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Uns in der Bundesrepublik Deutschland ist der politische Witz etwas abhanden gekommen. Politische
Satire ist das Vergnügen einer privilegierten Minderheit, die ohnehin schon alles weiß und meint, alles
auch bereits ganz anders zu machen. Was uns fehlt, ist die augenzwinkernde Distanz zu den Fehlern
und Schwächen unserer »demokratischen Grundordnung«, die Fähigkeit über uns und unser
Gesellschaftssystem zu lachen. Lernen wir also von der Selbstironie der Sowjetbürger.
Die Autoren
Michael Schiff wurde am 29. September 1925 in Kassel geboren. Er ist Autor und Herausgeber
verschiedener Sachbücher und lebt heute in München.
Ivan Steiger, 1939 in Prag geboren, studierte an der Film- und Fernsehakademie und schrieb
zahlreiche Drehbücher für kurze poetische Filme. Nach Schwierigkeiten mit der Zensur begann er,
seine Gedanken statt in Worten in Zeichnungen auszudrücken und hatte damit sofort Erfolg. Durch
seine satirischen politischen Cartoons wurde er weit über die Grenzen der CSSR hinaus bekannt. Seit
August 1968 lebt Steiger in München.
Radio Eriwan antwortet
Ratschläge, Vorschläge
und Tiefschläge eines
armenischen Senders
Gesammelt und
herausgegeben von
Michael Schiff
Illustrationen von
Ivan Steiger
Fischer
Taschenbuch
Verlag
Fischer Taschenbuch Verlag
1.— 50. Tausend: Juni 1972
51.— 75. Tausend: September 1972
76.—105. Tausend: Juli 1973
Umschlagentwurf: Lothar Staedler
unter Verwendung einer Zeichnung von Ivan Steiger
Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung
des Lichtenberg Verlages GmbH, München
Copyright © 1969 by Lichtenberg Verlag GmbH, München
Gesamtherstellung: Hanseatische Druckanstalt GmbH, Hamburg
Printed in Germany
ISBN 3 436 01535 0
ERIWAN (Jerewan)
Hauptstadt der Sowjetrepublik Armenien
Gelegen am Fluß Sanga
Geistiges Zentrum Armeniens
Universität
Erste Erwähnung Eriwans im Jahr 782 vor
unserer Zeitrechnung
Wirtschaft und Industrie:
Obst und Gemüseanbau
Synthetischer Kautschuk, Automobilindustrie
Elektronische Rechenmaschinen
Export von 170 Erzeugnissen in über 70 Länder
der Erde
SENDER ERIWAN
Rundfunk- und Fernsehstation
Intendant: Dr. A. M. Kirakosjan
Sender Eriwan strahlt vier Programme in sieben
Sprachen aus: Armenisch, Russisch, Arabisch,
Aserbeidschanisch, Kurdisch, Englisch, Französisch
Wellenlängen: 1181,1 m, 4,5 m, 4,25 m, 74,26 m,
347,6 m, 41,27 m, 248,42 m
4
»Wenn man mich fragt, wo auf der Welt
die meisten Wunder zu finden sind,
würde ich Armenien nennen.
Ein Stück Erde, das von Menschen
bewohnt wird, die eine Zierde der ganzen Welt sind.
Dreifaches Lob dem armenischen Land, der Wiege der
Talente und großen Taten.«
Rockwell Kent, amerikanischer Schriftsteller
5
Sender Eriwan und die Deutschen
Eine oberflächliche Untersuchung des Heraus-
gebers, die gleichzeitig als Einleitung, Vorwort
und Gebrauchsanweisung zu verstehen ist.
6
durch entsprechende historische Miniaturen, die
bei entsprechender Auswahl alles beweisen:
Katharina die Große kam immerhin aus Deutsch-
land, Lenin hat unter uns gelebt, und Karl Marx
wurde in Trier geboren!
Die Wolgadeutschen haben überhaupt erst ein-
mal Kultur nach Rußland gebracht. Hitler hätte
sich gern mit Stalin verständigt. Der Hitler hätte
den Kommunismus aufhalten können.
Der Kommunismus ist eine asiatische / ist eine
deutsche Erfindung. (Nicht Gewünschtes bitte
streichen.)
