, die Hinrichtung eines Räubers in Kappadokien.
Zur Kreuzigung von Räubern s. o. S. 33 A. 8 u. S. 34 A.1.Auch Freilassungen
werden berichtet, s. Ziegler op. cit. 99f.
10) Nu. R. 11,5 = Mon. Tal. V Nr. 384 u. Ziegler op. cit. 93. Ein weiteres
Beispiel dieser Art s. Lev. R. 30,6 = Mon. Tal. V Nr. 387: Der Überfall eines
Räubers auf den königlichen Steuereinnehmer.
DIE RÄUBER 39

"Mit dem Segen ist die Behütung verbunden. Ein König von Fleisch
und Blut hat einen Diener in Syrien, während er in Rom sitzt. Der
König schenkte ihm 100 Litren Gold. Die nahm er an sich und ging
auf den Weg. Es .fielen aber Räuber über ihn her und nahmen ihm alles
. weg, was er ihm gegeben und was er bei sich gehabt hatte. Konnte er
(der König) ihn vor den Räubern bewahren? Darum ,der Hen segne
dich' - mit Reichtum, ,der Herr wird dich behüten' - vor Räubern".
Es ist jedoch zu bedenken, daß diese Gleichnisse in der Regel
relativ späte Traditionen darstellen, und daß ähnliche Vorkommnisse
auch sonst in der antiken Literatur erwähnt werden 1). Wesentlich
ist auch, daß jede religiöse Motivierung und Glorifizierung bei der
Darstellung der Räubergestalten fehlt. Im Gegenteil, meist wird der
Freibeuter scharf verurteilt, man setzt ihn den Gojjim oder den
wilden Tieren gleich 2). Wenn andererseits seinem abenteuerlichen
Leben und seinem ßiIut ein gewisses Interesse entgegengebracht
whd, so entspricht dies durchaus einer allgemein antiken Haltung 3).
Wahrscheinlich liegt hier der Grund zu dem wiederholten Auftreten
des Räubers in der so beliebten Lehrform des Gleichnisses; selbst das
volkstümliche ßiIärchenmotiv vom betrogenen Räuber kann in
verschiedenen Variationen wiederkehren 4).
Charakteristisch ist, daß auch die fremden Unterdrücker als Räuber
bezeichnet werden können. An einer schon erwähnten Stelle stehen
die Zöllner unmittelbar neben den Räubern; beide -bringen die

1) Einen konkreten Fall dieser Art berichtet Josephus b 2,228 = a 20,113,


und außerhalb v. Palästina Pliniusd. J.,epist. 6,25. Von Felix Bulla (s. o. S. 28A. 7)
berichtet Dio Cassius (76,10,2), er habe von allen, die in Rom abreisten oder in
Brundisium an Land gingen, gewußt, wer sie seien, und was sie bei sich hätten.
2) Schab. 2,5; B. Mez. 7,9; T. Taan. 2,12 (Z. 218) s. Bill. 4,99; Ber. 29b Bar.;
Midr. Teh. 10,2 p. 47a s. Mon. Tal. V Nr. 360b. Weitere Beispiele der Verur-
___ J:~ilung des Räubers: Eccl. R. zu 3,17 u. 7,26; Sanh. 72a Bar.; Dt. R. 4,5 zu 10,1.
Auch Lk 18,11, der Selbstruhm des Pharisäers, daß er kein Räuber (äp7ta~) etc.
sei, gehört in diesen Zusammenhang.
3) S. dazu o. S. 35f. A. 1. Der Zug der Volkstümlichkeit wird bei einem
bedeutenden Lehrer des 3. Jh. n. Chr. besonders deutlich: Schirneon b. Lakisch
(Resch Lakisch genannt) soll in seiner Jugend selbst Räuber gewesen und durch
R. Jochanan b. Nappacha bei einem zufälligen gemeinsamen Bade im Jordan
bekehrt worden sein: s. B. :Mez. 84a. W. Bacher, Aggada der pal. Amoräer,
1892ff, 1,342 glaubt allerdings, daß Resch Lakisch sich nach Gittin 47a als Gladi-
ator verkauft habe. Doch schließt beides einander nicht aus, denn nach Schab. 10a
stehen Gladiatoren u. Räuber nebeneinander, auch haben sich die Räuberbanden
der Antike weithin aus entlaufenen Gladiatoren rekrutiert (vgl. Dio Cassius
74,2,5).
4) Gen. R. 92,6 zu 44,1f; Ex. R. 30,24; Lev. R. 30,6; Nu. R. 20,19: Ein Soldat
verläßt seinen König und wird Räuber; wie er zurückkehren will, nimmt ihn
dieser nicht mehr an, s. Ziegler op. cit. 96.
40 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Reisenden um ihren Besitz 1). Ein fremdes Belagerungsheer im


Lande ist den Räubern gleichzustellen 2). Ähnlich ist wohl auch
folgendes Gleichnis zu verstehen:
"Gleich einem Herrscher, der in ein Land einzog und mit ihm viele
Räuberscharen. Da sprach einer zum andern: Wie furchtbar ist dieser
Machthaber" 3).

Wahrscheinlich sprechen aus solchen Vergleichen die bitteren


Erfahrungen in Bezug auf die Grausamkeit der römischen Besatzungs-
truppen, deren Raubzüge in verschiedenen Anekdoten anschaulich
dargestellt werden 4). Die höheren Beamten wurden nicht besser
eingeschätzt:
"Statthalter, Duces und Eparchen gehen in die Dörfer hinaus, rauben
und plündern (O'lnb~ C'l7ril)" 5).

In einer Aufzählung von Prokuratoren, Statthaltern und anderen


mißliebigen Persönlichkeiten als V orfah,ren Hamans erscheint
Pilatus als "Plünderer" 6). Aber nicht nur die Vertreter Roms,
sondern die Weltmacht selbst erscheint in diesem Licht:
"R. Jose b. Chanina deutete den Vers auf Esau (Qoh 5,7): Wenn du
in der großen Stadt Rom den Esau Dürftige bedrücken und berauben
siehst" 7). ,
"So rühmt sich die Regierung Edoms, während sie vergewaltigt und
raubt, dabei aber sich den Anschein gibt, als ob sie den Richtstuhl in
Stand setzte" 8).

1) B. Q. 10,1.2; vgI. auch Bill. 1,378f: Scheb. 39a Bar.: R, Schirneon b. Jochai
(um 150): "es gibt keine Familie, in der ein Zöllner ist und keine, in der ein
Räuber ist, ohne daß sie alle Räuber (C'It?t?"7) sind".
2) J. Keth. 26d,44. .
3) Lev. R. 9,8.
4) V gl. die Schilderung des Überfalls auf das judäische Timna durch einen
Trupp plündernder Soldaten: Jom tob 21a Bar. = Tos. ibo 2,6 (Z. 203). Ähn-
liches wurde auch aus Galiläa berichtet s. Schab. 145b. Nach Gittin 57a Bar.
wurde durch einen Überfall römischer Soldaten auf einen Hochzeitszug ein
Aufstand der Juden hervorgerufen. VgI. dazu das Urteil des Josephus über die
röm. Besatzungstruppen a 19,366 u. b 2,268. Auch diese Klagen finden ihre
Parallelen in der weiteren antiken Überlieferung: s. L. Friedländer, Darstellungen
auS der Sittengeschichte Roms, 10. A. 1922,1,221; Phila, C. Flaccum 5 (M. 2,518);
Apuleius, met. 9,39-42; luvenal, sat. 16. Für Palästina vgl. noch Lk 3,14.
5) Ex. R. 31,17. Mon. Tal. V Nr. 335.
6) Mon. Tal. V Nr. 165: c9~1;l~"~ P ;,!i:J 1~ Nach dem 2. Targum zu Esther,
Tr. Soferim 13,6 u.a.; vgI. auch H. L. Strack, Jesus, die Häretiker und die Christen
n. d. ältesten jüd. Angaben, 1910, 45f.
7) Eccl. R. ZU 5,7, Mon. Tal. V Nr. 335.
8) Lev. R. 13,5, Mon. Tal. V Nr. 76, vgI. auch Gen. R. 65,1 zu 26,34.
DIE RÄUBER 41

" ... und für wen bringt er (d.h. der Frevler = Rom) alles Geld
zusammen? Für Israel, wie es heißt: ... Sie werden ihre Räuber berauben
und ihre Plünderer. plündern (Hes 39,10)" 1).
Die ß.-fekilta vergleicht die Römer, die den Tempel zerstörten, mit
einer Räuberbande, die den Palast eines Königs plünderte, nieder-
. brannte .und dessen Diener tötete. Der König sitzt über die Räuber
zu Gericht, läßt sie teilweise gefangen halten und teilweise töten, einige
sogar kreuzigen. Daraufhin wird seine Herrschaft in der ganzen Welt
anerkannt 2).

Diese vermutlich durch die profetische Polemik gegen Assur-Edom


begründete Beurteilung Roms 3) bildete die Antithese zu den antiken
Angriffen gegen die Juden als einem Volk von Räubern. Auch im
hellenistischen Osten nahm man - zumindest noch in der Zeit der
Republik - Anstoß an der Raubpolitik Roms, und gewisse frag-
würdige Züge seiner Frühgeschichte gaben willkommenen Anlaß
zu ähnlichen Angriffen 4). Doch verstummten diese Stimmen all-
mählich, und die Juden sowie in ihrer Nachfolge die Christen blieben
die einzigen, die ihr kritisches Urteil über das Weltreich aufrecht
erhielten 5). Das Imperium, das jeden, der sich gegen das Joch seiner
Herrschaft empörte, als rechtlosen "Räuber" verfolgte, mußte sich
den Vorwurf, selbst ein Raubstaat zu sein, gefallen lassen.
Wenn wir die Skizze des Räuberunwesens im römischen Reich
mit den rabbinischen Aussagen über die c"~9"? vergleichen, so Enden
wir eine weitgehende ÜbereinstimrI?-ung. Dies gilt einmal für die
verschiedenen Bedeutungsstufen des Begriffs "Räuber" - beginnend
beim einzelnen \Vegelagerer über Banden von wachsender Größe
bis hin zu dem feindlichen Heer, das man nicht rechtlich als eben-
bürtigen Gegner anerkennen wollte - zum andern auch von den
Schutzmaßnahmen des Staates gegenüber diesem lästigen, ja oft
gefährlichen Gegner. Irgendwelche besonderen NIotive, die auf die
zelotische Bewegung des 1. J allrhunderts n. Chr. hingewiesen hätten,
sind bei der rabbjnischen Verwendung des Wortes o"~9"? nicht zu
Enden. Dazu kommt, daß wir von AYl(J'r-~C; - im Gegensatz zu der

1) Ex. R. 31,11, Bill. 4,937.


2) Mek. Ex_ zu 15,18 (L. 2,79f); die Einzelheiten des Gleichnisses lassen
vermuten, daß die Erinnerung an die Eroberung Jerusalems noch lebendig ist.
:\) Vgl. Hes 39,10 (s. o. A. 1); Jes 17,14 u. 33,1.
<') V gl. H. Fuchs, Der geistige Widerstand gegen Rom, 1938, 15fAOA6ff.
5) V gl. Augustin : remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia?
(civ. Dei 4,4). Zum zelotischen Urteil s. u. S. 308f. Dahinter steht teilweise die
Not der Reichskrise im 3. Jh. s. M. Avi-Yonah, Geschichte der Juden im Zeit-
alter des Talmud, Berlin 1962, 85-134.
42 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Bezeichnung cnxapw.;, die wir als nächstes zu untersuchen haben-


eine große Zahl von Ableitungen besitzen, die teilweise schon aus
dem Griechischen übernommen sind 1), und ferner clie Tatsache, daß
der Begriff auch im Syrischen als Lehnwort zu finden ist 2). Die
Annahme, daß sich der Begriff C"~9"7 von den A71O"'t"a( des Josephus
ableite und vielleicht eine Selbstbezeichnung der Zeloten gewesen
sei, läßt sich nicht begründen. Möglicherweise ist dieses Lehnwort
schon viel früher in die Umgangssprache des palästinischen Juden-
tums aufgenommen worden.
Der einzige Schluß, den der rabbinische Sprachgebrauch zuläßt,
ist die auch durch andere antike Quellen belegte Tatsache, daß im
syrisch-palästinischen Raum das Räuberunwesen - bedingt durch
die geographische und soziologische Struktur - besonders ver-
breitet war, und daß auch die Juden daran wesentlich beteiligt waren.
Dies gilt jedoch für die Zeit- vor der römischen Herrschaft ebenso
wie nach dem Aufstand Bar-Koseba's; auch finden sich dazu in
anderen Teilen des römischen Reiches genügend Parallelen.

3. Die A71O"'t"d bei Josephtls


Die erste Nennung jüdischer A71O"'t"a( finden wir bei Josephus im
Zusammenhang mit der Vernichtung des &pX.~A71O"'t"1j.; Hiskia und
seiner Bande durch den jungen Herodes 3). Dann erscheinen sie
wieder während des Krieges zwischen Herodes und dem letzten
Hasmonäer Antigonus im galiläischen Höhlengebiet von Arbela 4).
Iviehrfach berichtet J osephus auch von Räubern in der Trachonitis
und ihrer Überwindung 5). Nach dem Tode des Herodes traten die
A71O"'t"cd wieder besonders hervor; die durch sie verursachten Unruhen
erschütterten ganz J udäa 6). Die genannten Berichte gehen wohl
auf das Werk des Herodesfreundes Nikolaos von Dainaskus zurück 7);
bezeichnenderweise sind darin lediglich die Banden in der Trachonitis
als "Räuber" in unserem Sprachgebrauch zu verstehen, in den anderen

1) S. o. S. 35 A. 6.
2) S. C. Brockelmann, Lexicon Syriacum, 2. A. 1928, 368.
3) a 14,159 = b 1,204 vgl. a 17,271 = b 2,56. Zum Folgenden s. G .W. Bucha-
nan, HUCA 30 (1959), 169-177; 31 (1960), 103-105 .
.1) a 14,415ff = b 1,304. 5) S. o. S. 29.
6) a 17,285; b 2,65: ,,6"E: )':ncr"pLXOÜ 7tOAEfLOU -r1)V 'Iou~cdav micrav EVE:7tLfL7tAacrav.
Man könnte fragen, ob hier ein "illegitimum bellum" (s. o. S. 33 A. 1) oder die
äußere Form eines "Guerillakrieges" (s. u. S. 44 A. 8) gemeint ist. \Vahrschein-
lieh will der Begriff beides umfassen.
7) S. o. S. 8 u. 13; vgl. K. Kohler, Harkavy-Fcstsehrift, 1909, 7.
DIE RÄUBER 43

Fällen handelt es sich um Aufständische aus politischen und vielleicht


noch mehr aus religiösen Motiven 1). Wahrscheinlich hat Josephus
diese Anwendung des Begriffs "Räuber" auf politisch-religiöse
Partisanen von Nikolaos von Damaskus übernommen. Von der
Gründung der 4. Sekte durch Judas den Galiläer wird lediglich
gesagt, daß dadurch das Räuberunwesen großen Aufschwung
genommen habe 2); die Wirksamkeit der A"{jCJ"rcxL erwähnt Josephus
erst wieder im Zusammenhang mit den Prokuratoren nach dem
Tode Agrippas 1. 3). Sie sind nach ihm die eigentlichen Haupt-
schuldigen am Ausbruch des jüdischen Krieges 4). Auch die Namen
einzelner Bandenführer werden genannt 5), doch wird die Aktivität
der A"{jCJ-rcxL in der Regel in sehr allgemeiner Weise umschrieben 6).
Zu Beginn des I<rieges unterscheidet J osephus deutlich zwischen der
extremen Gruppe, die er auch als A"{jCJ'"t'cxL bezeichnen kann, und einer
gemäßigten Kriegspartei, der er wohl selbst angehörte; hier spricht
er meist von OL 'Iouacx'i:oL 7). Eine weitere Bezeichnung, die er eben-
falls, meist im negativen Sinne, für die Aufständischen verwendet, ist
oi CJ'"t'CXCJLCXCJ'"t'cx.L 8). Nach der Ermordung des Zelotenführers lvlena-
hem 9) treten die A"{jCJTCXL als kriegführende Gruppe nahezu völlig
zurück, erwähnt wird nur noch die Vernichtung ihrer galiläischen
Streitkräfte durch eine römische Abteilung auf dem Berge Asamon 10).
Darüber hinaus erhält lediglich J ohannes von Gischala, der erbitterte
Gegner des Josephus, diesen "Ehrentitel" 11), sowie die sonst meist

1) S. u. S. 146ff.
2) a 18,7f.
3) b 2,228.235.238: E7PcXTWIJTO /tOAAot 7tpO~ ):neJTdav; 253f.264 u.ö.; a 20,5.
113.121.124.160.165 u.ö.
'1) b 2,417; vgl. ,veiter 425.431.434.441; vita 21.28.77ff.
5) Der cXPXLA:na't"~~ Tholomäus a 20,5; Eleazar b. Dinai b 2,253; vita 105 ein
gewisser Jesus mit einer Bande bei Ptolemais; b 2,587 Johannes v. Gischala;
2,652 Simon S.d.Giora; 3,450 Jesus S.d.Tupha. Vgl. auch b 2,275.
6) Vgl. b 2,264ff; a 20,160f.167.185. Josephus spricht in der Regel nur sehr
allgemein von Raub, Mord und Plünderung; Einzelunternehmungen werden
nur in ganz wenigen Fällen - so z. B. a 20,208ff - erwähnt.
7) Vgl. b 2,517ff.523.536.543 - 554: Der Sieg über Cestius; 3,9. 17f.22. 130.
136.149f u.ö.: die Verteidigung von Jotapata.
8) Vgl. b 2,452.484.525.534.538.557.651 u.ö. Daneben spricht Josephus
auch von ve:w't"e:pL~olJTe:~ b 2,417 u.ö. oder Ta Ve:WTe:PL~OV 3,463 u.ö.
9) b 2,443ff; s. u. S. 299f. 370f.
10) b 2,511: Ta ~E: aTamw~e:~ xat ):naTpLX6v; bei den Kämpfen vor J erusalem
spricht Josephus b 2,541 noch einmal von AileJTaL, vielleicht mit Rücksicht auf
die Taktik des Überraschungsangriffs, sonst tritt der Begriff jedoch völlig
zurück.
11) b 2,587ff.593; 4,84.97; s. u. S. 381.
44 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

CrLX&pWL genannte Splittergruppe in Masada 1). In der Vita muß


Josephus allerdings den "Räubern" eine größere Bedeutung ein-
räumen; sie sind es, die weithin die wirkliche Macht in Händen
hielten 2). Erst nach der Niederwerfung Galiläas und d.h. zugleich
nach dem Übertritt des J osephus ins römische Lager, finden wir den
Begriff wieder etwas häufiger; wieder meint J osephus damit die
radikale Kriegspartei, die J erusalem ins Verderben stürzte 3). Dabei
kann er die Bezeichnungen ot ~YJAc.u't'<xL und ArJO''t'<xL nebeneinander
verwenden, allerdings erscheint die erstere als Parteiname häufiger 4).
Daneben finden sich auch weiterhin oft die allgemeineren Begriffe
ot 'Iou3<x'i:0L und O''t'<XCrL<XO''t'<xL Von ArJO''t'<xL spricht J osephus vor
allem dann, wenn eine moralische Verurteilung des Gegners zurr. .
Ausdruck gebracht werden soll; der Begriff ist daher mit· Zunahme
der Greuel in der belagerten Stadt auch wieder öfter anzutreffen 5).
Möglicherweise gehen die Bezeichnungen ot 'Iou3<x'i:0L und O''t'<XCrL<XO''t'<X(
auf die römischen Quellen des J osephus zurück, während ArJO''t'<xL
aus seiner eigenen Feder stammt. 6 ).
Eine Besonderheit bildet die Verwendung des Begriffs zur Charak-
terisierung einer bestimmten I<ampfestaktjk: schnelles Ausschwärmen
in kleinen Gruppen auf den überraschten Gegner und ebenso schneller
Rückzug. In diesem Sinne spricht J osephus selbst von seiner Kampfes-
weise bei der Verteidigung von Jotapata: EX't'P€x.ov't'e:c; yap ArJO''t'pL-
x~'t'e:pov x<X't'a A6x.ouC; 7), wobei er sich und seine Mitkämpfer durchaus
nicht als ArJO''t'<xL bezeichnen wollte. In unsere heutige Sprache
übersetzt, könnte man von einem "Guerillakrieg" sprechen 8), einer
I<ampfform, die schon die Antike kannte 9).
Vergleichen wir die Verwendung des Begriffs AYlO''t'~C; bei J osephus
mit unseren bisherigen Ergebnissen, so finden wir auch bei ihm

1) b 2,653; 4,406ff. S. u. S. 371f.


