DEUTSCHL AND: 9,80 € · SCHWEIZ: 19,20 CHF · ÖSTERREICH: 10,90 € · LUXEMBURG: 11,50 € · 108 42
12
KAUF
MICH! Wie Gestalter und
Interaction Designer
inspirierende
Einkaufswelten
schaffen
DEUTSCHLAND 9,80 €
09
4 191084 209802
Super Markt
Welcher unserer Auftraggeber ver-
sucht schließlich nicht, eine Ware oder
Dienstleistung an den Mann zu brin-
gen, und fordert nicht ganzheitliche
Lösungen? Ein zeitgemäßer Auftritt
verknüpft die Vorzüge der einzelnen
Kanäle und bietet situationsabhän-
gig faszinierende Erlebnisse den
kompletten Kaufprozess hindurch –
in der Phase der Inspiration, der
Evaluation über den Kauf hinaus bis
zum After Sales.
n Window Shopping à la Südkorea Nicht von ungefähr entdecken Lu-
Foto: Kirsten Nijhof
Gabriele Günder,
Chefredakteurin/Publisher
Design & AD: Joan Josep Bertran; Illustration: Iván Bravo; Kunde: La Vinya del Vuit
004 page 09.12
INHALT
SZENE
006 Was die Branche bewegt
Ogilvy-Lounge im »Mad Men«-Style; red dot award:
communication design; Ansichtssache: das aktuelle
»Bauhaus«-Magazin; Infograik-Site Fat & Fiction
018 Ausbildung
Geldschein-Collagen; Bindfaden-Installation; die
neue Akademie für Illustration und Design in Berlin
TITEL
020 n Shopping-Design
Der E- und M-Commerce in all seinen Spielarten
verändert auch die Konzepte für den stationären
Handel – damit ist für Interaction Designer und
Gestalter ein vielfältiges Aufgabenfeld entstanden 032 Digilog & Anatal
KREATION
032 n Digilog & Anatal
Mit viel Witz und medialem Know-how bringen
Kreative, Forscher und Marken die Grenzen
zwischen digitaler und analoger Welt in Bewegung
040 n Agenturstrukturen
Wie müssen sich kleine Designbüros aufstellen, um
sich neben den großen Alleskönnern zu behaupten?
046 Theaterkommunikation
Zwischen Publikum und Kunstanspruch zu vermit-
teln ist nicht immer eine ganz leichte Aufgabe
051 Papierwelt
Ausstellung von und in Iggesund; papier|liebe
056 Lieblingsspielzeuge
Acht Kreative haben uns verraten, mit was sie sich
am liebsten auf andere Gedanken bringen
TYPO
064 KLUB7
Aus seiner Anfangszeit in der Urban-Art-Szene hat
020 Titel: Shopping-Design
sich das Kollektiv seinen spontanen Drive erhalten
page 09.12 005
072 Typowelt
Henning Skibbe über die neue SZ-Schrift; Marianne
BILD
076 Buchillustration
Die E-Book-Konkurrenz führt dazu, dass es immer
mehr wunderbar illustrierte gedruckte Bücher gibt
082 Sportbildwelten
Wie lässt sich das Thema Sport zeitgemäß visualisie-
ren? Beispiele aus Werbung, Design und Fotograie
088 Bildwelt
Modefotograie-Ausstellung; Illustrations-Events
TECHNIK
090 Augmented Reality Storytelling
Dank intelligenter narrativer Konzepte kommen
AR-Anwendungen aus der Experimentierecke heraus
PAGE SEMINARE
037 Visual Thinking Lessons mit der Good School
062 »Design Management« mit Christine Hesse
074 »Gutes Design entwickeln« mit Jochen Rädeker
075 »Gutes Design gut verkaufen« mit Jochen Rädeker
046 Theaterkommunikation
095 Transmediales Story-Training mit der Good School
006 PAGE 09.12
SZENE
Fotos: Bruno Bicalho Carvalhaes
PAGE 09.12 007
Goldene
Zeiten
Arbeiten wie Don Draper: Ogilvy
zaubert »Mad Men«-Flair in
ihre Pariser Meeting-Lounge
Schön und nützlich ist die von Martin et Karczinski für Occhio
entwickelte App, die die neue Leuchtenfamilie io 3d
präsentiert. Der User kann zwischen einer Informations-
und Konigurationsebene wählen und io 3d sowohl
frei als auch nach vorgegebenen Stilwelten konzipieren
010 PAGE 09.12 SZENE
Ansichtssache
Klaus-Peter Staudinger ärgern eine Menge
Dinge in Sachen Typograie – aktuell das Magazin
der Stiftung Bauhaus Dessau
n Nach nur zwei Ausgaben im neuen Corpo- Den Betrachter durch Provokation zu for-
rate Design erscheint »Bauhaus«, die Zeit- dern, ist seit Dada-Zeiten nichts Neues mehr.
schrift der Stiftung Bauhaus Dessau, in ande- Hier grassiert jedoch eine die Erkenntnisse
rem Look. Vom Konzept des Berliner Design- der Lesetypograie ignorierende Manie: Dem
büros Hort ist lediglich das vertikale Logo ge- zweisprachigen Heft haben die beiden De-
blieben. Verantwortlich für das neue Layout signer einen großlächigen Satzspiegel mit
ist das junge Amsterdamer Graikdesignbüro schmalen Rändern verpasst und Zwischen-
Our Polite Society. Matthias Kreuzer und Jens kapitel in merkwürdige Sonderfarben ge-
Schildt haben sich Texten angenommen, die taucht – was das Lesen sabotiert und Fotos in
mit hohem Anspruch dem Wesen der Dinge die Unkenntlichkeit zerrt.
im Kontext der Bauhaus-Geschichte nachge- Das Hauptproblem aber ist die der Sabon
hen. Das Problem: Sie haben offenbar nicht be- zur Seite gestellte Auszeichnungsschrift. Die
dacht, dass das Magazin selbst ein Ding ist von dem Franzosen Karl Nawrot entworfene
und damit eine klare Aufgabe hat. Vielverspre- Breu ist für sich durchaus interessant: eine
chende Beiträge werden dem Leser jedoch Kreuzung technischer Schablonen mit lo-
verleidet, indem alle Register der Leseun- ralem Jugendstil. Die löchrigen Lettern emp-
freundlichkeit gezogen wurden. fand der Typedesigner dem »brutalistischen«
Geist Marcel Breuers nach. Doch frei schwin-
gend übers Layout drapiert, erdrücken sie als
mittelachsige oder treppenhaft latternde
Headlines Texte und Bilder. Rätselhafte Ein-
züge und Initialen sowie 5-Punkt-Bildlegen-
den strengen an. Insgesamt wirkt das Heft
zu voll, stilistisch uneinheitlich und gewollt.
Wohltuend sind allein die ganzseitigen Bilder
einiger Bauhaus-Klassiker, fotograiert von
Paulien Barbas, die das Designerduo unan-
getastet ließ.
Das Bemühen, jungen Gestaltern ein Fo-
rum zu geben, wie auch der Ansatz, neben
der Breu ein Kompendium von durch Bau-
hausmeister inspirierten Schriften zu ent-
wickeln, ist begrüßenswert. Schade aber,
wenn deren Einsatz die Arbeit der Autoren
konterkariert. Auf die Weiterentwicklung
der kommenden Ausgaben aus Dessau bin
ich dennoch gespannt.
Titel und beispielhafte Innenseiten der Ausgabe 3 des Magazins »Bauhaus« mit der regelrecht
unangenehm eingesetzten Sonderschrift Breu
PAGE 09.12 011
Gehaltvoll
n Datenvisualisierung. Wer hätte stellen sie als hochästhetische, inter-
gedacht, dass Nährwertangaben so aktive Infografiken dar, die den jewei-
schön aussehen und dabei so viel Spaß ligen Fett-, Zucker- und Eiweißgehalt
machen können? Die drei britischen aufzeigen. Die Idee entstand nicht aus
Designer Anna Brooks, Christina Wink- dem Zwang zum Kalorienzählen, son-
less, und David Rosser kreierten die in- dern aus der Lust an Leckereien, so
teraktive Webseite Fat or Fiction mit das Trio. Unbedingt selbst ausprobie-
sehr appetitlicher Info-Food-Fotogra- ren: www.fatorfiction.info . aw
fie. Snacks und Süßigkeiten – von Car-
rot Cake über Gin Tonic und Weingum- Appetitliche Foodfotograie nutzt Fat
Immer schönes Wetter mis bis hin zu diversen Käsesorten – or Fiction für interaktive Infograiken
Lovestory 2.0
n Microsite. Von den Entwicklern der herrlich ironi-
schen wie informativen Erklär-Website Don’t Fear
The Internet kann man schon einiges erwarten, wenn
sie eine Hochzeitseinladung verschicken. Typedesi-
gnerin Jessica Hische, charismatischer Star der diesjäh-
rigen TYPO Berlin, und Interaction Designer Russ
Maschmeyer, ihr Verlobter, übertreffen die Erwartungen
sogar noch: Die Microsite http://jessandruss.us
erzählt ihre Liebesgeschichte. Parallax Scrolling sorgt
dabei für überraschende visuelle Effekte, der Digital-
Look wird mit Comic- und Illustrationselementen aufge-
lockert. Am Ende bleibt einem nur tiefes Seufzen – und
der Wunsch, man hätte das Passwort für das RSVP. nik
012 PAGE 09.12 SZENE
Stille Welten
n Paper Art. Als Inspiration dienten
Gemälde aus dem 16. Jahrhundert: Im
Auftrag des Stockholmer Restaurants
1900 kreierten die Papierkünstlerin
Fideli Sundqvist und die Fotografin
Olivia Jeczmyk faszinierende Stillleben
mit dreidimensionalen Papierobjek-
ten. Unter der stilistischen Leitung von
Joanna Lavén inszenierten sie Lebens-
mittel wie Fleisch, Gemüse und Nüsse,
aber auch Blumen. Zuvor hatten sie in
ähnlichem Stil bereits ein Buffet für
das Magazin »Plaza« kreiert. Ausge-
stellt sind ihre Stillleben, die ebenso
zeitlos und schön wie ihre Pendants
aus der klassischen Kunst wirken,
noch ein Jahr lang in besagtem Res-
Kunstvolle Stillleben aus Papier kreierten Fideli Sundqvist, Olivia Jeczmyk und Stylistin Joanna Lavén taurant in Stockholm. aw
Großzügig verjüngt
n Corporate Design. Oft künden
neue Erscheinungsbilder für Kulturin-
stitutionen von einem Führungswech-
sel – und repräsentieren die Persön-
lichkeit und Haltung des neuen Inten-
danten. Im Falle des Corporate Designs,
das hauser lacour gerade für die Alte
Oper in Frankfurt entwickelt hat, ist
dies Dr. Stephan Pauly. Hauptziel war,
den Auftritt zu verjüngen, das Kinder-
und Jugendangebot »Pegasus« und
den Werkbankgedanken des kreativen
Programmzentrums hervorzuheben.
Das Design tritt klar und selbstbe-
wusst auf: Wie auf einer Bühne wird der
architektonisch wirkenden Schriftmar-
ke »Alte Oper«, in Versalien der Schrift
Utopia gesetzt, mittig am unteren Me-
dienrand überaus großzügig Platz ein-
geräumt. Dahinter sorgt eine lächige
Porträtfotograie, verwoben mit Text-
information in der Gotham, für eine le-
bendige Anmutung. Das prägnante Ar-
Die Alte Oper – ein Konzerthaus mit ausgeprägtem Klassikprogramm – tritt nun dynamischer auf, chitekturlogo wurde nicht modiiziert.
ohne ihre majestätische Anmutung aufzugeben. Hier: Die Broschüre zum Jugendprogramm Die Site geht im September online. wl
Leben am Fluss
n Corporate Design. Bereits seit
mehreren Jahren läuft im Großraum
Lyon das Projekt »Rives de Saône«, das
die Flussufer für alle Einwohner zu
einem lebenswerten und erholsamen
Ort machen soll. Dabei geht es um rund
50 Kilometer Uferstrecke, die durch
14 Kommunen und 5 Bezirke Lyons
führt. An dem ehrgeizigen Stadtent-
wicklungsprojekt sind auch jede Men-
ge Künstler beteiligt, die den Wegen
am Ufer eine kreative und kulturelle
Identität geben.
Base Brussels bekam jetzt den Auf-
trag, eine passende visuelle Identität
zu entwickeln. Inspirieren ließen sich
die Designer vom Prinzip des Myrio-
ramas, eines in Streifen zerschnittenen
Landschaftspanoramas, das sich im-
mer wieder neu arrangieren lässt. Die
einzelnen Elemente des Erscheinungs-
bilds basieren auf Fotos, die am Saône-
Ufer aufgenommen und zum Teil durch
schöne Schwarzweißillustrationen von
Céline Gautron ergänzt wurden.
Wesentlich für das Base-Konzept
ist seine Flexibilität. Dank der skalier-
baren Schrift lassen sich ganz einfach
neue Inhalte von neuen Künstlern in-
tegrieren. Das ebenso dynamische
wie vielseitige System ist ein Hingu-
cker und führt sicherlich dazu, dass
sich die Bürger noch mehr mit ihrer In Form eines Myrioramas gestaltete Base Brussels das Erscheinungsbild für
Region identiizieren. ant das Projekt »Rives de Saône«
014 PAGE 09.12 SZENE
Business Basics
Christian Büning, Präsident des Berufsverbands der Deutschen
Kommunikationsdesigner ( www.bdg-designer.de ), beantwortet berufs-
Hinnerk, 38: Ich arbeite seit 14 Jahren selbstständig und Dafür ist es bei Ihnen leider zu
habe nun ein Problem mit einem Kunden, der sich von spät. Versuchen Sie zunächst, heraus-
mir getrennt hat und zu einer Agentur gehen will. Er ver- zuinden, worum es Ihrem Auftrag-
langt, dass ich alle Projekte, die ich für ihn realisiert habe, geber geht. Möchte er einen sauberen
von meiner Webseite werfe und nicht mehr für meine Schnitt und »weiße Wände« für die
Eigenwerbung nutze. Ich war viel für diesen Kunden tätig neue Agentur? Oder ist er unzufrieden
und inde die Arbeiten echt okay, würde sie also gerne mit Ihrer Arbeit und möchte nicht in
als Referenzen zeigen. Darf der Kunde mir das untersagen? Zusammenhang mit Ihnen genannt
werden? Wenn Sie den Eindruck ha- Meine Empfehlung: Wenden Sie sich
Lieber Hinnerk, ben, dass es eigentlich nicht um Ihr unbedingt an Ihren direkten Ansprech-
ein ärgerliches Problem, das während Portfolio geht, haben Sie eine Chan- partner. Finden Sie heraus, was den
einer guten Zusammenarbeit leider ce auf eine gütliche Einigung. Sollte Wechsel verursacht hat und ob Sie An-
selten bedacht wird. Rechtlich haben Ihr Auftraggeber den Kontakt verwei- teil daran haben. Erst wenn Sie hier er-
Sie leider wenig Handhabe, da Sie als gern oder weiter darauf beharren, folglos sind, sollten Sie sich mit der Bit-
Designer nicht automatisch das Recht dass Sie keine Arbeiten mehr zeigen, te um eine Stellungnahme an den Inha-
haben, Ihre Arbeiten in Ihrem Port- müssen Sie wohl oder übel in den sau- ber oder Geschäftsführer wenden. Viel
folio zu verwerten. Dieses Recht müs- ren Apfel beißen und diese entfernen. Hoffnung will ich Ihnen nicht machen,
sen Sie ausdrücklich vereinbaren (sie- Es bleibt Ihnen natürlich freigestellt, aber manchmal kann man eine ram-
he auch § 31 UrHG). Sie können das am sie zu zeigen, ohne das dem Auftrag- ponierte Geschäftsbeziehung wieder
einfachsten in Ihrer Rechnung fest- geber kenntlich werden zu lassen. glätten und neu beleben. Viel Erfolg.
halten, zum Beispiel mit der Formu- Manche Motive lassen das durchaus
lierung: »Der Designer behält das zu, bei vielen ist das allerdings nicht Haben Sie Fragen, die Sie hier beant-
uneingeschränkte Recht, die entstan- einfach zu bewerkstelligen, da der Ab- wortet sehen möchten? Dann
denen Arbeiten in seinem Portfolio sender zumeist ein wesentlicher Be- schreiben Sie uns (E-Mail: business
zeigen zu dürfen.« standteil der Aussage ist. basics@bdg-designer.de)
PAGE 09.12 015
jj
Brennpunkt
Mark Curtis, Chief Client Oficer bei der
Servicedesignagentur Fjord, über
das Berufsbild des Chief Design Oficer
n Nokia, Kia und Electrolux haben ei- Jeder Player im Bereich der Fast Moving +++ AKQA goes WPP. Die Digitalagentur AKQA wird
nen, Samsung machte seinen sogar Consumer Goods (FMCG) muss verste- Teil der Werbeholding WPP. Den Deal muss das Kar-
zum CEO: Die Rede ist vom Chief De- hen, wie sich das Shoppingverhalten tellamt noch absegnen. AKQA soll als eigenständi-
sign Oficer, kurz CDO. Mit PepsiCo zog verändert und wie man eine Marke in ge Einheit weitergeführt werden, CEO Ajaz Ahmed
vor Kurzem der erste Food-&-Beverage- neuen Kanälen am besten präsentiert. und Chairman Tom Bedecarré bleiben Geschäftsfüh-
Konzern nach und besetzte die neu ge- Wenn ich Mauro Porcini wäre, würde rer. +++ Agenturfusion. Scholz & Friends Düsseldorf
schaffene Position mit Mauro Porcini, ich mich fragen, wie man Pepsis Mar- und red cell fusionieren und irmieren künftig gemein-
bislang CDO bei 3M. Was ist dran am ken proitabel erweitern kann, etwa in sam als Scholz & Friends Düsseldorf. Die Führung tei-
neuen Berufsbild – und warum brau- puncto Service. Über die nächsten 10 len sich die Geschäftsführer beider Agenturen . Red
chen wir den CDO überhaupt? Wir frag- bis 15 Jahre werden FMCG-Produkte cell ist spezialisiert auf 360-Grad-Kommunikation,
ten Mark Curtis von Fjord. nik immer austauschbarer werden und an Corporate Communications und Interactive. +++ HR-
Wert verlieren und Services, die Kun- Agentur. Sebastian Vogt, ehemals Human Resources
Was hat sich verändert, dass wir heute denerlebnisse bieten, immer wertvol- Director bei der Interactive-Agentur G2 Germany, hat
Chief Design Oficers brauchen? ler. Ein gutes Beispiel dafür ist Nike+. sich mit Get and Keep selbstständig gemacht. Hier be-
Mark Curtis: Die Komplexität hat zu- Damit rückt das Unternehmen immer rät und unterstützt er Agenturen und Marketingunter-
genommen. Wenn man vor fünf, sechs näher an den Konsumenten heran und nehmen dabei, die richtigen Mitarbeiter zu inden und
Jahren ein digitales Produkt genutzt erschafft ein Erlebnis rund um die Mar- zu halten. ≥ www.getandkeep.net +++ Neuer Kopf
hat, saß man höchstwahrscheinlich an ke. Das geht viel weiter als Schuhe – bei Mutabor. Mark Möllenbruck wechselt von Meiré
einem PC und browste auf einer Web- bleibt aber nah am Unternehmensmot- und Meiré zur Hamburger Designagentur Mutabor.
