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Maria Callas
Kein Wort zu viel. Keine Pose. Keine Verklärung. Dafür Trauer in den Augen, Unsicherheit, Mut.
Sieht so eine Diva aus? Das Interview aus dem Jahr 1969, in dem sich Callas schonungslos
realistisch und offen zeigt, schmückt eine DVD, die das Label EMI zum dreißigsten Todestag
herausgebracht hat. Neu ist es natürlich ebenso wenig wie die Filmmitschnitte von Callas-
Konzerten zwischen 1958 und 1965. Neu ist allerdings auf DVD jene Aufnahme von „Casta
Diva“, die Callas am Silvesterabend 1957 fürs Fernsehen sang, zwei Tage vor der
abgebrochenen „Norma“-Vorstellung in Rom, dem größten Skandal ihrer Laufbahn.
Warum altern diese Aufnahmen nicht? Versuch einer Antwort: weil Callas die paradoxe Einheit
schafft von Modellhaftem und einem allzeit spürbaren menschlichen Maß. Dieses Singen lässt
verführerische Nähe zu. Jeder Depp kann sich darin verlieren, unbewusst - höchste Lust.
Callas, die Verfügbare, die Ikone, die Trösterin der einsamen Herzen, belästigt von
Superlativen, verramscht von Hollywood: das ist das bitterste Kapitel ihres Nachruhms. Und
doch bleibt ihr Singen Artefakt, zweite Natürlichkeit, pure Diskretion. Wie zurückhaltend hat sie
die Dalila von Saint-Saëns gesungen. Wo Mezzosoprane üblicherweise sinnlose Sinnlichkeit
ausstellten, setzt sie auf schlanke Melodik und von Trauer unterlegte Eleganz. Dalilas Liebe ist
ein Werkzeug zum Tod. Deshalb singt Callas die große Verführungsarie wie ein verhaltenes
Lied von Mahler. Wie keusch klingt ihre Rosina, ganz dem Esprit vertrauend, den Rossini
hineinkomponiert hat, in seinen „Barbier von Sevilla“. Nichts hinzufügen und nichts weglassen:
Callas ist eine Sklavin der alten Musikerregel - und ihre Prophetin.
Stimmlich war Maria Callas nie wirklich jung. Deshalb stellte sie Jugend her. Der Klang ihrer
Mimi, Gilda, Butterfly, Lauretta lebt vom Wagnis der Mädchenstimme. Dieser Klang ist ein
perfekt gerundetes Kunstprodukt und doch Fenster zur Seele. Deshalb bleibt seine gestaltete
Süße unsentimental. Kraft gewinnt er aus dem, was dahinter lauert. Das ist der allzeit
verfügbare, düstere, große Schicksalston, der gleichwohl nie ins Unpräzise wuchert: weder
stimmlich noch in Sachen Ausdruck.
Je klarer die Diktion ist, je reiner der Klang, desto besser wird die Interpretation, hat Callas bei
ihrer Masterclass an der Juilliard School gesagt. Und: Gutes Rubato, das Geben und Nehmen
von Zeit, sei das Lebenselixier romantischer Musik. Wie beides zusammengehört, hat sie
vorgemacht, sogar noch in den späten Aufnahmen, wo die Stimme eigentlich nicht mehr
mitmachte. Callas, die Musikerin, ist das eigentliche Erlebnis beim Wiederhören: jene
perfekten Portamenti zum Beispiel, die stimmtechnisch und musikalisch zusammenführen, was
zusammengehört. Oder jene Atemzäsuren, die Teile der Gesangsphrasen sind, einkomponiert
oft, sinnstiftend, selten zäsurierend. Oder die Legatokultur, die nicht um ihrer selbst willen da
ist, sondern um Gedanken musikalisch zu gliedern.
Aber, seien wir ehrlich: Wie oft, wenn es heute um Callas geht, geht es um Details und Vielfalt
ihrer Kunst? Dreißig Jahre nach ihrem Tod soll Callas vor allem als Geldmaschine dienen.
Siebzig CDs, alles, was sie jemals im Studio aufgenommen hat, bringt EMI als Box auf den
Markt. Wem das zu viel ist, der kann sich mit Querschnitten auf acht CDs begnügen, darunter
die berühmte „Traviata“ unter Carlo Maria Giulini aus der Mailänder Scala von 1955. Für
Neuankömmlinge im Wunderreich der Callas gibt es ein populäres Doppelalbum: „The One and
Only“. Die ersten Studioproduktionen, darunter jene Ausschnitte aus „Norma“ und „I Puritani“
vom 9. und 10. November 1949, mit denen sie ihren medialen Ruhm begründete, entstanden
noch bei Fonit Cetra. Sie wurden hier nun neu aufgelegt, finden sich jedoch auch in der großen
EMI-Edition.
Trotz dieser Fülle: Callas, die Suchende, wird erst finden, wer die Studioproduktionen mit dem
vergleicht, was an Live-Mitschnitten erhalten ist und bei diversen Labels kursiert. „Lucia di
Lammermoor“ also bitte nicht nur unter Tullio Serafin, sondern auch unter Herbert von Karajan
im Berliner Theater des Westens, „La Traviata“ unbedingt mit Alfredo Kraus aus Lissabon,
Wagners Kundry, Mozarts Marternarie aus dem Konzert. Vor allem aber: Cherubinis „Medea“
mit Leonard Bernstein aus der Mailänder Scala. Was man da hört, schaudernd oft, angesichts
mieser Streicher und holpriger Bläser, ist die Wahrheit des dramatischen Augenblicks. Callas
baute diese Wahrheit aktiv auf, und sie vertraute ihr gleichzeitig vollkommen, ließ sich fallen,
reagierte auf die Mikrospannungen der einzelnen Aufführung.
Davon verraten die Studio-Elaborate nichts. Dafür haben sie ihre eigene Wirkungsgeschichte:
Callas und ihre Platten waren eine Drohung. Jahrzehntelang blockierten sie Stücke für dem
Opernbetrieb. Niemand traute sich heran. Dieses noch postum behauptete Monopol hat sich
erst in den letzten Jahren gelockert. „Norma“ wurde unlängst in Gießen und Essen gespielt,
demnächst in Regensburg. Als Monolith verblasst Callas, als Künstlerin niemals. Keine
schlechte Botschaft zu diesem Jubiläum.
Maria Callas, The Complete Studio Recordings 1949-1969. 70 CDs, EMI 3 95919-3 95988
Maria Callas, Opera Highlights. 8 CDs, EMI 3 97104
Maria Callas, The One and Only. 2 CDs, EMI 3 96341
The eternal Maria Callas. DVD, EMI 5 00720 9
Simply Callas, The Early Recordings. 6 CDs, Fonit Cetra / Warner 69877