Ohne amerikanische Hilfe hätte Rußland den
Krieg verloren.
Mit Amerika hätten wir Rußland besiegt. Nur
Rußland konnte Napoleon besiegen. Aus diesem
preußisch-deutsch-russisch-sowjetischen Gewirr
hat sich nun eine Stimme erhoben, der Sender
Eriwan. Prompt ergaben sich weitere
Verstrickungen:
Eriwan gibt es nicht! Falsch! Eriwan gibt es aber
sehr wohl. Eriwan (auch Jerewan) ist die Haupt-
stadt der Sowjetrepublik Armenien. Rund 140000
Einwohner, geistiges Zentrum des Landes, Obst,
Gemüse, Autos und elektronische Geräte.
Universität! Der Sender Eriwan ist eine
kapitalistische Erfindung!
7
Auch falsch! Es gibt ihn sehr wohl — und zwar seit
1926. Er sendet vier Programme in sieben
Sprachen auf sieben Wellenlängen und hat auch
Television.
Sender Eriwan beantwortet keine Fragen! Aber-
mals falsch. Wie der Chef dieser Station versichert,
erhält der Sender Eriwan Zuschriften aus allen
Kontinenten, und »unsere Angestellten«, so sagt
Dr. Kirakosjan, der Herr Direktor, »antworten
darauf mit gebührender Sorgfalt und Aufmerk-
samkeit«.
Die politischen Fragen an den Sender sind eine
böswillige Erfindung! Nicht einmal das stimmt! Dr.
Kirakosjan sagte vielmehr in einem Interview:
»Hin und wieder kommen auch hinterlistige
Fragen, aber die Schreiber sind niemals aus der
Sowjetunion.«
Das glauben wir gern. Und wir wissen auch, daß
nicht alle Fragen und Antworten »original Eriwan«
sind. Witze, die sich um Personen oder In-
stitutionen ranken, sind immer nur zum Teil
authentisch. Aber sie müssen im Sinne einer hö-
heren Wahrheit zutreffend sein. Die Tendenz hat
zu stimmen, nicht das Detail. Deutschland ist arm
geworden an politischem Witz.
Weil es deutscher Politik an Witz fehlt? Gewiß
nicht nur deshalb. Die Demokratie kommt
8
notfalls ohne politischen Witz aus, im übrigen
hatten wir Lübke. Auch lachen wir lieber über
andere als über uns. Im politischen Witz aber
steckt eine Portion Selbstironie, jener Magenbitter,
der eine Diktatur zwar nicht schmackhafter macht,
sie doch aber etwas leichter ertragen läßt.
Monarchen hielten sich Hofnarren.
Man mag darüber streiten, ob dies ein Zeichen
liberaler Weisheit oder fortgeschrittener De-
generation war. Heutigen Herrschern scheint in-
dessen beides zu fehlen. Ihre Reaktion auf die
Satire ist das Gefängnis. Dürfte Radio Eriwan
senden, was in dieser kleinen Sammlung zusam-
mengetragen ist — der Kommunismus wäre eher
zu ertragen, und die militanten Antikommunisten
hätten gleichermaßen weniger zu lachen. So aber
werden vielfach die Falschen hämisch den Mund
verziehen und jene, die es eigentlich angeht, nur
sehr versteckt schmunzeln.
Daß Radio Eriwan nicht senden darf, was viele
Russen gewiß gern hören würden, sollte dem
Antikommunismus keine Bestätigung des blinden
Hasses und der sowjetischen Führung keine Be-
stätigung ihrer Macht sein. Und schon gar nicht
besteht für uns ein Anlaß zur Überheblichkeit. Ein
Volk, das seine Schwächen in Witzen bloßlegt, zeigt
damit, wie stark es ist.
Michael Schiff
9
Sorgen des sozialistischen
Alltags
10
Frage an Radio Eriwan:
Mein Mann leistet in der Kolchose viel mehr als
andere Männer. Daheim aber, im Schlafzimmer,
versagt er. Was soll ich tun?
Radio Eriwan antwortet:
Versuchen Sie es mit ihm in der Kolchose.
11
Frage an Radio Eriwan:
Meine Tochter Gallina ist schön, aber dumm.