site. Heute gibt es zusätzlich Smart- to »Just do it«. Darüber sollte sich ein Dort kümmert er sich in der Interface- und Motion-
phones, Tablets und Smart TV. Auch Konzern wie Pepsi Gedanken machen. design-Unit um integrierte Markenstrategien und De-
die Interaktionsparadigmen haben sich Wird der CDO wichtiger als der CMO? signlösungen. +++ guteplakate 2012. Artefakt Kul-
vervielfacht: Statt mit Hilfsmitteln wie Ist Design das neue Marketing? turkonzepte und Ströer suchen wieder nach dem bes-
Keyboard und Mouse interagiert der Es ist noch zu früh für ein derart gewag- ten Kulturplakat. Bewerbungsschluss ist der 31. Ok-
User heute viel unmittelbarer mit di- tes Statement. Ich kann mir aber durch- tober, die Teilnahme ist kostenlos. ≥ www.gute
gitalen Geräten – per Touch, Swipe, aus vorstellen, dass CMOs künftig an plakate.de +++ Salt sagt Tschüss. Die Berliner Salt
Sprach- oder Gestensteuerung. Die CDOs berichten. Marketing wird im- Filmproduktion verschwindet vom Markt. Der Grund
Komplexität erschwert das konsisten- mer mehr zum Teil des Markenerleb- sind unterschiedliche Auffassungen der Gesellschaf-
te Kundenerlebnis über alle Kanäle nisses. Nehmen wir zum Beispiel Face- ter über die geschäftliche Ausrichtung. +++ Innova-
hinweg. Bisher liegt die Verantwortung book oder Twitter: Wo hört das Marke- tionstagung. Vom 20. bis 22. September indet am
dafür verteilt auf mehreren Schultern, ting auf und fängt der Service an? Potsdamer Hasso-Plattner-Institut das d.confestival
wodurch Unternehmen an Zugkraft Wären Sie selbst gern CDO? statt. Die Veranstaltung ist ein Mix aus Konferenz
einbüßen. Ein CDO kann diese Auf- Ich bin sehr zufrieden und glücklich mit und Festival zum Thema Design Thinking. ≥ www.hpi.
gabe aus dem Herzen des Unterneh- dem, was ich gerade tue. Aber wenn dconfestival.net +++ Neue Köpfe bei Blumberry.
mens heraus bewältigen. ich es nicht wäre: Klar! Ich glaube, CDO Amil Hota und Jan Engel sind ab sofort Mitglieder der
Bislang haben hauptsächlich Elektronik- ist eine sehr faszinierende Rolle für je- Geschäftsführung bei der Berliner Full-Service-Agen-
und Automobilkonzerne CDOs den aus Design und Kreation. In dieser tur. Hota übernimmt die Geschäftsführung Beratung,
berufen – welche anderen Branchen Position kann man die Welt der Zu- Engel verantwortet den Bereich Event und Szeno-
würden davon proitieren? kunft mitgestalten. graie. Beide kommen von der Schwesteragentur
CDOs werden vor allem in Branchen Übernimmt Fjord nicht in gewisser Scholz & Friends. Blumberry will im Oktober einen wei-
Einsatz inden, die digitale Komponen- Weise die Rolle eines CDOs? teren Standort in München eröffnen +++ Infograik-
ten haben, damit aber keinen klaren Wir ergänzen leitende Designer mehr, Seminar. Am 22. und 23. Oktober veranstaltet Media
Mehrwert durch ein herausragendes als dass wir ihre Rolle einnehmen wür- Workshop in Berlin ein Intensivseminar zum Thema
Kundenerlebnis schaffen, zum Beispiel den. Nimmt ein Unternehmen das The- Infograik. Referent ist Raimar Heber, Artdirektor bei
Gesundheitswesen, Reise, Bildung und ma User Experience wirklich ernst, dpa-infograik. Teilnehmer sollten erste Erfahrun-
Finanzen. Einige der erfolgreichsten braucht es Menschen innerhalb der gen in der visuellen Wissensvermittlung mitbringen.
Start-ups der jüngsten Zeit wie Pin- Organisation, die sich darum kümmern. ≥ www.media-workshop.de +++ Fortbildung. Das
terest oder Instagram sind sehr design- Outsourcing kann hier nur eine kurz- UdK Berlin Career College startet im September die
getrieben und dabei extrem fokus- fristige Lösung sein. Immerhin ist das berufsbegleitende Fortbildung Kuratieren. Der Kurs
siert auf das Kundenerlebnis. Sie ha- auch ein politischer Job: Ein Teil der besteht aus fünf zweitägigen Modulen, die auch ein-
ben keine neue Technik erfunden, ihr Aufgabe besteht darin, den Firmen- zeln gebucht werden können. Anmeldeschluss ist der
Erfolg basiert auf besserer User Expe- auftritt zu vereinheitlichen – und das 7. September. ≥ www.udk-berlin.de +++ Werbeilm-
rience und besserem Design. Diese bedeutet, über verschiedene Interes- wettbewerb. Kinovermarkter WerbeWeischer hat den
Botschaft ist bei vielen großen Unter- sengruppen innerhalb des Unterneh- Contest Mehr Spielraum für Ideen ausgerufen. Auf-
nehmen angekommen. mens zu entscheiden. Eine Beratungs- gabe ist die Gestaltung einer Imagekampagne fürs Ki-
Was sind Ihrer Meinung nach Mauro agentur kann das nur begrenzt leis- no. Die Gewinneridee wird professionell umgesetzt
Porcinis größte Herausforderungen als ten. Letztlich braucht man intern je- und mit einem Mediavolumen von rund 2 Millionen Eu-
CDO bei Pepsi? manden für diese Aufgabe. ro geschaltet. ≥ www.mehrspielraumfuerideen.de nik
016 PAGE 09.12 SZENE
Silke Schmitz
www.page-online.de/community/portfolios/schmitz-silke
Diplomarbeit »Stadtexkursion«:
Da jeder einen Ort auf eigene
Weise erkundet, lässt sich dieser
modulare Stadtbegleiter indivi-
duell zusammenstellen – abhängig
davon, ob man sich mehr für
Museen, Rundgänge, Sehenswürdig-
keiten oder Geschichte interessiert
AUSBILDUNG
Lichte Linien
n Raumgestaltung. Tolle Studien Es entstand eine RaumimRaum
arbeiten anzufertigen ist eine Sache, Konstruktion mit einem Rundgang um
sie entsprechend zu präsentieren ei die mittige Säule. An dessen innen lie
ne andere. Wie das geht, zeigten jetzt genden Ecken montierten die Studen
Studenten der Kompetenzfelder In ten Bogen, die wie eine Art Gewölbe
nenarchitektur und Lighting Design an fungierten und aus schwarzen, einge
Beteiligte: Richard Dahlmann, Anja Fronius, Eva Häckel, Christina Knjasew, Sarah Lux,
zu schaffen. Das wäre auch gar nicht den Raum schwarz aus, um keine Ab
möglich gewesen, denn nicht nur die lenkung zuzulassen und die ganze Auf
Zeit war sehr knapp, sondern auch das merksamkeit auf den neu geschaffe
Geld«, erzählt InteriorDesignStuden nen Raum und die Exponate zu lenken.
tin Imke Wendt. So kamen die acht auf Diese setzten sie mit 75WattKlemm
das günstige Material Bindfaden. lampen in Szene. Die harten Schatten
würfe sorgten für Plastizität. Dass die
Mit einer Raum-in-Raum-Installation se Installation zum Publikumsmagne
aus Bindfaden rückten Studenten ten der Fakultätspräsentation wurde,
der HAWK Hildesheim ihre Arbeiten verwundert keinen – die 4 Kilometer
ins rechte Licht Wollfaden waren bestens investiert. ant
page 09.12 019
≥ PAGE Online
Weitere Neuigkeiten und Projekte aus den Hochschulen inden
Sie unter www.page-online.de/aus-den-hochschulen
TITEL
Shop Till
You Drop
Ob ofline, online oder mobil –
die Shoppingwelt verändert sich rasant.
Kommunikationsdesigner sind
heute auf allen Kanälen gefordert
n Der Mensch von heute will im Netz, in der Stadt und auf sei
nem Smartphone einkaufen – manchmal sogar alles gleichzeitig.
Die Anforderungen, die sich daraus für Händler und Designer er
geben, haben viele Namen: Von Multi, Cross, OmniChannel und
Agile Commerce ist die Rede. Im Grunde meinen aber all diese Be
zeichnungen dasselbe: Dass der Konsument immer und überall,
wann und wo er möchte, möglichst komfortabel shoppen kann.
Das hat Konsequenzen sowohl für den stationären Handel
als auch für den ECommerce. Beide müssen ihre Vorteile aus
spielen – und dabei die des anderen integrieren. Cybershops
werden immer mehr zum visuellen Markenerlebnis, während
Ladengeschäfte ihrerseits die Erweiterung ins Internet suchen.
Tablets und Touchscreens am Point of Sale sind die naheliegen
de Konsequenz – der Grad der Einbindung variiert allerdings
stark. Hier sind neben Gestaltern zunehmend Interaction Desi
gner gefragt. Der im Oktober 2011 eröffnete Lebensmittelladen
Emmas Enkel in Düsseldorf ist derzeit das Paradebeispiel für die
konsequente Verbindung von Tradition und Innovation beim Ein
kauf (siehe Seite 30). Doch auch einstige OnlinePurePlayer wie
Zalando oder eBay drängen in die Einkaufspassagen, um sich das
MultichannelGeschäft nicht entgehen zu lassen.
Gleichzeitig steigt die Afinität zum Mobile Shopping. Eine Um
frage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft ergab, dass 72 Pro Möbelhersteller
zent der befragten Experten MCommerce als wesentlichen Teil Normann Copenhagen
von MultichannelStrategien sehen. Somit sind auch Shopping feierte den Launch
Apps und ortsbezogenen Services Tür und Tor geöffnet. Wir ge seiner neuen Site mit
hen den Trends im Shoppingdesign nach und stellen innovative einer Ausstellung
Projekte und Konzepte im Retail Design, ECommerce und der im Kopenhagener
Kombination der Kanäle vor. nik Flagship-Store
PAGE 09.12 021
022 PAGE 09.12 TITEL Shopping-Design
n Vor zehn Jahren hätte noch niemand geglaubt, dass übers In
ternet etwas anderes verkauft werden könnte als CDs und Bü
cher. Besonders bei Kleidung war man skeptisch – die müsse man
schließlich anfassen und anprobieren. Doch gerade dieses Seg
ment hat ein rasantes Wachstum hingelegt: 2012 stammten rund
40 Prozent aller online gekauften Produkte von Modeanbietern –
Tendenz steigend, so Lennard Minderhoud von der B2BPlattform
FashionUnited. Selbst Luxusmarken, die sich dem neuen Medium
eher zögerlich annäherten, haben heute Onlineshops. Die meisten
technischen und logistischen Probleme sind gelöst, Bezahlvorgän
ge gelernt, und die Zustellung funktioniert mehr oder weniger rei
bungslos. Nur mit den Kleidergrößen hakt es noch, doch auch hier
gibt es Ansätze wie virtuelle Ankleiden und Vermessungssoftware.
Optisch allerdings sind viele Angebote alles andere als umwer
fend. »Das ECommerceDesign steckt noch in den Kinderschu
hen. Die meisten Shops sehen aus wie vor zehn Jahren: langwei
lige Regalsysteme zum Durchklicken«, sagt Oliver Cloppenburg,
Geschäftsführer Kreation bei der Digitalagentur superReal in
Hamburg. Der Webshop hat seine Form gefunden – jetzt gilt es,
mit wertigen, überraschenden Sites Marken emotional zu insze
nieren und die Käufer zu inspirieren.
Wie das aussehen kann, zeigt der von superReal entwickelte
Onlineshop der Berliner Modedesignerin Dorothee Schumacher.
Der illustrierte Verkaufsraum lässt die Seite persönlich und indivi
duell erscheinen, die Produkte fügen sich unaufdringlich ein.
Natürlich gibt es auch Regalsysteme und Packshots für die
Kaufentscheidung, aber Markenwelt und Inspiration stehen ≥ PAGE Online
klar im Vordergrund. »Eigentlich machen wir hier alles falsch«, Alle Links zu diesem
sagt Oliver Cloppenburg im Hinblick auf gängige ECommerce Artikel sowie weitere
Regeln. Statt mit wenigen Klicks zum Kauf zu hechten, stöbert Projekte inden Sie
der Kunde auf der Website wie im realen Geschäft. Geschadet unter www.page-
habe das Design den Verkäufen nicht, so superReal. online.de/Shopping In dem von UncleGrey in
Kopenhagen für ONLY
Waren Corporate Site und Shop früher meist getrennte Bereiche konzipierten Shoppable Video
auf der Homepage, wachsen sie heute mehr und mehr zusam »The Liberation« kann man
men. Das vereinfacht es, Markenwelten konsistent zu inszenieren. die Kleidungsstücke der Darstel-
Die Startseite funktioniert häuig wie ein Schaufenster, das Inte lerinnen anklicken, liken,
ressenten anlockt. Die Kategorienseiten inszenieren die Produk pinnen, twittern und kaufen –
te dann szenisch, um zu inspirieren; und die Detailseiten bieten aber auch in die Hand-
Closeups und Informationen für die inale Kaufentscheidung. lung des Films eingreifen
PAGE 09.12 023
Ein Weg, Marken online zu positionieren, Käufer anzuziehen anbieten – meist zu niedrigeren Preisen und in geringer Aulage.
und zu unterhalten, sind redaktionelle Inhalte. Ob Asos, Neta In dieser Hinsicht ähneln die Ansätze Private Shopping Clubs wie
Porter oder Zalando – kaum ein Onlineshop hat heute keinen brands4friends oder BestSecret, die in kurzen Aktionen Marken
StyleBlog. Diese kommen meist in Magazinoptik daher, manche mode zu günstigen Preisen verkaufen.
mit eigens produzierten Modestrecken. Zalando lässt sein EMag Manche Shops schneiden das Angebot individuell auf ihre
sogar drucken, legt es Paketen bei und in urbanen SzeneLoca Mitglieder zu. Beim Startup Wanilla entscheidet der Nutzer im
tions aus. Während hier der Urheber eindeutig ist, treten sie bei Vorfeld, aus welchen Kategorien er Produkte angezeigt bekom
Blogs wie Nowness (LVMH) oder The Avant/Garde Diaries (Mer men möchte, die von Prominenten wie dem Architektenbüro
cedesBenz) fast vollständig zurück. Das stärkt die Unabhängig Graft vorgeschlagen werden. Modeshops wie MyStylist oder
keit und Glaubwürdigkeit der Redaktionen, allerdings geht ChicChickClub ermitteln die Vorlieben per Fragebogen. Einen
auch der unmittelbare Anschluss an Unternehmen und Produkt sehr individuellen Service bietet Modomoto. Gründerin Corinna
verloren. Das können sich nur starke Marken leisten. »Wichtig ist, Powalla hat sich auf männliche ShoppingMuffel spezialisiert.
solche Projekte über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Diese bekommen ihre eigene Stilberaterin, die telefonisch Inte
Denn man muss sich seine Leserschaft erst verdienen«, so Robert ressen und Präferenzen abfragt und dann ein Paket mit ausge
Andersen, Creative Director Konzept bei Jung von Matt/next. wählten Kleidungsstücken schickt. Das ist nicht ganz günstig,
Eine andere Möglichkeit, visuell herauszustechen, ist Bewegt aber der Kunde zahlt auch für die Zeitersparnis.
bild. Fashionilme bringen nicht nur die Modefotograie in Be
wegung (siehe PAGE 08.11, Seite 66 ff.), sondern in Form von Alle, die gerne shoppen, suchen dagegen ein möglichst umfas
Shoppable Videos auch den ECommerce. So hat die Modemar sendes Erlebnis im Netz. Dazu gehört der Austausch mit Freun
ke ONLY kürzlich die Microsite www.onlybecausewecan.com mit den oder Gleichgesinnten. Die meisten Shops kämpfen noch
dem interaktiven Kurzilm »The Liberation« gelauncht. Hier kön mit der Einbindung von Social Media – über die üblichen Face
nen die User per Klick Kleidungsstücke kaufen, liken, pinnen oder book oder TwitterButtons geht es selten hinaus. Von Face
twittern. »Diese Aktionen sind interessant, aber nur als Kampa bookCommerce im Sinne von Shops innerhalb des Netzwerks
gnen angelegt. Es fehlen Ansätze, die längerfristig funktionieren«, nehmen Marken und Händler heute weitestgehend Abstand.
kritisiert Oliver Cloppenburg. SuperReal experimentiert derzeit »Es hat keinen Sinn, einen Shop 1:1 in Facebook abzubilden –
mit 360GradVideo, etwa bei der DorotheeSchumacherModen mit geringerer Pixelbreite, langsamerer Performance und un
schau auf der Fashion Week Berlin. Der Zuschauer kann hier mit klaren Datenschutzregelungen«, erklärt Ruppert Bodmeier,
Maus oder Pfeiltasten die Kameraperspektive in alle Richtungen Head of Digital Marketing and Solutions bei der Stuttgarter
drehen und bekommt so das Gefühl, mitten im Geschehen zu sein. Brandretailagentur Liganova.
SuperReal verband den LiveStream mit einer PreorderFunktion, Mit Plattformen wie Pinterest setzen sich zudem stärker
mit der sich die Teile der Kollektion online bestellen ließen. interessengeleitete Empfehlungen durch. Während Pinterest
(noch) relativ losgelöst ist vom ECommerceGedanken, haben
Neben der visuellen Darstellung sorgen neue ShoppingKon Startups wie Svpply, Fancy, mulu oder The Cools sich auf Pro
zepte für frischen Wind. »Die meisten Innovationen kommen heu dukte spezialisiert. Bei ihnen wandern von Mitgliedern gepos
te nicht von Markenshops, sondern von OnlineStartups«, sagt tete Klamotten, Accessoires oder Gadgets automatisch in den
Oliver Hering, CCO bei der Digitalagentur valtech_H2O. Dazu ge Shop, von wo der User auf die entsprechenden Produktseiten
hört etwa Curated Commerce, bei dem der OnlineHändler – der Anbieter weitergleitet wird. Der Konsument verlässt sich
ähnlich wie bei einem Concept Store – eine spezielle Vorauswahl nicht auf das Urteil seiner Freunde, sondern auf Menschen, die
trifft. Besonders populär sind derzeit Designshops wie Fab oder seine Interessen und Vorlieben teilen – und idealerweise besser
Monoqi, die Wohnaccessoires, Fashion, Gadgets und Ähnliches informiert sind als er selbst.
024 PAGE 09.12 TITEL Shopping-Design
n Laute Musik, penetranter Parfumduft und ein Verkäufer mit immer mehr Markenshops. Sogar BMW hat kürzlich in der exklu
freiem, gestähltem Oberkörper, der einem »Welcome to the Pier« siven Pariser Avenue George V einen Brand Store eröffnet, der,
entgegenruft: Der Besuch in einem Hollister Store ist nicht jeder in direkter Nachbarschaft mit Cartier, Hermès und Louis Vuitton,
manns (auch nicht jederfraus) Sache – aber allemal ein Erlebnis. eher die Anmutung einer Boutique hat als die eines Autohauses.
Damit erfüllt die Kette eine der wichtigsten Voraussetzungen für FlagshipStores waren Esprit nicht genug – die Kette hat jetzt
einen attraktiven Point of Sale. Im Gegensatz zum Onlineshop in drei Städten sogenannte Lighthouse Stores eröffnet. Unter
ping können reale Geschäfte alle Sinne ansprechen, mit Farben, dem Motto »Back to the roots« setzt die Marke bei der Gestaltung
Licht, Musik und Düften spielen. »Der stationäre Handel wird auf Naturtöne, Holz und Planzen. »Alles soll so wirken, als würde
nicht aussterben«, ist sich Nicky Herbert sicher, Senior Innovation man seine beste Freundin zu Hause besuchen«, sagt Mike Ross,
Researcher bei dem Londoner Beratungsunternehmen GDR Projektleiter bei Esprit. Derzeit gibt es Lighthouse Stores in Düs
Creative Intelligence ( www.gdruk.com ). »Das Geschäft gewähr seldorf, Köln und Antwerpen. Bis 2015 will das Modelabel alle
leistet die Präsenz einer Marke in der Einkaufsstraße, es dient der selbst geführten Shops umrüsten und dafür über 280 Millionen
direkten Kommunikation mit dem Kunden und gibt dem Händler Euro investieren. Mit dem natürlichen Look bedient Esprit den
die Möglichkeit, sich gegen seine Wettbewerber abzugrenzen.« HandmadeTrend, der sich auch im Retail Design zunehmend
Laut Thomas Paul Klein, Key Account Director bei Liganova, ist bemerkbar macht. »Handgefertigtes vermittelt ein Gefühl von
der Point of Sale noch immer der einzige Ort, an dem Kunden Mar Persönlichkeit und Individualität, von Kreativität und Spontani
ken und Produktversprechen selbst erfahren und prüfen kön tät«, erklärt Jeff Kindleysides, Gründer von Checkland Kindley
nen: »Sinkende Markenloyalität hat Austauschbarkeit zur Folge – sides in London. Die Brandingagentur entwickelte kürzlich das
somit ist auf der Fläche Überzeugung gefragt. Große Aufmerk Shopdesign für New Look, das unter anderem Zeichnungen von
samkeit liegt hier auf Identiikation mit der Marke und Service. Bei Mode und Accessoires einsetzt und dem Ganzen dadurch einen
den Jüngeren geht es mehr um Lifestyle und Community, bei den spielerischleichten Look verleiht.
