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Tiergesundheit

Gesunde Klauen im Laufstall


durch vorbeugenden
Klauenschnitt
H. Kümper, Gießen

n Kuhställen mit Laufgängen ohne Einstreu und perforierter oder planbefes-

I tigter Oberfläche sind Klauenleiden zu einem der wichtigsten Bestandspro-


bleme geworden. Patentrezepte zur Garantie gesunder Klauen, etwa durch
Gabe eines Futterzusatzstoffes oder durch ein besonderes Klauenbad, gibt es
zur Zeit nicht. Der Rinderhalter kann nur versuchen, durch Unterstützung der
normalen Klauenfunktion und durch Optimierung von Haltung, Fütterung und
Zuchtwahl die Widerstandsfähigkeit seiner Tiere so weit zu verbessern, dass
sie den Strapazen der modernen Stallhaltung gewachsen sind. Hierbei besteht
die Hauptaufgabe des Landwirtes darin, Klauenschäden zu vermeiden. Die
Therapie komplizierter Klauenleiden und insbesondere Klauenoperationen,
und das sind alle Eingriffe, bei denen im lebenden Gewebe geschnitten wird,
gehören in die Hand des Tierarztes. Laienbehandlungen richten auf diesem Ge-
biet viel Schaden an und oft genug wird dabei gegen das Tierschutzgesetz ver-
stoßen, denn es gibt nur wenige Erkrankungen, unter denen Kühe stärker lei-
den als unter chronisch-schmerzhaften oder durch falsche Behandlung ver-
schlimmerter Klauenerkrankungen (Foto 1).

Aufbau und Funktion an das Muskel- und Skelettsystem weiter.


der Rinderklaue Obwohl eine Kuh fast zehnmal soviel
wiegt wie ein durchschnittlicher Mensch,
Eine gesunde Klaue soll auf unter- ist die Kontaktfläche ihrer Klauen zum Bo- Foto 1: Kompliziertes Sohlengeschwür, schwe-
schiedlichem Boden Trittsicherheit so- den zusammengenommen nicht viel re Lahmheit, fortwährende Eiterung des Soh-
wohl im Stand als auch in der Bewegung größer als bei den Füßen eines Men- lendefektes, Gewebswucherung im Wundbe-
ermöglichen. schen. Kühe leben auf „kleinem Fuß” und reich und Schwellung des gesamten Ballens
Sie trägt dabei nicht nur das Körperge- Schäden an den Klauen sind nicht zuletzt deuten auf eine Infektion von Beugesehne
wicht, sondern sie gibt auch die in der Be- wegen dieser hohen Druckbelastung oder Klauengelenk hin. Hier hätte längst schon
äußerst schmerzhaft. ein Tierarzt konsultiert werden müssen!
wegung auftretenden Belastungsspitzen

Nur durch einen hochentwickelten Auf-


hängemechanismus, welcher den Druck
des Skelettsystems auf das Klauengelenk
in eine Zugbelastung der Klauenwand
umwandelt, wird eine schmerzhafte Quet-
schung der Sohlenlederhaut bei gesun-
den Klauen vermieden. Das Klauenbein
ist hierzu mit Hilfe von etwa 1300 Leder-
hautlamellen elastisch in der Hornkapsel
aufgehängt (Abb. 1). Diese Wandleder-
hautlamellen sind zum Zwischenklauen-
spalt hin viel schwächer ausgebildet als
abaxial1). Die Aufhängung des Klauenbei-
nes ist aber dennoch so stabil, dass man
diesen Knochen mit mehr als 5 Zentnern
Gewicht belasten kann, ohne dass er auf
Abb. 1: Verteilung der Wandlederhautlamellen im Hornschuh. Das Klauenbein ist mit Hil- die Sohlenlederhaut drückt. Bei Belas-
fe von etwa 1300 Wandlederhautlamellen elastisch im Hornschuh aufgehängt. Die Befes-
tigung ist abaxial (Abb. li.) und dorsal3) sehr stabil. Im hinteren, axialen Drittel des Horn-
schuhs (Abb. re.) sind jedoch keine Wandlederhautlamellen angelegt, so dass das Klau- 1) abaxial = der entfernt vom Zwischenklauenspalt
enbein hier, wo auch die meisten Sohlengeschwüre zu finden sind, besonders viel Bewe- gelegene Teil der Klaue
3) dorsal = der zum Fußrücken gelegene Teil der
gungsspielraum hat.
Klaue