Trotzdem wurde sie von ihrem Projektleiter
zur »verdienten Arbeiterin« vorgeschlagen.
Muß ich dagegen nicht etwas unternehmen?
Radio Eriwan antwortet:
Nein. Überlassen sie das getrost der Frau des
Projektleiters.
12
Frage an Radio Eriwan:
Ich war in der Stadt. Wohnte im Hotel. Und was
glauben Sie, was ich in meinem Bett fand?
Wanzen! Muß ich mir das bieten lassen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Aber was haben Sie Sittenstrolch
denn sonst in Ihrem Bett erwartet?
13
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß sich in der Sowjetunion Stereo-
anlagen erübrigen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Man hört sowieso von allen Seiten
das gleiche.
14
Frage an Radio Eriwan:
Man hat mir aus dem Westen Antibabypillen
geschickt. Kann ich sie nehmen, ohne dadurch
gegen unsere sozialistischen Grundsätze zu ver-
stoßen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Wenn Sie aber mit der Pille gegen
den Papst demonstrieren wollen, ist die Einnahme
eine gute sozialistische Tat.
15
Frage an Radio Eriwan:
Gibt es einen Unterschied zwischen einem Di-
plomaten und einem Wirtschaftsexperten?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, aber er ist geringfügig. Denn dem
Diplomaten ist die Zunge gegeben, um seine
Gedanken zu verschleiern, dem Wirt-
schaftsexperten, um seinen Mangel an Gedanken
zu verbergen.
16
Frage an Radio Eriwan:
Gibt es in der Sowjetunion eine Postüber-
wachung?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Briefe mit antisowjetischem
Inhalt werden allerdings nicht befördert.
17
Frage an Radio Eriwan:
Besteht in der Sowjetunion die Möglichkeit
eines Rassenkrawalls?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Denn es gibt weder Weiße
noch Schwarze, sondern nur Rote.
18
Frage an Radio Eriwan:
Kann man etwas tun, wenn ein Tiger die
Schwiegermutter angreift?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, man ruft sofort den Tierschutzverein
an, um den Tiger retten zu lassen.
19
Frage an Radio Eriwan:
In unserer Fabrik wurden drei Arbeiter verhaftet.
Einer, weil er zehn Minuten früher gekommen war.
Klarer Fall: Spionageverdacht. Ein anderer, weil er
zehn Minuten zu spät gekommen war. Auch klar:
Sabotage. Warum aber wurde der dritte verhaftet?
Er war pünktlich auf die Sekunde gekommen.
Radio Eriwan antwortet:
Auch dieser Fall erscheint uns klar. Die Pünkt-
lichkeit beweist, daß er eine westliche Uhr besitzt.
20
Frage an Radio Eriwan:
Darf ein Amerikaner den ersten Mann im Staat
einen größenwahnsinnigen Stümper nennen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja.
Zusatzfrage:
Dürfen wir das auch?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja — solange Sie Amerikas ersten
Mann meinen.
21
Frage an Radio Eriwan:
In unserer Neubauwohnung sind die Wände so
dünn, daß man alle Geräusche im Haus hört.
Nachts hören wir sogar, wenn sich unsere
Nachbarn lieben. Was können wir dagegen tun?
Radio Eriwan antwortet:
Lieben Sie lauter!
22
Frage an Radio Eriwan:
Mein Kummer ist, daß ich sehr schwer lerne und
deshalb in der Schule schlechte Leistungen auf
weise. Können Sie mir einen Rat geben?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Wir können Sie nur trösten. Es ist
in unserem Land besser, zuwenig als zuviel zu
wissen.
23
Frage an Radio Eriwan:
Ist es wahr, daß in der Sowjetunion eine
Schnecke schneller vorwärts kommt als ein
Pferd?
Radio Eriwan antwortet:
Ohne Frage. Denn ein Pferd beherrscht nicht
die Kunst des Kriechens.
24
Frage an Radio Eriwan:
Mein Mann ist Astronaut und fliegt gegenwärtig
zum Mond. Kann ich mich in der Zwischenzeit
nach Orangen anstellen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja — aber warten Sie doch, vielleicht
bringt er Ihnen Orangen vom Mond mit.
