1. Auflage 1996
Aus Umweltschutzgründen wurde dieses Buch auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
Die Fälle „Das Alptraumhaus“, „Rache aus dem Jenseits“, „Das Monstergift“ und „Hotel des
Grauens“ sind bei hpt-breitschopf in gekürzter Form in englischer Sprache als „Alice in
Hotel“ erschienen und wurden für die vorliegende Ausgabe neu bearbeitet.
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe,
- 1 -
Inhalt
.....................................................Seite 7
...................................................Seite 58
.................................................Seite 100
.................................................Seite 136
.................................................Seite 175
- 2 -
KNICKERBOCKER MOTTO 1:
Vier Knickerbocker lassen niemals locker!
KNICKERBOCKER MOTTO 2:
Überall, wo wir nicht sollen, stecken wir die Schnüffelknollen,
sprich die Nasen, tief hinein, es könnte eine Spur ja sein.
- 3 -
Hallo, Detektivkollegen!
Unheimlich sind fast alle unsere Fälle. Aber einige Male haben
wir es mit Vorgängen zu tun bekommen, die uns mehr als ein
Rätsel aufgegeben haben.
Können manche Menschen tatsächlich mit außerirdischen
Lebewesen Kontakt aufnehmen?
Warum beginnt eine Statue auf einmal zu sprechen, und wie
wird aus einem harmlosen Gartenschlauch eine Schlange?
Ist es möglich, daß ein Verstorbener aus dem Jenseits zu
rückkehrt, um Rache zu üben?
Gibt es Gifte, von denen bisher niemand etwas geahnt hat?
Ist der Spuk in dem alten Hotel vielleicht doch echt?
Achtung: Du kannst bei unseren Ermittlungen mitmachen. Viel
Spaß und Spannung bei den fünf unheimlichen Fällen und den
kniffligen Fallfragen.
Immer wenn Du auf eines der folgenden Zeichen triffst, ist
Deine Mitarbeit gefragt.
- 4 -
- 5 -
Die Knickerbocker-Bande
Postfach 71
A-1096 Wien
- 6 -
- 7 -
Grelles Licht
„Ich bin nicht tot!“ war Axels nächster Gedanke. In dem Raum,
in dem er lag, war es nämlich nicht warm, sondern kühl – sehr
kühl sogar.
Axel öffnete den Mund und versuchte zu rufen. Doch er brachte
keinen Ton heraus.
Ihm blieb nichts anderes übrig, als dazuliegen und zu warten.
Wenn er sich nur an irgend etwas erinnern könnte! Weshalb war
er nicht zu Hause? Warum war er nicht bei seinen Knickerbocker-
Freunden? Wie war er auf diesen Tisch gekommen?
Nichts. Sein Gedächtnis war wie ein weißes Blatt Papier.
Halt! Das stimmte doch gar nicht! Er konnte sich nur an die
letzten Tage nicht erinnern – an die Zeit davor schon. Er wußte
auch, wie er hieß, was seine Hobbys und wer seine Freunde
waren.
Links von Axel zischte es. Es hörte sich an wie eine Schiebetür.
Schritte kamen auf ihn zu.
Axel drehte den Kopf.
Ein riesiger Schatten tauchte auf. Es war der Schatten eines
Menschen mit einem merkwürdig flachen, aber sehr breiten Kopf,
der zwei beulenförmige Aufsätze hatte.
Die Gestalt schien sehr schmächtig zu sein; von Armen und
Beinen war kaum etwas zu erkennen.
Der Schatten kam näher und blieb direkt neben ihm stehen. Nun
konnte Axel den Unbekannten sehen. Er war aus dem Licht getre
ten und wurde von den zahlreichen Leuchten angestrahlt.
„Nein... nein... das gibt es nicht! Nein! Das kann nur ein Traum
sein!“ stöhnte Axel.
Aber es war kein Traum. Die Erscheinung war wirklich – eben
so wirklich wie seine Regungslosigkeit.
Allmählich fiel Axel nun ein, was sich in den letzten Tagen
zugetragen hatte...