Älteren sind Zeitersparnis und persönlicher Service ein Thema.«
Besonders gut funktioniert das in FlagshipStores. Von den Eher rudimentär eingerichtet sind PopupStores. »Sie können
musealen Markentempeln früherer Zeiten haben sie sich zu ei der schnellen Taktung in der Modebranche gerecht werden und
nem handfesten Wirtschaftsfaktor im Vertrieb entwickelt, bieten lassen sich hervorragend als Kommunikationsmittel einsetzen«,
aber nach wie vor die Crème de la Crème im Retail Design. Hier sagt Constanze Frowein, zuständig für Public Relations bei D’Art
haben Marken Raum zur freien Entfaltung und können ihre Pro Design Gruppe in Neuss. »Aufgrund des temporären Charakters
dukte adäquat in Szene setzen – ohne störende Wettbewerber zeigen Unternehmen zudem oftmals viel Mut. Der Shop ist ja
gleich nebenan. So inden sich in den Einkaufsmeilen weltweit meist nur wenige Tage zu sehen und formt nicht Monate oder
Konsistentes Shop-
pingerlebnis über
alle Kanäle hinweg:
Normann Copen-
hagen legt im
Onlineshop Wert
auf Atmosphäre,
umgekehrt brachte
der Laden die
Website mit einer
Ausstellung ins
stationäre Geschäft
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dient. MercedesBenz nutzt in ihren Autohäusern iPads mit ei schmutzung ausweist. Dazu nennt sie passende CliniquePro
ner VerkaufsApp von Nolte & Lauth. Diese bietet dank automa dukte, etwa einen leichten Feuchtigkeitsspender mit UVSchutz
tisierter Updates stets aktuelle Produktinformationen, veran für sonnige Tage, und den nächstgelegenen Store.
schaulicht Features und macht das Fahrzeug interaktiv erlebbar.
Statt eigene Geräte zur Verfügung zu stellen, binden immer Immer mehr Verbreitung inden Augmented Reality und QR
mehr Händler die Smartphones ihrer Kunden über Apps ein. Wal Codes, wobei Experten noch zur Vorsicht raten: »Bis ARApps und
mart beispielsweise hat dafür eigens die MobileEntwicklungs QRReader mainstreamtauglich sind, wird es noch eine Weile
abteilung @WalmartLabs gegründet. Das Unternehmen bietet dauern«, sagt Nicky Herbert von GDR Creative Intelligence. An
unter anderem ShoppingApps für iPad und iPhone an, mit de dererseits können sich Marken mit solchen Anwendungen beim
nen Kunden das Sortiment des nächstgelegenen Geschäfts abru jungen, technikafinen Publikum proilieren. Als erste Anwen
fen, Einkaufslisten erstellen und Gutscheine sammeln können. dung ihrer Art sorgte die QRWall des Supermarkts Homeplus in
Im Laden selbst hilft die App bei der Produktsuche. Zum Start einer UBahnStation in Seoul 2011 für Aufsehen (siehe PAGE
des Kinoilms »The Avengers« im Mai 2012 lockte Walmart außer 09.11, Seite 14). An Werbetafeln mit abgebildeten Warenregalen,
dem Gamingafine Kunden mit einer SpezialApp ins Geschäft. auf denen jedes Produkt mit einem QRCode versehen war, konn
Mit der Super Hero Augmented Reality App schlüpften User in ten Passanten ihren Lebensmitteleinkauf auf dem Heimweg erle
die Rolle der Superhelden aus dem Film und konnten im Ge digen. Die ursprünglich als Marketingkampagne geplante Akti
schäft Superkräfte freischalten sowie Fotos von den virtuellen on war ein durchschlagender Erfolg und die QRRegale sind mitt
Figuren machen – und nebenbei natürlich Merchandising und lerweile fester Bestandteil an verschiedenen Haltestellen in
andere WalmartArtikel einkaufen. Südkorea und inden international immer mehr Nachahmer. Ein
Smartphones sind ständige ShoppingBegleiter und Händler aktuelles Beispiel für den Einsatz von AR zur Verkaufsförderung
müssen Wege inden, ihre Kunden darüber anzusprechen. Eine ist die virtuelle Schuhanprobe von kempertrautmann für Görtz.
Möglichkeit bieten Location Based Services. Derzeit beschränken Mittels dreier Kinects werden hier auf einem Screen Schuhe
sie sich größtenteils noch auf CouponingAktionen, etwa mit Ra passgenau und in Echtzeit auf den Füßen der Passanten darge
batten für das virtuelle Einloggen in einem Geschäft. Spannen stellt. Premiere feierte die Anwendung im Mai im Hamburger
der ist Geotargeting allerdings, wenn die App einen Zusatznutzen Hauptbahnhof. In Zukunft wollen kempertrautmann und Außen
bietet und nur nebenbei Produkte anpreist. Ein Beispiel hierfür werber Ströer das Konzept gemeinsam vermarkten.
ist die Clinique Beauty Forecast App: Zuallererst handelt es sich Auch an der FacebookAnbindung versucht sich der stationäre
dabei um eine WetterApp, die neben Temperatur und Regen Handel. Die Kreativagentur DM9/DDB nutzte für eine C&AFiliale
wahrscheinlichkeit auch Luftfeuchtigkeit, UVFaktor und Luftver in São Paulo die Community im Frühjahr 2012 als Shoppingbera
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ter: Ein kleiner Screen im Kleiderbügel zeigte die Zahl der Likes, nachtszeit 2011 mit einem Showroom den Schritt auf eine Lon
die die Produkte auf der FacebookSite von C&A gesammelt hat doner Einkaufsmeile. »Wir verwischen mit der Christmas Boutique
ten. Statt auf Empfehlungen setzte der dänische Schokoladen die Grenzen zwischen Online und Ofline«, so Mariam Lahage,
hersteller Anthon Berg bei einer FacebookAktion im März 2012 Global Head of Fashion Brand bei eBay. »Wir nehmen das Beste
auf Versprechen und sozialen Druck. Mit Unterstützung der beim OnlineShopping, wie riesige Auswahl und Komfort (keine
Werbeagentur Robert/Boisen & LikeMinded errichtete er den Warteschlangen, keine Kassen, kein Stress), und kombinieren es
temporären The Generous Store, in dem nicht mit Bargeld oder mit den Vorzügen von Ofline, wie dem Buzz der Einkaufsstraße
Karte gezahlt wurde, sondern mit einem Versprechen. Im Ange und der Weihnachtsdekoration.«
bot waren gute Taten wie »dem Partner Frühstück ans Bett brin Ebenfalls in London hat das Kaufhaus House of Fraser in meh
gen« oder »einem Freund beim Hausputz helfen«. Als Kassen reren Filialen ein Buy&CollectKonzept eingeführt. Hier gibt es
fungierten iPads, mit denen das Versprechen auf den Facebook keine Produkte, sondern nur Tablets und PCs für die Bestellung.
Proilen des Spenders und des Empfängers gepostet wurde. Auf Die Ware wird innerhalb von 24 Stunden in den Shop geliefert, wo
der Fanpage von Anthon Berg wurden anschließend Beweisfotos sie sich dann anschauen und anprobieren lässt. Die Vorteile ge
eingehaltener Versprechen gesammelt. Die originelle und sym genüber klassischem Onlineshopping liegen auf der Hand: die At
pathische Aktion zieht Facebook und das Nutzungsverhalten mosphäre der Shops, die Beratung durch das Personal, der kos
der Mitglieder gekonnt in den Shoppingprozess mit ein. tenlose Versand und die Vermeidung von Fehlkäufen. Ganz neu
ist die Idee allerdings nicht – erinnert sie doch stark an die Quelle
Integrierter und langfristiger sind Konzepte, bei denen Online Shops, in denen man einst bestellte Katalogware abholen konnte.
shopping fester Bestandteil des stationären Handels ist. Beim
Showrooming dienen Geschäfte nur noch der Präsentation von Gemeinsam ist allen vorgestellten Konzepten, dass sie den
Ansichtsexemplaren. Das Fashionlabel Desigual verfolgt diesen Nutzer und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Anbie
Ansatz sehr konsequent in der Boutique La Vida es Chula in ter und Designer müssen ständig Kundensituationen vorausah
Barcelona. Hier gibt es alle rund 1200 Kleidungsstücke in allen nen und den Einkauf intuitiv und serviceorientiert gestalten. Das
Größen nur ein einziges Mal. Beraten vom Verkaufspersonal kön bedeutet mitunter, nicht alle Technologien einzusetzen, die mög
nen Kundinnen das gesamte Angebot der Marke ansehen und lich sind. Oder man macht mehrere Angebote gleichzeitig, wie
anprobieren, aber nichts mitnehmen. Stattdessen bestellen sie Emmas Enkel: Dort kaufen Kunden ab 45 Jahren hauptsächlich
via iPad die gewünschten Teile und erhalten die Lieferung in traditionell vor Ort ein und nehmen ihren Einkauf mit. Die Jünge
nerhalb von zwei Tagen nach Hause. ren ab 25 Jahren machen dagegen mehr Gebrauch vom Online
Ähnlich geht Edeloptics in Hamburg vor: Der OnlineOptiker Shop und Lieferservice. Jeder, wie er will.
wäre außerstande, sein gesamtes Sortiment in einem Laden ab »Unternehmen müssen verstehen, dass ihre Kunden sowohl
zubilden und hat sich daher für eine Mischung aus Showroom online als auch ofline shoppen. Sie müssen herausinden, wie ih
und normalem Shop entschieden. Statt der üblichen Waren re Kunden diese Kanäle nutzen und ihnen Tools an die Hand ge
regale gibt es in dem kleinen Geschäft nur iPads. Auf ihnen wäh ben, die das Shoppingerlebnis einfach und bequem gestalten«,
len die Kunden bis zu fünf Modelle aus, die ein Mitarbeiter aus so Nicky Herbert. Auf keinen Fall können Händler heute noch die
dem Lager holt und auf einem Tablett präsentiert. Filterkriterien Augen vor dieser Entwicklung verschließen. Denn Konsumenten
wie Gesichtsgröße helfen, aus rund 30 000 Modellen das rich werden sich mehr und mehr an den Komfort von Multichannel
tige für die eigene Nase zu inden. Auch eBay machte zur Weih Konzepten gewöhnen – und ihn überall erwarten. nik
Virtuelle Schuh-Anprobe von Görtz: Auf einem Screen werden Schuhe mittels dreier
Microsoft Kinects passgenau und in Echtzeit auf den Füßen der Passanten
dargestellt. Gefällt das Ergebnis, leiten QR-Codes direkt weiter zum Onlineshop
032 PAGE 09.12
KREATION
350 000 Post-its klebte die Agentur Casa Darwin an die Flagship-
Store-Fassaden des Plastic-Footwear-Herstellers Melissa
in São Paulo. Nach 5 Monaten Zettelchen-Hin-und-Herheften
entstand ein 30 Sekunden langer Stop-Motion-Film
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Digitale Graffiti
In der analogen Welt greift man zur
Spraydose und streicht auf Wahl- oder
Werbeplakaten einfach aus, was einem
nicht passt oder man verändert die Bot-
schaften. Solche Interventionen sind
im Netz nicht möglich. Oder doch? Lai-
monas Zakas aus Litauen erforscht, wie
man durch Unicode-Zeichen die Pro-
grammier-Bugs von Websites nutzt, um
die Standardformatierungen zu über-
schreiben. Das Ganze sieht aus, als
hätte man Google, Tumblr und Face-
book durch den Fleischwolf gedreht
und zu einer typograisch schmack-
haften Paste verarbeitet.
Zakas verwendet die nicht alphabe-
tischen Zeichen des Unicode-Standards,
um die Layout-Engines auf den Web-
servern in die Knie zu zwingen. Unter
www.facebook.com/glitchr oder http://
glitchr.tumblr.com kann man die Expe-
rimente erkunden. Zakas hat mittler-
weile sozusagen einen Bug im eigenen
Konzept entdeckt: Er vermutet, dass die
Firmen bereits den Spieß umdrehen
und mithilfe seines Glitchr-Konzepts
eigene Bugs aufspüren. Die subversi- Mit Glitchr spürt Laimonas Zakas auf
ve Unterwanderung des Subversiven. ästhetische Weise Programmier-Bugs auf
O1 statt ABC
Die »Neue Zürcher Zeitung« relaunch-
te kürzlich in Kooperation mit Meiré
und Meiré ihren Onlineauftritt. Hinter
der visuellen Erneuerung steckt auch
eine neue Strategie: Der digitale Kanal
soll zum Erstmedium avancieren. Um
die künftige Ausrichtung auch ofline
zu kommunizieren, entwickelte Jung
von Matt/Limmat ein überraschendes
Konzept für die Titelseite der Ausgabe
vom 8. Juni: Nur Nullen und Einsen wa-
ren dort zu lesen. Wer den Binärcode
in der Zeitung dechiffrierte, konnte an
einem Wettbewerb teilnehmen.
≥ PAGE Online
Alle Links zum Analog-
Digital-Cross-over
inden Sie unter www.
page-online.de/crossover
Die Titelseite der »Neuen Zürcher Zeitung« bestand am 8. Juni nur aus Nullen und Einsen
040 PAGE 09.12 KREATION Agenturenstrukturen
n Auf den ersten Blick macht die ehemalige DDR-Kinder- fentlichen Raum zum Tragen, wie in der Kampagne für das
tagesstätte inmitten einer tristen Wohnsiedlung in Berlin- Schauspiel Hannover, bei dem die Designer zunächst das
Friedrichsfelde nicht den Anschein, als beherberge sie ein Potenzial des Hauses für die Region untersuchten. Ihre Er-
erfolgreiches Designbüro. Hier hat anschlaege.de ihre Hei- fahrungen mit Sommercamps, Kreativworkshops und freien
mat, gemeinsam mit anderen Gestaltern, Journalisten, Ar- Stadtplanungsprojekten wie fforst, einem außergewöhn-
chitekten und Filmemachern. Im Inneren des Heikonauten, lichen Studentenwohnheim im von Abwanderung bedroh-
so der Name des Coworking Space, herrscht eine lebhafte, ten Frankfurt an der Oder (siehe PAGE 12.09, Seite 34 ff.),
trubelige Atmosphäre. Mittendrin sitzen die anschlaege.de- helfen dabei – und sind für einige Kunden der Grund, sich
Gründer Steffen Schuhmann und Axel Watzke am Konfe- für anschlaege.de zu entscheiden.
renztisch und skizzieren ihr verblüffend durchorganisier- »Regelmäßiger Unsinn hat normative Kraft«, zitiert Axel
tes Agenturmodell. Durch die ständige Zusammenarbeit mit Watzke den Psychiater Eugen Bleuler. »Diese ein, zwei freien
Kulturbetrieben – vom experimentellen Kampnagel in Ham- Projekte pro Jahr zu gesellschaftlich relevanten Theman sind
burg über das hippieske Grips Theater Berlin bis zum wichtig für uns. Wir erhalten häuig Aufträge, weil wir selber
bürgerlichen Theater und Orchester Heidelberg (siehe Sei- Kultur machen.« Ihr leicht anarchistischer Ansatz, Ressourcen
te 48 ff.) – wissen sie, mit den speziischen Herausforderun- im öffentlichen Raum wie leer stehende Gebäude für kom-
gen dieser Kunden umzugehen, und konnten sich vom Gra- munikative Zwecke anders zu nutzen, ist inzwischen sogar
ikkollektiv für eigensinnige Corporate und Editorial De- von der Stadt Berlin gefragt: Im Zentrum einer von dieser in
signs zum strategischen Designbüro entwickeln. Auftrag gegebenen Kommunikationskampagne stehen zwei
Wie bei anderen Markenagenturen fragen die Auftrag- alte Berliner Geschäftsstraßen inklusive geschlossener Ein-
geber vermehrt nach der Entwicklung von Identitäten. »Wir kaufszentren in den Problembezirken Wedding und Moa-
wirken zuerst nach innen, machen mehr Kommunikation als bit. Durch den Einzug großer Geschäftsketten und Spiel-
Design«, erklärt Steffen Schuhmann. »Sobald wir mit Kun- höllen droht die Verödung, denn viele kleinere Geschäfte
den über konkrete Bilder sprechen, werden ihnen ihre Be- können sich die steigenden Mietpreise nicht mehr leisten.
dürfnisse, Probleme und Möglichkeiten klar, zum Beispiel Die Aufgabe von anschlaege.de bestand darin, die Iden-
die Diskrepanz zwischen ihrem gewünschten und dem tat- tiikation der Bürger mit ihrem Umfeld zu fördern und sie
sächlichen Image.« Dabei kommt neben dem zunehmend zum Engagement zu bewegen. Bei der Recherche im Kiez
strategischen, beraterischen Ansatz immer wieder ihre Ex- war den Designern die rege Kultur von Abreißzetteln aufge-
pertise für Stadtentwicklung und Kommunikation im öf- fallen, die an Straßenlaternen und -schildern zu Meditations-
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kursen aufrufen und bei der Wohnungs- oder Haustiersu- Zuständigen gibt, der alles bündelt, sind sie letztlich meist
che helfen. So entstand die Idee zu einer Litfaßsäule als öf- dankbar für diesen Service.«
fentlicher Plattform für solche Kleinanzeigen. Ausgehend Seit 2004 arbeiten Christian Lagé, Steffen Schuhmann
von der Beobachtung, dass viel Mobiliar, vor allem ram- und Axel Watzke zusammen, inzwischen mit zwölf Mitar-
schige Monobloc-Stühle, auf den Straßen zu sehen ist, ent- beitern. »Wir machen wie im Sozialismus Fünfjahrespläne«,
wickelte anschlaege.de zudem ein Designkonzept für ein- schmunzelt Schuhmann. »Im Moment haben wir das Ge-
heitliche, kiezeigene Selbstbaumöbel. fühl, dass die aktuelle Teamgröße optimal ist, um efizient
und kreativ zu arbeiten.« Wichtig ist den dreien, sich min-
Die Zusammenarbeit mit öffentlichen Institutionen und destens einmal im Quartal zu treffen und lache Hierarchien
der große Einsatz für unbezahlte Herzblutprojekte verlangt beizubehalten: »Je stärker die Strukturen, desto schwieri-
eine straffe Organisation. »Unser Erfolgsrezept ist, die Struk- ger, zu optimalen Ergebnissen zu gelangen. Kreativwork-
turen für jedes Projekt leicht zu überplanen«, sagt Steffen shops funktionieren auch am besten unter Freunden. Wir er-
Schuhmann. Jeder Auftrag wird mit Kosten und Nutzen, gänzen uns gut, und der Ping-Pong-Effekt bringt uns beim
Mitarbeiteranzahl und Planungsstand dokumentiert, und Gestalten weiter.« Dazu trage auch die offene Architektur
auch der Kunde erhält eine Excel-Tabelle mit Terminen und des Heikonauten bei: »Du kannst ja nie richtig die Tür schlie-
Vorlagen, damit termingerecht produziert werden kann. ßen.« Transparenz und Diskurs werden prinzipiell großge-
»Bei den Kulturinstitutionen sind wir ›die mit den iesen schrieben: Alle Zahlen, von Gehältern bis zu Kundenhono-
Zeitplänen‹. Doch weil es bei deren Projekten selten einen raren, sind für das Team einsehbar. Quartalsweise wird
mit jedem ein Mitarbeitergespräch geführt. »Ich will Kol- schon früh bei der Entstehung der Markenstrategie Online-
legen, die etwas wollen«, sagt Steffen Schuhmann. und 3-D-Prois ins Boot zu holen, um medienspeziische Vo-
Bleibt die Herausforderung, im Alltagsgeschäft Zeit fürs raussetzungen und Grenzen zu klären. Wesentlich für sol-
Wesentliche zu inden – die Ideen. Gegenwärtig bilden sich che Kooperationen ist gegenseitiger Respekt – man sollte
die Gestalter im Bereich Social Media weiter. Mittelfristig ist nicht glauben, alles selbst beurteilen zu können.« So ent-
geplant, jeden Freitag gemeinsam als Inspirationszeit zu stand für Selux ein stimmiger, bis ins Detail glaubwürdiger
nutzen. »Da soll auch mal Zeit bleiben, drei Kirschbäume im Auftritt über alle Dimensionen hinweg.