25
Frage an Radio Eriwan:
Ich finde es unmöglich, daß in einem so fort-
schrittlichen Land wie der UdSSR die Scheidung
von Eheleuten noch so schwer gemacht wird. Wie
ist Ihre Meinung?
Radio Eriwan antwortet:
Wir haben eine so reaktionäre Institution wie die
Scheidung nicht mehr nötig. Wenn eine russische
Frau ihres Mannes überdrüssig ist, braucht sie bloß
dafür zu sorgen, daß seine politische Einstellung
der KGB bekannt wird.
27
Frage an Radio Eriwan:
Meine Frau steht unmittelbar vor der Niederkunft.
Unsere Planwirtschaft liefert neue Windeln aber
erst in neun Monaten. Was sollen wir machen?
Radio Eriwan antwortet:
Schnell ein neues Kind.
28
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe mich in einen jungen Genossen verliebt.
Da ich noch in der Ausbildung stehe, möchte ich
keinesfalls schon ein Kind haben. Kann mir Radio
Eriwan raten, was ich da machen muß?
Radio Eriwan antwortet:
Machen Sie nichts, aber auch wirklich gar nichts.
29
Frage an Radio Eriwan:
Ist es möglich, daß man von Hoffmannstrop-
fen Kinder bekommt?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Es sei denn, die Tropfen
stammen vom Genossen Hoffmann.
30
Frage an Radio Eriwan:
Können Wanzen Revolutionen machen? Radio
Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, denn in ihnen fließt das Blut
der Arbeiter und Bauern.
31
Frage an Radio Eriwan:
Können Sie mir sagen, wie man eine Glatze
beseitigt?*
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja — aber auf politische Fragen
geben wir keine Antwort!
32
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß ein dünnes Blatt Papier ein
sichereres Verhütungsmittel sein kann als die
westliche Pille?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein — außer wenn es die Frau
zwischen den Knien festhält.
33
Frage an Radio Eriwan:
Was unterscheidet Rußland von Amerika?
Radio Eriwan antwortet:
Der russische Winter ist kälter.
35
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe gehört, Nixon und Breschnew hätten
einen Wettlauf rund um die Mauer des Kreml
gemacht, bei dem Nixon gewann. Stimmt das?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Nixon und Breschnew nahmen an
einem internationalen Wettlauf teil. Breschnew
belegte einen ehrenvollen zweiten Platz. Nixon
wurde Vorletzter.
36
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß Genosse Weltraumfahrer Gagarin
auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Moskau
ein Auto gewonnen hat?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, wir müssen jedoch darauf hinweisen,
daß es sich nicht um den Weltraumfahrer Gagarin,
sondern um den Volksschullehrer Gagarin handelt.
Außerdem war es nicht in Moskau, sondern in
Kiew, und es war nicht auf einer
Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern auf einer
Parteitagung, und es handelt sich nicht um ein
Auto, das er gewonnen hat, sondern um ein
Fahrrad, das ihm gestohlen wurde.
37
Eine Variante des nebenstehenden Witzes lautet:
38
Frage an Radio Eriwan:
Ist es üblich, im Inland mit Devisen zu bezahlen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Nur wenn man besondere
Wünsche hat.
39
Paradies
mit kleinen Fehlern
40
Frage an Radio Eriwan:
Was ist Kapitalismus?
Radio Eriwan antwortet:
Die Ausbeutung des Menschen durch den Men-
schen.
Zusatzfrage:
Was ist Kommunismus?
Radio Eriwan antwortet:
Das Gegenteil.
42
Frage an Radio Eriwan:
Ist es richtig, daß Sozialismus das goldene Zeitalter
bedeutet?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber es ist eben nicht alles Gold, was
glänzt.
43
Frage an Radio Eriwan:
Die Wandzeitung unseres Betriebs zeigt eine
steil nach unten sinkende Produktionskurve.
Was können wir tun, um das zu ändern?
Radio Eriwan antwortet:
Drehen Sie die Wandzeitung um neunzig Grad.
Dann zeigt die Kurve wieder nach oben.
