Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
ARBEITSKREIS MITTELSTAND
I
II
Studie im Auftrag der Abteilung Wirtschafts-
und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Herbert Klemisch
Walter Vogt
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis 5
Vorbemerkung 6
Executive Summary 8
1. Einleitung 10
Diese Studie wird von der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-
Stiftung veröffentlicht. Die Ausführungen und Schlussfolgerungen sind von den Autoren
in eigener Verantwortung vorgenommen worden.
Anhang 70
Literaturverzeichnis 71
Die Autoren 76
3
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
4
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Abkürzungsverzeichnis
5
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Vorbemerkung
Die gut siebeneinhalbtausend Genossenschaften Expertinnen und Experten bedanken, die sich an
in Deutschland mit ihren fast 21 Millionen (!) den Diskussionen beteiligt und mit ihrer Fach-
Mitgliedern sind ein elementarer Teil unserer kenntnis zur Entstehung dieser Studie beigetra-
Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur. Ihre öko- gen haben.
nomische und gesellschaftliche Bedeutung steht Genossenschaften, so die zentrale Aussage
jedoch in keinem Verhältnis zur öffentlichen der Autoren, sind keine Patentlösung für alle
Aufmerksamkeit, die sie bekommen – jahrzehnte- gesellschaftlichen oder ökonomischen Probleme.
lang führten Genossenschaften in der Öffentlich- Sie handeln auch nicht im öffentlichen Auftrag,
keit ein Schattendasein. Erst in jüngerer Zeit be- sind normalerweise keine Non-Profit-Organisa-
ginnt sich das zu ändern. Angesichts anhaltender tionen. Ihre rechtsformspezifischen Merkmale
Krisentendenzen unseres Wirtschaftssystems ge- sind jedoch in mehrerer Hinsicht dazu geeignet,
raten alte Gewissheiten ins Wanken und viele einen volkswirtschaftlichen und gesellschaft-
Menschen beginnen sich für alternative Wirt- lichen Mehrwert zu erzeugen. Ihre regionale Ver-
schaftsmodelle zu interessieren, so auch für Ge- ankerung und feste Bindung an ihre Mitglieder
nossenschaften. Die UN-Vollversammlung hat bringt Geschäftsmodelle hervor, die im Vergleich
das Jahr 2012 sogar zum „UN-Jahr der Genossen- zu anderen Unternehmen bodenständiger und
schaften“ gekürt. nachhaltiger sind. Die relativ geringere Insolvenz-
Genossenschaften stehen in vieler Hinsicht quote von Genossenschaften ist dafür ein untrüg-
für „anderes Wirtschaften“, das sich vom allei- liches Indiz. Ein Gewinnstreben ist bei Genossen-
nigen Prinzip der Gewinnmaximierung abhebt. schaften zwar nicht ausgeschlossen, eine fragwür-
Doch was unterscheidet Genossenschaften tat- dige Gewinnmaximierung, wie es sie bei kapital-
sächlich von anderen Unternehmensformen und marktabhängigen Unternehmen in der jüngeren
welche Rolle können sie in einer modernen und Vergangenheit gegeben hat, ist bei ihnen aller-
sozial gerechten Wirtschaftsordnung spielen? dings nicht zu beobachten. Genossenschaftliches
Entspricht ihre Organisationsform den Idealen Wirtschaften zeichnet sich zudem durch eine be-
einer „solidarischen Ökonomie“ und wie schlägt sondere Wertefundierung im Sinne der Prinzipien
sich das im genossenschaftlichen Wirtschaften Demokratie, Selbsthilfe und Solidarität aus. So hat
nieder? Worin besteht der progressive Mehrwert jedes Mitglied unabhängig von der Höhe seines
genossenschaftlichen Wirtschaftens, brauchen Anteils die gleichen Einflussmöglichkeiten. In Ge-
wir eine Stärkung des Genossenschaftswesens nossenschaften verwirklicht sich also auch ein
und wie könnten die Rahmenbedingungen für normativer Anspruch, der diese Rechtsform aus-
genossenschaftliches Wirtschaften ggf. verbessert zeichnet und unverwechselbar macht.
werden? Diese Fragen stehen im Zentrum der Die Rechtsform erweist sich vor allem dann
Expertise, mit der die Friedrich-Ebert-Stiftung als passend, wenn lokale Akteure ihre Kräfte für
Walter Vogt von der IG-Metall und Dr. Herbert einen gemeinsamen Zweck bündeln möchten.
Klemisch, Wissenschaftsladen Bonn, beauftragt Sie können dazu beitragen, Menschen in die Lage
hat. Die Autoren fundieren die Expertise auch auf zu versetzen, ihre wirtschaftlichen, sozialen oder
einer Reihe von Fachgesprächen, zu denen die kulturellen Belange selbst in die Hand zu neh-
Friedrich-Ebert-Stiftung im Vorfeld eingeladen men. Das zeigt sich gerade in innovativen Wirt-
hatte. Wir möchten uns an dieser Stelle bei allen schaftszweigen, aktuell bspw. in der Energiewirt-
6
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
schaft. Natürlich steht die wirtschaftliche Förde- cher Fördermittel kämen. Auch fordern die Auto-
rung der Mitglieder in den meisten Fällen im ren, für kleine oder kleinste Kooperativen gesetz-
Vordergrund. Aber gerade Sozialgenossenschaf- liche Erleichterungen zu schaffen. Primär seien
ten oder auch Genossenschaften, die im kommu- aber die Genossenschaften und ihre Verbände
nalen Infrastrukturbereich angesiedelt sind, ha- selbst aufgefordert, dazu beizutragen, die Rechts-
ben oft den Anspruch, gemeinwohlorientiert zu form zu stärken, vor allem, indem auf die positive
handeln. Genossenschaften, so die Autoren, sei- Rolle von Genossenschaften mehr aufmerksam
en letztlich für vielfältige Bereiche und Förder- gemacht werde.
zwecke geeignet. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei den
Abschließend appellieren die Autoren an die Autoren für die Erstellung der Studie und wün-
politisch Verantwortlichen, die Rahmenbedin- schen allen Leserinnen und Lesern eine anregen-
gungen für Genossenschaften weiter zu verbes- de Lektüre.
sern. Im Vergleich zu anderen Unternehmensfor-
men seien Genossenschaften in vielerlei Hinsicht
benachteiligt. So sei es nicht einzusehen, warum Dr. Robert Philipps
Genossenschaften im Gegensatz zu anderen Un- Leiter Arbeitskreis Mittelstand
ternehmensformen kaum in den Genuss öffentli- Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
7
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Executive Summary
8
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Die positive Rolle der Genossenschaften in Beitrag zur regionalen Wertschöpfung leisten.
unserem Wirtschaftssystem sollte die Politik dazu Eine positive Außendarstellung und viele gelun-
bewegen, die rechtlichen und steuerlichen Rah- gene Beispiele aus der Praxis können das Image
menbedingungen für genossenschaftliches Wirt- der Genossenschaften verbessern. Genossen-
schaften zu verbessern und für eine Gleichstellung schaften sollten als das wahrgenommen werden,
mit anderen Unternehmensformen zu sorgen. So was sie sind: als innovative Kooperationsunterneh-
ist es nicht einzusehen, warum Genossenschaf- men mit demokratischer Grundstruktur, die sich
ten im Gegensatz zu anderen Unternehmens- positiv von den Auswüchsen des Shareholder-
formen kaum in den Genuss öffentlicher Förder- Value-Kapitalismus abheben.
mittel kommen. Notwendig sind auch bürokra- Dennoch: Genossenschaften sind nicht die
tische Erleichterungen für kleine oder kleinste Lösung für alle sozialen, kommunalen oder ar-
Kooperativen – hier verhindern rechtsform- beitsmarktpolitischen Probleme. Sie sind auch
spezifisch hohe Aufwände z. B. für Gründungs- nicht per se die besseren Unternehmen. Aber Ge-
prüfungen, dass das Potenzial der Rechtsform nossenschaften basieren auf Grundprinzipien
vollständig ausgeschöpft wird. Des Weiteren muss und Werten, die es ihnen ermöglichen, anders zu
dafür gesorgt werden, dass die Genossenschafts- wirtschaften und dabei nicht Kapitalinteressen,
lehre und -praxis in Schule und Hochschule brei- sondern den Mitgliedernutzen in den Vordergrund
ter verankert wird. Primär bleiben aber die Ge- zu stellen. Sie können dazu beitragen, Menschen in
nossenschaften und ihre Verbände selbst aufge- die Lage zu versetzen, ihre wirtschaftlichen, sozia-
fordert, dazu beizutragen, die Rechtsform zu stär- len oder kulturellen Belange selbst in die Hand zu
ken. Es muss ihnen gelingen, der Öffentlichkeit nehmen. Und sie stehen dafür, den ordnungs-
aufzuzeigen, dass Genossenschaften in unter- politischen Rahmen im Sinne einer wirtschafts-
schiedlichsten wirtschaftlichen und sozialen Be- demokratischeren Ausrichtung nach der Krise zu
reichen effizient sind und einen unverzichtbaren gestalten und weiter zu befördern.
9
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
1. Einleitung
Im Jahr 2010 zählte man in Deutschland in Sum- bands e. V. und des Bundesverbands deutscher
me 7.619 eingetragene Genossenschaften, eine Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V.
Steigerung gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Pro- (GdW) am 25.5.2009 in Berlin betonte der da-
zent. Gewaltig muten die Mitgliederzahlen an: malige Bundesminister für Arbeit und Soziales,
Ende 2010 registrierten die deutschen Genossen- Olaf Scholz: „Die Finanz- und Wirtschaftskrise
schaften 20.744 Millionen Mitglieder, ein Plus verlangt neue Antworten […]. Was Genossen-
von 227.000 Mitgliedern. In Deutschland ist schaften ausmacht, kann heute ein Teil der Ant-
damit etwa jeder vierte Einwohner auch Mit- wort auf die Krise sein [...]. Ich wünsche mir, dass
glied in mindestens einer Genossenschaft. Zudem die Genossenschaften gerade jetzt im Angesicht
sind die deutschen Genossenschaften Arbeit- der Krise eine Renaissance erleben würden“
geber für 862.500 Menschen und gaben zuletzt (DGRV 2009: 8).
rund 49.000 Berufsanfängerinnen und -anfän- Die 66. Generalversammlung der Vereinten
gern einen Ausbildungsplatz (Stappel 2011: 9). Nationen hat das Jahr 2012 zum „Year of Co-
Genossenschaften haben auch der Finanz- operatives“, zum „Jahr der Genossenschaften“
und Wirtschaftskrise erfolgreich standgehalten. deklariert und das Jubiläumsjahr am 31.10.2011
Ihre soliden und seriösen Geschäftsmodelle in New York offiziell eröffnet. Die Friedrich-Ebert-
machten sie weniger anfällig für Konjunktur- Stiftung hat dies zum Anlass genommen, das Ge-
schwankungen und Krisen (Vogt 2011: 1). Den- nossenschaftswesen und seine Potenziale für ein
noch scheint die Rechtsform, wie sich an den nachhaltiges, sozial gerechtes und demokra-
Neugründungszahlen ablesen lässt, noch immer tisches Wirtschaften genauer unter die Lupe zu
in einem Dornröschenschlaf zu liegen: In den nehmen. Mit ihrer Tagung „Genossenschaften:
Jahren 2001 bis 2010 sind insgesamt lediglich Ein traditionsreiches Wirtschaftsmodell und sei-
1.239 Genossenschaften gegründet worden ne neuen Herausforderungen“ am 8.11.2011
(Klemisch 2012a: 1); gegenüber anderen Unter- wurde dazu der Auftakt gemacht. Hier stellte
nehmensformen mutet die Rechtsform damit Heiko Maas, damals Fraktionsvorsitzender der
noch immer unwesentlich an. Erfreulicherweise SPD-Landtagsfraktion Saarland, den praktischen
kann aber seit etwa der Mitte des vergangenen Ansatz von Genossenschaften in den Vorder-
Jahrzehnts ein, wenn auch verhaltener Auf- grund: Gerade aus Gründen der wirtschaftlichen
schwung festgestellt werden: Gründungen finden Vernunft stehen Genossenschaften für ein nach-
sich zunehmend in neuen, innovativen Wirt- haltiges Wirtschaften und treten für ein gemein-
schaftszweigen, besonders in der Energiewirt- sames und solidarisches Handeln ein. In der ge-
schaft, aber auch im mittelständischen Bereich nossenschaftlichen Rechtsform sieht er darüber
und im kommunalen Sektor. hinaus auch einen wirtschaftsdemokratischen
Die SPD hat die Bedeutung, welche Genossen- Ansatz, welcher indes noch stärkere gesellschaft-
schaften für die Stabilität der gesamten Volkswirt- liche Verankerung finden muss (FES 2011: 1).
schaft haben, neu erkannt und politisch aufge- Aufbauend auf dieser Tagung wurden in der
griffen. In seiner Eröffnungsrede beim gemein- ersten Jahreshälfte 2012 in einem geschlossenen
samen „Genossenschaftspolitischen Dialog“ des Teilnehmerkreis insgesamt drei konkretisierende
Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenver- Expertengespräche zu unterschiedlichen genos-
10
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
11
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Genossenschaften in Deutschland haben eine gliederzahl“ mit dem Zweck, „den Erwerb oder
mehr als 150-jährige Tradition. Dabei waren sie die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale
schon immer Wirtschaftssubjekte, die aus ökono- oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen
mischen Gründen, vielfach aus Notlagen heraus, Geschäftsbetrieb zu fördern […]“. Es ist damit ge-
gegründet wurden. Heute hat sich zwar das Um- rade ihr Auftrag zur Mitgliederförderung, welcher
feld verändert, doch das häufig noch immer anti- die Genossenschaft von anderen Kooperations-
quiert erscheinende Image von Genossenschaf- formen unterscheidet (obgleich der Gesetzgeber
ten als angestaubte Einrichtung von Sparern, nicht genauer präzisiert, was er konkret anstrebt
Mietern oder Landwirten bekommt im Zuge von und realisiert wissen möchte). Das Motiv für die
Wirtschafts- und Schuldenkrise einen neuen Stel- Zugehörigkeit zu einer Genossenschaft ist dem-
lenwert. Dabei gilt, damals wie heute: Die genos- nach die dadurch erwartete Förderung, und so
senschaftlichen Werte und Prinzipien sind der steht es auch allein der kooperativen Gruppe zu,
Garant für ein nachhaltiges und erfolgreiches ihren jeweils eigenen, konkreten Auftrag zur För-
Wirtschaften. derung zu erteilen. Mit dem Zusatz „durch gemein-
schaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern“ macht der
Gesetzgeber zugleich das Wie deutlich, nämlich,
2.1 Wesen der Genossenschaft dass eine Förderung an den Leistungsaustausch
zwischen der Genossenschaft und ihren Mitglie-
Kennzeichnend für die Rechtsform der Genos- dern gebunden ist (Ringle 2010: 12, 17, 24).
senschaft ist die Hilfe zur Selbsthilfe, also der Zu- Unternehmensgegenstand einer Genossen-
sammenschluss von Menschen, die gemeinsam schaft, ihr Tätigkeitsfeld, sind somit alle Maß-
Aufgaben übernehmen, welche der Einzelne in nahmen, mit denen der individuelle Förderzweck
seinem Umfeld nicht alleine bewerkstelligen erreicht werden soll; und dieser ergibt sich aus
kann. In der Genossenschaft soll der Einzelne die der jeweiligen Satzung der Genossenschaft.
Möglichkeit bekommen, mit anderen zusammen Weil der Charakter der Genossenschaft pri-
zu handeln und sich so gesellschaftlich und wirt- mär darauf abzielt, möglichst viele Menschen
schaftlich zu behaupten (Grosskopf et al. 2009: gleicher Bedarfe zusammenzubringen, sind die
19). „ ,Was der Einzelne nicht vermag, das vermö- Einstiegshürden für neue Mitglieder in bestehen-
gen viele.‘ Dieser Aphorismus von Friedrich Wil- de Genossenschaften niedrig; und anders als bei
helm Raiffeisen [einem der bekanntesten deut- anderen Rechtsformen ist dazu auch ein notari-
schen genossenschaftlichen Gründerväter] bringt eller Vertrag nicht erforderlich – ein wesentlicher
den Kern aller Genossenschaften auf den Punkt“ Vorteil gegenüber anderen Unternehmensfor-
(Blome-Drees 2012a: 1). men. Dies hat aber auch zur Folge, dass das soge-
Das Wesen der Genossenschaft ergibt sich aus nannte genossenschaftliche Geschäftsguthaben,
Paragraf 1 Absatz 1 des der Rechtsform eigenen Ge- folglich die tatsächliche Höhe der Beteiligung, im
setzes, des Genossenschaftsgesetzes (GenG),1 als Gegensatz zum gezeichneten Kapital bei der Ak-
„einer Gesellschaft von nicht geschlossener Mit- tiengesellschaft oder zum Stammkapital bei der
12
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
2 Ein Geschäftsanteil ist der Betrag, mit dem sich das Mitglied an der Genossenschaft beteiligen kann. Man unterscheidet Pflicht- und
weitere (freiwillige) Anteile.
3 Dem ist in der Gesetzesnovelle 2006 vorgesorgt worden, als dass die Satzung ein Mindestkapital vorsehen kann, welches in dieser Höhe
einer Ausschüttungssperre unterliegt, siehe § 8 a I GenG.
4 In Genossenschaften unter 20 Mitgliedern kann nach der Genossenschaftsnovelle 2006 mittels Satzungsbestimmung auf die Errichtung
eines Aufsichtsrats verzichtet und seine Rolle stattdessen durch die Generalversammlung wahrgenommen werden.
5 §§ 24 I und 26 GenG, weitere Aufgaben siehe § 30 I GenG, § 33 I S. 1,2 und § 33 III GenG sowie § 44 I GenG.
6 Bei Genossenschaften mit weniger als 20 Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass der Vorstand nur aus einer Person besteht (§ 24
II S. 3 GenG).
7 Zur gesetzlichen Ausgestaltung siehe Kapitel 8.2.3.
13
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
muss. Kurzfristige Anreize zum späteren Schaden auf die Feststellung des Jahresabschlusses und die
der Mitglieder werden in der Genossenschaft Verwendung des Jahresüberschusses, beziehungs-
durch die gesetzlichen Kontrollmechanismen weise die Deckung des Jahresfehlbetrags.10 „Gro-
unterbunden. ße“ Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mit-
Die Konzentration auf langfristige Förder- gliedern können die Generalversammlung durch
strategien und optimale Mitgliederförderung sind eine Vertreterversammlung (welche allerdings
demnach die zentralen Managementanforderun- einer Wahl durch die Mitglieder bedarf), ersetzen.
gen, die an den Vorstand in Genossenschaften Die Satzung kann dann zusätzlich erlauben,
gestellt werden müssen. Hierzu muss er die Wün- der Generalversammlung auch weiterhin noch
sche und Bedürfnisse der Mitglieder kennen und bestimmte Beschlussfassungen vorzubehalten. In
diese immer wieder aufs Neue eruieren. Darauf diesem Fall tritt die Generalversammlung dauer-
aufbauend wird er einen Förderplan erstellen, das haft als viertes Organ neben die Vertreterver-
heißt die Soll-Förderung festlegen, und diese den sammlung (Bloehs et al. 2012: 9). Ob eine Substi-
Mitgliedern transparent machen. Nach Umset- tution der Generalversammlung durch eine Ver-
zung der Förderabsichten in der Periode wird die treterversammlung letztlich auch erfolgt, bleibt
Bewertung über den Fördererfolg letztlich wieder einzelfallabhängig. Mitgliederstarke Genossen-
vom Urteil der Mitglieder abhängen. Zur Trans- schaften werden schon aus Praktikabilitätsgrün-
parenz bietet sich dazu ein spezieller Förder- den darum nicht umhin kommen. Auch Kosten-
bericht an. Freilich bleibt zu konstatieren, dass gründe und Erfahrungswerte über das Mitglieder-
die genannten Instrumente in der Praxis noch verhalten sind weitere Bestimmungsfaktoren.
selten genutzt werden. Die Möglichkeit einer Vertreterversammlung
Hauptaufgabe des Aufsichtsrats ist die Über- selbst wurde bereits vom Gesetzgeber im Jahr 1922
wachung der Geschäftsführung des Vorstands.8 eingeführt. Seitdem sank die Zahl der Mitglieder,
Vorbehaltlich abweichender Satzungsregelungen ab welcher sie eingeführt werden konnte, konti-
besteht er aus drei natürlichen Personen, die von nuierlich von 10.000 über 3.000 auf seit der Ge-
der Generalversammlung gewählt werden.9 Amts- setzesnovelle im Jahr 1973 aktuell noch 1.500 Mit-
dauer und Abberufung regelt die Satzung. Gute glieder ab (Bloehs et al. 2012: 43a). Gerade diese
Aufsichtsratstätigkeit im Sinne der genossen- Entwicklung ist kritisch zu sehen, wird doch das
schaftlichen Werte zeichnet sich insbesondere einzelne Mitglied in seiner persönlichen demo-
dadurch aus, dass der Aufsichtsrat die Reihen der kratischen Willensäußerung beschnitten und von
relevanten Mitgliedergruppen repräsentiert, den einer direkten Einflussnahme auf die Zielbildung
Vorstand nicht nur kontrolliert und dessen Han- ausgeschlossen – selbst Kleinaktionäre einer Ak-
deln kritisch hinterfragt, sondern parallel auch tiengesellschaft genießen schließlich Rederecht auf
an der langfristigen strategischen Ausrichtung der Hauptversammlung (Vogt 2010: 35). Reichel
der Genossenschaft aktiv mitarbeitet (Vogt 2010: beschreibt den Trend ab den 1970er Jahren mit
33, 34). einer veränderten Rolle des Gewinns und dem
Die Versammlung aller Mitglieder, die Gene- zunehmenden Wettbewerbsdruck sowie einer
ralversammlung, ist das höchste Entscheidungs- damit einhergehenden verminderten demokra-
und Willensbildungsorgan der Genossenschaft. tischen Mitbestimmung, was sich beispielsweise
Ihre Beschlussfassung nach Vorgaben des Geset- auch in der Option einer Vertreterversammlung
zes bezieht sich auf die Wahl der Organe Vorstand ausdrückt (Reichel 2012: 7).
und Aufsichtsrat und deren Entlastung, daneben
14
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
15
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
16
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
2.3.4 Die Konsumgenossenschaften reine Selbsthilfe auf dem Wohnungssektor nie ge-
geben, denn ohne Hilfe von außen bei der Finan-
Konsumgenossenschaften sind eine besondere zierung war diese den Betroffenen niemals mög-
Form der Genossenschaften im Einzelhandel, lich gewesen (Mersmann/Novy 1991: 53).
welche sich primär mit dem Vertrieb von Nah- Das Alleinstellungsmerkmal von Wohnungs-
rungs- und Genussmitteln sowie von Gütern des genossenschaften ist, dass sie „flexibel wie Miete
täglichen Bedarfs befassen. Als Verbraucherge- und sicher wie Eigentum“ sind. Sie gewährleisten
nossenschaften haben sie das Ziel, die Lebenshal- ihren Mitgliedern ein lebenslanges Wohnrecht
tung ihrer Mitglieder durch eine günstigere und (sogenanntes Dauernutzungsrecht) zu – im Ver-
effizientere Warenversorgung zu verbessern. An- gleich zur ortsüblichen Vergleichsmiete – regel-
ders als noch zu Zeiten der Weimarer Republik mäßig günstigen Mieten (sogenannten Nutzungs-
stellt dies allerdings heute kaum noch eine He- gebühren). Weiterhin kennzeichnen Wohnungs-
rausforderung dar, sodass Verbraucher vielfach genossenschaften niedrige Fluktuationsraten und
keinen Nutzen mehr darin sehen, Mitglied in geringer Leerstand sowie tendenziell hohe Aus-
einer Konsumgenossenschaft zu sein. Insofern gaben für Instandhaltung und Modernisierung.
konnten nur wenige klassische Konsumgenos- Wohnungsgenossenschaften bieten ihren
senschaften dem Wandel in der Gesellschaft und Nutzerinnen und Nutzern (Mieterinnen und Mie-
im Konsumverhalten standhalten. tern) ein attraktives Wohnumfeld, eine aktive
Allerdings zeigen sich in jüngerer Zeit gerade Einflussnahme auf Modernisierung und Instand-
in ländlichen Regionen infolge des Rückzugs von haltung sowie häufig auch ein breites Spektrum
Lebensmitteleinzelhandel und Discountern ver- wohnbegleitender Service- und Dienstleistungen.
mehrt Neugründungen von sogenannten Dorf- Ebenso sind sie seit jeher in der Stadtentwicklung
läden (Eichwald/Lutz 2011: 84) – wenn auch und der sozialen Stabilisierung15, häufig auch als
nicht immer in genossenschaftlicher Rechts- privater Bauträger und Verwalter für Dritte tätig.
form.14 Daneben betreut der Zentralverband deut- Die 46 eingetragenen Wohnungsgenossenschaf-
scher Konsumgenossenschaften e. V. heute eine ten mit eigener Spareinrichtung (Stappel 2011:
Vielzahl weiterer Genossenschaften außerhalb 19) stellen insofern eine Besonderheit dar, weil
klassischer Konsumbereiche, wie beispielsweise mit diesem Instrument bewusst die Finanzie-
Schul-, Energie- oder Kulturgenossenschaften. rungsquelle aus dem Mitgliederkreis genutzt
Wenige klassische Konsumgenossenschaften wird.16 Hierzu brauchen sie eine Zulassung durch
im Lebensmitteleinzelhandel sind bis heute übrig die BaFin und gelten so formal als Kreditinstitut
geblieben, laut Genossenschaftsstatistik sind es mit Einlagengeschäft. Sie setzen diese Einlagen
gerade noch 32 (im Vorjahr 35), die von etwa wiederum gezielt als Finanzierungsinstrument im
355.000 Mitgliedern getragen werden und die genossenschaftlichen Wohnungsbau und damit
rund 14.000 Menschen eine Beschäftigung geben für die Wohnversorgung ihrer Mitglieder ein
(Stappel 2001: 18, 40). (Vogt 2010: 45, 46).