Garten zu planzen. Das müssen wir montags bis donners- Bedingung für gelungene Kooperationen mit anderen
tags herausarbeiten – aber es gibt immer mehr Kunden, die Agenturen sind eine ähnlich analytische Herangehensweise
diese Experimentierphasen zu schätzen wissen.« Die Auf- und ein Abgleich der Methoden, verrät Stephanie Kurz: »An
träge aus dem Kulturbereich werden in der aktuellen wirt- ihren Angeboten lässt sich recht präzise ablesen, wie eine
schaftlichen Lage wohl kaum zunehmen. Zukunftspotenzial Agentur tickt, wie Strategien und Prozesse ablaufen.« Ist
sieht anschlaege.de in ökologischen und Stadtplanungs- das geklärt, lasse es sich mit den lachen Hierarchien, die
themen. Soeben hat das Designbüro im Auftrag der Se- solche gemeinsamen Projekte ausmachen, gut arbeiten.
natsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung Diese von viel Austausch geprägte Haltung indet sich auch in
eine weltweite Kampagne für den IT-Standort Berlin ge- den internen Strukturen wieder: Ein Viertel der Stan-Hema-
staltet. Damit tun sich Felder auf, in denen es seine spezi- Mitarbeiter sind Freelancer, die mit ihren Perspektiven fri-
ische Expertise, Marken für gesellschaftliche Themen und schen Wind in die Agentur bringen, während Festangestell-
Kommunikation für regionale Entwicklungen zu entwerfen, te für Vertrauen beim Kunden und reibungslose Abläufe
kombinieren und ausbauen kann. sorgen. In den Bereichen Text und Konzeption wird aus-
schließlich mit Freien gearbeitet, weil hier, je nach Thema,
speziische Fachkenntnisse und Tonalitäten gefordert sind.
Modell 2 Strategisch beraten Das Verständnis von kreativer Leistung scheint bei Stan Hema
und gestalten also bereits bei der vorausschauenden Organisation und
einer sensiblen Kommunikation zu beginnen.
Ein Händchen für interessante Bürostandorte hat auch
Stan Hema: Aus Platzmangel ist die Markenagentur in den
noch nicht aufgehübschten Süden der Berliner Friedrich- Im Rückblick Ausprobieren,
straße umgezogen – zentral gelegen, aber ohne an Berlin- analysieren, Profil schärfen
Charme eingebüßt zu haben. »Unsere Größe mit aktuell et-
wa 15 Mitarbeitern ist ideal«, meint Stephanie Kurz, Ge- Ihren Standortfokus hat wirDesign im vergangenen Jahr von
schäftsführerin Strategie. Trotz überschaubarer Manpower Braunschweig nach Berlin verlagert, wo die Markenagentur
sitzt Stan Hema mit Branchengrößen wie MetaDesign und mit insgesamt fünfzig Mitarbeitern in einer luftig sanierten
Interbrand in Pitches. Ihre fundierte strategische Expertise Fabrik residiert. Andreas Schuster, einer der Gründer und
bei zugleich hoher gestalterischer Qualität sorge bei Kun- heute kaufmännischer Geschäftsführer, erzählt, wie sich die
den immer wieder für Überraschung, berichtet sie. 1983 als Ateliergemeinschaft von acht Designstudenten ge-
Diese Besonderheit wird vielleicht gerade durch das kom- gründete Agentur über Dotcom-Blase und Bankenkrise hin-
pakte Agenturmodell ermöglicht: Stan Hema übernimmt in weg etablieren konnte. »Zu Beginn hatten wir gar keine
Markenkommunikationsprojekten die Markenberatung und Strategie. Als studentischer Gemischtwarenladen sagten wir
die Übersetzung der strategischen Werte ins Visuelle. Geht jeden Job zu, der uns in den Bereichen Design, Werbung
es darum, die unterschiedlichen Kanäle zu bespielen, emp- oder Event angeboten wurde.« Ohne wirtschaftlichen Druck
iehlt Stan Hema passende Partneragenturen, coacht diese habe die Gruppe so ihre Stärken und Schwächen erkunden
und moderiert den Ablauf. So können Strategie und Ge- können. Als der Agenturaufschwung Mitte der 1990er ins
staltung – anders als in großen Agenturen, in denen Desig- Stagnieren kam, zog man einen Unternehmensberater zu-
ner oft weniger Stimmrecht haben als Etatdirektoren und rate, der einen Positionierungsworkshop initiierte. »Wie viele
Kundenberater – eng ineinandergreifen. Designer hatten wir Angst, auch mal einen Job abzusagen.
Für den Leuchtenhersteller Selux zum Beispiel entwarf Doch der Berater empfahl, uns zu fokussieren. Tatsächlich
Stan Hema das Erscheinungsbild mit Printmaterialien, um sicherten wir uns erst nach der klaren Positionierung als CI-
anschließend mit der Digitalagentur Codeluxe die Website Agentur unseren Platz in den einschlägigen Rankings.«
und mit dem Architektenbüro Gonzalez Haase AAS den Mes- Damit war der erste Schritt gemacht. Heute nutzt wir-
sestand zur Light+Building zu entwickeln. »Uns ist wichtig, Design BrandExplorer, ein ursprünglich für Kunden kon-
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Hinaus in die große Welt zu spielen, was drinnen auf der kleinen Welt der Bühne erzählt wird – ob dies den
Schaupielhäusern in ihrer Kommunikation gelingt, untersucht Gudrun Pawelke an aktuellen Erscheinungsbildern
ginnt sich langsam zu zeigen. Das Berliner Festspiele bringen zum Bei steckt, würde man auch eher der
MaerzMusikFestival und das Theater spiel eine eigene, zweimonatliche Kunst zurechnen.
treffen 2012 waren erste Bewährungs Edition heraus, die, in Graupappe ein Das dreifarbig gestufte Magazin
proben. Man meint den neuen Werbe geschlagen, zur Mitnahme bereitliegt. zum Theatertreffen müsste eigentlich
mitteln anzusehen, dass sie keine Wer Kaum ein Besucher griff während des animieren, es sich genauer anzusehen.
bung machen wollen. Es sind visuelle Theatertreffens zu den grauen Heft Auch hier wird zum Teil schwer Zu
Leisetreter, die mit ihrer Herkunft eher chen. Als schließlich doch einer die gängliches hochästhetisch offeriert.
hinter dem Berg halten: Als hätten sie Ausgabe mit der Ziffer 3 zur Hand Es beginnt mit Text, also Anstrengung.
sich erst mal ausgenüchtert nach zehn nahm, entschuldigte er sich, er bräu Ungefragte Texte sind ein wenig wie
Jahren Intendanz Joachim Sartorius. chte die lediglich als Schreibunter ungebetene Gäste. Es lässt sich treff
Der Auftritt mit dem roten Rahmen lage. Auf der grauen Umschlaginnen lich streiten, wenn man sich auf sie
tost also nicht, er steht dem ausgewie seite könne man sich so wunderbar einlässt. Aber vielleicht hat man auch
senen Intellektuellen Oberender auch Notizen machen. So ist das, wenn De gerade nicht die Zeit, um die 28 Seiten
gut zu Gesicht. Doch was erzählt der sign sich nützlich macht. Was sich da Essays zu lesen, mit denen das Theater
neue Look, wenn er schon lüstert? Die zwischen den grauen Deckeln ver treffenJournal niveauvoll startet.
048 PAGE 09.12 KREATION Theater-Erscheinungsbilder
Das Erscheinungs-
bild der Ruhr-
triennale setzt auf
gerahmte Natur
und hat als Haus-
schrift die Avenir.
Logo-Idee: Thomas
Mayfried; Art-
direktion: Tobias
Friedberg und Paale
Lüdtke ( http://aoki
matsumoto.com ).
Unten: Das 124-
seitige Programm-
buch wird in ei-
ner Aulage von
100 000 Exem-
plaren verteilt
So sucht man wohl eher nach dem angestammte Publikum ist zu weiten
Inhaltsverzeichnis und indet gleich Teilen im fortgeschrittenen Alter. Man
zwei: eines für das Rahmenprogramm, hätte der einen oder anderen Insze
das komplett mit einem rosafarbenen nierung beim Theatertreffen mehr
Font hinterlegt ist, der an die Farbe frisches Blut in den Zuschauerrängen
von Löschpapier erinnert, und eines gegönnt. Offenbar zielen die neuen
für den ofiziellen Teil mit Grußworten Drucksachen auf ein jüngeres, trend
und Stückebeschreibungen, der seine und vielleicht sogar designbewusstes
Ernsthaftigkeit auf Weiß präsentiert. Publikum. Eine Zuschauerin meinte, sie
Anhand der Berliner Festspiele lässt sähen mehr nach Neukölln als nach
sich gut hinterfragen, ob sich Kultur Wilmersdorf aus. Viele von den hippen
kommunikation selbst als Kunst ver Neuköllnern waren allerdings noch
stehen darf, oder ob es nicht vielmehr nicht zu sehen auf den Rängen.
um Kunstvermittlung geht. Wie be
kommt man das, was auf der Bühne Am 17. August startet die Ruhrtrienna
passiert, am besten an den Zuschauer le mit einem Etat von rund 13 Millionen
und in die Öffentlichkeit. Wie präsen Euro pro Jahr. Der neue künstlerische
tiert man die Inhalte attraktiv und ein Leiter, Heiner Goebbels, will kein »Re
ladend, damit das Theater nicht leer präsentationsfestival«; er will die Ruhr
bleibt? Dafür hilft es, sein Publikum zu triennale öffnen für das Experimentel
kennen – sein Stammpublikum und na le. Heiner Goebbels ist einer der gro
türlich auch das neue, das zu erreichen ßen Kreativen des Musiktheaters, ein
man aufgebrochen ist. Neudenker, der Ungehörtes und Un
Die Berliner Festspiele sind eine In gesehenes der Kunst ins Ruhrgebiet
stitution des »alten« WestBerlins, das bringen will. Zum ersten Mal gibt es ei
ne inhaltliche Ausweitung in Richtung n HD Schellnack, Inhaber des Essener Das ist ungewöhnlich – und gut. Michael
bildender Kunst: mit Video und inter Designstudios nodesign, über Pitches und Heicks denkt sein Theater um, es hat sich
aktiven Installationen sowie Ausstel die Arbeit für Kultureinrichtungen geöffnet, verändert. Ein neuer Auftritt hat
lungen, kuratieren Klaus Biesenbach Sinn. Ich weine dem alten Logo nicht hinter
und HansUlrich Obrist. Die Ruhrtrien Im Jahr 2005 habt ihr den Auftritt des her. Obwohl der Etat für den Pitch viel zu
nale ist traditionell im Ruhrgebiet ver Theaters Bielefeld entwickelt. Inwieweit hat klein war und sich im Verlauf zeigte, dass die
ankert. Bei der letzten kamen im Durch dies die Identität des Drei-Sparten-Hauses Einladung wohl eher eine Hölichkeitsgeste
schnitt etwa 60 Prozent der Besucher geprägt? war, haben wir teilgenommen. Wir wollten
aus der Region und nur ungefähr HD Schellnack: Es ist eher umgekehrt: uns im aufrechten Gang verabschieden und
10 Prozent nicht aus NordrheinWest Das Haus hat den Auftritt geprägt. Der In außerdem mögen wir das Bielefelder Team
falen. Das will man ändern – und inter tendant Michael Heicks hat in einem Dia sehr. Das war uns Mühe und Geld wert – ein
nationaler werden. Die Kampagne zielt gramm, mit dem wir im Pitch 2004 unsere Pitch kostet intern ja gut 5000 Euro. Für uns
klar auf ein kosmopolitisches Publi Idee eines VierSpartenTheaters visualisiert ist dieser kurze, brutale Kreativitätsschub
kum: Vor allem will man Grenzen über haben, sein persönliches Logo gefunden. immer eine schöne Inspirationsquelle. Fi
schreiten und zum Beispiel die Bene Allerdings mit nur drei statt vier Sparten. nanziell ist es ein Lottospiel, bei dem man
luxstaaten gewinnen. Wir haben etwa zwanzig weitere Entwürfe sehen muss, ob der Einsatz stimmt. Für die
Eine »Triennale« im eigentlichen angebracht, aber Heicks blieb seinem ers Auftraggeber bringen Wettbewerbe eher
Wortsinn ist die Ruhrtriennale nicht, ten Impuls treu. Es ist also weniger unser Lo Verunsicherung und mutlose Ergebnisse –
und genau das bringt die LogoIdee go als vielmehr seine Kreation, seine Idee das sage ich, obwohl wir hier Zweitplatzier
von Thomas Mayfried visuell auf den von Theater als Summe einzelner Teile. Und te waren, und es gilt oft sogar für Wettbe
Punkt: Die Ruhrtriennale indet drei das ist eigentlich eine gute Sache. Der Rest werbe, die wir gewinnen. Bessere Ergeb
Jahre hintereinander statt und nicht al des Corporate Designs ist schlicht, klar, nisse entstehen ohne Pitch.
le drei Jahre. Diese Irreführung im Na streng. Wir haben selbst im ersten Jahr, in Warum arbeitet Ihr so gerne für Kultur-
men löst der Designer elegant durch ei dem wir es betreut haben, in Abendprogram institutionen? Sind das die Auftraggeber,
ne dreifach Nennung: »Triennale, men und anderen Medien gezeigt, wie of von denen alle träumen?
fen und spielerisch diese Strenge sein kann. Klienten aus nicht kulturellen Bereichen sind
Wie viel ist davon heute noch übrig? zum Teil inzwischen mutiger, die Bezahlung
Was davon intakt sein kann nach drei Gene ist realistischer, Timings und Worklow pro
rationen wechselnder Hausgraiker ohne ex fessionell, das Interesse an evaluierbaren
terne Supervision. Entweder langweilen sie Ergebnissen groß. Aber mit Kulturpartnern
sich mit dem Corporate Design und wei kannst du subliminale Botschaften und Me
chen zu sehr davon ab oder halten sich an tatext in dein Design einbauen. Es muss nicht
falsche Regeln und ersticken eventuell den so gefällig sein und direkt verkaufen, son
Auftritt. Selbst die Besten sind am Ende An dern darf verwirren, verstören, auf und
gestellte und versuchen nur, den verschie anregen. Nicht nur visuell, auch inhaltlich.
denen internen Anforderungen gerecht zu Theater sind keine Marken, sondern lokal
werden. So gibt es heute einige Umsetzun hochwirksame Orte der Kreativität und Re
gen, die zeigen, dass das Corporate Design lexion, deren Funktion weit über Abo und
zeitlos aufgeht und andere, die es völlig zer Ticketverkauf hinausgeht. Man kann dort
fasert haben, bis am Ende der Auftritt nicht andere Dinge tun. Nicht besser oder schlech
mehr zu funktionieren scheint. ter, aber in anderer Kommunikationsab
Kürzlich wurde der Vertrag des Intendanten sicht. Design für Kultur kann (und muss)
verlängert, und der will jetzt ein neues insofern auch zum Träger eigener Relexion
Erscheinungsbild. Das ist doch eher unge- und Haltung werden. Deshalb bin ich Theater
wöhnlich, oder? Noch dazu wurdet Ihr zum und Philharmonikern dankbar für zehn Jah
Wettbewerb eingeladen. re voller spannender Balanceakte.
050 PAGE 09.12 KREATION Theater-Erscheinungsbilder
Musik oder Tanztheater werben, ist neu gestaltet (siehe PAGE 10.11, Sei
für den unwissenden Betrachter erst te 38 f.). Im Mai gab es dort den Heidel
mal nicht zu entschlüsseln. Das Offen berger Stückemarkt 2012 mit Ägypten
sichtliche wird in der Kampagne ver als Gastland. Die Plakate arbeiten auf
mieden, sie verrätselt lieber. Glücklich, fällig mit einem Komplementärkon
wer sich so viel Zurückhaltung leisten trast. Im ersten Moment wirkt die luo
kann. Auch bei der Ruhrtriennalen reszierend eingefärbte Menge wie ein
Ästhetik erkennt man also eine Diskre Rockkonzertpublikum, auf den zwei
tion, ähnlich jener der Berliner Fest ten Blick erkennt man die ägyptische
spiele. Ist das der neue Trend? »Das ist Revolution. Beim Stückemarkt werden
ja alles schön und gut«, möchte man ausschließlich Uraufführungen gezeigt.
manchmal rufen, »aber seid doch Man weiß also als Zuschauer vorher
auch mal indiskret!« nicht, worauf man sich einlässt. Da
Triennale, Triennale«. Auch Musika rum sucht die Kampagne das aufge
lität und Rhythmisierung inden sich Kunst stellt Fragen, Theater sind ide schlossenere Publikum und unter
in der formalen Anordnung wieder – alerweise Räume für Untersuchung. scheidet sich vom Erscheinungsbild
vielleicht als Anklang an John Cage. Wenn dort Reibung entstehen soll, des Heidelberger Theaters.
Die künstlerische Leitung hat sich nach müssen sie sich allerdings trauen, aus Wer für Theater arbeiten möchte,
einem Pitch für Mayfrieds Wortmarke der Deckung zu kommen. »Kultur muss und die Runden der öffentlichen Aus
entschieden. Die übrige Kommunika man mindestens so gut verkaufen wie schreibungen und Pitches überstan
tion gestaltet Aoki & Matsumoto aus kommerzielle Marken. Kultur ist kein den hat, der braucht Einfühlung für
Frankfurt am Main. Das ist ungewöhn Luxus, sondern ein Grundbedürfnis. sein Publikum. Denn es gilt zu vermit
lich, hat aber sicher mit der Verführung Es ist unser Beruf, zwischen Inhalten teln zwischen Kunst und Kunstinteres
eines Pitches zu tun: Man kann sich aus und Menschen zu vermitteln«, sagt sierten. Designpreise sind in dem Me
allen das vermeintlich Beste heraus Erik Spiekermann, der mit seiner Agen tier leider kein Maßstab für empfän
picken. Ob die Kampagne das überre tur edenspiekermann Strategien und gerorientierte Kommunikation (siehe
gionale Publikum trifft, ohne das hei Konzepte für kulturelle Institutionen red dot für das Spielzeitheft des Schau
mische zu verfehlen, wird sich zeigen. entwickelt. Für Thomas Mayfried ist spielhaus Graz). Theaterstücke und
So viel Poesie jedenfalls war lange im Fall von einer Kulturinstitution ihr Inszenierungen dürfen verstören und
nicht: Die Farbigkeit hält sich gedeckt Programm das eigentliche Statement: überfordern. Kommunikation für Thea
zurück, Werbemittel und Programm »Diese Inhalte nach außen zu tragen, ter aber sollte vor allem die Tür aufhal
bücher bescheiden sich mit kontrast verstehe ich unter Design«. Es geht al ten und einladen, das Publikum ernst
armen, ästhetisierenden Naturbildern. so um empfängerorientierte Kommu nehmen und es bereit machen, sich der
Dass die Plakate für zeitgenössisches nikation, die ihr Publikum ernst nimmt Auseinandersetzung zu stellen. Hier
und ihm zuhört. wünscht man den Theatern und ih
Design kann aber auch überfordern, ren Machern, Mut zur Spielfreude und
wenn der Sprung vom Gewohnten zum Ernsthaftigkeit genau für die Zeitspan
Die Designerin und Neuen allzu groß ist. Beim Staatsthea ne, wenn das Bühnenlicht ausgegan
Autorin Gudrun ter Karlsruhe kam mit dem neuen In gen ist. Denn die ganze Welt ist eine
Pawelke arbeitet tendanten auch visuell frischer Wind in Bühne, lasst sie uns also bespielen.
seit vielen Jahren die Stadt. Der von Double Standards
im Bereich der aus Berlin entwickelte Auftritt und vor Für Kreative, die bei der Akquise auf
Kulturkommunika- allem das bilderlose Spielzeitheft ver Theater abzielen, hier eine Liste von
tion und -beratung. setzte die Abonnenten in Unruhe. Mitt Häusern im deutschsprachigen Raum,
Mehr zum Thema lerweile hat die Frischzellenkur ge bei denen ein Leitungswechsel ansteht:
Theaterkommu- wirkt und die Karlsruher haben sich 2013 Bayerische Staatsoper München,
nikation gibt es von ihr Theater neu angeeignet. Maxim Gorki Theater Berlin, Philhar-
ihr im Blog zum Von Karlsruhe nach Heidelberg sind monie Essen, Schauspiel Köln, Schau-
Theatertreffen zu es gerade mal 55 Kilometer. Dort hat spielhaus Hamburg, Staatstheater
lesen (www.theater anschlaege.de aus Berlin das Erschei Stuttgart und 2014 Bregenzer Fest-
treffen-blog.de) nungsbild von Theater und Orchester spiele, Wiener Festwochen
PAGE 09.12 051
PAPIERWELT
Arbeiten publiziert werden, erhalten
sechs Exemplare des Bildbands mit in
dividuellem Umschlag.