44
Frage an Radio Eriwan:
Läßt der Sozialismus die Geburtenplanung zu?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Doch stößt ihre Durchführung auf
Schwierigkeiten, weil sich in diesem Fall die
Produktionsmittel noch in privater Hand befinden.
45
Frage an Radio Eriwan:
Kann ein Sowjetbürger jederzeit frei seine
Meinung äußern?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, sofern er sich ins Ausland begibt.
46
Frage an Radio Eriwan:
Wie werden wir unter dem vollendeten Kom-
munismus leben?
Radio Eriwan antwortet:
Brot, Fleisch und Textilien werden ganz billig sein.
Mit einem Wort, es werden Zustände herrschen
wie unter dem Zaren.
47
Frage an Radio Eriwan:
Es heißt doch, der Sozialismus verlängert das
Leben der Menschen. Der älteste Mensch der Welt
hat aber — wie es heißt — noch niemals etwas vom
Sozialismus gehört. Ist das möglich?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Hätte er etwas vom Sozialismus
gehört, wäre er jetzt noch mindestens zehn Jahre
älter.
48
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß die Lebensbedingungen in unseren
Umerziehungslagern ausgezeichnet sind?
Radio Eriwan antwortet:
Einer unserer Kollegen, der das nicht glauben
wollte, bekam prompt die Gelegenheit dazu, die
Verhältnisse an Ort und Stelle kennenzulernen. Es
gefällt ihm offensichtlich so gut, daß er noch nicht
wieder bei uns am Sender Eriwan eingetroffen ist.
49
Frage an Radio Eriwan:
Wird es noch Geld geben, wenn der Sozialismus
seine höchste Entwicklungsstufe erreicht hat?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja und nein. Es gibt darüber zwei
Theorien. Nach der einen wird es Geld geben, nach
der anderen wird es kein Geld geben. Es ist auch
möglich, daß das Problem dadurch gelöst wird, daß
der eine Geld hat und der andere nicht.
50
Frage an Radio Eriwan:
Wie verhält sich die Sowjetregierung in einer
völlig hoffnungslosen Situation?
Radio Eriwan antwortet:
Wir geben keine Auskünfte über die Probleme
unserer Landwirtschaft.
51
Frage an Radio Eriwan:
Kann man definieren, wer ein Kommunist ist?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Er ist ein Mensch, der die Hoffnung
aufgegeben hat, Kapitalist zu werden.
52
Frage an Radio Eriwan:
Worin besteht der Unterschied zwischen einem
amerikanischen und einem sowjetischen Märchen?
Radio Eriwan antwortet:
Das amerikanische Märchen beginnt mit »Es war
einmal...«, das sowjetische mit »Einmal wird es
soweit sein ...»
53
Frage an Radio Eriwan:
Ist es möglich, bei Ihnen in Armenien die höchste
Stufe des Kommunismus zu erreichen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber es wäre besser, es in Georgien
zu versuchen.
54
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß sich der Kommunismus immer
deutlicher am Horizont abzeichnet?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, aber der Horizont ist eine gedachte
Linie, und wenn man dieser näher kommt, entfernt
sie sich immer weiter von uns!
55
Frage an Radio Eriwan:
Denkt eine Henne an den Aufbau des Sozialismus,
wenn sie vor dem Hahn davonläuft?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Doch gleichzeitig denkt sie auch
daran, daß sie nicht zu schnell laufen darf.
56
Frage an Radio Eriwan:
Ist es wahr, daß ein Arbeiter bei den Kapitalisten
mehr verdient?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, aber Geld allein macht nicht
glücklich.
57
Die Partei hat immer recht
58
Frage an Radio Eriwan:
Kann die Partei auch einmal irren?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber praktisch irrt die Partei
nie.
Zusatzfrage:
Woher wissen Sie das so genau?
Radio Eriwan antwortet:
Wir haben die Partei gefragt.
60
Frage an Radio Eriwan:
Was würde geschehen, wenn einem unserer
führenden Genossen ein westliches Herz einge-
pflanzt würde?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nichts. Bei unseren führenden Ge-
nossen spielt das Herz keine Rolle.
61
Frage an Radio Eriwan:
Darf man über Genösse Kossygin Witze erzählen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Sicherheitshalber sagen Sie aber
statt Kossygin besser Nixon, Mao oder Tito.