- 9 -
- 10 -
Eine junge Frau sprang heraus. Sie trug Reithosen, Stiefel und
ein helles T-Shirt und war ziemlich verschwitzt. Das T-Shirt
klebte an ihrem Körper und hatte mehrere bräunliche Flecken.
„Igitt, wie sieht denn die aus?“ sagte Dominik naserümpfend.
„Wenn sie so riecht, wie sie aussieht, kann man sie als Stink
bombe einsetzen!“ meinte Poppi kichernd.
Die Frau hielt einen kleinen silberfarbenen Umschlag in der
Hand. Sie blickte sich suchend um und schloß den Wagen ab. Mit
großen Schritten eilte sie auf das Haupttor zu.
Der Abschleppwagen setzte sich bereits in Bewegung.
„He, Sie! Vorsicht! Die wollen Ihr Auto abschleppen!“ warnte
Axel und zeigte auf den heranrollenden Wagen.
„Die spinnen hier!“ knurrte die Frau. „Die Parkplätze sind
entweder voll oder kilometerweit entfernt. Ich muß das jemandem
bringen, dessen Zug in zwei Minuten abfährt.“
Sie überlegte kurz und sagte dann: „Paßt auf, könntet ihr das
nicht für mich machen?“
„Für wen ist der Umschlag?“ fragte Axel.
Die Frau zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich selbst nicht.
Ich mache das nur aus Gefälligkeit. Ein guter Freund hat mich
darum gebeten. Wie sind miteinander ausgeritten, und als wir auf
den Hof zurückgekommen sind, hat er gesagt: ‚Ricarda, Schätz
chen, bitte bring Willi das! Er braucht es unbedingt, aber ich kann
nicht mehr zum Bahnhof. Ich muß nach diesen wunderbaren
Stunden mit Hassan sofort nach Hause, weil mein Swimmingpool
heute morgen leck geworden ist und die Handwerker kommen!’
Mein Freund hat eine Villa in der Nähe von –“, die Frau holte
Luft.
„Jajajaja, aber wie sollen wir jemandem einen Umschlag über
geben, wenn wir nicht wissen, wer es ist?“ fragte Lieselotte.
„Ach, ganz einfach! Bahnsteig 6. Haltet das Ding hoch und lauft
an den Fenstern des Zuges entlang! Der Typ wird sich zu erken
nen geben. Er wartet darauf! Würdet ihr das für mich tun?“
Die Bande war einverstanden.
Bis zur Abfahrt des Zuges blieb inzwischen nur mehr eine
Minute.
- 11 -
Axel schnappte den Umschlag und rannte los. Er war ein groß
artiger Sprinter und flitzte wie ein Wiesel durch die Menschen
menge in der Halle und den Zugang zu den Bahnsteigen.
Keuchend hastete er die Treppe zu Bahnsteig 6 hinauf und
schluckte.
Der Zug, der dort stand, schien kein Ende zu nehmen. Er hatte
mindestens zwanzig Waggons.
Axel hielt das silberne Kuvert hoch und lief an den Wagen
fenstern entlang. Die meisten Fahrgäste schüttelten nur verwun
dert den Kopf.
„Achtung: Gleis 6! Bitte einsteigen, Türen schließen
automatisch! Zug fährt ab!“ verkündete eine Lautsprecherstimme.
Axel hatte noch nicht einmal den halben Zug abgeklappert und
bisher nur verständnislose Blicke geerntet.
Zischend schlossen sich die Türen.
Der Zug setzte sich in Bewegung.
Noch sechs Waggons.
Da tauchte eine Hand auf und entriß dem Knickerbocker den
Umschlag.
- 12 -
„Danke, der ist für mich!“ sagte eine Frau schnippisch. Sie war
klein, trag extrem altmodische Klamotten und hatte eine Brille der
Marke „Supervernünftig“ auf der Nase. Ihr Haar war zu einem
dünnen Rattenschwanz gebunden, und ihr Mund wirkte
verkniffen.
Sie drehte sich um und stöckelte mit schnellen Schritten davon.
„He, Sie... hallo!“ rief Axel.
Ricarda hatte doch von jemandem gesprochen, der im Zug saß
und Willi hieß.