2) Vita 28.77ff.105-11. Josephus unterhält gute Beziehungen zu ihnen und
verpflichtet sie durch feste Soldzahlung für sich.
3) b 4,134f.138.242.244.555.
4) b 4,199.202.
5) b 5,30: O''t'cx.(JLcX.~ov't'e:c; OL &pXLA71O''t'cx.t; 5,448.515.524.546; 6,129.195.277.324.
363.370.417 u.ö.
6) S. o. S. 8 f. Eine völlige Trennung der Begriffe ist allerdings nicht
möglich.
7) b 3,169, vgl. 177.
8) b 2,65: A"()O''t'PLXOU Tt'OAE(.LOU wird von H. St. Thackeray (Josephus Bd. 2,
347) mit "guerilla warfare" übersetzt.
9) Vgl. Appian, hist. Rom. (Hisp.) 6,73; Pausanias, Graec. deser. 7,7,6; Sallust,
Jug. 97,5: pugna latrocinio magis quam proelio similis. S. auch o. S. 26 f.
DIE RÄUBER 45

dieselbe Variations breite von dem einzelnen Räuber 1) über die


Banden bis hin zum aufständischen K.riegsheer 2). In gleicher Weise
entsprechen die Taktik der AyjO"'t'ocL, ihre soziologische Grundlage
und schließlich ihre Bestrafung durch die römisc,hen Behörden
durchaus den auch in andern Teilen des römischen Reichs zu beob-
achtenden Verhältnissen 3). Wahrscheinlich hob Josephus bewußt
diejenigen Züge hervor, die seine AyjO"'t'cxL mit dem Raubgesindel in
aller Welt gemeinsam hatten. Er wollte auf diese Weise den Anschein
einer politischen und religiösen Ausnahmestellung der Zeloten
zerstören: "Sie sind Sklaven, zusammengelaufenes Gesindel, Auswurf
des Volkes" 4).
Natürlich kannte er den Unterschied zwischen einer Räuberbande
und einem regulären Heer 5), aber er übernahm hier völlig die römi-
sche staatsrechtliche Anschauung, nach der jeder Rebell gegen die
römische Herrschaft als ein rechtloser Verbrecher erschien, gleichviel,
ob es sich um einen einzelnen Räuber oder ein Heer von Aufrührern
handelte. Verbunden war damit die moralische Verurteilung der
jüdischen Freiheitskämpfer: Ihre Unternehmungen waren in der
Regel gewöhnliche Raub- und Beutezüge 6), und ihr ganzes Handeln
konnte daher unter das Verdikt der Gesetzlosigkeit gestellt werden 7).
Es ist bezeichnend, daß in der Vita, wo J osephus seine Zusammen-
arbeit mit den AyjCl''t'cxL zugeben muß, dieses Urteil sehr zurücktritt.
Schließlich betont J osephus, das von den Zeloten so hochgehaltene
. Ideal der Freiheit sei gar nicht ihr eigentlicher Beweggrund gewesen:
"Große Räuberbanden machten fortwährend Überfälle, und die
bedeutendsten Männer wurden umgebracht, angeblich um den gemein-
samen Staat wieder aufzurichten, in Wirklichkeit in der Hoffnung auf
eigenen Gewinn" 8).
In seiner Endabrechnung mit den Zeloten kehrt dieses Motiv wieder:

1) b 2,587, Johannes v. Gischala.


2) crTo:crLo:crTO:~ und ):ncrTO:L werden teilweise direkt als Synonyma verwendet:
b 2,441f.511; 5,448; 6,417 u.ö.
3)S. o. S. 31ff.
4) b 5,443. Das Spannungs verhältnis wird durch die gegensätzliche Aussage
des Josephus deutlich, das Heer Simon b. Gioras habe nicht nur aus Sklaven und
Räubern, sondern auch aus Bürgern bestanden, die ihm wie einem König gehorch-
ten (b 4,510).
5) b 4,408, die Sikarier in Masada.
6) b 2,265: ... xO:Ta A6xouc; aL ~PITO:~ov ... ; 2,27 5.652f; 4,134.405; 6,202f.358
u.ö.; a 20,185.187.210.256.
7) S. o. S. 16 A. 4; s. u. S. 188f.
B) a 18,7.
46 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

"Dies (ihre Forderung der Freiheit) war nur ein Deckmantel, mit
dem sie ihre Grausamkeit und Habsucht zu verhüllen suchten, wie ihre
Taten deutlich bewiesen" 1).
Daß solche Menschen den Titel A1l0''t'at zu Recht verdienten, konnte
danach keine Frage mehr sein.
Es ;st natürlich sehr schwer, unter diesem Zerrbild die wahren
Züge der zelotischen Bewegung zu erkennen. Manchmal wird auch
kaum zu entscheiden sein, ob J osephus unter den A1l0''t'a( wirklich
Zeloten oder nur gewöhnliche Straßenräuber verstanden hat 2). Es
mag auch richtig sein, daß die Bezeichnung auf eine gewisse Zer-
splitterung der Bewegung hinweist 3). Dies könnte dann vor allem
für die eigentliche Zeit des Jüdischen Krieges gelten, in der die
Freiheitsbewegung infolge des Fehlens einer zentralen Führung sich
in mehrere feindliche Gruppen aufspaltete 4).
Auch die soziologische I<:'omponente des Begriffs ist nicht zu
übersehen; es handelte sich bei den A1l0''t'at wohl wirklich größtenteils
um Angehörige der sozial benachteihgten Schichten, die u.a. für
eine gottgewollte Neuordnung der Besitzverhältnisse kämpften. Auch
dieser Zug hat seine Parallele in der antiken Welt 5). Vermutlich ist
der Vorwurf der Habgier, den Josephus gegen die Räuber erhebt, von
hier her zu verstehen.
Entscheidend bleibt jedoch, daß J osephus durch die Bezeichnung
A1l0''t'at die Zeloten als im römischen Sinne rechtlose Aufrührer und
gesetzlose Verbrecher hinstellen wollte, die am Ende ihre verdiente
Strafe empfingen 6). Von hier aus gesehen ist es äußerst unwahr-
scheinlich, daß A1l0''t'at in seiner aramaisierten Form jemals dne
Selbst bezeichnung der Zeloten gewesen ist 7); man könnte höchstens
die Frage stellen, ob nicht der den Zeloten feindlich gesinnte Teil
der jüdischen Bevölkerung, d.h. die besitzende Oberschicht, die
Freiheitskämpfer so bezeichnet hat. Diese Möglichkeit bleibt offen,
allerdings war A1l0''t'at auch dann nicht etwa eine Sonderbezeichnung
für die Zeloten, sondern bedeutete - wie die Untersuchung des
rabbinischen Sprachgebrauchs zeigte. - die bewaffneten Räuber
schlechthin. Durch diese Identifizierung sollte ja gerade der "Eiferer"
1) b 7,256 vgl. 264. 2) Z.B. a 20,5.113.
3) So K. H. Rengstorf, ThWB. 4,264 Z. 25ff. 4) S. U. S. 373f.
5) V gl. b 2,265.427: Die Verbrennung der Archive; s. u. S. 341f. 368f. Leider
fehlt bei H. Kreissig, Die sozialen Zusammenhänge des jüdischen Krieges, Berlin
1970, jede tiefergehende Begriffsuntersuchung.
6) b 7,272-274; vgl. o. S. 12 A. 1.
7) S. O. S. 35f.
DIE RÄUBER 47

herabgesetzt werden. Im übrigen wissen wir nicht, wann AYlCJT~C, als


Fremdwort ln Palästlna eingedrungen ist. Da das Wort in der Mischna
mehrfach erscheint 1), muß es spätestens bis zum Ende des 1. Jahr-
hunderts n. Chr. bekannt gewesen sein. Vielleicht wurde es schon
unter ptolemäisch-seleukidischer Herrschaft aufgenommen, als ja
eine starke Hellenisierungswelle durch das Volk ging. Selbstver-
ständlich haben die hellenistischen Einwohner Palästinas, die an-
grenzenden Syrer und die römischen Beamten die Zeloten als AYlCJTCl(
bezeichnet; ein Beispiel dafür bietet der Sprachgebrauch des Nlkolaus
von Damaskus 2). Auch in den Evangelien werden vielleicht verelnzelt
die Zeloten AYlCJ't"Cl( genannt 3). Josephus hat das Wort wohl in dem
Sinne übernommen, wie es in den Kreisen der Oberschicht und der
hellenistischen Nachbarn gebraucht wurde, und ihm noch eine
scharfe, polemische Zuspitzung gegeben, die durch seine persönliche
politische Tendenz bedingt war 4). Über das innere Wesen der zelo-
tischen Bewegung, lhre Grundsätze und Ziele, kann uns der Begriff
keinen Aufschluß geben; er erläutert höchstens die äußere Form der
Bewegung und die Art ihrer Kampfführung, die bejde für sie nicht
typisch sind, sondern in anderen Gebieten des römischen Reiches
Parallelen haben.
B. DIE SIKARIER

1. Die lateinische Grundbedeutung


Eine zweite Bezeichnung für die jüdische Freiheitspartei bzw. für
eine bestimmte Gruppe derselben ist der mit dem Begriff AYlCJTCl(
eng verwandte Ausdruck crLxapWt.
Es handelt sich hier um ein ursprünglich ~ateinisches Wort:
sicarius, d.h. der Meuchelmörder. Dieser Begriff ist von der bei der
Tat gebrauchten Waffe, sica (Dolch), abzuleiten. Jedoch schon zu
Beginn der Kaiserzeit hat sich seine Bedeutung erweitert: er kann
den Mörder und den Gewaltverbrecher, der einen Mord beabsichtigt,
überhaupt bezeichnen 5) :
Nam per abusionem sicarios etiam omnis vocamus, qui caedem telo
quocumque commiserunt 6).

1) S. o. S. 36; vgl. Schürer 2,83 A. 237. 2) S. o. S. 42 A. 7. 3) S. u. S. 344.


4) S. o. S. 11f u. 16.
6) S. Kleinfeller, Art. sicarius, P.W. 2. R. 2,2185fu. Forcellinus, Lexicon totius
Latinitatis, 1831ff,4,105; O. Betz, Art. eHxapw<; ThWB 7,277ff; 1. Opelt, Die
lateinischen Schimpfwörter, Heidelberg 1965, 133ff. 209; vgl. R. Till, Historia
11 (1962),322 A. 14.
8) Quintilian, inst. 10,1,12.
48 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

-Die schon unter Sulla entstandene lex Cornelia de sicariis wendet


sich gegen
homicidas ... vel eos, qui hominis occidendi causa cum telo ambulant 1).
Da dieses Gesetz vor allem auch die Räuber betraf, konnten in
der Rechtssprache latro und sicarius dieselbe Bedeutung erhalten 2).

2. Die Sikarier bei Josephtls


Als Lehnwol"t erscheint der Begriff sicarius = (HXrXP ~oc; in der
griechischen Literatur 3) nur bei J osephus, und zwar taucht er bei
diesem ziemlich unvermittelt auf. Nachdem J osephus im Bellum das
energische und erfolgreiche Vorgehen des Felix gegen die ""ncrraL
im Lande geschildert hatte, berichtet er vom Auftreten einer "neuen
Art von Räubern in J erusalem" 4). Diese wandten eine ~~~~Taktik
an~und ermorcreten -jhr~ -Gegner am hellichten Ta.ge, vor allem an
den Festen, wenn sich große NIenschenmassen zusammendrängten.
Sie hatten zu diesem Zweck in ihren Gewändern kleine Schwerter
verborgen. -Als ihr erstes Opfer nennt J osephus den Hohenpriester
Jonathan S.d.4nanos 5). In den Antiquitates stellt Josephus diesen
Bericht um, er erzählt zuerst, daß der .LI\. nstoß zur Ermordung
des Jonathan - was im Bellum noch verschwiegen wird - von dem
Prokurator Felix selbst ausgegangen sei, und als die Nlörder daraufhin
ungestraft blieben, hätten die f:nCiTa[ djese Art zu töten noch öfter
angewandt 6). Von "Sikariern" spricht J osephus dann erst etwas
später beim Amtsantritt des Festus, wobei er ihre neue Taktik noch
ausführlicher als im Bellum schildert 7). Ihr erstes Auftreten unter
1) Inst. 4,18,5; vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899, 627ff.: condemnare
aliquem lege de sicariis (Tacitus, arm. 13,44). In der Rechtssprache war inter
sicarios oder de sicariis eine feste Formel für eine ß/lordsache, die vor Gericht
verhandelt wurde (Cicero, in M. Ant. Phil. 2,1 (8): quomodo sis eos inter sicarios
defensurus) .
2) S. o. S. 32; vgl. Mommsen, op. cit. 613.629f.
3) Thesaurus graecae linguae- a H. Stephano ed. E. B. Hase, G. Dindorf u.
L. Dindorf, Paris 1842-46, 5,265. Lediglich in einem späten Papyrus (Oxyrhynchus
1294,8 = Bd. X, 248; 2./3. Jh. n. Chr.) erscheint <nXa.PLO\l als Lehnwort aus
dem Lateinischen in der Bedeutung von "Dolch": Liddell-Scott, 2104.
") b 2,254 (vgl. 425). G. Baumbach, ThLZ 90 (1965), 731 verlegt völlig unbe-
gründet "das soziale Subjekt der Sikarierpartei" nach Galiläa.
5) b 2,256. 6) a 20,162-165.
7) a 20, 186(f); OL oE: cmdpWL XaAOIJ[LE\lOL A"ncr-raL Ihre Waffe entspreche in
der Größe dem persischen Kurzschwert, der Akinake, doch sei sie gebogen wie
die römische sica. Die Methode des :Meuchelmordes aus politisch-religiösen
Gründen scheint in den Kreisen der "Eiferer" und ihrer Vorläufer früher geübt
worden zu sein; schon a 15,282ff ist von einer Verschwörung von zehn lVlännern
DIE SIKARIER 49

Felix wird durch Lukas bestätigt 1), wo der Chiliarch und Befehls-
haber der Burg Antonia, Claudius Lysias, den Paulus mit jenem
Ägypter verwechselte, der 4000 "Sikarier" in die \Vüste führte.
Wahrscheinlich hat Lukas dabei verschiedene Ereignisse zu einem
vereinigt 2). Ein früheres Auftreten des Begriffs läßt sich nicht nach-
weisen 3).
Dieser Sachverhalt in Verbindung mit dem lateinischen Ursprung
des Wortes legt nahe, daß mxapLO~ als Bezeichnung für die ).,:{)(j'"raL
wohl direkt auf die römischen Behörden und Soldaten in Palästina
zurückzuführen ist. Vermutlich gaben sie den jüdischen Freiheits-
kämpfern diesen Namen, als jene, gezwungen durch die Erfolge des
Prokurators Felix in der Bandenbekämpfung auf dem offenen Lande 4),
mittels einer neuen Kampfesweise die Stadt J erusalem selbst zum
Schauplatz ihres ständigen Kleinkrieges machten. Es handelte sich
bei den "Sikariern" also nicht, wie schon vermutet wurde, um eine
neue selbstständige Partei 5), sondern um eine besonders aktive
Gruppe unter den A"{)CJ't'aL, die durch eine neue 1vIethode den Kampf
in die Hauptstadt selbst hineintrug und damit dem erhofften Ziel
einer allgemeinen Volks erhebung gegen Rom um einen wesentlichen
Schritt näher kam. Denn die letzte Entscheidung darüber konnte nur
in Jerusalem selbst fallen 6). Josephus gebraucht zunächst die beiden
Begriffe CJ~xapLO~ und A"{)CJ~a( unbedenklich nebeneinander und
meint damit jene aktivste und zugleich führende Gruppe der zum
Kriege hindrängenden Aufrührer 7). Erst als zu Beginn des Auf-

gegen Hemdes die Rede, in der diese den König mit unter ihren Gewändern
versteckten Dolchen umbringen wollten. Auch Apg 23,12-15 deutet wohl einen
ähnlichen Vorgang an. Vorbild war nach Ri 3,11-30 Ehud.
1) Apg 21,38.
2) S. F. J. Foakes Jackson & Kirsopp Lake, The Beginnings of Christianity I,
The Acts of the Apostles, 1920, 1,422; E. Haenchen, Die Apostelgeschichte,
Meyer's Komm. 14. A. 1965, 549ff z. St. Ob Lukas diese Stellen von J osephus
übernommen hat, ist jedoch sehr fraglich; er müßte Josephus völlig falsch
verstanden haben. Wahrscheinlich liegt wie in Apg 5,37 (s. u. S. 81) eine Parallel-
überlieferung vor.
3) Der von O. Cullmann (Der Staat im N.T., 2. A. 1961, 10) aufgenommene
Versuch des F. Schulthess, den Beinamen des Verräters Judas 'IO"xcx.pLw'nlC; mit
den Sikariern in Verbindung zu bringen, ist wenig überzeugend. Die von Sch.
angenommene Form crLXcx.PLW't'1jC; läßt sich in keiner Weise belegen und die Deutung
der "Sikarier als nicht jüdisches, fremdes Raubgesindel" bleibt völlig unbegründet:
s. Das Problem der Sprache Jesu 1917,41 u. 54ff sowie ZNW 21 (1922), 250ff
und E. Klostermann, Das Markusevangelium, HBzNT 4. A. 1950, 35.
4) b 2,253f. 5) S6 Beginnings 1,422f. 6) S. u. S. 365ff.
7) V gl. z.B. a 20,164f u. b 2,254f; s. auch a 20,210; b 2.408: ... 'nve:c; 't'wv f.LaALO"'t'cx.
XLVOUV't'UlV 't'ov 1t6Ae:f.LOV u. 425.
50 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

standes in der jüdischen Freiheitsbewegung eine Spaltung eintrat,


wurden Parteien sichtbar 1). Eine von diesen, die aus dc;n Anhängern
des ermordeten JVlenahem bestand, nennt J osephus von nun an
O"LxapWL 2). Diese hatten sich in der Burg Masada am Toten JVleer
festgesetzt, unter dem Befehl eines Eleazar S.d.Ari, der ein naher
Verwandter des JVlenahem war 3). Für den weiteren Verlauf des
Krieges waren sie ohne Bedeutung; der Unterwerfung durch die
Römer zogen sie am Ende den gemeinsamen Selbstmord vor 4).
Auch die jüdischen Rebellen, die nach Beendigung des Krieges in
Judäa nach Ägypten flohen, nennt Josephus crtxapLOL 5). Flüchtlinge
aus .lVlasada können die letzteren, zumindest nach dem Bericht des
Josephus, kaum gewesen sein, da ja die dortige Besatzung Selbstmord
beging. Gegen ihre Herkunft aus Jerusalem spricht, daß Josephus die
Verteidiger der Stadt gegen Titus stets von den "Sikariern" unter-
scheidet 6). Wirkliche Klarheit läßt sich in diesem Punkt kaum mehr
erlangen. Entscheidend ist jedoch, daß die "Sikarier" in Ägypten
durch ihr Bekenntnis zur "Alleinherrschaft Gottes" eng 1mt dem
Organisator und geistigen Vater der jüdischen Freiheitsbewegung,
Judas dem Galiläer, zusammenhingen 7). An anderer Stelle, in seiner
großen Schlußabrechnung mit den Aufrührern, verbindet J osephus
die Sikarier unmittelbar mit Judas, dem schon genannten Urheber
des ganzen "Übels": Damals schon - nach dem Census des Cyrenius
- seien die Sikarier aufgestanden (-rOTZ-yap oi crtxapwL O"uveO"TIjO"!XV) 8)
u.nd hätten allen Friedenswilligen den I<::ampf angesagt. Diese
Verbindung hatte nicht nur eine ideelle, sondern zugleich eine
dynastische und daher wohl auch organisatorische Ursache: Die schon
genannten Führer der Sikarier 1-Ienahem und Eleazar S.d.Ari waren
Nachkommen des Galiläers Judas 9). Da die Bezeichnung "Sikarier"
erst wenige Jahre vor Ausbruch des jüdischen K_rieges in Palästina
eingeführt wurde und außerdem die lateinische Grundbedeutung der
einheimischen Bevölkerung wohl kaum bekannt war, ist es hier-

1) b 2,441-448; 2,564f; 4, 138f; 5,2ff u.ö.; s. u. S. 373ff. 376ff.


2) b 2,653 noch A71O"TCXL; b 4,400ff: ot rrpoO"cxyopt::u6!J.t::vo~ Q"LXap~oL.
vgl. auch 4,504: A71O"TCXL 516f: crLxapLOL.
3) b 2,447; 7,399. S. u. S. 338 A. 5.
4) b 7,253.275-406.
5) b 7,410ff. 437; s. u. S. 266f.
6) Vgl. die Aufzählung der Verteidiger b 5,248ff.358; 6,92.148.
7) S. u. S. 93.
8) b 7,254 vgl. 262. S. u. S. 340ff. u. S. 338ff.
9) b 2,433. 447; 7,253. S. u. S. 81.
DIE SIKARIER 51

im Gegensatz zu dem Begriff AYl(J-:'~C; - möglich, daß das ursprüng-


lich von Fremden gebrauchte Schimpfwort später von den Anhängern
der so benannten Grl1ppe als "Ehrenname" übernommen wurde 1).
Selbstverständlich kann der Begriff nicht deren ursprüngliche Eigen-
bezeichnung gewesen sein.
Im grjechischen Schrifttum nach Josephus hat sich die Bezeichnung
(J~XC<PWL nur noch bei einigen Kirchenvätern erhalten 2). Wesentlicher
ist jedoch das Vorkommen des Begriffs in der rabbinischen Literatur.