62
Frage an Radio Eriwan:
Es ist mir unverständlich, daß man unsere Re-
gierung trotz ihrer mangelhaften Leistung immer
wieder in den Himmel hebt. Können Sie mir eine
Erklärung geben?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Die Illusionäre, die glauben, daß sie
einmal dort oben bleibt, sterben nicht aus.
63
Frage an Radio Eriwan:
Jeden Tag sehe ich gegenüber meinem Bürofenster
den scheußlichen Parteipalast aus der
überwundenen Stalin-Ära. Kann ich etwas tun, um
diesen Anblick zu vermeiden?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Werden Sie Angestellter der Partei,
dann sitzen Sie im Parteipalast und sehen ihn nicht
mehr.
64
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe gehört, daß Stalin im Himmel ist.
Kann das wahr sein?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja.
Zusatzfrage:
Ich verstehe nicht, wie man ihn dort einlassen
konnte.
Radio Eriwan antwortet:
Man ließ ihn nicht ein. Er benützte den Lie-
feranteneingang.
65
Frage an Radio Eriwan:
Kann ein Esel Parteimitglied werden?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein: Wir haben schon genug Ja-Sager.
66
Frage an Radio Eriwan:
Kann man sich auf einen Igel setzen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein — außer in zwei Fällen: wenn
man ihm vorher die Stacheln abrasiert hat, oder
wenn die Partei es befiehlt.
67
Frage an Radio Eriwan:
Ist es wahr, daß man die Partei kritisieren
darf?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, doch lebt es sich in den eigenen
vier Wänden angenehmer.
68
Jenseits von Gut und Böse
69
Frage an Radio Eriwan:
Muß ein hundertprozentiger Kommunist nicht
gleichzeitig ein hundertprozentig guter Mensch
sein?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber haben Sie schon einmal einen
hundertprozentigen Kommunisten getroffen?
70
Frage an Radio Eriwan:
Der Führer einer Frauenbrigade in unserer
Sowchose nützt seine Stellung aus, um sich die
Frauen gefügig zu machen. Auch meine Frau ist
dabei. Was soll ich machen?
Radio Eriwan antwortet:
Versuchen Sie, möglichst schnell ebenfalls Bri-
gadeführer zu werden.
71
Frage an Radio Eriwan:
Ein Arbeitskollege in unserem Werk will mir
fünfzig Rubel schenken, wenn ich mit ihm schlafe.
Er sieht recht nett aus, ein Foto lege ich bei. Soll
ich nun — oder?
Radio Eriwan antwortet:
Wenn der Fünfzig-Rubelschein echt ist, sollten Sie
sich eine Ablehnung überlegen.
72
Frage an Radio Eriwan:
Ein Genosse überraschte seine Frau mit einem
fremden Mann im Bett. Trotzdem gab man ihm die
Schuld an der Zerrüttung der Ehe. Ist das richtig?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Der Genosse ging zu früh von seiner
Arbeit nach Hause.
73
Frage an Radio Eriwan:
Verstößt es gegen die sozialistische Moral, mit
einem Mädchen zu schlafen, bevor man es ge-
heiratet hat?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Denn unser Staat braucht
ausgeschlafene Werktätige.
74
Frage an Radio Eriwan:
Ist es wahr, daß die Moskauer Regierung aus-
drücklich angeordnet hat, die Hinterseite des
Mondes zu fotografieren?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber es geschah auf ausdrücklichen
Wunsch des fortschrittlichen armenischen Volkes.*
75
Frage an Radio Eriwan:
Ich bin nach Georgien gefahren, mein Sohn ist
unterwegs mit seinem Mädchen zurückgeblieben.
Nun bin ich in großer Sorge. Was werden die
beiden wohl machen?
Radio Eriwan antwortet:
Vermutlich Nachkommen.
76
Frage an Radio Eriwan:
Sind sowjetische Männer auf Dienstreisen treu?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Insbesondere unsere heldenhaften
Astronauten.