Die Gesamtzahl aller Wohnungsgenossen-
2.3.5 Die Wohnungsgenossenschaften schaften in Deutschland ist im Jahr 2010 um zwei
auf 1.931 zurückgegangen. Die Summe von
Wohnungsbaugenossenschaften sind eigentlich 2,8 Millionen Mitgliedern ist gegenüber dem Vor-
„Genossenschaften von Wohnungssuchenden“. jahr nahezu konstant geblieben, wobei der Woh-
Ihrer wirtschaftlichen Funktion nach sind sie nungsbestand mit 2,2 Millionen Einheiten aller-
Konsumgenossenschaften. Allerdings hat es eine dings etwas niedriger lag (Stappel 2011: 18, 19).
14 Oftmals in der Form des Wirtschaftlichen Vereins, siehe dazu Beispiele von Grumbach und rechtliche Einordnung von Bösche in
Grumbach/Bösche (2010).
15 Zur Solidarfunktion von Wohnungsgenossenschaften siehe Kapitel 4.4.2.
16 Zu den Schwierigkeiten der Mitgliederfinanzierung siehe Kapitel 8.3.
17
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
18
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
19
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
– mittels der ausdrücklichen Öffnung des För- Unbestritten wurden durch die Novelle punktuelle
derzwecks auf soziale und kulturelle Belange Verbesserungen erreicht. Fraglich ist hingegen, ob
der Mitglieder; die Erleichterungen aus der Gesetzesnovelle 2006
– durch eine Stärkung der Satzungsautonomie, entscheidend für den erfreulichen, im Gegensatz
insbesondere durch vereinfachte Regelungen zu anderen Unternehmensformen jedoch ver-
für sogenannte kleine Genossenschaften (ge- haltenen Aufwind der Genossenschaft waren.21
meint sind nach Paragraf 9 Absatz I S. 2 GenG Aus den Expertinnen- und Expertengesprächen
Genossenschaften unter 20 Mitgliedern); wurde deutlich, dass die Gesetzesnovelle 2006
– über die explizite Zulassung und weitere Stär- zumindest nicht ursächlich für die steigenden
kung sogenannter investierender Mitglieder Gründungszahlen in den Folgejahren war. Er-
nach Satzung (Gleichstellung mit den Rege- leichterungen durch Abbau bürokratischer
lungen der SCE); Hemmnisse sind zwar positiv zu werten, wesent-
– durch Vereinfachungen bei der genossen- lich mehr zum Gründungsboom beigetragen
schaftlichen Pflichtprüfung; haben aber, so wurde konstatiert, der Bewusst-
– über Gründungserleichterungen (insbesonde- seinswandel in der Bevölkerung verbunden mit
re Reduktion der erforderlichen Gründungs- finanziellen Anreizen mittels Subventionen, was
mitglieder von sieben auf drei nutzende Mit- gerade für die Förderstruktur im Bereich der
glieder). Energiegenossenschaften zutrifft.
20
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Genossenschaften gelten in einer vom Share- Jahr 1849. Er war daneben wesentlicher Schöpfer
holder-Value geprägten Gesellschaft als überholt des späteren Genossenschaftsgesetzes und paral-
und wirklichkeitsfremd. Doch ihr Image scheint lel dazu auch die treibende Kraft des genossen-
sich langsam zu wandeln. Bestes Beispiel dafür schaftlichen Verbandswesens (Eichwald/Lutz 2011:
sind die Kreditgenossenschaften: Noch vor der 32-33). Schulze-Delitzsch assoziierte seine Idee
Finanzkrise vielfach als altbacken belächelt, ist der Genossenschaft mit den „Grundregeln genos-
ihr eher bodenständiges Geschäftsmodell heute senschaftlichen Verhaltens“, basierend auf den
wieder attraktiv und in aller Munde. Auch die Werten von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und
Neugründungen außerhalb der traditionellen Selbstverantwortung (Eichwald/Lutz 2011: 44).
Sektoren, oft getragen von bürgerschaftlichem Der genossenschaftliche Grundgedanke der
Engagement, bestätigen diesen Imagewandel. Selbsthilfe meint den Zusammenschluss von Per-
Worin unterscheiden sich Genossenschaften nun sonen, die gemeinsam solche Aufgaben überneh-
aber genau von anderen Unternehmensformen? men, die der Einzelne in seinem Umfeld nicht für
Und was hat es mit den genossenschaftlichen sich alleine bewerkstelligen kann (Vogt 2011: 2).
Werten und Idealen tatsächlich auf sich? Der Das bedeutet aber auch, dass der Selbsthilfe-
nachfolgende Abschnitt stellt diese Fragen in den gedanke in deutlichem Gegensatz zu Gemein-
Mittelpunkt der Betrachtung. nutzen und Gemeinwirtschaft steht. Genossen-
schaften sind dem Wohl ihrer Mitglieder ver-
pflichtet, nicht den Interessen der Allgemeinheit.
3.1 Die sogenannten Grundregeln Nach Schulze-Delitzschs Verständnis kann die
genossenschaftlichen Verhaltens Situation des Einzelnen verbessert werden, indem
die Kräfte der Gemeinschaft mobilisiert werden
Neben dem bereits erwähnten Gründervater und das Mitgliederwirtschaften gefördert wird.
Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 - 1888) gehen Im Laufe der Zeit wurde das Prinzip der Selbst-
die Grundsätze des deutschen Genossenschafts- hilfe allerdings zunehmend aufgeweicht. Spätes-
wesens wesentlich auf Hermann Schulze-De- tens mit der Öffnung des Förderauftrags in der
litzsch (1808-1883) zurück. Er war Abgeordneter Gesetzesnovelle 2006 auf soziale und kulturelle
der Preußischen Nationalversammlung und des Belange bewegt sich eine Genossenschaft mit
Deutschen Reichstags sowie liberaler Wirtschafts- einem solchem Förderauftrag, sobald sie Leis-
politiker und Anwalt. Hervorgetan hat er sich als tungen nicht mehr ausschließlich für die Mit-
Gründer der ersten ländlichen Spar- und Kredit- glieder anbietet, in einem auf das Gemeinwohl
genossenschaft, dem Eilenburger Vorschussver- orientierten Bereich der Daseinsvorsorge. Dies
ein anno 1850, und der ersten gewerblichen Ge- trifft insbesondere auf die sogenannten Sozial-
nossenschaft, der Schuhmacher-Assoziation im genossenschaften zu.22
23 § 9 II S. 1 GenG.
21
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Der Grundsatz der Selbstverwaltung meint, sammenhalt unter den Mitgliedern. Beides steht
dass die Mitglieder ihre Genossenschaft in Eigen- im Widerspruch zu „kapitalistischen“ Verhaltens-
regie leiten und damit der genossenschaftliche weisen wie Profitmaximierung und Übervortei-
Erfolg oder Misserfolg letztlich vom eigenen Ge- lung wirtschaftlich Schwächerer. Um es anders
schick abhängt. Erkennbar wird das durch die auszudrücken: „Die Genossenschaft funktioniert
Stellung der Organe der Genossenschaft basie- gerade deshalb, weil niemand gierig ist!“ (Vogt
rend auf dem Prinzip der Selbstorganschaft: Mit- 2010: 12).
glieder des Vorstands und des Aufsichtsrats müs- Die dritte Grundregel, die der Selbstverant-
sen als natürliche Person zugleich Mitglieder der wortung, knüpft letztlich an den Gedanken der
Genossenschaft sein.23 Kritisch ist aber anzumer- Solidarhaftung an. Die Mitglieder stehen, so die
ken, dass insbesondere in größeren Genossen- Intention der Gründerväter, für die Verbindlich-
schaften aus betriebswirtschaftlichen Gründen keiten ihrer Genossenschaft persönlich ein. Die
diese Selbstorganschaft häufig unterlaufen wird: gesetzliche Regelung der unbeschränkten Haf-
Fachkundige Personen werden zunächst zu Mit- tung der Mitglieder im Falle der Insolvenz der
gliedern gemacht, um sie dann in entsprechende Genossenschaft ist allerdings abdingbar; die so-
Ämter heben zu können, weil sich, vielleicht auch genannte Nachschusspflicht wird heute in der
nur vorgeschoben, scheinbar keine fachlich ge- Praxis in den Satzungen zumeist ausgeschlossen.
eigneten Personen aus den eigenen Reihen finden Auch die vom Gesetz vorgesehene beschränkte
lassen (Vogt 2010: 31). So ist zu beobachten, dass Nachschusspflicht ist praktisch unbedeutend. In-
in Anlehnung an die Kapitalgesellschaften auch sofern hat sich dieser Grundsatz heute sicherlich
in Genossenschaften immer weiter professionelle relativiert. Da die Rechtsform jedoch keines ver-
Strukturen geschaffen und genossenschaftliche pflichtenden Mindestkapitals bedarf und das Ge-
Führungspositionen vielfach mit Externen, also schäftsguthaben zudem variabel ist, muss der
Genossenschaftsfremden besetzt werden. Ein Gläubigerschutz anderweitig, konkret durch die
Trend, der bedenklich stimmt. genossenschaftliche Pflichtprüfung, hergestellt
Selbstverwaltung meint jedoch auch die de- werden.25
mokratische Willensbildung in der Generalver-
sammlung, in der Abstimmungen regelmäßig
nach dem Kopfprinzip, also unabhängig von der 3.2 Genossenschaftliche Prinzipien
Zahl der vom Mitglied übernommenen Anteile,
vollzogen werden.24 Das macht Genossenschaf- Der Dreiklang von Selbsthilfe, Selbstverwaltung
ten zwar nicht unabhängig vom Kapital, schützt und Selbstverantwortung gilt heute im Grundsatz
sie aber vor kapitalistischer Einflussnahme (Gel- noch immer. Dennoch: Bedürfnisse haben sich
lenbeck 2012: 12). Da jedes Mitglied nur eine gewandelt – und mit ihnen auch die Werte und
Stimme hat, egal wie viel es in die Genossenschaft Ideale der Rechtsform.
investiert hat, ist es finanzstarken Teilhaberinnen
und Teilhabern nicht möglich, sich der Kontrolle 3.2.1 Förderprinzip und Identitätsprinzip
zu bemächtigen oder gar die Genossenschaft
feindlich zu übernehmen. Die demokratische Betrachtet man Genossenschaften in ihrer histo-
Selbstverwaltung ist ein Wesenskern von Genos- rischen Perspektive, dann ist in Deutschland, im
senschaften und eng verwandt mit den genos- Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie
senschaftlichen Idealen von Solidarität und Zu- England oder Frankreich, seit jeher eine eher libe-
24 § 43 III Nr. 1 GenG begrenzt Mehrstimmrechte auf drei Stimmen, wobei bei Beschlüssen, die nach dem Gesetz zwingend einer Mehrheit
von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen oder einer größeren Mehrheit bedürfen, sowie bei Beschlüssen über die Aufhebung oder
Einschränkung der Bestimmungen der Satzung über Mehrstimmrechte ein Mitglied, auch wenn ihm ein Mehrstimmrecht gewährt ist,
nur eine Stimme hat.
25 Zur genossenschaftlichen Pflichtprüfung siehe Kapitel 4.2.
22
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
rale Ausrichtung prägend. Genossenschaften se- in ganz besonderer Weise ausgeprägt ist: Die
hen sich in Deutschland gerade nicht als Elemen- Mitglieder sind zugleich Eigentümer und Be-
te eines alternativen Wirtschaftssystems. So ver- schäftigte des von ihnen gegründeten oder ge-
wundert es nicht, dass es sich auch bei der weit meinsam betriebenen Unternehmens.
überwiegenden Anzahl der deutschen Genossen- Die Besonderheit der deutschen Genossen-
schaften um sogenannte Fördergenossenschaften schaften ist, dass sie als Fördergenossenschaften
handelt, bei denen die wirtschaftliche Förderung einzig ihren Mitgliedern verpflichtet sind. Ferner
auch den wesentlichen Förderzweck darstellt. wird dieser Förderauftrag von wirtschaftlichen
Doch dieses Genossenschaftsmodell ist außerhalb Zielen dominiert. Eine Genossenschaft kann sich
Deutschlands wenig bekannt (Reichel 2012: 4, 8). jedoch (und mit der Gesetzesnovelle 2006 sogar
Es lässt sich aus der doppelten Identität der Ge- ausdrücklich) sozialen oder kulturellen Zwecken
nossenschaften ableiten und stellt bis heute die verpflichten. Folglich wird die Rechtsform gerade
oberste Leitmaxime dar; eine wirtschaftliche För- auch für solche Kooperationen möglich, deren
derung ist quasi ihr unveränderliches und absolu- Mitglieder nicht ökonomisch, sondern sozial
tes Wesensprinzip (Grosskopf et al. 2009: 18, 19). oder kulturell gefördert werden sollen. Und gera-
Förder- und Identitätsprinzip müssen insofern de dadurch erlangen solche Genossenschaften
auch immer gemeinsam betrachtet werden. häufig eine über den Mitgliedernutzen hinaus-
Der Förderauftrag der Genossenschaften geht gehende, gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung.
vom Grundgedanken des Mitgliederwirtschaftens
aus. Die Mitglieder der Genossenschaft sind 3.2.2 Demokratieprinzip und Solidaritätsprinzip
zugleich die Kunden ihrer Genossenschaft. Eine
Mitgliedschaft soll demzufolge gerade nicht als Demokratie und Solidarität sind zwei weitere
Kapitalanlage dienen, sondern erst die Geschäfts- Prinzipien, die Genossenschaften auszeichnen
beziehung ermöglichen. und von Unternehmen mit ausschließlichem
Dabei bündeln Genossenschaften das, was Profitstreben sowie anderen Rechtsformen un-
vorher auf zwei Marktparteien aufgeteilt und von terscheiden.
divergierenden Interessen geprägt war, auf eine Basierend auf dem Grundsatz der Selbstver-
(nämlich die schwächere) Partei, und lassen es waltung zeigt sich das Demokratieprinzip ins-
von ihr durchführen. Träger und Nutzer, Inhaber besondere darin, dass für die Mitglieder in Ge-
und Kunde der genossenschaftlichen Leistung sind nossenschaften gerade nicht die Höhe der Kapi-
damit – im Idealfall – identisch. Gerade diese talbeteiligung und die mit ihr in anderen Unter-
doppelte Identität ist ein wesentliches Kriterium nehmensformen verbundenen Kontrollrechte im
zur Abgrenzung der Genossenschaft gegenüber Vordergrund stehen. Stattdessen erfolgt die de-
anderen Rechtsformen. In konkreter Ausgestal- mokratische Entscheidungsfindung in der Gene-
tung heißt das beispielsweise, dass Kreditnach- ralversammlung grundsätzlich nach dem Kopf-
frager zu ihren eigenen Kreditgebern oder Mieter prinzip, also nach dem Grundsatz des gleichen
zu ihrem eigenen Vermieter werden. Durch diese Stimmrechts für alle, unabhängig von der Höhe
doppelte Identität lassen sich in der Gemein- der vom Mitglied übernommenen Geschäftsan-
schaft gerade solche Kostenvorteile erlangen, die teile.26 Kontroll- und Entscheidungsrechte, die
der Einzelne für sich allein nicht realisieren kann. nicht von der Höhe der Kapitalbeteiligung ab-
Zudem fördert sie Qualitätsbewusstsein und wirt- hängen sowie die Willensbildung und Kontrolle
schaftliches Handeln (Vogt 2010: 24). Eine Be- durch die genossenschaftliche Selbstverwaltung
sonderheit stellt die sogenannte Produktivge- verkörpern damit die wesentlichen Elemente
nossenschaft dar, in welcher das Identitätsprinzip einer demokratischen Ausrichtung. Außerdem
26 Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann die Satzung Mehrstimmrechte vorsehen, wobei diese auch nur höchstens zehn Prozent
der in der Generalversammlung anwesenden Stimmen ausmachen dürfen (§ 43 III GenG).
23
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
sichern lange Kündigungsfristen den Zusammen- Nachschusspflicht der Mitglieder (die freilich in
halt und unterbinden die Gefahr einer kurzfristig den Satzungen häufig ausgeschlossen wird). Mit
motivierten Kapitalverwertung von Anfang an dem Solidaritätsprinzip eng verknüpft sind aber
(Vogt 2010: 29, 30). auch weitere Merkmale genossenschaftlichen
Dennoch ist das Demokratieprinzip bei Ge- Wirtschaftens, die den „Genossenschaftsgeist“
nossenschaften, die im marktwirtschaftlichen und die Unverwechselbarkeit des Genossen-
Wettbewerb stehen, erheblich unter Druck ge- schaftswesens ausmachen. Dazu zählt (Grosskopf
raten (Reichel 2012: 7). Reichel verwies darauf, et al. 2009: 39):
dass gerade größere Genossenschaften eine ver- – der jederzeit mögliche freiwillige Ein- und Aus-
minderte demokratische Mitbestimmung und tritt der Mitglieder;
sinkende Partizipation zeigen (Reichel 2012: 7). – die freiwillige Bindung an selbst gesetzte Re-
So nähern sich Entscheidungsstrukturen, gerade geln;
in großen Genossenschaften, immer mehr denen – die Gleichheit der Mitglieder, unabhängig von
ihrer kapitalorientierten Wettbewerber an, Füh- der Höhe ihrer Kapitalbeteiligung;
rungskräfte stammen oft nicht mehr aus dem – der Eigennutzen, der jedoch nur gemeinschaft-
Genossenschaftsumfeld und Mitgliederversamm- lich und im Einklang mit dem gemeinsamen
lungen werden als Vertreterversammlungen ab- Nutzen aller Mitglieder verfolgt werden kann;
gehalten und verfolgen nicht mehr das Ziel der – die sogenannte genossenschaftliche Rückver-
Aktivierung der Mitglieder. Daneben höhlen gütung als die der Rechtsform explizit inne-
Mehrstimmrechte, auch wenn sie nur unter strik- wohnende Besonderheit einer möglichen Ver-
ten Voraussetzungen in der Satzung vereinbart teilung der Ergebnisse der gemeinsamen Arbeit
werden können, tendenziell das Demokratie- im Verhältnis zum Umfang der Leistungsbezie-
prinzip aus (Vogt 2010: 32). hungen mit dem Gemeinschaftsbetrieb.27
Genossenschaften verlieren durch diese Ent- Kommt das Solidaritätsprinzip nicht zum Tragen,
wicklung ihren spezifischen Charakter und öko- besteht die Gefahr, dass die Gründung einer
nomisch gesehen auch die komparativen Vor- Genossenschaft entweder erst gar nicht zustande
teile, die die Rechtsform gegenüber anderen kommt oder, sofern sie bereits am Markt etabliert
Unternehmensformen bietet. Eine der aktuellen ist, die Genossenschaft in Krisenzeiten relativ
Herausforderungen gerade für die großen, viel- schnell auseinanderzufallen droht (Klemisch/
fach am Benchmark des Kapitalmarkts orientier- Flieger 2007: 4). Genossenschaften benötigen
ten Marktgenossenschaften lautet demnach – also für ihr Zustandekommen, genauso wie für
sofern sie den Weg etablierter Organisationen ihre dauerhafte Existenz, einen Kernbestand an
gegangen und dieses Interesse sukzessive über das Gemeinsamkeiten ihrer Mitglieder oder, wie die
ihrer Mitglieder gestellt haben –, die demokra- Managementlehre sagen würde, eine Corporate
tische Partizipation zu revitalisieren und die Identity.
Mitglieder wieder unmittelbar, nicht nur reprä-
sentativ, zu beteiligen (Reichel 2012: 11).
