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DZPhil, Akademie Verlag, 57 (2009) 6, 885–906

Sounds Without the Mind?

Versuch einer Bestimmung des Klangbegriffs

Von SUSANNE HERRMANN-SINAI (Erfurt)

Der Grad der Stärke dieses Nacherlebens hängt freilich ab von


[…] einer Fähigkeit, die Begabung voraussetzt, aber durch ernstes
Studium sehr erheblich entwickelt werden kann. […] Nicht ohne
Berechtigung wird man dieselbe […] der Musikästhetik zuzurechnen
geneigt sein, aber ihr fester Kontakt mit der musikalischen Praxis der
Komposition sowie der Exekution (Reproduktion) ordnet sie doch
der Musiktheorie im engeren Sinne ein, und zwar als einen neuen
Zweig der s p e k u l a t i v e n T h e o r i e d e r M u s i k , die man wohl
auch P h i l o s o p h i e d e r M u s i k nennt.
Hugo Riemann

I. Nachvollzug und tertiäre Qualitäten

Es gibt innerhalb der Musikphilosophie die Ansicht, Musikhören sei wesentlich durch den
Begriff des Nachvollzugs zu verstehen. Demnach erfordert Musikhören eine spezifische
Weise des Mitmachens des Hörers. Zugleich gibt es die Ansicht, Klänge seien sekundäre
Objekte, von denen sich so genannte tertiäre Qualitäten aussagen lassen. Diese Redeweise


Aus: Ideen zu einer ‚Lehre von den Tonvorstellungen‘, in: Jahrbuch der Musikbibliothek Peters für
1914/15, Jg. 21/22, Leipzig 1916, 1–26, hier: 11; wiederabgedruckt in: B. Dopheide (Hg.), Musik-
hören, Darmstadt 1975, 14–47, hier: 27.

Vgl. unter anderem G. W. Leibniz: „Musik ist eine verborgene Tätigkeit der Seele […]“ (Brief vom 27.
April 1712 an Christian Goldbach); H. Riemann spricht von einer aktiven Tonphantasie und Vorstellen
von musikalischen Bewegungen als „wirklichem Mitmachen“ (Ideen zu einer ‚Lehre von den Tonvor-
stellungen‘ [1975], a. a. O., 33); E. Bloch schreibt: „Wenn wir also nicht mitgehen, kann nichts länger
singen“ (ders., Geist der Utopie, Werkausgabe, Bd. 3, Frankfurt/M. 1985, 181); Th. Adornos Experte,
dessen „Ohr mitdenkt“ (Einleitung in die Musiksoziologie, Frankfurt/M. 1962), gehört ebenso in diese
Argumentationslinie wie J. Deweys Begriff der „commotion“ (Art as Experience, New York 1934,
247) – im Anschluss daran: A. Wellmer, Versuch über Musik und Sprache, München 2009; sowie
insbesondere die Aufsätze aus: A. Becker u. M. Vogel (Hg.), Musikalischer Sinn, Frankfurt/M. 2007.
886 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

geht auf Roger Scruton zurück. Ich halte sie für unangemessen, weil man mit ihr letztlich
nicht im Stande ist, überzeugend zwischen musikalischen Klängen und bloßen Geräuschen zu
unterscheiden. Allerdings kann eine genaue Untersuchung des Fehlers Scrutons dabei helfen,
den argumentativen Ort zu lokalisieren, den wir der Idee des Mit- beziehungsweise Nach-
vollzugs beim Hören von Klängen einräumen sollten. Es ist also erstens en détail zu zeigen,
worin die Schwierigkeit der Rede von tertiären Qualitäten liegt (Abschnitt II). Hierbei werde
ich einen Vorschlag zum Unterschied zwischen bloßen Geräuschen und genuin musikalischen
Klängen unterbreiten. Anschließend gilt es genauer zu verstehen, was mit dem Begriff des
„Nachvollzugs“ gemeint sein kann, wenn er gehaltvoll erläutern soll, was das Spezifische am
Musikhören ist, wobei ich auf Kant zurückgreifen werde (Abschnitt III). Zwar arbeitet Kant
gerade mit Blick auf die Musik innerhalb der engen Grenzen seiner Begriffe, jedoch lassen
sich wenigstens zwei zentrale Charakterisierungen von ihm übernehmen, die der genann-
ten Fragestellung dienen können. Nach Kant hat die Musik weder die räumliche Gestalt der
bildenden Künste noch den begrifflichen Gehalt der Literatur. Ich halte beide Charakterisie-
rungen für das Verständnis von Klängen für grundsätzlich richtig und unhintergehbar – wenn
Kant auch darin widersprochen werden muss, dass beide Auszeichnungen ein Mangel der
Musik seien. Die Gehalt- und Gestaltlosigkeit der Musik sind gerade diejenigen begrifflich-
negativen Auszeichnungen, die den Weg zum positiven Verständnis des Begriffs des Nach-
beziehungsweise Mitvollzugs ebnen können.

II. Geräusch und Klang

Ein Verständnis des Begriffs des Klangs ist die Grundlage jeder Analyse des Musikhörens. Es
lässt sich dabei unterscheiden zwischen der ontologischen Frage (Was ist ein Klang?) und der
epistemischen Frage (Wie stellen wir Klänge vor?).
Klänge sind zunächst wie alle Geräusche hörbar, zugleich aber signifikant verschieden
von bloßen Geräuschen. In Sätzen wie „Der Septakkord löst sich zur Tonika auf“ sind sie
Rede­gegenstände, wie wir sie aus Musikkritik und Musikwissenschaft kennen; als solche
haben sie Objektcharakter. Jedoch entziehen sie sich zugleich den gewohnten ontologischen
Kategorien von Substanz und Akzidenz. Das sieht man leicht daran, dass in unseren Urteilen
über Musik etwas vom Klang prädiziert wird – und nicht von der einem Klang zu Grunde
liegenden Substanz (wie dem Geigenkorpus). Als reduktionistisch bezeichne ich daher im
Folgenden Auffassungen, die von Klängen als Gegenständen musikalischer Rede ausgehen,


R. Scruton, The Aesthetics of Music, Oxford 1997.

In dem Artikel Musik und Zeit bei Kant (in: Kant-Studien, 4/2009, 427–454) habe ich auf die Gren-
zen und Probleme der kantischen Musikästhetik aufmerksam gemacht. Im vorliegenden Text soll
es mir aber darum gehen, eine wichtige Einsicht Kants in das Wesen von Musik und musikalischen
Klängen zu verteidigen: dass sie sich durch Gehalt- und Gestaltlosigkeit auszeichnen.

Dies ist exakt die Frage, die H. Riemann in seinem späten Aufsatz Ideen zu einer ‚Lehre von den
Tonvorstellungen‘ beschäftigt, aber nach eigener Darstellung von Anfang an leitend für seine musik-
theoretischen Überlegungen war: „Daß das Musikhören nicht nur ein passives Erleiden von Schall-
wirkungen im Hörorgan, sondern vielmehr eine hochgradig entwickelte Betätigung von logischen
Funktionen des menschlichen Geistes ist, zieht sich als leitender Gedanke durch meine sämtlichen
musiktheoretischen Arbeiten seit meiner Dissertation.“ (Ideen zu einer ‚Lehre von den Tonvorstel-
lungen‘ [1975], a. a. O., 14)

Damit berührt die hier aufgeworfene Frage auch die nach dem Gegenstand der Disziplin Musikwis-
senschaft.
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zugleich aber nicht in der Lage sind, Klänge anders denn als auditive Akzidenzien an materi-
ellen Substanzen zu fassen.
In diesem Abschnitt sollen verschiedene Auffassungen des Klangbegriffs diskutiert wer-
den, damit klarer wird, warum es plausibel scheinen mag, Klänge als Träger tertiärer Qua-
litäten aufzufassen. Wie zu zeigen sein wird, ist diese Redeweise irreführend, obwohl sie
insofern für sich genommen richtig ist, als sie auf der Einsicht in die „Substanzlosigkeit“ von
Klängen beruht.
Man kann sich die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen bloßen Geräuschen und
musikalischen Klängen wie folgt herleiten. Es erscheint auf den ersten Blick unproblematisch
zu behaupten:
(A) Ein Klang ist, was vermittels des Ohres wahrgenommen wird.
Diese Aussage ist jedoch weit schwieriger zu verstehen, als es zunächst scheinen mag. Die erste
Schwierigkeit liegt auf der Hand: Im wachen Zustand nimmt das Ohr jederzeit Eindrücke auf,
denn das Ohr ist kein Schließorgan wie das Auge. Doch nicht für jede der in diesen Ein­
drücken gründenden Wahrnehmungen wollen wir die Bezeichnung Klang verwenden, wie
wir ihn innerhalb der Musik verstehen. Der Lärm einer Erntemaschine neben meinem Haus
ist schlicht ein störender Lärm und keine Musik. Wohl kann es Kontexte geben, in denen
auch der Lärm einer Erntemaschine Musik ist. Er kann als Element einer Komposition in
den Rahmen einer Aufführung gestellt werden, dann scheint es ein Klang zu sein (wie in der
Landmaschinensinfonie ST 210 von Erwin Stache, Leipzig). Umgekehrt kann auch das, was
wir gemeinhin Musik oder Klang nennen, als störend und lästig empfunden werden – so muss
es Kant ergangen sein, wenn er sich, wie man sagt, durch die Gemeindegesänge des seinem
Arbeitszimmer benachbarten Gefängnisses gestört fühlte. Anders freilich ist die Situation,
wenn man Teil der Gemeinde ist, die gerade singt.
Wir benötigen eine Unterscheidung zwischen Klängen und Geräuschen, mit deren Hilfe
wir zugleich den Unterschied zwischen den Situationen erläutern können, in denen wir bloß
Geräusche hören oder in der musikalische Klänge zu (störenden) Nebengeräuschen degra-
diert werden, und einer Situation, in der wir Klänge als solche erfassen.
Die Aufgabe besteht zunächst darin, den Unterschied zwischen Geräuschen und genuin
musikalischen Klängen als Antwort auf die ontologische Frage so zu artikulieren, dass eine
klare Abgrenzung zwischen beiden Begriffen möglich ist. In einem nächsten Schritt kann
die so gewonnene Abgrenzung des Klanges von Geräuschen zum adäquaten Verständnis des
Nachvollzugs beim Hörprozess beitragen und somit die epistemische Frage beantworten.