3. Die Sikarier in der rabbimschen Literatur


Die :Mischna nennt die l'iR"t;> nur an einer Stelle 3) :
"Einst versteckten die Leute aus Jerusalem Feigenkuchen im Wasser
wegen der Sikarier, und die Weisen erklärten sie als rein."
Sehr wahrscheinlich bezieht sich diese Anekdote auf die Hungersnot
während der Belagerung. Josephus schildert anschaulich, wie die
"Räuber" den Einwohnern J erusalems die letzten Lebensmittel
raubten- 4). Eine andere, spätere Tradition berichtet, die Sikarier
hätten den Kanal, der von Etam her J erusalem mit Wasser versorgte,
zerstört 5). In der 2. Rezension der "Aboth d. R. Nathan" wird erzählt,
die Sikarier hätten vor der Belagerung die Getreidevorräte J erusalems
angezündet 6); nach einer Parallel-Überlieferung wurde diese Ver-
1) Ahnlieh wie die Bezeichnungen "Protestanten", " Hugenotten" , "Geusen"
etc.
2) Hippolyt, Philosophumena 9,26, GCSed. P. Wendland, 1916, 3,260. Die
Sikarier werden hier mit den Zeloten von den Essenern abgeleitet: s. u. S. 73.
Origenes, c. Celsum 2,13, GCS ed. P. Koetschau, 1899, 1,142, berichtet, die
Samaritaner seien wegen dem Festhalten an der Beschneidung als "Sikarier"
getötet worden; d.h. sie fielen nach dem Verbot der B. durch Hadrian unter die
lex Cornelia de sicariis; s. Schürer 1,678 A. 83. Falsch Mommsen, Strafrecht,
638 A. 4. Vgl. G. W. H. Lampe, A Greek Patristic Lexicon, 1233 u. u. S. 54 A. 1.
:1) :i\Jaksch. 1,6: r'p"Oi1 'ltl~ O'~:J l11~':Ji 'l~tlW o'~tv", 'lVlN:J ;'lVY~ V gl.
Dercnbourg 279f A. 3.
-1) b 6,193-213 ll. Ö.
5) Lament. R. zu 4,4 § 7; die Tradition geht auf Abba b. Kahana (2. H. d.
3. Jh. n. ehr. S. Strack, EinI. 142). Die gewöhnlichen Handschriften lesen als
Ort l1'''lni1 und als Urheber O'P'~~ (s. dazu u. S. 54), der verbesserte Text von
S. Buber (Wilna 1899) dagegen O~t'~7:? u. O"P'O : S. A. Büchler, On the provision-
ing of Jerusalcm in the year 69-70 c.e., in Studies in Jewish History, 1956, 102
u. G. Dalman, Jerusalem u. sein Gelände, 1930, 279. Es war wohl ein Terrorakt
aus der Zeit vor Ausbruch des Jüdischen Krieges oder des Simon Bargiora.
Diese \'V'asscrlcitung war ja von Pilatus mit dem Geld des Tempelschatzes aus-
gebaut worden (b 2,175 = a 18,60). Vgl. G. Dalman, op. cit. 279.
6) c. 7. cd. Schcchter, 1887, 20. Nach der 1. Version (c. 6,8) waren es die
O"l-UP, die Zeloten. V gl. dazu b 5,24 u. Tacitus, hist. 5,12.
52 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITS BEWEGUNG

hrennung durch "Ben Battiach", den Schwestersohn R. J ochanan


b. Zakkais und Anführer der Sikarier (1"'jP~O I1)N'), veranlaßt 1). Eine
weitere Parallelstelle nennt diesen Führer der Aufständischen "Abba
Siqera, den Banditenhäuptling in Jerusalem" (~l'~j:J 11)'" N'P"O N:JN
C?I1)""i) 2). Hier ist die Bezeichnung "Sikarier" fast zu einem
Eigennamen geworden; vermutlich handelt es sich um eine Weiter-
entwicklung älterer Überlieferungen. Einmal wird auch von dem
besonderen NI aß der Sikarier gesprochen; es ist die einzige Stelle,
wo man sich fragen kann, ob eine Beziehung auf die Sikarier des
Jüdischen I<:.rieges vorliegt 3).
Überraschend ist, daß die rabbinische Tradition - mit Ausnahme
der letztgenannten Stelle - die Bezeichnung "Sikarier" stets auf die
Aufständischen in Jerusalem bezieht und dadurch in einem gewissen
Widerspruch zu J osephus steht 4). Vielleicht haben wir hier eine im
Grunde ältere Form des Sprachgebrauchs vor uns, da anzunehmen
ist, daß zumindest die römischen Behörden die Bezeichnung "sicarü"
seit der Einführung des Begriffs unter Felix auf alle jüdischen Frei-
heitskämpfer allsgedehnt haben. Die Doppelüberlieferung in den
Aboth d. R. Nathan stellt den "Sikariern" der 2. Rezension in der
ersten Rezension die "Eiferer" (C"Nlp) gegenüber 5). NIan scheint
hier ohne Unterschied beide Begriffe für die Aufständischen in
J erusalem verwendet zu haben. Die in der Regel auf bestimmte
Gruppen einschränkende Verwendung beider Bezeichnungen bei
J osephus erklärt sich vielleicht daraus, daß nach der Aufspaltung
der jüdischen Freiheitsbewegung die verschiedenen Parteien die
genannten Begriffe als Selbstbezeichnungen an sich zogen 6).
Da der Name (HX.cX.pLO~ in gleicher Weise wie das verwandte A"ncr'C'ClL
der jüdischen Aufstandspartei von den Gegnern beigelegt wurde
und im Grunde nur auf die heimtückische I<:'ampfestaktik hinweisen
wollte, erhalten wir daraus ebenfalls keinen Aufschluß über das
eigentliche Wesen dieser Bewegung.
Exkurs IU: Das Sikarikongesetz
Lange Zeit glaubte man, daß auch das rabbinische 1;P~!R.~9 in Zusam-
1) Eeel. R. zu 7,12. Hier ist 1~!R.9 anstatt P'Op zu lesen.
2) Git. 56a; vgl. Lament. R. zu 1,5 § 31: Hier wird der Führer noch Ben
Battiaeh genannt. Zum unsinnigen Vorwurf einer Fehlübersetzung durch S. Zeitlin
JBL 81 (1962) 398 s. J. Klausner, Historiyah 5,230 und Jastrow Dict. 2,986.
3) J. Sota 20b, 69 nach R. Oschaja um 200 (Strack, EinI. 135).
4) S. O. S. 50. 5) S. u. 68f.
ß) S. dazu o. 51 A. 1 u. unten S. 373ff.
DIE SIKARIER 53

menhang mit den mx,eXpLm des J osephus stehe: Es geht bei diesem
Begriff stets um den Erwerb und Besitz von Grundstücken bzw. Sklaven,
die unter dem Druck fremder Gewalt ihren Besitzer wechselten. Dabei
kann das Wort diese Güter selbst, die neuen Besitzer derselben, sowie
_auch das Gesetz bedeuten, das den Besitzwechsel und Erwerb der
fraglichen Güter regelt 1). Man war der Ansicht, die Sikarier hätten
schon vor dem Jüdischen Krieg durch Drohungen und Erpressung
fremden Besitz an sich gerissen, und das Sikarikon-Gesetz gälte nun
zum Schutze der beraubten Besitzer 2). Elbogen zeigte dann, daß der
Begriff mit den Sikariernvor und während des Jüdischen Krieges direkt
nichts zu tun habe, er beziehe sich allein auf den während und nach dem
Kriege vom römischen Staat enteigneten Besitz, insbesondere an Grund
und Boden. Die Herkunft des Wortes ließ er offen 3). Es folgten ver-
schiedene Deutungsversuche, die auf termini technici der griechischen
Rechtssprache zurückgriffen 4), aber sprachlich nicht befriedigen können.
Jastrow vermutete im Anschluß an Elbogen "a disguise of X,CX,Lcrctp[KLOV" 5),
d.h. das vom kaiserlichen Fiskus beschlagnahmte Land, doch fehlen zu

1) Die in Frage kommenden Stellen sind: Git. 5,6; Tos. 5,1 (Z. 328); jet. 47b,
18ff; bab. 44a u. 58b; Bik. 1,2; T.A.Z. 3,16 (Z. 464); T. Terum. 1,6 (Z. 25):
Hier erscheint zwar der Begriff "Sikarikon" nicht, jedoch die Sache; J\iIek. Ex.
23,19 (L. 3,187); S. Dt. 26,2 § 297. ed. Friedmann; B. B. 47b.
2) SO B. Graetz, Das Sikarikongesetz, Jahrbuch d. jüd. theol. Sem. Breslau
1892; F. Rosenthal, MG\VJ 37 (1893), lff.57ff. 105ff; S. Krauß, Zur griech. u.
lat. Lexicographie ... , Byzant. Ztschr. 2 (1893), 511ff; J. Levy, Neuhebr. u.
Chald. Wörterbuch, 1876ff 3,518f; ihm folgt Schürer 1,574 A. 31. Graetz u.
Rosenthai nahmen an, daß das Sikarikongesetz vom Synhedrium schon vor der
Zerstörung J erusalems erlassen worden sei. Rosenthal vermutet darüber hinaus
allerdings noch ein 2. Stadium, wo nicht mehr die Sikarier als Erpresser auftraten,
sondern der römische Fiskus, der nach dem Kriege große Teile des Landes
enteignet habe. S. Krauß, Griech. u. lat. Lehnwörter im Talmud, J\iIidrasch u.
Targum, 1899, 2,392f glaubte, in vielen Fällen müsse statt l'P"'P"O einfach
7"'P"O gelesen werden. l'P"'P"O selbst leite sich von mKctpLXoV, einer Parallel-
bildung von A:(jcr't'PLKOV, ab; die Bedeutung sei dieselbe: "Das Räuberwesen und
alles, was damit zusammenhängt".
3) l'P"'P"O eine Studie, MGWJ 69 (1925), 249-257. Zur Landenteignung nach
dem Kriege vgl. b 7,216f. Siehe auch S. Klein, Neue Beiträge zur Geschichte u.
Geographie Galiläas, Pal.-Studien H. 1 (1923), 15ff. Für die Ansicht Elbogens
spricht vor allem j. Git. 47b, l1ff. Dort zeigt sich eindeutig, daß die Enteignungs-
aktion von Rom ausging, während des Krieges schon begann und nach seiner
Beendigung fortgesetzt wurde. An mehreren Stellen werden die unrechtmässigen,
neuen Besitzer - zu denen wohl auch Josephus gerechnet werden kann (s. o. S. 7
A. 2) - den Räubern, Dieben oder auch den Gewalttätigen gleichgestellt:
s. Bik. 1,2; T. Ter. 1,6 (Z. 25), u.ö.
4) S. Feist, Zur Ethymologie von l'P"'P"O, MGWJ 71 (1927), 138-141, will
es von dem griechischen Rechtsbegriff VOfLOC;; crUYKp[VWV ableiten. A. Gulak,
Tarbiz 5 (1933/34),23-27, legt ihm den hellenistischen Rechtsbrauch der Zwangs-
versteigerung UTCO K~PUKL oder cruVx.-~PUXL zugrunde. Ihm folgt auch N. N.
Glatzer, Geschichte der talmudischen Welt, 1937, 29.
5) Dictionary, 2,986. Allerdings erscheint in dem P. Oxy. 477,5 nur das Adjektiv
KctLcreXpe:wc;;, "dem Caesar, zu seinem Besitz gehörig": LiddelI-Scott, 860.
S4 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

diesem an sich einleuchtenden Deutungsversuch die entsprechenden


sprachlichen Parallelen. Eine neuere Untersuchung weist darauf hin, daß
nach Kirchenvätern und römischen Rechtsquellen seit Hadrian die
Beschneidung der Kastration gleichgesetzt und nach der lex de sicarüs
geahndet wurde 1). "P~'P~O deute daher auf die als Strafe für die V 011-
ziehung der Beschneidung verhängte Vermögensenteignung hin. Diese
Ableitung aus der "lex de sicarüs" kommt wohl der Wirklichkeit am
nächsten, doch muß deren Anwendung nicht erst als eine Folge des
Verbots der Beschneidung durch Hadrian angesehen werden. Auch die
"Sikarier" während des Jüdischen Kriegf"s konnten auf Grund dieses
Gesetzes verfolgt und ihres Besitzes beraubt werden 2). Insbesondere
nach dem Kriege nahmen die Konfiskationen ein ungeheures Ausmaß-
an, sodaß die Rabbinen versuchten, durch die "Sikarikon-Bestimmungen"
der Verschleuderung jüdischen Grundbesitzes und Eigentums Einhalt
zu gebieten. Nach dem Bar-Koseba-Aufstand trat wohl wieder eine
ähnliche Lage ein wie nach 70 n. Chr., deren Folgen bis in die Zeit
Rabbis nachwirkten 3). Während dieses ganzen Zeitraums mögen die
"Sikarikon-Bestimmungen" in Kraft gewesen sein.
Trotz der Arbeit Elbogens und anderer "Vertrat Klausner 4) weiterhin
die Ansicht, daß sich der Begriff 1'P""P"O auf Glieder der jüdischen
Freiheitsbewegung beziehe. Er brachte dabei zwei rabbinische Aussagen
über Galiläa miteinander in Verbindung :
"In Galiläa hat man immer die Möglichkeit von ,Sikarikon' in Be-
tracht zu ziehen" 5).
"Oh Galiläa, Galiläa! Du hast die Tora verachtet, du wirst bald mit
den Erpressern zu tun bekommen" 6).
Unter diese.n "Erpresfern" 7) versteht Klausner "sich in Banden zusam-
menrottende Zeloten". Demgegenüber ist jedoch die Deutung S. Klein's
vorzuziehen, der in den "Erpregsern" (C"P"~??) die von den Römern
eingesetzten neuen Landbesitzer sieht 8). "P~iP"O und C'lP"~~ können
so zwar durchaus denselben Sinn haben, nur sind eben damit nicht die
"Sikarier" vor und während des jüdischen Krieges gemeint, sondern
die Günstlinge Roms nach Beendigung desselben 9).

1) S. Safrai, Sikarikon, Zion 17 (1952), 56-64. V gl. auch die o. S. 51, A. 2 ange-
führte. Origenesnotiz.
2) Zur zeitlichen Festsetzung s. o. S. 53 A. 3. Bezeichnenderweise berichtet die
Gemara beider Talmude zu Mischna Git. 5,6, wo die Sikarikonfrage am ausführ-
lichsten behaD.deit wird, eingehend über den Krieg unter Vespasian u. Titus.
3) S. Git. 5,6, vgl. dazu S. Safrai, op. cit.; vgl. auch M. Avi-Yonah (0. S. 41
A. 5), 29f.
4) Jesus v. Nazareth, 3. A. 1952,229 A. 130. 5) J. Git. 47b,20. Bar.
6) J. Schab. 15d,50. Bar. Jochanan ben Zakkai zugeschrieben.
7) ü"P~O~ = C~P'l~~ s. B.Q. 116 b.
8) Op. cit. 16ff.
9) B.Q. 5,1: "Wenn jemand von seinem Nächsten ein Feld geraubt hat ("iU)
und ,Erpresser' (C"P"~~) es ihm weggenommen haben ... "
BARJONE UND GALILÄER 55

C. BARJONE UND GALILÄER

1. Die BaJjone ('~;"l~)


In einer schon erwähnten Stelle gibt der babylonische Talmud
den Aufständischen in Jerusalem noch einen besonderen Namen:
"Unter ihnen waren Barj one, und als die Rabbanan rieten, hinaus-
zugehen und mit jenen (den Römern) Frieden zu schließen, ließen es
diese nicht zu" 1).
An derselben Stelle wird darüber hinaus zweimal von einem "Abba
Siqera, Haupt der Barj one in Jerusalem" gesprochen. Außerdem
antwortet J ochanan b. Zakkai dem Vespasian:
" ... und auf Deinen Vorhalt, warum ich bis jetzt nicht gekommen
bin, (erwidere ich:) die Barj one unter uns ließen mich nicht" 2).
Nlan könnte daraus schließen, daß "Barjone" ('~;"l~ PI. von N~;'Il~
bzw. N~;"'T~; hebr. 1;""1~, PI. C'l~;""1~) 3) eine reste, ursprüngliche
Bezeichnung für die Zeloten war. Für diese Deutung setzte sich
besonders R. Eisler ein 4); er begründet sie durch eine Ableitung
des Begriffs, die schon bei Levy zu :finden ist 5). Danach wurde das
Wort aus der Wurzel j~; Nl.~ gebildet 6). Das englische "outcast',
oder "outlaw" würde wohl am ehesten den Sinn dieses Begriffes
wiedergeben. NI an könnte sich sehr gut vorstellen, daß die in unzu-
gänglichen Gebieten, in Wüsten und Höhlen hausenden Aufrührer
diese Bezeichnung von ihren Volksgenossen erhalten hätten 7).
Gegen eine solche Beziehung des Begriffs auf die jüdischen' A"{)CJT!Xf.
vor 70 n. Chr. spricht allerdings, daß der Bericht des babylonischen
Talmud über die Belagerung Jerusalems und das Schicksal des R.
Jochanan b. Zakkai sich beim Vergleich mit seinen rabbinischen
1) Git. 56a; Übersetzung nach L. Goldschmidt 6,364.
2) Git. 56b; Übersetzung n. G. 6,365 (s" o. S. 52, A. 1).
3) G. Dalman, Aram.-Neuhebr. Wörterbuch, 3. A. 1938; J. Levy op. cit.
1,266; eine Übersicht der in Frage kommenden Stellen gibt S. Krauß, op. cit.
2,165f. Vgl. jetzt]. Nedava, JQR 63 (1973), 317ff.
-1) 2, 67f. s. auch L. Goldschmidt, 1,38, A. 392: "Barione wohl ursprünglich
der Name einer Kriegspartei in J erusalem .. .; später Rohlinge, Strolche".
5) Op. dt. 1,266; vgl. Jastrow, Diet. 1,193.
6) "Draußen"; aber auch "unbebautes Land, Wald, \Vildnis"; Adj. "in der
\Vildnis lebend". Vgl. das entsprechende syrische t<.....'::l = agrestis, externus,
profanus, s. C. Brockelmann, Lexicon Syriacum, 2. A. 1928, 88.
7) S. Baron, A Sodal and Religious History of the Jews, 1937, 1,220, sieht in
ihnen "sodal outcast", die ihr Glück im bewaffneten Aufstand gegen Rom
suchen.
56 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Parallelen als eine legendär erweiterte Spätform ausweist 1). Auch


das sonstige Vorkommen des Begriffs gibt keine Hinweise auf eine
mögliche Verbindung zwischen den "Barjone" und den Zeloten 2).
S. Krauß versuchte daher eine völlig andere Erklärung 3). Er ging
von den Königsgleichnissen der Midraschim aus:
"Ein Gleichnis von einem König, den seine Barj onim in dem
Purper, den er anhatte, beschimpften ... " 4).
"Ein Gleichnis über einen Barj on, der das Standbild des Königs mit
Steinen bewarf; da Iottete sich alles zusammen ... " 5).
"Ein Gleichnis über einen Barjon, der, da er betrunken war, den
Kerker sprengte, die Gefangenen herausließ, das Bild des Königs mit
Steinen bewarf, dem Statthalter fluchte und sprach: Zeiget mir nur, wo
der König weilt, ich will ihn das Recht lehren" 6).
Nach der Meinung von S. Krauß waren die "Barjonim" nichts
anderes als die Prätorianer (praetoriani = "l," (-,,~) i:l), die sich ja
mehrfach im Laufe der römischen Geschichte gegen ihre kaiserlichen
Herren empörten. In der oben zitierten Stelle Gittin 56 b übersetzt
S. Krauß darum "l~;"l~ mit "Wächter" 7). Doch können hier nur die
Zeloten gemeint sein, und es ist sehr unwahrscheinlich, daß aus den
"praetoriani" schließlich eine Bezeichnung für die Zeloten wurde,
ganz abgesehen davon, daß die sprachliche Ableitung als ziemlich
gewaltsam erscheint. Jastrow 8) trennte aus diesem Grunde die
beiden Begriffe: N~i"l~ pI. "~;"ll~ bedeutet nach ihm "rebel, outlaw",
dagegen hat 1;"'1~ pI. c"~;"'1~ (man beachte die veränderte Vokalisation)
den Sinn von "palace-soldier,' castle-guard", abgeleitet von :-tT~
Residenz, Festung, Tempel. Diese Lösung mag die größte \Vahr-
scheinlichkeit besitzen, obwohl auch sie nicht ganz befriedigt. Einmal