Am vierten genossenschaftlichen Prinzip, 3.3 Mitglied ist nicht gleich Mitglied
dem Solidaritätsprinzip, lassen sich die genossen-
schaftlichen Werte, Einstellungen und Verhal- Bei der weitaus überwiegenden Zahl der deut-
tensweisen sicherlich am deutlichsten erkennen. schen Genossenschaften handelt es sich um so-
Basierend auf dem Grundgedanken der genossen- genannte Hilfs- oder Fördergenossenschaften, die
schaftlichen Selbstverantwortung meint Solida- dadurch gekennzeichnet sind, dass ihre Mitglie-
rität in erster Linie die schon angesprochene der über die Genossenschaft Leistungen beziehen
Solidarhaftung im Falle der Insolvenz über die oder einbringen, die der ergänzenden Unterstüt-
24
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
zung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit dienen. Da- bindung zum Gemeinschaftsbetrieb und die Par-
mit grenzen sie sich von den Voll- oder Produk- tizipation an Willensbildung und Kontrolle suk-
tivgenossenschaften ab, deren Ziel die direkte zessive eingestellt (Grosskopf et al. 2009: 50).
und unmittelbare Förderung der Mitglieder selbst Von den passiven Mitgliedern strikt abzu-
ist und somit primär in der Beschaffung und dem grenzen sind die Kunden, also Personen, welche
Erhalt von Arbeitsplätzen und bezahlter Arbeit die genossenschaftliche Leistung zwar in An-
liegt (Vogt 2010: 60). spruch nehmen, aber bislang (noch) nicht Mit-
Ausgehend vom Identitätsprinzip sind die glied geworden sind. Heute betreiben gerade
Mitglieder zugleich auch die Nutzer der genos- Marktgenossenschaften häufig dieses „Nicht-
senschaftlichen Leistung, und damit aktive Mit- mitgliedergeschäft“ oder „Nur-Kundengeschäft“.
glieder. Darüber hinaus kann die Satzung bestim- Man kann beobachten, dass bei einer Reihe von
men, dass Personen, die für eine Nutzung der Genossenschaften, vor allem im kreditgenossen-
Dienste der Genossenschaft nicht infrage kom- schaftlichen Sektor, das eigentlich ergänzende
men, als „reine Geldgeber“‚ sogenannte investie- Nichtmitgliedergeschäft gegenüber dem Mit-
rende Mitglieder, in begrenzter Anzahl zugelassen gliedergeschäft mittlerweile sogar überwiegt
werden können. Sie dürfen dann aber weder im (Grosskopf et al. 2009: 75, 171). Das Kerngeschäft
Aufsichtsrat noch in der Generalversammlung hingegen, die Förderung der Mitglieder, spielt
eine dominierende Rolle einnehmen (folgerich- dann nur noch eine untergeordnete Rolle (mög-
tig können sie die aktiven Mitglieder nicht über- licherweise noch zusätzlich verschärft durch das
stimmen).28 Der Grund für diese Beschränkung Zulassen von investierenden Mitgliedern).
der Rechte der investierenden Mitglieder besteht Die Ausweitung des Nichtmitgliedergeschäfts
darin, dass die Interessen von aktiven Mitgliedern ist aus mehreren Gründen eine problematische
und investierenden Mitgliedern auseinanderdrif- Entwicklung: Rechtlich betrachtet ist eine Ge-
ten können, mit der Folge, dass die Identität von nossenschaft mitgliedernützlich, ihr Zweck darf
Mitglied und quasi Geschäftspartner zunehmend nicht darauf gerichtet sein, anstelle der Mitglie-
verwässert würde. Dennoch stellen investierende der Dritte zu fördern. Ein ergänzendes Nichtmit-
Mitglieder eine Möglichkeit dar, um die gerade in gliedergeschäft darf daher nur betrieben werden,
neu gegründeten, kapitalintensiven Genossen- um dadurch die Mitglieder entweder besser oder
schaften (beispielsweise im Energiebereich) viel- überhaupt erst fördern zu können (Beuthien et al.
fach bestehenden Finanzierungsprobleme zu 2008: 3, 172). Außerdem besteht konkret die Ge-
mildern. Ihre Erwartungshaltung ist indes häu- fahr, dass nicht mehr der Fördererfolg, sondern
fig von kapitalverwertenden Interessen und nicht die kapitalbegleitende Rendite sich als primäre
von dem einer tatsächlichen Leistungsbeziehung Zielgröße genossenschaftlichen Wirtschaftens
geprägt. etabliert. Anstatt ökonomischer Nutzenmaxi-
Eine weitere Mitgliedergruppe stellen die mierung für die Mitglieder stehen dann Gewinn-
passiven Mitglieder dar, welche kaum noch Leis- maximierung und Kapitalrendite im Vorder-
tungskontakte zum genossenschaftlichen Ge- grund. Verbunden mit professionellen Manage-
schäftsbetrieb unterhalten, da sie entweder reine mentstrukturen und immer komplexerer Ge-
Kapitalinteressen zeigen, oder aber ihre Bindung schäftstätigkeit entwickeln sich solche Genos-
an die Genossenschaft sukzessive aufgegeben senschaften aber zu beliebigen, „normalen“ Un-
haben. Vielfach haben sie sich nach einer Zeit ternehmen.
aktiver Mitgliedschaft zunehmend entfremdet Nicht mit dem eigentlichen Förderzweck zu
und stehen jetzt dem genossenschaftlichen För- verwechseln sind neuere, häufig von den Kredit-
derzweck eher indifferent gegenüber. Zwar sind genossenschaften aufgelegte Mitglieder-Mehr-
sie noch immer Mitglied, haben aber ihre Ver- wert-Programme, die den Mitgliedern diverse
25
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Vergünstigungen bieten sollen (zum Beispiel Son- Bei der börsennotierten AG ist der erwirt-
derkonditionen bei Mobilfunktarifen, Angebote schaftete Shareholder-Value ausschlaggebend da-
im Bereich Freizeit oder Urlaub). Diese basieren für, ob die Aktionäre und Investoren entweder
nicht auf den Leistungsbeziehungen aus und mit zusätzliches Kapital bereitstellen oder ihre Aktien
dem gemeinsamen Geschäftsbetrieb, sondern wieder verkaufen. Wesentlicher Entscheidungs-
existieren von diesen völlig getrennt. Hier fördert maßstab dafür sind die Höhe der Dividende sowie
die Genossenschaft nicht selbst, sondern lässt ein möglichst früher Zeitpunkt ihres Zuflusses
ihren Mitgliedern fremd – durch externe Leis- beim Anteilseigner. Das rein auf Kapitalmeh-
tungsanbieter – Nutzen stiften, in der Erwartung, rung ausgerichtete Ziel des Anteilseigners be-
dass die Mitglieder diesen Zusatznutzen auch gründet sein Verhältnis zum Unternehmen, wel-
dem genossenschaftlichen Förderzweck zuschrei- ches tendenziell anonym ist. Das Unternehmen
ben (Ringle 2010: 17, 25). Ein Diskutant formu- wird aufgrund der Dominanz anonymer Kapital-
lierte dazu treffend: „Wertorientiert im Sinne des interessen und der Unvollkommenheit der Kapital-
genossenschaftlichen Förderzwecks ist nicht gleich märkte wiederum dazu getrieben, eher kurzfris-
werte-orientiert im Sinne von Nichtmitgliederge- tige Ertragssteigerungen statt langfristigen Erfolg
schäft und Kundenbindungsprogrammen!“ anzustreben.
Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Anders bei Genossenschaften: Eine Genos-
Kritisch ist zu sehen, wenn Genossenschaften senschaft kann zwar grundsätzlich jeden Unter-
Mitglieder und Kunden nahezu gleich behandeln nehmensgegenstand verfolgen, allerdings nicht
und sich die Abgrenzung der beiden Gruppen zu- ausschließlich, um einen durch Geschäftsab-
letzt nur noch über die Dividende zeigt. Wenn schlüsse mit beliebigen Dritten erwirtschafteten
die Ausschüttung einer konstanten Dividende, Überschuss rein als Dividende wieder an die
unabhängig von der wirtschaftlichen Situation Mitglieder auszuschütten. Genossenschaften sind
oder der konjunkturellen Lage, die einzige För- keine Handelsgesellschaften. Eine Verzinsung der
derleistung an die Mitglieder darstellt, dann Geschäftsguthaben (im Sinne einer Eigenkapital-
wird damit nicht nur das Identitätsprinzip aus- verzinsung) ist laut Gesetz grundsätzlich verbo-
gehöhlt, sondern dann verkommt auch die ge- ten, es sei denn, eine Öffnungsklausel in der Sat-
nossenschaftliche Rechtsform zur Beliebigkeit zung lässt eine solche ausdrücklich zu.29 Aus dem
(Vogt 2010: 27). erwirtschafteten Gewinn auszuschüttende Divi-
denden sind der Genossenschaft grundsätzlich
möglich, wobei hier aber wiederum Paragraf 20
3.4 Member-Value GenG zu beachten ist: Eine Gewinnverteilung
versus Shareholder-Value kann in der Satzung ganz oder teilweise zu Guns-
ten einer Thesaurierung, also zur Stärkung des
Primäres Ziel für die Genossenschaft muss sein, Eigenkapitals, ausgeschlossen werden. Für Genos-
Kundinnen und Kunden zu Inhabern und passive senschaftsanteile gibt es auch keinen Kapital-
zu aktiven Mitgliedern werden zu lassen. Dieses markt und somit können kurzfristige Rendite-
Ziel erreicht die Genossenschaft am besten, wenn interessen hier keine Rolle spielen. Stattdessen
es ihr gelingt, die Exklusivvorteile der Mitglied- kommen anstelle kurzfristiger Shareholder-Value-
schaft, den sogenannten Member-Value, klar er- Orientierung langfristige und nachhaltige, nut-
kennbar herauszustellen. Worum handelt es sich zerorientierte Geschäftsmodelle auf Grundlage
dabei und wie unterscheidet sich der Member- der Identität von Träger und Nutzer zur Geltung,
Value vom Shareholder-Value? was wiederum für eine partnerschaftliche und
26
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
27
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Als wesentliche Unterschiede von Genossen- fest erwiesen haben und sie für viele Wirtschafts-
schaften gegenüber anderen Unternehmensfor- bereiche Vorbildfunktion haben. „Sie denken
men wurden bislang ihr gesetzlicher Förderauf- nicht ausschließlich in Renditehöhe, Quartals-
trag und ihre demokratische Verfassung heraus- zahlen oder kurzfristigen Verzinsungen, sie den-
gestellt. Doch wie steht es um die ökonomische ken vielmehr über den Tag hinaus. Von dieser
Leistungsfähigkeit von Genossenschaften? Inwie- Wirtschaftsweise können wir in Deutschland und
weit schaffen es Genossenschaften, auf Dauer an- der ganzen Welt lernen“ (GdW 2012a: o. S.).
gelegte, stabile Geschäftsmodelle aufzubauen, die Zur Verdeutlichung der Krisenresistenz der
sich im Wettbewerb erfolgreich behaupten? Und Rechtsform werden regelmäßig die Kreditgenos-
wie wird dabei konkret der Member-Value für die senschaften herangezogen. Ihr Geschäftsmodell
Mitglieder generiert? Das nachfolgende Kapitel soll auch im Folgenden als Beispiel dienen, denn
stellt zunächst beispielhaft Erfolgsfaktoren, bezo- in der Tat: Trotz der Diskussion um Kreditklemme
gen auf die inhärente Krisenresistenz der Rechts- und der Forderung nach hinlänglicher Liquidi-
form dar. Die Beispiele etablierter Genossenschaf- tätsversorgung an die Realwirtschaft sind beson-
ten zeigen, wie sich Geschäftsmodelle alltags- ders die Kreditgenossenschaften ihrer Finanzie-
tauglich bewähren und Genossenschaften so die rungsfunktion, gerade für den regionalen Mittel-
marktwirtschaftliche Ordnung stabilisieren. stand, selbst auf dem Höhepunkt der Finanz- und
Wirtschaftskrise weiter nachgekommen.
Das setzte sich im von der europäischen
4.1 Nachhaltiger Erfolg durch langfristige Schuldenkrise geprägten Jahr 2011 weiter fort.
und überschaubare Geschäftsmodelle Hier konnten die Kreditgenossenschaften zu sta-
bilen Finanzierungsbedingungen beitragen und
Gerade die negativen Erfahrungen der Krise und erhöhten ihre Kreditvergabe um 4,5 Prozent auf
ein damit verbundenes gesteigertes Bedürfnis 425 Milliarden Euro, im Wesentlichen verwendet
nach Vertrauen und Sicherheit haben Genossen- für Kredite an den Mittelstand, den Wohnungs-
schaften wieder ins Blickfeld gerückt. Genossen- bau und an Privatpersonen. Positiv trug dazu der
schaften haben nämlich der Finanz- und Wirt- hohe Solvabilitätskoeffizient (16,7 Prozent) bei,
schaftskrise überwiegend erfolgreich getrotzt. der darüber Auskunft gibt, wie stark das haftende
Ihre soliden und seriösen Geschäftsmodelle ma- Eigenkapital belastet ist. Hinzu kam die starke
chen sie gegenüber anderen Rechtsformen offen- Einlagenentwicklung bei den Kreditgenossen-
bar weniger anfällig für Konjunkturschwankun- schaften. Die Kundengelder stiegen im Jahr 2011
gen und Krisen. Das zeigt sich vorrangig an der um mehr als 17 Milliarden Euro auf 524 Milliar-
äußerst geringen Anzahl von Insolvenzen, die den Euro an. Dies führte zu einem Anlageüber-
selbst im Krisenjahr 2009, bezogen auf die Ge- hang von 100 Milliarden Euro. Das Risiko der Re-
samtzahl aller Unternehmensinsolvenzen, bei finanzierung stellt sich somit für die Kreditgenos-
lediglich 0,1 Prozent lag (Blome-Drees 2012a: 3). senschaften aktuell nicht. Dass sie zudem ihren
Auch Bundeswirtschaftsminister Rösler betont, Mitgliedern eine lukrative Anlageform bieten,
dass sich Genossenschaften gerade in den vergan- zeigt die durchschnittliche Dividende aller Ge-
genen Jahren als äußerst krisen- und insolvenz- nossenschaftsbanken von 5,4 Prozent im Jahr
28
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
2011 (FTD 4.5.2012). Auch wenn die Kredit- zuletzt auch deshalb, weil sie keine imageschädi-
genossenschaften im internationalen Vergleich genden Boni-Exzesse demonstrierten, zeichnen
aufgrund ihres Risikomodells niedrigere Gewinne sich die Kreditgenossenschaften als vertrauens-
erzielen, so zeigen sie sich im Gegenzug doch würdige und verantwortliche Unternehmen aus.
deutlich krisenresistenter als andere Banken und Doch langfristig angelegte, risikoarme Ge-
Kreditinstitute. Insofern kann also das deutsche schäftsmodelle finden sich auch auf anderen Sek-
Modell der Kreditgenossenschaften auch inter- toren: Wesentliches Geschäftsfeld der Wohnungs-
national als Vorbild dienen. Stabilitätsfördernde genossenschaften ist die Hausbewirtschaftung,
Elemente bilden im Wesentlichen ein transparen- die Überlassung von günstigem und zeitgemäßem
tes Geschäftsmodell, eine hinlängliche Eigen- Wohnraum an die Mitglieder. Spekulative Ver-
kapitalausstattung, Sicherungseinrichtungen, Re- äußerungen, Renditemaximierung durch Moder-
gionalprinzip31 und die, im Gegensatz zur Aktien- nisierungsverzicht oder bewussten Instandhal-
gesellschaft, eingeschränkte Fungibilität der An- tungsstau finden sich bei ihnen nicht. Parallelen
teile (Otte 2010: 89) aufgrund satzungsrechtlicher lassen sich letztlich in allen genossenschaftlichen
vielfach langer Haltedauern. Sektoren finden. Dabei kann man wohl uneinge-
Das heißt jedoch keineswegs, dass sich Kre- schränkt verallgemeinern: Ruinöse Preiskämpfe
ditgenossenschaften rein auf konservative und bis hin zur Selbstüberschätzung der Risikotrag-
risikoarme Produkte beschränken. Die häufig fähigkeit mit der Folge staatlicher Stützungsmaß-
kleinen örtlichen Volks- und Raiffeisenbanken nahmen stehen einem genossenschaftlichen
stellen die Funktionsfähigkeit des Finanzsystems Geschäftsmodell diametral entgegen. Vielmehr
und die Kreditversorgung des Mittelstands sicher stehen die persönlichen Bedürfnisse der Mitglieder
und konzentrieren sich dabei gerade auf solche im Mittelpunkt, welche zwar nicht ausschließlich
Finanzprodukte, die von der Allgemeinheit über- mit risikolosen, letztlich aber doch überschaubaren
wiegend benötigt und in Anspruch genommen und langfristig orientierten Modellen befriedigt
werden.32 Darüber hinaus werden den Mitglie- werden. Durch Vermeidung hoher Risiken wird
dern sowie den Kundinnen und Kunden aber Schaden von den Mitgliedern ferngehalten. Eine
auch, vielfach durch den bekannten persönlichen genossenschaftliche Pflichtprüfung stellt dafür
Ansprechpartner, und passend zur jeweiligen die Grundlage sicher.
Lebenssituation, weitere anspruchsvolle Finanz-
instrumente der verbundeigenen Spezialunter-
nehmen angeboten. Zu diesem Allfinanzangebot 4.2 Genossenschaftliche Pflichtprüfungen
gehören neben bekannten Dienstleistungen wie als Garant für Stabilität
Versicherungen oder Bausparen mitunter auch
spekulative Instrumente. Durch die Vernetzung Genossenschaften müssen zwingend nach Para-
des kreditgenossenschaftlichen Sektors unter- graf 54 GenG einem Prüfungsverband, dem das
einander und eine hohe Transparenz können Prüfungsrecht verliehen ist, angehören. Inten-
allerdings die damit verbundenen Risiken in en- tion des Gesetzgebers ist, die Pflichtprüfung durch
gen Grenzen gehalten werden. Ein kreditgenos- unabhängige Prüferinnen und Prüfer zu gewähr-
senschaftlicher Sicherungsfonds sorgt zudem für leisten, welche mit dem Genossenschaftswesen
zusätzlichen Anlageschutz. besonders vertraut sind (Bloehs et al. 2012: 54).
Festgehalten werden kann: Durch ihre Stabi- Vorrangige Aufgabe der Prüfungsverbände ist, die
litätsanker von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Genossenschaften zu prüfen, daneben aber auch
Selbstverantwortung, ihren engen Bezug zur Re- weitere Interessen zu übernehmen. Die genossen-
alwirtschaft, die hohen Einlagenpolster und nicht schaftliche Prüfung ist dabei umfassender als die
29
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Prüfung von Kapitalgesellschaften nach Paragraf auch in den Expertinnen- und Expertengesprä-
316 Handelsgesetzbuch (HGB) und betont zudem chen kontrovers diskutiert. Tatsache ist, dass sie
eine zukunftsorientierte Ausrichtung. Sie versteht gerade kleine Genossenschaften schnell finan-
sich als umfassende Beratungs- und Betreuungs- ziell überfordern kann.34 Erleichternd wurde be-
verpflichtung zum Schutz der Mitglieder und reits in der Gesetzesnovelle 2006 eingeführt, dass
stellt den Organen zusätzlich umfangreiches be- bei Genossenschaften, deren Bilanzsumme zwei
triebswirtschaftliches Know-how zur Seite. Inten- Millionen Euro nicht überschreitet, die Jahres-
tion ist eine fortlaufende Entwicklung, Begleitung abschlussprüfung auch in zweijährigem Turnus
und Unterstützung der Genossenschaft. Neben stattfinden kann.35 Bis zu einer Bilanzsumme von
der eher formalen Jahresabschlussprüfung zielt einer Million Euro oder bei Umsatzerlösen unter
die genossenschaftliche Pflichtprüfung auch auf zwei Millionen Euro kann zudem eine Beschrän-
die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse kung des Prüfungsgegenstands ausgeübt werden,
und auf die Ordnungsmäßigkeit der Geschäfts- indem auf die formalen Prüfungshandlungen
führung ab (Esser et al. 2007: 33). Daneben dient von Jahresabschluss, Buchführung und Lage-
sie der Feststellung hinsichtlich der Erfüllung des bericht verzichtet werden kann und stattdessen
jeweiligen Förderauftrags, also dem konkreten lediglich eine „prüferische Durchsicht“ erfolgt
Aufzeigen des in der Periode für die Mitglieder er- (Vogt 2010: 19, 20). Manchen Praktikern gehen
wirtschafteten Member-Value.33 diese Erleichterungen nicht weit genug, für ande-
Neben der obligatorischen Jahresabschluss- re kommen sie aufgrund ihres Geschäftsmodells
prüfung sind für Genossenschaften weitere Son- (zum Beispiel wegen eines hohen Fremdkapital-
derprüfungen in Form von gesetzlichen, sat- anteils) gar nicht infrage, da eine vollumfäng-
zungsmäßigen und vertraglichen Prüfungen so- liche Prüfung seitens der wesentlichen Gläubiger
wie Auftragsprüfungen möglich (Bloehs et al. verlangt wird. Dies ist häufig bei Wohnungs-
2012: 53) – für manche, wie Kredit- oder Woh- genossenschaften der Fall. Wenn die zulässigen
nungsgenossenschaften, auch resultierend aus Erleichterungen jedoch in Anspruch genommen
eigenen, branchenspezifischen Gesetzen. werden können, vermindert sich dadurch auch
Eine für alle Genossenschaften verpflichten- die finanzielle Belastung der Genossenschaft auf-
de zentrale Sonderprüfung stellt die Gründungs- grund der deutlich geringeren Prüfungskosten
prüfung dar. Auch wenn sie zunächst häufig eine spürbar. Die Evaluation zur Novellierung des Ge-
wesentliche finanzielle Belastung bedeutet und nossenschaftsgesetzes von 2006 geht von einer
daneben zeitliche Ressourcen bindet, so ist sie Absenkung der Kosten um etwa 20 Prozent aus
doch Grundlage für künftiges stabiles und siche- (Bundesregierung 2012: Nr. 16).
res Wirtschaften. Denn mit ihr ist sichergestellt, Bestätigt wurde in den Gesprächen aber
dass Unternehmen die Rechtsform dann verwehrt auch: Die Besonderheiten des genossenschaftli-
bleibt, wenn sie mit ihrem Geschäftsmodell von chen Prüfungswesens, gepaart mit fachlicher Be-
vornherein nicht überlebensfähig sind und da- ratung und betriebswirtschaftlichem Know-how
durch letztlich Mitglieder oder Gläubiger finan- der Genossenschaftsverbände, haben sich im
ziell gefährdet würden. Grundsatz bewährt und sind ein wichtiger Er-
Über die genossenschaftlichen Pflichtprü- klärungsansatz für die Krisenresistenz und die ge-
fungen wird schon seit Längerem und wurde ringe Insolvenzquote von Genossenschaften.
30
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
36 Zum Beispiel über Direktgeschäfte von Verbundzentralen in Konkurrenz zu den angeschlossenen Primärgenossenschaften.
37 Beispielsweise die einzelne örtliche Volksbank oder Raiffeisengenossenschaft.
38 Beispielsweise Raiffeisenhauptgenossenschaften.
39 Beispielsweise die DZ-Bank oder das Deutsche Milchkontor.
40 Vgl. zum Finanzverbund Kapitel 2.3.1.
31
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
32
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Region. In Summe wird die Wirtschaftskraft der und andere Infrastrukturleistungen für das Dorf.
Region gefördert. Im Kern geht es ihnen aber um die Sicherung und
Auch neue Genossenschaften tragen in der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen
Übernahme bisher kommunal geprägter Auf- im Dorf und der Region. Sie avancieren dadurch
gaben zum Erhalt von kulturellen, sportlichen nicht selten zu einem sozialen Zentrum in länd-
oder sozialen Aufgaben in ihrem Umfeld aktiv lichen Regionen. Eine besonders positive Aus-
bei. Energiegenossenschaften bieten den Ver- strahlung auf die dörfliche Infrastruktur in länd-
braucherinnen und Verbrauchern in der Region lichen Regionen der neuen Bundesländer haben
nicht nur die Unabhängigkeit von renditegetrie- die aus den LPGs hervorgegangen Agrargenossen-
benen Stromkonzernen, sondern tragen mit ih- schaften. Auch diese sind mehr als nur Landwirt-
rem Geschäftsmodell bewusst zum Umweltschutz schaftsbetriebe, denn sie nehmen wichtige ge-
bei. Dorfladengenossenschaften sichern zumin- samtgesellschaftliche Aufgaben im oftmals struk-
dest die örtliche Grundversorgung ab, wenn Ein- turschwachen Raum Ostdeutschlands wahr. Sie
zelhandel und Discounter längst aus der Region bieten hier zum einen Arbeits- und Ausbildungs-
abgewandert sind. plätze an. So stellen sie z. B. ein Drittel der Aus-
bildungsplätze für Land- und Tierwirte. Für Schü-
4.4.1 Ländliche Genossenschaften und ihre lerinnen und Schüler, Schulabgängerinnen und
Funktion für die dörfliche Infrastruktur Schulabgänger sowie Studentinnen und Studen-
ten werden Praktikumsplätze angeboten. Auch
Als besonderes Beispiel für die regionale Veran- tragen sie zur Pflege und zum Erhalt von Natur
kerung können die Raiffeisen-, Waren und Dienst- und Landschaft bei. Dabei übernehmen sie oft-
leistungsgenossenschaften gelten. Unter diesen mals die Unterhaltung von Grabensystem und
ländlichen Genossenschaften sind die Agrar- Stauanlagen und leisten somit einen Beitrag zum
genossenschaften, aber auch Raiffeisengenossen- Schutz vor Überschwemmungen. Ebenso sind
schaften subsumiert, die als zentrale Handels- Agrargenossenschaften häufig bei der Produktion
partner der Landwirtschaft auftreten. Die Agrar- von erneuerbaren Energien involviert, indem sie
genossenschaften als Nachfolger der ehemaligen Wärme und Strom aus Biogasanlagen zur Versor-
landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaf- gung der dörflichen Einrichtungen einspeisen.
ten haben ca. 41.000 Mitglieder, 23.000 Mitar- Als Arbeitgeber (und damit Steuerzahler) tragen
beitende und verzeichnen einen Umsatz von ca. sie ebenso zum Erhalt der kommunalen Infra-
1,8 Milliarden Euro (Berger 2012: 5ff.). Damit struktur bei, etwa durch das Betreiben von nicht-
erwirtschaften sie ca. 27 Prozent des Umsatzes landwirtschaftlichen Nebenbetrieben wie Tank-
der Landwirtschaft in den neuen Bundesländern. stellen, Autowerkstätten, Hofläden, Gaststätten
Der Förderauftrag wird von Berger, damals Prä- oder Ferieneinrichtungen. Damit entstehen auch
sident des Mitteldeutschen Genossenschaftsver- indirekt weitere Arbeitsplätze. Diese Wertschöp-
bandes, als bestmögliche Bewirtschaftung der fung stärkt die regionale Wirtschaftskraft und
landwirtschaftlichen Nutzfläche beschrieben, die stellt eine Grundversorgung an Dienstleistungen
sich zum überwiegenden Teil im Eigentum der sicher. Die Agrargenossenschaften sind außerdem
Einzelmitglieder befindet. Damit gemeint ist eine ein wichtiger Auftraggeber für Handwerks- und
nachhaltige, umweltverträgliche und tiergerechte Dienstleistungsbetriebe in der Region und durch
Produktion, die nicht von Renditeinteressen ge- ihre breit gestreute Eigentümerstruktur in der ört-
steuert ist. lichen Gemeinschaft gut verankert. Daneben er-
Viele dieser Genossenschaften möchten bringen sie zahlreiche Leistungen durch Spenden,
nicht nur unmittelbaren wirtschaftlichen Mehr- die Bereitstellung von Personal und Räumlich-
wehrt für ihre Mitglieder schaffen, sondern zu- keiten sowie die Veranstaltung von Dorf- und
gleich der Dorfgemeinschaft insgesamt nützlich Hoffesten (DRV 2010: 24ff.). All dies hat eine
sein. Sie übernehmen z. B. in großem Maße die positive Ausstrahlung auf die dörfliche Gesell-
Ausbildung von Lehrlingen und bieten soziale schaft (Eichwald/Lutz 2011: 74).