Das von mir verwendete Begriffspaar „Geräusch“ und „Klang“ findet sich auch unter anderem Namen.
So lässt sich ebenso zwischen Klang und Ton unterscheiden, wie ich es hier zwischen Geräusch und
Klang vorschlage. Dann bezeichnete „Ton“ das, was ich hier als genuin musikalischen Klang ver-
stehe – etwa in der auch Kant geläufigen Bezeichnung von Musik als „Tonkunst“ oder H. Riemanns
Frage nach den „Tonvorstellungen“. Dieses Begriffspaar ist auch keinesfalls der einzig relevante
Gegensatz in der Philosophie der Musik. Man kann beispielsweise weiter zwischen Geräuschen als
zufälligen Nebengeräuschen und substanztypischen Geräuschen unterscheiden (zum Beispiel das
Singen der Vögel als deren Lebensäußerung im Gegensatz zu dem Geräusch, das ein klappernder
Fensterkasten macht). Mir geht es in diesem Kontext um „Klang“ als allgemeinen Oberbegriff für
das, was erklingt, egal, ob es sich um einen einzelnen Ton, eine Melodie, eine Rhythmusfolge oder
ein ganzes Musikwerk handelt. Für diese Eingrenzung mag daher die Unterscheidung von bloßen
Geräuschen genügen.
888 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

Man könnte nun den Unterschied zwischen Geräuschen und Klängen dadurch zu gewin-
nen versuchen, dass man Klänge als Teilmenge von Geräuschen auffasst. Demnach wäre (A)
zu modifizieren zu:
(A’) Geräusche sind, was vermittels des Ohres wahrgenommen wird.
und nachträglich zu (A’) ein Kriterium zu entwickeln, mit dem man die kleinere Menge von
Klängen aus der der Geräusche auszeichnen kann. Ein solches Vorgehen hat jedoch die spe-
zifische Schwierigkeit, dass die so getroffene Unterscheidung entweder neutral ist bezüglich
der Frage nach musikalischen Klängen, also kein brauchbares Kriterium liefert, oder aber,
dass in dem gesuchten Kriterium bereits enthalten sein müsste, was gesucht wird. In diesem
Fall enthielte das Kriterium bereits eine implizite Auffassung des musikalischen Klangs, also von
dem, was erst durch die Eingrenzung gewonnen werden soll. Will man auf diese Weise erklären,
was musikalische Klänge sind, wird schon vorausgesetzt, was man zu erklären beansprucht.
In der Modifikation (A’) liegt jedoch noch eine andere Schwierigkeit. Bloß weil ein
Geräusch dem Ohr sinnlich-auditiv gegeben ist, ist es noch keine Wahrnehmung. Im Grunde
liegt also in (A’) eine Vermischung logischer Sinnebenen vor, denn der Begriff der Wahr-
nehmung bezieht sich auf einen Sinnkomplex und nicht auf einen singulären Sinn. Kant
unterscheidet schlicht zwischen „äußerem Sinn“, zu dem unter anderem das Gehör zählt,
und „innerem Sinn“.10 Genau genommen nehmen wir also keine Geräusche wahr, sondern
durch Tasten, Sehen, Schmecken, Riechen und/oder Hören die Objekte, die unter anderem
Geräusche machen. Gibt man jedoch in (A) und (A’) die Begrenzung auf das Sinnesorgan
Ohr auf, dann wird „Klanghören“ ein Fall des allgemeinen Wahrnehmungsverständnisses,
und das bezieht sich letztlich auf den wahrnehmbaren Unterschied zwischen einer beharr-
lichen Substanz und deren Akzidenzien. Dann aber wird es schwieriger zu verstehen, wie sich
die Wahrnehmung von Klangobjekten von der Wahrnehmung materieller Alltagsgegenstände
unterscheidet. Solange man aber diesen Unterschied nicht zu artikulieren vermag, vertritt
man letztlich jene reduktio­nistische Position, die unserer gewohnten Rede über Klänge und
Musik widerspricht.
Die Frage ist also, wie wir verstehen können was Klänge sind, wenn wir sie nicht mit
materiellen Alltagsgegenständen gleichsetzen wollen oder aber die Frage gänzlich mit dem
Einwand zurückzuweisen, dass Klänge bloß auditive Eigenschaften an Objekten, jedoch
selbst keine Objekte seien.
Es ist hilfreich, sich mit dieser Frage dem Gedankenexperiment zuzuwenden, das P. F.
Strawson im zweiten Kapitel von Individuals ausführt. Daran anschließend können die Kritik
von Gareth Evans an Strawson aus seinem Aufsatz Things Without the Mind11 und die Kritik


Etwa wenn man der Ansicht ist, dass der Unterschied nur innerhalb einer physikalischen Akustik
herauszuarbeiten sei. Das aber hieße, das Problem aus den Händen der Philosophie zu geben, ohne
die (philosophische) Frage gestellt zu haben, was eine solche Antwort für unsere Problemstellung
leisten kann.

Dies ist beispielsweise bei Hermann v. Helmholtz der Fall, der bereits im Titel seines akustischen
Hauptwerks Die Lehre von den Tonempfindungen (Braunschweig 1863) vorgegeben hat, dass es sich
um eine Untersuchung musikalischer Töne und nicht etwa aller physikalischen Schwingungen han-
deln soll. In diesem Sinne ist Helmholtz hermeneutischer, als dies manche physikalistische Lesart
nahe legen mag.
10
KrV, § 2 B 37 f. In Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1. Teil, § 9–13) wird der äußere Sinn
differenziert.
11
G. Evans, Things Without the Mind – A Commentary upon Chapter Two of Strawson’s Individuals,
in: G. Evans, Collected Papers, Oxford 1985, 249–290.
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von Roger Scruton an Evans in Scrutons The Aesthetics of Music helfen, die Argumentations-
linien Strawsons so zu sortieren, dass sie uns bei der Beantwortung sowohl der ontologischen
als auch der epistemischen Frage einen Schritt weiterhelfen können.

1. Strawson. Das Gedankenexperiment hat die Funktion eines indirekten Beweises. Die
kantische These, dass objektives Erkennen von einem dem einzelnen Erkenntnisakt vorgän-
gigen Begriff des Raumes abhänge, übersetzt Strawson in den Gedanken, dass Objektivität
überhaupt auf der Möglichkeit beruhe, einen materiellen Gegenstand mit einer räumlichen
Position in zwei Wahrnehmungssituationen zu reidentifizieren, was wiederum eine beobach-
tungsunabhängige Objektpermanenz zur Voraussetzung hätte.12 Um diesen Gedanken zu
untermauern, denkt Strawson sich eine Welt, in der es nur auditive Sinneseindrücke gibt. In
dieser Welt sei keine Reidentifikation möglich, da, wenn es nicht möglich wäre, von einer
wahrnehmungsunabhängigen Existenz auditiver Objekte auszugehen, auch keine Objekte
oder objektives Erkennen denkbar wären. Objektpermanenz sei in einer rein auditiven Welt,
in der es auch keinen Begriff von räumlicher Position gibt, nur dadurch annähernd vorstell-
bar, dass man einen von Strawson so genannten master sound annimmt, zu dem man die
anderen auditiven Sinneseindrücke ins Verhältnis setzt.13 Dieser ständig erklingende master
sound bilde mit den auditiven Sinneseindrücken zusammen Klangkombinationen, an denen
das auditive Subjekt ein Analogon zur positionsverändernden Bewegung in unserer Alltags-
welt erhält.14 Es scheint also, als erfülle dieser master sound die gleiche Funktion wie der
apriorische Raum unserer Welt und als sei der indirekte Beweis gelungen. Das Ergebnis des
Gedankenexperiments wäre demnach, dass wir uns in der auditiven Welt ein Analogon zum
Raum denken müssen, das dessen Apriorität teilt, um von reidentifizierbaren Objekten in der
auditiven Welt ausgehen zu können. Somit erhielten wir eine Legitimation für die Apriorität
des Raumes in unserer Alltagswelt.15
Es ist wichtig, dieses ursprüngliche Anliegen Strawsons im Hinterkopf zu behalten, denn
es zeigt, dass seine Überlegungen nicht primär als Beitrag zu einer Philosophie der Musik
gedacht waren, als welche sie vielfach gelesen wurden. Hier versteckt sich zugleich ein Prob­
lem, das auch zu einem Problem für unsere Frage nach dem Vorstellen von Klängen werden
kann. Denn in Strawsons Ausgangsfrage ist ein bestimmtes Vorverständnis enthalten, nach
welchen Kriterien etwas als Objekt gelten kann: dass Reidentifikation eines Objekts dadurch
möglich wird, dass die Permanenz dieses räumlich positionierten und von verschiedenen Per-
spektiven einsehbaren Objekts unabhängig von dessen Wahrgenommenwerden erklärt wird.
Allerdings wirft Strawson nicht die Frage auf, ob dieses Verständnis von Objektivität nicht
selbst hinterfragbar ist. Das führt zu einer Vorentscheidung darüber, dass Objektivität – auch

12
„We have yet to show that sense can be given to the idea of continued existence of unobserved partic­
ulars in this imaginary world.“ (P. F. Strawson, Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics,
London/New York 1990, 72)
13
„[…] it makes no sense to say that there logically could be reidentifiable particulars in a purely au-
ditory world, unless criteria for reidentification can be framed or devised in purely auditory terms.“
(Ebd., 72).
14
„[…] can we at any rate find some sort of variable feature in auditory terms which will provide what
we might call an analogy of Space?“ (Ebd., 74 f.)
15
Es scheint aber nur so. Denn nimmt man diese Analogie wörtlich, dann wäre der Raum selbst eine
Position, zu der andere Positionen in Relation stehen. Das aber widerspricht Kants Auffassung, nach
der der Raum die Bedingung der Möglichkeit ist, Relationen zwischen Positionen überhaupt als
Relationen von „neben“, „über“, „unter“, „vor“ und „hinter“ zu begreifen. Ein solcher Raum wäre
nicht a priori, genauso wenig wie ein master sound a priori ist, weil er selbst gehört werden muss.
890 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

bezüglich der Frage nach dem Objektcharakter von Klängen – möglicherweise zu stark an
diesem Verständnis räumlicher Reidentifikation materieller Objekte orientiert ist.16
Man sieht dieses Problem bereits anhand der Formulierungen, in denen Strawson das Ziel
des Gedankenexperiments erläutert:

„The assertion that material bodies are basic particulars in our actual conceptual scheme,
then, is now to be understood as the assertion that, as things are, identifying thought
about particulars other than material bodies rests in general on identifying thought about
material bodies, but not vice versa; and the question I have just raised, viz. ,Could we
conceive of a scheme providing for identifiable particulars in which material bodies were
not basic?‘, must be understood in a correspondingly revised and more general sense.“17
„[…] we want an analogy of distance – of nearer to and further away from – for only,
at least, under this condition would we have anything like the idea of a dimension other
than the temporal in which unperceived particulars could be thought of as simultaneously
existing in some kind of systematic relation to each other, and to perceived particulars.“18

Damit ist das Ziel seiner Analogie von vornherein gegeben und ebenso die Kriterien, nach
denen etwas überhaupt als Objekt (sei es auditiv oder räumlich-materiell) zählen kann. Ich
komme auf diesen Punkt bei der Diskussion von Evans’ Kritik an Strawson zurück.
Zuvor ist es aber hilfreich, verschiedene Schlüsse aus dem Gedankenexperiment klar
vonein­ander zu scheiden. Das Ziel der Beweisführung war zu zeigen, dass Gedanken von
nicht-materiellen Einzeldingen auf Gedanken von materiellen Einzeldingen beruhen – nicht aber
umgekehrt. Das Gedankenexperiment ging als indirekter Beweis vom Gegenteil dieser These aus:
Nehmen wir Gedanken von nicht-materiellen Einzeldingen, wie etwa von Klängen unserer
Alltagswelt.19 Ist es möglich, dass diese nicht auf Gedanken von materiellen Einzeldingen