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Klauenbeines im Hornschuh sind daher
die wichtigsten Voraussetzungen für eine
natürliche Klauenfunktion.
Die Qualität des Klauenhornes und die
dadurch bedingten Grenzen der Belast-
barkeit durch Feuchtigkeit und Abrieb sind
in hohem Maße erblich. Die Hornqualität
wird aber auch durch Stoffwechselbelas-
tungen (Trächtigkeit, Laktation) und durch
die Fütterung beeinflusst. Schlechte Hal-
Foto 2: Reheklaue. Eine durch chronisch rezi- tungsbedingungen, starke Verschmut-
divierende Rehe missgebildete Klaue erkennt zung, Nässe und Infektionserreger sowie
man an der konkaven Klauenwand und an den, rutschiger, zu rauer oder unebener Boden
sich von vorn nach hinten verbreitenden Re- schädigen das Klauenhorn zusätzlich.
heringen im Wandhorn. Solche Klauen sind be- Auch die Erschütterungen und Belas-
sonders gefährdet für Blutergüsse und Ge- tungsspitzen beim Laufen auf hartem Bo-
schwüre an der Sohlenfläche und für Infektio- den können den Aufhängeapparat des
nen der Klauenwand
Klauenbeines überfordern.
Der Aufhängeapparat des Klauenbei-
tung des Klauenbeines entsteht Zug an nes wird besonders oft durch die Klauen-
den Lederhautlamellen. Diese Zugkräfte rehe geschädigt: Bei dieser Erkrankung
werden auf den Hornschuh übertragen, kommt es durch eine Entzündung der
welcher sich etwas verformt und so zur Wandlederhaut zur Lockerung des Klau-
Stoßdämpfung beiträgt. Starke Stöße enbeines im Hornschuh. Das Klauenbein
werden zusätzlich durch ein gelartiges sinkt nach unten ab und drückt ständig auf
Fettpolster im hinteren Sohlenbereich ab- die Sohlenlederhaut. Durch diese Fehlbe-
gefedert. lastung entstehen zunächst schmerzhafte
Auf festem Untergrund wird der Kon- Blutergüsse und Quetschungen der Soh-
takt zum Boden im Idealfall fast aus- lenlederhaut. Im weiteren Verlauf einer
schließlich über das harte und besonders Klauenrehe entstehen häufig missgebil-
widerstandsfähige Horn des Tragrandes dete Klauen mit niedrigen Trachten, ver-
hergestellt. Die Sohlenfläche trägt nur in breiterter, rissiger weißer Linie, konkaver
der Nähe des Tragrandes zur Lastaufnah- vorderer Klauenwand und typischen, sich
me bei. Ein festes und belastbares Wand- von vorn nach hinten verbreiternden Re-
horn und eine sichere Aufhängung des heringen (Foto 2).
Bei zu lang gewachsenen Klauenspit-
zen, wie sie im Tieflaufstall oder in der An-
bindehaltung infolge fehlender Abnutzung
des Tragrandes auftreten, wird das Kör-
pergewicht durch die Hebelkraft der Klau-
enspitze ständig auf den Ballen und auf
den hinteren Sohlenbereich verlagert.
Dort entstehen dann Quetschungen der
Sohlenlederhaut vorzugsweise an den
Außenklauen der Hintergliedmaßen.
In Laufställen ohne Einstreu sollten
sich Wachstum und Abrieb des Wandhor-
nes die Waage halten. Probleme bereitet
die dauerhafte Feuchtigkeit des Bodens,
denn sie vermindert die Widerstands-
fähigkeit des Wandhornes. Das aufge-
weichte Horn des Tragrandes wird auf
dem rauen, harten Untergrund abgerie-
ben, so dass die gesamte Sohlenfläche
Bodenkontakt bekommt. Bei der Milchkuh
sind die Außenklauen an den Hinterglied-
maßen schon von Jugend an etwas
größer und höher als die Innenklauen und
sie werden daher auch stärker belastet
als diese. Die stärkere Belastung fördert
Foto 3: Sohlengeschwür an einer übermäßig
das Hornwachstum und führt mit der Zeit,
gewachsenenen Außenklaue. Wenn die
Außenklaue an den Hintergliedmaßen deutlich
im Rahmen einer Belastungshypertro-
höher ist als die Innenklaue, wird der größte phie, zu einer Größenzunahme der
Teil der Körperlast vom axialen Bereich der Außenklauen, die dann, insbesondere in
Außenklaue getragen. Hier entstehen dann be- der Nähe des Zwischenklauenspaltes,
sonders oft Sohlengeschwüre. übermäßig viel Gewicht tragen. Dort wird