33
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
In diesem Sinne beschrieb Furkert, Vorstand schaftliche Wohnen kann verstärkt zu Erhalt oder
der Agrargenossenschaft Bobritzschtal, Ober- Steigerung der Lebensqualität in unseren Städten
bobritzsch eG, die Arbeit einer typischen Genos- beitragen (BMVBS/BBSR 2007). Die Orientierung
senschaft in den neuen Bundesländern. Dort an genossenschaftlichen Werten, das Festhalten
wurde eine ehemalige LPG in eine neue Agrar- am gemeinschaftlichen Eigentum, verbunden
genossenschaft überführt. Mit 180 Mitgliedern mit dem Demokratie- und Identitätsprinzip ver-
(meist Gründungsmitgliedern) hat die Genossen- spricht der Genossenschaft eine Zukunft als dritte
schaft 55 Angestellte und ist größter Arbeitgeber Säule der Wohnraumversorgung. Hierzu müssen
im Ort und so etwas wie der Dorfmittelpunkt. Die traditionelle Wohnungsgenossenschaften aktiv
Genossenschaft arbeitet gewinnorientiert, d. h. es die Herausforderungen des strukturellen Wandels
findet eine jährliche Dividendenausschüttung an aufgreifen und als Chance zu einer zeitgemä-
die 180 Mitglieder und die 250 Landverpächter ßen Modernisierung der genossenschaftlichen
statt. Die Produktpalette reicht von Mischfutter Praxis nutzen.
bis hin zur Milchwirtschaft. Eine Biogasanlage, Diese Herausforderungen liegen wesentlich
die zu 90 Prozent mit Gülle betrieben wird, dient im Bereich des demografischen Wandels. Hier
der Heizung der Ställe. Der Überschuss wird ins geht es u. a. um das Experimentieren mit und das
Netz eingespeist. Auswirkungen des demogra- Schaffen von neuen Wohnformen für ältere Men-
fischen Wandels wurden als offenes Problem schen, für Jugendliche, junge Familien, aber auch
benannt: Die Gewinnung von gut ausgebilde- allein lebende und alleinerziehende Frauen. Die
tem Nachwuchs gestalte sich schwierig und die genossenschaftliche Wohnform besitzt sogar eine
Hälfte der Mitglieder habe mittlerweile das Ren- besondere Attraktivität für Frauen und entspricht
tenalter erreicht. den Wünschen nach Gleichberechtigung, soli-
Trotz dieser Schwierigkeiten schaffen gerade darischem Handeln und wirtschaftlicher Unab-
ländliche Genossenschaften einen Mehrwert für hängigkeit. Allein lebende und alleinerziehen-
die Region und tragen zur Lösung sozialer, kom- de Frauen schätzen wirtschaftliche Autonomie,
munaler und arbeitsmarktpolitischer Probleme eine mögliche Verbindung von Wohnen und Ar-
bei. Ebenso können sie einen Beitrag zur Energie- beiten und die alleinige Verfügungsgewalt über
wende und zur nachhaltigen Versorgung mit re- die Wohnung.
gionalen Produkten leisten. Agrargenossenschaf- Wohnungsgenossenschaften zeichnen sich
ten nehmen also eine wichtige gesamtgesell- durch einen hohen Anteil älterer Mitglieder aus.
schaftliche Aufgabe im häufig strukturschwachen Für jede Wohnungsgenossenschaft ist es wichtig,
ländlichen Raum Ostdeutschlands wahr und ge- ihre langjährigen Mitglieder zu binden und durch
nerieren zahlreiche positive externe Effekte. spezielle wohnbegleitende Dienstleistung im Be-
reich Soziales und Freizeit zufriedenzustellen so-
4.4.2 Wohnungsgenossenschaften und ihre wie bedarfsgerechte Angebote zu unterbreiten
Funktion für die Quartiersentwicklung (z. B. barrierefreie Zugänge, mobilitätsunterstüt-
in städtischen Strukturen zende Maßnahmen). Insbesondere Genossen-
schaften in schrumpfenden Regionen experimen-
Wie die Agrargenossenschaften im ländlichen Be- tieren hier kreativ mit neuen Angeboten. Sie er-
reich so übernehmen Wohnungsgenossenschaf- weitern ihr Kerngeschäft, die Versorgung mit
ten bezogen auf das Quartier eine Solidarfunk- Wohnraum, z. B. durch Unterstützungsangebote
tion in städtischen Strukturen, u. a. durch die Er- für das Wohnen im Alter, in der Kooperation mit
gänzung ihres Aufgabenbereichs über die Funk- lokalen Anbietern und professionellen Akteu-
tion der reinen Wohnungsgenossenschaft hinaus. ren pflegender Dienste. Hohe Wohnsicherheit,
Im Zeitraum von 2001 bis 2010 sind 89 junge günstige Mieten und stabile Nachbarschaften
Genossenschaften im Bereich des gemeinschaft- machen das Wohnen für ältere Menschen in Woh-
lichen Wohnens entstanden. Das von Selbsthilfe nungsgenossenschaften attraktiv. Hinzu kommen
und Selbstverantwortung getragene genossen- Innenstadtlage und Größenstruktur der Woh-
34
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
nungen sowie ein vertrautes gemeinsam genutz- Grundstücksangeboten gegeben sind (BMVBS/
tes Wohnumfeld. BBSR 2007: 117ff.) (u. a. WoGeno München und
Genossenschaftliche Wohnquartiere sind Frauen Wohnen).
aber auch insgesamt ein Stabilitätsfaktor für eine Ungebrochen ist der Trend zum Verkauf bzw.
soziale Stadt. Neben der Versorgung ihrer Mit- zur Privatisierung von kommunalen, landes- oder
glieder mit Wohnraum entsteht aus dem Selbst- sonstigen Wohnraumbeständen. Nach den teil-
verständnis vieler Genossenschaften eine Ver- weise erschütternden Erfahrungen mit Über-
antwortlichkeit für das nähere Umfeld und das nahmen durch Investoren wie Private Equity
angrenzende Quartier (BMVBS/BBSR 2007: 90ff.) Fonds oder Cross-Border-Leasing-Modellen bie-
(Beispiele Berlin-Spandau/Berlin-Wedding). Kenn- ten sich Genossenschaften als Alternative an. Die
zeichen ist nicht nur der häufig gute bauliche Zu- Sorge der Mieterinnen und Mieter über die Ent-
stand genossenschaftlicher Wohnbestände, son- wicklung der Mieten oder gar die mögliche Ver-
dern auch die Integration von Bewohnern unter- treibung bei renditeorientierter Privatisierung
schiedlicher Milieus und Ethnien (BMVBS/BBSR kann durch genossenschaftliche Übernahme zer-
2007: 89f./131ff.) (Beispiele Berlin-Kreuzberg, streut werden, kommt aber noch viel zu selten
Solingen). So entstehen auch Genossenschaften zum Tragen (BMVBS/BBSR 2007: 129; Beispiel
in sozialen Brennpunkten als Mischform zwi- Pinneberg).
schen Wohnungs- und Sozialgenossenschaften. Wohnungsgenossenschaften leisten aber
Bekanntere Beispiele wie die Wohnungsbauge- auch ihren Beitrag zur Energiewende, indem sie
nossenschaft „Am Beutelweg“ eG in Trier (Elsen die energetische Gebäudesanierung vorantreiben
1998: 88ff.), „Am Werk“ in Lauchhammer oder und damit dafür Sorge tragen, dass die Betriebs-
die Vermietungsgenossenschaft Ludwig-Frank eG kosten als zweite Miete nicht ins Unermessliche
in Mannheim veranlassen ihre nutzenden Mit- steigen. Bereits heute sind 61 Prozent des Gebäu-
glieder – oftmals zu einem großen Teil Migrantin- debestands von Wohnungsgenossenschaften ener-
nen und Migranten –, ihre Wohnungen und Häu- getisch saniert (Gedaschko 2012; GdW 2012a: 2).
ser in Selbsthilfe zu sanieren, und gründen da- Unser Zwischenfazit lautet: Wirtschaftlich
neben Tochtergesellschaften, um Arbeitslose aus erfolgreiche Genossenschaften zeigen immer
dem eigenen Wohnumfeld mit Service- und auch eine gesamtgesellschaftliche Ausstrahlung
Instandsetzungsarbeiten in dauerhafte Beschäfti- durch die Sicherung und den Aufbau von Arbeits-
gung zu bringen. plätzen, die Aufwertung von Wirtschafts- und
Zunehmend öffnen sich auch etablierte Lebensräumen und die Steigerung lokaler Wert-
Wohnungsgenossenschaften für die Wohnbedürf- schöpfung. Die Beispiele der ländlichen Genos-
nisse von Gruppen, die gemeinschaftlich wohnen senschaften und der Wohnungsgenossenschaften
wollen. Neugründungen finden dort statt, wo es verdeutlichen, welchen Mehrwert gerade die
ein positives genossenschaftliches Gründungs- etablierten Genossenschaften schon seit vielen
klima gibt, d. h. Unterstützungsstrukturen in Jahren in ihrer Region beziehungsweise in ihrem
Form von Beratung, finanzieller Förderung und Quartier generieren.
35
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
36
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Abbildung 1:
Kommune Genossenschaft
• Zwangsgemeinschaft • Freiwillige Gemeinschaft
• Globale Rechte • Gleiche Rechte
• Globale Pflichten • Gleiche Pflichten
✓ Solidarität ✓ Förderprinzip
✓ Identität ✓ Solidarität
✓ Partizipation ✓ Identität
✓ Partizipation
weiterer charakteristischer Unterschied zwischen 2012: 6). Idealtypisch wäre eine wirtschaftliche
Kommune und Genossenschaft besteht in den Förderung der Mitglieder bei Genossenschaften,
konstituierenden Prinzipien. Hier ist es insbeson- die sich im Interesse aller Bürgerinnen und Bür-
dere das Förderprinzip, das die Genossenschaft ger der Kommune für bestimmte Bereiche der
im Gegensatz zur Kommune auszeichnet. Ten- Daseinsvorsorge engagieren, dementsprechend
denziell dürften auch das Solidaritäts- und das nicht beabsichtigt. Historisch betrachtet sind Ge-
Identitätsprinzip in Genossenschaften zumindest nossenschaften neben den Kommunen geradezu
stärker ausgeprägt sein, weil es sich um freiwillige „klassische“ Infrastrukturleistungsträger (Novy
und kleinere Organisationseinheiten handelt. 1985): „Die ersten dörflichen Siedlungsgemein-
Genossenschaften sind in vieler Hinsicht schaften hatten genossenschaftlichen Charakter.
eine geeignete Rechtsform, um bürgerschaftliches Die Genossenschaften entwickelten sich auf der
Engagement, das nicht gewinnorientiert, sondern Grundlage gemeinsamen Grundbesitzes und sess-
auf die Bereitstellung kommunaler Dienstleis- haften Ackerbaus sowie aus dem Bedürfnis, sich
tungen ausgerichtet ist, zu ermöglichen: In Ge- gemeinsam vor fremden Angreifern zu schützen
nossenschaften können Bürgerinnen und Bürger und sich im Alltag gegenseitig Hilfe zu leisten“
gleichberechtigt und in solidarischem Miteinan- (Vogelsang et al. 2005). In der Schweiz gab es
der „ihr“ kommunales Projekt vorantreiben. Ge- bereits im Jahr 1910 ca. 1.500 Energiewirtschafts-
nossenschaften sind in der Lage, Kräfte von un- genossenschaften, die die Versorgung der Bevöl-
terschiedlichen lokalen Akteuren – Bürgerinnen kerung mit Energie gewährleisteten.
und Bürgern, Kommune, regionale Wirtschaft – Mittlerweile belegt eine Fülle von Beispielen,
zu bündeln und auf die jeweils beabsichtigte Leis- dass die regionale Daseinsvorsorge von den Bür-
tung zu kanalisieren. Die Offenheit im Hinblick gerinnen und Bürgern vor Ort auch heute noch
auf die Ausrichtung des genossenschaftlichen in Eigenregie und im Rahmen der genossenschaft-
Förderzwecks ist dafür eine wichtige Voraus- lichen Unternehmensform übernommen und ge-
setzung: Der Förderzweck kann nämlich so aus- staltet werden kann. Einige davon werden weiter
gestaltet werden, dass er dem jeweiligen Versor- unten ausgeführt. Die folgende Übersicht zeigt
gungsinteresse der Kommune entspricht (Eisen zunächst die Tätigkeitsfelder auf, die im Bereich
37
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Abbildung 2:
Wasser Kultur
• Mitsprache in der Preisgestaltung • Aufrechterhaltung von
Kultureinrichtungen,
Bildung
Energie
• Mitsprache in der Preisgestaltung
und ökologische Aspekte Sozial
• Mitsprache in der Preisgestaltung
und soziale Aspekte
Abfall
Gesundheit
• Mitsprache in der Preisgestaltung
und ökologische Aspekte • Aufrechterhaltung von Gesundheits-
einrichtungen und Mitsprache in der
Preisgestaltung
der kommunalen Infrastruktur und Daseinsvor- genossenschaften. In der Kategorie der Handels-
sorge für Genossenschaftsgründungen infrage genossenschaften werden zusätzlich 26 neu ge-
kommen und benennt Motive, die zur Gründung gründete Dorfläden aufgeführt. Auch im Ge-
führen können (Klemisch/Maron 2010: 7). sundheits- und Pflegebereich werden immer mehr
Nach einer Registergerichtsrecherche lassen Genossenschaften gegründet (Klemisch/Flieger
sich mit Stand 31.12.2011 folgende Infrastruktur- 2007: 29). Die Statistiken zeigen also: Im Bereich
genossenschaften im engeren Sinne ausmachen: kommunaler Infrastruktur und Daseinsvorsorge
Energie 586, Wasser 155, Abwasser 11, Schulen sind Genossenschaften offenbar eine geeignete
20, Gesundheitswesen 3 (KNI 2012b: 67). Dies Rechtsform. Allerdings ist nicht gesichert, dass
deutet auf die besondere Relevanz der Geschäfts- Förderzweck und kommunales Gemeinwohl in
felder Energie und Wasser bzw. Abwasser im allen Fällen zur Deckung gebracht werden.
Bereich der kommunalen Infrastruktur hin. Da-
neben lassen sich in jüngerer Zeit vielfältige For- 5.2.1 Das Beispiel der
men von genossenschaftlichen Neugründungen Dorfladengenossenschaften
im Umfeld ehemals kommunal wahrgenomme-
ner Daseinsaufgaben beobachten. Dazu gehören In zahlreichen ländlichen Regionen geben Ein-
u. a. „Bürgerschwimmbäder“, „Dorfladengenos- zelhandelsketten ihre Filialen wegen rückläufiger
senschaften“, „Abfallgenossenschaften“, „Stadt- Margen auf, mit der Folge, dass die Grundversor-
teilgenossenschaften“, „Marketinggenossenschaf- gung der Bevölkerung mit den Dingen des täg-
ten“, Schulgenossenschaften oder Genossen- lichen Bedarfs nicht mehr gewährleistet ist.
schaften zur Übernahme von kommunalen Miet- Jüngstes Beispiel ist die Insolvenz der Drogerie-
wohnungsbestand. Zwischen 2001 und 2010 marktkette Schlecker, welche in vielen Dörfern
wurden nach offizieller Statistik (Stappel 2011: mit Filialen präsent war und die durch eine Auf-
48) 27 Neugründungen im Bereich kommunale stockung des Sortiments oftmals eine Art Grund-
Daseinsvorsorge im engeren Sinne erfasst, davon versorgung übernommen hatte. Auch die Zahl
elf Wasser-, sechs Schwimmbad und vier Schul- der kleinen Lebensmitteleinzelhändler hat sich
38
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
laut einer Studie des Instituts für ökologische haben“, erklärt Cornelie Sell (Sell 2012). Rund
Wirtschaftsforschung in den vergangenen 40 Jah- 50.000 Euro Anschubfinanzierung für die Innen-
ren um fast zwei Drittel reduziert (IÖW 2005: IX). ausstattung inklusive Warenangebot wurde fast
Für die betroffene Bevölkerung bedeutet dies vollständig über die Genossenschaftsanteile
vielfach eine Einschränkung ihrer Lebensquali- finanziert, der Rest über einen Kredit der Kredit-
tät, da die örtliche Nahversorgung nicht optimal anstalt für Wiederaufbau (KfW).43 Aktuell wird
gewährleistet ist. der Laden von ungefähr 400 Genossen getragen
Dieser Entwicklung treten Dorfbewohner und die Genossenschaft stellt eine derartige Er-
immer häufiger entgegen, indem sie Dorfläden folgsgeschichte dar, dass sie sogar als Modell im
gründen, die als Genossenschaften organisiert Rahmen der Diskussion über die Übernahme von
sind. Nicht Nostalgie, sondern die örtliche Nah- Schlecker-Filialen durch ehemalige Beschäftigte
versorgung steht dabei als Motiv im Vordergrund. sowie Kundinnen und Kunden in den ländlichen
Engagierte Bürgerinnen und Bürger verkaufen Regionen der neuen Bundesländer herangezogen
in ihren Genossenschaften Waren des täglichen wird (MDR 2012).
Bedarfs und ermöglichen es so auch weniger mo- Mittlerweile existiert auch ein Netzwerk von
bilen Dorfbewohnern, selbstbestimmt einkaufen Dorfgenossenschaften mit einer entsprechenden
zu können. Internetplattform. Dort werden u. a. Beratungs-
Schon 2001 wurde z. B. die Dorfladen Amer- angebote für die Gründung von Dorfgenossen-
dingen eG gegründet, der 230 der 900 Einwoh- schaften bis hin zu einem Musterhandbuch ge-
nerinnen und Einwohner dieser schwäbischen macht. Auf der Plattform eingetragen sind bisher
Gemeinde angehören (Eichwald/Lutz 2011: 84). 19 Dorfgenossenschaften (Dorfladen Netzwerk
Auch im sächsischen Falkenau haben sich die 2012). Auch in der Politik findet diese Initiative
Bewohnerinnen und Bewohner auf diese Art mittlerweile Resonanz. Bundesjustizministerin
selbst geholfen – und die Genossenschaft „Unser Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will das bür-
Laden Falkenau eG“ gegründet. „Als der letzte gerschaftliche Engagement von kleinen Dorf-
Laden vor dreieinhalb Jahren zugemacht hat, läden im ländlichen Raum fördern und dem Ge-
konnte man kein frisches Obst und Gemüse mehr setzgeber die Befreiung von der kostenträchtigen
im Ort kaufen“, erinnert sich die Aufsichtsrats- Pflichtprüfung vorschlagen, weil kleine Genos-
vorsitzende Cornelie Sell (Sell 2012). Besonders senschaften diese Kosten „nur schwer erwirt-
für die älteren Leute sei der Weg zur nächsten schaften können“ (Dorfladen Netzwerk 2012).
Einkaufsmöglichkeit mit dem Rad oder der Bahn Hochburgen für Tante-Emma-Läden in Ge-
sehr beschwerlich gewesen. Die Kommune mit nossenschaftsform sind Bayern und Baden-Würt-
2.000 Einwohnerinnen und Einwohnern habe temberg. Ansgar Horsthemke, Gründungsberater
sich immer wieder als Ort für verschiedene des Baden-Württembergischen Genossenschafts-
Großhandelsketten beworben und stets Absagen verbands, glaubt an die Zukunft der Dorfläden,
bekommen. „weil sie die Nische der Nahversorgung ausfül-
Einige Falkenauer Frauen nahmen daraufhin len“. Vorteilhaft seien die kapitalunabhängige
Kontakt zum benachbarten Bad Schlema auf, wo Mitbestimmung und die klare Haftungsbegren-
vor knapp drei Jahren Sachsens erster Bürgerkon- zung der Mitglieder auf ihren jeweiligen Anteil.
sum als Genossenschaft entstanden war. Das Vor- Eines stellt Horsthemke auch klar. Nicht der Ge-
bild überzeugte. Bei zwei Veranstaltungen in der danke an den Profit dürfe im Mittelpunkt stehen:
Gemeinde zeichnete sich großes Interesse ab. Der „Verabschieden muss man sich auch von der Vor-
Groschen fiel – auch in die Genossenschaftskasse. stellung, dass ich fünf verschiedene Sorten Zahn-
Ein Anteil kostete 50 Euro, „damit sich auch die- pasta im Regal finde. Sondern es gibt eine, die ich
jenigen beteiligen können, die nicht so viel Geld im Ort kaufen kann“ (Dähn 2009) .
43 Fördermittel zur Genossenschaftsgründung stellen mitunter auch die Länder bereit. So bekamen die Falkenauer finanzielle Unterstüt-
zung über das Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum, weil sie den Laden in einem rund 100 Jahre alten Kinogebäude untergebracht
hatten.