1) Eccl. R. zu 7,12; Lament. R. zU 1,5 § 31; ARN 4,6 cd. Schcchtcr S. 23.
Es erscheint hier der Begriff in keinem Falle. Auch der Name "Ben Battiach"
(Eccl. R. zU 7,12 u. Lament. R. zU 1,5; vgl. außerdem Kelim 17,12) ist wohl
ursprünglicher als der Phantasiename "Abba Siqera" in Git. 56a.
2) Ber. 10a; Taan 23b u. Sanh. 37a; "Barjone" bedeutet in diesen teils auf
R ..Meir, teils auf Abba Chilkia, den Sohn des Regenbitters Choni, teils auf
R. Zera bezogenen verwandten Traditionen wohl nicht mehr als schlechte,
zügellose :Menschen.
3) Vgl. vor allem Mon. Tal. V Nr. 343b A. 7. In "Griech. u. Lat. Lehn-
wörter ... " 2,165 hatte er noch eine Ableitung von eppoupwv = Soldat, Offizier
vorgeschlagen.
4) Ex. R. 30,18.
5) Jalqut (Esther) 2,1056 (Mon. Tal. V Nr. 202).
6) Ex. R. 30,11 (Üs. n. Wünsche 228).
7) Mon. Tal. V Nt. 128.
8) Op. cit. 1,193. Ähnlich J. Nedava JQR 63 (1973) 321.
BAR]ONE UND GALILXER 57

erscheinen N~i"l~ u. 1;""~ nebeneinandergestellt lediglich als aramäische


und hebräische Form desselben Wortes, außerdem ist die Vermutung
nicht völlig abzuweisen, daß die Gleichnisse, die die Zerstörung von
Kaiserbildern durch "Barjonim" berichten, möglicherweise doch die
erbitterte Feindschaft jüdischer Aufrührer gegen die Kaiserverehrung
als Hintergrund haben 1). Schließlich ist es auch an einigen Stellen
fraglich, unter welche der beiden Bedeutungen das Wort eingeordnet
werden soll 2).
R. Eisler legte auf die zelotische Deutung des Wortes "Barjona"
deshalb solchen Wert, weil er damit den Nachweis zu führen suchte,
daß Simon Petrus, nach NIt 16, 17 BC<.pr,cuva genannt, ursprünglich
Zelot gewesen sei 3). Gegen diese Vermutung, die neuerdings auch
von O. Cullman 4) aufgenommen wurde, erheben sich jedoch-
abgesehen von der immer noc~ ungeklärten Deutung des Begriffs
"Barjona" - auch aus dem Zusammenhang der Evangelien heraus
schwerste Bedenken. Wahrscheinlich trifft die griechische Über-
setzung des BC<.pLUlVii von NIt 16, 17 in J oh 1,42 und 21,15 doch den
richtigen Sachverhalt 5).
Es bleibt somit sehr unsicher, ob die jüdischen Aufständischen
vor 70 n. Chr. jemals von ihren Stammesgenossen als "~;"l~ im
Sinne von "outlaws" bezeichnet wurden. Der bis auf wenige Aus-
nahmen relativ spät erscheinende Begriff hat eine zu geringe Basis,
als daß daraus weitere Schlüsse, insbesondere auf die Evangelien,
gezogen werden dürften.
2. Die Gali/äer
Judas, der Organisator der jüdischen Freiheitsbewegung, trägt in
Apg 5,37 und in der Regel auch bei Josephus den Beinamen (0)
rC<.ALAC<.~OC; 6). Schon der hartnäckige Widerstand in GaIiläa gegen

1) VgL Phi1o, leg. ad C. 200f (M 2,575), die Zerstörung eines Kaiseraltars


durch die Juden in J amnia.
2) VgL Mek. Ex. 17,8 (L. 2,138); j. Qidd. 61a,45 u. Tanch. N.,N 8 (ed. Buber
p.23f). 3) Op. cit. 2,67f.
4) Der Staat im Neu-en Testament, 2. A. 1961, 11f; Jesus und die Revolu-
tionären seiner Zeit, 1970, 22f.
5) L:(!-Lwv 6 u[OC; 'IwtX.vvou. V gl. auch das Nazaräerevg. Hennecke/Schneemelcher,
Neutest. Apokryphen 4. A. 1968 1,96 Nr. 14. Nach Mk 1,30 u. 1. Kor 9,5 war
Simon verheiratet, besaß ein Haus in Kapernaum (Mk 1,29) und ging mit
seinem Bruder Andreas dem Fischerhandwerk nach (Mk 1,16). Dies stimmt mit
der Vorstellung eines "outlaw" in der Wüste wenig überein. Vgl. auch J. W. Jack,
The historie Christ, 1933, 187ff; G. Dalman, Grammatik d. jüd.-pal. Aramäisch,
2. A. 1905, 179 A. 5 u. W. Bauer, Wörterbuch z. N. T. 7. A. 1971,265.
6) b 2,118 civ-Yjp rCXALACXLOC;; 2,433; a 18,23; 20,102. Vgl. CIJ 1285, 5.14; 1286,10.
58 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Herodes und der Aufstand in Sepphoris beim Thrortwechsel nach


dem Tode des K.önigs zeigen, daß diese Provinz von Anfang an ein
Zentrum des Widerstandes gegen die Fremdherrschaft gewesen war 1).
Die von J osephus gerühmte Tapferkeit und Freiheitsliebe der
Galiläer 2), ihr Stolz und ihr Gesetzeseifer 3) erklären diese Haltung.
Besonders in der "Vita" erscheinen die Galiläet häufig als eifrige
Verfechtet des Aufstandes gegen Rom 4); aber auch später in J eru-
salem übertraf das mit J ohannes von Gischala in die Stadt gekom-
mene CJtN't'aY!-La TWV raA~Aa[U)v alle anderen Gruppen an Tollkühnheit
und Grausamkeit 5).
Wenn so die zelotische Bewegung von einem Galiläer gegründet
wurde und in diesem Gebiet besonderen Rückhalt fand, wäre es
durchaus verständlich, daß die Anhänger jenes Judas ebenfalls
"Galiläer" genannt wurden. Eine Reihe zerstreuter Nachrichten
deuten in diese Richtung.
Die JYlischna überliefert ein eigenartiges Streitgespräch zwischen
einem "galiläischen Häretiker" C7~7~ 1~~) und Pharisäern 6) :

"Ich klage euch an, Pharisäer, die ihr den Namen des Herrschers
(~W;~) mit dem Namen ß,loses in die Scheidebriefe schreibt. Die Pharisäer
erwiderten: Wir' klagen dich an, galiläischer Häretiker, denn ihr schreibt
(den Namen) des Herrschers und den (Gottes-) Namen in (eine) Spalte
(Z"J1~). Und noch mehr, ihr schreibt den Namen des Herrschers oben
und den (Gottes-) Namen unten, denn es heißt: ,und der Pharao
sprach: Wer ist ]HWH, dessen Stimme ich. hören sollte, Israel zu
entlassen" .

1) b 1,204ff = a 14,158ff; b 1,303ff = a 14,413ff; b 2,56 = a 17,271.


2) b 3,41f.
3) J. Keth. 29b,37f.; M.Q. 23a; Pes. 55a, s. E. G. Hirsch, Art. Galilee, J. E.
5,554. Vgl. auch G. Dalman, Orte u. Wege Jesu, 3. A. 1924, 7ff. Der radikale
Galiläer Eleazar drängte Izates von Adiabene zur Beschneidung a 20,43. Der
galiläische "Räuber" in den Höhlen von Arbela tötete sich und seine ganze
Familie, anstatt sich dem Herodes zu ergeben: a 14,429f.
4) Vita 39, aus der Rede des Justus v. Tiberias: vüv dVCXL XCXLPOV &pcxfLevou<;
Ö7tACX XCXL rCXALACXLouc; O"ufLfLcX.xoUC; rrpoO"Acxß6v't"cx<;. V gl. weiter 99.102.143.177.262.
306.311. Es ist bezeichnend, daß außer in Jerusalem nur in dem galiläischen
J otapata und dem an Galiläa angrenzenden Gamala ernsthafter Widerstand gegen
die Römer geleistet wurde.
5) b 4,558.
6) Jad. 4,8. Die zensierten Ausgaben haben "v'j~. J. Levy, Wörterbuch 4,174b
will hier den Mitbegründer der Zelotenpartei, den Pharisäer Zadduk (a 18,4)
sehen. Die Tosefta bringt die Anekdote in verstümmelter Form (T. Jad. 2,20)
(Z. 684). Die Kritik a~ den: Pharisäern geht hier von den l",ntV 'I~:m~, einer
jüdischen Taufsekte aus.
BARJONE UND GALILÄER 59

Schon A. Geiger 1) und H. Graetz 2) vermuteten in dem ~7~7~ r~ einen


Anhänger des Judas Galiläus, der als Erster die Forderung erhob,
ein Jude dürfe- außer Gott keinen anderen Henn anerkennen 3) ..
Der hier erwähnte Galiläer greift die Pharisäer an, weil sie auf den
Scheidebriefen im Datum den Namen des jeweiligen Henschers
nennen, der so in der Urkunde neben dem Namen NIoses erscheint 4).
Die Pharisäer kehren die Anklage in ironischer Weise um: Wir
klagen euch an, daß ihr (in der. Tara) Henscher- und Gottesnamen
in eine Spalte schreibt und zwar~ wie Ex 5,2 zeigt, den Namen des
Herrschers zuerst. Die Pointe wäre dann: Was in der Tara möglich
ist, ist in einem Scheidebrief erst recht erlaubt, und zugleich würde
auch die Hauptthese der jüdischen Freiheitsbewegung abgewehrt,
daß um der Henschaft Gottes willen alle irdischen Herrscher ihren
Rechtsanspruch verlieren 5). Obwohl einer Deutung des "galiläischen
Häretikers" auf einen Anhänger des Judas Galiläus selbstverständlich
auch widersprochen werden kann 6), erscheint dies doch als die
bestmögliche Erklärung dieser schwierigen Stelle 7).
Bei Justih 8) und bei Hegesipp 9) finden wir jeweils eine Aufzählung
jüdischer Sekten, wobei u.a. auch "Galiläer" aufgeführt werden 10).

1) Urschrift u. übersetzungen der Bibd, 1857, 2. A. 1928,35 Am. Allerdings


spricht G. dortirrtümlich von einem "Galiläer Theudas", wohl eine Verwechslung
auf Grund von Apg 5,36. Vgl. dagegen Bill. 4,351 A. 1.
2) H. Graetz, Geschichte der Juden, 2. A. 1863, 3,209f.
3) S. U. S. 93ff.
4) V gl. Git. 8,5; s. auch G. Lisowsky, Die Mischna, Text, übersetzung u.
ausführliche Erklärung hrsg. v. G. Beer etc. VI, 11, Jadajim, 1956, 80.
5) Die Deutung von G. Lisowsky op. cit. 81 ist wenig überzeugend. Wenn
diese Häretiker ihrerseits auf den Scheidebriefen den Herrscher- u. Gottesnamen
verwendet hätten, würde ihr Vorwurf gegen die Pharisäer grundlos. "Auf (einem)
Blatt" bzw. "Spalte" bezieht sich auf die Thora.
6) Bill. 4,351; L. Goldschmidt 12,853 A. 31: "Offenbar handelte es sich um
einen Judenchristen, der außer Gott keinen Herrscher anerkannte". S. Lieber-
man, JBL 71 (1952) 205 sieht in dem galiläischen Häretiker möglicherweise
einen Essener. Nach b 2,145 wird "der Name des Gesetzgebers" bei ihnen
besonders geschützt. Auch die Parallele T. Jad. (s. o. S. 58, A. 6) würde dadurch
verständlich. Daraus erhebt sich jedoch wieder die Frage nach einer möglichen
übereinstimmung zwischen Essenern und Zeloten: s. u. S. 287.
7) Außer Geiger u. Graetz s. J. Derenbourg, 161; K. Kohler, Art. Zealots,
J. E. 12,641; J. Klausner, Hist. 4,201; A. Schlatter, G. 1. 434; L. Finkelstein,
The Pharisees, 3. A. 1962,2,819.
8) Dial. c. Tryph. 80,2.
9) Euseb. h. e. 4,22,7.
10) Justin: Sadduzäer, Genisten, Meristen, Galiläer, Hellenianer, Pharisäer
u. Baptisten. Hegesipp: Essäer, Galiläer, Hemerobaptisten (s. d. jüd. Taufsekte),
Masbotheer, Samariter, Sadduzäer, Pharisäer. Die Unabhängigkeit der Listen
60 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Wenn man es überhaupt wagt, diese "Galiläer" Zu deuten, so wird


man in ihnen am ehesten die Anhänger des Judas vermuten dürfen 1).
Hegesipp und Justin waren schon durch ihre Herkunft mit dem
jüdisch-palästinischen Erbe vertraut; ihren Angaben wird sicherlich
ein historischer Sachverhalt zugrunde liegen.
Auch bei einem antiken Philosophen, bei Epiktet, werden die
"Galiläer" einmal erwähnt 2) :
" ... wie sollte diesen noch ein Tyrann, Bewaffnete oder deren Schwerter
schrecken? Wenn also ein 1Vlensch durch Wa~nsinn (im:o (.Lavta.;) in eine
solche (philosophische) Haltung gegenüber diesen Dingen versetzt
werden kann. oder auch durch Gewohnheit (lmo e:8ou.;) wie die Gali-
läer, sollte da durch Überlegung und Beweis kein 1Vlensch lernen
können, daß Gott alles gemacht hat ... "
Gewöhnlich wird diese Stelle auf die Christen 3) und ihre Haltung
in den Verfolgungen gedeutet; "Daß die Galiläer hier nur Christen
sein können, kann nicht zweifelhaft sein ... , wie sollte Epiktet in
seinen um 110 n. Chr. gehaltenen Vorträgen dazu kommen, hier die
längst ausgerotteten Zeloten des Galiläers Judas ... zu erwähnen,
von denen er schwerlich je gehört hat?" 4). Dagegen ließe sich
zunächst einwenden, daß Epiktet sich schon in den Jahren nach dem
Jüdischen Krieg in Rom befand, wo er von den Ereignissen in
Palästina sehr wahrscheinlich gehört haben wird 5). Außerdem betont
Josephus ausdrücklich, die fanatische Standhaftigkeit der Sikarier
im Martyrium sei weiten Kreisen bekannt geworden:

betont A. v. Harnack, Judentum u. Judenchristentum in Justins Dialog ... TU.


39 (3,9), 1913, 58. Vgl. auch seine Gesch. d. altchrist. Literatur, 1893, 1, 149;
J. T.sMilik, RB 60 (1953), 288 A. 2. u. NI. Black, The Patristic Accounts of Jewish
Sectarianism, BJRL 41 (1958), 287f.
1) So A. Hilgenfeld, Ketzergeschichte des Urchristentums, 1884, 31; G.
Hoennicke, Das Judenchristentum, 1908, 36 A. 1; E. NIeyer, Ursprünge u.
Anfänge des Christentums, 4./5. A. 1925, 2,407; B.-Gr., Rel. 88; H. Karpp, Art.
Christennamen, RAC 2,1131. A. v. Harnack dagegen lehnt jede Deutung ab
(TU 39,59): "Am besten enthält man sich jeder Hypothese".
2) Arrian, diss. 4,7,6. .
3) A. v. Harnack, Mission u. Ausbreitung des Christentums, 4. A. 1924, 412
A. 1. Allerdings taucht die Bezeichnung für die Christen spät auf und ist außer
zur Zeit Julian Apostata's sehr selten: s. op. cit. 413 u. 187; weitere Stellen bei
H. Karpp, loc. cit. In Apg 1,11 u. 2,7 handelt es sich um rein geographische
Herkunftsbezeichnungen. Dasselbe gilt wohl von den "Galiläern" in dem
Bar-Koseba-Brief aus dem Wadi Murabbaat; vgl. J. T. Milik, RB 60 (1953), 276ff.
4) E. NIeyer, op. cit. 3,530 A. 1.
5) Epiktet, geb. gegen 55 n. Chr. im phrygischen Hierapolis, kam früh als
Sklave nach Rom und war dort bei seinem Gönner Epaphroditus, dem Frei-
gelassenen News. S. Oxford Class. Dict. 324.
BARJONE UND GALILÄEN 61

"Ihre Standhaftigkeit, ihr Wahnsinn (cbt'6vOLCX) oder ihre Seelenstärke,


wie man es nennen mag, erregten allgemeines Erstaunen" 1).
Wenn man weiter berücksichtigt, daß die Bezeichnung "Galiläer"
für die Christen vor Julian Apostata sich nur ganz spärlich belegen
läßt 2), wird man der Deutung dieser Epiktetstelle auf die Zeloten
doch ein gewisses Recht einräumen dürfen 3).
Auch jene "Galiläer, deren Blut Pilatus mit (dem Blut) ihrer
Opfer vermischte" (Lk 13,1), hat man schon mehrfach als Zeloten
verstehen wollen 4). Jedoch kann hier, selbst wenn man einen Auf-
stand im Zusammenhang mit einem Passahfest voraussetzt, ebensogut
eine einfa~he geographische Herkunftsbezeichnung vorliegen.
Wenn auch die Nachrichten über eine Bezeichnung der Zeloten
als "Galiläer" zerstreut und relativ selten sind, darf man doch mit
einem gewissen Grad der Wahrscheinlichkeit annehmen, daß jene
teilweise so genannt wurden. Sie hätten dementsprechend eine selb-
ständige "Sekte" neben den anderen jüdischen religiösen Gruppen
gebildet, und ihr Ursprung würde - schon auf Grund ihres Namens
- in dem Wirken des Galiläers Judas zu suchen sein.
D. DIE "EIFERER"

1. Der griechische Sprachgebrauch


Als inhaltsreichste Bezeichnung für die Glieder der jüdischen
Freiheitsbewegung finden wir bei J osephus den Begriff ~'ljAuYt"~~.
In seinem ursprünglichen Sinn bedeutet dieses von ~ 'ljAOUV abgeleitete
\Y/ ort 5) einen :Menschen, der sich ganz für eine Sache einset7.t, die
er sich zu eigen machen will: Nacheiferer, Nachahmer, Verehrer.
Das Wort taucht relativ spät, erstmalig im 4. Jh. v. ehr. auf 6).