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die Sohlenlederhaut dann bei hartem Auf- krankungen bereits vor Auftreten von
treten zwischen dem Klauenbein und dem Lahmheit behandeln zu können, sollten
Sohlenhorn gequetscht (Foto 3). mindestens 2- und im Idealfall 4-mal jähr-
Betroffene Kühe erkennt man am bes- lich alle Klauen gesäubert und inspiziert
ten, wenn man sie von hinten beobachtet: werden. Im Rahmen dieser Klaueninspek-
Da die Außenklaue deutlich höher als die tion können dann im Bedarfsfall auch
Innenklaue ist, nehmen die Tiere eine Hornkorrekturen zur Verbesserung der
„kuhhessige”, d. h. leicht x-beinige Glied- Klauenbelastung durchgeführt werden.
maßenstellung ein. Die Überlastung der Nach der Klauenpflege sollen die behan-
Außenklauen an den Hintergliedmaßen ist delten Tiere stets besser und sicherer lau-
im modernen Laufstall mit Betonboden fen als vorher – wenn dies nicht der Fall
eine der Hauptursachen für Sohlenge- ist, wurde falsch gepflegt. Eine korrekte
schwüre. Selbst wenn bereits Druckschä- Klauenpflege stellt hohe Anforderungen
den der Sohlenlederhaut vorliegen, sieht an Sachverstand und handwerkliches
die Winkelung einer derartigen „Laufstall- Können der durchführenden Person. Ex-
klaue” von der Seite her betrachtet korrekt treme Belastungsänderungen sind zu ver-
aus. meiden. Zu dünn geschliffene Sohlen,
Verletzungen der Klauenspitze (Foto 4)
oder zu radikales Kürzen des Tragrandes
können katastrophale Auswirkungen auf
die Tiergesundheit haben!