39
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
40
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
41
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Hintergrund der nachfolgenden Ausführungen leistungsangebote für ältere Menschen sind Be-
über Sozialgenossenschaften und ihre vermutlich reiche mit manifestem Handlungsbedarf. Außer-
wachsende Bedeutung ist der sich immer schnel- dem wurden die finanziellen Ressourcen in den
ler vollziehende Strukturwandel im sozialen Sek- letzten Jahren zunehmend knapper. Waren die
tor. Gemeint sind damit insbesondere die Heraus- Spielräume öffentlicher Haushalte schon in der
forderungen des demografischen Wandels bei Vergangenheit begrenzt, so wird sich diese Situa-
zunehmendem Rückzug des Staats von seinen tion weiter zuspitzen: Steigenden Ausgaben ste-
Leistungsbereichen. Damit verbunden ist ein er- hen unzureichende Einnahmen gegenüber. Ein-
wartetes Mehr an Übernahme von Eigenverant- schränkungen in den Angeboten, Kämpfe um
wortung durch die Bürgerinnen und Bürger. Hin- den Etat und Schwierigkeiten bei der Finanzie-
zu kommen die Auswirkungen der Finanz- und rung neuer Projekte sind die Folge. Auch durch
Schuldenkrise auf die Kommunen im Rahmen den Fiskalpakt sind weitere dramatische Auswir-
des Fiskalpaktes, die aktuell noch gar nicht in kungen absehbar, welche die Haushaltslage der
allen Facetten zu erkennen sind. Die meisten Kommunen weiter verschärfen dürften. In diese
Sozialbetriebe sind heute noch immer dem Non- Lücke könnten Sozialgenossenschaften stoßen.
profit-Sektor zuzurechnen, weil Leistungen im
Sozialen bisher nur sehr begrenzt nach Markt-
regeln nachgefragt und angeboten werden. Ursa- 6.2 Sozialgenossenschaften –
chen hat diese Sonderstellung im Ursprung und Empirie und Typologie
den daraus abgeleiteten Aufgaben des Systems
sozialer Sicherung, nämlich: Lücken und Schwä- Wie bereits in Kapitel 2.4 erwähnt, kann dem
chen der Marktwirtschaft auszugleichen. Begriff der Sozialgenossenschaften ein breites
Spektrum in sehr unterschiedlichen Bereichen
wirtschaftlich tätiger Genossenschaften zugeord-
6.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen net werden, deren Mitglieder oder Beschäftigte
im sozialen Sektor arbeiten bzw. diesem zuzuord-
Die oben dargestellten veränderten ökonomi- nen sind. Ihre Ziele verfolgen sie trotz aller
schen, politischen und gesellschaftlichen Rah- Schwierigkeiten in der Rechtsform der eingetra-
menbedingungen erfordern es, einige der zwar genen Genossenschaft (Münkner 2000: 20f.). Ihre
eingespielten, aber auch eingefahrenen Struktu- Bezeichnung als Sozialgenossenschaften wird
ren dieses Sektors mit anderen Formen sowohl jedoch unterschiedlich interpretiert. Für einige
der rechtlichen Organisation als auch des Ma- weist der Begriff „Sozialgenossenschaft“ nur auf
nagements anzugehen und dafür die nötigen Vo- die Branche hin, in der die Genossenschaft tätig
raussetzungen zu schaffen. Allein die demogra- ist. Andere verstehen die Bezeichnung hingegen
fischen Veränderungen drängen zu einem qua- auch inhaltlich im Hinblick auf eine Wesensver-
litativen und quantitativen Umbau des sozialen wandtschaft der Genossenschaft zur économie
Dienstleistungssektors. Wohnortnahe Gesund- sociale. Unternehmen der économie sociale wer-
heitsversorgung, Kinderbetreuung und Dienst- den definiert als Unternehmen, in denen Förder-
42
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
leistungen den Vorrang vor Gewinnerzielung ha- die nicht in irgendeiner Form der Selbstständig-
ben, die soziale Überlegungen in das Wirtschafts- keit oder Subunternehmerschaft ausgeführt wird.
leben einführen und die sich der Herausforderung Der hilfs- oder fördergenossenschaftliche Charak-
stellen, Bedürfnisse zu befriedigen, die weder von ter ist gegeben, wenn die Mitglieder über diese
den herkömmlichen Unternehmen noch vom Genossenschaften Leistungen beziehen oder ein-
Staat abgedeckt werden (Münkner 2000: 24ff.). bringen, die der ergänzenden Unterstützung ihrer
Sozialgenossenschaften, die sich in der Tradition wirtschaftlichen Tätigkeit oder ihrer Reproduk-
der économie sociale sehen, haben also einen tion bzw. ihres Konsums im weitesten Sinne
ganz eigenen Charakter innerhalb der Genossen- dienen (Klemisch/Flieger 2007: 31f.).
schaftslandschaft, von dem sich die deutschen Die gegenwärtigen bundesdeutschen Sozial-
Genossenschaftsverbände übrigens konsequent genossenschaften lassen sich so zumindest in
abgrenzen (Klemisch/Flieger 2007: 30ff.). sechs Teilgruppen zuordnen:
Der DZ Bank wiederum gelten als Sozial- (1) Relativ neu sind die Arbeitslosengenossen-
genossenschaften diejenigen Genossenschaften, schaften. Dort lassen sich drei Typen von Selbst-
die das Gemeinwohl stärker hervorheben als den hilfegenossenschaften aus der Arbeitslosigkeit
Selbsthilfegedanken. Als Initiatoren treten da- unterscheiden, nämlich Beschäftigten-, Selbst-
nach Sozialverbände, Kommunen, Hilfsprojekte, ständigen- und Multi-Stakeholder-Genossenschaf-
gemeinnützige Vereine etc. auf. Nicht eindeutig ten (Klemisch/Flieger 2007: 37). Eine typische
bleibt dagegen die empirische Zuordnung in Arbeitslosengenossenschaft nach dem Modell
der offiziellen Genossenschaftsstatistik (Stappel einer Multi-Stakeholder-Genossenschaft ist der
2011). Dort werden Sozialgenossenschaften bis- Soziale Betrieb Sulzbach eG, eine Arbeitslosen-
lang den Konsum- oder den gewerblichen Ge- genossenschaft gegründet mit dem Ziel der Inte-
nossenschaften zugeordnet und unter „übrige gration Langezeitarbeitsloser. Es handelt sich da-
Genossenschaften“ geführt. Vor allem im Hin- bei um ein Beschäftigungs- und Dienstleistungs-
blick auf Arbeitslosengenossenschaften, Kunst- unternehmen in der lokalen Ökonomie (Göler
und Kulturinitiativen und auf den Erhalt der von Ravensburg 2010b). Bekannt ist auch SAGES,
Umwelt zielende Genossenschaften bleibt die Zu- eine im Jahr 2005 in Freiburg von Arbeitslosen ge-
ordnung uneinheitlich. Dorfläden werden expli- gründete Serviceagentur für Senioren. SAGES bie-
zit nicht unter der Rubrik Sozialgenossenschaft tet ihre Leistungen für ältere Menschen als All-
gefasst, trotz eines bedeutsamen Gemeinwohl- tagsassistenz in den Bereichen Haushalt, Mobilität
beitrags (vgl. Kapitel 5.2.1). Interpretationsspiel- und Kontakte an. Inzwischen umfasst die Genos-
raum besteht darüber hinaus auch bei Wohn- senschaft über 60 Mitglieder (innova 2012: o. S.).
projekten und Mikrofinanzfonds. Göler von Ra- (2) Eine weitere Besonderheit sind die Schul-
vensburg (2012a: 5) kommt demzufolge auf einen genossenschaften. Sie verfügen fast immer auch
Bestand von derzeit 120 Sozialgenossenschaften über die Gemeinnützigkeit. Als gemeinnützig
(davon 20 Neugründungen in 2011) im engeren wird hier eine Tätigkeit bezeichnet, die darauf ab-
und ca. 200 im weiteren Sinne. zielt, das Gemeinwohl zu fördern. Die meisten
Grundsätzlich unterscheiden lassen sich So- Schulgenossenschaften gehören zu den Waldorf-
zialgenossenschaften Betroffener, Solidarische schulen beispielsweise in Ismaning, Kirchheim-
Sozialgenossenschaften und Professionelle Sozi- Teck, Hitzacker, Ravensburg, Offenburg, Karls-
algenossenschaften (Flieger 2003: 14ff.). Alle drei ruhe und Überlingen. Eine Ausnahme stellt die
Typen können produktivgenossenschaftlichen Schulgenossenschaft Eichenschule in Scheeßel
oder auch hilfsgenossenschaftlichen Charakter dar. Ursprünglich mit einem Internat kombiniert,
haben. Produktivgenossenschaften sind es, wenn steht heute die gymnasiale Ausbildung im Vor-
zumindest ein nennenswerter Teil der Mitglieder dergrund. Die Eichenschule wurde 1947 in der
auch Beschäftigte der Genossenschaft sind oder Rechtsform einer landwirtschaftlichen Genos-
über diese regelmäßig bezahlte Arbeit erhalten, senschaft gegründet. Derzeit werden rund 950
43
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Schülerinnen und Schüler an der Eichenschule ten. Oft handelt es sich dabei um Wohnungsge-
unterrichtet. nossenschaften, die speziell auf die Bedürfnisse
(3) Sekundärgenossenschaften der Behinderten- älterer Menschen ausgerichtet sind. Sie sind
werkstätten können als dritte Teilgruppe identi- beispielsweise in Orten wie Löffingen, Buchen,
fiziert werden. Diese agieren regional mit Sitz in Goslar, Eisenach, Tuttlingen oder Bad Soden-Sal-
Kassel, Sindelfingen, Hamburg, Oschersleben, münster ansässig. Eine vollumfängliche Senioren-
Leipzig und Rendsburg. Als Genossenschaft zahl- wohnanlage betreibt die Altkönig-Stift eG in Kron-
reicher Werkstätten für Behinderte liegen ihre berg. Als gemeinnützige Einrichtung ermöglicht
Prioritäten in der Sicherung und Schaffung von sie ihren Mitgliedern gegen Übernahme von Ge-
Arbeitsplätzen. Zu diesem Zweck bieten sie die schäftsanteilen, ihr Alter dort betreut zu verbrin-
Vermittlung und Abwicklung von Dienstleistun- gen. Medizinische und pflegerische Betreuung,
gen und Werkstattleistungen für Unternehmen, Arztpraxen sowie Krankengymnastik und Bäder-
Institutionen, Gemeinden, Kommunen und Städ- abteilung im Haus, die häusliche Pflege in der eige-
te an. Beispielsweise sind in die GDW-Süd (Ge- nen Wohnung, Reinigung, Mahlzeiten, „Betreu-
nossenschaft der Werkstätten für behinderte ung auf Abruf“ gehören zum Servicespektrum.
Menschen) mehr als 70 Werkstätten und über (6) Als letzte Gruppe der Sozialgenossenschaften
10.000 Beschäftigte in Baden-Württemberg und sind Wohnungsgenossenschaften in sozialen
Bayern eingebunden. Sie konzentrieren sich auf Brennpunkten zu nennen. Sie lassen sich am
die vier Leistungsbereiche Umweltservice, Lohn- schwierigsten von Mietergenossenschaften bzw.
fertigung und -montage, Dienstleistung sowie herkömmlichen Wohnungsbaugenossenschaften
Qualitätsprodukte. mit ausgeprägtem sozialem Engagement abgren-
(4) Bei den Verwaltungsgenossenschaften sozialer zen. Bekanntere Beispiele wie die Wohnungs-
Einrichtungen handelt es sich um Betriebsgenos- baugenossenschaft „Am Beutelweg“ eG in Trier
senschaften, die unter anderem Gebäude und (Elsen 1998: 88ff.), „Am Werk“ in Lauchhammer
Grundstücke verwalten, in denen soziale Leistun- oder die Vermietungsgenossenschaft Ludwig-
gen und Tätigkeiten angeboten werden. Zu ihnen Frank eG in Mannheim sind auf jeden Fall dazu-
gehört z. B. die Spastikerhilfe Berlin eG, die Men- zurechnen. Sie veranlassen ihre nutzenden Mit-
schen mit Körper- bzw. Schwermehrfachbehin- glieder, oftmals zu einem großen Teil Migran-
derungen und deren Angehörigen ein breites An- tinnen und Migranten, ihre Wohnungen und
gebot an Unterstützung anbietet. Darunter zu Häuser in Selbsthilfe zu sanieren, und gründen
subsummieren sind Beratungs- und Hilfsange- daneben Tochtergesellschaften, um Arbeitslose
bote in zahlreichen Lebensbereichen wie Betreu- aus dem eigenen Wohnumfeld mit Service- und
ung, Wohnen, Arbeiten, Freizeit etc. Ein anderes Instandsetzungsarbeiten in dauerhafte Beschäf-
Beispiel ist der Krankenpflegeverein eG Salzhau- tigung zu bringen.
sen, der mittlerweile über 100 Jahre alt ist. Von
Anfang an war das „Krankenhaus Salzhausen“
eine Genossenschaft. Ihr gehören heute zahlrei- 6.3 Das Beispiel der fairKauf eG
che Einzelpersonen aus Salzhausen und den um- in Hannover
liegenden Dörfern an, zum Teil bereits in dritter
Generation. Deutlich wird hier erneut die Schwie- Wie ein erfolgreiches Sozialkaufhaus funktio-
rigkeit der begrifflichen Abgrenzung, denn diese nieren kann, verdeutlicht die fairKauf eG, die in
Genossenschaft könnte auch dem Bereich der Hannover als Betreiber eines Sozialkaufhauses
kommunalen Daseinsvorsorge zugeordnet wer- firmiert und als Prototyp einer funktionierenden
den (vgl. Kapitel 5). Sozialgenossenschaft vorgestellt wird (Fahlbusch
(5) Insbesondere in Baden-Württemberg findet 2012). Sie besteht seit 2008. Gründer waren sechs
man häufig sogenannte Seniorengenossenschaf- Einzelpersonen sowie Werkheim, Caritas und
44
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Diakonisches Werk Hannover. Herzstück ist die ler von Ravensburg 2012a: 8). Viele Neugrün-
Etablierung eines sozialen Kaufhauses, das aus- dungen entstehen durch bürgerschaftliches En-
schließlich gespendete, gebrauchte Waren in gu- gagement und aus Gemeinwohlmotiven heraus.
ter Qualität anbietet (Fahlbusch 2012). Über den Und dennoch: Wirtschaftlicher Förderauftrag und
Verkaufspreis werden sowohl die Qualifizierung sozial verantwortliches Handeln müssen sich
und die Ausbildung des Personals als auch die nicht widersprechen. Dies verdeutlicht das be-
Zahlung von Tariflöhnen möglich. Ziel ist vor schriebene Spektrum der vorhandenen Sozial-
allem die Re-Integration Langzeitarbeitsloser in genossenschaften.
den Arbeitsmarkt durch berufliche Qualifizierung Aufgrund der schwierigen Rahmenbedin-
in den Bereichen Handel, Logistik und Verwal- gungen sind sie allerdings noch viel zu wenig ver-
tung. Dabei stehen benachteiligte Jugendliche, breitet. Wesentliche Gründe hierfür sind nach
Insolvenzopfer und im Beruf Erkrankte im Fokus. Angaben Göler von Ravensburg die Dominanz
65 Prozent der Beschäftigten haben einen Migra- der etablierten Wohlfahrtserbringer sowie die Un-
tionshintergrund und 55 Prozent der Kunden bekanntheit der Rechtsform bei Fachkräften und
kommen aus sozial benachteiligten Gruppen. in der Öffentlichkeit. Dennoch können Sozial-
Dinge des lebensnotwendigen Bedarfs werden genossenschaften in der Zukunft erheblich an
bewusst der primären Zielgruppe zu günstigen Bedeutung gewinnen, insbesondere aufgrund des
Preisen angeboten, wogegen darüber hinausge- oben skizzierten Strukturwandels im sozialen
hende Produkte (z. B. Waren mit antiquarischem Sektor. Voraussetzungen hierfür sind Initiatoren,
Wert) durchaus ihren Marktwert haben und da- welche unterversorgte Dienstleistungsbereiche
mit auch andere Zielgruppen erreichen. Vor- identifizieren, die Verbesserung der Akzeptanz
standsmitglied Fahlbusch warb für die Genossen- der Unternehmensform bei Fachkräften, Interes-
schaft als passende Rechtsform für Unternehmen senvertretungen, Kommunen und Sozialversiche-
mit gemeinwohlorientierter Zielrichtung, die un- rungsträgern, die erfolgreiche Etablierung von
terschiedliche Akteure einbeziehen und für ge- Pilotprojekten sowie eine typen- und geschäfts-
meinschaftliches Handeln motivieren möchten. feldoffene Gründungsberatung durch Genossen-
Allerdings gebe es auch Nachteile der genossen- schaftsverbände und andere in diesem Geschäfts-
schaftlichen Rechtsform, wie die Begrenzung der feld versierte Beratungseinrichtungen. Es ist also
Eigenkapitalzufuhr und die geringe Wahrneh- ein breites Spektrum an Aktivitäten erforderlich,
mung in der Öffentlichkeit, bei Wohlfahrtsor- um Gründungen von Sozialgenossenschaften zu
ganisationen und Behörden (Fahlbusch 2012: 17). befördern.
In einem bezogen auf die Unternehmensform Ge- Vorrangig notwendig ist sicherlich die Inten-
nossenschaft positiven Fazit stellte Fahlbusch he- sivierung der Öffentlichkeitsarbeit. Besonders
raus: „fairKauf verdient Geld, um Gutes zu tun, positive Fallbeispiele müssen publik gemacht
im Unterschied zur Wohlfahrtspflege, welche Gu- werden, um die Potenziale der Rechtsform Ge-
tes tut, um Geld zu verdienen.“ Der Erfolg sozia- nossenschaft für Gründerinnen und Gründer im
ler Kaufhäuser sei für fairKauf auch durch eine Bereich sozialer Dienstleistungen darzulegen und
wissenschaftliche Begleitforschung belegt. Nachahmungseffekte zu erzielen. Insofern gehö-
ren die stärkere Verbreitung von Information im
sozialen Sektor über die positiven Möglichkeiten
6.4 Probleme und Perspektiven von der genossenschaftlichen Rechtsform sowie der
Sozialgenossenschaften Aufbau einer Beratungs- und Entwicklungsinfra-
struktur für Genossenschaften mit sozialwirt-
Sozialgenossenschaften haben nach Göler von schaftlichem Betriebszweck zu den Vorausset-
Ravensburg in der Regel einen Anspruch, der zungen einer sozialgenossenschaftlichen Grün-
über reine Selbsthilfeinteressen hinausgeht (Gö- dungsoffensive (Göler von Ravensburg 2012a: 10).
45
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
46
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Im vergangenen Jahrzehnt sind über 1.200 neue Grundsätzlich ist die Bedeutung des Gegenstands-
Genossenschaften entstanden, davon 323 zwi- bereichs Neugründungen in der Genossenschafts-
schen 2001 und 2005 sowie 916 zwischen 2006 forschung und -praxis erkannt, denn insbeson-
und 2010. Damit scheint der Rückgang von Ge- dere das Gründungsverhalten gibt Hinweise auf
nossenschaften und ihren Mitgliedern zumindest geeignete innovative Geschäftsfelder und die
gebremst zu sein. Viele dieser Neugründungen Akzeptanz der Unternehmensform (Münkner/
finden in innovativen Geschäftsfeldern statt. Die Ringle 2010; Göler von Ravensburg 2011: 134ff.).
Sozial- und Energiewirtschaft, kommunale Infra- Wie in Kapitel 2.3.3 bereits angeschnitten,
struktur sowie das Handwerk sollen hier exempla- kamen die meisten Neugründungen im vergange-
risch in den Mittelpunkt gerückt werden. nen Jahrzehnt im Bereich der gewerblichen Ge-
nossenschaften zustande. Der Schwerpunkt lag
im Bereich der Energie (25 Prozent) und der übri-
7.1 Neugründungen von Genossenschaften gen Dienstleistungen (20 Prozent), der sich sehr
in innovativen Geschäftsfeldern vielfältig von Architektur- über Ingenieurbüros
bis hin zu Werbe- und Multimedia Agenturen
Über die Gründe für diesen neuen Trend, der teil- ausrichtet. Erklärt wird dieses Phänomen mit der
weise schon als Boom bezeichnet wird, lässt sich Fähigkeit von Genossenschaften, Marktunzuläng-
trefflich streiten. Eine fundierte Analyse, die über lichkeiten zu kompensieren. Dies trifft auch auf
die Darstellung von Fallbeispielen hinausgeht, Gründungen im Gesundheitssektor (zwölf Pro-
fehlt bislang (Münkner/Ringle 2010; Göler von zent), im sozialen Sektor (sieben Prozent), beim
Ravensburg 2011: 129ff.). Die Genossenschafts- Erhalt kommunaler Aufgaben und Infrastruktur
verbände schreiben die positive Entwicklung ger- (drei Prozent), für zwischenbetriebliche Koopera-
ne ihren eigenen Neugründungsinitiativen zu tionen und Unternehmensnachfolgen im Hand-
(Stappel 2011: 4). Die Politik ist eher geneigt, die werk (drei Prozent) oder Belegschaftsinitiativen zur
Novellierung des Genossenschaftsgesetzes von Erhaltung von Betrieben zu (Klemisch et al. 2010).
2006 und die damit verbundenen Erleichterun- Grundsätzlich darf aber die konstatierte Neu-
gen der Gründung als Hauptgrund anzuführen. gründungsdynamik nicht über eine schlechte
Kurzum, einen eindeutigen empirischen Beleg Performance der Genossenschaften (Blome-Drees
gibt es für beide Positionen derzeit nicht (Gross- 2010) und ihren relativ geringen Bekanntheits-
kopf u. a. 2012: 26ff.). Anzunehmen ist vielmehr, grad hinwegtäuschen. Verglichen mit der Gesamt-
dass die Erschließung von neuen Geschäftsfel- zahl der Unternehmensgründung in Deutschland
dern und das Kommunizieren von guter Praxis von jährlich 400.000 bis 500.000 bleibt die Zahl
und wirtschaftlichen Erfolgen zu Nachahmungs- der neu gegründeten Genossenschaften eine Mar-
effekten bei Genossenschaftsgründungen führen ginalie. Fakt ist: Genossenschaften liegen weder
(Stappel 2010: 79). Diese Entwicklung wird dann im Mainstream der gesellschaftlichen Diskussion
umso mehr unterstützt, wenn Genossenschaften noch sind sie in der Alltagswelt präsent. So kann
zusätzlich auf bestimmte Förderstrukturen, wie es auch nicht überraschen, dass in der Studie
z. B. im Umweltbereich oder im Bereich der Er- „Was wissen die Deutschen über Genossenschaf-
neuerbaren Energien (EE), zurückgreifen können. ten?“ (Theurl/Wendler 2011: 19) insbesondere
47
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
bei der jungen Generation ein deutlicher Abfall zu den bestehenden Formen der gemeindlichen
des Bekanntheitsgrades festgestellt werden kann. Infrastrukturversorgung darstellen. Es lässt sich
Die zu beobachtende Gründungswelle im Ge- berechtigterweise von einer Renaissance der Ener-
schäftsfeld der Energiewirtschaft macht jedoch giegenossenschaften sprechen. Die historische
Hoffnung, dass genossenschaftlich organisiertes Tradition erschwert aber u. a. auch die verbindli-
Wirtschaften an Reputation gewinnt. che Typenbildung. Mittlerweile existieren neben
Genossenschaften haben grundsätzlich Poten- der traditionellen Typologie und Verbändestruk-
ziale, sich in attraktiven Geschäftsfeldern zu tur etliche Ansätze, die nach Aktivitätsfeldern
etablieren. Dabei treffen sich die Geschäftsfelder (Theurl 2008), nach Stufen im Wertschöpfungs-
von genossenschaftlichen Lösungen mit den zu- prozess (Flieger 2011: 321f.) oder nach der Art der
kunftsweisenden Infrastrukturbereichen, die im Energienutzung oder des Trägers differenzieren
Wesentlichen darüber entscheiden, ob sich Kom- (u. a. GVB 2011). Holstenkamp entwickelt hier-
munen nachhaltig entwickeln und einen Beitrag aus eine Systematik, die allerdings nach seiner
zum Klimaschutz leisten. Damit gemeint sind eigenen Einschätzung einer praktischen Überprü-
u. a. die Bereiche Ver- und Entsorgung sowie Ener- fung bedarf (Holstenkamp 2012). Die folgende
gie (Klemisch 2012b: 48). Typologie ist dagegen pragmatischer Art, bezieht
Besonders dynamisch ist das genossenschaft- sich eher auf die neuen Energiegenossenschaften
liche Neugründungsgeschehen im Bereich der und beschreibt, welche Typen von Energiegenos-
Erneuerbaren Energien. Engagierte Bürgerinnen senschaften existieren und in welchen Bereichen
und Bürger schließen sich zu Energiegenossen- sie tätig sind. Die Geschäftsfelder und Strukturen
schaften zusammen, um gemeinsam Solar-, Bio- sind mittlerweile stark ausdifferenziert. Grob las-
gas- oder Windkraftanlagen zu betreiben. Mitt- sen sich danach unterscheiden:
lerweile belegt eine Fülle von aktuellen Beispie- – Energie-Erzeuger-Genossenschaften produzie-
len, dass die regionale Daseinsvorsorge von den ren und vertreiben aus Primärenergieträgern
Bürgerinnen und Bürgern vor Ort durchaus in (Wasser, Wind, Sonne, Biomasse) Sekundärener-
Eigenregie zu übernehmen und erfolgreich zu gie. Unter Umständen betreiben sie auch eigene
gestalten ist (Agentur für Erneuerbare Energie/ Netze, über die sie die Energie einspeisen.