Axel rannte der Frau nach.
„Heißen Sie Willi?“ fragte er. Es war ihm in der Eile nichts
Besseres eingefallen.
„Natürlich nicht!“ zischte die Frau.
„Aber der Umschlag ist für einen gewissen Willi, der in diesem
Zug sitzt!“ Axel deutete auf den gerade abfahrenden Zug.
Als er sich umdrehte, sah er einen blonden Mann, der sich aus
einem der Fenster beugte. Er winkte, doch auf dem Bahnsteig war
niemand, von dem er sich verabschieden hätte können.
„Das Kuvert war nicht für Sie bestimmt!“ sagte der Knicker
bocker entschieden und versuchte, der Frau den Umschlag abzu
nehmen.
Doch diese drückte ihn an sich und kreuzte die Arme davor.
„Verschwinde, sonst hole ich die Polizei!“ kreischte sie hyste
risch.
„Aber Sie können das Kuvert nicht einfach behalten!“ erwiderte
Axel.
„Hilfe! Polizei!“ schrie die Frau und begann um sich zu
schlagen, als hätte Axel sie angegriffen.
Einige Leute schenkten ihr gar keine Beachtung, andere drehten
sich aber um.
Als der Junior-Detektiv noch immer nicht locker ließ, schrie die
Frau lauter. Sie ließ den Umschlag unter ihrem Pulli verschwin
- 13 -
- 14 -
- 15 -
- 16 -
Er sauste aus seinem Versteck und riß ihr den Umschlag aus der
Hand. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand er wieder.
Um sie zu täuschen, rannte er vom Bahnhof weg. Die Frau
verfolgte ihn, gab aber bald auf. Als sie am Ende des Parkplatzes
angekommen war, mußte sie feststellen, daß Axel verschwunden
war.
Der Junge machte einen großen Bogen und kehrte zum Bahn
hofsgebäude zurück, vor dem jetzt endlich sein Vater eingetroffen
war. Herr Klingmeier entschuldigte sich mehrfach; es war genau,
wie Axel vermutet hatte: Ein Kunde hatte ihn aufgehalten.
„Hast du ihn?“ fragte Lieselotte.
Axel zog den silberfarbenen Umschlag triumphierend unter dem
T-Shirt hervor.
Die vier Junior-Detektive stiegen schnell in den großen Wagen
von Herrn Klingmeier und drängten zur Abfahrt.
Als Axels Vater das Bahnhofgelände verließ, sah Lieselotte die
Frau erschöpft am Straßenrand stehen. Sie starrte mißmutig vor
sich hin.
Dominik zeigte ihr die lange Nase, als sie vorbeifuhren.
„Nicht, laß das, du Idiot!“ zischte Lilo.
Es war zu spät! Die Frau hatte sie bemerkt und Axel im Wagen
entdeckt. Als sie vor einer roten Ampel anhalten mußten, sah die
Frau ihre letzte Chance gekommen, raffte sich auf und stürzte auf
den Wagen zu.
Sie war kaum noch zehn Schritte entfernt, als die Ampel auf
Grün sprang und Axels Vater losfuhr.
Dominik schnitt eine spöttische Grimasse.
Die Frau tobte. Dann aber fiel ihr Blick auf das Kennzeichen
des Wagens, und sie begann, die Zahlen und Buchstaben vor sich
herzusagen – und das so lange, bis sie sie aufgeschrieben hatte.
Davon ahnten die Knickerbocker freilich nichts.
Das Häuschen, das Herr Klingmeier gemietet hatte, lag am
wunderschönen Wolfgangsee in der Nähe von St. Gilgen. Es war
ein dunkelbraunes Holzhaus mit weiß-grünen Fensterläden und
einem kleinen Balkon im Obergeschoß.
- 17 -
Der Garten war nicht besonders groß, erstreckte sich aber direkt
bis ans Ufer des Sees. An einem Steg war ein Ruderboot vertäut.
Die vier Freunde sprangen sofort ins Wasser, das allerdings
ziemlich kalt war. Sie badeten nur kurz und legten sich dann in
die Sonne.