Sichtkontrolle der Klauen Foto 5: Sohlenfläche einer Klaue im Laufstall


mit nassen, kotverschmutzten Laufgängen.
Am Einzeltier ist zunächst die Klauen- Die Außenklaue ist größer und höher als die In-
nenklaue. Das Ballenhorn ist aufgequollen und
form und die Gliedmaßenstellung am ste-
rissig. Unter der voll gewachsenen und dunkel
henden Tier und in der Bewegung zu be- verfärbten Sohle der Außenklaue ist ein Ge-
Foto 4: Entzündung der Klauenspitze. Verlet- gutachten. Größen-, Symmetrie-, Form- schwür zu erwarten
zungen der Klauenspitze beim Klauenschnitt und Stellungsunterschiede zwischen den
können katastrophale Folgen haben. Wenn
Klauen der einzelnen Füße sind zu beur- sind Festigkeit und Qualität (Wachstums-
dort Schmutz und Eitererreger in Wunden ein-
dringen, kommt es zu schweren Infektionen teilen. Auf dem Weg zum Klauenstand ist ringe, Rehe-Ringe, lose Wand), Länge
von Wandlederhaut und Klauenbein auf Schonhaltungen und auf Belastungs- und Winkelung der Klauenspitze sowie
unterschiede zwischen einzelnen Klauen Trachten- bzw. Ballenhöhe zu beurteilen.
Eine funktionsorientierte Klauenpflege bzw. Gliedmaßen zu achten. Die Sohlenfläche ist auf überschießendes
verfolgt daher, neben der Herstellung ei- Im Klauenstand werden die Klauen und Hornwachstum, insbesondere im hinte-
ner korrekten Länge des vorderen Wand- der Zwischenklauenbereich zunächst ren, zum Zwischenklauenspalt gerichteten
hornes stets das Ziel, das Körpergewicht gründlich gereinigt und anschließend un- Sohlendrittel sowie auf Risse und Spalten
an allen Gliedmaßen möglichst gleich- tersucht. Zwischenklauenspalt und Kron- am Übergang zum Ballen zu prüfen (Fo-
mäßig auf die Innen- und Außenklauen zu saum sind auf Risse, Aufweichungen und to 5). Nach Anlegen eines frischen Schnit-
verteilen. Hierzu sollte der Trachtenbe- Zubildungen zu prüfen. Bei Betrachtung tes mit dem Klauenmesser lassen sich Be-
reich von Innen- und Außenklaue gleich der Klauen ist auf Unterschiede in der schaffenheit und Farbveränderungen des
hoch zugerichtet werden. Auf hartem Bo- Symmetrie zwischen Innen- und Außen- Sohlenhornes und die Unversehrtheit der
den muss der besonders gefährdete axia- klaue und auf daraus resultierende Belas- weißen Linie (Verbreiterungen, quer oder
le2) Bereich der Außenklaue zusätzlich tungsanomalien zu achten. Am Wandhorn längs verlaufende Risse) beurteilen.
durch eine Hohlkehlung entlastet
werden. Diese Hohlkehlung
bleibt allerdings nicht lange be- Werkzeuge zum
stehen. Bereits 3 – 4 Monate Klauenschnitt
nach einem korrekten Klauen-
schnitt ist der hohlgekehlte Be- Zur eigentlichen Durchführung
reich wieder von nachwachsen- des Klauenschnittes stehen zahl-
dem Horn ausgefüllt worden und reiche Werkzeuge zur Verfügung
die Belastungsverhältnisse sind (Fotos 6 u. 7). Die nachfolgende
fast wieder so wie vor dem Klau- Beschreibung erhebt daher kei-
enschnitt. nen Anspruch auf Vollständigkeit.
Klauenzangen mit und ohne He-
beluntersetzung sind universell
Klauenkontrolle und einsetzbar und dienen der ra-
Klauenschnitt schen Entfernung größerer Horn-
mengen an Klauenspitze und
Um Fehlbelastungen frühzeitig Foto 6: Instrumente zur maschinellen Klauenbearbeitung. Klauenunter- Tragrand sowie dem Kürzen der
zu erkennen und um Klauener- suchungszange zur Prüfung der Sohlendicke; Schruppscheibe (Durch- Afterklauen. Die Bearbeitung von
messer 110 mm, links) oder hartmetallbestückte Metallscheibe (Mitte) hartem, trockenem Horn erfor-
) axial = der dem Zwischenklauenspalt Klauenmesslehre zur Prüfung der Kontaktzonen und der Belastungsver-
2 dert aber viel Kraftaufwand. Bei
hin zugewandte Teil der Klaue hältnisse unsachgemäßem Gebrauch kön-

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nen schwere Verletzungen, z. B. vertretbarer Staubentwicklung