1) b 7,417; vgl. a 18,23f: "Da ihre Hartnäckigkeit (im Martyrium) indes


allgemein durch Augenschein bekannt ist, glaube ich von weiteren Bemerkungen
über sie absehen können". So konnte Josephus noch gegen 93/94 n. Chr. schreiben.
2) s. o. S. 60 A. 3.
3) V gl. auch J. Klausner, Hist. 4,201 u. A. Schlatter, G. 1. 443 u. Die Märtyrer
in den Anfängen der Kirche, BFCT 19 (1915),66 (290) A. 35.
4) So R. Eisler, 2,516-525; S. G. F. Brandon, The Fall oE Jerusalem and the
Christian Church, 1951, 106; H. G. Wood, NTS 4 (1956), 236; O. Cullmann, Der
Staat im Neuen Testament, 1956, 9. Zur Deutung s. u. S. 344. Vgl. jetzt wieder
S. Zeitlin, JQR 64 (1974), 189-203.
5) Sich begeistern für etwas, etwas bewundern, zum Ziel seines Strebens
machen, mit Eifer nachzuahmen suchen, beneiden: s. A. Stumpff, Art. ~7jAOC;;
Th \'V'B 2,884f.
6) V gl. zum Folgenden die Wörterbücher: F. Passow, Handwörterbuch der
gricch. Sprache, S. A. 1841ff, 1,1309; Liddell-Scott 775; W. Bauer, Wörterbuch
zum Neuen Testament, 7. A. 1971, 668E.
62 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

So spricht Plato von ~1JAW't'C.d, EpC<cJ"'t"cd und (.La81J't"d spartanischer


Erziehungsmethoden 1). In diesem Sinne kann ~-'lAW't'~C; auch direkt
den Lernenden bedeuten 2). Gerne wird der Begriff mit den lugen-
den 3) oder auch mit der Fürsorge um das Wohl der Polis verbunden 4).
Auch bei Philo finden wir ihn in dieser streng sachbezogenen Weise,
wobei er - vermutlich wegen seiner zu starken Affektbetontheit-
erstmalig mehr in negativem 5) als in positivem 6) Sinne gebraucht
wird. Selbst Josephus kann ~-'lA6.n-~C; in dieser auf eine lugend bzw.
eine gute Sache bezogenen Weise mehrfach verwenden 7); in ähnlicher
Weise tun es auch das Neue Testament' und die frühchristlichen
Schriftsteller 8).
Der auf Personen gerichtete Sprachgebrauch im Sinne von "Ver-
ehrer", "Schüler", "Anhänger" ist noch späteren Datums 9). Etwa
seit der Zeitwende erscheint jedoch diese Bedeutung immer häufiger.
Plutarch verwendet den Begriff fast ausschließlich im Bezug auf
Personen 10). Epiktet kann einmal von einem ,,~1JAW't'-~C; 't'~c; eXA1J8dac;
xal. LWXp&'t'ouc; xa!. ßWYEVOU::;" 11) sprechen. In der Spätzeit überwiegt

1) Protagoras 343 a; ähnlich Diodoms Sie., bib. hist. 1,73 u. Herodian, ab exc.
divi :Marci 6,8,2.
2) Philodemus, reth. 2,262 (1. Jh. v. Chr.); Diog. Laert. 9,38: Thrasyll (1. Jh.
n. Chr.) über Demokrit: ~.'t"wv 1t'U8a.YOpLXWV d.h. der Lehren der Pythagoräer.
Vgl.auch Jamblich, vita Pyth. (XXVIII) 151,3. Jh. n. Chr.: ~.'t''ijI:;'OpcpE:w<; e:P!-l'fjVELIX<;.
3) Isokrates, ad Dem. 1,11: ~.'t''ljl:; 1t'IX"P(~c(<; &pE't"'lj<;: Epiktet, Arrian diss. 2,12,25.
4) Aeschines, orat. 2,171; W. Dlttenberger, SIG, 3. A. 1915ff, 675,27f u.
756,32; Plutarch II (mor.) 6D: Demosthenes für Athen.
5) Vita Mos. 2,55.161: ~.'t"wv Atyu1t"na.xwv 1t'Aa.crWhwv; ähnlich 2,196; de
Abr. 22; de mut. nom. 93; spec. leg. 1,333; 4,89.91.199 u.ö.
6) De Abr. 33: ~. T'ij<; OLXIXLOcruV'fj<;; 60: Eucrzßdxc; u. apE't"'lj<;; ähnlich spec.
leg. 1,30; de virt. 175 u.ö.
7) b 6,59: die ersten römischen Soldaten, die die Mauer der Burg Antonia
erstiegen, sind ~.'t"'ij<; avopELa.<;; c. Ap. 1,162 wird Pythagoras ein ~. der crOcpLa. u.
e:UcrEtßELa. genannt. Auch jene Stellen, ,vo J osephus im Anschluß an die jüdische
Tradition vom Eifer für Gesetz und Glaube spricht Ca 12,271 u. a. 20,47), konnten
vom hellenistischen Leser im pädagogisch-philosophischen Sinne verstanden
,verden. Typisch die Deutung des Parteinamens ~'fjAW't'IX( b 4,160; s. u. S. 67f.
8) J. Kor 14,12; 1. Ptr 3,13; Tit 2,14; 1. Cl 45,1; ep. Pol. 6,3.
9) Die frühesten Belege auf Inschriften: Dittenberger, op. cit. 717,33: TWV
xcxAALcr't"WV (d.h. der attischen Epheben 100/99 v. Chr.); weiter Strabo 10,5,6(486)
und der Historiker Memnon (I. ]h. v. - 1. ]h. n. Chr.?) in FGrHist 434 F 1,35:
~.'t"'lj<; Acx!-lcX.xou 1t'POIXLPEcre:WC; (d. Taten des Lamachos).
10) S. D. \'<7yttenbach, Lex. Plutarcheum, 1843, 1,393: I (vitae) 357B.504A.
718C.781F U.ö. 11 (moralia) 154C.741D.97SC.
11) Anian diss. 3,24,40.
DIE "EIFERER" 63

diese Beziehung auf menschliche Vorbilder 1). Wenn sich Josephus


in seiner Lebensbeschreibung einen ~"Y)AW't"~~ des Eremiten Bannus
nennt, so entspricht dies durchaus hellenistischem Sprachgebrauch 2).
Von den stoischen ßiIoralphilosophen des 1. Jh. n. ehr. kann das
Wort sogar in religiös-ethischem Sinne auf Gott bezogen werden.
n.lusonius 3) fordert vom König außer einem ethischen Verhalten
auch, daß er ein ~·IJACtyr~~ TOU Ll~6~ werden müsse. Sein Schüler
Epiktet nimmt diese Forderung wieder auf; er richtet sie jedoch an
den Philosophen 4) :
"Wenn die Gottheit treu ist, muß er auch treu sein; ist sie frei, muß
er auch frei sein; ist sie wohltätig, muß auch er wohltätig sein; ist sie
hochherzig, muß auch er hochherzig sein. In seinem ganzen Reden und
Tun muß er sich also verhalten wie ein Nachahmer Gottes (we; 8EOU ...
~'I)AWT"~V)" •

Beide Stellen sind im Sinne der "imitatio Dei" zu verstehen; der


jüdische' "Eifer für Gott" wäre für einen stoischen Philosophen ein
unmöglicher Gedanke gewesen 5).
Sehr selten ist der absolute Gebrauch von ~"Y)A(uT"~~. Die früheste
Belegstelle in einem Fragment Epikurs ist in ihrem Sinne dunkel und
entspricht keiner der üblichen Bedeutungen 6). In der Didache wird
das Wort einmal in negativem Sinne gebraucht neben Ep ~crT~x6~
und 8u!1-~x6c; 7). Sonst erscheint es in absolutem Gebrauch nur noch .
bei sehr späten Schriftstellern wie J amblich und NIarinus in der
Bedeutung "Schüler" bzw. ,;Anhänger" 8). Ein Sonderfall ist die
Übersetzung des N~iC'~ 9) in der Septuaginta mit 8EOe; ~"Y)A(U't"·~C;.
Aus dem adjektivischen Attribut wird damit eine Apposition, die

1) Dia Chrysostomus, orat. 38 (55), 6; Lukian, Hermotimus 14; de hist.


quom. conser. 15; Demonax 48. 2) Vita 11.
3) Fragm. 8. S. 37 ed. O. Hense, 1905. Ähnliches scheint das sehr schlecht
erhaltene Fragment des sonst unbekannten Pythagoräers Sthenidas (Stobaeus
4,7,63) zu verlangen. 4) Arrian diss. 2,14,13.
5) Vgl. A. Heitmann, Imitatio Dei, Roma 1940, 40f. 44 Zu Musonius; H. D. Betz,
Nachfolge u. Nachahmung, 123 A. 3. Wenn nach Apg 22,3 sich Paulus einen
eEOU ~. nennt, so entspricht dies alttestamentlich-jüdischer Tradition, vgl.
Rö 10,2. S. dazu u. S. 181f. 184f. 400. '
6) S. Th. Gomperz, Die Überreste eines Buches von Epikur m::pt cpucrs:wC;,
Wien er Studien, 1 (1879), 30; vgl. Liddell-Scott, 775.
7) 3,2; dazu der bezeichnende Nachsatz: EX ycip 'rou't'wv &nci.v'rwv cp6VOL YS:VVWV'rlJ.L.
Sollte hier eine Erinnerung an die Zeloten vorliegen? V gl. Bo Reicke, Diakonie,
Festfreude u. Zelas, Uppsala Universitets Arsskrift 1951, 383.
8) Vita Pyth. c. 5 (29), Ende d. 3. Jh. n. Chr.; vita Procli c. 38, ed. Boissonade
1814, 5./6. Jh. n. Chr.
9) Ex 20,5; 34,14; Dt 4,24; 5,9; 6,15. Vgl. auch Nah 1,2; s. u. S. 151 u. 181.ff.
64 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEJTSBEWF.GUNG

den Eifer als Wesenszug Gottes besonders heraushebt. Bezeichnend


ist, daß bei allen genannten Beispielen, in denen der Begriff in abso-
luter Bedeutung vorkommt, der Artikel fehlt.
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß ~ 'YJA(J.)"r~t; in der griechischen
Literatur überwiegend in pädagogisch-moralischem Sinne gebraucht
wird. Auch hellenisierte jüdische Schriftsteller machen keine Aus-
nahme. Die Affektbetontheit des Begriffs tritt zurück. Sie ist dafür -
wie noch zu untersuchen wäre 1) - das eigentliche Kennzeichen des
spezifisch jüdischen Sprachgebrauchs, für den es in der griechischen
Welt kein Äquivalent gibt und der nur vom religiösen Bereich her
zu verstehen ist.

2. Die "Eiferer" als Partei inJ "jüdischen Krieg" des josephlls


Im ,,] üdischen Krieg" finden wir das Wort an bestimmten Stellen
im Plural in absolutem Gebrauch und mit Artikel: oi ~'YJA(J.)'r1XL
Dies weist doch wohl darauf hin, daß es sich hier um eine feste
Parteibezeichnung handelt, die sich nach dem oben Gesagten kaum
aus der hellenistischen Geisteswelt ableiten läßt. Es liegt dieser
Bezeichnung vielmehr, wie wir noch sehen werden, eine hebräische
bzw. aramäische Urform zugrunde 2).
Eigenartig ist nun jedoch, daß ]osephus diesen Parteinamen nur
in einem relativ begrenzten Rahmen - dort allerdings ziemlich oft
- verwendet. Wir stoßen auf ihn fast ausschließlich im 4. und 5.
Buch bei der Schilderung des Bürgerkrieges in ] erusalem und des
ersten Teiles der Belagerung. Dabei wird nie die Gesamtheit der
Aufständischen oi ~'YJAu)"r1X[ genannt - diese bezeichnet ]osephus
mit crT1XcrL1XcrTa[ oder 01. JIouSa~oL 3) - , sondern nur eine bestimmte
von den Anhängern des ] ohannes von Gischala, Simon bar Giora
und den Idumäern abgegrenzte Gruppe 4). Ihr Anführer war der
Priester Eleazar S. d. Simon, der nach dem Sieg über Cestius Gallus
in ]erusalem als Haupt des radikalen Flügels eine besondere Rolle
zu spielen begann 5). Gegen das tyrannische Regiment dieser "Eiferer"

1) S. u. S. 146f. u 181ff.
2) b 2,444.564.651; 4, 160ff. 193ff u.ö.; 5,5ff.99ff.250.358.527; 6,92.148; 7,268f:
TO TWV ~'f)A(uTWV xA'f)8EVTWV yEVO~.
3) S. O. S. 44.
4.) Vgl. die Aufzählung der 4 Parteien, die Jerusalem verteidigten: b 5,248ff.
358; 6,92.148.
5) b 2,564; 5,5-21.99ff. b 4,225 werden die Priester Eleazar (mit MVRC
\)to~ L:LfL(Uvo~ statt n(Uvo~) und Zacharias S. d. Amphikallei als die ~ye:fL6ve:<:;
TWV ~'f)AWTWV genannt. S. u. S. 120.
DIE "EIFERER" 65

richtete sich nun der Angriff der zahlenmäßig überlegenen gemäßigten


Partei unter Führung des Hohenpriesters Ananos S. d. Ananos 1).
In das eigentliche Tempelgebäude zurückgedrängt, konnten sich die
"Zeloten" behaupten; der Verrat des J ohannes von Gischala und die
Besetzung der Stadt durch die Idumäer verhalf ihnen schließlich zum
Sieg 2). Zusammen mit diesen errichteten die Zeloten nach den An-
gaben des Josephus eine neue Schreckensherrschaft 3). Auf dem
Lande konnten sie sich jedoch nicht durchsetzen, hier beherrschte
Simon bar Giora das Feld 4). In der Stadt gelang es J ohannes von
Gischala, sich mit Hilfe seiner galiläischen Anhänger zum Herrn
über die "Zeloten" aufzuwerfen 5). Um ihre Tyrannei zu brechen,
wurde schließlich von der Stadtbevölkerung Simon bar Giora
eingelassen, die "Zeloten" mußten sich wieder auf den Tempelberg
zurückziehen 6). Zwischen Johannes mit seinem galiläischen Anhang
und den eigentlichen, wohl überwiegend priesterlichen "Zeloten" 7)
kam es nun zum Bruch, da sich diese der Gewaltherrschaft des
Galiläers nicht mehr länger beugen wollten. Sie konzentrierten sich
zum zweiten :Male auf das eigentliche Tempelgebäude, von dem aus
sie sich gegen Johannes, der den Tempelberg beherrschte, vertei-
digten 8). Während schon Titus vor der Stadt stand, gelang es
J ohannes, sich durch List des Tempels wieder zu bemächtigen.
Viele "Zeloten" flohen in die unterirdischen Gewölbe des Tempels,
andere wurden hingerichtet 9). Die feindlichen Parteien schlossen
jedoch angesichts der sie alle bedrohenden Gefahr rasch wieder
Frieden, wobei die "Zeloten" auch weiterhin im Tempel eine eigene
Gruppe bildeten. Seit dem Beginn der Belagerung führten sie den
Kampf in einer Anfangsstärke von 2400 ßiIann gemeinsam mit
ihren bisherigen Gegnern, den Anhängern des J ohannes. Von den
vier Gruppen, die Jerusalem verteidigten, waren sie die Schwächsten1o).
1) b 4,160-162.193.197.201.
2) b 4,208ff.216.288ff.305ff.
3) b 4,326ff.
4) b 4,514.538ff.556.
5) b 4,389ff.558f.
6) b 4, 574ff.
7) Ihre Führer waren Priester (s. o. S. 64A. 5; s. u. S. 367ff), ihr Hauptstützpunkt
der Tempel b 4,152.196ff.578ff; 5,5ff.98ff. Dies deutet auf eine priesterliche
Majorität in dieser Gruppe hin. S. auch u. S. 380f.
8) b 5,5-10.
9) b 5,100ff.103.
10) b 5,104; 6,92.148. Zur Kampfesstärke vgl. 5,248-250: Die anderen Kampf-
gruppen waren sehr viel stärker: Simon b. Giora 10000, Johannes v. Gischala
6000, die Idumäer 5000 Mann.
66 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Diese eigenartige, scheinbar sehr bestimmte Verwendung des


Parteinamens ()t~"'I)A(u'TaL bei Josephus macht es verständlich, daß
die Behauptung aufgestellt werden konnte, die Bezeichnung sei erst
nach 66 n. Chr. zu einem festen Parteinamen geworden 1); weder die
,,4. Philosophensekte" des Judas Ga,liläus 2) noch die Sikarier
dürften mit ihnen identifiziert werden: "It is the name arrogated to
themselves by the followers of the famous John of Gischala" 3).
Diese Ansicht, die die Entstehung der Partei der "Zeloten" erst
hinter die Ankunft des Johannes v. Gischala in Jerusalem setzen
will, läßt sich jedoch nicht halten. Josephus erwähnt die Zeloten als
feste Gruppe schon gegen Ende des 2. Buches seines "J üdischen
Krieges" 4).
So weigerte sich die Volksversammlung in J erusalem, unmittelbar
nach dem Sieg über Cestius Gallus, den Eleazar S.d.Simon an die
Spitze des Staates zu stellen,
"da sie sein tyrannisches Wesen erkannten und di e ihm ergebenen
Zelo ten sich wie seine Leibwächter benahmen" 5).
Aber auch Eleazar scheint nicht der erste Anführer dieser Partei
gewesen zu sein 6). Bereits NIenahem, der Sohn Judas' des Galiläers
und NIiturheber des Aufstandes, hielt in derselben Weise die Zeloten
als Begleiter um sich. J osephus sagt in dem Bericht über seine
Ermordung:
"Gemäß dieser Verabredung griffen sie ihn im Tempel an, wohin er
in hochmütigem Gebaren, mit einem königlichen Gewande geschmückt,
gefolgt von den bewaffneten Zeloten, hinaufgezogen war" 7).
Ein Vergleich mit dem sonstigen griechischen Sprachgebrauch zeigt,
daß man 'TOUe; ~'l)AW'Tac; nicht mit "seine Anhänger" übersetzen darf;
das Wort ist determiniert und ohne nähere Bestimmung, genau so
wie es auch sonst von J osephus speziell als Parteiname gebraucht
wird 8). Der Schluß liegt nahe, daß schon die Parteigänger jenes

1) Beginnings 1,421-425. 2) S. U. S. 79ff.


3) Op. cit. 1,423.
4) Vgl. z. B. b 2,651.
5) b 2,564.
6) Diese Ansicht vertritt S. Zeitlin, indem er die der Herausgeber der "Begin-
nings oE Christianity" richtig stellt: JQR 34 (1943/44), 381 A. 364: "The party
oE Zealots came into exjstence in the year 66 and was organized by Eleazar ben
Simon".
7) b 2,444: x,aL 'raue; ~·IJA(a)·t"lXe; E:'JorrAOUe; E:cpe:Ax,O[Le:'JOe;.
8) Vgl. schon H. Drexler, Klio 19 (1925), 286; s. S. 64f. 399. Zur neuesten
Diskussion s. M. Smith, HThR 64 (1971), 1ff. u. J.-A. Marin, RB 80 (1973), 334f.
DIE "EIFERER" 67

l\IIenahem die Bezeichnung oi ~'I)A«yrCXL trugen. Daß dieser Name


später nur einer ganz bestimmten Gruppe zugelegt wurde, mag
damit zusammenhängen, daß jener radikale Flügel der Priesterschaft
- wie noch zu erweisen sein wird 1) - ein besonderes theologisches
Interesse daran zeigte, "Eiferer" genannt zu werden. Daß dieser
Name jedoch nicht auf sie allein beschränkt zu werden braucht, geht
aus der Tatsache hervor, daß ihn Johannes von Gischala nach Ge-
winnung der ]\;Iacht in J erusalem ebenso auf sich und seinen galiläi-
sehen Anhang bezogen hat 2). ]\;Iöglicherweise beanspruchten nach
der Aufspaltung der zelotischen Bewegung 3) mehrere konkurrierende
Gruppen diesen Titel, wobei die priesterliche Partei ihr Recht mit
dem stärksten Nachdruck vertreten konnte und der Name daher
ihr zufiel.
In seiner großen Schlußabrechnung mit den jüdischen Aufstän-
dischen im 7. Buch 4) geht Josephus von Judas dem Galiläer aus,
kommt dann auf die Sikarier, J ohannes von Gischala und die Idumäer
zu sprechen und geht erst am Ende - entgegen der historischen
Reihenfolge - auf die "Zeloten" ein. Diese erhalten damit, im
Gegensatz zu den wirklichen ]\;Iachtverhältnissen, eine besondere
Bedeutung; vielleicht deshalb, weil auch J osephus wußte, daß es
sich hier im Grunde nicht um die kleinste Gruppe unter den Ver-
teidigern J erusalems handelte, sondern daß vielmehr die "Eiferer"
an der Vorgeschichte des Jüdischen Krieges einen viel größeren
Anteil hatten, als die Einschränkung des Namens durch ihn zunächst
vermuten läßt 5).
Josephus gibt an dieser Stelle auch eine seiner Auffassung gemäße
Erklärung der Bezeichnung:
"Sie bestätigten ihren Namen durch ihre Taten, denn sie ahm ten
iedes Verbrechen nach (rca.v YIXP xax~ac; EPYOV E:~e:f.L~!J.:~O'av't'o), und
1) S. u. S. 179f.
2) Vgl. b 4,389.ff.566; 5,5ff.93ff: Einerseits nennt Josephus die von Johannes
angeführten Radikalen an manchen Stellen "Zeloten", andererseits beschränkt
er diese Bezeichnung wieder streng auf die Anhänger des Eleazar S.d.Simon
(vgl. z.B. 5,103). Der Irrtum von K. Lake u. Foakes Jackson (s. o. S. 66 A. 1 u. 3)
ist durch diesen nicht einheitlichen Sprachgebrauch des J osephus mitbegründet.
3) S. u. S. 380f.
4) b 7,259-274.
5) b 5,3f spricht J osephus von dem "Angriff der Zeloten gegen das Volk",
der den Untergang der Stadt eingeleitet habe. Zunächst dürfte dies als Hinweis
auf den unter Ananos S.d.Ananos ausbrechenden Bürgerkrieg in Jerusalem
zu verstehen sein, doch könnte man sich fragen, ob Josephus nicht damit zugleich
auf die Zeit der Unruhen vor Ausbruch des Krieges gegen Rom zurückgreifen
will: vgl. 2,264f.
68 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

wenn clie Überlieferung etwas von früheren Untaten berichtete, so


unterließen sie es nicht, denselben nachzueifern ([J.Yj~' .... aUTot
7tapaAm6\JTe:c; ci~'ljAW"t'O'\l). Zwar hatten sie sich ihren Namen auf Grund
des Wetteifers nach dem Guten beigelegt, (in Wirklichkeit) wollten
sie jedoch dadurch entweder gemäß ihrer unmenschlichen Natur clie
unglücklichen Opfer verhöhnen, oder sie hielten die größten Verbrechen
für gute Werke" 1).