≥ www.evers-frank.com
Der Kuss
n Zum 150. Geburtstag des Wiener
Jugendstilkünstlers Gustav Klimt hat
lakepaper in Zusammenarbeit mit Ige
pa group die Kollektion The Kiss kre
iert, in der sich die Farben von Klimts
berühmtestem Werk wiederinden. Die
Palette erstreckt sich vom eleganten
Weiß über Beige und Orangetöne, ver
schiedene Rotnuancen, Lila und Grün
bis hin zu den klassischen Businessfar
ben Grau, Blau und Schwarz.
Die Oberläche von The Kiss ist mit
einer Mikroprägung veredelt, die –
anders als bei den klassischen, streng
geometrischen Mikrorasterprägungen –
unregelmäßig, lebendig und natürlich
ist. Passend zum Papier gibt es bunte
Briefhüllen in DIN lang, quadratisch
oder im extra schlanken und langen
Sonderformat Special M, das sich für
55 Cent versenden lässt. Das Sortiment
ist in 100 und 300 Gramm erhältlich,
Weiß, Elfenbein und Schwarz stehen
zudem in 400 Gramm zur Verfügung.
Geduldig zeigt sich die KlimtKol
hen. Außerdem entstanden im Rah lektion in der Weiterverarbeitung. Vom
Kreis-Bilder men des Projekts ein Dokumentarilm Offsetdruck über Blind und Heißfoli
Zunächst krochen n Eine schöne Ausstellung zeigt Pa und ein Fotobuch, beide unter dem Ti enprägung, Laserstanzung oder Pa
Nils Olof Heden- pierhersteller Iggesund noch bis zum tel »Creeping in Circles«. piergravur ist alles machbar. Für den
skog (links) und 12. August in seiner alten Eisenhütte ≥ www.creepingincircles.com; Laser und Inkjeteinsatz ist die Ober
Joakim Brolin noch im schwedischen Örtchen Iggesund, www.iggesund.com läche optimiert, aber auch im Digital
selbst im Kreis, 300 Kilometer nördlich von Stockholm. druck lässt sich die Sorte einsetzen.
dann ließen sie es »Creeping in Circles« heißt sie und prä Vertrieben wird The Kiss in Deutsch
andere tun. Durch sentiert eine Bildserie, die aus der Zu
Papier-Liebe land exklusiv durch Igepa group.
eine lange Belich- sammenarbeit des Fotografen Joakim n Die EversFrank Druck & Medien ≥ www.igepagroup.com
tungszeit entstan- Brolin mit dem Künstler Nils Olof He gruppe ruft zum Fotowettbewerb pa
den futuristisch denskog hervorging. Die futuristisch pier|liebe auf. Noch bis zum 15. Septem
anmutende Bilder anmutenden Motive realisierten die ber können Fotografen, Fotodesigner,
Preiserhöhung
beiden mit einer ganz simplen Tech Studenten oder Autodidakten bis zu n Abermals korrigieren einige Groß
nik: Sie ließen Menschen unter einer sechs Fotos in den Kategorien »Repor händler aufgrund gestiegener Kosten
aufgehängten Analogkamera mit einer tage« oder »Inszenierte + künstlerische für Zellstoff, Energie, Transport und
Belichtungszeit von bis zu 20 Minuten Fotograie« einreichen. Mit dem Con Chemikalien ihre Preise nach oben. So
im Kreis kriechen. Einige der Fotos ent test will das Unternehmen zeigen, dass hebt Papier Union für ihre gestriche
standen in Gebäuden, in denen der die Liebe zum Papier trotz Multichan nen Bilderdruckpapiere die Preise um
Papierhersteller einst aktiv war: einem nelKommunikation ungebrochen ist. 7 bis 8 Prozent an; Papyrus Deutsch
alten Hochofen in Moviken, einem frü Zu gewinnen gibt es Preise im Ge land setzt sie für holzfreie Bilderdruck
heren Sägewerk in Stocka und in der samtwert von 6500 Euro. Die besten papiere in Format und Rolle sowie für
alten Eisenhütte selbst. Fotoarbeiten erscheinen in einer Pub holzhaltig gestrichene Formatpapiere
Die Ausstellung war bereits in dem likation, die EversFrank mit Bilder um bis zu 8 Prozent hoch. ant
vor zwei Jahren eröffneten Stockhol druckpapier von Sappi klimaneutral ≥ www.papierunion.de;
mer Fotomuseum Fotograiska zu se produzieren wird. Diejenigen, deren www.papyrus.com/de
052 page 09.12 KREATION Hartz-IV-Möbel-Buch
»Hartz IV Möbel.com«
trägt berührende Ent-
stehungsgeschichten
rund um die Selbstbau-
möbel zusammen
Festival Berlin vorgestellt hat, ist viel darüber gesagt Für die Gestaltung des Buchs schlug Van Bo LeMentzel
und geschrieben worden. Schnell spult er die Geschichte das Graikbüro anschlaege.de vor; die Crowd stimmte zu.
noch einmal ab. Vielleicht hat sein professionellsachorien Die Designer, die von ihren kreativen Dienstleistungen le
tiertes Auftreten aber auch mit seiner enormen Fähigkeit ben müssen, waren zwar begeistert von der Idee mitzuma
zur Fokussierung und zu efizientem Handeln zu tun. chen, nicht aber davon, umsonst zu arbeiten. Obwohl Van
Die Idee, das HartzIVMöbelProjekt in einer Printpubli Bo LeMentzel bereit war, für ihre Leistungen sein Konto zu
kation zu dokumentieren, stammt aus Van Bo LeMentzels plündern, nahm anschlaege.de schließlich sein Angebot an,
Netzwerk. Einige fanden es wichtig, die Möbel auch weni ihnen im Gegenzug für 40 Stunden Konzeptentwicklung im
ger digital orientierten Nutzern zugänglich zu machen. Er nächsten Jahr einen kleinen Bungalow in dem Garten hin
selbst war ursprünglich der Meinung, dass eine Buchpro ter ihrem Büro zu errichten.
duktion zu viel Energieeinsatz bedeute. »Ich brauche keine Das schlichte Layout des Buchs lebt vor allem vom vir
gedruckten Baupläne. Die Crowd wollte das Buch, also soll tuosen Einsatz der Arial. Die Argumentation von anschlae
te sie es auch produzieren.« Und so rief er seinen »Schwarm« ge.de für den Einsatz der wohl meistgehassten System
auf, ihm mit ihren individuellen Kompetenzen bei der Um schrift überzeugte Van Bo LeMentzel: Die für jeden verfüg
setzung behillich zu sein, beispielsweise durch das Verfas bare HelveticaKopie sei ein passendes Äquivalent zu seinen
sen und Lektorieren von Texten oder das Illustrieren von von Designklassikern inspirierten Möbeln für jedermann. Tat
Möbelmodellen. Für all dienjenigen, die helfen, jedoch nur sächlich ist mit spartanischen Modiikationen von Schrift
wenig Zeit investieren wollten, richtet er extra das »One größen, schnitten und Spationierungen ein abwechslungs
HourPowerTeam« ein. Diesem teilte er Aufgaben zu, die reiches Buchdesign mit Charakter gelungen.
sich in maximal 60 Minuten verrichten ließen.
Doch wie demokratisch können Kollaborationsprozesse
Die Crowd begann, wie eine Maschine zu rattern. Konzep überhaupt sein, wenn das Resultat mehr bieten soll als den
te wurden entwickelt und abgeglichen, Entscheidungen Durchschnittsgeschmack der Masse? »Ein solches Projekt
auf Facebook diskutiert. Dabei arbeitete Van Bo LeMent ist natürlich immer nur so gut wie deine Crowd«, sagt Van
zel mit unterschiedlichen Kollaborationstools wie Sync.in, Bo LeMentzel. In seinem Fall besteht diese eben auch aus
Google Docs, Google Blog, Twitter und Facebook. In einem vielen Medienmachern und Kreativen, also Menschen, die
Atemzug mit SocialMediaDiensten zählt er öffentliche seine Arbeit professionell unterstützen können. »In einer
Kommunikations und Produktionsmöglichkeiten wie Fahr Demokratie gibt es aber auch immer einen Vertreter, der
radwege, UBahnStationen, Heimwerkermärkte, Museen gewählt wird.« Den Menschen, die er wie selbstverständ
oder VHSKurse auf, in denen er auch seinen ersten HartzIV lich »seine Crowd« nennt, tritt er fast väterlich entgegen,
Stuhl baute. Sein Ansatz erinnert an die Designhaltung sei bedankt sich liebenswürdig, lobt, freut sich über Feedback.
ner Vorbilder aus dem Bauhaus: Kollaboration begreift er Im Ergebnis zeichnet sich seine Federführung deutlich ab.
weniger als digitales Kommunikationsthema als vielmehr Das unterhaltsame Buch entstand in nur vier Wochen.
als gesellschaftliches Phänomen. Wie die Druckkosten aufgetrieben werden könnte, disku
page 09.12 055
tierte Van Bo LeMentzel frühzeitig im Netzwerk, das sich für nur über Facebook, sondern auch in der realen Welt. Er selbst Van Bo Le-
Crowdfunding aussprach. Auch die Auswahl der Plattform hat sich für den Prozess der Buchproduktion im Berliner Mentzel (Hrsg.):
Inkubato wurde per Pitch entschieden. In 5 Tagen kamen betahaus einquartiert. Und die Namen seiner Möbel, Berliner Hartz IV Moebel.
5000 Euro zusammen. Zum Beispiel auch vom Museum für Hocker oder Neukölln Desk, zeigen klar ihre Herkunft auf. com – Build
Kommunikation Frankfurt und von IKEA. Van Bo LeMentzel »Trace« ist der Ratschlag, die Spuren des eigenen Han More Buy Less!
ging hier einen bemerkenswerten »KarmaDeal« ein: Als delns mit sämtlichen Eigenheiten, Fehlern und Umwegen Konstruieren
Gegenleistung wurde ein Experteninterview über Interieur transparent zu machen. Van Bo LeMentzel legt unter an statt konsumie-
trends für ein IKEAMarktforschungsprojekts vereinbart. »Für derem den Geldluss des Buchprojekts offen – von Holz ren. Ostildern
IKEA könnte es für künftig auch interessant sein, der Über kauf und Druck bis zur Entscheidung, Überschüsse für seine (Hatje Cantz)
produktion mit DoityourselfMöbeln etwas entgegenzu Hochzeit zu verwenden. Die letzte Regel, »Days«, ist viel 2012, 144 Seiten.
setzen«, überlegt er. Auch könnte die Karma Economy dem leicht am stärksten dafür verantwortlich, dass Van Bo Le 12,99 Euro. isbn
demokratischen Anspruch der Firma entsprechen: Wer sein Mentzel seine Ideen in kurzer Zeit umsetzen konnte: Spare 978-3-7757-3395-3
Sofa nicht mit Geld bezahlen kann, bietet seine Hilfe zum nicht an inhaltlicher Unterstützung, aber setze unbedingt
Beispiel als Betreuer auf einem Kinderfest an oder berät zeitliche Limits für jede Aktivität, um Frust und Überschät
die Konsumenten beim Kauf – denn wer die Möbel selbst zung zu vermeiden. Diskussionen begrenzt er beispiels
nutzt, ist im Grunde der überzeugendste Fachmann. weise rigoros. Und in einer handfesten Merkformel ver
packt, lässt sich der 24 Euro Chair nicht nur für 24 Euro, son
Parallel dazu kam die Frage auf, ob das Ergebnis per Self dern auch in nur 24 Stunden herstellen.
publishing oder in einem Verlag erscheinen sollte. Mitar
beiter von Hatje Cantz hatten die Netzkampagne beobach Im Grunde ist Karma Economy eine intelligente Form der
tet und boten an, nachdem durch die zielgerichtete Organi Markenkommunikation: Durch das persönliche Engage
sation in kürzester Zeit 10 000 Euro zusammengekommen ment der Konsumenten kann eine enge Bindung zum Pro
waren, das Buch zu publizieren. Der folgenden Netzkritik dukt entstehen. Für Van Bo LeMentzel hat dieses Prinzip
wich Van Bo LeMentzel nicht aus: Einige seiner politisch ein großes Potenzial für Dienstleister. Marie Voigt, die zu
stark linksgerichteten Anhänger empfanden eine solche seiner Crowd gehört und bei der Deutschen Bahn für Em
Zusammenarbeit als Verrat an der sozialen Ausrichtung des ployer Branding zuständig ist, skizzierte etwa folgenden
Projekts. Van Bo LeMentzel versuchte die Gegner im Dia Gedanken: Fällt in der Sommerhitze beispielsweise die
log zu überzeugen, dass Hatje Cantz nicht mit Branchenrie Klimaanlage in Zügen aus, nutzt der Bahn vor allem die Zu
sen wie Bertelsmann vergleichbar sei. Auch die Verlags friedenheit der Kunden und ihre Loyalität – und die ließe
leitung stieg in die Debatte ein, und schließlich kam die sich durch deren Unterstützung, zum Beispiel beim Vertei
Kooperation zustande. len von Wasserlaschen, erreichen.
Ein Verlag, der auf Facebook dafür wirbt, ein Buchkon Die Glaubwürdigkeit des HartzIVMöbelErinders grün
zept veröffentlichen zu dürfen – verkehrte Welt? Nach dem det sicher auch auf seiner Biograie: Als Kind loh Van Bo
Grund für den erstaunlichen Erfolg gefragt, antwortet Van LeMentzel mit seiner Familie aus Laos und war zeitweise
Bo LeMentzel lakonisch: »Weil ich handfeste Dinge produ selbst von Sozialleistungen abhängig. Natürlich sind seine
ziere – Möbel, Häuser, Bücher.« Dass sich seine fast uto Ideen, deren Funktionstüchtigkeit auch auf seiner Fairness,
pischen Ansätze, die der zunehmenden Suche nach alter Zuverlässigkeit und Offenheit beruht, nur bedingt auf an
nativen Lebensformen und systemen entsprechen, an der dere Bereiche übertragbar. Der Architekt, der seinen Le
Realität messen lassen, macht sie interessant. Darüber hi bensunterhalt als Konzeptioner bei der Markenagentur
naus fasziniert Van Bo LeMentzels charismatische Persön dan pearlman verdient, versteht Karma Economy nicht als
lichkeit und seine kommunikative Stärke: In der individu Ersatz, sondern als Erweiterung des Kapitalismus. Eine sei
ellen Ansprache gibt er sich persönlich und liebenswürdig, ner Visionen ist, dass sein Buch wahlweise mit Geld oder
in öffentlichen Äußerungen pointiert bis provokant. Seine Karma bezahlt werden kann. Welche Gegenleistung es wert
Neigung zu kernigen Headlines lässt sich möglicherweise ist, soll seiner Meinung nach nicht die Geschäftsleitung,
auch durch seine Erfahrungen mit knackigem Sprechge sondern die Kassiererin entscheiden, die vielleicht Hilfe
sang als RapMusiker erklären. beim Bücherauspacken benötigt.
Möglicherweise lässt sich der Ansatz auch als Haltung
Ein zentraler Part des Buchs ist das Social Design Manifes einer jungen, akademisch gebildeten Gesellschaftsschicht
to »KarmaSutra«. Es erklärt die Grundlagen für crowdba verstehen, die sozialer Ungerechtigkeit, prekären Lebens
sierte Entstehungsprozesse in sieben Schritten, die es wert verhältnissen und Selbstausbeutung zu trotzen versucht.
sind, in jede MarketingBibel aufgenommen zu werden: Eines der nächsten Projekte Van Bo LeMentzels ist das
»Chase« zum Beispiel meint die persönliche, emotionale One Square Meter House, eine mobile Übernachtungsgele
Geschichte hinter jedem Projekt: Van Bo LeMentzel zum genheit, das er der CouchsuringPlattform airbnb zur Ver
Beispiel berichtet über Liebe – darüber, wie er mit dem Mö fügung stellen will. Der HolzUnterschlupf soll für einen Euro
belbau seine Verlobte beeindrucken wollte. Mit »Place« ruft pro Nacht und Quadratmeter die günstigste Übernach
er dazu auf, die Netzgemeinde zu verorten, am besten nicht tungsmöglichkeit in Berlin werden. wl
056 PAGE 09.12 KREATION Lieblingsspielzeuge
Wildes Denken
Der Kicker im Agenturlur, eine Rutsche Richtung Kantine – Kreative
gelten gemeinhin als Spielkinder. Was ist dran an diesem Klischee?
Und was bedeutet Spielen für den gestalterischen Alltag tatsächlich?
n Spielen, das hat sich inzwischen in Nicht nur als Verkaufsschlager der
Wirtschaft, Wissenschaft und Werbung Kreativwirtschaft, sondern auch als in
herumgesprochen, kann Informatio dividueller Ideenkatalysator bleibt das
nen sehr nachhaltig in den Köpfen von Spiel ein wichtiges Werkzeug für De
Konsumenten, Schülern und Museums signer und Werber. Unsere Spielzeug
besuchern verankern. »Gamiication« sammlung, entdeckt in Agenturen un
nennt sich der Trend, Spielmechanis terschiedlichster Disziplinen, demons
men, zum Beispiel Belohnungen, beim triert insgesamt drei Hauptmotive: Da
Umweltschutz, beim Onlineshopping gibt es formschöne und außergewöhn
oder in der Ausbildung einzusetzen, liche Objekte, die uns mit ihren Ge
um das Engagement der Teilnehmer schichten, ihrer Aura und Ästhetik, in
auch bei ungeliebten Tätigkeiten zu spirieren. Wir umgeben uns mit ihnen,
erhöhen. Und mit dem Erfolg von Fir remixen ihre Elemente zu Neuem. Zum
men wie Google, die ihre Büros wie anderen bieten Spielzeuge Ablenkung
Spielplätze ausstatten, weiß man, dass und blasen den Kopf frei für neue Per
dies gar zu Innovationen führen kann. spektiven. Und drittens werden Men
Für Kreative ist dies ein alter Hut: Wir schen zusammengeführt, um in freund
sind es gewohnt, durch spielerisches schaftlicher, entspannter Atmosphäre
Erforschen unsere Ideen zu belegen, gemeinsam Ideen entwickeln zu kön
durch Experimentieren, Bauen und nen. Doch wo liegen eigentlich die
Konstruieren die Grenzen des Mach Grenzen des Spiels, wann beginnt die
baren auszuloten und in Rollenspie knallharte Gestaltungsarbeit? Dass sich
len ungewohnte Perspektiven einzu diese Frage nicht immer eindeutig klä
nehmen. Als Design Thinking wird die ren lässt, sagt eine ganze Menge über
se Herangehensweise an Kunden aus die Bedeutung des Spielens in der kre
der Wirtschaft verkauft. ativen Arbeit. wl
Forschung am Objekt
Christian Doering, Kreativdirektor bei Korefe, Hamburg
n Die Lupe in Form einer halben Bril brauchsgegenstände, mit denen ich
le war der Einladung zu einer Pariser mich täglich umgebe und die ich auch
Modeshow von Maison Martin Margie nutze: Bücher und Magazine, Kunst und
la vor ein paar Jahren beigelegt. Ich CDs. Gemeinsam ist ihnen, dass sie al
mag das Nutzungskonzept des mono le mit Leidenschaft entworfen wur
kelartigen Gimmicks, das sehr gut zum den, eigenständige Formen aufweisen
konzeptuellen Ansatz des belgischen und unterschiedlichsten Geschichten
Modelabels passt. Tatsächlich verwen mitbringen. Ich setze mich gern mit
de ich das Kunstobjekt in meinem Ar den Ideen dahinter auseinander, und
beitsalltag als Ersatz für den Fadenzäh besonders interessieren mich die Brü
ler, eine spezielle Lupe aus der analo che darin. Als Designer ist es wichtig,
gen Fotograie zum Auswählen von ein Gespür für Kunst, Mode und Kultur
Diamotiven, mit der sich Bilddetails zu entwickeln, um Inspiration in die ei
vergrößern lassen. gene Gestaltung einließen zu lassen,
Die HalbeBrillenLupe ist Teil mei deswegen haben wir bei Korefe ein
ner Sammlung außergewöhnlicher Ge riesiges Literaturarchiv.