durch Eröffnung der Klauenspit- und langer Haltbarkeit. Beim Ge-
ze, verursacht werden. brauch von Winkelschleifern
Klauenmesser mit langer kräf- muss die Sohlendicke sorgfältig
tiger Klinge bieten sich zur Redu- überwacht werden.
zierung der Sohlendicke, speziell Beim Arbeiten mit Winkelschlei-
bei weichem Horn mit hohem fern ist eine spezielle Schutzaus-
Feuchtigkeitsgehalt an. Zur ge- rüstung (Gehörschutz, Schutz-
fühlvollen Nachbearbeitung von brille, Schutzhandschuhe, evtl.
Sohle und Ballen und zum Aus- Feinstaubmaske) erforderlich.
schneiden von Sohlendefekten Eine Klauenuntersuchungszan-
sind Klauenmesser mit kürzerer, ge dient Tierärzten bei der Lahm-
schmaler Klinge besser geeignet. Foto 7: Instrumente zur manuellen Klauenbearbeitung. Von links nach heitsuntersuchung zur exakten
Das Schärfen von Klauenmes- rechts: Klauenmesslehre „Klauen-Check”; Klauenmesser mit langer kräf- Lokalisierung von Schmerzen,
sern erfordert besondere Sorgfalt tiger Klinge (z. B. Wopa); hebeluntersetzte Klauenzange; Wopa-Klauen- sie kann aber wegen ihres
zange; Klauenuntersuchungszange. Diese Instrumente eignen sich be-
und darf nur von der konkaven langen Hebelarmes auch gut von
sonders zur Bearbeitung von weichem Horn mit hohem Wassergehalt im
Seite der Klinge her erfolgen. Nur Boxenlaufstall ohne Einstreu Landwirten benutzt werden,
die U-förmig gebogene Spitze um beim Klauenschnitt die Dicke
des Klauenmessers darf von ihrer konve- große Hornmengen ab, sind aber wegen des Sohlenhornes abzuschätzen.
xen Seite her geschärft werden. der erheblichen Verletzungsgefahr für Knopfsonden dienen der Untersuchung
Elektrische Einhandwinkelschleifer Mensch und Tier nur geübten Anwendern von Zusammenhangstrennungen, Horn-
können, bestückt mit unterschiedlichen zu empfehlen. Flexible Schleif- oder defekten und Fistelöffnungen. Eine Arteri-
Schleifscheiben, ebenfalls zur Klauenpfle- Schruppscheiben sind zur Hornbearbei- enklemme mit Zähnen erleichtert das Ab-
ge verwandt werden. Vor- und Nachteile tung geeignet, erzeugen aber relativ hohe tragen von Doppelsohlen. Loses Horn
dieser Geräte werden in Fachkreisen seit Reibungswärme und einen unangenehm wird mit der Klemme erfasst und angeho-
langem kontrovers diskutiert. Wichtigste feinen Schleifstaub. ben und kann anschließend mit dem Klau-
Voraussetzung für eine gefahrlose An- Einen guten Kompromiss stellen mit enmesser entfernt werden, ohne die da-
wendung ist eine sichere Fixierung des Hartmetallgranulat bestückte Metallschei- runter liegende Lederhaut zu verletzen.
Fußes, z. B. auf einem Kippstand. Mes- ben dar. Sie ermöglichen einen raschen, Bei sehr dickem oder hartem Sohlenhorn
serbestückte Scheiben tragen rasch aber gut kontrollierbaren Hornabtrag bei kann der Winkelschleifer eingesetzt wer-

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den, um die Hornstärke soweit zu reduzie-


ren, bis eine Bearbeitung mit Messer und
Klemme möglich wird.
Zur Kontrolle von Form, Symmetrie und
Lastaufnahme der einzelnen Klauen kann
ein Lineal oder eine spezielle Klauen-
messlehre verwandt werden.