16
Ich denke, dass sich eine solche Übertragung bei G. Hindrichs’ Diskussion von Strawson sehen
lässt: „Ein Klang wird jetzt wahrgenommen, gleich aber nicht mehr und soll doch weiterexistieren.
Wie könnte er das tun, wo die einzige Dimension der [auditiven] Welt die Zeit […] darstellt? In
der räumlichen Welt entstünde das Problem nicht. Der Klang könnte an entfernten Orten erklingen,
die dem Hörer nicht zugänglich sind. Doch in einer nicht-räumlichen Welt ist das nicht möglich.“
(G. Hindrichs, Der musikalische Raum, in: Musikphilosophie, XI/2007 [= Musik-Konzepte Son-
derband], hg. v. U. Tadday, 50–69, hier: 53) – Dies ist allerdings auch nicht unser Verständnis der
Reidentifikation von Klängen in unserer Alltagswelt. Wenn das Konzert aufhört, denke ich mir nicht
einen entfernten Ort, in dem es weitergehen würde. Es hat geendet, und manche Passagen klingen
im Geiste nach.
17
P. F. Strawson, Individuals, a. a. O., 60 – Hervorhebung SHS.
18
Ebd., 75.
19
Es ist gerade die Rede über Musik, die den Objektcharakter von Klängen impliziert, die Strawson
zu dieser Analogie veranlasst hat. Vgl: „For, as things are at present, different people may certainly
be said to hear one and the same particular sound – not just sounds of the same type, instances of
the same kind of sound, but exactly the same particular sound. Sounds may be, and most of those
that we hear are, public objects. If, when we talk of a sound, we mean a particular sound, then we
may, and usually do, mean an objective particular, a public object.“ (Ebd., 67) Und: „One should
remember here not only the spatial analogies implicit in our ordinary talk about sounds, but the per-
sistent and in no way irrational tendency of critics of music and the plastic arts to discuss the formal
properties of the works they are criticizing in terms which, in their literal application, belong to each
other’s vocabularies.“ (Ebd., 81) Strawson sieht also deutlich, dass die Rede über Klänge durchaus auf
einem öffentlich geteilten Vokabular beruht, das eigenständig ist gegenüber den klangverursachen-
den Quellen – wie etwa gegenüber dem schwingenden Instrumentenkorpus.
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beruhen? Strawson verneint dies mit dem Argument, dass das Gedankenexperiment uns wie-
der zurückführt zur Annahme eines Raum-Analogons: Auditive Einzeldinge sind selbst in
einer rein auditiven Welt nur unter Annahme des master sounds denkbar.
Folgendes sollte aber für unsere musikphilosophische Fragestellung nicht übergangen
werden: Wenn Strawson den Begriff des Klangs unserer Alltagswelt entnimmt und ihn in
einen fiktiven Kontext stellt, dann handelt es sich bei „Klang“ in der auditiven Welt um einen
anderen Begriff als bei „Klang“ unserer Alltagswelt. Dann aber sagt uns das Gedankenexpe-
riment weit weniger über die Ontologie von Klängen als über die Apriorität des Raumes.
Halten wir fest: Strawson leugnet nicht, dass Klänge nicht-materielle Einzeldinge sind,
das heißt, er vertritt keine Reduktionsthese in Bezug auf Klänge, die besagte, Klänge ließen
sich auf die Eigenschaften materieller Schallquellen reduzieren.20 Im Gegenteil: Die Annah-
me von Klängen als aus unserer Alltagswelt bekannten nicht-materiellen Einzeldingen ist
die Grundlage für das Gelingen des Gedankenexperiments. Wie wir aber verstehen sollen,
wie nicht-materielle Einzeldinge einerseits von materiellen Einzeldingen abhängen, wir aber
andererseits über sie als selbständige Einzeldinge reden können – darüber lernen wir aus dem
Gedankenausflug Strawsons nichts. Genau diese Frage ist es aber, die in unserem spezifisch
musikphilosophischen Kontext interessiert. Was kann nun Evans’ Kritik an Strawson zu
unserer Fragestellung beitragen?

2. Evans über Strawson. Evans ist, was die Auffassung Strawsons anbelangt, Klänge unserer
Alltagswelt als nicht-materielle Einzeldinge zu begreifen, vorsichtiger. Dagegen betont er,
dass Klänge sinnliche, auditive Eindrücke sind, die wir an bestimmten Raumpositionen haben
können.

„For both Hero [das Subjekt der auditiven Welt] and ourselves, the truth of a proposition to
the effect that there is a sound at such-and-such a position must consist in this: if someone
was to go to that position, he would have certain auditory experiences, or rather, to bring
out the force of the conditional, if someone was to go to that position, he would thereby be
caused to have certain auditory experiences.“21

Und weiter:

„We can think of sounds as perceptible phenomena, phenomena that are independent of us,
and that can exist unperveiced, because we have the resources for thinking of the abiding
stuff in whose changes the truth of the proposition that there is a sound can be regarded as
consisting.“22

Das letzte Zitat ist Evans’ Reformulierung der These Strawsons, dass Gedanken von nicht-
materiellen Einzeldingen von Gedanken von materiellen Einzeldingen abhängen. (Das

20
„Sounds of course have temporal relations to each other, and may vary in character in certain ways:
in loudness, pitch and timbre. But they have no intrinsic spatial characteristics: such expressions
as ,to the left of‘, ,spatialliy above‘, ,nearer‘, ,farther‘ have no intrinsically auditory significance.“
(Ebd., 65) Diese These besagt selbstverständlich nicht, dass wir nicht in räumlichen Termini über
Klänge reden – etwa im Konzertsaal oder beim Stereohören über Lautsprecher –, oder dass nicht
räumliche Parameter gezielt in Kompositionen einfließen. Aber möglicherweise gibt es für diese
Redeweise und für jene Kompositionstechniken eine andere Erklärung als die, dass Klangobjekte
selbst räumlich sein müssen.
21
G. Evans, Things Without the Mind, a. a. O., 275.
22
Ebd., 279.
892 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

emphatische We meint hier uns als Bewohner der Alltagswelt und nicht die auditiven Subjekte
einer fiktiven Welt.) Es scheint, als liege die Variation des Gedankens darin, dass Evans mit
seiner Position eine reduktionistische Auffassung ausdrückt, nach der Klänge darauf redu-
ziert werden können, Eigenschaften von andauernden Substanzen zu sein, die selbst räumlich
positioniert sind. Zumindest wird ihm genau das von Roger Scruton vorgeworfen, wie später
noch genauer zu zeigen sein wird.23 Doch zunächst ist zu klären, wie Evans zu dieser Position
kommt.
Im Kern seiner Kritik an Strawons Beweisgang hinterfragt Evans dessen Begriff von
„Objektivität“. Diese Auseinandersetzung ist Gegenstand einer ganz eigenständigen Debatte,
die in Teilen aber für unsere Fragestellung und damit für eine Philosophie der Musik über-
haupt relevant ist. Denn die Frage, ob Klänge Objekte sind, lässt sich nur dann beantworten,
wenn zuvor geklärt ist, welcher Begriff von „Objekt“ beziehungsweise „Objektivität“ dieser
Frage zu Grunde liegt.
Wie obiges Zitat zeigt, unterstreicht Evans im Grunde die Idee Strawsons, dass Gedan-
ken über nicht-materielle Einzeldinge von Gedanken über materielle Einzeldinge abhängen.
Allerdings kommt er auf anderem Weg zu dieser Überlegung. Seine Kritik an Strawson rich-
tet sich zunächst gegen dessen Gleichsetzung von „Objektivität“ mit einem bestimmten Ver-
ständnis von „Reidentifikation“. Strawson unterstellt nämlich schon, dass die Reidentifikation
materiell-räumlicher Objekte der paradigmatische Fall ist, der zugleich als Maßstab für eine
Reidentifikation der Objekte innerhalb der auditiven Welt gilt. Damit nimmt Strawson bereits
an, dass sich Objekte der auditiven Welt in derselben Weise verstehen lassen wie dreidimen-
sionale Körper.24 Evans wendet dagegen zu Recht ein:

„But it is not clear that the concept of identity need be involved here at all, still less that it need
be involved in just the way it is involved in our scheme of three-dimensional bodies.“25

Letztlich führt dieser Schachzug Strawsons dazu, dass das Gedankenexperiment gar nicht
anders ausgehen kann, als eine Analogie zum Raum unserer Alltagswelt zu liefern:

„[…] the space Strawson extracted out of the concept of objectivity is the space he
smuggled into it, by limiting his attention to those theories of the objective that allow for
distinct but simultaneous instances of the same universal. It is not surprising if such theo-
ries can be shown to be implicitly spatial.“26

Ein weiterer und für unsere Frage nach dem Verständnis von so genannten ‚tertiären Quali-
täten‘ wichtigerer Einwand richtet sich dagegen, den Begriff der Objektivität von einer mög-
lichen Erklärung der wahrnehmungsunabhängigen Existenz materiell-räumlicher Objekte
abhängig zu machen. Strawson meint, die wahrnehmungsunabhängige Existenz von Objekten
sei Voraussetzung für eine Reidentifikation dieser Objekte unsererseits.

„Strawson suggests that thinking of an auditory experience as experience of an objec-


tive world confronts our Hero with the problem of ‚making sense of‘ the idea of sounds
existing unperceived. He maintains that ,the most familiar and easily understood sense in

23
R. Scruton, The Aesthetics of Music, a. a. O., 6 ff. (Kap. „Sounds as Secondary Objects“).
24
„This is still not to think of an auditory item which persists through time, but rather of an auditory
process which is extended in time.“ (G. Evans, Things Without the Mind, a. a. O., 257 f.)
25
Ebd., 257.
26
Ebd., 260.
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which there exists sounds which I do not now hear is this: that there are places at which
those sounds are audible but at which I am not now stationed.‘“27

Es gibt eine Weise, Strawsons Idee von der Existenz von (Klang-)Objekten als wahrnehmungs­
unabhängige Permanenz zu verstehen, die in ein klassisches Problem führt, das aus der Unter-
scheidung von primären und sekundären Eigenschaften folgt. Indem man auf der einen Seite
von materiellen Einzeldingen ausgeht, denen man wahrnehmungsunabhängige Permanenz
zuspricht (primäre Qualitäten), und auf der anderen Seite von den durch jene Objekte in
uns hervorgerufenen sinnlichen Eindrücken (sekundäre Qualitäten), werden jene materiellen
Einzeldinge zunächst als unabhängig davon eingeführt, dass wir sie erkennen können. Erst in
einem nachträglichen Schritt wird erläutert, dass und wie sie uns zugänglich sind. Nach dieser
Lesart meint Strawson, ein Subjekt könne Erfahrungen von Phänomenen haben, wobei die
Phänomene unabhängig von dieser Erfahrungszugänglichkeit sind. Diese Redeweise unter-
stellt, dass es möglich ist, von materiellen Einzeldingen zu reden, ohne schon darauf Bezug
zu nehmen, dass wir diese materiellen Einzeldinge grundsätzlich erkennen können. Dann
aber wird unklar, was das ist, was da andauert, während wir es gerade nicht wahrnehmen,
und es wird unklar, inwiefern unsere Erfahrungen Erfahrungen von diesen auch anderweitig
existierenden Dingen sind.28 Es wird Sache eines separaten Gedankens sein zu zeigen, wie das
von uns Wahrgenommene und das Wahrnehmbare selben Typs sind oder auf welche Weise
eine Ähnlichkeit zwischen beiden herrscht.29 Der Begriff der Objektivität wird mindestens
doppeldeutig, weil er einerseits für die primären Eigenschaften des wahrnehmungsunabhän-
gig Existierenden, andererseits für die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Wahrnehmbaren
und dem Wahrgenommenen steht – was den Begriff letztlich aushöhlt.
Was ein nicht-wahrgenommenes Objekt sein kann, erklärt sich dagegen nach Evans’ Auf-
fassung nur dadurch, dass wir es für erkennbar und damit grundsätzlich für unseren Geist
(mind) zugeschnitten denken. Wir reidentifizieren Objekte nicht dadurch, dass wir ihre räum-
liche Permanenz unabhängig von unseren Urteilen über sie bestimmen. Unsere „Ressourcen“,
etwas Andauerndes als Träger von zum Teil auditiven Veränderungen zu denken, zeigen sich
darin, dass wir über Objekte in derselben Weise urteilen. Objektivität und unsere Zugänglich-
keit zu Objekten sind nicht zwei verschiedene, unabhängig voneinander verstehbare Gedan-
ken.30 Die (ontologische) Frage, was Objekte sind, darf nicht so beantwortet werden, dass