PAGE 09.12 057
Der Gedankenbefreier
Markus Gerdemann, Account Manager
bei Sid Lee, Amsterdam
n Das FormenTool stammt aus einer Interessant dabei ist, dass auch die Momentan fasziniert mich noch ein
Serie von FlashAnwendungen, die Ro gespeicherten Figuren weiter bearbei anderes Spielzeug: die GratisBetaver
man Schnyder, Christian Heusser und tet werden können, sodass mehrere sion des AutodeskTools 123D Catch,
ich eine Zeit lang jeden Monat ge Varianten einiger Motive entstanden mit dem sich Fotos in reale 3DModel
launcht haben. Basierend auf visuel sind, die, nacheinander abgespielt, ei le umsetzen lassen. Eigentlich ist die
len Prinzipien, repräsentieren diese ne Art Animation ergeben. Dass das Arbeit mit jedem Programm erst mal
freien Arbeiten unseren Gestaltungs modulare Tool ein digitaler und kein ein Spiel. Spielen dient – zu Beginn
ansatz. Das FormenTool sticht aus der analoger Baukasten ist, spielt eigent eines kreativen Prozesses – der Vari
Reihe hervor, weil seine Spielmöglich lich keine Rolle. Das Wesentliche ist die antenbildung und endet erst, wenn
keiten immer wieder inspirieren: Es be Beschränkung auf wenige, ungewöhn Methoden deiniert und Entscheidun
steht aus einem Baukasten mit eigen liche Formen, die zu bemerkenswer gen getroffen werden. Interessant sind
willigen geometrischen Formen, die ten, ausdrucksstarke Neukreationen diese nicht zielgerichteten Experimen
sich auf der roten Spieloberläche be führt; deren Einfachheit kann für wirk te dann, wenn man es einem gelingt,
liebig verschieben und zu neuen Figu lich witzige Momente sorgen. Tatsäch sich selbst zu überraschen. Das Un
ren oder Buchstaben kombinieren las lich hat uns das Tool schon zu interes beschwerte daran ist es, das uns auf
sen. Diese Bilder kann man dann mit santen Bildsprachen in unseren Web neue Ideen stoßen lässt – aber dazu
einem Titel versehen und speichern. designs angeregt. braucht es Zeit.
Manueller Denkbeschleuniger
Marcus Werner, Regisseur bei Superiest, Berlin
Im Fluss bleiben
Susanne Lüchtrath, Geschäftsführerin bei Feedmee, Köln
Mauerstürmer
Wände, Straßen, Fenster, Holz oder Metall:
Seit mehr als zehn Jahren ist kein
Untergrund vor der sprudelnden Kreativität
des Künstlerkollektivs KLUB7 sicher
Fantastische Möglichkeiten
Christoph Koeberlin arbeitet als Schriftgestalter bei FontShop International in
Berlin und betreibt die unabhängige Typograie-WebsiteTypefacts
TYPOWELT
mal Bodhuîn – der zunächst Mathe-
Bill kontra Tschichold matik studierte, bevor er sich dem
n Im Jahr 1946 hielt Jan Tschichold Graikdesign zuwandte – die drei Vari-
den Vortrag »Konstanten der Typogra- anten Inline, Solid und Outline anbie-
ie«, in dem er der Neuen Typograie tet. Und da alle Versionen ein alterna-
abschwor und sich für die Wiederauf- tives, nach rechts gekipptes A sowie
nahme traditioneller Gestaltungsfor- unterschiedliche Ligaturen umfassen,
men aussprach. Max Bill war enttäuscht darunter auch ungewöhnliche wie et-
über den Sinneswandel des einstigen wa www oder http, gibt es schier uner-
Vorreiters und sah in dessen Schritt schöpliche Gestaltungsmöglichkeiten.
zurück einen Angriff auf die Moderne. Für circa 80 Dollar kann man Marianne
Der daraus entstehende Disput schlug in den drei Ausführungen online er-
hohe Wellen und stößt bis heute auf werben, ein einzelner Schnitt ist für
großes Interesse. rund 40 Dollar erhältlich.
Der Buchgestalter und Autor Hans ≥ www.benbenworld.com
Rudolf Bosshard stellt in dem gerade
bei Niggli erschienenen Band »Der
Typograiestreit in der Moderne. Max
Fontsmith-Doppel
Bill kontra Jan Tschichold« (113 Seiten, n Die britische Typefoundry bringt
29,80 Euro, isbn 978-3-7212-0833-7) den gleich zwei neue Serifenlose auf den
heftigen Schlagabtausch der beiden Markt. FS Elliot ist ein robuste Schrift
detailliert vor. Darüber hinaus zeigt er für das 21. Jahrhundert, deren Wurzeln
an historischen Beispielen, wie wichti- in der Simplizität und Offenheit des
ge Typografen – von Bodoni und Ber- Typedesigns der 1960er Jahre liegen.
tuch bis zu Morris und Morison – zur Ihr Designer Nick Job gestaltete eine
Eignung von Schriften, zur Anwendung leicht quadratische Type in britischer
von Ornamenten oder zum optimalen Tradition, die von Jock Kinnear, Marga-
Satzspiegel standen. ret Calvert und der Design Research
≥ www.niggli.ch Unit inspiriert ist. Die zehn Schnitte »Wichtig war uns, dass die Schrift
umfassende Schrift ist äußerst zweck-
Geklebte Marianne mäßig – ein echtes workhorse für viel- nicht magazinig und zeitgeistig
fältige Anwendungen.
n Benoît Bodhuin gestaltet keine FS Truman haben Jason Smith und wirkt, sondern so, als ob sie schon
08/15-Schriften. Nach Pipo und Zigzag Fernando Mello ursprünglich für einen
kommt nun seine dritte Schöpfung auf englischen Fernsehkanal entwickelt. immer da gewesen wäre –
den Markt: Marianne, ein nur aus Versa- Jetzt überarbeiteten und erweiterten
lien bestehender Displayfont, der sich
aus Klebebandstücken zusammensetzt,
sie die Fontfamilie, deren sechs Schnit-
te von den einfachen, lesbaren und
klassisch, unaufgeregt, klar«
die an den Verbindungsstellen Einker- geometrischen Formen des Bauhauses
bungen aufweisen. Natürlich lässt sich beeinlusst sind. ant
mit so einer Type treflich spielen, zu- ≥ www.fontsmith.com Neue Schrift für »Süddeutsche«
n Das Bureau ErlerSkibbeTönsmann aus Hamburg gab
der »Süddeutschen Zeitung« ein neues Gesicht, zu dem
auch ein exklusiver Corporate Font gehört. Wir sprachen
mit Typedesigner Henning Skibbe über die Entwicklung
der vierzig Schnitte umfassenden Großfamilie, die den
bislang verwendeten Schriftenmix aus Helvetica, Excel-
sior und Times ablöst. ant
Seit 1965 setzt die »SZ« die Helvetica ein. Ist das
für die Leser nicht ein Kulturschock, wenn sie jetzt
abgeschafft wird?
Henning Skibbe: Die Leser werden mit Sicherheit be-
merken, dass es eine neue Type für die Headlines gibt,
aber geschockt wird niemand sein. Deutlich prägnanter
für die Gesamterscheinung der »SZ« ist die Kombination
Benoît Bodhuins Marianne bietet vielerlei Gestaltungsmöglichkeiten aus fetten mittelaxialen Sans-Serif-Headlines und den
page 09.12 073
BILD
Geistesblitze
Wenn renommierte Artdirektoren wie Wendelin
Hess und Beat Müller mit einem Journalisten
einen Verlag gründen, kommt »Echtzeit« dabei
heraus. In dem Baseler Verlag erschien vor
Kurzem das ungewöhnlich bebilderte Sachbuch
»365 Erinder«. Markus Roost und Roland
Hausheer sind bekannte Schweizer Illustrato-
ren und unterrichten beide an der Hoch-
schule Luzern die Studienrichtung Illustration
Noniction ( www.illustration-nonfiction.ch ).
»Zuerst dachten wir an kleine Vignetten zu ein-
zelnen Produkten, zeichnerisch einfacher,
lexikonartig und ohne Hintergrund«, so Markus
Roost. »Aber wie sich zeigte, hätte das bei
einigen Erindungen die Entwicklung geeigne-
ter Bildmetaphern erschwert. Mit Hinter-
gründen sowie Licht und Schatten konnten wir
mehr Zwischentöne einfügen. Die Kombi-
nation einer etwas düsteren Vergangenheits-
ästhetik mit zum Teil absurden inhaltlichen
Brüchen schaffte es dann ins Buch.« Derartige
Illustrationen drücken aus, dass Erindun-
gen eben oft aus skurrilen Zufällen entstehen.
PAGE 09.12 077
Doppelsinnig
Das gedruckte Buch braucht immer bessere Gründe, um sich auf dem Markt
zu behaupten. Unser Vorschlag: mehr spannende Buchillustrationen
n Warum sollte ich heute noch einen Roman So inspirierend der Blick zurück ist, gilt es
in gedruckter Form kaufen? Regale voller Bü doch, das Thema radikal neu zu überdenken.
cher nehmen doch nur Platz weg und passen Und das ist nicht nur Sache der Verleger. US
eh nicht mehr ins aktuelle Ideal halbleerer Räu Autor Reif Larsen, der jüngst im Gestalten
me. Außerdem müssen dafür Bäume sterben Space in Berlin einen Vortrag über »Opportu
und ich kann doch so wunderbar abends im nities (and Dangers) of Visual Storytelling«
Bett mit iPad oder Kindle lesen . . . hielt, wundert sich darüber, wie wenig sich
Ganz klar, angesichts der Konkurrenz von seine Schriftstellerkollegen an der Diskussion
EBooks müssen gedruckte Bücher heutzuta über EBooks und die Herausforderungen der
ge mehr bieten als bloß nackten Text. Um Neuen Medien an Autoren beteiligen. Dabei
schlag und Einband, in die gestalterische und erfahre das Lesen an sich eine Neudeinition,
herstellerische Liebe ließen, Papier, das sich so Larsen. »Wie werden wir über Texteinhei
gut anfassen lässt – das Buch muss sich wieder ten denken, wenn die Begrenztheit der (Pa
auf Qualitäten besinnen, die im Taschenbuch pier)Seite aufgehoben ist?«, fragt er etwa.
zeitalter streckenweise löten gingen. Dazu Sein zusammen mit Ben Gibson illustrierter
gehört auch die Rückbesinnung auf Illustra Roman »The Selected Works of T. S. Spivet«,
tionen, die es verführerisch und wertig ma auf Deutsch als »Die Karte meiner Träume«
chen, sprich HabenWollenImpulse auslösen. beim Fischer Verlag erschienen, funktioniert
Es mangelt ja wirklich nicht an tollen Illustra wie ein Hypertext mit Bild und Textverweisen.
toren, die für eine zeitgemäße Aufwertung Auf Dauer könnte Larsen sich aber gänzlich
von Büchern sorgen könnten. Sei es mit klas neue Formen digitaler Illustration vorstellen,
sischen, ganzseitigen Bildern, sei es durch die bei denen die Berührung von Textelementen
moderne Interpretation von Buchschmuck Bilder und/oder Geräusche erfahrbar macht.
wie Vignetten, Zierleisten et cetera, wie er vor Doch das ist Zukunftsmusik. Wir bleiben erst
hundert Jahren eine Blütezeit erlebte (siehe mal in der Gegenwart und stellen aktuelle il
www.page-online.de/buchkunst_1900). lustrierte Literatur vor. cg
078 PAGE 09.12 BILD Buchillustrationen
Fabelhaft reduziert
Als Verfasser der kürzesten Kurzgeschichte der Welt gilt Literatur-
historikern der guatemaltekische Schriftsteller Augusto Monterroso.
Auch die 1969 erstmals veröffentlichen Minigeschichten »Das
Schwarze Schaf und andere Fabeln«, jüngst im Insel Verlag erschie-
nen, leben von der Kunst des Weglassens. In dieser übte sich eben-
falls Henning Wagenbreth, der jede Fabel mit Minibildern zwischen
Illustration und Vignette versah, im Stil ähnlich trocken und spröde
wie die Texte, so der Illustrator. In seiner Klasse an der Universität der
Künste Berlin realisierte Wagenbreth mit dem Insel Verlag zudem
eine illustrierte Ausgabe von Stanislaw Lems Erzählung »Professor
A. Donda«. Über 22 Bücher entwarfen die Studenten, die Version
von Benjamin Courtalt erscheint im September in der berühmten, seit
1912 publizierten Reihe Insel-Bücherei. Studentenprojekte dieser
Art veranstaltet regelmäßig die Edition Büchergilde, in puncto Illustra-
tion einer der rührigsten deutschen Verlage. Dessen jüngste Publi-
18 Robinsonaden kation, eine 3-D-Version von Patricia Highsmiths Krimi »Der talentierte
Skurrile Fortbewegungen im Tierreich, vor allem über und unter Mr. Ripley«, haben wir schon in PAGE 08.12, Seite 82, vorgestellt.
Wasser, waren ein Schwerpunkt im Portfolio, mit dem Illustrator
Christian Schneider ins Berufsleben startete. Kein Wunder also,
dass der Absolvent der Hochschule für Angewandte Wissenschaften
Hamburg damit den auf Meeresthemen spezialisierten mareverlag
begeisterte, der sowohl im Magazin- als auch im Buchprogramm sehr
konzeptionell mit Illustrationen arbeitet. Das erste gemeinsame
Projekt »Die Inseln, auf denen ich strande« wurde gleich ein Volltref-
fer. Christian Schneider interpretierte meisterhaft Lucien Deprijcks
achtzehn Variationen zum Thema Stranden mit kolorierten Bleistift-
zeichnungen – wie der Autor zwischen Drama und Witz, Geheimnis
und Banalität, Traum und Wirklichkeit changierend. Herstellerin Sandy
Weps von mare trug ihren Teil dazu bei, ein wunderschönes Buch
entstehen zu lassen, das nebenbei gesagt auch sehr unterhaltsam ist.
PAGE 09.12 079
Kriegshorror
Einen der härtesten Antikriegsromane zu bebildern, ist nicht
einfach. »Johnny Got His Gun« von Dalton Trumbo aus dem Jahr
1939 erzählt von einem jungen Mann, der fürs Vaterland in den
Ersten Weltkrieg geht und als Torso ohne Arme, Beine und Sprache
im Krankenhaus wieder aufwacht. Hollywoodautor Trumbo,
in der McCarthy-Ära als Kommunist verfolgt, verilmte den Kult-
roman 1971 selbst. Jetzt erscheint »Und Johnny zog in den Krieg«
im Berliner Verlag Onkel & Onkel neu übersetzt und mit schwarz-
weißen Tuschebildern in Grisaille-Ästhetik von Felix Gephart –
so wurde früher für Zeitungen gemalt. Von realistischen Dar-
stellungen am Anfang tauchen die Bilder immer tiefer ins Innen-
leben des Protagonisten und seine Alpträume ein. Die Dyna-
mik von Gepharts Arbeiten spiegelt wohl auch seine Vergan-
genheit als Grafiti-Künstler wider. Außerdem recherchierte
der Illustrator minutiös die Bild-, Gedanken- und Gefühlswelt
des Ersten Weltkriegs – mehr dazu im Interview auf Seite 112.
Nicht abstrakt
Auch Essaybände werden illustriert – wie
»Abstrakt«, das Bookazine des Schweizer
Thinktanks W.I.R.E. Die siebte Ausgabe trägt
den Titel »Abwehr. Überlebensstrategien
im 21. Jahrhundert« und ist gemäß dem Konzept
der Herausgeber, Wissenschaftlichkeit und
Unterhaltung, Tiefschürfendes und Skurriles zu
vereinen, opulent illustriert. Im ersten Teil
mit Ölgemälden von Capucine Matti, die erst im
letzten Jahr in Luzern ihr Designstudium mit
Schwerpunkt Illustration Noniction abschloss.
Sie malte düster-surreal-futuristische Bilder,
die sich über www.thewire.ch kaufen lassen. Die
im zweiten Teil des Buchs auf lila Papier gedruck-
ten Illustrationen hat Artdirektorin Kristina
Milkovic zusammen mit dem Graiker Patrick
Kuhn gemacht. Alles zusammen zeigt, dass
sich mit Illustrationen eben auch schwerere
Kost appetitanregend herrichten lässt.
080 PAGE 09.12 BILD Buchillustrationen
Anpfiff
Großereignisse wie die Fußball-EM
oder die Olympiade, aber auch die
ständig steigenden Teilnehmerzahlen
bei den Volksläufen im ganzen Land
beweisen: Sport ist jedermanns Sache.
Er begleitet uns von Kindesbeinen an
und oft genug bis ins hohe Alter. Auf den
folgenden Seiten sehen Sie inspirierende
Beispiele aus Werbung, Design, Fotograie
und Illustration, die garantiert auch ein-
geleischten Sportmuffeln Spaß machen
PAGE 09.12 083
Futuristisch
n Schon mehrfach haben der Sport
fotograf Tim Tadder aus Kalifornien
und der Digital Artist Mike Campau aus
Michigan erfolgreich zusammengear
beitet – jetzt wiederholten sie dies in
einem freien Projekt. Da die beiden in
ihrer Karriere bereits alle sportlichen
Facetten des Themas abgegrast ha
ben, wollten sie Bilder schaffen, die
nichts mit Klischees zu tun haben. Tim
Tadder fotograierte die Sportler im
Studio, wobei er viel Wert auf die Be
leuchtung legte, sodass das Charakte
ristische der jeweiligen Disziplin in der
Bewegung der Athleten zum Ausdruck
kommt. Mike Campau generierte die
Landschaften und Requisiten mit dem
gleichen Licht und fügte alle Elemente
zu dynamischen, leicht futuristisch an
mutenden Bildern zusammen.
Militärisch
n Beim GoSee Editorial Award wur
den Ende Mai herausragende Strecken
aus den Bereichen Fashion und Por
trät prämiert. In der Kategorie Mode
porträt machte der polnische Foto
graf Pawel Fabjanski mit seiner Strecke
»SPOORT« das Rennen. Er bezeichnet
seinen Stil als Mix aus Werbung, Mode
und künstlerischer Fotograie. Inspi
riert von Film, Literatur und Urban
Style konzentriert er sich besonders
auf den Menschen und sein Umfeld.