Funktioneller Klauenschnitt

Für einen orthopädischen Klauen-


schnitt, der Anatomie und Biomechanik
der Klaue berücksichtigt, hat sich der Be-
griff „Funktionelle Klauenpflege” einge-
bürgert. Die funktionelle Klauenpflege hat
folgende Ziele:
Abb. 2: Belastungsunterschiede zwischen spitzen und normal (45 – 50°) gewinkelten Klauen. Bei
1. Verlagerung der maximalen Lastauf-
spitz gewinkelten Klauen liegt das Ende des Klauenbeines tiefer als die Klauenbeinspitze. Das Kör-
nahme auf das mittlere Drittel von Trag- pergewicht verlagert sich zunehmend auf den Ballen und auf den hinteren Sohlenbereich und führt
rand und Sohlenfläche (Abb. 2 u. 3) dort zu Quetschungen, Blutergüssen und Sohlengeschwüren (Abb. li.). Bei normal gewinkelten
Gesunde Kühe der Rasse „Deutsch Klauen (Abb. re.) verläuft das Klauenbein parallel zur Sohlenfläche, und das Körpergewicht wird
Schwarzbunt” haben eine relativ ein- durch das Zusammenwirken von Klauenbein, Wandlederhaut und Wandhorn hauptsächlich auf den
heitliche Klauengröße. Um eine Entlas- Tragrand verlagert.
tung der Ballenregion zu erreichen,
kann die vordere Klauenwand in den
meisten Fällen gefahrlos durch einen
senkrecht zur Sohlenfläche verlaufen-
den Schnitt auf eine Länge von etwa
75 mm (kleine Tiere 73 mm, große Tie-
re 78 mm) gekürzt werden.
2. Gleich starke Belastung von Innen- und
Außenklauen an allen Gliedmaßen
(Abb. 4 u. 5)
Durch Klauenpflege soll eine gleich-
mäßige Gewichtsverteilung auf alle
Klauen erreicht werden. Um an den be-
sonders gefährdeten Hinterglied-
maßen solch eine gleichmäßige Last-
verteilung zu erreichen, muss die Höhe
der Außenklauen an die Höhe der In- Abb. 4: Belastungsanomalie bei unterschiedlich hohen Klauen. Bei unterschiedlicher Höhe von In-
nen- und Außenklauen verlagert sich das Körpergewicht zunehmend auf den axialen Bereich der
nenklauen angeglichen werden. Hierzu
höheren Klaue (vorne meist die Innenklaue, hinten die Außenklaue) und führt dort zu Überlastun-
muss in erster Linie die Außenklaue gen und Quetschungen der Sohlenlederhaut, aus denen sich „Rusterholz’sche” Sohlengeschwüre
verkleinert werden, während die In- entwickeln können (Abb. li.). Oberstes Ziel der Klauenpflege, insbesondere auf hartem ebenem Bo-
nenklaue oft geschont werden kann den, ist die Herstellung einer gleichmäßigen Lastverteilung auf Innen- und Außenklauen (Abb. re.)
(Abb. 4). Wenn bereits Druckstellen an und eine Entlastung des hinteren axialen Sohlenbereichs durch Hohlkehlung.
der Außenklaue erkennbar sind, kann
man sogar versuchen, die Innenklaue
im Trachtenbereich etwas höher als die
Außenklaue zu belassen, um so der
Außenklaue Erholung zu gewähren
(Abb. 5).
3. Ausrichtung der Sohle parallel zur Un-
terseite des Klauenbeines (Abb. 6)
Bei allen Korrekturmaßnahmen an
Klauen ist darauf zu achten, dass das
Klauenbein im Hornschuh möglichst
parallel zur Sohlenfläche steht. Dabei
sollte die gesamte Sohlenfläche, mit
Ausnahme des hohlgekehlten Berei-
ches, gleichmäßigen Bodenkontakt ha-
ben (Abb. 6, Foto 8). Ein Abschrägen
der Sohlenfläche zum Zwischenklau-
enspalt hin führt zu ungleicher Sohlen- Abb. 5: Entlastung von Druckstellen und Sohlengeschwüren. Wenn möglich, kann man den Trach-
tenbereich der gesunden Klauen höher belassen als den der erkrankten Klaue, um Lederhautquet-
dicke und erhöht die Verletzungsgefahr
schungen Gelegenheit zur Abheilung zu geben. Alternativ kann die gesunde Klaue auch durch ei-
im Bereich der axialen weißen Linie nen Holzklotz oder durch einen Klauenschuh erhöht werden.
(Abb. 4). Die Klauen sind so zuzurich-

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75 mm 82
82 mm
mm
75
mm
5 mm

50°

Abb 3: Gebrauch der Klauenmesslehre. Mit der Klauenmesslehre „Klauen-Check” lässt sich schnell prüfen, ob eine normale Klauenform vorliegt: Die
Messlehre wird am angehobenen Fuß von vorn auf die Klaue geschoben. Sie liegt im Idealfall der Sohle und dem vorderen Wandhorn direkt an
(Abb. re.) Die vordere Klauenwand ist dann 82 mm lang und der Winkel zwischen Sohle und vorderer Klauenwand beträgt etwa 50°. Bei zu lang ge-
wachsenen „Stallklauen“ ist der Winkel zwischen Sohle und Wand spitzer als 45° und die vordere Klauenwand ist länger als 82 mm (Abb. li.). Um Stall-
klauen zu korrigieren, kann die vordere Klauenwand bei den meisten Kühen durch einen senkrecht zur Sohlenfläche verlaufenden Schnitt auf eine Län-
ge von 75 mm (leichte Tiere 73 mm; schwere Tiere 78 mm) gekürzt werden (Abb. Mi.). Anschließend wird die Sohle soweit abgetragen, bis an der Klau-
enspitze noch eine 5 mm hohe Schnittkante übrig bleibt. Da nicht alle Kühe dem Durchschnitt entsprechen, darf beim Gebrauch der Klauenmesslehre
aber keineswegs auf die Kontrolle der Sohlendicke verzichtet werden. Besondere Vorsicht ist bei extremen Größenunterschieden zwischen Innen- und
Außenklauen sowie bei missgebildeten oder durch Krankheit deformierten Klauen geboten.