Wir ersehen daraus, daß 0 ~·'lA(U't"~s (d.h. seine hebräisch-aramäische


Urform) eine ehrenvolle Selbstbezeichnung war, die einzig ursprüng-
liche, die uns aus der jüdischen Freiheitsbewegung des 1. Jahrhunderts
n. ehr. überliefert ist 2). Auch Josephus kann die positive Grund-
bedeutung dieses von ihm allerdings in hellenistischer Weise und
sehr unscharf gedeuteten Namens nicht verschweigen. Er sagt uns
jedoch nicht, worin der angebliche "Eifer nach dem Guten" (En'
&:Y<X.60 ~·'lAOU!-LEV(uV) bestanden hätte, sondern biegt getreu seiner
allgemeinen Tendenz den Begriff in sein Gegenteil um 3). Vielleicht
liegt aber gerade darin, daß diese Bezeichnung, wie J osephus wohl
wußte, in jüdischen Augen eine sehr positive Bedeutung besaß, der
Grund, warum sie Josephus im Gebrauch so sehr einschränkte und
sie erst aufnahm, als er sie zur Unterscheidung der verschiedenen
Parteien in Jerusalem benötigte. Dadurch, daß er die jüdischen
Freiheitskämpfer vor und während des Krieges rundweg zu "Räu-
bern" degradierte, konnte er die stolze Eigenbezeichnung "Eiferer"
weitgehend vermeiden.
Zur weiteren Klärung ist jedoch entscheidend, ob die "Zeloten"
als Partei unabhängig von J osephus auch in anderen Quellen erwähnt
werden.

3. Die "Eiferer" als Partei in der jüdischen Überlieferttng


In der talmudischen Literatur werden die "Eiferer" -'- unter ihrem
hebräischen Namen C"~~iC 4) - nur an zwei Stellen als Partei erwähnt:
Auf die erste Version der Aboth de R. Nathan wurde schon hinge-
wiesen 5):

1) b 7,269ff. Vgl. auch b 4,160f: "t'oiho (d.h. ~YjAw"t'aL) y~p au't'ouc; ExcX.Ae:crav
WC; E7t' ciya6oi."c; E7tL't"Yjoe:u[J.acrL\I ciAA' ouzt ~·IJAwcra\ITe:c; "t'~ xcX.XLcr't'a TC;)\I EPYW\I
(Text nach Lu. Lat.) u7te:pßaAA6f.Le:\lOL.
2) s. o. S. 42 u. 51; s. u. S. 164f.
3) S. o. S. 16 u. S. 188f.
4) Sing. ~N~iC s. M. Jastrow, Dict., 2,1388.
5) Ed. Schechter, 1887, c. 6. S. 32; s. o. S. 51 A. 6; s. u. S. 401 A. 2.
DIE "EIFERER" 69

"Als der Kaiser Vespasian heranzog, um gegen ]erusalem zu kämpfen,


suchten die "Eiferer" alle Vorräte mit Feuer zu verbrennen".
Vermutlich kannte die rabhinische Überlieferung - wie ein Vergleich
mit der zweiten Version zeigt - an diesem Punkt die von J osephus
bis auf eine Ausnahme deutlich vollzogene Unterscheidung zwischen
Sikariern und "Eiferern" nicht.
Darüber hinaus finden wir die "Eiferer" einmal in der Mischna
genannt:
"Wer die Opferschale stiehlt und wer mit dem Kosem flucht und wer
einer Aramäerin beiwohnt - über den können Eiferer herfallen" 1).
(:1.:1 l"17l'tl l"NlP(il) n"?J'N ~17':1m t:lC'P:1 ~~p?Jm mCpill'lN :1l'lil)
Bei der il~9i<
handelte es sich um ein Gefäß, das beim Tempeldienst
verwendet wurde 2). Das Wort t:lQip~ ist schwer zu erklären. Vermut-
lich deutet es auf eine Umschreibung oder Verstümmelung des
Gottesnamens zum Zwecke der Zauberei hin 3). Mit der "Aramäerin"
dürfte wohl die Heidin überhaupt gemeint sein 4). Die Bestrafung des
letzten Verbrechens hatte ihr Vorbild in der Tat des Pinehas Nu
25,7 ff., weshalb die rabbinische Tradition in Pinehas den ersten
"Eiferer" schlechthin sah. Dementsprechend geht auch die Gemara
des jerusalemischen und babylonischen Talmud zu unserer Stelle
ausführlich auf Pinehas und sein eiferndes Strafgericht ein 5). Hier
liegt wohl der Schlüssel zum Verständnis der Bezeichnung "Eiferer",
sowohl in unserer wIischna-Stelle als auch für den Sprachgebrauch
des Josephus. Nach einer NIischna-Handschrift und dem Talmud

1) Sanh. 9,6; vgl. zum Folgenden die ausführliche Erklärung dieser Stelle
durch S. Krauß, Die Mischna, Text, übersetzung u. ausführliche Erklärung
hrsg. v. G. Beer etc. IV, 4 u. 5, Sanhedrin-Makkot, 1933, 261ff.
2) Vgl. M. ]astrow, op. cit. 2,1395;]. Levy, Wörterbuch 4,345. Der Ausdruck
findet sich schon im A.T. Nu 4,7 u.ö. Möglicherweise wurde das Gefäß zur
Wasser u. Weinlibation an Sukkot verwendet. Da nach Sukka 4,9 (bab. Talmud
48b) und a 13,372 die sadduzäischen Priester Gegner der \'V'asserlibation waren,
sieht A. Geiger, Jüd. Zeitschrift 5 (1867), 106ff, in dieser Stelle einen antisaddu-
zäischen Zug; vgl. auch I. Epstein, The Babylonian Talmud, Seder Nezikin VI,
Sanhedrin II, 547 A. 7. Vielleicht ist dieses Gefäß auf den Münzen des 1. u. 2.
Aufstandes abgebildet: s. A. Reifenberg, Ancient Jewish Coins, 2. A. 1947,58.
3) S. Krauß, op. cit. 261f. H. Danby, Tractate Sanhedrin, 1919, 119 A. 2 ver-
mutet die Abkürzung eines nichtorthodoxen Gottesnamens wie XOCJ(.LO'ITA<X.CJ't"7)C;
oder eine verderbte Form des Tetragramms. \'V'eiteres im jer. Talmud z. St. 27b,
29f. Vgl. M. Jastrow, op. cit. 2,1396. G. Driver, JThS 14(1963) 133: "in (the
manner of) one casting spells" wie Bileam Nu 22,7; 23,23 vgl. Dt 18,10.
4) I. Epstein, loc. cit.
5) Vgl. Nu 25,5-13; j. Sanh. 27b, 28ff; bab. Sanh. 82 a & b.
70 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

jeruschalmi ist der Begriff r~~jC determiniert 1), er ist daher wohl
genauso wie bei J osephus als Parteiname zu verstehen. Das Ziel
dieser "Eiferer" war vermutlich, durch spontane Bestrafung der
Gesetzesübertreter die Reinheit Israels, seines Glaubens und Tempels,
wiederherzustellen 2). Ihr biblisches Vorbild war der Priester Pinehas,
der in einem Augenblick höchster Not unter Umgehung des ordent-
lichen Gerichtsweges einen offensichtlichen Sünder inmitten der
Volksgemeinde tötete 3). Eine Untersuchung der religiösen Grund-
lagen der zelotischen Bewegung wird u.a. von diesem Punkt ausgehen
müssen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die zeitliche Festlegung
der 0 ben angeführten Halacha. Einj ge jüdische Historiker treten
für eine frühe Datierung ein 4); sie berufen sich dabei auf eine
Rechtsbestimmung aus der Hasmonäerzeit, die den Geschlechts-
verkehr mit einer Nicht jüdin betrifft 5). Doch haben wir sonst
keinerlei Hinweise auf das Wirken einer Partei von "Eiferern" in
einer solch frühen Zeit. Dazu kommt, daß die c"~~jC getreu ihrem
Vorbild Pinehas gewissermaßen eine inoffizielle "Femejustiz"
durchführten, die erst dann einschritt, wenn die offizielle Straf-
verfolgung von Gesetzesübertretern versagte; die hasmonäische
Bestimnlung ist dagegen wohl als Hinweis darauf zu betrachten, daß
die Verbindung mit einer Heidin damals offiziell strafrechtlich
verfolgt wurde. So paßt die Halacha eher in die Zeit zwischen 7 und
66 n. ehr., wo - bis auf das kurze Zwischenspiel unter Agrippa 1. -
den Juden das ius gladii genommen war 6). Sie wäre dann als Drohung
gegenüber den Gesetzesfrevlern zu verstehen, die infolge der Fremd-
herrschaft durch den ordentlichen Strafvollzug des Synhedriums
nicht mehr belangt werden konnten 7).
1) S. S. Krauß, op. cit. 262: die Handschrift München der Mischna u. jer. T.
27b, 31. Vermutlich haben wir hier die ursprüngliche Lesart vor uns.
2) S. u. S. 152f. 190ff. 3) S. u. S. 152-181.
4) K.· Kahler, JE XII, 639; "A statute evidently of the Maccabean time";
ähnlich in der Harkavyfestschrift 13. Kahler setzt dabei die "Eiferer" mit den
"Chasidim",gleich. Vgl. auch J. Klausner Hist. 3,252; I. Epstein, op. cit. Seder
Naschim VI, Sota 113 A.4, identifiziert die "Eiferer" mit den aufständischen
Pharisäern unter Alexander Jannaj.
5) Sanh. 82a: "Das Gericht der Hasmonäer bestimmte, wer eine Nicht jüdin
beschläft, sei schuldig wegen (Beschlafens) einer Menstruierenden, Sklavin,
Nicht jüdin oder Ehefrau". Als Tradent wird R. Dimi, 4. Jh. n. Chr. angegeben;
s. Strack, Einl. 147.
6) b 2,117; a 20,200ff; Joh 18,31; vgl. Th. Mommsen, Röm. Strafrecht, 1899,
240f A. 2; Schürer 1,466f;' Juster 2, 132ff.
7) Man kann dabei an Vorgänge denken wie sie Apg 23,12f geschildert werden.
S. auch u. S. 219f. und S. 353.
DIE "EIFERER" 71

Zwei andere Hinweise auf die " Eiferer" , die ebenfalls aus dem
spät jüdischen Bereich stammen, sind wesentlich weniger eindeutig.
Es handelt sich. um Namen bzw. Beinamen, die möglicherweise auf
einen Anhänger der Zelotenpartei gedeutet werden können. Schon
A. Geiger 1) vermutete in dem rabbinischen Lehrer Nechonja ben
Hakkanah, einem jüngeren Zeitgenossen Jochanan b. Zakkais, den
Sohn eines Zeloten: statt des unerklärlichen illpil sei lediglich Nlpil
zu lesen 2). Seine Lebensregel wäre dann als kritische Stellungnahme
gegenüber der Haltung seines Vaters zu verstehen:
"J eder, der die Tara auf sich nimmt, wird vom Joch der Regierung
(m~1;l~) und vom Joch weltlicher Beschäftigung (Y1N l1i) frei, aber
jedem, der sich vom Joch der Tara losmacht, wird das Joch der Regie-
rung und das Joch weltlicher Beschäftigung auferlegt" 3).
Das Torastudium würde hier dem scheinbar kämpferisch-politischen
Freiheitsideal der Zeloten als der ~ahre Weg zur Freiheit entgegen-
gehalten. Falls der Vatername des Lehrers wirklich mit "Eiferer"
gleichzusetzen ist, könnte man darin auch einen Hinweis dafür
sehen, daß die jüdische Freiheitspartei schon lange vor dem I<riege
die Bezeichnung tl.,~~i? führte. Wirkliche Gewißheit läßt sich jedoch
hier nicht erlangen, es könnte sich auch um einen bisher unbekannten
Namen oder Beinamen handeln.
Eine mögliche Parallele finden wir in einer Inschrift aus der
jüdischen Synagoge am Monteverde in Rom 4):
I(J)NIOC 0 KE AKONE L:E<pd)PHNOC: "Ianios, der auch (xext)
'Akone' genannt wird aus Sepphoris".
Juster vermutet hinter ,Akone' möglicherweise die einfache Trans-
skription von N~Pij "der Zelot" 5). Der erste Herausgeber datiert zwar
die Inschrift in eine spätere Zeit, jedoch mit allen Vorbehalten 6).

1) Jüd. Zeitschrift 2 (1863), 38; vgl. Derenbourg 239 A. 1; K. Kohler, JE


12,640; T. R. Herford, Pirqe Abot Zu 3,7 in R. H. Charles, The Apocrypha and
Pseudepigrapha of the O.T. 1913,2,699; vgl. A. 5.
2) Zu der Person des Lehrers s. W. Bacher, Aggada der Tannaiten, 2. A.
1,55-58. Vgl. auch E. Stauffer, Jerusalem und Rom, 64 u. 71.
3) Ab. 3,5 (vgl. ARN 2. Version ed. Schechter c. 32, S. 68) Übersetzung nach
K. Marti, G. Beer, Abot, Die Mischna ... IV, 9, 1927, 67ff.
4) N. Müller-N. Bees, Die Inschriften der jüdischen Katakombe am lvlonte-
verde zu Rom 1919, Nr. 74; ]. B. Frey, CI], Bd. I 1936, Nr. 362. Zu weiteren
Inschriften von Palästinern s. H. J. Leon, The Jews in Ancient Rome, 1960, 239.
Er vermutet "the Cohen?".
5) 2,229. Juster verweist dabei auf den oben erwähnten Nechonja ben
Hakkanah.
6) Müller-Bees, loc. cit.: ,,3.-4. ]ahrh. n. Chr.?"; vgl. dazu 175: die zeitlichen
72 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITS BEWEGUNG

Wenn die Vermutung von J uster zuträfe, wäre ,Akone' ein Beiname,
wie wir ihn auch ganz ähnlich in den Evangelien finden. Doch
bleibt schon von der Datierungsfrage her die Deutung sehr ungewiß.

4. Die "Eiferer" in den christlichen Qtlellen


Unter den Jüngern Jesu erwähnt Lukas zweimal einen ~[fL(u\I
o ~''lAW't'~t; 1).
Das aramäische Äquivalent hat sich bei Markus und
Matthäus erhalten 2): 0 Kcx\lcxwiiot; abzuleiten von N~ttt~ st. abs. lttt~,
einer Nebenform von "N~~, der Eiferer 3). Andere Deutungsversuche,
z.B. "der Mann aus Kana" oder "der Kanaanäer", können dem-
gegenüber nicht überzeugen 4). Die Herausgeber der "Beginnings
of Christianity" nehmen nun entweder einen Übersetzungsfehler des
Lukas oder eine unbestimmte Bedeutung des Beinamens an, etwa
im Sinne von "Simon der Eifrige", und verweisen dabei auf Apg
22,3~ 2. Makk 4,2 und a 12,271 5). Doch enthalten die angeführten
Stellen jeweils eine nähere Bestimmung des ~''lA(U't'~t; durch 't'oü 8e:oü
oder 't'WV v6fLwv, während in den Evangelien - wie bei J osephus im
Jüdischen Krieg - der Begriff ohne näheren Zusatz und in deter-

Ansätze "sind großenteils nur hypothetisch". Die Katakombe enthielt auch


eine ganze Reihe von Inschriften aus dem 1. u. 2. Jh. n. Chr.
1) Apg 1,13; Lk 6,15 ist noch deutlicher: LLfLwvee Tav xeeAO\J!J-e:vOv (I)AWT1)V.
Vgl. auch das Ebionäerevg. nach Epiphanius, adv. haer. 30,13, s. Hennecke/
Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen, 4. A. 1968, 1,102. In der koptisch
u. äthiopisch erhaltenen epistola Apostolorum (ed. C. Schmidt u. Wajnberg,
TU 43 (1919) S. 26) c. 2 ist von einem "J udas Zelotes" die Rede; vgl. Hennecke/
Schneemelcher op. cit. 1,128 u. 2,31f. In gleicher Weise liest eine größere Zahl
von altlateinischen Textzeugen bei Mt 10,3 anstelle von 8eeooeeLoc;; "Judas Zelotes" ;
s. N. T. Graece, ed. Nestle/Aland 25. A. 1963 z. St.
2) Mt 10,3 u. rl'1k 3,18; vgl. auch act. Thom. c. 1 s. E. Hennecke, op. cit. 258.
3) S. M. Jastrow, Dictionary 2,1388; W. Bauer, Wörterbuch zu Neuem
Testament, 7. A. 1971, 795; F. C. Burkitt, The Syriac Forms of N.T. proper
Names, in Proceedings of the Brit. Academy Vol. V. 1912, S. 5; G. Dalman,
Jesus-Jeschua, 1922, 11; E. Klostermann, Das Markusevangelium, HBzNT,
4. A. 1950, 75f; A. Stumpf im ThWB 2,889; S. G. F. Brandon, The Fall of
Jerusalem and the Christian Church, 1951, 104. Vgl. jetzt H. P. Rüger, ZNW 59
(1968),118.
4) Hieronymus nach E. Klostermann loc. cit.: de vico Galilaeae ubi aquam
dominus vertit in vinum; doch müßte dies xeeveeLoc;; heißen. Kanaanäer = .,~~~~
wäre mit xeeveevcxLoc;; wiederzugeben. Die J\lIeinung J. Klausners, JvN, 277
(vgl. G. Dalman, Worte Jesu 1898, 40), die Gemeinde hätte das ursprüngliche
XCXVVCXLOC;; in xcxvcxvaLoc;; verwandelt, weil sie es für unverständlich hielt, daß ein
Jünger Jesu Zelot gewesen sei, bleibt unbegründet. Dafür spricht nur die sekun-
däre Lesart XCXVCXVLT"1)c;; bei Sinaiticus, Koridethi u. textus receptus.
5) Op. cit. 1,425. V gl. schon O. Holtzmann, Neutestamentliche Zeitgeschichte,
2. A. 1906, 207: die Bezeichnung habe "keine politische Bedeutung".
DIE "EIFERER" 73

minierter Form gebraucht wird. Man wird daher auch in dem Bei-
namen "der Eiferer" des Jüngers Simon einen Hinweis dafür sehen
dürfen, daß schon zur Zeit J esu eine bestimmte Gruppe im Judentum
die Bezeichnung "die Eiferer" trug 1) .
.Einen zweiten sehr wichtigen Hinweis Enden wir in den Philo-
sophumena des Hippolyt. Gegen Ende eines mit J osephus parailel-
laufenden Berichtes über die Essener bringt er plötzlich eine eigene,
bemerkenswerte Überlieferung 2):
"Im Laufe der Zeit haben sie sich in vier Parteien gespalten, von
denen jede ihre eigene Lebensführung hat. Die einen übertreiben die
V orschriften in dem Maße, daß sie nicht einmal eine Münze anrühren
mit der Begründung, man dürfe ein Bild weder tragen noch ansehen
noch verfertigen. Sie gehen auch in keine Stadt, auf daß keiner durch
ein Tor schreite, auf dem Bildsäulen ständen; denn sie halten es für
Unrecht, unter Bildsäulen durchzugehen. Wenn einer von der zweiten
Richtung hört, daß jemand über Gott und seine Gesetze spricht und
dabei unbeschnitten ist, lauert er ihm, wenn dieser allein ist, irgendwo
auf und droht ihm mit dem Tod, wenn er sich nicht beschneiden läßt;
wenn dieser nicht gehorchen will, so kennt er keine Schonung, sondern
bringt ihn um. So haben sie dieser Sache halber den Namen Zeloten
angenommen; manche nennen sie Sikarie:r. Die Angehörigen einer
anderen Richtung nennen niemand Her:r außer Gott, selbst wenn sie
einer marterte oder gar tötete. So sehr sind die Späteren von der Lebens-
strenge abgewichen, daß diejenigen, die bei den ursprünglichen Sitten
geblieben sind, sie nicht einmal berühren; sollten sie sie aber berührt
haben, so waschen sie sich sofort, als ob sie einen Fremden berührt
hätten".
Da Hippolyt in seinem Essenerbericht nahezu völlig mit J osephus
übereinstimmt, liegt zunächst die Annahme nahe, er habe diesen
von dem jüdischen Geschichtsschreiber übernommen. Einige wenige,
nicht unwesentliche Abweichungen 3) und insbesondere jene eigen-
artige Einschaltung über die Zeloten zeigen jedoch, daß er über

1) V gl. Mt 10,3, die Kennzeichnung des Matthäus mit 6 't"E:AWV"fjC;;. J.-A. :Morin,
RB 80 (1973), 348f. 355 übersieht die einmalige Art der Bezeichnung.
2) (Refutatio omnium haeresium) 9,26, GCS ed. P. Wendland, 1916, 3,260;
Übersetzung nach K. Preysing, BibI. d. K.V. Des hl. Hippolytus v. Rom Wider-
legung aller Häresien, 1922, 260. Das Verdienst, darauf erstmalig hingewiesen zu
haben, kommt K. Kohler in seinem Artikel "Zealots", JE 12,639f zu.
3) Außer dem oben angeführten Zelotenzusatz s. 9,23: sie schwären, auch
ihre Feinde nicht zu hassen (gegen b 2,139), wohl eine ·Änderung im christlichen
Sinne; lQS 9,21 spricht für josephus gegen Hippolyt. 9,25: etliche erheben sich
am Sabbat nicht vom Lager (fehlt b 2,147). 9,27: Auferstehung und Weltbrand
(gegen b 2, 154ff) ; beides wird durch die Qumranschriften bestätigt: Zur Auf-
erstehung vgl. 1QH 6,29f.34, zum Weltbrand tQH 3,28ff; 6,18; 1QS 2,17.
74 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

J osephus hinaus zumindest noch andere unbekannte Quellen bear-


beitet haben muß 1). Bei der Einleitung zu seinem Zusatz weicht
Hippolyt von seiner bisherigen Vorlage, dem Essenerbericht des
Jüdischen Kriegs in bemerkenswerter Weise ab: Im Laufe der Zeit
hätten sich die Essener getrennt und in vier Gruppen aufgespalten
(.... dc; "rEO"O"apa !J.EP'Yl 3Laxwpw·8E\I-re:C;). Josephus spricht dagegen
nur von einer Aufteilung in vier Klassen:
"Entsprechend der Dauer der Lebensweise (in der Sekte) sind sie in
vier Klassen (~L·hp·f)VT(U OE ••• dc; (.Lotpo:c; TEcrcro:pa;c;) aufgeteilt, und zwar
stehen die später Eingetretenen den schon früher Dazugekommenen im
Rang derart nach, daß diese, von jenen berührt, sich waschen, wie
wenn sie von einem Fremden verunreinigt worden wären" 2).