77
Was man so von draußen hört
78
Frage an Radio Eriwan:
Trifft es denn wirklich zu, daß unsere ruhmreiche
Armee von den Tschechen zu Hilfe gerufen wurde?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Das Gesuch stammt aus dem Jahr
1939 und konnte 1968 positiv beantwortet werden.
80
Frage an Radio Eriwan:
Früher gingen die stolzen Araber immer einige
Schritte vor ihren Frauen. Doch seit dem Sechs-
tage-Krieg gegen Israel lassen sie ihren Frauen den
Vortritt. Was hat diesen erstaunlichen
Sinneswandel verursacht?
Radio Eriwan antwortet:
Die vielen Tretminen, die noch immer auf den
Straßen liegen.
81
Frage an Radio Eriwan:
Warum pflegen wir die Freundschaft mit der DDR?
Radio Eriwan antwortet:
Diese Frage können wir Ihnen auch nicht be-
antworten.
82
Frage an Radio Eriwan:
Trotz aller rassischen Diskriminierung soll in den
USA ein Neger zum General befördert worden sein.
Ist das denkbar?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja — aber was ist schon ein General?
83
Frage an Radio Eriwan:
Wir haben im Werk Besuch von Ingenieuren aus
einem kapitalistischen Land. Wäre es angebracht,
jedem Ingenieur als Erinnerung eine Leninbüste zu
schenken?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja — aber männliche Büsten sind in
kapitalistischen Ländern weniger gefragt als
weibliche.
84
Frage an Radio Eriwan:
Ich kann zu einer Tagung in den Westen fahren.
Soll ich die Reise unternehmen, obwohl ich die
hohen Fahrtkosten selbst tragen muß?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Sie brauchen ja keine Rückfahrkarte
zu kaufen.
85
Frage an Radio Eriwan:
Sind uns die USA tatsächlich technisch, wirt-
schaftlich und militärisch unterlegen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber es ist schwer, den Amerikanern
dies klarzumachen.
86
Frage an Radio Eriwan:
Gibt es eine Erklärung dafür, daß unsere Presse
Nordvietnam immer mit einem Schnitzel
vergleicht?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Je mehr es die Amerikaner klopfen,
desto größer wird es.
87
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe mir erzählen lassen, auch in Amerika
könne ein Bürger nachts aus dem Schlaf geschreckt
werden, weil es an seiner Tür klopft. Stimmt das?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber in Amerika ist es mit Sicherheit
entweder der Telegrammbote oder der betrogene
Ehemann.
88
Frage an Radio Eriwan:
Leben die Menschen in Westdeutschland besser
als in der DDR?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Sie wollen nur nicht mit den
Landsleuten in der DDR tauschen.
89
Frage an Radio Eriwan:
Wir haben gehört, daß General de Gaulle der
französischen Republik eine neue Verfassung
gegeben hat. Trifft dies zu, und ist Radio Eriwan in
der Lage, einen Auszug aus dieser Verfassung zu
veröffentlichen?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Wir können nicht nur einen
Auszug, sondern den gesamten Wortlaut der
Verfassung veröffentlichen:
Paragraph 1:
»Der General hat immer recht.«
Paragraph 2:
»Wenn dies nicht zutrifft, entfällt Paragraph 1.«
Zusatz von Radio Eriwan:
Eine solche Verfassung gibt es natürlich nur in
Frankreich.
90
Frage an Radio Eriwan:
Können Sie mir den Unterschied zwischen einem
Optimisten und einem Pessimisten erklären?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Ein Optimist lernt Amerikanisch, ein
Pessimist Chinesisch.
91
Frage an Radio Eriwan:
Die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen
der Sowjetunion und der Volksrepublik China
stellen mich als überzeugten Kommunisten vor ein
schwieriges Problem. Ich weiß nun nicht, ob ich
russischen oder chinesischen Tee trinken soll. Wie
muß ich mich verhalten, ohne ideologisch
abzuweichen?
Radio Eriwan antwortet:
Trinken Sie Kaffee.
92
Frage an Radio Eriwan:
Wird es noch Kriege in der Welt geben, wenn alle
Völker sozialistisch geworden sind?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip nein. Es sei denn, daß der Friedens-
kampf den Einsatz militärischer Mittel notwendig
macht.
93
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß ein Russe länger für ein Auto
arbeiten muß als ein Amerikaner?