Abb. 6: Kontrolle der Sohlenplanlage. Bei der


Klauenpflege mit einem Winkelschleifer wird
die Schleifscheibe häufig unbewusst zum Zwi-
schenklauenspalt hin verkantet, so dass, von
vorn betrachtet, ein dachförmiges Klauenprofil
entsteht. Bei dieser Art des Klauenschnitts be-
steht erhöhtes Risiko für Lederhautverletzun-
gen im axialen Sohlenbereich (Abb. re.). In der
Bewegung wird das Körpergewicht zu sehr auf
den abaxialen Tragrand verlagert. Wenn die
Klauenlehre flach auf die Sohlenfläche beider
Klauen gelegt wird, lässt sich, bei Betrachtung
von vorn, leicht überprüfen, ob die gesamte
Fläche des vorderen Sohlendrittels gleich-
mäßigen Bodenkontakt hat (Abb. li.).

Abb. 7: Entlastung der Sohle durch Hohlkehlung. Auf hartem Untergrund Abb. 8: Kontrolle der Hohlkehlung. Wenn die Klauenmesslehre mit zum
ist eine Entlastung des hinteren axialen Sohlendrittels durch Hohlkehlung Ballen gerichteter Öffnung auf die Sohlenflächen beider Klauen gelegt
besonders wichtig. Auf Betonboden müssen, anders als auf dem weichen wird, gibt der V-förmige Ausschnitt den Blick auf das axial gelegene Soh-
Untergrund einer Weide oder eines Tieflaufstalles, alle bei der Fortbewe- lendrittel frei (Abb. li.). Dieser Bereich sollte, insbesondere bei Haltung auf
gung, bei Kämpfen oder beim Bespringen auftretenden Belas- hartem Boden (z. B. Beton oder Asphalt), zum Schutz vor Sohlenleder-
tungsspitzen vom Bewegungsapparat kompensiert werden. Eine Sohle hautquetschungen hohl gekehlt sein, so dass die Sohle elastisch nachge-
ohne Hohlkehlung hat zum Boden hin keinen Spielraum, um nachzuge- ben kann, wenn sich das Klauenbein bei starker Belastung nach unten ab-
ben, wenn sich das Klauenbein bei hartem Auftreten absenkt. Langfristig senkt (die rechte Abbildung zeigt die physiologischen Belastungszonen
führen Fehlbelastung und fehlende Hohlkehlung zu Blutergüssen und zu von Rinderklauen). Die Klauenmesslehre ermöglicht eine rasche Kontrol-
Sohlengeschwüren. le, ob nach einer Klauenkorrektur im hinteren axialen Drittel der Sohle ein
ausreichender Sicherheitsabstand von etwa 5 mm zum Boden besteht.

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Foto 8 (links): Prüfung der korrekten Auftrittsfläche. Innen- und Außenklaue sollten gleich hoch sein und ihre Sohlenflächen sollten rechtwinklig zur Ze-
henachse verlaufen. Ein dachförmiges Sohlenprofil muss vermieden werden
Foto 9 (Mitte): Funktioneller Klauenschnitt. Die Klauen wurden gleich hoch und mit weitgehend planen, parallel verlaufenden Sohlenflächen zugerich-
tet. Die Außenklaue musste hierzu stärker beschliffen werden als die Innenklaue. Durch Anlegen einer Hohlkehlung konnte an der Außenklaue ein Hä-
matom freigelegt und entlastet werden. Ohne Klauenpflege wäre aus dieser Druckstelle früher oder später ein Sohlengeschwür entstanden
Foto 10 (rechts): Prüfung der Hohlkehlung. Nach dem Klauenschnitt sollten die Sohlenflächen von Innen- und Außenklaue gleichmäßigen Bodenkon-
takt haben. Der axiale Sohlenbereich am Übergang von der Sohle zum Ballen wird allerdings durch eine Hohlkehlung entlastet und er sollte an der be-
vorzugten Lokalisation von Sohlengeschwüren mindestens 5 mm Abstand zum Boden haben. Nur hier darf das Horn so dünn geschnitten werden, dass
es auf kräftigen Daumendruck elastisch nachgibt