DGRV 2011). – Energie-Verbraucher-Genossenschaften versor-
gen ihre Mitglieder mit Sekundärenergie (ge-
meinsamer Energieeinkauf). Häufig betreiben
7.2 Energiegenossenschaften – Empirie sie auch eigene Netze, über die sie die Energie
des Gründungsgeschehens regional verteilen.
– Energie-Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaf-
Energiewirtschaftlich tätige Genossenschaften ten umfassen die gesamte Wertschöpfungsket-
sind kein neues Phänomen. Lokal agierende Elek- te über Erzeugung, Handel, Transport bis zum
trizitätsgenossenschaften fungierten schon Ende Konsum.
des 19. Jahrhunderts als Produzenten und Vertei- – Dienstleistungsgenossenschaften unterstützen
ler von Strom im ländlichen Raum. Sie entstan- die zuvor genannten Energie-Genossenschaf-
den seinerzeit überall dort, wo der verlängerte ten mit Serviceleistungen in den Bereichen Be-
Arm der großen Energieversorger nicht hinreich- ratung, Kapitalvermittlung, ggf. Wartung etc.
te oder eine Erschließung nicht lukrativ war Erste empirische Befunde zur Entwicklung von
(Flieger/Klemisch 2008). So gab es anno 1910 in Energiegenossenschaften zeigen, dass der Trend
der Schweiz ca. 1.500 Energiewirtschaftsgenos- zur Gründung in der Bundesrepublik erst ab 2008
senschaften. einsetzt. Im Jahr 2009 gab es 103 Neugründun-
Seit dem Jahr 2008 sind insbesondere im Be- gen, 145 im Jahr 2010 und fast 200 im Jahr 2011.
reich der Energieversorgung Genossenschaften Zum Jahresende 2011 waren es, folgt man der
entstanden, die sowohl ökologisch als auch öko- Darstellung des Klaus Novy Instituts, bereits 586
nomisch relevante und tragfähige Alternativen (KNI 2012a).
48
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Abbildung 3:
In den letzten drei Jahren gab es eine Vervierfachung der Energiegenossenschaften in Deutschland
586
600
151 BY
500 107 BW
102 NI
392 68 NRW
400 38 HE
23 SH
18 SN
300 13 TH
247
13 ST
13 RP
200 11 MV
144
10 BE
84 101 8 BB
100 66 70 70 74 77
4 SL
4 HB
0 3 HH
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Die meisten Genossenschaften haben heute ih- 7.2.1 Energiegenossenschaften als Domäne
ren Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich der Foto- des ländlichen Raumes
voltaik. Entlang der Typologie handelt es sich
vor allem um Energie-Erzeuger-Genossenschaf- EE-Genossenschaften sind vor allem im länd-
ten, mit Abstand gefolgt von Energie-Verbraucher- lichen Raum und insbesondere in kleinen Ge-
Genossenschaften, die auch regionale Netze be- meinden entstanden. Damit folgen sie ihrer Tra-
treiben. Die in Deutschland wohl bekannteste dition. In Gemeinden mit weniger als 10.000 Ein-
Genossenschaft im Energiebereich, Greenpeace wohnern ergibt das Verhältnis von Energiegenos-
energy, ist als überregionaler Anbieter in der senschaften zu Einwohnern einen Koeffizienten
Struktur der EE-Genossenschaften eher eine von 26,4. Bei Gemeinden bis zu 25.000 Einwoh-
Ausnahme, denn die meisten Energiegenossen- nern beträgt der Koeffizient noch ca. sieben und
schaften sind dezentral tätig. Es gibt aber auch bei Kommunen zwischen 250.000 und einer Mil-
weitere Genossenschaftssektoren, die stark von lion Einwohner liegt der Koeffizient bei 0,3 (vgl.
energiewirtschaftlichen Fragen tangiert sind. Ge- Klemisch 2012a: 9).
meint sind damit vor allem die Wohnungsgenos- Energiegenossenschaften rekrutieren nicht
senschaften, die ein hohes Potenzial im Bereich nur ihre Mitglieder vor Ort, sondern bieten ihre
der energetischen Sanierung des Wohnungsbe- Leistungen auch überwiegend in der Gemeinde,
standes aufweisen, und Agrargenossenschaften, Kommune oder Region an – die zentralen Absatz-
die durch die Nutzung von Bioenergie ihr Ge- märkte der Energiegenossenschaften liegen ganz
schäftsfeld ergänzen. eindeutig am Standort oder in der Region. Diese
Unternehmen speisen dezentral erzeugte Energie
in das regionale Strom- oder Wärmenetz ein. Nur
wenige bieten ihre Dienstleistung landes- oder
gar bundesweit an.
49
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Nach Volz (2011: 70) bezeichnen 67 Prozent Die Regionen Rhön und Franken weisen
der befragten EE-Genossenschaften ihre infra- mittlerweile eine große Dichte von Energiegenos-
strukturelle Lage als überwiegend ländlich, nur senschaften auf. Insgesamt verteilen sich Energie-
neun Prozent als überwiegend städtisch. Hinzu genossenschaften jedoch räumlich sehr ungleich-
kommt, dass etliche Genossenschaften den Per- mäßig über die gesamte Bundesrepublik. Dabei
sonenkreis ihrer Mitglieder auf eine bestimmte lässt sich feststellen, dass vor allem die neuen
Region beschränken (Volz 2011: 76). Bundesländer, aber auch Rheinland-Pfalz und das
Ein positives Beispiel, wie sich Energiegenos- Saarland, eher zu den Diasporagebieten gehören.
senschaften in ländlichen Regionen ausbreiten, Dies liegt weder an den Ressourcen für Erneuer-
sind die Friedrich Wilhelm Raiffeisen Energiege- bare Energien noch an den Förderstrukturen, die
nossenschaften. Das Konzept dieser Genossen- relativ gleichmäßig verteilt sind (Staab 2011). Die
schaften knüpft explizit an die genossenschaft- rheinland-pfälzische Landesregierung ist sogar
liche Tradition „Einer für alle. Alle für einen“ an explizit ein Förderer von Energiegenossenschaf-
(Spanheimer 2012: 6). Es sollen möglichst viele ten, z. B. durch die Unterstützung der Pilotmaß-
Menschen beteiligt sein, um selbstbestimmt und nahme einer Promotorenausbildung.44 Zu vermu-
dezentral effiziente Technik zu nutzen und den ten ist im Hinblick auf die neuen Bundesländer,
Erneuerbaren Energien auf lokaler Ebene zum dass dort eine relative Einkommensschwäche
Durchbruch zu verhelfen. Stets geht es auch um und begrenzte Partizipationsbereitschaft der Be-
die Versöhnung von unterschiedlichen Interes- völkerung der Verbreitung von Energiegenossen-
sengruppen und ein regionales Modell, das schaften im größeren Maßstab entgegenstehen.
den Interessenausgleich zwischen verschiedenen
Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern bein- 7.2.2 Erfolgsfaktoren für
haltet. Das Beteiligungsmodell ist dabei so simpel Energiegenossenschaften
wie einleuchtend. Vorgesehen ist eine Beteiligung
von 2.000 Euro, davon erwirbt jedes Mitglied Festzustellen ist auf jeden Fall, dass es sich bei
einen Genossenschaftsanteil von 100 Euro. Die den Energiegenossenschaften um den dyna-
restlichen 1.900 Euro stehen als Nachrangdar- mischsten Gründungzweig handelt. Eine der zen-
lehen zur Verfügung und werden projektbezogen tralen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Be-
verzinst. Bei der interkommunalen Planung von gleitforschung zum Thema ist, dass diese Ent-
Windparks wird ein entsprechendes Ausschüt- wicklung auf der politischen Unterstützung im
tungsmodell zwischen Kommunen und Grund- Rahmen der Umsetzung der Energiewende und
stückseigentümern vereinbart. Ergebnis ist eine den günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedin-
bessere interkommunale Zusammenarbeit, eine gungen aufgrund der EEG-Einspeiseverordnung
Identifikation der Bevölkerung mit den Projek- für dezentral erzeugten Strom basiert. Grün-
ten, eine gerechtere Verteilung des wirtschaft- dungsaktivitäten im Sektor der Erneuerbaren
lichen Ertrags und ein geringer Kapitalabfluss aus Energie gehen aber andererseits auch auf eine
der Region (Spanheimer 2012: 15). So wurden, lange Tradition bürgerschaftlichen Engagements
ausgehend von der Rhön, bereits über 30 Genos- in der Energiepolitik zurück, die sich von der Pro-
senschaften gegründet, vorwiegend in den Spar- testbewegung gegen die Atomenergie zu einer in-
ten Fotovoltaik und Bioenergie. Die Vorteile der novativen Gestalterin der Energiewende gewan-
Rechtsform Genossenschaft gegenüber anderen delt hat. Nicht zu unterschätzen als Ursache für
Unternehmensformen liegen insgesamt aus Sicht die Gründungswelle ist auch die Bedeutung der
der Initiatoren in den Prinzipien Wertebindung, Beratungsstrukturen: Je ausgefeilter und nach-
Mitgliederförderung, Demokratie und Transpa- vollziehbarer bestimmte Beratungsmodelle sind,
renz sowie in der Haftungsbegrenzung für die die sich als Blaupausen oder Kopiervorlagen eig-
Mitglieder. nen, desto höher ist der Nachahmungseffekt. Für
44 Vgl. www.energiegenossenschaften-gruenden.de.
50
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Energiegenossenschaften haben sich zumindest Metall 1988: 26f.). Im Fall der Umsetzung von Be-
vier solcher Modelle auf dem Markt bewährt. Die legschaftsübernahmen spielte die rechtliche Form
Firma Agrokraft hat das Modell für die bisher der Genossenschaft jedoch keine größere Rolle.
29 Friedrich Wilhelm Raiffeisen Energiegenossen- Auch im Rahmen der Wiedervereinigung
schaften in Franken und der Rhön entwickelt wurde durch die Privatisierung ostdeutscher Un-
(Spanheimer 2012).45 Der Genossenschaftsver- ternehmen die Idee der Betriebsübernahmen
band Weser Ems hat für Fotovoltaikgenossen- durch Belegschaften neu belebt. Über 3.000 Un-
schaften die entsprechende Blaupause bereit- ternehmen aus den neuen Bundesländern wur-
gestellt46, die Gründungshilfe des bayerischen den von ihren Managern und/oder Belegschaften
Genossenschaftsverbandes und das baden-würt- übernommen (Gros 1998). Darüber hinaus ent-
tembergische Netzwerk mit der ENBW als Netz- standen in den 1990er Jahren im Rahmen der
werkpartner sind weitere Modelle. regionalisierten Strukturpolitik Beschäftigtenini-
tiativen, die teilweise zu Übernahmen der Betrie-
be durch die Belegschaften führten (Kost 2004).
7.3 Unternehmensnachfolgen und Seit Mitte der 1990er Jahre wurde diese Ent-
Belegschaftsinitiativen – Handlungs- wicklung vor allem in NRW durch ein arbeits-
felder für Genossenschaften marktpolitisches Förderprogramm unterstützt
(Bischoff 2004). Dort etablierte sich eine arbeits-
Die in Deutschland im Falle betrieblicher Insol- orientierte Beratungsstruktur, die Belegschaften
venzen genutzten Kriseninstrumente wie Sozial- in vielfältiger Weise beraten und Alternativkon-
pläne und Transfergesellschaften sind ergän- zepte zum Erhalt der Arbeitsplätze erarbeitet hat
zungsbedürftig. Die Weiterführung von Betrieben (Kost 2004; Kost 2008). Die Landesregierung
durch Belegschaften kann einen ergänzenden NRW unterstützt bis heute diese Beratungsleis-
Pfad darstellen, um das zentrale Ziel der Siche- tungen im Rahmen der regionalen Strukturpoli-
rung von Beschäftigung in ökonomischen Kri- tik durch gezielte Förderprogramme, die sich
sensituationen zu erreichen. Unter Belegschafts- explizit auch auf die Beratung von Belegschafts-
betrieben werden Betriebsübernahmen durch die initiativen bezieht (Ministerium für Wirtschaft,
Belegschaft verstanden (Bierbaum/Riege 1989: Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-
43). „Zweck der Belegschaftsinitiative ist die Westfalen 2009).
Absicht, sich an der Fortführungsgesellschaft Die Rechtsform der Genossenschaften spielt
kapitalmäßig zu beteiligen und unternehme- bei Belegschaftsinitiativen aber auch aktuell kei-
rische Verantwortung zu übernehmen“ (DGB ne Rolle (Klemisch et al. 2010). Dabei könnte die
NRW 2009). Genossenschaft trotz aller Beschränkungen und
Im Prinzip ist die Idee, Beschäftigte zu Eigen- Probleme zur Restrukturierung eines Unterneh-
tümern und Unternehmern zu machen, nicht mens im Sinne der Beschäftigten durchaus heran-
neu. In der Vergangenheit, besonders in den gezogen werden. Ein Blick auf die typischen Pro-
1980er Jahren, hat es immer wieder Versuche ei- bleme, an denen Belegschaftsinitiativen häufig
ner Übernahme von Betrieben durch Belegschaf- scheitern, macht dies deutlich: Belegschaftsinitia-
ten gegeben. In den 1980er Jahren wurde auch tiven scheitern heute, unabhängig von der später
innerhalb der Gewerkschaften, vor allem in der geplanten Rechtsform, vor allem an langwierigen
IG Metall, über Betriebsübernahmen von Beleg- Finanzierungsverhandlungen und insbesondere
schaften diskutiert (Mehrens 1985), deren Chan- einer regelmäßig geforderten Kofinanzierung der
cen und Risiken herausgearbeitet (Duhm 1991a) Beschäftigten (vgl. Kapitel 8.3). Hinzu treten als
und Handlungsleitfäden erarbeitet, die durch die negative Rahmenbedingungen ein hoher Zeit-
Beschlusslage der IG Metall abgesichert waren (IG druck, die mangelnde Kooperationsbereitschaft
45 Vgl. www.agrokraft.de.
46 Vgl. www.gvweser-ems.de.
51
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
von Inhaber oder Investor, restriktive Banken- werden und dass die Firma ihrer globalen Ver-
bedingungen, starre Förderkriterien und eine un- antwortung durch faire Arbeitsbedingungen bei
übersichtliche Förderlandschaft (Vogt 2011: 62; den Lieferanten nachkommt.
Klemisch et al. 2010: 58). Oftmals hängt der HnGeno klärte im weiteren Prozess die
Erfolg aber auch von aktiven Einzelpersonen, in Finanzierung, gewann weitere strategische Part-
diesem Zusammenhang häufig von Betriebs- ner und beteiligte sich am Bieterprozess. Obwohl
räten und gewerkschaftlichen Unterstützungs- dieses Verfahren letztlich nicht von Erfolg ge-
strukturen ab. krönt war und Hess Natur mittlerweile von einem
Für den Erfolg von Sanierungskonzepten ist Finanzinvestor übernommen worden ist, hat das
die Beteiligung der Beschäftigten aber eine wich- Engagement der Belegschaft für eine selbstbe-
tige Voraussetzung. Das Genossenschaftsmodell stimmte Weiterführung des Betriebes im Rahmen
könnte hierfür einen adäquaten Rahmen stellen, einer Genossenschaft für Aufsehen gesorgt. Ge-
zumal die Genossenschaftsidee ein krisenerprob- nossenschaften können eine Möglichkeit für
tes Handlungsmuster darstellt, welches seine Vor- Belegschaftsinitiativen sein, wenn es darum geht,
züge traditionell immer wieder als Hilfe zur die Interessen der Belegschaft in einem Unter-
Selbsthilfe unter Beweis gestellt hat (Blome-Drees nehmen zu wahren – dies ist wieder in Erinne-
2012c: 27; Mersmann/Novy 1991). Genossen- rung gerufen worden. Nicht zuletzt wurden wert-
schaften sind in der Lage, die Kräfte der Beschäf- volle Praxiserfahrungen gewonnen, auf die in
tigten zu bündeln und auch neue Finanzierungs- ähnlichen Zusammenhängen zurückgegriffen
möglichkeiten zu erschließen. Durch Genossen- werden kann.
schaften könnten gemeinschaftliches Know-how Zunehmende Beachtung findet der Unter-
und Arbeitsplätze gesichert werden. Leider wer- nehmensverkauf an die Mitarbeiterinnen und
den die Potenziale von Genossenschaften in Mitarbeiter auch in der aktuellen Debatte um die
diesem Bereich bislang nur unzureichend aus- Nachfolgeproblematik. Nach Angaben des Insti-
geschöpft. tuts für Mittelstandsforschung (IfM) standen für
Das Beispiel des Unternehmens hnGeno eG den Zeitraum von 2005 - 2009 ca. 354.000 Unter-
zeigt, warum eine genossenschaftliche Lösung nehmen zur Übernahme an. Dies sind pro Jahr
eine Alternative zum Firmenverkauf an einen Pri- etwa 70.900 Unternehmen mit ca. 678.000 Be-
vatinvestor sein kann (Rothkegel 2012: 5): Hess schäftigten (Blome-Drees 2012c: 8 - 10). In etwa
Natur Textil, als Versandhändler der deutsche zehn Prozent der Fälle erfolgen die Unterneh-
Marktführer für Ökotextilien, sollte an einen Pri- mensübertragungen an einen oder mehrere
vatinvestor verkauft werden. Dagegen formierte Beschäftigte. Zwar spielt die Genossenschaft in
sich ein breiter Protest von Attac und engagierten diesen Fällen bislang wohl keine Rolle (Blome-
Bürgerinnen und Bürgern sowie Beschäftigten, Drees 2012c: 17).
der letztlich zur Gründung einer Genossenschaft Eine Überprüfung, inwieweit die Unterneh-
durch Betriebsrat, Beschäftigte, Kundinnen und mensform der Genossenschaft im beschriebenen
Kunden und Attac (Rothkegel 2012: 3) führte. Zusammenhang eine stabilisierende Rolle spielen
Die Akteure griffen bewusst auf das Modell der kann, erscheint aber angesagt, da sie bei Unter-
Genossenschaft in einem Multi-Stakeholder-An- nehmensnachfolgen eine Reihe von offensichtli-
satz zurück. Die Genossenschaft mit ihrer breiten chen Vorteilen bietet: Neben der geringen Insol-
Mitgliederstruktur sollte ermöglichen, dass die venzquote und des nicht erforderlichen Mindest-
Arbeitsbedingungen auf dem bestehenden hohen kapitals sind dies wirtschaftliche Stabilität, Nach-
Niveau und die Interessen der Belegschaft ge- haltigkeit, die Möglichkeit zur individuellen Sat-
wahrt bleiben, dass Ideen und Standards auf- zungsgestaltung, die demokratische Willensbil-
rechterhalten werden können, dass dem Kunden dung, der freie Ein- und Austritt, die Haftungsbe-
Produkte in der gewohnten Qualität angeboten schränkung und die geringe Mindestgründerzahl.
52
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Abbildung 4:
p.a.
10
An Familienmitglieder: An externe Führungskräfte
9.600 Unternehmen mit 21 3.600 Unternehmen mit
ca. 125.000 ca. 47.000
An Mitglieder: 8%
In den Verkauf:
2.250 Unternehmen mit
4.600 Unternehmen mit
ca. 30.000 Beschäftigten
ca. 60.000
Stilllegung mangels
Nachfolger:
1.800 Unternehmen mit
ca. 24.000 Beschäftigten
53
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
54
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Abbildung 5:
Gesamtbevölkerung 38,1
14 – 19 Jahre 48,7
20 – 29 Jahre 65,4
30 – 39 Jahre 88,9
40 – 49 Jahre 88,0
50 – 59 Jahre 91,4
60 – 69 Jahre 92,2
0 20 40 60 80 100
Quelle: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=9244.
Abbildung 6:
Lamdwirtschaft 80,6
Wohnungswirtschaft 72,3
Handel 65,5
Bankwesen 64,1
Handwerk 60,0
Energie 23,3
Gesundheitswesen 12,9
Steuerberater 8
0 20 40 60 80 100
Quelle: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=9244.
55
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
völkerung wissen dies vom Handel und 64,1 Pro- schaften in Niedersachen bestätigte ein großes
zent kennen Genossenschaftsbanken. Letzteres Interesse der Fachlehrerinnen und Fachlehrer.
ist insofern erstaunlich, da rund jeder fünfte Bun- Schülergenossenschaften wurden in diesem Zu-
desbürger Mitglied einer Kreditgenossenschaft ist. sammenhang hohe pädagogische Effekte hin-
Um es vorwegzunehmen: Der Stellenwert sichtlich Nachhaltigkeitsbildung und Gestal-
der Genossenschaft in der schulischen Ausbil- tungskompetenz sowie eine Demokratievermitt-
dung ist deutlich steigerungsfähig (Göler von lung quasi „nebenbei“ zugesprochen (Göler von
Ravensburg 2012b: 2). Je nach Bundesland wird Ravensburg 2012b: 9ff.).
das Thema Ökonomie in unterschiedlicher Form Die Notwendigkeit einer stärkeren ökonomi-
in den allgemeinbildenden Schulen zumeist nur schen Bildung in den Schulen vor dem Hinter-
als Wahl- oder Wahlpflichtfach angeboten. Da- grund der Herausforderung nachhaltigen Wirt-
bei werden im Kern keine Gesellschaftsrechts- schaftens ist allgemeiner Konsens unter Expertin-
formen vermittelt. Gleichzeitig wird ein Trend nen und Experten. Dabei müssten Schülergenos-
zur Ökonomisierung beobachtet. Immer mehr senschaften in einen größeren Zusammenhang
und immer jüngere Schülerinnen und Schüler gestellt und als ein eigener Bildungsbaustein ein-
verdienen während der Schulzeit nebenbei Geld geordnet werden. Die genossenschaftlichen Wer-
zur Befriedigung ihrer wachsenden Bedürfnisse. te können nur dann überzeugend vermittelt wer-
Göler von Ravensburg (2012b: 4) stellt einen den, wenn der individuelle und unmittelbare
Trend zur Gründung von Schülerfirmen fest. Heu- Mehrwert genossenschaftlich organisierter Schü-
te zählt man jährlich rund 1.100 Schülerfirmen, lerfirmen gegenüber anders strukturierten For-
aber nur rund 80 davon in genossenschaftlicher men deutlich wird. Eine bundesweite Ausweitung
Rechtsform (Göler von Ravensburg 2012b: 7). der von den Genossenschaftsverbänden mitge-
Letztere werden von den Verbänden und den tragenen Kampagne für Genossenschaften als
regionalen Genossenschaften als Partner betreut, Schülerfirmen unter dem Titel „Geno@school“
beschränken sich aber auf nur wenige Bundes- könnte neue bildungspolitische Anstöße geben.
länder. Eine Evaluierung von Schülergenossen-
56
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
In den vorangegangenen Kapiteln wurde das weitere politische Reformen notwendig. Diese
Potenzial für nachhaltiges und erfolgreiches Wirt- setzen einerseits bei der Gründungsberatung an,
schaften in genossenschaftlicher Form dargestellt. andererseits müssen Überregulierungen und Be-
Neben der Erweiterung von Geschäftsfeldern in nachteiligungen von Genossenschaften erkannt
den traditionellen genossenschaftlichen Sektoren und beseitigt werden.
findet sich heute zudem eine große Bandbreite an
neuen Handlungsfeldern. Doch trotz ihrer Vor-
züge ist die Zahl der Neugründungen gegenüber 8.1 Handlungsbedarfe im Rahmen
anderen Gesellschaftsformen noch immer mar- der Gründungsberatung
ginal. Es stellt sich geradezu zwingend die Frage
nach den Faktoren, die eine breitere Entfaltung Ein Hemmnis für Genossenschaftsgründungen
des Genossenschaftswesens in Deutschland bis- bleibt weiterhin die geringe Bekanntheit der
lang verhindern. Rechtsform bei gleichzeitig gesellschaftlich noch
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- immer vorhandenen negativ besetzten Attributen
Schnarrenberger betonte noch im Februar 2012, („bäuerlich“, „proletarisch“, „altbacken“), welche
dass Genossenschaften gerade auch dort Verant- bis hin zu einer Skandalisierung der Rechtsform
wortung übernehmen, wo der Staat aus Kosten- („Sozialismus“, „DDR“, „Gemeinwirtschaft“) rei-
gründen die Daseinsvorsorge einschränke. Gleich- chen. Die Genossenschaft stellt somit von vorn-
zeitig führte sie aber auch aus, dass die Möglich- herein oft keine reale Alternative gegenüber ande-
keiten, die Rechtsform noch attraktiver zu ma- ren Unternehmensformen dar (Vogt 2010: 66).
chen, mit der Gesetzesnovelle 2006 weitestgehend Dies zeigt sich speziell in der Gründungs-
ausgeschöpft sind. Grundsätzlichen Änderungs- beratung. Dort ist die Genossenschaft keine Alter-
bedarf am Gesetz sieht sie nicht, lediglich über native zu den etablierten Handelsgesellschaften,
weitere Optimierungen wie den Abbau von Büro- weil sie Unternehmens- und Steuerberatern häu-
kratie werde nachgedacht (GdW 2012a: o. S.). fig nicht vertraut oder gänzlich ungeläufig ist.