Auch bei Hippolyt finden wir diese Schilderung eines übertriebenen


Reinheitsstrebens, allerdings erst am Ende seiner Einschiebung über
die Zeloten; er nimmt damit den Faden des J osephus wieder auf.
Ein .Vergleich mit den Schriften von Qumran zeigt, daß der Essener-
bericht des "Jüdischen Krieges" den dort geschilderten Verhältnissen
weitgehend entspricht 3). Wir dürfen daher annehmen, daß die
Version des J osephus den historischen Tatbestand eher festhält und
Hippolyt seine V odage mißverstanden hat. Diese falsche Inter-
pretation führte wohl dazu, daß Hippolyt gerade hier seine Zeloten-
Traditionen einbaute, wobei er das ihm vorliegende NIaterial auf
drei Gruppen, die er jeweils mit E"re:POL einleitet, verteilte; die vierte
Gruppe fehlt, vielleicht identifizierte sie Hippolyt mit dem he:po\l
'EO"O""f)\lw\I -rcX:Y!-la am Ende seines Berichtes, das ebenfalls schon bei

1) A. Hilgenfeld, Die Ketzergeschichte des Urchristentums, 1884, 133f. u.


W. Bauer, Art. 'Ecrcra;LoL P. W. Suppl. 4,388 vermuten eine direkt.e Abhängigkeit
Hippolyts von J osephus, während sich R. Eisler 2,197 A. 1 für eine gemeinsame
Quelle einsetzt; K. Kohler, Festschrift f. Dr. A. Harkavy, 1909, hält· gar den
Bericht Hippolyts für "älter und ursprünglicher" (S. 8). G. Ricciotti, Flavio
Giuseppe trad. e. comm. vol. 1. Introduzione, 2 a ed. 1949, 58 A. 3. weist auf
die Möglichkeit hin, daß der J osephusbericht schon in der Vorlage des Hippolyt
abgeändert war. Die Nleinung R. Eislers weist er entschieden zurück. Die neueste
Untersuchung von M. Black in "The Background of NT-Eschatology, Studies
in honour of C. H. Dodd", 172-175 geht leider auf diese entscheidende Frage
nicht ein. Abwegig L. E. Toombs, NTS 4 (1957/58), 70f, der die Zeloten und
Essener Hippolyts mit Bar Koseba verbinden will. V gl. die Kontroverse von
1-1. Smith, HUCA 29 (1958), 273ff. u. S. Zeitlin JQR 49 (1958) 292ff.
2) b 2,150 vgl. phi!. 9,26.
3) Vgl. CD 14,3ff: Priester, Leviten, Israeliten, Novizen; 1QS 2,19: Priester,
Leviten, Laien; 6,13ff kommen die Novizen hinzu, die noch nicht die "Reinheit
der Vielen berühren" dürfen. Eine ähnliche Gliederung findet sich auch in 1QSa
1 u. 2, Qumran Cave I ed. D. Barthelemy u. J. T. MiIik, 1955, 109ff.
DIE "EIFERER" 75

Josephus vorlag 1). Wenn so seine Behauptung von einer Vierteilung


der Essener als NIißverständnis hinfällig wird, sind wohl auch die
von ihm auf drei Gruppen verteilten Züge - Bilderfeindschaft,
Zwangsbeschneidung und Ausschließlichkeit der Herrschaft Gottes
- nicht mehr als Kennzeichen verschiedener Sekten zu verstehen,
sondern man wird sie als Charakteristika ein und derselben Bewegung
betrachten dürfen, zumal sich die aufgeführten Züge alle unter den
Begriff des "Eifers für Gott und sein Gesetz" einordnen lassen.
Bezeichnenderweise leitet Hippolyt selbst aus dieser religiösen Basis
auch den Namen der zweiten Gruppe - den einzigen, den er uns
nennt - ab: "aus dieser Sache haben sie den Namen angenommen,
indem sie Eiferer genannt werden" (lS8e:v Ex. TOU O'u!-Lßcx.LVOVTOC; TO
övofLcx. 7t'pOO'EAcx.ßOV ~"fJ:A(uTcx.t X.cx.:AoufLEvm). Wir hätten damit hier einige
interessante Details über die religiöse Eigenart der "Zeloten" vor
uns, in denen sie als eine gesetzlich-rigoristische Partei geschildert
werden, eine wertvolle Ergänzung zu den recht unvollkommenen
Aussagen des J osephus, der zwar nicht müde wird, seine ehemaligen
Verbündeten zu schmähen, jedoch keine deutliche Auskunft über
ihre eigentlichen Anliegen geben will 2).
Eine weitere Beobachtung ist bedeutsam: Diese "Eiferer" werden
von anderen auch "Sikarier" genannt 3). Wie teilweise in der rabbini-
schen Überlieferung beziehen sich beide Bezeichnungen - im
Gegensatz zum Sprachgebrauch des J osephus - auf ein und dieselbe
Partei.
Eigenartig ist auch die Darstellung der "dritten Ab spaltung " , die
Hippolyt im Gegensatz zu den vorhergehenden "Zeloten" bzw.
"Sikariern" namenlos läßt. Ihre Charakteristik ist die einzige, die
uns auch durch J osephus bestätigt wird, und zwar erscheint bei ihm
die Forderung, daß man außer Gott niemand als Herrn anerkennen
dürfe, als Grundthese jener von Judas dem Galiläer begründeten
"vierten Philosophensekte" 4). Ob Hippolyt jedoch an dieser Stelle
direkt von J osephus abhängig ist, oder ob ihm auch hier eine selbst-
ständige Überlieferung vorlag, läßt sich schwer entscheiden. Im
ersteren Falle hätte er auf die Antiquitates zurückgreifen müssen 5).

1) Phil. 9,28 = b 2,160f. K. Kahler, op. eit. 8 hat hier den Bericht Hippolyts
mißverstanden.
~ S. o. S. 67fu. S. 188(
3) PhiL 9,26; ... ~7JAWTG(( XIXAoufLEVOL {mo TWWV 8e O'LXi:X.PLOL ..
4) S. U. S. 93ff.
5) Der Wortlaut stimmt am ehesten mit a 18,23 überein; vgl. Juster 2,343
A. S.
76 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

Wie dem auch sei, sein Bericht legt nahe, daß ein gewisser innerer
Zusammenhang zwischen den "Zeloten" und den radikalen Forde-
rungen des Galiläers Judas besteht.
E. ZUSAMMENFASSUNG

Die Analyse der verschiedenen Bezeichnungen der jüdischen


Freiheitsbewegung, wie wir sie in den sehr differenzierten Quellen
finden, hat sich wohl als geeigneter Ausgangspunkt für dn tieferes
Eindringen in die Struktur und Geschichte der Bewegung erwiesen.
Fassen wir die Ergebnisse noch einmal kurz zusammen:
Es ist gewiß kein Zufall, daß der allgemeinste Begriff, mit dem
J osephus die jüdischen Freiheitskämpfer näher zu charakterisieren
sucht, das Schimpfwort Ay/CJ"t"-1)C;, kurze Zeit nach der Unterwerfung
J udäas durch die Römer zum erstenmal bei ihm auftritt. Er erscheint
dann immer wieder in dem Geschichtswerk des jüdischen Historikers
bis zum Ausbruch des jüdischen Krieges bzw. zur Zerstörung
Jerusalems. Die Bezeichnung "Räuber" deutet zwar darauf hin, daß
zwischen der Besatzungsmacht und den jüdischen Freischärlern ein
erbitterter Kleinkrieg geführt wurde, doch läßt J osephus damit
bewußt auch die Grenze zwischen den Verteidigern von Glaube
und Freiheit und dem gewöhnlichen Wegelagerer verschwinden,
jene werden ohne weiteres als gesetzlose Aufrührer Verbrechern
gleichgestellt. J osephus bemüht sich geradezu, die wirklichen Ziele
seiner Gegner zu vertuschen und läßt als ihren tiefsten Beweggrund
die Habgier hervortreten, ein V orwurf, der wohl durch die sozialen
Ziele der Aufständischen begründet ist. Demgegenüber kann im
Rabbinat keine direkte Beziehung des Lehnwortes O"f:?9"7 auf die
).·:nCJ"t"cxL des J osephus nachgewiesen werden, vielmehr fügt sich das
hier vom "Räuber" gezeichnete Bild ganz in den Rahmen der in der
Antike auch sonst verbreiteten Vorstellungen vom Räuberunwesen
ein. Der Begriff A"()CJ"t"-1)C; bei J osephus kann so lediglich auf die Taktik,
die Organisation und in gewisser Hinsicht auch auf den sozialen
Hintergrund des jüdischen Freiheitskampfes zwischen Herodes und
dem jüdischen Krieg hinweisen.
Die Bezeichnung "Sikarier" hatte ursprünglich eine ganz ähnliche
Bedeutung; sie wurde zur Zeit des Prokurators Felix auf Grund
einer neuen Kampfesweise der Aufständischen denselben von den
römischen Gegnern beigelegt. Bei Josephus diente sie später vor
allem zur Kennzeichnung einer bestimmten Gruppe, der nach ß.-Iasada
geflüchteten Anhänger des ermordeten NIenahem. Nach rabbinischer
ZUSAMMENFASSUNG 77

Überlieferung wurde dieser Name auch den Aufständischen in


J erusalem beigelegt; vielleicht haben wir hier die ursprüngliche
Bedeutung vor uns, da die Römer im grunde jeden jüdischen Freiheits-
kämpfer als "sicarius" bezeichnen konnten. Wesentlich ist auch,
daß die Anfänge der später von J osephus so benannten Gruppe auf
Judas den Galiläer, der während des Census unter Cyrenius die
"vierte Philosophensekte" gründete, zurückgehen.
Der Name "Galiläer" hebt die Bedeutung Galiläas im K.ampfe
gegen die römische Herrschaft hervor. Galiläa war als Landschaft,
in der sich Unruhen mehrfach wiederholten und hellenistische
Einflüsse weitgehend abgelehnt wurden, ein Zentrum des Wider-
standes gegen die Besatzungsmacht.
Ob die jüdischen Partisanen sich als "Barjone" bezeichnet haben,
bleibt ungewiß; der Begriff könnte u.U. als Hinweis auf ihre äußere
Lebensform im Gebirge und in der Wüste verstanden werden.
Dem eigentlichen Anliegen der jüdischen Freiheitsbewegung
kommen wir mit der Selbstbezeichnung ~1JA(u't'cd- C'l~~iC am ehesten
nahe. Zunächst stellt die determinierte, absolute Verwendung des
Begriffs bei J osephus gegenüber dem sonstigen griechischen Sprach-
gebrauch eine Besonderheit dar: das Wort weist auf eine ganz
bestimmte religiös-politische Partei innerhalb Jerusalems zu Beginn
des Jüdischen Krieges hin. Die strenge Beschränkung auf die Anhän-
ger Eleazers S.d.Simon wird mindestens an einer Stelle durch-
brochen: Auch die Gefolgsleute des ßiIenahem - des Sohnes des
Galiläers Judas -:tptgen nach Josephus diese Bezeichnung. Rabbi-
nische und christliche Quellen weisen in dreifacher Hinsicht über
Josephus hinaus: 1.) Die Bezeichnung kann teilweise in gleicher
Bedeutung wie der andere Parteiname "Sikarier" gebraucht werden.
2.) Wahrscheinlich wurde der Begriff schon vor dem Jüdischen
Krieg, zur Zeit Jesu, auf die Anhänger der jüdischen Freiheitsbewe-
gung angewandt. 3.) Es handelt sich hier um eine auf alttestamentliche
Vorbilder zurückgehende, ehrenvolle Selbstbezeichnung 1), hinter
der eine' tiefe religiöse Antriebskraft steht: der "Eifer für Gott und
sein Gesetz". Dieser Eifer äußert sich in einer rigorosen I<ompromiß-

1) Vgl. A. Schlatter, Die Geschichte des Christus, 1921,304. Die Herausgeber


der» Beginnings of Ch:ristianity" 1,426 betrachten ~·'lA(,}"t"·~c; ähnlich wie "Chasid"
ebenfalls als einen Ehrennamen, meinen jedoch, dieser Begriff sei einzelnen
Frommen in freier Weise beigelegt worden. Jedoch haben wir dafür keinen
klaren Beleg. Vgl. außerdem M. J. Lagrange, Le Judaisme avant Jesus Christ,
3. A. 1931,214. u. M. Smith, HThR 64 (1971) 6ff, dazu u. S. 396.399.401.
78 BEZEICHNUNGEN DER JÜDISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG

losigkeit bei der Befolgung von Gottes Geboten und in der Gewalt-
anwendung gegen alle, die dem radikal verstandenen Gebot ihren
Gehorsam verweigern 1).
Auf Grund des bisher Gesagten wird der weiteren Untersuchung
ein zwiefacher Weg gewiesen: 1.) Die von Judas dem Galiläer
gegründete "vierte Philosophensekte" und ihre Anschauungen sind
genauer zu erforschen. 2.) Das religionsgeschichtliche Phänomen
des "heiligen Eifers" im Spät judentum bedarf einer eingehenden
Analyse. Damit ist die Aufgabe der beiden folgenden Kapitel umrissen.

1) Vgl. V. Nikiprowetzky, La mort d'Eleazar fils de Jalre .. " in: Hommages


a Andre Dupont-Sommer, Paris, 1971, 469 Anm.: "Tous ces mouvements
messianiques ... avaient en commun la doetrine du zele et du synergisme qui
etait le legs de Ja "Quatrieme Seete". Le nom des Zelotes leur convenait done
fort bien a tous eu egard a la doetrine religieuse au nom de laquelle Ds agissaient".
S. u. S. 178ff.
I<:.APITEL DREI

DIE· "4. PHTLOSOPHENSEI<TE" DES JUDAS


GALILÄUS

A. DIE AUSSAGEN DER QUELLEN

Einen ausführlicheren Bericht über Judas den Galiläer und die


von ihm gegründete Sekte gibt uns nur Josephus. Im "Jüdischen
Krieg" finden wir lediglich eine kleine Notiz: Nachdem das Gebiet
des Archelaos in eine römische Provinz umgewandelt worden war,
habe ein "gewisser Galiläer Judas" seine Landsleute zum Abfall
verführt,
"indem er es für eine Schande erklärte, wenn sie es ertrügen, den
Römern Steuern zu zahlen und außer Gott noch Sterbliche als Herrscher
anerkennen würden. Er selbst aber wurde der ,Lehrmeister' einer eigenen
Sekte, die mit den anderen in keiner Weise etwas gemein hat. Es gibt
nämlich bei den Juden dreierlei philosophische Schulen ... die Phari-
säer ... die Sadduzäer ... die Essener" 1).
In den Antiquitates ist Josephus wesentlich mitteilsamer. Ausgangs-
punkt ist wie im Bellum die Verwandlung Judäas in eine römische
Provinz, doch wird ausführlich berichtet, wie der vom Statthalter
Syriens, Cyrenius, durchgeführte Census beinahe einen Aufstand
der Juden heraufbeschworen hätte, der nur mit JVlühe verhindert
werden konnte 2). Damals habe nun der "Gaulaniter Judas" 3) und
mit ihm ein Pharisäer namens Zadduk das Volk zum offenen Aufruhr
angestachelt. Ihre Agitation enthielt nach J osephus zwei Haupt-
argumente :
1.) Der Census bringe offenbare Sklaverei mit sich, das Volk
-solle daher seine Freiheit retten 4).
2.) Gott werde ihnen nur dann beistehen, wenn sie tatkräftig zu
ihrer Befreiung mitwirkten und nicht verzagten 5).

1) b 2,117-119.
2) a 18,2f.
3) a 18,4. Zur Frage nach der Herkunft des Judas s~ u. S. 336ff.
4) -r1)v TE &7t'OT~fL'1Jmv OU~E:V äAAO ~ äVT~XflUe; OOUAELaV €m<pEflE~V A~YOVTEe; xal. T'ije;
eAeUeep~ae; E:7t" &:~T~~1)~e.: 7t'a~IXx~AoGvT:\e;, T~ it8voc; ~a 18,4]. " \
5) a 18, 5: XIX~ TO 8eLOv oux IXAAOOe; '1J em crufL7t'pa~e~ TOOV' ßouAEUfLaToov E~e; TO
xIXTop80Gv crufL7t'p08ufLdcr8a~ fLiiAAOV
80 DIE ,,4. PHILOSOPHENSEKTE" DES JUDAS GALILÄUS

Diese Argumente fanden weithin freudigen Beifall, sodaß das


gewagte Unternehmen g:roße Fortschritte machte 1). Es folgten
Unruhen, das Räuberunwesen blühte auf, die Besten wurden ermordet,
am Ende standen Bürgerkrieg, Hungersnot und die Zerstörung des
Tempels 2). Als Urheber dieses ganzen Unheils werden dann noch
einmal ausdrücklich Judas und Zadduk genannt, "die eine für uns
neuartige vierte Philosophensekte gründeten" 3) und die "schon
damals viele fanatische Anhänger (Epao"raL) dafür fanden". J osephus
beschließt seinen Bericht mit dem Hinweis auf die späteren Wirkungen
ihrer Lehren:
"Auch setzten sie die Wurzeln zu den in späterer Zeit eingetroffenen
Übeln durch eine derartige zuvor noch nie gehörte Lehre".
Nachdem J osephus kurz auf die Anschauungen der Pharisäer,
Sadduzäer und Essener eingegangen ist, kommt er nochmals auf
Judas und seine Sekte zu sprechen 4).
"Der vierten unter den Philosophenschulen ist] udas als Führer
vorgesetzt. Sie stimmt in allen übrigen Stücken mit den Pharisäern
überein, ihre Freiheitsliebe ist jedoch unüberwindlich und als Herr s ch e r
und Herrn kennt sie Gott allein an.
Ganz ungewöhnliche Todesarten erduldeten sie, und die Todesstrafe
bei Verwandten und Freunden schätzten sie gering ein, wenn sie nur
keinen Menschen He:tr (~e:cr7t6't""t)\I) zu nennen brauchen. Da ih:re
Hartnäckigkeit indes allgemein durch Augenschein bekannt ist, unter-
ließ ich es, eingehender darüber zu berichten. Ich brauche ja nicht zu
fürchten, daß das, was von mir über sie gesagt wurde, keinen Glauben
fände, im Gegenteil muß ich besorgt sein, daß die Worte des Berichts
zu schwach sind, um die Geringschätzigkeit zu schildern, mit der sie
das Übermaß der Schmerzen auf sich nahmen.
Durch den von hier ausgehenden Wahnsinn 5) begann das Volk
ergriffen zu werden, als der Landpfleger Gessius Florus durch den
~1ißbrauch seiner Amtsgewalt dasselbe so zur Verzweiflung trieb, daß
es von den Römern abfiel".
Mit· der lakonischen Bemerkung: "Insoweit philosophiert man bei
den Juden" bringt J osephus seinen Exkurs über die vier jüdischen
"Philosophensekten" zum Abschluß.