ten, dass bei Blickrichtung von vorn Vorsichtsmaßnahmen hangstrennungen an der Klauen-
und bei zusammengedrückten Klauen beim Klauenschnitt spitze mit nachfolgenden schwer thera-
ein rechter Winkel zwischen axialem pierbaren Infektionen entstehen (Fo-
Wandhorn und Sohlenfläche besteht Die Überprüfung einer korrekten Belas- to 4). Lediglich im Bereich der Hohlkeh-
(Foto 8). Ein dachförmiges Klauenprofil tung und die Zurichtung einer gleichmäßi- lung darf die Sohle auf Daumendruck
ist zu vermeiden. gen Klauenform an allen Füßen lässt sich nachgeben.
4. Entlastung des hinteren, zum Zwi- mit der Klauenmesslehre „Klauen-Check” Besondere Probleme bereiten Klauen,
schenklauenspalt hin gerichteten Soh- vereinfachen. Beim Gebrauch dieser welche infolge einer chronischen Erkran-
lenbereiches (Abb. 7 u. 8) Klauenmesslehre ist aber zu berücksichti- kung so stark deformiert sind, dass sich
Um der Entstehung von „Ruster- gen, dass die Klauenform von Kuh zu Kuh mit einmaligem Schnitt keine normale Be-
holz’schen” Sohlengeschwüren vorzu- durchaus variabel ist. lastung erreichen lässt. Zwangsklauen
beugen, sollte der axiale Bereich der Ganz besonders wichtig ist die Über- oder durch Rehe missgebildete Klauen
Außenklauen durch eine Hohlkehlung von wachung der Sohlendicke. Zu dünn ge- (Foto 2) sowie Belastungsanomalien
etwa 5 mm Tiefe entlastet werden. Diese schliffene Sohlen sind eine der Hauptur- durch komplizierte Sohlengeschwüre mit
Hohlkehlung ermöglicht es der Sohle, sachen für Lahmheiten im Anschluss an Beugesehnenschäden (Kippklaue) kön-
Stößen des Klauenbeins elastisch auszu- die Klauenpflege. Wenn die Sohle in nen nur von erfahrenen Klauenpflegern
weichen und schützt die Lederhaut auf ihrem vorderen Bereich auf Daumendruck oder vom Tierarzt durch wiederholte vor-
hartem Untergrund vor Druckschäden nachgibt, ist sie bereits zu dünn. Eine aus- sichtige Korrekturen in gewissem Umfang
(Fotos 9 u. 10). reichend dicke Sohle von etwa 1 cm Stär- gebessert werden.
ke lässt sich nur Wo es möglich ist, sollte man Kühen
verformen, wenn Weidegang gewähren, denn neben den
man die Hebel- positiven Auswirkungen auf das Wachs-
kräfte einer Klau- tum und die Abnutzung der Klauen sowie
enuntersu- dem Trainingseffekt für die Muskulatur
chungszange fördert die Weideperiode auch die Heilung
ausnutzt: Sobald von aufstallungsbedingten Druckstellen
sich das vordere und Liegeschäden der Gliedmaßen. Um
Sohlendrittel mit Klauenleiden langfristig zu vermeiden,
der Zange ein- muss neben sachgerechter Klauenpflege
drücken lässt, und Fütterung sowie stallbaulichen Ver-
sollte dort kein besserungen auch größter Wert auf eine
weiteres Horn züchterische Bevorzugung klauengesun-
der Rinder gelegt werden. MP
mehr abgetragen
werden. Sohlen
mit einer Dicke
von weniger als Literatur zum Thema Klauenpflege und
5 mm können in Klauenerkrankungen bei der Redaktion
einstreulosen erhältlich
Laufgängen oder
auf asphaltierten Anschrift des Autors:
Treibwegen
Dr. med. vet. Harald Kümper, Fachtierarzt für Rinder,
durchgeschliffen Klinik für Wiederkäuer und Schweine (Innere Medizin
werden, so dass und Chirurgie) der Justus-Liebig-Universität Gießen,
Zusammen- Frankfurter Str. 110, 35392 Gießen

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