27
Ebd., 261.
28
„Thus unconnected, the one could not be regarded as an experience of the other, as a way of gaining
knowledge of it, and thereby, of the world of which it is a part.“ (Ebd., 277)
29
„How is it possible that phenomena of the very same kind as those of which he has experience
should occur in the absence of any experience?“ (Ebd., 261) – Vgl. auch J. McDowell (Values and
Secondary Qualities, in: Mind, Value and Reality, Cambridge 1998, 131–150, hier: 138): „But no
notion of resemblance could get us from an essentially experiential state of affairs to the concept of
a feature of objects intelligible otherwise than in terms of how its possessors would strike us.“ – Auf
die Schwierigkeiten einer Lösung, die eine Kausalrelation zwischen Wahrnehmbarem und Wahrge-
nommenem postuliert, gehe ich hier nicht ein.
30
Diese äußerst knappe Darstellung ist vermessen angesichts der Fülle an Literatur in der Folge von
Evans’ Diskussion. Insofern es hier aber primär darum geht, mögliche Antworten auf eine zentrale
Fragestellung der Musikphilosophie zu sortieren, kann hier auch nur gezeigt werden, auf welche
Probleme diese oder jene musikphilosophische Position im größeren Kontext allgemeiner philo-
sophischer Fragestellungen stößt. Wesentlich hierbei ist, dass jede Rede von ‚tertiären‘ Qualitäten
schon auf dieser erkenntnistheoretisch schwierigen Unterscheidung von primären und sekundären
Qualitäten aufruht.
894 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

die gegebene Antwort völlig losgelöst von der Frage ist, wie wir etwas objektiv vorstellen
(epistemische Frage).
Trotz dieser Kritik will Evans wenigstens an einem Sinn des Gegensatzes von primären
und sekundären Eigenschaften festhalten:

„It is not necessary for our immediate purpose [Hervorhebung SHS] to have any other
characterization of primary properties than as sensory properties of objects. So defined,
the class is extremely heterogeneous. What is important, though, is that the properties
constitutive of the idea of material substance as space-occupying stuff should be acknowl­
edged to be primary.“31

Wenn es einen Sinn der Rede von „primären Eigenschaften“ gibt, dann liegt er nach Evans
darin, die jeweils substanztypischen Eigenschaften zu bezeichnen (die wir in generischen Sät-
zen artikulieren). Zu diesen substanztypischen Eigenschaften können auch auditiv zugäng-
liche Eigenschaften zählen, zum Beispiel, wenn man sagt „Vögel singen“, „Fliegen summen“
oder „Landmaschinen lärmen“.
Evans betont damit vor allem, was bereits eingangs angedeutet wurde: dass auditive
Eindrücke nur dann wahrgenommen werden können, wenn sie als auditive Eigenschaften
den hörbaren Teil einer Substanz („space-occupying stuff“) als deren auditive Akzidenzien
bilden. Diesen zum Teil hörbaren Eigenschaften einer wahrnehmbaren Substanz gibt Evans
daher als Einzigem die Bedeutung von „primär“.

„In our world, auditory properties are sensory properties, and auditory phenomena are sen-
sory phenomena, and since they are imagined to rest upon the same basis in experience,
they cannot be different for Hero, who inhabits a purely auditory universe. For both Hero
and ourselves, the truth of a proposition to the effect that there is a sound at such-and-such
a position must consist in this: if someone was to go to that position, he would have certain
auditory experiences […]. But there is a difference, for we have, and Hero does not have,
the resources to make sense of the idea of the persisting categorical basis or ground of that
disposition, in the object, or at the place, to which it is ascribed. Unlike Hero, we have the
concept of substance, of space-occupying matter, for we have the concepts of the primary
properties of matter.“32

Evans hat – so meine ich – Recht darin, die Abhängigkeit aller wahrnehmbaren und damit auch
auditiven Veränderung von Substanzen zu betonen – zumindest bezogen auf seinen „immediate
purpose“. Denn es ist wichtig zu sehen, dass auch Evans – wie Strawson – nicht primär über
Klänge redet, sondern über die Bedingungen der Möglichkeit von Objektivität überhaupt. Es ist
daher eine zweite, eigenständige Frage, inwiefern musikalische Klänge Objekte sein können,
über die wir von Evans möglicherweise genauso wenig erfahren wie von Strawson.
Ich denke, dass Roger Scruton in seiner Kritik an Evans diese Differenzierung nicht trifft,
was zwei fatale Folgen hat: Er unterstellt Evans vorschnell die Position des Klangreduktio­
nismus, die Evans gar nicht vertritt. Evans sagt nichts über musikalische Klänge, sondern
nur über auditive Eigenschaften (Geräusche) von materiellen Substanzen. Zudem erläutert
Scruton in Abgrenzung zu Evans seine eigene Position, begeht aber bei der Verwendung des
Begriffs der Objektivität genau jene Fehler, die Evans zuvor mit seiner Kritik an der Unter-

31
G. Evans, Things Without the Mind, a. a. O., 269.
32
Ebd., 275. Strawsons Frage an das Gedankenexperiment entspräche dann in Evans’ Formulierung
der Frage, ob wir uns eine Welt denken können, in der es keinen Substanzbegriff gibt.
DZPhil 57 (2009) 6 895

scheidung von primären und sekundären Qualitäten ausgeräumt hatte. In diesem Kontext ist
auch der Terminus „tertiäre Qualität“ zu platzieren und zu kritisieren.

3. Demonstrative Rede und musikalische Rede. Um diesen Gedankengang näher auszuführen,


will ich neben den bisher relevanten Unterscheidungen zwischen (i) Objektivität von raum-
materiellen Alltagsgegenständen, (ii) der Rede von (nicht-materiellen) Klängen in unserer
Alltagswelt und (iii) Klängen als Objekten der fiktiven auditiven Welt eine zweite Ebene der
Differenzierung einführen: die zwischen zwei Aussagetypen, die ich im Anschluss an Straw-
son demonstrative Rede33 und als Ergänzung dazu musikalische Rede nennen will. Mit Bezug
auf die Ausgangsfrage dieses Aufsatzes nach dem Unterschied zwischen Klängen und blo-
ßen Geräuschen möchte ich behaupten: Im Typus der demonstrativen Rede urteilen wir über
Objekte mit zum Teil auditiven Eigenschaften (Geräusche), in musikalischer Rede urteilen wir
über Klänge.
Evans gibt ein Beispiel des ersten Typs:

„A fly is moving its wings; this is an event which we perceive, partly in an auditory way,
and which is naïvely regarded as the ground of the proposition that, if one goes into a
certain room one will hear a buzzing. […] The sensory phenomena we typically recognize
are, in fact, properties of things or stuffs – persisting space-occupying substances – in
whose primary qualities, or primary quality changes, the disposition to produce experi­
ences may be regarded as grounded. It is these substances we perceive as coloured, or as
making a sound.“34

Dieses Zitat enthält, was ich als Merkmal der demonstrativen Rede festhalten will: In Aussa-
gen dieses Typs wird von einer Substanz ausgesagt, dass sie klingt. Das Hören dieser auditiven
Eindrücke setzt voraus, dass wir sagen können, dass dort etwas klingt. Im Wahrnehmen der
auditiven Eindrücke ist bereits die Bezugnahme auf den Ort der klingenden Substanz einge-
schlossen (das heißt, ich muss nicht einmal über den Begriff der Fliege verfügen, um zu sagen:
„Dort summt es“). Ich nenne dies demonstrative Rede, weil ich mit Evans darin übereinstim-
me, dass zum Hören dieser auditiven Eindrücke wenigstens eine Positionierung des Hörenden
im Raum erforderlich ist sowie die Lokalisierung der klingenden Substanz als etwas, auf das
man deiktisch beziehungsweise demonstrativ Bezug nehmen kann. Beispiele dieses Typs sind:
„Dort klingt etwas“ („There is a sound“, „There is something sounding“, „This car is making
a sound“, „That noise was deafening“), oder mit konkreter Bezeichnung: „Das Gras rauscht“,
„Hier summt eine Biene“, „Die Fontäne plätschert“, „Diese Landmaschine rattert“.35
Dies ist der Typ von Aussagen, der Evans „for our immediate purpose“ interessiert. Evans
redet also nur über Geräusche. Dass Evans anhand dieses Aussagetyps Strawsons Idee des
Gedankenexperiments von der Apriorität des Raumes diskutiert, schließt aber nicht aus, dass
wir im Einklang mit Evans’ Theorie eine davon abweichende (musikalische) Rede über Klän-
ge als Einzeldinge unserer Alltagswelt haben können. Evans selbst aber bleibt in der inner-
halb des Gedankenexperiments gezogenen Analogie. Erst Scruton will daraus Schlüsse für die
Rede über Musik ziehen und fragt nach der Objektivität von Klängen in scheinbar analoger
33
P. F. Strawson, Individuals, a. a. O., 19.
34
G. Evans, Things Without the Mind, a. a. O., 278 f.
35
Das heißt, unter den Aussagetypus der demonstrativen Rede über Geräusche fällt mehr als die von
Evans angeführten substanztypischen auditiven Akzidenzien, wie etwa das Summen der Fliege; also
zum Beispiel auch die Eigenschaften, die einem Gegenstand mehr oder minder zufällig zukommen
(wie das Klappern des Fensterkastens, der einen Defekt hat).
896 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

Weise wie Evans. In der nun folgenden Kritik an Scruton möchte ich zeigen, dass es ihm nicht
um Aussagen des Typs der demonstrativen Rede, sondern nur um den (noch zu erläuternden)
Typus musikalischer Rede gehen kann. Der Gegensatz zwischen Evans und Scruton verläuft
daher nicht entlang der von Scruton gezogenen Linie. Er besteht vielmehr darin, dass Scruton
die Auffassung vertritt, es gäbe ‚sounds without the mind‘.36

4. Scruton über Evans und Strawson. Scruton klagt gegen Evans’ Darstellung vor allem eine
gewisse Eigenständigkeit der Rede über Musik ein. Musikalische Klänge zeichnen sich dadurch
aus, dass sie von ihrer akustischen Quelle separierbar sind. Die Rede über musikalische Klänge
lässt sich nicht reduzieren auf Urteile über auditive Akzidenzien an raum-materiellen Substan-
zen. Denn dies setzte voraus, dass wir zum Wahrnehmen musikali­scher Klänge jederzeit eine
raum-materielle Substanz identifizieren müssen – was ganz offensichtlich unserer Erfahrung
widerspricht, dass wir zum Beispiel eine gehörte Melodie wiedererkennen beziehungsweise
nachsingen können, ohne die akustische Quelle zu kennen, die diese Melodie hervorbringt.
Zudem urteilen wir über Musik in einer Weise, die eine bewegungsähnliche Veränderung der
Klänge auszeichnet („Der Dominantseptakkord löst sich zur Tonika auf“). Hier wird also nicht
das Klingen als Akzidenz einer Substanz ausgesagt, sondern der Klang selbst steht in diesem
Aussagetyp an Subjektstelle – von ihm wird etwas ausgesagt.