Bei dieser Serie sind es die militärisch
anmutenden Kleidungsstücke, die zu
sammen mit den Sportaccessoires da
ran erinnern, dass Sport ganz im Sinne
der olympischen Tradition für Frieden
und Fairness steht.
Photographer: Pawel Fabjanski/Tank Management (www.fabjanski.com); Stylist: Anna Sikorska; Hair/Makeup: Ola Dackiewicz; Model: Tomek S./ AMQ models; Retouch: Pawel Modej; Photographer’s assistants: Szymon Fit, Damian Denis
PAGE 09.12
085
086 PAGE 09.12 BILD Sport
Ansprechend
n Es gibt viele Designer, aber die Berlin konzipierte und gestaltete Site 1949 gegründeten Unternehmen ein
wirklich guten sind schwer zu inden. erzählt, wie die Produkte entstehen, zusteigen, er trägt vor allem der Tatsa
Um neue High Potentials im Kreativ gibt einen Einblick in die Firmenge che Rechnung, dass Kreative besonde
bereich zu entdecken, launchte adi schichte, lässt bei adidas arbeitende re Menschen sind, die eine besondere
das www.adidasdesignstudios.com – Designer zu Wort kommen, informiert Ansprache brauchen. Beim Favourite
als Plattform für diejenigen, die wissen über die interne Design Academy so Website Award wurde die Website be
wollen, wie Design bei adidas funktio wie über offene Stellen. Der Auftritt reits prämiert, weitere Auszeichnun
niert. Die von Thorsten Konrad aus macht nicht nur richtig Lust, bei dem gen werden sicher folgen.
Gefräßig
n Elf Modelle des wohl bekanntesten gilt das aber für die Arbeit des nieder
adidasFußballschuhs Predator gab es ländischen StillLifeFotografen Marcel
bereits, die kürzlich gelaunchte zwölf Christ. Er inszenierte die Schuhe als
te Edition soll alles Bisherige in den gefährliche Raubtiere, die sich wahr
Schatten stellen. Ob das auf den Schuh scheinlich durch Rasen und Gegner
zutrifft – keine Ahnung. Mit Sicherheit gleichermaßen beißen.
PAGE 09.12 087
Ergreifend
n Mit Ausnahme von Kasimir Male
witschs »Painterly Realism of a Foot
ball Player« sind Zoran Lucic noch kei
ne wirklich gelungenen FußballArt
works über den Weg gelaufen. Da der
Designer aus BosnienHerzegowina Ki
cken aber als sehr inspirierend emp
indet, machte er sich selbst ans Werk
und schuf unter dem Titel »Sucker for
Soccer« mehr als siebzig wunderbare
Illustrationen, die eine Hommage an
aktuelle Fußballstars und legenden
vergangener Zeiten darstellen. Den
Retrocharakter wählte Lucic – der sich
durchaus vorstellen kann, die Serie zu
erweitern –, um daran zu erinnern,
dass sich Fußball zwar technisch im
mer weiterentwickelt, dabei aber ein
Stück seiner Seele verloren hat.
≥ PAGE Online
Noch mehr Sport-Artworks sowie acht
Bilder, die zeigen, wie Kinder das
Thema Sport interpretieren, inden Sie
auf www.page-online.de/sport
Laufend
n »I am on my way« heißt die von Hei
mat in Berlin ersonnene adidasRun
ningKampagne. Auf www.adidas.com/
myway kann jeder einen Clip von sei
ner Laufstrecke zeigen und so eine
Geschichte erzählen. Die besten Bei
träge bekommen ein eigenes Läufer
porträt in Form eines Kurzilms. ant
088 page 09.12 BILD
BILDWELT
Reportage-, Porträt-, PR- und Unter- fotograie. Handbuch und Planungs- Avantgarde-Fotogra-
100 Jahre vorn nehmensfotograie. Über die gemein- hilfe« von Axel Hausberg und Anton ie aus »Vogue« von
n In den Bildarchiven von Condé Nast same Website erfährt man jetzt Ge- Simons, erschienen bei DOM Publi- dem zwischen Mün-
in New York, Paris, Mailand und Lon- naueres und Aktuelles. shers (288 Seiten, 68 Euro, isbn 978-3- chen und London
don lagern Schätze. Mit Magazinen wie ≥ www.elo-images.de 86922-192-2). Das Handbuch beginnt pendelden Daniel
»Vogue«, »Vanity Fair« oder »Glamour« mit einer kurzen Geschichte der Ar- Sannwald (2008)
hat kein anderer Verlag der Modefoto- Microstocker geht chitekturfotograie und ihrer Anwen- sowie von Franco
graie so wichtige Impulse gegeben. dungen, befasst sich dann mit Praxis Rubartelli (1967)
Das liegt am Gründer Condé Montrose
eigene Wege und Technik – von optischen Grund- und John Rawlings
Nast selbst, der stets die innovativsten n Unmengen technisch perfekter Bil- lagen über Ausrüstung und Bildge- (1943) – zu sehen
Fotografen und Artdirektoren an den der gut aussehender, gut gelaunter staltung bis zu Nachbearbeitung und in einer Ausstellung
Verlag band. Der erste Fotograf, den er Menschen: Mit diesem simplen Rezept CGI. Angesprochen werden Berufs- in Berlin und einem
1914 fest anstellte, war Baron Adolphe wurde Yuri Arcurs zum weltweit er- fotografen oder solche, die es wer- Fotoband von Prestel
de Meyer. Aber es kamen auch Talente folgreichsten Microstock-Fotografen. den wollen, aber auch ambitionierte
wie Edward Steichen, Man Ray, George Alle acht Sekunden, so heißt es auf Laien. Dazu gehören ja oft Kommuni-
Hoyningen-Huene, Horst P. Horst, Ce- seiner Website www.arcurs.com , wer- kationsdesigner, die für ihre Projekte
cil Beaton oder Erwin Blumenfeld zum de eines seiner Bilder auf den diver- selbst fotograieren wollen.
Einsatz. Wie wir wissen, war das nur sen Microstock-Plattformen lizenziert, ≥ www.dom-publishers.com
der Anfang, denn zumindest »Vogue« das macht vier Millionen Lizenzen im
ist nach wie vor Plattform für die wich- Jahr. Zu seinen Kunden gehören Sony,
tigsten Modefotografen der Welt. HP, MTV oder »Spiegel«. Angeblich
Illustratoren laden ein
»A Century of Photography at Condé sieht weltweit jeder Großstadtbe- n Die lange Nacht der Illustration, die
Nast« heißt ein großes Projekt, das wohner täglich vier seiner Bilder . . . am 31. August von 17 bis 24 Uhr in Ber-
diese Juwelen erstmals im Überblick Und die Leser des US-Fachblatts »PDN« lin stattindet, droht kurz zu werden.
zeigt. Am 18. August geht es los mit wählten ihn im Jahr 2010 zu einem der Mit über hundert beteiligten Illustra-
einer zweimonatigen Ausstellung bei dreißig einlussreichsten Fotografen toren, die sich in ihren Ateliers, in Buch-
C/O Berlin, die bis 2015 in Mailand, des Jahrzehnts. handlungen, Cafés und Galerien prä-
Edinburgh, Paris, Palm Beach und Jetzt tat der für Selbstbewusst- sentieren, stehen insgesamt 45 Lo-
Tokio Station macht. Zusätzlich er- sein, Arbeitswut und Perfektionismus cations für einen Besuch bereit. Ein
scheint ein spektakulärer Bildband, bekannte Arcurs den nächsten logi- Stadtplan auf der Website hilft bei der
von Prestel auf Deutsch unter dem schen Schritt und lancierte mit www. Planung. Die Nacht der offenen Tür in-
Titel »Zeitlos schön. 100 Jahre Mode- peopleimages.com eine eigene Platt- det anlässlich des zehnjährigen Beste-
fotograie von Man Ray bis Mario form. Studios in Aarhus und in Kap- hens der IO Illustratoren Organisation
Testino« publiziert (288 Seiten, 59 Euro, stadt besaß der gebürtige Däne be- statt, die das Jubiläum schon seit meh-
isbn 978-3-7913-4725-7). reits, inzwischen beschäftigt er rund reren Monaten deutschlandweit kei-
≥ www.co-berlin.com; www.prestel.de hundert feste Mitarbeiter. Frisst die neswegs zur Selbstbeweihräucherung
Microstock-Revolution ihre Kinder? In nutzt, sondern um ihr Handwerk mit
Interviews hatte Arcurs schon mehr- verschiedenen Veranstaltungen stär-
Fotohochburg Hannover fach auf die Übersättigung des Micro- ker ins Licht der Öffentlichkeit und na-
n Den Ort für die Präsentation ih- stock-Markts und sinkende Einnah- türlich vor allem in den Fokus poten-
res neuen Zusammenschlusses hätten men für Fotografen hingewiesen. Auch zieller Auftraggeber zu rücken.
Franz Bischof, Christian Bunkert, Helge in der mangelnden Exklusivität der Am Samstag, den 1. September,
Krückeberg, Michael Löwa und Daniel Bilder sieht er ein Problem – bei seiner geht es mit der Eröffnung einer Aus-
Pilar nicht passender wählen können. Agentur lassen sich nun auch zeitlich stellung weiter, die bis 21. September
Die fünf Fotografen lernten sich beim begrenzte Exklusivlizenzen erwerben. in der brandneuen Akademie für Illus-
Studium in Hannover kennen und er- Außerdem wird ein Retouching-Ser- tration und Design zu sehen ist. Ein
öffneten nun Jahre später unter dem vice angeboten: Alle Bilder aus der guter Anlass, um diese ambitionierte
Namen elo-Images in der Eleonoren- Datenbank lassen sich nach Kunden- private Berufsfachschule in Kreuzberg
straße ein gemeinsames Büro. Mit wunsch nachbearbeiten. kennenzulernen, die ab dem Herbst-
einem Stand auf dem von der Hoch- ≥ www.peopleimages.com semester in einem betont auf die
schule Hannover organisierten Lumix Berufspraxis orientierten, sieben Se-
Festival für jungen Fotojournalismus mester langen Studium Illustratoren
stellten sie ihr Kollektiv der scharen-
Architekturfoto-Handbuch ausbilden wird. Und die schon seit
weise angereisten interessierten Öf- n Einstürzende Neubauten ist eine Mai mit ihrer Ausstellungsreihe »Po-
fentlichkeit vor. Wobei ihre Namen – Kultband der achtziger Jahre – und ein sitionen der Neuen Illustration« auf
vier von ihnen werden von der Agen- Eindruck, der in der Fotograie durch sich aufmerksam macht. cg
tur laif vertreten – in der Szene längst stürzende Linien nicht entstehen soll- ≥ www.langenachtderillustration.de;
bekannt sind, durch viele Projekte in te . . . Da hilft der Band »Architektur- www.aidberlin.de
page 09.12 089
TECHNIK
PAGE 09.12 091
Erweiterte Welt
Was nutzt die tollste AR-Technik, wenn sie keine relevanten Inhalte
transportiert? Augmented Reality Storytelling ändert das
092 PAGE 09.12 TECHNIK Augmented Reality Storytelling
von Vuforia. Diese 3DPlattform hat ment am Qualcomm Austria Research Anlässlich des Erscheinens des Al
Qualcomm speziell für die Entwick Center, erklärt: »Die von uns für dieses bums »BluDay« von Etsuko Yakushi
lung von ARElementen in interakti Projekt entwickelte Software trackt bis maru realisierte A4A ein interaktives
ven Anwendungen im Mobilbereich zu sechs 3DObjekte gleichzeitig. So Musikvideoprodukt. Dieses besteht
konzipiert. Vuforia unterstützt ganze können wir sekundengenau den Stand aus Fotoprints von Satellitenaufnah
400 Smartphone und TabletTypen. ort jeder der Figuren feststellen und men der japanischen Luft und Raum
Ihren ARPrototyp haben die »Sesam auf jede beliebige Konstellation eine fahrtbehörde JAXA und einer eigens
straßen«Macher bislang auf mehre Reaktion mit AR auslösen.« Die größte entwickelten Software auf einem USB
ren Developerkonferenzen präsentiert. Herausforderung war, dass die Tra Stick. Jedes der Bilder hatte die Sänge
Ausgangspunkt sind Ernie und Bert als ckingsoftware die Figuren von jeder rin mit eigenhändig gezeichneten Illus
Plastikiguren auf einem Spielbrett. Auf Seite aus und in jeder Größe auf dem trationen versehen. Hält der User eine
diese müssen die Kinder mit der Kame Tabletscreen erkennen muss. Beides der Fotokarten vor die Webcam seines
ra des iPads oder AndroidTablets zei erfordert einiges an Rechenleistung. Computers, erkennt die Anwendung
gen und damit die Figurenmarker tra das markerlose Bild und spielt einen
cken, sodass die Charaktere im Screen Geschichten werden durch Augmen Song ab (siehe Seite 90 f.). Dazu gene
lebendig werden und untereinander in ted Reality aber nicht nur zu Lernzwe riert die Software jedes Mal eine neue
Episoden interagieren (siehe Seite 94). cken für Kinder vermittelt. Auch Er Animation, die aus einer Kombination
Qualcomm und das »Sesamstra wachsene können dadurch in Spiel von Visuals entsteht, die wiederum von
ßen«Team arbeiten derzeit an ver welten über unterschiedliche Medien dem jeweiligen Motiv ausgeht. Visual
schiedenen Szenarien und Reaktionen hinweg eintauchen und jeweils Teile Artist Takashi Yamaguchi von d.v.d. be
mit dem Ziel, die Vorstellungskraft der einer Geschichte erfahren, wie es et richtet: »Wir suchten nach einer Mög
Kinder anzuregen und sie zum Rollen wa beim TransmediaStorytelling (sie lichkeit, dass der User einzelne Sequen
spiel zu animieren. Indem die Kids Spiel he PAGE 07.12, Seite 50 ff.) plattform zen der Musik selbst arrangiert. Dann
sachen ins echte Set vor sich hinein übergreifend praktiziert wird. Das muss überlegten wir, wie er räumlich inter
und herausziehen, entscheiden sie, nicht unbedingt ein Game sein, wie das agieren kann. So entstand die Idee mit
welche Situationen sie durchspielen ARProjekt »Gurugle Earth« beweist. den wechselnden Karten der Erde, die
wollen. Dabei bietet die Anwendung Die nach der japanischen Lautschrift er vor die Kamera hält.«
eine Struktur, mit der die Kinder For für »Google Earth« benannte Anwen Umgesetzt hat das Team von d.v.d.
men der Erzählführung erlernen, etwa dung ist eine Kollaboration der JPop und A4A »Gurugle Earth« mit der VJ
dass eine Geschichte einen Anfang, ei Sängerin Etsuko Yakushimaru, den Software Max/MSP und openFrame
ne Mitte und ein Ende hat. Michael Soundtüftlern d.v.d. und dem Tokioter works. Takashi Yamaguchi erklärt: »Die
Gervautz, Director Business Develop Kreativbüro A4A ( http://a4a.jp ). unterschiedlichen Percussionelemen
te des Tracks und die Lautstärke des
Gesangs lösen die Synchronisation von
Song und Animation aus. Max/MSP
leitet einen Befehl an openFrame
Geschichten zum Anzie- works weiter. Das Toolkit analysiert
hen: Zappars AR- dann die Trommelsounds und gibt auf
Plattform ermöglicht dieser Basis die Parameter für die
die markerlose Erken- Objekte in der Animation aus.« Auch
nung für mobile – oder die Auswertung der Fotokarten läuft
stofliche – Inhalte über openFrameworks, das dann an
Max/MSP den Befehl zum Abspielen
eines bestimmten Tracks gibt und zu
gleich die Animationseffekte den Kar
ten zuordnet und diese mit generier
tem Content anreichert.
Die »Sesamstra-
ßen«-Macher
entwickelten mit
Qualcomm einen
AR-Prototyp,
mit dem Kinder
über das Spie-
len mit Ernie und
Bert Elemente
einer Geschichte
kennenlernen
( http://is.gd/
7K4nnt )
Für die USSupermarktkette Wal unterhaltsam. Bei jedem Projekt fra selbst eine Geschichte mithilfe von
mart wiederum fertigte Zappar eine gen wir uns vorher: Was hat der Augmented Reality erzählen und sie
Anwendung zum 4. Juli: Kaufte der Nutzer davon? Warum sollte es ihn erweitern lassen. Wallit! ( http://wallit
User ein bestimmtes TShirt mit Ame kümmern? Ist dieser Inhalt vielleicht app.com ) ist eine ARAnwendung für
rikalagge und stellte sich damit vor besser online oder in einer Applika iPad und iPhone, die die digitale und
die iPhoneKamera, wurden Feuer tion aufgehoben? Auch der bloße die physische Welt durch übergreifen
werksanimationen zum Unabhängig Marketingeffekt ist nicht das Ziel ei de Geschichten verbindet. Hier loggt
keitstag abgespielt, und er konnte sich ner ARAnwendung. Wenn der User sich der Nutzer über sein iPhone bei
darin fotograieren und das Bild als anfängt, sich über unsere Technologie foursquare ein. Dann kann er ARIn
digitale Grußkarte teilen. Interessant Gedanken zu machen, machen wir et halte wie virtuelle Nachrichten zu
ist auch die Umsetzung einer Kam was falsch.« Selbstverständlich sind sammen mit Bildern und Videos auf
pagne für die Eismarke Magnum im später bei der Umsetzung für eine mo tatsächlichen Oberlächen, beispiels
Auftrag der Werbeagentur Dentsu bile ARAnwendung auch die Be weise Plakatlächen, posten. Um eine
Indio in Kollaboration mit dem philip wegung, die Skalierung und der Aus Wand virtuell zu erweitern, muss
pinischen Lifestylemagazin »Rogue«. schnitt wichtig. »Schließlich sieht der der Nutzer allerdings direkt vor Ort
Hielten User die Kamera ihres Smart User die Anreicherung nur auf dem sein und mit der Anwendung eine
phones auf das Cover der AprilAus Display des mobilen Geräts und nicht Nachricht über ein soziales Netzwerk
gabe, erwachte das Model auf dem auf dem Fernseher oder im Kino«, so wie Facebook oder Twitter veröffent
Titelbild zum Leben – mit einem Mag Caspar Thykier. Es sind eben doch zu lichen. Andere Nutzer können die
num, versteht sich. allererst die Inhalte und die Art, wie Nachricht an der Wand dann auf der
ZapparGründer Caspar Thykier er sie erzählt werden, auf die es an ganzen Welt auf ihren Smartphone
klärt: »Was wir machen, ist zwar hoch kommt – und nicht die fortschreiten Bildschirmen sehen. Das ist vielleicht
technisch – letztlich geht es aber doch de Technik als Selbstzweck. noch keine große Erzählung – aber
nur um die User Experience. Eine An Mittlerweile gibt es auch bereits immerhin der Anfang des Geschich
wendung sollte nicht abgehoben und mobile Anwendungen, die nicht mehr tenerzählens mit Augmented Reality
langweilig sein, sondern simpel und nur etwas vorgeben, sondern den User durch die User. vd
AR-Botschaften
auf physischen
Wänden: Mit der
iPhone-App Wallit!
entsteht eine
mit AR-Nachrichten
gemappte Welt,
die die User auf
dem Screen
ihres iPhones
sehen können
096 PAGE 09.12 TECHNIK Druckweiterverarbeitung
n UV-Lack ist ein verbreitetes Ver- sich sowohl im Bogen- und Rollenoff-
edelungsverfahren. Da er sehr schnell set- als auch im Siebdruck verwenden.
trocknet, wird er häuig volllächig ein-
gesetzt, um Drucksachen direkt wei- Einsetzbare Materialien
terzuverarbeiten, ohne dass man erst UV-Lack ist sehr lexibel verwendbar.
auf ein Austrocknen der Offsetfarben Allerdings müssen alle weiteren ein-
warten muss. UV-Lack lässt gerade gesetzten Druckfarben sprit- und nitro-
dunkle Farben intensiver wirken. Bei echt sein. Wegen des in vielen UV-La-
der partiellen UV-Lackierung erzielt cken enthaltenen, gesundheitsschäd- Mit UV-Lack bedruckte Bogen können sofort
die Druckerei haptische und visuelle lichen Benzophenons sind diese für weiterverarbeitet werden und müssen nicht erst
Effekte durch den Kontrast zwischen Lebensmittelverpackungen ungeeig- trocknen. Hier bei Wolf-Print in Ingelheim
lackierten und unlackierten Stellen des net. Allerdings gibt es inzwischen auch
Druckbogens. Der Umgang mit UV- benzophenonfreie UV-Lacke.