1) a 18,6.
2) a 18,7f.
3) a 18, 9: 't"e:'t"cf.p't"'Yj\l tpLAOcrOtpteY.\I E7tdcreY.X't"o\l 'l][LL\I &ydpeY.\I't'e:c;.
4) a 18,23-25.
5) rt.\lOLeY. (OC7t6\10L<X,[LeY.\I(eY.) gehärt zu jenen typischen Begriffen, mit denen
Josephus immer wieder die Vorstellungen und Bestrebungen der jüdischen
Freiheitsbewegung-charaktedsiert; s. o. S. 16 A. 4.
DIE AUSSAGEN DER QUELLEN 81

Die Darstellung der Antiquitates ist entsprechend der sonstigen


Tendenz des Werkes aufgebauscht und zeigt einen künstlichen,
geschraubten Stjll). Die Begriffe haben noch stärker als im Bellum
eine durch und durch hellenistische Färbung, die die Interpretation
des Berichtes nicht erleichtert.
Außer den angeführten Hauptbelegstellen über Judas und seine
Bewegung finden sich im Bellum noch einige Rückverweise, die die
schon genannten wesentlichen Punkte bestätigen: Bei der ersten
Nennung des NIenahem wird noch einmal auf dessen Vater Judas
Bezug genommen:
"der Sohn Judas' des sogenannten Galiläers, eines gewaltigen Volks-
verführers, der einst unter Cyrenius die Juden schmähte, weil sie nach
Gott auch noch den Römern untertan waren" 2).
Dasselbe geschieht zu Beginn der abschließenden Kritik an den
Aufrührern:
" . . . Eleazar, ein Abkömmling des Judas, der nicht wenige Juden
überredet hatte, ... sich nicht schätzen zu lassen, als Cyrenius als Censor
nach Judäa gesandt worden war. Damals schlossen sich die Sikarier
gegen diej enigen zusammen, die den Römern gehorchen wollten ... " 3).
Auch in den Antiquitates findet sich ein derartiger Rückverweis
ähnlichen Inhalts 4).
Als einzige Quelle außer J osephus berichtet uns die Gamalielrede
Apg 5,37 über die Erhebung des Judas:
"Nach diesem (Theudas) erhob sich Judas der Galiläer in den Tagen
der Schätzung und brachte einen Haufen Volk hinter sich zum Abfall 5).
Jener ging zugrunde, und alle, die ihm gehorcht hatten, wurden zer-
streut" .
Danach hat Judas den offenen Aufruhr verkündet und ins Werk
gesetzt. Im Gegensatz zur Josephus-Überlieferung wurde er, vermut-

1) S. o. S. 13f; vgl. auch die Charakteristik des griechischen Stilisten, den


Josephus in diesem Teil der Antiquitates verwendet hat, durch H. St. J. Tha,cke-
ray, Josephus, the man and the Historian, 1929, 108: "Book XVII-XIX betray
the idiosyncrasies and pedantic tricks oE a hack, an imitator oE Thukydides".
111: "This journalistic hack is verbose and prefers two or more words to one".
112: "The writer had the faults of the inferior journalist".
2) b 2,433.
3) b 7,253. S. auch o. S. 48ff.
4) a 20,102.
5) "Lukas vereint die griechische Redewendung ,Volk zum Abfall bringen'
mit der biblischen ,Volk hinter sich bringen':" E. Haenchen, Die Apostelge-
schichte, Meyers krit. ex. Komm. 15. A. 1961,207 A. 8.
82 DIE ,,4. PHILOSOPHENSEKTE" DES JUDAS GALILÄUS

lieh bald, getötet und seine Bewegung zersprengt. Über die Anschau-
ungen seiner Anhänger und ein Weiterwirken ihrer revolutionären
Ideen hören wir nichts. Die Frage, woher Lukas diese historische
Notiz erhalten hat, läßt sich schwer beantworten. Eine direkte
Abhängigkeit von Josephus ist unwahrscheinlich 1). NIöglicherweise
lagen hier und an anderen Stellen 2) gemeinsame mündliche Traditio-
nen vor. Daß die Gamalie1:rede von Lukas "frei komponiert" wurde,
dürfte nach den Untersuchungen von IVL Dibelius wohl als wahr-
scheinlich gelten 3). Andrerseits muß sich die Gründung dieser neuen
Bewegung tief in die Gemüter der Zeitg~nossen eingeprägt haben,
wenn sich die Tradition darüber so lange erhalten konnte 4).
Aus den angeführten Berichten des Josephus über Judas und seine
Sekte wird mehrfach deutlich, daß ein innerer Zusammenhang
zwischen der neuen Bewegung und dem Untergang Jerusalems
besteht, ja diese wird für die spätere Entwicklung direkt verantwort-
lich gemacht 5). Man wird daraus folgern dürfen, daß die Wirksamkeit
der von Judas ausgehenden Bewegung bis zum Jüdischen Krieg
hin angedauert hat.
Auffallend ist weiter, daß Josephus die von Judas und Zadduk
gegründete Partei als eine 't"z"'C'a.P"'C'1) CPLAocrOcpCe< innerhalb des Juden-
tums bezeichnet. Was konnten schon jene Aufrührer mit einer
"Philosophenschule" gemeinsam haben? Doch der Anstoß über diese
eigenartige Ausdrucksweise schwindet rasch, wenn man sich das
schon erwähnte hellenistische Gewand der Antiquitates vergegen-
wärtigt: J osephus wollte damit seinen griechischen Lesern die
jüdische Sektenbildung durch die .Analogie zu den Philosophen-
schulen verständlich machen 6).

1) Gegen M. Krenkel, Josephus u. Lukas, 1884, 163ff u. H. H. Wendt, Die


Apostelgeschichte, Meyers krit. ex. Komm. 9. A. 1913, 43f u. 128. Eine "ungenaue
Reminiszenz an ant. 20,5,1 (§ 97f u. 102)" liegt keinesfalls vor. Mit Recht wird
dieser Ansicht von O. Bauernfeind, Die Apostelgeschichte, Theol. Handkomm.
z. NT, 1939, 96 und M. Dibelius, Aufsätze zur Apostelgeschichte, 1953, 159
widersprochen.
2) Vgl. Apg 5,36; 11,28; 12,20-23; 21,38.
3) Op. cit. 160; vgl. auch 130 A. 4.
'1) Vgl. W. O. E. Oesterley, A History ofIsrael 2,1951 (= 1932), 386: "Thc
trouble must have been grave to have been rccalled in later days". Dazu A. 4:
"See Acts V. 37".
5) b 2,433; 7,253f; a 18,9f u. 2S s. auch o. S. 50f.
6) Das von J. W. Lightley, J ewish Sccts and Parties in thc Time oE Jesus Christ,
1925, 330, betonte: "A J ewish party not a philosophical sect" ist darum irreführend,
denn nachdem J osephus sich auf den hellenistischen Sammelbegriff "Philosophen-
schule" festgelegt hatte, konnte er die ,,4. Sekte" genau so gut damit bezeichnen,
DIE AUSSAGEN DER QUELLEN 83

Im Gegensatz zum Bellum, wo die neue Sekte des Judas als taLcx
cxlpEcnc; von den 3 "Philosophenschulen" (-rpJcx yap 7tCXpa 'IouacxLotc;
e:ra1) qnAocrocpE~-rCXt) scharf abgesetzt wird, erscheint diese in den
Antiquitates als ,,4. Schule" gewissermaßen gleichberechtigt neben
den drei traditionellen jüdischen Religionsparteien, den Pharisäern,
Sadduzäern und Essenern 1). Die Selbständigkeit der von Judas
ausgehenden Bewegung betont das Bellum ebenfalls: die neue Sekte
habe mit den anderen nichts gemein gehabt (OUa€V -ro~c; &MOtC;
7tpocrEotxcilc;). Die Antiqwtates erheben den Vorwurf, sie sei fremd-
artig (&7tdcrcxwroc;) und ungewöhnlich (&cruv1j81)c;), ja die Sektenstifter
hätten sogar die Gesetze geändert (~ TWV 7tCX-rPLWV XCXLVLcrtC;) 2). Dies
alles legt den Schluß nahe, daß es sich bei der von Judas begründeten
Sekte um eine eigenständige Gruppe neben den anderen jüdischen
Parteien gehandelt hat, die auch ihre eigenen, ausgeprägten
V orstellungen besaß.
Dieser Annahme widerspricht jedoch bis zu einem gewissen Grade
die klare Aussage von Antiquitates 18,23: die 4. Sekte habe sich nur
durch die Forderung nach der "Alleinherrschaft Gottes" von
den Pharisäern unterschieden 3). Dem entspricht, daß auch

wie die drei anderen. Auch B.-Gr., Rel. 87 übersieht diese Tatsache: " ... die
Partei der sogenannten Zeloten, die uns J osephus treuherzig als ,vierte philo-
sophische Sekte' schildert, die indessen nichts weiter waren als nationale Fanati-
ker ... "; ähnlich auch E. NIeyer, Ursprung u. Anfänge des Christentums,
1921ff. 2,402; M. J. Lagrange, Le ]udaisme avant ]esus-Christ. 3. A. 1931, 214
u. S. Baron, A Social and Religious History of the lews, 1937, 1,220. Richtig
wurde der Sachverhalt von G. Hölscher erfaßt, Gesch. d. isr. jüd. Rel., 1922,227:
"Auch dieser Bund wurde von ]osephus mit Recht als religiöser Verein
beschrieben". H. Rasp, ZNW 23 (1924), 28 betont zu Recht die "Rücksicht auf
ein fremdes, d.h. griechisches Lesepublikum". Vgl. auch G. Ricciotti, Flav.
Gius. 2, 208 zu b 2,119.
1) Vgl. b 2,118 u. a 18,9.23. Die von ]osephus bewußt durchgeführte Analogie
zu den griechischen Philosophenschulen ist sehr weitgehend: vita 12 werden .die
Pharisäer mit den Stoikern verglichen, a 15,371 die Essener mit den Pythagoräern.
Bei den Sadduzäern kann man als Entsprechung eventuell die Epikuräer anführen
und bei der vierten Sekte vielleicht die Kyniker, wobei sie allerdings nicht deren
Gleichgültigkeit gegen die politischen Verhältnisse teilten; s. M. ]. Lagrange,
loc. cit. u. H. Rasp, op. cit. 31: "Die Juden, will ]osephus sagen, bedeuten nicht
nur in der großen Politik etwas, sie sind auch ein hervorragender Kulturfaktor,
sie haben Philosophenschulen". Ahnlich auch G. Ricciotti, Flav. Gius. 2,208 Zu
b 2,119.
2) a 18,9; s. auch o. S. 80 A. 3. Der Vorwurf "einen neuen, fremden Gottes-
dienst einzuführen" wurde nach b 2,414 auch gegen die radikalen Priester
erhoben, die das Kaiseropfer einstellen wollten, s. dazu u. S. 111. 210.
3) Diesen Gegensatz erkannten schon O. Holtzmann, Neutestamentliche Zeit-
geschichte, 1. A. 1895,161; Sieffert, Art. Zeloten in RE 12,656; M.]. Lagrange, op.
cit. 214; G. Ricciotti, loc. cit.; eingehend behandelt die Frage W. R. Farmer, 30ft
84 DIE ,,4. PHILOSOPHENSEKTE" DES JUDAS GALILÄUS

der Ivlitbegründer Zadduk nach J osephus ein Pharisäer war. Der


hier zu Tage tretende offensichtliche Gegensatz kann durch die
wenig wahrscheinliche Hypothese einer späteren zweiten Über-
arbeitung der Antiquitates durch J osephus nicht wirklich beseitigt
werden 1). Zu einer befriedigenden Lösung dieser Frage bedarf es
vielmehr einer eingehenderen Untersuchung des Verhältnisses
zwischen der Sekte des Judas und den Pharisäern.
Eigenartig ist die Anonymität der neuen Bewegung: J osephus
nennt uns zwar die Namen ihrer Gründer, doch läßt er die von jenen
ins Leben gerufene ,,4. Philosophenschule" - im Gegensatz zu den
anderen Parteien - namenlos. Auch dieses Problem erfordert noch
eine weitere Erörterung,
Indem wir alle weiteren Detailfragen, wie die historische V or-
bereitung jener neuen Sektengründung und die Frage nach der
Person und dem Schicksal des Gründers, dem später folgenden
historischen Aufriß überlassen, konzentrieren wir uns zunächst auf
die durch die vorhergehende Erörterung aufgeworfenen Fragen:
1.) Gründete Judas wirklich eine in sich geschlossene, eigen-
ständige Sekte, und läßt sich ihre weitere Entwicklung im Verlauf
der jüdischen Geschichte bis zur Zerstörung Jerusalems verfolgen?
2.) In welchem Verhältnis stand diese Bewegung zu den Pharisäern?
3.) Welche Bezeichnung trug diese neue Sekte?
J osephus gibt uns auch Aufschluß über einige Grundanschauungen
der 4. Sekte:
1.) Als wichtigste Lehre erscheint die These, daß man Gott allein
Herr oder Herrscher nennen dürfe 2).
2.) Ein weiterer Wesenszug ist ihre "unüberwindbare Freiheits-
liebe" 3).
3.) Außerdem scheint Judas das Mitwirken des Volkes bei der
1) Diesen Weg versucht W. R. Farmer, 33 A. 23. Der Bericht des Josephus
ist jedoch a 18,1-27 durchaus einheitlich und bis auf den genannten Gegensatz
folgerichtig. Zunächst spricht J. von der Wirksamkeit des Judas und Zadduk,
um um Schluß Zu erwä.hnen, daß sie eine ,,4. Philosophenschule" gründeten
(18,9). Um dies dem hellenistischen Leser verständlich zu machen, mußte er
zunächst kurz - unter Verweisung auf die ausführlichere Darstellung im Bellum
- auf die drei anderen Parteien eingehen, um dann noch einmal der Reihenfolge
entsprechend zur 4. Sekte zu gelangen (18,11-22), wobei er diesmal insbesondere
über ihre Anschauungen und ihr Verhalten spricht (18,23-27). Die von Luqueur
ausgehende Hypothese einer späteren, durchgehenden Überarbeitung der Antt.
durch Josephus ist an sich schon unwahrscheinlich (s.o.S. 14 A. 2); erst recht
liegt bei unserer Stelle kein Grund vor, eine solche anzunehmen.
2) a 18,23f; b 2,118.433; s. u. S. 93ff.
3) a 18,4.23; s. o. S. 80 A. 4; 114ff.
DIE AUSSAGEN DER QUELLEN 85

Befreiung zur notwendigen Voraussetzung für das helfende Ein-


greifen Gottes gemacht zu haben 1).
4.) Die erbitterte Ablehnung des Census läßt vermuten, daß durch
ihn die religiösen Vorstellungen der Frommen empfindlich verletzt
wurden 2).
Eine Untersuchung der religiösen Vorstellungen jener von Judas
und Zadduk begründeten Bewegung wird von den genannten vier
Punkten ausgehen müssen. Zugleich ergibt sich dadurch auch die
:NIöglichkeit, den religionsgeschichtlichen Ort der neugegründeten
Bewegung innerhalb des Spätjudentums näher zu bestimmen. Ein
weiterer wesentlicher Punkt, die bedingungslose Martyriums bereit-
schaft, soll in anderem Zusammenhang später untersucht werden 3).

B. DIE ,,4. SEKTE" ALS SELBSTANDIGE PARTEI INNERHALB DES


SpATJUDENTUMS

1. Die Geschlossenheit und Eigenständigkeit der "4. Sekte"


Wie schon dargelegt, stellt Josephus die von Judas ausgehende
4. Sekte als eine ~aEa aZpEcn<; oder TETa.PT"1) cptAoO"ocpEa den drei anderen
jüdischen Gruppenbildungen gegenüber. Die Frage, ob es sich bei
ihr um eine "politische Partei" oder um eine "religiöse Sekte"
handelte, kann zunächst so beantwortet werden, daß die jüdischen
Gruppen des 1. Jh. n. Chr. immer zugleich beides darstellten: Die
am ehesten einer politischen Standespartei gleichkommenden Saddu-
zäer besaßen ganz bestimmte religiöse Anschauungen, und die
"religiöse Sekte" der Essener trat immer wieder mit einer klaren
Stellungnahme zum politischen Geschehen hervor 4). Die unser
Thema direkt betreffende Entscheidung, ob die neue "Hairesis"
in ihren Anschauungen und Zielen primär von politisch-nationalen
oder von religiösen :NIotiven bestimmt war, kann erst nach Unter-
suchung der sie beherrschenden Vorstellungen getroffen werden.
Man könnte mit scheinbarer Berechtigung den Einwand erheben,
die neue von Judas ausgehende Bewegung dürfe im Grunde gar nicht
1) a 18,5; s. o. S. 79 A. 5, s. u. S. 127ff.
2) a 18,3f; b 2,118; 7,253; a 20,102; Apg 5,37; s. u. S. 132ff.
3) a 18,24; s. o. S. 80, s. u. S. 265ff. 271ff. .
4) Zu den Sadduzäern vgl. b 2,164ff.; a 13,173.297f; 18,16f; s. auch Schürer
2,475ff; J. Wellhausen, Pharisäer u. Sadducäer, 1874,52f. Zu den Essenern vgl.
die scharfen Auseinandersetzungen mit den Hasmonäern 1 QpHab; TLevi 14-16;
Jub. 23,2ff. Auch der Auseinandersetzung mit Rom entzogen sie sich nicht:
b 2,152f; vgl. J. T. Milik, Dix ans de decouvertes dans le desert de Juda, 1957,
108-112.
86 DIE ,,4. PHILOSOPHENSEKTE" DES JUDAS GALILÄUS

mit jenen drei and;eren "Parteien" verglichen werden, da sie nicht


die innere Geschlossenheit derselben aufweise. Denn in späteren
Berichten zeichnet Josephus die jüdische Freiheitsbewegung in der
Form einzelner Bandengruppen, die ohne sichtbaren Zusammenhang
operierten 1), auch hat sich während des jüdischen Krieges selbst
der radikale Flügel der Aufständischen in mehrere sich heftig be-
kämpfende Gruppen aufgespalten. Unter diesen Voraussetzungen
könnte man jene ,,4. Sekte" "bien plutot ... une tendance qu'un
parti constitue" nennen 2). Die von Josephus bei seiner Darstellung
des Jüdischen Krieges für die Glieder der jüdischen Freiheitsbewegung
verwendeten Bezeichnungen: A"'(Ja"C'<X(, a~xapw~, ~'Y}A(i)"C'<X( wären dann
als Hinweise auf die Existenz mehrerer von Anfang an unab-
hängiger Gruppen zu verstehen, und der Einfluß des Galiläers Judas
könnte sich dann lediglich auf gewisse Lehren und Anschauungen
beschränken 3).
Dagegen ist jedoch zu sagen, daß J osephus nicht nur ausdrücklich
- wie schon erwähnt - die von Judas ausgehende Bewegung für
die spätere Katastrophe verantwortlich macht, sondern daß dieselbe
auch eine deutlich erkennbare Geschichte aufweist, die mit ihrer
Gründung während des Census unter Cyrenius beginnt (6/7 n. Chr.),
bei der Kreuzigung zweier Söhne des Judas durch Tiberius Alex-
ander 4) neu zu Tage tritt (vor 48 n. Ch:r.), zu Beginn des Jüdischen
Krieges in der Gestalt eines weiteren Judassohnes, des 1!fessias-
prätendenten NIenahem, weitergeführt wird und erst mit dem-
Selbstmord der Besatzung in NIasada bzw. den NIartyrien der Sikarier

1) Vgl. b 2,234ff: Eleazar b. Dinai; a 20,5: Tholomäus; a 20,97ff: Theudas;


b 2,261ff = a 20,169ff: der Ägypter. Auch die Unbestimmtheit der Bezeichnung
).:ncr't"cxL würde dafür sprechen: s. o. S. 46 A. 3.
2) So C. Guignebert, Le monde Juif vers le temps de Jesus, 1950, 222. G.
vermutet auch, daß Judas dem Galiläer die von Josephus zugeschriebene Bedeu-
tung kaum zukomme: "Je n'ai pas grande contiance dans cette histoire qui
repond au desir constant chez les anciens, de rapporter les mouvements collectifs
a l'initiative d'une personne" (221). V gl. auch Bo Reicke, Diakonie, Festfreude
u. Zelos, Uppsala Universitets Arsskrift 5 (1951), 199: "Man sollte den Zelotismus
in einem nicht so engen Sinne wie bei Josephus auffassen. Es handelt sich nicht
um eine streng begrenzte Partei, sondern um eine allgemeine Bewegung, die für
das ganze Judentum dieser Zeit innerhalb und außerhalb Palästinas bezeichnend
war ... ". Ähnlich jetzt wieder J .-A. Morin, RB 80 (1973), 332ff.
3) V gl. dazu vor allem die Herausgeber der "Beginnings of Christianity"
s. o. S. 66 A. 3; ihnen folgt R. H. Pfeiffer, History of New Testament Times,
1949, 35f.59. Gegen sie wendet sich J. Klausner, Hist. 4,20lfu. S. G. F. Brandon,
The Fall of Jerusalem ... , 1951, 105 A. 1.
4) a 20,102.
DIE ,,4. SEKTE ALS SELBSTÄNDIGE PARTEI 87

in Ägypten (73 n. ehr.) ihr Ende findet 1). Die organisatorische


Kontinuität der neuen Sekte wurde durch die Fortdauer der Dynastie
des Judas in seinen Söhnen· und Enkeln gewährleistet; die unver-
änderte Tradition seiner Lehre zeigte sich an der Beharrlichkeit,
mit welcher jene Sikarier in Ägypten selbst unter Folterqualen an der
These von der "Al