„We do not predicate them [sounds] of other things, but regard them as the bearers of
auditory properties (pitch, timbre, and so on).“37

Ich denke, dass Scruton Recht hat, wenn er die Eigenständigkeit dieser musikalischen Rede
betont – auch wenn dies nicht notwendig im Gegensatz zu Evans steht. Allerdings formuliert
Scruton seine Position in einer Weise, die eine Reihe von problematischen Implikationen hat:

„Sounds, however, are no secondary qualities, for the reason that they are not qualities at
all. Objects do not have sounds in the way that they have colours: they emit sounds. You
could identify a sound while failing to identify its source, and there seems to be nothing
absurd in the idea of a sound occurring somewhere without an identifiable cause.“38

Dass Scruton an dieser Stelle sieht, dass sounds keine sekundären Qualitäten sind, heißt nicht,
dass er die Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten selbst in Frage stellt. Im
Gegenteil bedient er sich einer Argumentationsfigur, die derjenigen gleicht, welche von Evans
kritisiert wurde. In Scrutons Diskussion der Objekthaftigkeit von sounds zeigt sie sich darin,
dass er zunächst die bloße Behauptung aufstellt, sounds seien Objekte, und erst in einem von
dieser Behauptung separaten Gedanken erläutert, wie uns klingende Objekte hörend zugäng-
lich sind beziehungsweise wie wir sie vorstellen.

„However, sounds are not qualities of things, but independently existing objects. The con-
clusion must be that there is no ‚abiding stuff‘ of which they are predicated.“39

36
Ich gebrauche im Folgenden „sounds“, wenn ich auf Scrutons schwierige Redeweise aufmerksam
mache, und „Klang“ oder „musikalischen Klang“, wenn es mir um den von mir anfangs eingeführ-
ten Begriff geht, der von „Geräuschen“ unterschieden werden soll. Es ist nicht so, dass die Unter-
scheidung von sounds und tones bei Scruton der zwischen „Klang“ und „Geräusch“ entspricht.
37
R. Scruton, The Aesthetics of Music, a. a. O., 6 f.
38
Ebd., 2.
39
Ebd., 7.
DZPhil 57 (2009) 6 897

Weil sich jedoch sounds als Objekte von raum-materiellen Alltagsgegenständen unter ande-
rem dadurch unterschieden, dass sie ‚schwächere‘ Identitätskriterien hätten40, nennt Scruton
sie etwas eigenwillig sekundäre Objekte.41
Diesen sehr weit gefassten Begriff von sounds unterscheidet Scruton in einem zweiten
Schritt von tones, die er als diejenigen sounds einführt, die zeitlich organisiert sind und daher
für einen rationalen, menschlichen Geist fasslich (und tones ergeben in komplexeren Struk-
turen Musik).

„[…] music is itself a special kind of sound, and not any art of sound is music.[42] […] So
what distinguishes the sound of music? The simple answer is ,organisation‘.“
„A tone is a sound which exists within a musical ,field of force‘. This field of force is
something that we hear, when hearing tones. […] it is only rational beings […] who can
hear sounds as tones.“43

Das Hören von tones setzt demnach ein Erkenntnisvermögen des Hörenden voraus, welcher
durch sie in der Lage ist, in den tones bestimmte Organisationsstrukturen zu erkennen. Man
könnte nun meinen, diese Organisationsstrukturen konstituierten zugleich die Objektivität der
tones – doch Scruton behauptet ja bereits für sounds, die noch nicht derart organisiert sind,
dass sie Objekte seien. Scruton postuliert somit, dass sounds eigenständige Objekte sind, und
zwar in einer Weise, die noch neutral ist gegenüber der Frage, wie wir sounds als organisierte
tones objektiv vorstellen. Tones zu hören hieße demnach, sekundäre Objekte (sounds) als
organisiert zu erkennen, wobei die Objekthaftigkeit der sounds bereits unabhängig von den
Organisationsstrukturen unseres Erkennens beschreibbar sei.
Der Begriff des sounds erfüllt bei Scruton daher die gleiche Funktion wie bei Strawson
der Begriff eines in seiner räumlichen Permanenz wahrnehmungsunabhängig verstehbaren
Objekts – und er bereitet dieselben Schwierigkeiten. Denn mit welchem Vokabular ließe sich
die Objektivität von sounds verstehen, wenn nicht anhand dessen, dass sie für uns prinzipiell
objektiv wahrnehmbar sind? Die Wahrnehmbarkeit wiederum lässt sich nicht unabhängig
von dem Anteil verstehen, den der Hörende selbst zum Wahrnehmen der sounds leistet – also
nicht unabhängig von der Frage, wie wir sounds vorstellen. Scruton redet jedoch nur über
die Frage, wie wir tones als bereits organisierte sounds vorstellen. Doch wenn Scruton die
Unterscheidung zwischen dem allgemeineren Begriff sound und dem engeren Begriff tones
als „ordered musical sound“ erst an dieser Stelle macht, dann ist es völlig unklar, warum er

40
„Notice, first, that we do not have clear identity-conditions for sounds. We can count them and
individuate them in many ways, depending on our interests. Suppose, for example, that a middle C
with the timbre of a clarinet is sounding in the music room. Suddenly the timbre changes to that of
an oboe. Do we say that one sound was replaced by another, or merely that it changed its character?
Neither description is forced on us, and everything will depend upon our interests. (If the change
occurs in a context where orchestration matters, we are likely to say that there were two sounds;
otherwise, it may be more natural to speak of one.)“ (Ebd., 7)
41
„But there can be objective and decidable judgements about something, even if it is not, from the
point of view of physics, part of the ultimate reality. Secondary qualities are an instance of this; so
too are ,secondary objects‘, as I shall call them, like rainbows, smells, and sounds.“ (Ebd., 4 f.)
42
Scruton nennt hier die Kunst des Fontänenbaus, in die der Klang der Fontäne einfließt, ohne Musik
zu sein. Man kann jedoch darüber streiten, ob es sich bei den Nebengeräuschen einer Fontäne über-
haupt um Klänge, sondern vielmehr um ein substanztypisches Geräusch des Wassers beim Fallen
handelt.
43
Ebd., 16 f.
898 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

schon zuvor die Rede von sounds als sekundären Objekten überhaupt benötigte und wie er sie
rechtfertigt. Wenn er den Begriff des organisierten Hörens erst an dieser Stelle bringt, dann
kommt er zu spät, um noch erläutern zu können, wie wir sounds objektiv vorstellen können.
Die Beziehung zwischen sounds und tones weist daher dieselbe Schwierigkeit auf wie die
Ähnlichkeitsbeziehung, die zwischen primären und sekundären Eigenschaften bei Strawson
hinzugedacht werden musste.
Eine Konsequenz dieses Problems ist es, dass der Unterschied zwischen sounds und mate-
riellen Alltagsgegenständen im Nachhinein wieder verdunkelt wird. Denn es wird unklar,
wie sich das Hören von sounds vom Wahrnehmen von auditiven Akzidenzien an Substanzen
unterscheidet – und damit wird der Unterschied zwischen bloßen Geräuschen und Klängen,
verstanden als sounds, hinfällig. Scruton braucht jedoch genau diesen Unterschied, um seine
Position gegen Evans aufrechtzuerhalten und den Objektcharakter von sounds gegen dessen
scheinbaren Reduktionismus einzuführen.
Plausibilität gewinnt die These der Unterscheidung zwischen sounds und tones für Scruton
aber dadurch, dass wir durchaus in der Lage sind, zwischen Musik als Kunstform und der Wahr-
nehmung von sounds zu unterscheiden, ohne dass sounds ihren Objektcharakter verlören.

„Something similar happens when I hear middle C while walking, and take it for a note in
music. Maybe it was only a bird, a child playing with a squeaky toy, a rusty hinge turning.
It would then be the same sound; but to hear it as those sounds would be to situate it out-
side the order which is music. To hear a sound as music is not merely to hear it, but also
to order it.“44
„The real question here is not whether there might be a preconceptual organization
ex­hibited by the musical Gestalt, but whether it would be sufficient to hear this organi-
sation in order to hear the music as music. And this I doubt. […] It is quite possible that
a listener should hear this [eine einfache Melodie eines Kinderliedes – SHS] as a unity,
without hearing the movement that we hear in it. […] Surely we should say that our
listener, even if he has perceived a musical unity, has not perceived it as music.“45

Es gibt – so Scruton – einen signifikanten Unterschied zwischen dem Hören von sounds als
Hören einer auditiven Einheit und einem elaborierten Musikhören, das sich im Hören an
einem ausgefeilten musikalischen Vokabular, also an bekannten auditiven Organisations-
strukturen orientiert. Ein etabliertes musikalisches Vokabular scheint für das hörende Erfas-
sen der Einheit von sounds nicht nötig zu sein (was nicht heißt, dass es unnötig ist). Ich halte
dies für einen wichtigen Hinweis, meine aber nicht, dass uns dieses Beispiel zu der Position
zwingt, wie sie Scruton vertritt. Eine Kritik an Scrutons Unterscheidung zwischen sounds und
tones sollte aber dieses Beispiel berücksichtigen können. Ich komme darauf im Abschnitt III
über Kant zurück.

5. Tertiäre Qualitäten. Scruton vertrat, wie beschrieben, im ersten Kapitel seiner Aesthetics
of Music die These, dass sounds so genannte sekundäre Objekte seien. Erst an späterer Stelle
führt er den Begriff der „tertiären Qualität“ ein, und es ist nicht gänzlich klar, in welcher
Beziehung dieser Terminus zu den vorher eingeführten Begriffen stehen soll:

44
Ebd., 17 f.
45
Ebd., 95.
DZPhil 57 (2009) 6 899

„Musical qualities, however, are not secondary qualities. They are like aspects – what might
be called tertiary qualities, in recognition of the fact that, while part of the appearance
of something, they are not objects merely of sensory perception. Such tertiary qualities
are neither deduced from experience nor invoked in the explanation of experience. They
are perceived only by rational beings, and only through a certain exercise of imagination,
involving the transfer of concepts from another sphere.“46