Lack ist allerdings recht anspruchsvoll
und erfordert eine spezielle Maschi- Tipps zur Planung
nenausstattung und eine gute Ausbil- Da der UV-Lack ähnlich wie jede an-
dung der Mitarbeiter, zumal mit seinem dere Schmuckfarbe behandelt wird,
Einsatz Gesundheitsrisiken verbunden ist es wichtig, dem Druckdienstleister
sind. Aus diesem Grund bietet längst mitzuteilen, dass man ihn einsetzen
nicht jede Druckerei das Verfahren an. möchte. Beim Einrichten der Druck-
datei in InDesign oder XPress legt
Bezeichnung man den partiellen UV-Lack zunächst
Der gebräuchlichste Begriff ist partiel- als eigene Volltonfarbe an – egal, was
ler UV-Lack. Sehr gängig ist aber auch für eine, gut sind aber ungewöhn-
die Bezeichnung UV-Spotlack. liche, grelle Farben, sie reduzieren die
Verwechslungsgefahr – und vergibt
Varianten für diese Farbe eine aussagekräftige
Neben UV-härtenden Lacken gibt es Bezeichnung. Wichtig ist zudem, dass
die klassischen Öldrucklacke. Zudem sie transparent angelegt ist und bei
lassen sich auch mit Dispersionslacken der Druckreihenfolge der Farben
ähnliche Effekte erzielen. Für Hoch- an letzter Stelle kommt. Nun kann
glanzeffekte kommt als Alternative man das Objekt, das man lackie-
auch die Folienprägung infrage (siehe ren möchte, auswählen, sofern es sich
PAGE 08.12, Seite 92 f.). Die Kombina- um eine Vektorgraik handelt, ver-
tion von UV-Lack und -Farben ermög- doppeln und das Duplikat mit der UV-
licht zusätzliche Effekte. Lackfarbe füllen.
n Kompromisslose Qualität ist der Anspruch des Badezim- Die mit UV-Lack gedruckten Schattenrisse der Produkte auf dem
merausstatters Alape. Dies müssen auch die Kommunika- Alape-Hauptkatalog ließ Martin et Karczinski mit reinem Schwarz
tionsmedien widerspiegeln – insbesondere die Kataloge, die unterlegen, um sie vom Rest des Covers abzuheben. Rechts:
die Designobjekte der Goslarer Manufaktur präsentieren. Auch im Innern der Publikationen kam UV-Lack zum Einsatz
Seit 2010 ist die Münchner Agentur Martin et Karczinski für
den Alape-Auftritt verantwortlich. In den aktuellen Kata-
logen arbeiten die Designer viel mit Ton-in-Ton-Optiken wie
weiß und hellgrau oder dunkelgrau und schwarz. Dies sorgt
für eine edle Anmutung, birgt aber die Gefahr, dass die Kon-
traste untergehen. Johannes Kemnitzer, Designer bei Martin
et Karczinski, entschied sich daher für UV-Lack. »Der partielle
Einsatz von UV-Lack erlaubt uns nicht nur, bei Ton-in-Ton-
Farben zu differenzieren, sondern schafft auch eine beson-
dere Haptik und ermöglicht außerdem Kontraste zwischen
matt und glänzend.« Ein weiterer Vorteil ist, dass der Lack
das Schwarz noch dunkler und kräftiger wirken lässt. Das
Cover des schwarzen Hauptkatalogs zeigt das ganze Ange-
bot von Alape-Badelementen als Schattenrisse mit UV-Lack
gedruckt. Auf der Front der in Weiß gehaltenen Auszugska-
taloge sind nur die jeweils enthaltenen Produkte auf diese
Weise hervorgehoben.
Um eine bessere Wirkung zu erzielen, ließ Johannes Kem-
nitzer die lackierten Stellen zunächst im normalen Offset-
druck mit einem Standartraster drucken: die weißen Umschlä-
ge mit einem leichten Grau (rund 3 Prozent Schwarzanteil)
an den zu veredelnden Stellen; die schwarzen Umschläge mit
einem 4c-Schwarz zum Unterlegen des UV-Lacks und Rein-
schwarz in den anderen Bereichen. Anschließend wurde der
Bogen zellophaniert, um die Kanten des Umschlags vor ei-
nem Aufbrechen zu schützen und die Oberläche zu mattie-
ren. Den UV-Lack trug die Druckerei, M&E Druckhaus aus
Belm bei Osnabrück, im Siebdruck auf. Kemnitzer reiste zum
Andruck extra dorthin, um Bogen für Bogen abzunehmen,
und auf Passgenauigkeit und Lack-
auftrag zu prüfen. Zusätzlich war bei Im nächsten Teil
jedem Weiterverarbeitungsschritt auf unserer Serie
Wunsch von Alape hin ein Martin-et- geht es um
Karczinski-Mitarbeiter vor Ort. dsc Beflockung
098 PAGE 09.12 TECHNIK
KALENDER
Messen • Kongresse • Seminare Messen • Kongresse • Seminare
Köln Game Developers Conference Europe 2012 Berlin EcoPrint Europe
Von unten: Golan Levin und Shawn Sims: Free Universal Construction Kit; »Guest«, fotograiert von Walter Pfeiffer, aus »Monopol« (Nr. 11). Nominiert für einen LeadAward in der Kategorie Mood- und Modefotograie des
13. bis 15. August Konferenz für Game-Entwickler Koelnmesse 26. bis Forum für Umweltschutz und Nachhaltigkeit in der
≥ www.gdceurope.com 27. September Druckindustrie – mit so renommierten Sprechern
wie Cradle-to-Cradle-Vordenker Michael Braungart,
Köln Gamescom 2012 Klima-Experte Hans Joachim Schellnhuber oder
15. bis 19. August Messe für interaktive Spiele und Unterhaltung Patrick McGuirk, Recycling Director bei Coca-Cola
Koelnmesse Station Berlin
≥ www.gamescom.de ≥ www.ecoprintshow.com
Hamburg UX Camp Hamburg 2012 Hamburg Leitmedium Design 1: Gutes Design entwickeln
18. August Barcamp rund um User Experience 5. Oktober PAGE-Seminar mit Jochen Rädeker (siehe Seite 74)
SinnerSchrader Gastwerk Hotel Hamburg
≥ http://uxcamphh.de/ ≥ www.page-online.de/seminar
Berlin Campus Party Europe in Berlin Hamburg Leitmedium Design 2: Gutes Design gut verkaufen
21. bis 26. August Junges Technologiefestival mit Vorträgen, Diskus- 6. Oktober PAGE-Seminar mit Jochen Rädeker (siehe Seite 75)
sionen und Workshops Flughafen Tempelhof Gastwerk Hotel Hamburg
≥ www.campus-party.eu ≥ www.page-online.de/seminar
19. September -developer Historisches Kaufhaus Awards nominierten und ausgezeichneten Arbeiten –
≥ http://smashingconf.com/ von Fotoserien über Magazinstrecken bis hin zu Web-
sites und Anzeigen Haus der Photographie
Köln photokina 2012 ≥ www.deichtorhallen.de
18. bis Digital-Imaging-Event Koelnmesse
23. September ≥ www.photokina.com Linz Ars Electronica 2012
30. August bis Unter dem Motto »The Big Picture« fragt das einluss-
Potsdam d.confestival – Design Thinking The Future 3. September reiche Festival für Kunst, Technologie und Gesell-
20. bis Internationales »Multi-Layer Forum« zu Fragen schaft nach unseren Weltbildern für die Zukunft.
22. September des Design Thinking (siehe Seite 15) Am 31. August indet die Preisverleihung statt
Hasso-Plattner-Institut Ars Electronica Center
≥ www.hpi.dconfestival.net ≥ www.aec.at
page 09.12 109
≥ Weitere Termine unter www.page-online.de/events. Dort können Sie uns auch Ihre Veranstaltungstermine mitteilen
31. August Ateliers, Cafés und (Buch-)Läden in Prenzlauer Berg 3. August Die Kategorien des Wettbewerbs reichen von Web-
Von unten: Ed Ruscha: Oh No, 2011, Handgestochenes Intaglio auf Buchschnitt, 28 x 22 x 8 cm, Foto: Paul Ruscha © Ed Ruscha; Plastikkanister, Fundstück aus dem Plastikschwemmgut, Museum für Gestaltung Zürich,
Ab 17 Uhr öffnen ihre Türen und zeigen aktuelle Arbeiten von site über Social Media bis hin zu Digital Signage
über hundert Illustratoren (siehe Seite 88) ≥ www.annual-multimedia.de
≥ www.io-home.org
Bis Visual Music Award 2012
Darmstadt A House Full of Music. Strategien 6. August Contest für Arbeiten zur Visualisierung von Musik
Bis 9. September in Musik und Kunst ≥ http://visualmusicaward.de
Diese äußerst interessante interdisziplinäre
Ausstellung macht zwölf Grundstrategien der Bis Young Illustrators Award 2012
modernen Musik und Kunst erfahrbar, die 1. September Eingereicht werden können Illustrationen, graisch
da sind: Speichern, Collagieren, Schweigen, Zer- geprägte Kunstprojekte, Animationen und Buchkunst
stören, Rechnen, Würfeln, Fühlen, Denken, ≥ www.illustrative.de
Glauben, Möblieren, Wiederholen und Spielen
Mathildenhöhe Darmstadt Bis MEKAward Nachwuchspreis 2012
≥ www.mathildenhoehe.info 7. September Studenten und Auszubildende in der Kreativbranche
bis 29 Jahre sind aufgerufen, das Thema »Kleines
groß, Großes klein« umzusetzen – egal, ob in Form
Hideyuki Ando: Save yourself!!! (2007), Foto: Hideyuki Ando; Anne-Julie Raccoursier: Noodling, 2006. Video Installation, 7’20’’, Videostill, Courtesy der Künstlerin
PUBLIKATIONEN
n »Advertising for People Who Der glänzend und witzig geschrie Kurz, ein Buch, das jeder lesen sollte,
Don’t Like Advertising«. Werbung bene Text von KesselsKramer wird er der mit Werbung zu tun hat – und das
nervt. Beim Fernsehen und beim Sur gänzt durch Interviews mit Leuten, die zugleich Werbung für eine sehr smarte
fen. Aber das ist nicht das Schlimmste: ebenfalls kein Blatt vor den Mund neh Agentur macht. Na also, geht doch. cg
Werbung feuert überlüssigen Kon men. Wie Stefan Sagmeister oder Alex > KesselsKramer: Advertising
sum an, der den Planeten kaputtmacht Bogusky, der sich 2010 aus der Werbung for People Who Don’t Like Advertising.
und die Menschheit in unterbezahl zurückzog und seither die Konsumkul London (Laurence King) 2012,
te Arbeitssklaven und gedankenlose tur von innen umzukrempeln versucht 240 Seiten. 19,95 Pfund.
Shopping Victims aufteilt. Wohl einer (siehe http://fearlessrevolution.com ). isbn 978-1-85669-825-2
der Gründ dafür, dass Werber im An
Der britische sehen vieler Leute nur knapp über
Designer Waffenhändlern stehen, wie es in der
Anthony Burrill Einleitung zu diesem Buch heißt.
beantwortete Solche radikalen Überlegungen
Interviewfragen stellen nicht etwa linke Aktivisten an,
sehr eindeu- sondern die Werbeagentur Kessels
tig mit Bildern Kramer. Die berühmte Kreativschmie
de arbeitet in Amsterdam übrigens
nur mit einem Team von maximal
35 Leuten. Nicht um jeden Preis zu
wachsen ist Teil ihrer Philosophie –
wobei darunter nicht das übliche
UnserePhilosophieBlabla zu verste
hen ist, sondern knallharte Fragen
nach der Ethik von Marketing und den
Herausforderungen, die sich der Wer
bung heute stellen.
112 PAGE 09.12 Publikationen
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Redaktion (CH: 181,80 Franken, A: 108,50 Euro). Skizzen, Storyboards, Prototypen – Visualisierungen von Ideen und
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die PAGE-Jahrgangs-CD, kostet 106,40 Euro
Konzepten sparen Zeit und verhindern Fehlentwicklungen. PAGE
Redaktion Online)
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Dr. Claudia Gerdes (cg), Wiebke Lang (wl), kann immer 6 Wochen vor Ablauf des wie Gestalter Inhalte schnell und verständlich transportieren
Daniel Schilling (dsc); Rebecca von Hoff Bezugsjahres schriftlich gekündigt werden.
(Graik), Christine Krawinkel (Artdirektion); Schüler und Studenten erhalten gegen Vor-
Maiken Richter, Jan Roidner lage eines gültigen Ausweises oder einer
(Text-/Schlussredaktion); gültigen Immatrikulationsbescheinigung
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deutscher Designer (AGD), des Bundes
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namen werden ohne Gewährleistung der freien Verwendbarkeit benutzt.
Gerichtsstand ist München.
Sorte verloren? Das haben wir Designer gefragt – und ob es ihnen
gelungen ist, ihre Kunden davon zu überzeugen, das Papier einzuset-
Im Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhandel sowie in allen Pressefachgeschäften zen. Natürlich zeigen wir auch die Ergebnisse
mit dem Blauen Globus können Sie PAGE kaufen oder bestellen.
Social TV
Kühne Kommentare von Jürgen Siebert zu Trends, Ereignissen und
dem ganz normalen Alltagswahnsinn eines Kreativen
n Ich glaube nicht an den seit Jahren relang eingesetzten Werkzeuge. Mein Twitter zählte während des EM-Fina-
angekündigten Einzug des Internets Schlüsselerlebnis war die Einführung les 16,5 Millionen Tweets. Im Durch-
ins Fernsehgerät. Bis ich an meinem des digitalen Schreibens Anfang der schnitt wurden pro Sekunde mehr als
Smart TV eine Website aufgerufen ha- 1980er Jahre. Stift oder Schreibmaschi- 15 000 Nachrichten versendet, steht
be, vergehen Minuten. Das liegt so- ne haben das Verfassen von Gedan- im Firmenblog. In manchen Ländern
wohl an der umständlichen (Fern-)Be- ken nie so adäquat unterstützt wie versuchte man den Trafic mit Sport-
dienung wie auch an der bescheidenen das Texten am Bildschirm. Promis zu befeuern. In Deutschland
Rechen-Power. Am Fernseher surfen Fernsehen pur hat mich auch nie setzten beispielsweise Franz Becken-
ist wie Netscape Navigator Ende der ausgelastet. Neben Essen und Trinken bauer und Oliver Kahn ihre ersten
Diese und weitere 1990er Jahre. Twitter geht gar nicht, habe ich vor dem Fernseher schon im- Tweets an die Fans ab; das ZDF be-
Fundstücke von auch Facebook macht keine Freude, mer sehr gerne Zeitung gelesen, ir- leuchtete die Premiere dauerhaft mit
Jürgen Siebert fin- wenn man es mit dem leichten Zu- gendetwas repariert oder Telefonge- Expertenkommentaren.
den Sie unter gang auf einem Tablet vergleicht. Das spräche mit Freunden geführt. Ich ken- Soziologen nennen das Phänomen
www.page-online. größte Manko: Während der Online- ne Menschen, ja ganze Nationen, da Social TV, eine Art Public Viewing im
de/fundstuecke Session verpasse ich das Geschehen läuft der Fernseher ununterbrochen, Wohnzimmer: Obwohl man alleine ist,
auf dem gewählten TV-Kanal. so wie ein Radio: Keiner guckt hin. In- schaut man virtuell mit anderen Fern-
Im Moment geht der Trend zum tendanten, Werbetreibende oder Quo- sehen. Neben Fußball laden insbeson-
Zweitbildschirm, Fachleute sprechen tenwächter wollen von dieser Gleich- dere Casting- und Talkshows zum di-
von der Second-Screen-Nutzung. Re- gültigkeit nichts wissen, und so wird rekten Kommentieren ein. Auf diese
präsentative Untersuchungen bestä- gar nicht erst versucht, diese statis- Weise wird jeder Zuschauer zum Fern-
tigen das Phänomen. Die Darmstädter tisch zu erheben. Zu groß wäre die Er- sehkritiker, der schneller veröffentlicht
Unternehmensberatung Anywab hat nüchterung der Bündnispartner einer als jede Tageszeitung . . . sogar Spiegel
im Mai ungefähr 2000 Internetnutzer Wertschöpfungsspirale, aus der Millio- Online hinkt hinterher.
zu ihrem Second-Screen-Verhalten be- nenumsätze generiert werden. Kein Wunder, dass es für die neue
fragt. Die Hälfte von ihnen nutzt be- Die Gerätehersteller haben ehrli- Freizeitbeschäftigung bereits die ers-
reits den Zweitbildschirm beim Fern- chere Zahlen. Laut einer Untersuchung ten Apps gibt. Beispielsweise Couch-
sehen, insbesondere die 14- bis 24-Jäh- des Zentralverbands Elektrotechnik- funk für das iPad, entwickelt von ei-
rigen. Zwei Drittel der Befragten su- und Elektronikindustrie und der Ge- nem Start-up aus Radebeul. Die bei-
chen dabei zusätzliche Informationen sellschaft für Unterhaltungs- und Kom- den Gründer Uz Kretzschmar und Frank
zur Sendung. 45 Prozent machen das munikationselektronik anlässlich der Barth bezeichnen ihre kostenlose An-
mehrmals im Monat, 27 Prozent mehr- bevorstehenden IFA hat das TV-Gerät wendung als persönlichen Social-TV-
mals in der Woche, 6 Prozent sogar seine Exklusivität bei der Wiedergabe Service, mit dem sich Zuschauer vom
täglich. Ganze 57 Prozent bestätigten, von Bewegtbildern endgültig verloren. Fernsehen auf völlig neue Art begeis-
dass sie beim Fernsehen soziale Netz- Immer mehr Menschen setzen mobile tern lassen sollen. Wer die App startet,
werke besuchen: 36 Prozent posten, Geräte oder ihren Computer ein, um bekommt eine Übersicht häuig disku-
was sie gerade sehen, und ein weite- Nachrichten, verpasste Serienfolgen tierter Programme präsentiert. Zu je-
res Drittel sieht nach, was sich die oder YouTube-Filmchen zu konsumie- dem gibt es eine Proilseite mit einer
Freunde ansehen. ren. Das Problem der TV-Hardware- knappen Beschreibung sowie einen
Für Anywab-Geschäftsführer Boris Hersteller: Der Absatz läuft zwar gut, chronologischen Stream von Zuschau-
von Heesen kommt das Second-Screen- aber die Gewinnmargen sind so ge- erkommentaren – sowohl solche, die
Phänomen einer schleichenden Revo- ring, dass es schwer wird, davon neue auf Grundlage redaktionell geplegter
lution gleich, die mittelfristig das Fern- Innovationen zu inanzieren, zum Bei- Hashtags aus Tweets importiert wer-
sehverhalten und auch das Angebot spiel eine standardisierte Sprachsteu- den, als auch direkt über die Couch-
der Sender in erheblicher Weise verän- erung. Es zeichnet sich ab, dass die funk-App veröffentlichte.
dern wird. Das glaube ich auch, aller- Computerindustrie das verlorene Ter- Was derzeit noch in solchen Apps
dings wehre ich mich dagegen, Ursache rain in den kommenden Jahren kom- fehlt, ist das Live-TV-Bild. Dann käme
und Wirkung zu vertauschen. Meine plett besetzen wird. endlich zusammen, was zusammen-
Dauerthese: Neue Techniken bedienen Die Fußball-EM 2012 bescherte dem gehört: nicht das Netz in den Fernse-
uralte menschliche Gewohnheiten und Doppelschirm-Fernsehen einen enor- her, sondern das Fernsehen ins Netz.
Bedürfnisse schlicht besser als die jah- men Schub. Der Kurznachrichtendienst Der Tag wird kommen.