Dazu hat das Bundesjustizministerium angekün- Genossenschaften und ihre Besonderheiten wer-
digt, für die laufende Legislaturperiode einen den nicht wahrgenommen oder stehen sogar im
Gesetzentwurf einzubringen, wozu es allerdings Verdacht, ein angestaubtes Auslaufmodell und
bislang nicht gekommen ist (Rebmann 2012: 2). systemfremd, wenn nicht gar systemgefährdend
Hingegen hat eine Evaluation der Gesetzes- zu sein (Münkner 2002a: 179). Zudem haben Be-
novelle 2006 durch die Bundesregierung stattge- raterinnen und Berater einen monetären Anreiz,
funden, die zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Gründungswilligen die Rechtsform Genossen-
sich die neuen Regelungen bewährt haben. Pro- schaft nicht nachdrücklich zu empfehlen: Da Ge-
bleme in der Praxis seien nicht bekannt gewor- nossenschaften Pflichtmitglied in einem Genos-
den (Bundesregierung 2012: Nr. 2). senschaftsverband sind, gehen sie Steuer- und
In der Tat sind durch die Novellierung des Unternehmensberatern als Kunden dauerhaft
Genossenschaftsgesetzes im Jahr 2006 die Wei- verloren (Blome-Drees 2010: 32). Ernüchternd
chen zu einer Verbreitung der Rechtsform gestellt bleibt festzuhalten: Die Startvoraussetzungen für
worden. Um aber die Neugründungen von Ge- Genossenschaften sind aktuell schlecht.
nossenschaften noch weiter zu befördern, sind
57
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
47 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind das insbesondere die folgenden Merkmale: Verfolgung wirtschaftlicher Ziele (unter Beachtung
verfassungsrechtlich auferlegter sozialer und ökologischer Mindeststandards), Privateigentum an Produktionsmitteln, persönliches Ge-
winnstreben, Vorrang von wirtschaftlicher Effizienz und Ertrag des eingesetzten Kapitals.
58
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
59
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
51 Namentlich für die Form des Wirtschaftlichen Vereins (§ 22 BGB), der allerdings der Genehmigung durch die zuständigen Landesbehör-
den bedarf, und die sehr häufig rein aus formalen Gründen verweigert wird. Nur wenige Landesbehörden konnten sich bislang dazu
durchringen. Der Idealverein (§ 21 BGB) hingegen, der unbürokratisch funktioniert und kostengünstig ist, darf von Rechts wegen wie-
derum nicht für wirtschaftliche Unternehmungen genutzt werden – diese vermeintliche Lösung bleibt deshalb immer mit dem Risiko
behaftet, dass der Initiative wegen Rechtsformmissbrauchs die Rechtsfähigkeit entzogen wird. Als Ausweg bleiben Personen- oder BGB-
Gesellschaft mit dem Nachteil der gesamtschuldnerischen Haftung bzw. die für diese Zwecke wenig passgenauen Handelsgesellschaften
(Grumbach/Bösche 2010: 3).
52 Dieser Automatismus wäre, ebenso wie die Folgewirkungen, noch zu konkretisieren.
60
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
8.2.3 Überregulierung der Haftungsfrage gesetzes)54 ausgeübt wird. Gerade dann aber dürf-
ten die Haftungsreglungen überzogen und für das
Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, Vorstandsmitglied mit einem über Gebühr ho-
sind der Genossenschaft gemäß Paragraf 34 II S. 1 hen Risiko verbunden sein. In sehr kleinen Ge-
GenG zum Ersatz des daraus entstehenden Scha- nossenschaften ist eine Geschäftsverteilung, bei-
dens als Gesamtschuldner verpflichtet.53 Diese spielsweise über Ressorts, für ehrenamtliche Vor-
Vorschrift ist Grundlage für die Haftung im In- standsmitglieder oft nicht trennscharf praktikabel
nenverhältnis von Vorstandsmitgliedern gegen- darstellbar, sodass diese „für alles“ zuständig sind
über der Genossenschaft, die bei ihrer Geschäfts- und so vollumfänglich ihre Pflichten im Tages-
führung nach Paragraf 34 I S. 1 GenG die Sorgfalt geschäft erfüllen müssen. Mit dem übertragenen
eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäfts- Pflichtenkreis wächst jedoch auch das Risiko für
leiters einer Genossenschaft anzuwenden haben. eine persönliche Pflichtverletzung. Inwieweit
Jeder Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten führt nun die gleichen Sorgfaltsanforderungen eines
schon bei leichter Fahrlässigkeit zur grundsätz- hauptamtlichen Vorstands einer Marktgenossen-
lichen persönlichen Haftung, die auch nicht schaft an einen nebenamtlichen Vorstand einer
durch Satzung oder vertragliche Vereinbarung Kleinstgenossenschaft zu stellen sind, scheint
(zum Beispiel im Anstellungsvertrag), zugunsten strittig. Hierzu sollten Regelungen getroffen wer-
des Vorstandsmitglieds verändert werden kann den, welche die Genossenschaftsgründung nicht
(Bloehs et al. 2012: 34). Paragraf 34 IV GenG schon an über Gebühr hohen Haftungsfragen
schließt die Haftung nur dann aus, wenn die Hand- scheitern lässt. Ein Ansatz dazu könnte sein, dass
lung des Vorstandsmitglieds auf einem gesetzmä- die Haftung hier in gleicher Weise wie bei Stif-
ßigen Beschluss der Generalversammlung beruht. tungen oder in eingetragenen Vereinen (§ 13a
Diese gesetzlichen Regelungen der Organ- BGB) auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit be-
haftung sind denen der Kapitalgesellschaften an- schränkt wird (Bösche 2012: 16).
gelehnt. Bei der Genossenschaft bestehen aber
drei rechtsformbedingte Unterschiede: 8.2.4 Harmonisierungsbedarf für Kredit- und
– ihr einzigartiger Unternehmens- besser gesagt Agrargenossenschaften
Förderzweck (Paragraf 1 I GenG);
– die zwingende genossenschaftliche Selbstor- An dieser Stelle wird noch kurz auf Überregulierun-
ganschaft (Paragraf 9 II GenG); gen eingegangen, welche momentan die Kredit-
– die explizit ausgestaltete Organhaftung des und die Agrargenossenschaften beschäftigen.
Vorstands (Paragraf 34 I S. 1 GenG). Fraglich ist, ob Kreditgenossenschaften ih-
Analog zu Kapitalgesellschaften liegt bei der Ge- rem Auftrag zur Kreditversorgung der Realwirt-
nossenschaft eine Pflichtverletzung dann vor, schaft bei Implementierung der momentan in
wenn das Vorstandsmitglied bei der Führung sei- der Diskussion stehenden Basel-III-Bestimmun-
ner Geschäfte gegen die allgemein anerkannten gen noch unbeschränkt nachkommen können.
betriebswirtschaftlichen Erkenntnisse und Erfah- Danach müssen die Banken ab dem Jahr
rungen verstößt. Doch hinzu kommen bei der 2013 höhere Mindestkapitalanforderungen ein-
Genossenschaft die rechtsformspezifischen För- halten als bisher. Im Kern bestimmen die Regeln
derzweckverstöße, demnach die Verletzung des die Höhe der Rücklage, welche Banken bei der
mitgliedschaftsbezogenen Förderauftrags (Beuthi- Vergabe von Darlehen für die Risikovorsorge bil-
en et al. 2008: 51, 55). den müssen. Bis zum Jahr 2019 werden sich die
Zu berücksichtigen ist auch, dass eine Vor- Mindestkapitalanforderungen schrittweise mehr
standstätigkeit vielfach ehrenamtlich (so ja auch als verdoppeln (GLS 2012: 41).
die ausdrückliche Erlaubnis des Genossenschafts-
53 Strengere Maßstäbe ergeben sich für manche Genossenschaften auch aus anderen Gesetzen, z. B. KWG.
54 § 24 III S. 1 GenG.
61
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Die geplante Regulierung ist auf interna- senschaften sind Mehr-Familien-Betriebe und
tionale Großbanken zugeschnitten, welche sich keine Großagrarier, wie sie offensichtlich die EU-
über den Kapitalmarkt refinanzieren und entspre- Kommission vor Augen hat. Die Besonderheiten
chend Risiken an den Finanzmärkten eingehen. der Agrargenossenschaften bedürfen der aus-
Das traditionelle Geschäftsmodell der Kreditge- drücklichen Interessenvertretung von Politik und
nossenschaften ist hingegen risikoarm.55 Wenn Praxis in Brüssel. Ihre spezielle Situation muss
alle Banken aufsichtsrechtlich „über einen Kamm über Sonderregelungen angemessen berücksich-
geschoren“ werden, ohne deren Geschäftsmo- tigt werden.
delle kritisch zu hinterfragen und nach dem
jeweiligen individuellen Risiko einzuordnen,
dann werden gerade die regional agierenden 8.3 Anpassung der staatlichen Finanzie-
Genossenschaftsbanken übermäßig belastet. Es rungshilfen und Förderprogramme
droht die Gefahr, dass sich Kredite an die Real-
wirtschaft verteuern oder die Kreditvergabe gar In der Praxis stellt die Unterfinanzierung ein
ins Stocken gerät. häufiges Hemmnis für Genossenschaftsgründun-
Schon die Hinterlegung von Bankaktiva gen dar, hervorgerufen durch eine zumeist gerin-
durch risikogewichtetes Eigenkapital nach den ge Eigenkapitalausstattung der Gründer mit der
noch aktuell gültigen Bestimmungen aus Basel II Folge mangelnder Bonität bei den Verhandlun-
konnte die Finanzkrise nicht verhindern. Viel- gen um eine Fremdfinanzierung. So können Start-
mehr wurde die Komplexität der Regulierung up-Unternehmen kaum Sicherheiten für eine Be-
sowie die Intransparenz noch erhöht und belas- leihung bieten und unterliegen von vornherein
tet in seiner realwirtschaftlichen Auswirkung der latenten Gefahr von Überschuldung und Zah-
speziell KMU. Gerade für den genossenschaftlich lungsunfähigkeit. Dies hat wiederum Auswirkun-
orientierten Banksektor sind daher einfache gen auf den Business-Plan und die Gründungs-
und klare Kapitalregeln zu fordern (Otte 2010: prüfung. Sie kann so zu einem entscheidenden
99/100). Kriterium gegen die genossenschaftliche Rechts-
Für die Landwirtschaft sehen die Pläne in der form werden. Neben dem Gewinnen von Förder-
Europäischen Union vor, die Direktzahlungen mitgliedern oder der grundlegenden Entschei-
für landwirtschaftliche Großbetriebe nach dem dung zur Zulassung investierender Mitglieder
Jahr 2013 stufenweise zu kürzen und zu deckeln. stellt sich bei der Finanzierung auch die Frage
Davon sind die Agrargenossenschaften beson- nach Fördermitteln der öffentlichen Hand.
ders betroffen, würde das doch ihre finanziellen Obwohl einzelne Landesverfassungen die
Ressourcen zur Aufrechterhaltung dörflicher Absicht zur Förderung von Genossenschaften
Infrastruktur merkbar einschränken und dane- explizit vorschreiben, beschränkt sich die staat-
ben auch Wettbewerbsverzerrungen hervorrufen liche Förderung, wenn überhaupt, fast ausschließ-
(MGV 2012: 9). lich auf eine rein ideelle Förderung.56 Im Unter-
Die EU will wirtschaftlichen Großbetrieben schied zu anderen europäischen Staaten wie
in Zukunft mehr Eigenständigkeit abverlangen Frankreich, Italien, Schweden oder auch Groß-
und die hierdurch eingesparten Mittel vermehrt britannien werden in Deutschland weder Genos-
kleinen Betrieben und der Förderung von For- senschaften selbst, noch deren Verbandsstruk-
schung und Innovation zugutekommen lassen. turen seitens des Staats finanziell gefördert. Das
Dabei wirken Agrargenossenschaften zwar zu- Gleiche gilt für genossenschaftliche Pilotpro-
nächst wie Großbetriebe, dennoch bestehen sie jekte und für die Gründungsberatung (Göler von
in der Realität aus vielen kleinen Familienbetrie- Ravensburg 2010a: 35). Wo kann also wirksam
ben (Krehl 2012: 9). Klarzustellen ist: Agrargenos- angesetzt werden?
62
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
57 Eine Zusammenstellung und Analyse betrieblicher Fallbeispiele geben Klemisch et al. (2010).
58 Zur weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen für genossenschaftliche Unternehmensnachfolgen vgl. Kapitel 8.5.
63
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
auch der Beratungskosten- und Eingliederungs- Ein letzter Aspekt ist die Finanzierung von
zuschuss (Nottenbohm 2012: 4, 8 - 10). Auch hier Sozialunternehmen, also von Unternehmen, die
muss die Genossenschaft in jedem Falle gleich- sich innovativ, pragmatisch und langfristig für
berechtigt zu anderen Wirtschaftsformen wieder einen positiven Wandel der Gesellschaft einset-
in die Existenzgründungsförderung aufgenom- zen wollen. Hierbei handelt es sich nahezu aus-
men werden. nahmslos um KMU. Mit ihrem oft selbst gesetz-
Auch eine Nutzung der traditionellen Finan- ten sozialen Auftrag gehen meist auch eine deut-
zierungsquelle über die Mitglieder, sogenannte liche Ausrichtung auf nachhaltiges und integra-
Mitgliederdarlehen, ist Genossenschaften viel- tives Wachstum und die Bewältigung gesellschaft-
fach unmöglich geworden. Diese Finanzierungs- licher Herausforderungen einher. Die Hürden, die
möglichkeit wurde von den Nationalsozialisten solche Unternehmer zu bewältigen haben, sind
in ihrem Kampf gegen die Konsumgenossen- hoch. Anders als etwa die großen Sozialverbände
schaften weitgehend beseitigt und nach 1945 haben sie keinen traditionellen Zugang zu politi-
auch nicht wieder hergestellt. Mitgliederkredite schen Entscheidungsträgern, um dort ihre Perspek-
über 15.000 Euro gelten damit heute noch immer tive wirkungsvoll einzubringen (PL 2012: 3).
als genehmigungspflichtige Bankkredite nach Eine zielgerichtete Förderung von Sozial-
dem KWG (Bösche 2012: 10, 16). Hiermit verbun- unternehmen in der Rechtsform der Genossen-
den sind regelmäßige Meldungen an die Banken- schaft über die Programme der KfW gibt es aktuell
aufsicht – und eine dafür nötige Qualifikation im nicht. Dabei scheint eine Organisation von Sozial-
Vorstand! Diese kann außerhalb des kreditgenos- unternehmen in genossenschaftlicher Rechtsform
senschaftlichen Sektors jedoch nicht vorausge- genauso hilfreich zu sein wie die Anpassung von
setzt werden. Eine Schwarmfinanzierung gerade Förderinstrumenten auf ihre konkreten Belange.
für die Kultur- und Kreativwirtschaft oder für Auch hier ist zu fordern, dass die Genossenschaft
bürgerschaftliche Selbsthilfe ist damit deutlich nicht weiter gegenüber den in anderen Rechts-
erschwert. Einzufordern sind vereinfachte Bedin- formen firmierenden Sozialunternehmen be-
gungen und Erleichterungen für die Aufnahme nachteiligt wird (Nottenbohm 2012: 12). Weiter-
von Mitgliederkrediten. hin sind Fördergelder gerade für solche Aufga-
Angemerkt sei, dass bereits im Jahr 2004 die ben zu fordern, ohne die der Geschäftsbetrieb
EU auf die Schwierigkeiten verwiesen hat, welche nicht stattfinden kann – beispielsweise zur Er-
Genossenschaften bei der Kapitalaufnahme ha- langung sozialer Fähigkeiten oder kaufmänni-
ben. Sie stellte fest, dass diese Schwierigkeiten scher Kenntnisse für die verantwortlichen Orga-
darauf zurückzuführen sind, dass sowohl Kredit- ne (PL 2012: 5).
institute als auch der Gesetzgeber keine oder nur Zusammengefasst bleibt die Politik aufgeru-
unzureichende Kenntnis über die Eigenschaften fen, sicherzustellen, dass eine Inanspruchnahme
kooperativer Unternehmensformen besitzen. der Wirtschaftsförderung auf Bundes-, Landes-
Was die Bereitstellung öffentlicher Finanzmittel und kommunaler Ebene der Rechtsform Genos-
anbelangt, forderte die EU-Kommision seinerzeit senschaft gleichberechtigt zu anderen Unter-
bereits die Mitgliedsstaaten auf, dafür Sorge zu nehmensformen möglich ist. Bereits bestehende
tragen, dass die Maßnahmen zur Förderung der Instrumente sind auf die Besonderheit der Ge-
Unternehmensfinanzierung auch von Genossen- nossenschaft auszuweiten und parallel dazu ge-
schaften in Anspruch genommen werden kön- eignete Förderprogramme für neue genossen-
nen – und die Instrumente dafür geeignet sein schaftliche Tätigkeitsfelder, zum Beispiel für Kul-
müssen (EU-Kommission 2004: 10). tur- und Kreativunternehmer, zu entwickeln.
64
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
65
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
gelte abverlangt hat, welche wirtschaftlich in die- anderen sollten die Genossenschaftsverbände
ser Höhe nicht gerechtfertigt waren. Die Höhe offensiver für den Einsatz dieses Instruments wer-
der Rückvergütung ist abhängig vom Umsatz, ben. Schließlich handelt es sich um eine erhal-
den das einzelne Mitglied mit der Genossenschaft tenswerte Besonderheit der genossenschaftlichen
getätigt hat. Gewinne aus Nichtmitglieder- Rechtsform, welche diese von anderen Unterneh-
geschäften werden nicht berücksichtigt (Bloehs mensformen abgrenzt.
et al. 2012: 19).
Die meisten Genossenschaften können die
Rückvergütung als Betriebsausgabe erfassen, was 8.5 Mehr Aufmerksamkeit für genossen-
ihr zu versteuerndes Einkommen vermindert.62 schaftliche Unternehmensnachfolge
Da auch die Mitglieder keine Steuern auf die
Rückvergütung zahlen müssen, wirkt diese quasi Grundannahme ist die Beobachtung des IfM über
als nachträgliche Preissenkung. Produktivgenos- den Zeitraum 2005 bis 2009, dass potenziell jähr-
senschaften bleiben aber von dieser sinnvollen lich 7.300 Unternehmen mit ca. 72.500 Beschäf-
Steuerbefreiung der Rückvergütung ausgeschlos- tigten an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über-
sen. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanz- tragen werden. Das sind immerhin rund zehn
hofs (BFH) setzt die Anerkennung der Rückver- Prozent der Gesamtheit aller übergabereifen Un-
gütung als Betriebsausgabe voraus, dass diese ternehmen. Auch wenn diese Zahlen mittler-
auf einem unternehmerischen Leistungsverhält- weile für den Zeitraum von 2010 bis 2014 nach
nis zwischen der Genossenschaft und ihren Mit- unten korrigiert wurden, liegt hier ein erhebli-
gliedern beruht. Leistungen der Genossenschaft ches Potenzial für Genossenschaften. Eine genau-
im Rahmen einer nicht selbstständigen Tätigkeit ere Analyse über die wirtschaftlichen Hinter-
der Mitglieder werden von der Abzugsfähigkeit, gründe, die Ursachen und die Form der Übertra-
so der BFH, nicht erfasst. Ein Mitgliedergeschäft gungen wäre hilfreich, liegt aber leider nicht vor.
liegt demnach ausdrücklich dann nicht vor, wenn Dennoch ist eindeutig, dass ein Genossenschafts-
die Mitglieder als Arbeitnehmer für ihre Genos- modell bisher nur in den seltensten Fällen zum
senschaft tätig sind. Eine Verfassungsbeschwerde Tragen kommt. Hauptgrund ist, dass eine solche
gegen diese Rechtsauffassung (Art. 3 I Grund- Initiative mit den handelnden Personen steht
gesetz, Gleichbehandlungsgrundsatz) wurde im und fällt. Wie das Beispiel der hnGeno belegt,
Jahr 2008 abgelehnt (Bloehs et al. 2012: 19). bedarf es eines motivierten und sachkundigen
Die Entscheidung ist diskussionswürdig, in Akteursnetzwerks, um erfolgreich zu sein.63
der Praxis werden hierdurch Produktivgenossen- Wenn es zu keiner langfristigen Nachfolge-
schaften und Selbstverwaltungsbetriebe in genos- regelung kommt, könnten die Beschäftigten
senschaftlicher Rechtsform gegenüber anderen selbst im Rahmen einer Genossenschaft als Mit-
Genossenschaften diskriminiert. Betroffen davon arbeiterbeteiligungsmodell (gleich Unternehmer-
sind vor allem Agrargenossenschaften, welchen modell) die Weiterführung des Betriebes in die
dann nur die steuerpflichtige Dividendenaus- Hand nehmen. Als Option für eine Unterneh-
schüttung an die Mitglieder bleibt. mensnachfolge, die sofort umgesetzt werden
Unabhängig davon ist zu konstatieren, dass kann, bietet sich die Rechtsform der Genossen-
die Rückvergütung in der Praxis auch bei den schaft geradezu an.
dazu berechtigten Genossenschaften aufgrund Im Gegensatz zum Verkauf an Dritte könnte
des vermeintlich hohen Berechnungsaufwands die Gründung einer Genossenschaft eine umfas-
vielfach nicht zum Einsatz kommt. Hier sollte sende und weitreichende Beteiligung großer Teile
zum einen nach Möglichkeiten gesucht werden, oder sogar der gesamten Belegschaft am Unter-
Rückvergütungen einfacher durchzuführen. Zum nehmen ermöglichen. Eine solche Form der Ge-
62 § 22 KStG.