Möglicherweise will Scruton mit „tertiären Qualitäten“ das bezeichnen, was man neben den
auch durch physikalische Messgeräte bestimmbaren sound-Eigenschaften, wie Tonhöhe und
-dauer, als expressive Eigenschaften der Musik verstehen mag. Dass Scruton die metapho-
rische Redeweise über Musik in diesem Zusammenhang betont, legt diese Lesart zumindest
nahe.47 Liest man „tertiäre Qualitäten“ aber so, dann wird Scruton selbst ein Vertreter jenes
Reduktionismus, den er Evans vorgeworfen hatte: Die Basis seiner sound-Ontologie wären
dann nämlich die nicht nur durch unser Ohr, sondern auch durch physikalische Messgeräte
bestimmbaren auditiven Eigenschaften an materiellen Substanzen.
Ich denke jedoch nicht, dass Scruton mit dem Begriff der „tertiären Qualität“ einen völlig
neuen Gedanken einführt, der dem widerspricht, was zuvor zu sounds als so genannten sekun-
dären Objekten erläutert wurde, die Träger von auditiven Eigenschaften wie Tonhöhe und
Klangfarbe (timbre) sind. Vielmehr halte ich den Terminus „tertiäre Qualitäten“ nur für eine
Variante der auditiven Eigenschaften, die in musikalischer Rede von sounds ausgesagt wer-
den und um die es Scruton nach seiner Problemexposition im zweiten Kapitel gehen muss.
In musikalischer Rede bedienen wir uns manchmal eines sehr differenzierten musiktheore-
tischen oder musikwissenschaftlichen Vokabulars und manchmal einer sehr metaphorischen
und bildlichen Redeweise (was zum Teil vom Bildungsstand der Hörerin abhängt). Welcher
Unterschied innerhalb dieses Begriffsspektrums besteht, ist für unser Anliegen aber eine nach-
geordnete Frage. Das Hauptproblem der Rede von „tertiären Qualitäten“ liegt meines Erachtens
nach darin zu bestimmen, inwiefern sich der Objektcharakter von sounds unabhängig davon
verstehen ließe, wie wir sie hörend erfassen können. Wie stehen sounds und das von ihnen in
musikalischer Rede Ausgesagte zueinander? „Der Dominantseptakkord löst sich zur Tonika
auf“ und „Die Geigenstimme jubelt“ sind zwei Beispiele musikalischer Rede, in denen mal
musiktheoretisch und mal mehr metaphorisch gesprochen wird. Formal sind sie aber gleicher-
maßen Beispiele musikalischer Rede.48 Scruton versteht diese Rede als Prädikation auditiver
oder tertiärer Qualitäten an zuvor unabhängig ausgezeichneten sekundären sound-Objekten.
Dies ist das Strawsonsche Problem des wahrnehmungsunabhängig existierenden Objekts,
bezogen auf sounds bei Scruton.
Ein wichtiges Kriterium dafür, was „tertiäre Qualitäten“ sein sollen, nennt Scruton selbst:
dass sie nicht (nur) sinnlich wahrnehmbare Eigenschaften sind („they are not objects merely

46
Ebd., 94.
47
M. Vogel spricht deshalb erweiternd von „quartären Eigenschaften“ (M. Vogel, Nachvollzug und
die Erfahrung musikalischen Sinns, in: Musikalischer Sinn, hg. v. A. Becker u. M. Vogel, a. a. O.,
314–368, hier: 319 f. u. Anm. 11), obwohl er zugleich die Sperrigkeit dieser Begriffe anerkennt.
Meiner Ansicht nach liegt die Sperrigkeit aber schon in der Unterscheidung zwischen primären und
sekundären Qualitäten begründet, auf der auch eine Erweiterung der Stufung in tertiäre oder quartäre
Qualitäten fußen muss.
48
Diese formale Bestimmung enthält keine Abwertung musiktheoretischer, historisch gewachsener
und etablierter Ausdrucksformen, aber auch keine Degradierung einer metaphorischen oder manch-
mal als „laienhaft“ bezeichneten Ausdrucksweise. Auch musikwissenschaftliche Analyse kommt
nicht ohne Bilder aus, was auch Scruton betont – die interessante Frage ist, warum nicht.
900 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

of sensory perception“). Wieso Scruton dann aber etwas, von dem wir nicht allein durch
sinnliche Wahrnehmung wissen, in ein Schema einpasst, das sinnlicher Wahrnehmung von
Objekten angeblich zu Grunde liegt, ist überaus unklar. Deshalb stellt sich die generelle Frage,
ob die Redeweise von Eigenschaften (seien sie sekundär oder tertiär) für das Verständnis von
musikalischen Klängen beizubehalten ist, die einem von diesen Eigenschaften unabhängig
bestimmbaren Objekt (sounds) zukommen, und dennoch als objektiv, das heißt vom Objekt
geltend ausgesagt werden.
Meine These ist nun, dass der Begriff des Nachvollzugs uns nur dann helfen kann, das
Hören von Klängen zu verstehen, wenn man erstens durch ihn vermeiden kann, von Klängen
auf die Weise zu reden, wie Scruton von sounds als wahrnehmungsunabhängig verstehbaren
Objekten redet, und wenn man zweitens dadurch dennoch der Erfahrung Rechnung tragen
kann, dass wir zum Hören einer auditiven Einheit nicht notwendig auf ein ausgefeiltes musik-
wissenschaftliches Fachvokabular angewiesen sind.
Ein kurzer Ausflug zu Kants Überlegungen zur Musik soll nun helfen, zwei Kriterien
zu entwickeln, die der Begriff des „Nachvollzugs“ nicht verletzen darf. Erst dann können
wir klarer sehen, was Klänge sind, über die wir in musikalischer Rede urteilen. Und erst die
Beantwortung dieser (ontologischen) Frage kann uns helfen auch eine Antwort auf die episte-
mische Frage, wie wir Klänge vorstellen, zu finden.

III. Musikhören als Nachvollzug

1. Kant über Gehalt- und Gestaltlosigkeit von Klängen. Nach Kants Auffassung zeichnet
sich das Hören von Musik durch eine körperliche Belebung aus, ähnlich einem Witz, der das
Zwerchfell erschüttern macht. Der Affekt, den das Musikstück auf den Hörenden überträgt,
geht mit einer Bewegung der Eingeweide einher, der sich der Hörende passiv ausgesetzt sieht
und die er nicht steuern kann. Das Hören von Musik – so Kant – lasse nichts zu denken übrig
und sei mehr Vergnügen als Kultur, Musik die niedrigste unter den schönen Künsten.

„Hingegen Musik und Stoff zum Lachen sind zweierlei Arten des Spiels mit ästhetischen
Ideen, […] die bloß durch ihren Wechsel, und dennoch lebhaft vergnügen können; wodurch
sie ziemlich klar zu erkennen geben, daß die Belebung in beiden bloß körperlich sei […],
und daß das Gefühl der Gesundheit, durch eine jenem Spiele korrespondierende Bewe-
gung der Eingeweide, das ganze […] Vergnügen […] ausmacht. Nicht die Beurteilung
der Harmonie in Tönen oder Witzeinfällen […] sondern das beförderte Lebensgeschäft im
Körper, der Affekt, der die Eingeweide und das Zwerchfell bewegt, mit einem Worte das
Gefühl der Gesundheit (welche sich ohne solche Veranlassung sonst nicht fühlen lässt)
macht das Vergnügen aus, welches man daran findet, daß man dem Körper auch durch die
Seele beikommen und diese zum Arzt von jenem brauchen kann.“49

Der Protest, den diese Darstellung unter Musikkennern hervorruft und den sie in der Geschichte der
Musikästhetik hervorgerufen hat, ist auf den ersten Blick völlig berechtigt.50 Kants Missver-
ständnis besteht, kurz gesagt, darin, das musikalische Hören als ein passives Bewegtwerden

49
KU, § 54, beziehungsweise Anm. zu § 53.
50
So beispielsweise bei J. G. Herder: „So ist doch die schöne Kunst, die ‚ohne Interesse und Vorstel-
lung der Zweckmäßigkeit allgemein-nothwendig wirken soll‘, die Musik, noch zu Etwas dienlich!
Zur heilsamen Erschütterung des Zwergfells und zur gesunden Verdauung in einem uninteressierten,
DZPhil 57 (2009) 6 901

zu verstehen, anstatt zu sehen, welchen Anteil der Hörer an dieser Bewegung und am Hören
hat. Musik ist für Kant ein Widerfahrnis am menschlichen Körper. Kant spricht so, als wäre
der menschliche Körper der beim Hören ausgelösten Bewegung gegenüber so gleichgültig
wie ein Scheunentor gegenüber dem Wind, der es klappern lässt. Beide sind dadurch gekenn-
zeichnet, dass die Quelle der Bewegung nicht in den bewegten Gegenständen selbst liegt. Das
Gras rauscht, wenn der Wind es durchstreift; der Bohrer dröhnt, wenn ein Motor ihn antreibt,
der sich aus Strom speist; die Fliege summt, wenn ihr Flügelschlag Luftreibung erzeugt; die
Geigensaite summt, wenn die Hand des Musikers sie mithilfe des Bogens in Schwingung
versetzt. All jene Gegenstände aber sind gleichgültig gegenüber ihrer Bewegung. Was in all
diesen Fällen geschieht, ist ein Bewegtwerden durch eine den bewegten Dingen äußerlichen
Quelle.
Bei Kant finden sich nun darüber hinaus im Wesentlichen zwei negativ formulierte Bestim-
mungen des musikalischen Klanges. Kant sagt, der Musik mangele es erstens an der Gestalt
bildender Künste und zweitens am begrifflichen Gehalt der Dichtung.51 An dieser Diagnose
gibt es für sich genommen nichts auszusetzen. Kant teilt die Auffassung der außermusika-
lischen Gehaltlosigkeit mit all jenen, die Tonmalerei und Programmmusik kritisiert haben,
und mit allen Verfechtern einer Musik, die nicht allein im Dienste der Dichtung steht.52 Die
Ansicht, dass Musik keine Gestalten hervorbringt, ergibt sich aus Kants Bestimmung der
Begriffe Raum und Zeit. Nur das, was der Form des äußeren Sinns – dem Raum – entspringt,
kann Gestalt haben („Die Vorstellung eines Gegenstandes nach den Verhaltnissen [sic!] des
Raumes ist die Gestalt“53). Weil Zeit als Form des inneren Sinns ‚nur‘ das Verhältnis der durch
den äußeren Sinn gewonnenen Vorstellungen bestimmt, können diese Verhältnisse allein nie-
mals Gestalt haben. In der Anthropologie sagt Kant zudem explizit, dass die „Gestalt des
Gegenstandes […] durchs Gehör nicht gegeben“ wird und Musik als Tonkunst eine „Sprache
bloßer Empfindungen (ohne alle Begriffe)“ sei.54 Musik ist eine „transitorische“55 Kunst. Das
ist Kants Art zu sagen, dass sie sich in zeitlicher Progression entfaltet und durch ihren Auf-

rein ästhetischen Gedankenspiele.“ (J. G. Herder, Sämtliche Werke, XXII, hg. v. B. Suphan, Berlin
1880, Nachdruck: Hildesheim 1994, 73)
51
Im § 53 der Kritik der Urteilskraft bestimmt Kant die mathematische Form der Musik als „nicht
durch bestimmte Begriffe vorgestellt“ (B 219/220), was ich als Gehaltlosigkeit lese, und er schreibt
an späterer Stelle, dass Musik nicht wie die bildenden Künste „ein Produkt zu Stande bring[t], wel-
ches den Verstandesbegriffen zu einem dauerhaften und für sich selbst empfehlenden Vehikel dient“
(B 221), was die Gestaltlosigkeit von Musik artikuliert.
52
Insofern es Musik schlechthin nicht um die Darstellung außermusikalischer Gehalte geht, ist des-
halb völlig richtig, nach musikalischem Sinn statt nach musikalischer Bedeutung zu fragen; vgl. A.
Becker u. M. Vogel, Musikalischer Sinn, a. a. O.
53
Vgl. Handschriftlicher Nachlass, (Akademie-Ausgabe, 15.1), 304 f. (Reflexionen zur Anthropologie,
Nr. 683). Die gegenseitige Ausgrenzung der Begriffe Zeit und Gestalt findet sich aber schon in: KrV,
B 49/50, Schluss b: „Denn die Zeit kann keine Bestimmung äußerer Erscheinungen sein; sie gehöret
weder zu einer Gestalt, oder Lage etc. dagegen bestimmt sie das Verhältnis der Vorstellungen in un-
serm innern Zustande.“
54
Kant über das Gehör in: Anthropologie, § 18: „[…] Die Gestalt des Gegenstandes wird durchs
Gehör nicht gegeben, und die Sprachlaute führen nicht unmittelbar zur Vorstellung desselben, sind
aber eben darum, und weil sie an sich nichts, wenigstens keine Objekte, sondern allenfalls nur innere
Gefühle bedeuten […] Was aber den Vitalsinn betrifft, so wird dieser durch Musik, als ein regel-
mäßiges Spiel von Empfindungen des Gehörs, unbeschreiblich lebhaft und mannigfaltig nicht bloß
bewegt, sondern auch gestärkt, welche also gleichsam eine Sprache bloßer Empfindungen (ohne alle
Begriffe) ist.“ (Hervorhebung SHS)
55
KU, § 53.
902 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