Radio Eriwan antwortet:
Die Amerikaner sind gegen die Neger.
94
Frage an Radio Eriwan:
Ist es möglich, die sowjetische Besatzung aus
der CSSR zu vertreiben?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja, aber die tschechische Armee ist
nicht mit Eishockeyschlägern bewaffnet.
95
Frage an Radio Eriwan:
Kann Rotchina sich an der Raumschiffahrt be-
teiligen?
Radio Eriwan antwortet:
Grundsätzlich ja — wenn 500 000 Rotchinesen auf
die eine Seite der Wippe springen.
96
Das Land des Fortschritts
und der
großen Errungenschaften
97
Frage an Radio Eriwan:
Kann man mit unserem Auto »Moskwitsch«
mit hundert Sachen über russische Straßen
fahren?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber nur einmal.
98
Frage an Radio Eriwan:
Warum weiß man bei uns nie, wann die nächste
Weltraumrakete startet?
Radio Eriwan antwortet:
Wir haben unsere Techniker gefragt. Sie wissen es
auch nicht.
99
Frage an Radio Eriwan:
Wäre es ein großer Prestigeverlust für die So-
wjetunion, wenn die Amerikaner vor uns auf dem
Mond landen würden?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Aber im Gegensatz zu den ame-
rikanischen Kosmonauten, die schnellstens wieder
zur Erde zurückwollen, werden unsere eines
Tages gern oben bleiben.
100
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe eine ungeheure Superwaffe entwickelt,
die alles in den Schatten stellt. Dabei ist ihr Prinzip
ganz einfach. Ich habe alles beisammen und
brauche nur noch drei Fahrradspeichen. Können
Sie mir die beschaffen?
Radio Eriwan antwortet:
Leider nein. Was soll man auch mit einer Su-
perwaffe, die aus so seltenen "Einzelteilen besteht?
101
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß die größten Erfindungen von
Russen gemacht wurden?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Denn wir erfinden sogar Erfinder.
102
Frage an Radio Eriwan:
Sind die Röntgenstrahlen in Rußland erfunden
worden?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Denn schon im Jahr 1604 schrieb
der Moskauer Bojar Morosow an seine Frau: »Ich
habe dich genau durchschaut, du verfluchtes
Luder.«
103
Frage an Radio Eriwan:
Das neueste Mehrzweck-Flugzeug der sowjetischen
Armee hat ausgezeichnete Flugeigenschaften, nur
reißen in der Luft häufig die Flügel ab. Weiß Radio
Eriwan, wie diese Schwäche zu beseitigen ist?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Die Flügel des Flugzeuges sollten
perforiert werden. Diesen Rat gibt Radio Eriwan
aus seiner reichen Erfahrung mit sowjetischem
Toilettenpapier: Es reißt überall, nur nicht dort, wo
es perforiert ist.
104
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß sowjetische U-Boote den Welt-
rekord im Tauchen halten?
Radio Eriwan antwortet:
Im Prinzip ja. Schon seit 1957 tauchen zwei unserer
U-Boote ...
105
Radio Eriwan antwortet in eigener Sache
106
Frage an Radio Eriwan:
Ich habe gehört, den Sender Eriwan gebe es gar
nicht. Er sei nur eine kapitalistische Erfindung zur
Untergrabung unserer Moral. Was sagen Sie dazu?
Radio Eriwan antwortet:
Wir bewundern Ihren Mut, uns dennoch zu
schreiben.
107
Frage an Radio Eriwan:
Stimmt es, daß man die Antworten von Radio
Eriwan nicht weitererzählen darf?
Radio Eriwan antwortet:
Von wo schreiben Sie?
108
Frage an Radio Eriwan:
Wie kommt es, daß Ihre Antworten bereits in
der gesamten Weltpresse zitiert werden?
Radio Eriwan antwortet:
Wir müssen Sie korrigieren. Bei uns werden
sie nicht zitiert.
109
Frage an Radio Eriwan:
Trifft es zu, daß der Mann, der die Witze über den
Sender Eriwan verbreitet, in Eriwan sitzt?
Radio Eriwan antwortet:
Das stimmt. Er sitzt.
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