63 Vgl. Kap 7.3.
66
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
nossenschaft, in der die Mitglieder zugleich Mit- verbände, die erfahrungsgemäß auch die Solidität
arbeiterin/Mitarbeiter und Eigentümerin/Eigen- der Geschäftsmodelle fördert. Eine intelligente
tümer des Unternehmens sind, wäre eine produk- Erweiterungsmöglichkeit stellt das Konzept einer
tivgenossenschaftliche Ausrichtung. Sie bietet Multi-Stakeholder-Genossenschaft dar, beispiels-
wie keine andere Rechtsform die Möglichkeit weise das der hnGeno. Dort beteiligen sich an der
einer demokratischen Mitwirkung aller Beschäf- Genossenschaft neben den Beschäftigten auch
tigten und entspräche daher einem modernen die Kundinnen und Kunden sowie andere inter-
Unternehmens- und Organisationsverständnis, essierte Personen und Organisationen.
das die Partizipation der Mitarbeiter als wesent- Die Potenziale von Genossenschaften bei
lichen Faktor für den Erfolg des Unternehmens Unternehmensnachfolgen müssen also noch viel
sieht. Überdies könnte der Übergang fließend ge- offensiver von den relevanten Akteuren kommu-
staltet werden, indem der bisherige Eigentümer niziert werden. Optimalerweise müssten auch
zunächst als Vorstand der Genossenschaft weiter Organisationen wie Handelskammern, Arbeit-
aktiv ist, später in den Aufsichtsrat der Genossen- geberverbände und Gewerkschaften darüber in-
schaft gewählt wird und so seine Erfahrung und formiert sein und tragfähige Konzepte unterstüt-
seine Beziehungen zum Vorteil des Unternehmens zen. Bislang sind es leider nur wenige Institutio-
perspektivisch einbringt. Neben dem demokra- nen wie zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft
tischen Element überzeugen beim genossenschaft- Partnerschaft in der Wirtschaft e.V., die in eine
lichen Konzept insbesondere der unkomplizierte derartige Richtung denken. Notwendig ist eine
Ein- und Austritt von Teilhaberinnen und Teil- Offensive der Öffentlichkeitsarbeit, um die
habern (Mitgliedern bzw. Mitarbeiterinnen und Potenziale des Genossenschaftswesens bei Un-
Mitarbeitern) und die Begleitung durch erfahrene ternehmensnachfolgen breiter zu verankern.
Beraterinnen und Berater der Genossenschafts-
67
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Genossenschaften sind in Deutschland ein Teil rechtsformspezifischen Werte, Ideale und Struk-
der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung. turmerkmale, welche die Unternehmensform Ge-
Allerdings zeigen sie kein rein kapitalistisches nossenschaft unverwechselbar und wettbewerbs-
Verhalten. Denn die Gewinnmaximierung tritt fähig machen und die ihnen in ihrem jeweiligen
gegenüber der Förderung der Mitglieder in den Geschäftsfeld Sympathie, Vertrauen und Wert-
Hintergrund, die Kapitalakkumulation stellt kei- schätzung entgegenschlagen lassen (Grosskopf et
nen Selbstzweck dar. Genossenschaften treten al. 2012: 215).
damit den Beweis an, dass Kapitalismus nicht Dabei sind Genossenschaften nicht per se
zwingend kapitalistisches Handeln notwendig die besseren Unternehmen. Sie sind auch nicht
macht. Doch je mehr sich Genossenschaften klas- die Lösung für alle sozialen, kommunalen und
sischen kapitalistischen Firmen annähern, desto arbeitsmarktpolitischen Probleme. Aber sie ba-
mehr verlieren sie ihre Funktion als Korrektiv sieren auf Grundprinzipien und Werten, die es
(Reichel 2012: 5, 10). ihnen ermöglichen, anders zu wirtschaften und
Spätestens seit der Gesetzesnovelle 1973 ist dabei nicht Kapitalinteressen, sondern die Inter-
zu beobachten, dass der Gesetzgeber die Genos- essen ihrer Mitglieder als Nutzerinnen und Nut-
senschaft im Hinblick auf ihre innere Ordnung zer der jeweiligen genossenschaftlichen Leistung
immer weiter an die der Aktiengesellschaften an- in den Vordergrund zu stellen. Sie können dazu
nähert. Lücken, die das Gesetz offenlässt, werden beitragen, Menschen in die Lage zu versetzen,
durch Rechtsprechung und Praxis mit manchmal ihre wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen
fraglichen Analogien zum Aktienrecht, zum Ver- Belange selbst in die Hand zu nehmen. Und sie
einsrecht oder zu anderen Rechtsformen ge- stehen dafür, den ordnungspolitischen Rahmen
schlossen.64 Und auch nach der Novelle 2006 im Sinne einer wirtschaftsdemokratischeren Aus-
bleiben viele Fragen offen. Setzt sich dieser Trend richtung nach der Krise zu gestalten und weiter
von Analogien und Querverweisen in andere Re- zu befördern.
gelwerke fort, dann muss die Frage der Daseins- Genossenschaften haben keinen öffent-
berechtigung der Rechtsform Genossenschaft lichen Auftrag. Allerdings zeigen ihre Tätigkeiten
künftig offen gestellt werden (Bloehs et al. 2012). häufig positive externe Effekte, die eine dem Ge-
Profil gewinnt die Genossenschaft nicht meinwohl dienende Wirksamkeit zur Folge ha-
durch Anpassung an andere Rechtsformen. Viel- ben können. Wohnungsgenossenschaften enga-
mehr sind es gerade die strukturprägenden Ele- gieren sich beispielsweise im Städtebau oder in
mente der Genossenschaft, die durch den Gesetz- der Förderung bestimmter Randgruppen wie Mi-
geber wieder gestärkt werden müssen. Nur durch grantinnen und Migranten oder jungen Familien.
die Betonung ihrer spezifischen Besonderheiten Die Agrargenossenschaften nehmen eine wich-
kann die Rechtsform Genossenschaft zukunfts- tige gesamtgesellschaftliche Aufgabe im häufig
fest gemacht werden. Denn es sind gerade die strukturschwachen ländlichen Raum Ostdeutsch-
64 Insbesondere Spezialregelungen wie Kreditwesengesetz, Regelungen der nationalen und internationalen Rechnungslegung, Corporate
Governance Kodex oder Anforderungen an das Risikomanagementsystem, um nur einige zu nennen.
68
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
lands wahr und generieren neben ihrer originä- Fördermittel kommen. Notwendig sind auch bü-
ren Tätigkeit vielfach auch weitere Nebenein- rokratische Erleichterungen für kleine oder kleins-
künfte. Durch den Betrieb von Windkraftanlagen, te Kooperativen – hier verhindern rechtsform-
Tankstellen oder den Verkauf weiterer Erzeugnis- spezifisch hohe Aufwände, z. B. für Gründungs-
se, insbesondere für Haus oder Garten, aber auch prüfungen, dass das Potenzial der Rechtsform
der autonomen Organisation von Diensten oder ausgeschöpft wird. Primär sind aber die Genos-
kultureller Veranstaltungen im Dorf leisten sie senschaften und ihre Verbände selbst aufgefor-
einen Beitrag zur lokalen Daseinsvorsorge. Sozial- dert, dazu beizutragen, die Rechtsform zu stärken.
genossenschaften übernehmen gesellschaftliche Es muss ihnen gelingen, der Öffentlichkeit aufzu-
Aufgaben in Gesundheit und Pflege, Stadtteil- zeigen, dass sie in unterschiedlichsten wirtschaft-
genossenschaften vergrößern das kommunale lichen und sozialen Bereichen effizient sind und,
Dienstleistungsangebot und tragen damit gene- mit Blick auf die Region, nicht nur konkrete Wer-
rationenübergreifend zur Verbesserung der Le- te, sondern auch messbare Mehrwerte schaffen.
bens- und Arbeitsbedingungen und zur Sicherung Nur eine positive Außendarstellung und viele ge-
der Infrastruktur bei. Damit kann die Genossen- lungene Beispiele aus der Praxis können das
schaft als parallele und ergänzende Organisation Image der Genossenschaften verbessern und At-
kommunaler Selbstverwaltung ausgerichtet wer- tribute wie „verstaubt“ und „altbacken“ der Ver-
den. Allerdings dürfen genossenschaftliche Lö- gangenheit angehören lassen. Genossenschaften
sungen nicht zur Substitution staatlichen Han- können dann als das wahrgenommen werden,
delns führen, indem der sozialstaatliche Anspruch was sie sind, nämlich als innovative Koopera-
in den privaten Verantwortungsbereich abge- tionsunternehmen mit demokratischer Grund-
schoben wird. Vielmehr muss es sich bei genos- struktur, die sich positiv von den Auswüchsen
senschaftlichen Ansätzen eher um eine Ergän- des Shareholder-Value-Kapitalismus abheben.
zung des staatlichen Leistungsangebots handeln. Genossenschaften haben, so zeigt das weite
Die positive Rolle der Genossenschaften in Spektrum der neuen Erscheinungsformen, also
unserem Wirtschaftssystem sollte die Politik dazu nichts von ihrer Aktualität eingebüßt. Sie sind
bewegen, die rechtlichen und steuerlichen Rah- nicht antiquiert, sondern wurden und werden
menbedingungen für genossenschaftliches Wirt- durch die jeweiligen Umstände ihrer Zeit geprägt
schaften weiter zu verbessern und für eine Gleich- (Lüllmann 2012: 190). Bleiben sie ihrem Wesen
stellung mit anderen Unternehmensformen zu treu und unverwechselbar, haben sie auch wei-
sorgen. So ist es nicht einzusehen, warum Genos- terhin Zukunft und sind, gemäß dem Motto des
senschaften im Gegensatz zu anderen Unterneh- Genossenschaftsjahres 2012: „Ein Gewinn für
mensformen kaum in den Genuss öffentlicher alle. Die Genossenschaften.“
69
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Anhang
Tabelle 1:
65 In Anlehnung an Stappel (2011: S. 40 - 41; der Publikation liegen die zum Zeitpunkt ihrer Erstellung letzten veröffentlichten Zahlen vor.
Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass in Abweichung dazu die Justizstatistik, auf die in der Publikation nicht ein-
gegangen wird, von anderen Zahlen ausgeht).
70
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Literaturverzeichnis
Agentur für erneuerbare Energien; DGRV (Hrsg.) 2011: Energiegenossenschaften. Bürger, Kommunen
und lokale Wirtschaft in guter Gesellschaft, Berlin.
Alscher, Mareike 2011: Genossenschaften. Akteure des Markts und der Zivilgesellschaft, in: FES (Hrsg.):
betrifft. Bürgergesellschaft 36, http://www.fes.de/buergergesellschaft/publikationen/documents/
BB-36Genossenschaften.pdf (29.9.2012).
Altvater, Elmar 2006: Solidarisches Wirtschaften: prekär oder emanzipativ?, in: Altvater, Elmar; Sekler,
Nicole (Hrsg.): Solidarische Ökonomie, Hamburg, S. 971- 21.
Berger, Dietmar 2012: Input Landwirtschaftssektor,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/300312/Berger.pdf (5.10.2012).
Beuthien, Volker; Dierkes, Stefan; Wehrheim, Michael 2008: Die Genossenschaft. Mit der Europäischen
Genossenschaft, Berlin.
Bierbaum, Heinz; Riege, Marlo 1989: Selbsthilfe, Genossenschaften, Vergesellschaftung, Hamburg.
Bischoff, Werner 2004: Aktivitäten der nordrhein-westfälischen Landespolitik für eine innovative Ar-
beitsmarktpolitik zur Bestandssicherung in KMU-Betrieben, in: Kost, Klaus (Hrsg.): Wir retten, was
zu retten ist. Arbeitsplatzerhalt durch Belegschaftsinitiativen, Marburg.
Bloehs, Joachim; Fandrich, Andreas; Hettrich, Eduard; Pöhlmann, Peter 2012: Genossenschaftsgesetz
nebst umwandlungsrechtlichen Vorschriften, München.
Blome-Drees, Johannes 2010: Ansatzpunkte zu einer Erhöhung der Neugründungsquote von Genossen-
schaften, in: Münkner, Hans-H.; Ringle, Günther (Hrsg.): Neue Genossenschaften und innovative
Aktionsfelder. Grundlagen und Fallstudien, Baden-Baden, S. 23 - 35.
Blome-Drees, Johannes 2012a: Wirtschaftliche Nachhaltigkeit statt Shareholder Value. Das genossen-
schaftliche Geschäftsmodell, WISO direkt, Bonn.
Blome-Drees, Johannes 2012b: Handwerkergenossenschaften und andere gewerbliche Genossenschaf-
ten. Neue genossenschaftliche Betätigungsfelder,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Blome-Drees.pdf (5.10.2012).
Blome-Drees, Johannes 2012c: Potentiale des Genossenschaftswesens bei Unternehmensnachfolgen
und Belegschaftsinitiativen,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/290612/Blome-Drees.pdf (5.10.2012).
BMVBS/BBR (Hrsg.) 2007: Erschließen von Genossenschaftspotentialen, Bonn.
Bösche, Burchard 2007: Warum brauchen wir eine „Kleine Genossenschaft?“, WISO direkt, Bonn.
Bösche, Burchard 2010: Wirtschaftliche Vereine als kleine Genossenschaften, in: Grumbach, Detlef;
Bösche, Burchard; Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V. (Hrsg.): Wirtschaftli-
che Vereine, Hamburg.
Bösche, Burchard 2012: Reformpotentiale im Genossenschaftsrecht, http://www.fes.de/wiso/pdf/mit-
telstand/2012/290612/Boesche.pdf (5.10.2012).
Bundesregierung 2012: Antwort auf die Anfrage der Abgeordneten Johanna Voß et al., Drucksache
17/10654 vom 11.9.2012: Reformbedarf für Genossenschaften.
Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens; Paritätische Bundesakademie; Flieger,
Burghard (Hrsg.) 2003: Sozialgenossenschaften, Neu-Ulm.
71
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Dähn, Vanessa 2009: Kommunen geben Tante Emma eine zweite Chance, in Handelsblatt, http://www.
handelsblatt.com/unternehmen/mittelstand/dorflaeden-kommunen-geben-tante-emma-eine-
zweite-chance/3290084.html (1.10.2012).
DGB NRW 2009: Aktueller Hinweis zur Gründung und Beratung von Belegschaftsinitiativen vom
6.3.2009, http://netkey40.igmetall.de/homepages/bezirksleitung-nrw/hochgeladenedateien/pdf/
Hinweise%20zur%20Gruendung%20von%20Belegschaftsinitiativen.pdf (24.3.2009).
DGRV (Hrsg.) 2009: Wirtschaftlicher Aufschwung durch Genossenschaften, in PerspektivePraxis.de
3/2009, http://www.perspektivepraxis.de/perspektivepraxis.nsf/PP/000903Artikel/$FILE/Aufschwung_
durch_Genossenschaften.pdf (15.7.2012).
DGRV 2012a: Genossenschaften Gründen, http://www.neuegenossenschaften.de/ideen_konzepte/ge-
sundheit.html (19.7.2012).
DGRV 2012b: Unser Dorfladen, http://www.neuegenossenschaften.de/gruendungen/dienstleistung/
Unser_Dorfladen.html (1.10.2012).
DGRV 2012c: Wasserwerk Ellerhoop, http://www.neuegenossenschaften.de/gruendungen/staedte_u_
gemeinden/Ellerhoop.html: (1.10.2012).
Die Zeit, 19.4.2012, S. 28.
Dorfladen Netzwerk 2012, http://dorfladen-netzwerk.de/dorflaeden-in-deutschland/ (1.10.2012).
DRV (Hrsg.) 2010: 20 Jahre Agrargenossenschaften. Eine Erfolgsgeschichte, Neuwied.
Duhm, Rainer 1991: Manege oder Parkett? Die Rolle der Gewerkschaften bei Betriebsübernahmen, in:
Notz, Gisela; Heß, Klaus-Dieter; Buchholz, Ulrich; Bühler, Theo (Hrsg.): Selbstverwaltung in der
Wirtschaft, Köln, S. 73-86.
Eichwald, Berthold; Lutz, Klaus Josef 2011: Erfolgsmodell Genossenschaften. Möglichkeiten für eine
wertorientierte Marktwirtschaft, Wiesbaden.
Eisen, Andreas 2012: Genossenschaftsmodell als Träger kommunaler Infrastruktur?, http://www.fes.de/
wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Eisen.pdf (5.10.2012).
Elsen, Susanne 1998: Gemeinwesenarbeit und Gemeinwesenökonomie im Zeitalter der Globalisierung,
in: Klöck, Tilo (Hrsg.): Solidarische Ökonomie und Empowerment, Neu-Ulm, S. 69-98.
Engels, Astrid 2006: Stärkung des Genossenschaftsgedankens durch die Aktualität der Kooperationsidee
in Wissenschaft und Wirtschaftspraxis, in: Münkner, Hans-H.; Ringle, Günther (Hrsg.): Zukunfts-
perspektiven für Genossenschaften, Bern et al., S. 2 - 18.
Esser, Ingeborg; Hillebrand, Klaus-Peter; Walter, Karl-Friedrich 2007: Unabhängigkeit der genossen-
schaftlichen Prüfungsverbände. Auswirkungen des Bilanzrechtsreformgesetzes und der Genossen-
schaftsnovelle, in: Die Wirtschaftsprüfung 1/2007, Heft 1, S. 32 - 39.
Fahlbusch, Reinhold 2012: Sozialgenossenschaften. Zwischen Selbsthilfe und Gemeinwohlorientierung,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Fahlbuscht.pdf (5.10.2012).
FES 2011: Tagungsprotokoll „Genossenschaften: Ein traditionsreiches Wirtschaftsmodell und seine neuen
Herausforderungen“, http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2011/081111/Protokoll.pdf (15.7.2012).
Flieger, Burghard; Klemisch, Herbert 2008: Eine andere Energiewirtschaft ist möglich. Neue Energiege-
nossenschaften, in: Widerspruch 54, S. 105 - 110.
Flieger, Burghard 2011: Energiegenossenschaften. Eine klimaverantwortliche bürgernahe Energiewirt-
schaft ist möglich, in: Elsen, Susanne (Hrsg.): Ökosoziale Transformation. Solidarische Ökonomie
und die Gestaltung des Gemeinwesens, Neu-Ulm, S. 315 - 338.
FTD, 4.5.2012, S. A1 und A6.
FTD, 15.5.2012, S. 20.
GdW 2011: GdW begrüßt Entwurf des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 und fordert Ergänzungen,
http://web.gdw.de/pressecenter/pressemeldungen/191-steuern/112-gdw-begruesst-entwurf-des-
steuervereinfachungsgesetzes-2011-und-fordert-ergaenzungen (9.9.2012).
GdW 2012a: GdW kompakt Teil 1, 2012 eG, Berlin.
72
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
73
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
74
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
Otte, Max 2010: Volks- und Raiffeisenbanken als Stabilitätsfaktor in Wirtschaftskrisen. Eine polit- und
institutionenökonomische Perspektive, in: ZfgG, Bd. 60, Heft 2/2010, S. 89 - 103.
PL Arbeitsgruppe 2012: Genossenschaftswesen und solidarische Ökonomie, Berlin.
Priebe 2012: Hallenbad Nörten-Hardenberg – Schwimmen, Gesundheit, Wellness organisieren,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Priebe.pdf (3.11.2012).
Rebmann, Stefan 2012: Gesetzliche Voraussetzungen für eine demokratische Genossenschaftskultur,
http://www.gegenblende.de/16-2012/++co++7aa4335a-f115-11e1-b8ae-52540066f352 (8.9.2012).
Reichel, Richard 2011: Leistungsprofile der Genossenschaftsinstitute im deutschsprachigen Raum, in:
ZfgG, Bd. 61, S. 169- 184.
Reichel, Richard 2012: Sind Genossenschaften die besseren Kapitalisten?, http://www.fes.de/wiso/pdf/
mittelstand/2012/300312/reichel.pdf (5.10.2012).
Ringle, Günther 2010: Der genossenschaftliche Förderauftrag. Deutungsversuche – praktische Umset-
zung – Fördererfolgsausweis, in: Wismarer Diskussionspapiere, Heft 04/2010, Wismar, S. 6 - 29.
Rothkegel, Andrea 2012: Potentiale des Genossenschaftswesens bei Unternehmensnachfolgen und Be-
legschaftsinitiativen am Beispiel hnGeno, http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/290612/
Rothkegel.pdf (5.10.2012).
Rügemer, Werner 2005: Cross Border Leasing, Münster.
Rügemer, Werner 2008: Privatisierung in Deutschland. Eine Bilanz, Münster.
Sell 2012: Dorfladen Falkenau, http://www.unser-laden-falkenau.de/ (1.10.2012).
Spanheimer, Robert 2012: Bürgerbeteiligung an erneuerbarer Energiegewinnung auf dem Land – oder
die Energie des Dorfes dem Dorfe, http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Spanhei-
mer.pdf (5.10.2012).
Staab, Jürgen 2011: Erneuerbare Energie in Kommunen. Energiegenossenschaften gründen, führen und
beraten, Wiesbaden.
Stappel, Michael 2010: Neugründungen von Genossenschaften in den Jahren 2000 bis 2008, in: Münk-
ner, Hans-H.; Ringle, Günther (Hrsg.): Neue Genossenschaften und innovative Aktionsfelder, Ba-
den-Baden, S. 67 - 81.
Stappel, Michael 2011: Die deutschen Genossenschaften 2011, Wiesbaden.
Theurl, Theresia 2008: Klimawandel. Herausforderungen und Tätigkeitsfelder für Genossenschaften,
in: IfG intern, S. 19 - 22, http://www.wiwi.uni-muenster.de/06/toplinks/newsletter/newsletter.html
(3.11.2012).
Theurl, Theresia 2012: Ökonomische Dimensionen und gesellschaftliche Werte, in: GLS Bank (Hrsg.):
Bankspiegel, Heft 214, Bochum, S. 13-15.
Theurl, Theresia; Wendler, Caroline 2011: Was weiß Deutschland über Genossenschaften?, Aachen.
Touchard, Stefan 2012: Handwerkergenossenschaften und andere gewerbliche Genossenschaften,
http://www.fes.de/wiso/pdf/mittelstand/2012/220512/Touchard.pdf (5.10.2012).
Vogelsang, Klaus; Lübking, Uwe; Ulbrich Ina-Maria 2005: Kommunale Selbstverwaltung. Rechtsgrund-
lagen – Organisation – Aufgaben – Neue Steuerungsmodelle, Berlin.
Volz, Richard 2011: Strukturen und Merkmale von Energiegenossenschaften in Deutschland, in: Ho-
henheimer Genossenschaftsforschung, S. 65 - 88.
Vogt, Walter 2010: Genossenschaften – eine andere Form des Wirtschaftens, in: PL (Hrsg.) Dokumente:
Ein Reader der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, www.parlamentarische-
linke.de/fileadmin/Texte/2011/Reader_Genossenschaften_final.pdf (22.7.2012).
Vogt, Walter 2011: Wir-eG statt Ich-AG. Solidarische Ökonomie hat Zukunft!, WISO direkt, Bonn.
Vogt, Walter 2012: Gewerkschaften und Genossenschaften. Versuch einer Positionsbestimmung, http://
spw.de/data/spw_188_vogt.pdf (3.10.2012).
ZdK (Hrsg.) 2012: Genossenschaft. Informationen rund um die Genossenschaften, Ausgabe 1/2012,
Hamburg.
75
WISO
Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Autoren
Walter Vogt
Diplom-Betriebswirt, ist politischer Sekretär in der Betriebspolitik beim Vorstand der IG
Metall; in seiner früheren Tätigkeit war er lange Jahre in der genossenschaftlichen Prüfung
und Beratung tätig.
76
Wirtschafts- und Sozialpolitik
WISO
Diskurs
77
ISBN: 978 -3 - 86498 - 369 - 6
78 www.fes.de/wiso