führungscharakter keine Gestalt hervorbringt wie etwa eine gestalthafte Skulptur, die „von
bleibendem Eindrucke“ ist und auf die man auch demonstrativ verweisen kann.
Kant wertet allerdings beide Charakteristika (Gehalt- und Gestaltlosigkeit) als Mängel der
Musik. Er behauptet, wegen dieser Mängel könne Musik bloß mit Empfindungen spielen,
und er stellt sie aus diesem Grund in der Ordnung der schönen Künste zuunterst.56 Tatsäch-
lich folgt aus diesen beiden negativen Charakterisierungen aber noch kein positives Ver-
ständnis des musikalischen Klanges und des Hörvorganges. Dies lässt sich wiederum bei
Kant zeigen, der gerade kein adäquates Verständnis von Musik entwickelt hat, wiewohl
manche seiner Formulierungen die Suche nach diesem Verständnis ausdrücken. Aber dass
Kant daran scheitert, einen positiven Begriff von Musik und ihrer Perzeption zu entwickeln,
heißt nicht, dass seine beiden Negativkriterien der Gehalt- und Gestaltlosigkeit falsch sind.
Daher möchte ich behaupten, dass man Kant in der ontologischen Bestimmung der Musik als
gehalt- und gestaltlos zustimmen kann, ohne jedoch dessen Wertung zu teilen, dass Musik
die niedrigste der schönen Künste sei, weil sie „bloß“ mit Empfindungen spiele. Nur muss
man dafür verstehen, was aus Kants ontologischer Bestimmung von musikalischen Klängen
für unsere Vorstellung von musikalischen Klängen folgt – was genau unserer Ausgangsfrage
entspricht.
Dass Musik „transitorisch“ sei, hieß, dass sich musikalische Klänge in zeitlicher Sukzession
entfalten, ohne dabei auf Gestalten oder auf außermusikalische Gehalte angewiesen zu sein.
Ich will diesen Umstand im Folgenden reine Sukzession nennen. Das Attribut „rein“ soll dem
Aspekt Rechnung tragen, dass sich die Sukzession nicht wesentlich an einer Substanz voll-
zieht. Und sie ist eine „Sukzession“ im Unterschied zu Begriffen wie „Prozess“, „Bewegung“
oder „Veränderung“, die alle den Zustandswechsel an einer beharrlichen Substanz meinen,
wie Kant es in den Analogien der Erfahrung erläutert und wie es unserer Wahrnehmung
von Geräuschen als Veränderung auditiver Akzidenzien an materiellen Substanzen zu Grunde
liegt. Die Ausgangsfrage wandelt sich nun zur Formulierung: Wie ist das Vorstellen einer rei-
nen Sukzession zu verstehen? Allerdings steht die so formulierte Frage im Kontrast zu einer
anderen, gut begründeten Position Kants, dass die Zeit selbst nicht wahrgenommen werden
kann.57
Meine These ist, dass sich bloß vergehende Zeit oder reine Sukzession nur dadurch vor-
stellen lässt, indem dieses gehalt- und gestaltlose Vergehen als gestalt- und gehaltlos auf-
genommen wird, und das heißt: indem ich die Zeit in mir vergehen lasse. Das Vorstellen
(repraesen­tatio) einer reinen Sukzession ist ein rein präsentisches Mit-Vollziehen, für das
man das Wort co-praesentatio verwenden könnte. Ich behaupte also: Ein (musikalischer)
Klang ist eine reine Sukzession, die sich nur durch mein sukzessives Mitvollziehen (co-prae-
sentatio) vorstellen lässt. In dieser Formulierung ist es möglich, eine Antwort sowohl auf die
ontologische als auch auf die epistemische Frage zu geben, ohne die eine unabhängig von der
anderen beantwortet zu haben.
Diese Beschreibung dessen, was beim Hören von Musik geschieht, unterscheidet sich
von Kants Beschreibung aus dem obigen Zitat wie folgt: Für Kant war der menschliche Kör-
per der Bewegung gegenüber so gleichgültig wie etwa ein Stein gegenüber seinem Fliegen
im Wurf. Die Quelle der Bewegung lag außerhalb des bewegten Gegenstandes. In meiner
Alternativbeschreibung lässt sich nun sagen, dass der Hörende den musikalischen Klang

56
„[…] wenn man […] den Wert der schönen Künste nach der Kultur schätzt, die sie dem Gemüt
verschaffen, und die Erweiterung der Vermögen, welche in der Urteilskraft zum Erkenntnisse zu-
sammen kommen müssen, zum Maßstabe nimmt.“ (KU, § 53)
57
KrV, § 2 B 27 u. B 226.
DZPhil 57 (2009) 6 903

und damit die musikalische Sukzession vorstellt, indem er sie zu seiner eigenen Sukzession
macht, indem er sie mit-präsentiert beziehungsweise mitvollzieht. Nach dieser Beschreibung
liegt die Quelle der Bewegung im Hörer begründet. Was mit dem menschlichen Körper beim
Hören von Musik geschieht (das unmittelbare Fußwippen, Kopfnicken oder Fingertrom-
meln), ist Ausdruck der Co-Präsentation des Klangs durch den Hörer. Durch den Begriff der
Co-Präsentation beziehungsweise des Mitvollzugs kann man nun erläutern, wie wir Klänge
vorstellen, wobei die ontologischen Kriterien der Gehalt- und Gestaltlosigkeit vorgeben, wie
die Vorstellbarkeit der Klänge zu denken ist: als reine Sukzession, die ihrem Wesen nach auf
den Mitvollzug beziehungsweise auf ihre Mitvollziehbarkeit angewiesen ist.58
In der Verschränkung der ontologischen mit der epistemischen Frage kann umgangen
werden, was ich als den Fehler Scrutons diagnostiziert habe (beziehungsweise Evans als
den Fehler Strawsons): dass dort sounds als Objekte postuliert werden, ohne dabei der epis­
temischen Frage im Ansatz Rechnung zu tragen – also ohne zu erläutern, wie sounds als
Objekte vorstellbar sein können. Zugleich lässt sich der Fall integrieren, auf den Scruton
zu Recht verwiesen hat, dass wir Klänge als eine Einheit erfassen können, ohne sie bereits
als Re-Präsentationen musikalischer Formen zu begreifen. Es genügt, dass wir die Klänge
mitvollziehen, so wie wir eine Melodie mit- beziehungsweise nachsingen können, ohne zu
wissen, wie sie notierbar wäre oder ihre Intervalle als Relationen von Tonnamen artikulieren
müssten.59
Liest man das Kant-Zitat im Lichte dieser Begriffe, dann könnte man in dem von Kant
angesprochenen „Gefühl der Gesundheit (welche sich ohne solche Veranlassung sonst nicht
fühlen lässt)“ immerhin den Versuch erkennen, die Co-Präsentation des Klangs im Hörer zu
erfassen.60

2. Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Co- und Re-Präsentation. Nun wirft diese
Darstellung verschiedene Schwierigkeiten auf. Es ist noch nicht restlos geklärt, was unter
musikalischer Rede zu verstehen ist, wenn man nur versteht, dass Klänge im Unterschied zu
Geräuschen (als auditiven Akzidenzen an materiellen Substanzen) auf die Co-Präsentation

58
Wie unterscheidet sich die Co-Präsentation von zwei zufällig zugleich stattfindenden Bewegungen?
Wenn ich mit dem Rad fahre und nebenher fliegt ein Vogel mit derselben Geschwindigkeit in die-
selbe Richtung, dann ist dies die zufällige Korrelation von zwei positionsverändernden, gerichteten
Bewegungen und keine reine Sukzession. Fahrrad(-fahrer) und Vogel haben Gestalten. Klänge zwin-
gen zur Co-Präsentation, weil sie selbst gehalt- und gestaltlos sind.
59
A. Becker gebraucht den Terminus „Nachvollzug“ in einem doppelten Sinn, den ich hier versuche,
durch den Unterschied zwischen Co- und Re-Präsentation zu differenzieren. Einerseits bestimmt
er den Begriff „Nachvollzug“ zunächst wie folgt: „Man kann die Frage ‚Wie hast du diese Passage
gehört?‘ nämlich auch beantworten, indem man die betreffende Passage vorsingt oder auf einem
Instrument vorspielt. […] Man kann daher sagen, dass die zweite Wahrnehmung die erste nach-
vollzieht; ich werde deshalb das gesamte Verfahren der Angabe, für das als einfaches Beispiel hier
das Nachsingen einsteht, als Nachvollzug bezeichnen.“ (Wie erfahren wir Musik?, in: Musikalischer
Sinn, hg. v. A. Becker u. M. Vogel, a. a. O., 265–313, hier: 285 f.) Andererseits unterscheidet Becker
das „nachvollziehende Hören“ vom „einfachen Hören“ genau dadurch, dass sich Ersteres in mu-
sikalischen Formen artikulieren lässt und von musikalischer Bildung und Fähigkeit des Hörers ab-
hängt. – Der Mitvollzug (Co-Präsentation) findet nach meiner Auffassung jedoch nicht nach einem
„ursprünglichen“ Hören statt, wenn ich selbst wiederhole oder vorspiele, was ich gehört habe, son-
dern kennzeichnet den Hörprozess selbst.
60
Hierin läge denn auch ein Unterschied zu meiner Kant-Lesart in Musik und Zeit bei Kant (a. a. O.),
wo ich die Bewegungen des menschlichen Körpers als Verlängerung der mechanischen Bewegung
der Klangquelle gelesen habe.
904 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

des Hörers angewiesen sind. Denn die Co-Präsentation endet im selben Augenblick wie das
Klingen. Bliebe man hier stehen, wäre noch nicht geklärt, wie sich Musikhören als Re-Prä-
sentation überzeitlicher musikalischer Formen begreifen lässt. Damit aber haben wir noch
keine Antwort auf die eigentliche Frage, wie wir Klänge objektiv vorstellen, weil noch nicht
geklärt ist, wie wir über co-präsentierte Klänge urteilen.
Damit Reidentifikation von co-präsentierend gehörten Klängen gelingt, muss es möglich
sein, verschiedene Co-Präsentationen als gleich zu erfassen. Wir müssen daher verstehen, was
unsere „Ressourcen“ dafür sind, dass wir über Klänge in derselben Weise urteilen. Da dies im
Fall von Klängen nicht als ein demonstratives Bezugnehmen auf im Raum befindliche, behar-
rende Substanzen möglich ist, können wir über sie allein dadurch urteilen, dass verschiedene
Klänge als Repräsentanten desselben Sukzessionstyps bestimmt werden.61 Solche Typen sind
musikalische Formen, für die sich eine eigene Sprechweise etabliert hat.
Hierbei ist vor allem die Leistung Hugo Riemanns hervorzuheben, der zu Recht als
Begründer einer Musikwissenschaft gilt, weil er mit der funktionsharmonischen Kadenz
eine Formsprache geschaffen hat, die nicht nur isolierte Intervallnamen und Akkordtypen
benennt (in den Bezeichnungen Tonika, Subdominante, Dominante wie noch J. Ph. Rameau
und M. Hauptmann vor ihm). In der Kadenz oder kadenziellen Sukzession sieht Riemann die
grundlegende harmonische Einheit, weil dort die Akkordtypen so aufeinander bezogen sind,
dass sie auseinander hervorgehen, was er mittels des Begriffs der „Klangvertretung“ erläu-
tert.62 Auch die metrische Einheit der 8-taktigen Periode, die einem streng symmetrischen
Aufbau folgt, artikuliert einen Sukzessionstyp musikalischer Form (vielleicht sogar noch
deutlicher als die harmonische Einheit).63
Harmonische Einheit in der Kadenz und metrische Einheit in der 8-taktigen Periode arti-
kulieren typische Formen reiner Klangsukzessionen, unter die wir co-präsentierte Klänge
subsumieren; indem wir so urteilen, bestimmen wir sie als Repräsentanten dieser Form. Die
Artikulation einer allgemein geteilten Hörerfahrung (des 19. Jahrhunderts) in der Sprache der
Funktionsharmonik ist daher ein nicht zu unterschätzender Schritt beim Übergang des bloß
präsentischen Mitvollzugs von Klängen zur Etablierung einer wissenschaftsfähigen Sprache
über musikalische Formen, der musikalischen Rede.
Denn erst dann können wir sagen, dass durch den Nachvollzug so artikulierter musika-
lischer Formen der gehörte (co-präsentierte) Klang bestimmt und dadurch erst zum Klang-
objekt wird (etwa wenn sich zwei Hörer in ihrer Rede auf denselben Klang beziehen). Wir

61
Das hat bereits Evans für Prozesse gesehen: „If the concept of reidentification is to be used in
connection with processes, it must be understood that it is being used in a different sense from that
which it has in connection with things. We reidentify a process when we hold that an occurence
encountered at one time is part of the same process as an occurence encountered at another, […].“
(G. Evans, Things Without the Mind, a. a. O., 257 f.)
62
Vgl. H. Riemann, Musikalische Logik. Hauptzüge der physiologischen und psychologischen Be-
gründung unseres Musiksystems, Leipzig 1873; und ders., Musiklexikon, 8. Auflage, Leipzig 1916:
Art. Funktionsbezeichnung, Kadenz, Klangvertretung: Klangvertretung meint, dass ein einzelner
Ton, je nachdem, in welchen Kontext er harmonisch gestellt wird, unterschiedliche Akkorde ver-
treten kann. So kann ein C sowohl die kleine Terz eines a-Moll-Dreiklangs als auch die große Terz
eines As-Dur-Dreiklangs sein. Die kadenzielle Einheit lässt sich über solche Klangvertretungen
herleiten (C als Grundton der Tonika und Quinte der Subdominante). Sie bildet einen normativen
Hörermaßstab tonalen Hörens, mit dem sich auch übermäßige oder verminderte Akkorde als Abwei-
chungen der Kadenzharmonien innerhalb dieser sukzessiven Einheit verstehen lassen – das ist eine
wesentliche Entdeckung Riemanns.
63
H. Riemann, System der musikalischen Rhythmik und Metrik, Leipzig 1903.
DZPhil 57 (2009) 6 905

urteilen in musikalischer Rede über co-präsentierend gehörte Klänge, indem wir sie in ihrer
Funktion innerhalb der Einheit eines Sukzessionstyps (metrisch, harmonisch oder …) bestim-
men.
Ein möglicher Einwand gegen diese Darstellung könnte nun lauten: Wieso die Co-Präsen-
tation betonen, wenn doch allein der Nachvollzug, die Re-Präsentation musikalischer Formen
die objektive Rede über Klänge in musikalischer Rede garantiert? Führt nicht die Überbe-
tonung des präsentischen Mitvollzugs von Klängen dazu, dass eine neue Kluft entsteht: die
zwischen dem Mitvollzug von Klängen und dem Nachvollzug von musikalischen Formen im
Hören?64
In diesem Kontext seien nur drei kurze Entgegnungen vorgebracht, die auf die Nachteile
aufmerksam machen sollen, vor die eine Philosophie der Musik gestellt wird, die unter dem
Hören in erster Linie das Re-Präsentieren schon erlernter musikalischer Formen begreift.
Wenn man beispielsweise versucht, die Weise, auf die der Hörende den Klang als Reprä-
sentanten musikalischer Formen nachvollzieht, allein mit Verweis auf das Beherrschen einer
musikalischen Fähigkeit zu beantworten, dann entwirft man ein Zirkelargument. Indem man
eine musikalische Fähigkeit als Quelle des Hörprozesses anführt, gebraucht man schon den
Begriff der Musik. Man kann also nicht mit dem bloßen Verweis auf „musikalische Fähig-
keit“ oder „musikalische Bildung“ erklären, was das Hören ausmacht, solange wir gerade
klären wollen, was das ist: Musikhören. Auch der Verweis auf eine musikalische Hörfähigkeit
bedarf einer Erläuterung der Weisen, in denen wir die Fähigkeit typischerweise anwenden
oder ausführen.
Zweitens kann eine Überbetonung der Kenntnis musikalischer Formen als Bedingung der
Möglichkeit von Musikhören leicht dazu verleiten, die Kenntnis musikalischer Formen als
etwas gänzlich anderes zu begreifen als das, was Kant unter dem Begriff „Affekte“ zusam-
menfasst. Es kann dann schnell als geheimnisvolle oder unerklärliche Macht erscheinen, wel-
che Wirkungen Musik in uns auszulösen im Stande ist.65 Womöglich tendiert man dazu zu
vergessen, dass auch musikalische Formen nur dann re-präsentiert werden können, wenn wir
musikalische Klänge co-präsentierend hören.66
Ein dritter Punkt ergibt sich direkt daraus: Übersieht man, wie sehr die Re-Präsentation
noch so elaborierter musikalischer Formen in der erklingenden Musik auf die Co-Präsenta-
tion des Hörers angewiesen bleibt, wird ein Umstand mysteriös, der uns andererseits ganz
einleuchtend ist: dass sich etablierte Redeweisen über musikalische Formen (auch die einer
funktionsharmonischen Kadenz oder einer 8-taktigen metrischen Einheit) wandeln können.
Gerade weil das co-präsentierende Hören von Klängen noch nicht die Re-Präsentation sprach-
lich artikulierter musikalischer Formen einschließt, ist ein wesentliches Merkmal bloß co-prä-
sentierenden Hörens seine artikulatorische Offenheit. Da Klänge durch den Mitvollzug noch
nicht musiktheoretisch-begrifflich bestimmt sind, lassen sie Rede-Variationen und Neudeu-
tungen zu. Und genau aus diesem Grund sind Metaphern (auch räumliche wie „Zeitgestalt“,

64
Anders formuliert: Müsste nicht schon das Co-Präsentieren als hörende Erfassung von später in
musikwissenschaftlicher Sprache explizierbaren Formen gedacht werden?
65
Dies ist Kants Problem, der begrifflich nicht zwischen der mathematischen Form der Musik und
ihrem transitorischen Charakter zu vermitteln vermag.
66
Ernst Bloch drückt diesen Gedanken folgendermaßen aus: „[…][Es] hilft gewiß auch eine bessere
technische Schulung des Laien, damit er wenigstens einen ersten Halt gegen die flüchtigen Tiefen
gewinne. […] [Doch] der ergriffene, zutiefst unkennerische Zuhörer muß genau bewahrt bleiben,
begriffen werden, um als der um dessentwillen alles geschieht, hinter dem Tongefüge und seinen
Regeln, also an der Stelle, die ihn meint und erwartet, wiederum hervorzutreten.“ (Geist der Utopie,
a. a. O., 197/198)
906 Susanne Herrmann-Sinai, Sounds Without the Mind?

„Tonhöhe“ oder „musikalischer Raum“67) ein unaufhebbarer Bestandteil von musikalischer


Rede. Die Offenheit zum Wandel bereits etablierter musikalischer Rede ist in der co-präsen-
tierenden Re-Präsentation von musikalischen Formen eingefasst. So ist es möglich, dass man
zum Beispiel Werke von Johannes Brahms unter funktionsharmonischen Aspekten analysie-
ren kann, zugleich in ihnen aber auch die Überpräsenz von Durchgangs- und Übergangstönen
zu hören vermag. Für Arnold Schönberg eignete sich diese Musik zur Re-Präsentation ver-
schiedener musikalischer Sukzessionstypen.68
Dies alles ist freilich sehr vage und wirft weit mehr Fragen auf, als in diesem Rahmen
beantwortet werden können. Wenn aber mit der hier vorgeschlagenen Sortierung von musik-
philosophischen Problemen wenigstens angerissen werden konnte, in welche Bereiche klas-
sischer philosophischer Debatten eine Philosophie der Musik hineinreicht, dann wäre schon
viel gewonnen.*

Susanne Herrmann-Sinai, Universität Erfurt, Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwis-


senschaftliche Studien, Am Hügel 1, 99084 Erfurt

Abstract
A fundamental concept of a philosophy of music is that of sound. Any investigation of this concept has
to be ontologically as well as epistemically adequate. The main proposition of the article is that sounds
can only be understood ontologically if we take into consideration their main characteristic of being
strictly shapeless and lacking content, an insight that we can learn from Kant. In contradiction to Kant,
sounds can be epistemologically characterized as objects that can only be re-presented if the hearer co-
presents their temporal extension. The argument is developed through a discussion of the work of P. F.
Strawson, G. Evans, R. Scruton, and H. Riemann.

67
Vgl. G. Hindrichs, Musikalischer Raum, a. a. O. – Dort werden mit „musikalischer Raum“ die
zeitlichen Organisationsstrukturen von Musik bezeichnet, die die Reidentifikation von Klängen er-
möglichen, womit Hindrichs durchaus erhellend sprachliche Übertragungen der Begriffe „Breite“,
„Höhe“, „Tiefe“, „Diagonale“ und „Dichte“ auf musikalische Rede analysieren kann. Es ist aber
wichtig, diese Begriffe als Metaphern zu verstehen, weil sonst das Kriterium der Gestaltlosigkeit
von Klängen und Musik verletzt würde.
68
Vgl. A. Schönberg, Brahms, der Fortschrittliche, in: ders., Stil und Gedanke, Leipzig 1989.
*
Für Diskussionen und Anregungen zu diesem Text und zu verschiedenen Vorversionen danke ich
Andrea Kern, Andreas Luckner, Georg Mohr, Pirmin Stekeler-Weithofer und den Teilnehmern
des Leipziger Oberseminars (insbesondere Kathi Beier, Peter Heuer, Bettina Kremberg, Christian
Schmidt und Henning Tegtmeyer) sowie Jürgen Stolzenberg.

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