„Was machen wir mit dem silbernen Umschlag?“ fragte Axel
seine Freunde.
„Wir geben ihn am besten zurück“, entschied Lieselotte.
„Und wem? Wir haben von dieser Ricarda weder eine Adresse
noch eine Telefonnummer.“
Dominik nickte. „Aber wir wissen einiges über sie: Sie reitet,
und das auf einem Reiterhof. Dort gibt es ein Pferd namens
Hussein – nein: Hassan. Auf diesem Pferd ist heute ein Mann
ausgeritten, der eine Villa mit einem Schwimmbecken besitzt, das
leck geworden ist!“
Seine Freunde waren beeindruckt. Dominiks Gedächtnis war
wirklich sensationell.
Lieselotte machte einen Vorschlag: „Wir hängen uns ans
Telefon und rufen einfach bei allen Reiterhöfen der Umgebung
an. Da Ricarda noch Reithosen und Stiefel trug, nehme ich an,
daß sie direkt aus dem Stall kam.“
„Ich möchte aber schon gerne wissen, was in dem Kuvert ist!“
meinte Axel.
Poppi und Lilo bückten ihn überrascht an.
„He, schon mal was von Briefgeheimnis gehört?“ fragte
Dominik vorwurfsvoll.
„Schon, aber es ist kein Brief!“ antwortete Axel, „Es steht
weder Adresse noch Absender drauf. Seid ihr denn gar nicht
neugierig? Immerhin scheint der Inhalt dieses Briefes mehrere
Leute zu interessieren.“
Da mußten ihm seine Kumpel recht geben.
Axel holte den Umschlag, den er in seinem Rucksack verstaut
hatte, hervor und tastete ihn ab. „Das ist nicht verboten“, meinte
er mit entschuldigendem Grinsen.
„Und weißt du jetzt, was es sein könnte?“ fragte Poppi
neugierig.
- 18 -
„Hmm... auf jeden Fall kein Blatt Papier. Vielleicht eine flache
Schachtel... oder eine Hülle... es ist hart und quadratisch und
ziemlich dünn... Ich glaube, ich weiß, was es ist!“
Axel sprang auf und lief in das Zimmer seines Vaters. Er streckte
seinen Freunden eine Hülle entgegen, in der eine Computerdis
kette steckte. Sie verglichen die Größe der Schutzhülle mit der
des Gegenstandes im Umschlag und kamen zu dem Schluß, daß
es sich tatsächlich um eine Diskette in einer Hülle handeln mußte.
„Gut, jetzt wissen wir Bescheid, aber das reicht!“ stellte Lilo
fest.
Axel war noch nicht ganz zufrieden: „Naja, wir wissen aber
nicht, was auf der Diskette drauf ist...“
„Das geht uns auch angesichts der Umstände nichts an!“ meinte
Dominik mit erhobenem Zeigefinger.
„Ja, Herr Oberlehrer!“ knurrte Axel, dem Dominiks altkluges
Gequatsche manchmal schwer auf den Geist ging.
„Los, wir hängen uns ans Telefon!“ entschied Lieselotte.
Im Haus gab es allerdings keines, und Axels Vater war nicht
bereit, sein Handy herauszurücken.
Die Knickerbocker brachen also zur nächsten Telefonzelle auf.
- 19 -
Affen am See?
- 21 -
- 22 -
Axel kannte sich mit dem Computer seines Vaters recht gut aus.
Er öffnete die Diskette per Tastendruck, um zu sehen, was alles
darauf gespeichert war.
„Y.DOC“ stand auf dem Bildschirm.
„Was bedeutet das?“ wollte Dominik wissen.
„Das bedeutet, daß wir es mit einem Dokument zu tun haben.
Das kann alles Mögliche sein: ein Text, eine Kartei, ein Brief,
Adressen, Namen und so weiter!“ erklärte Axel.
Er führte den Mauszeiger auf den Namen der Datei und klickte
zweimal. Falls der Laptop seines Vaters über ein geeignetes
Programm verfügte, würde das Dokument geöffnet werden.
„DAS BENÖTIGTE PROGRAMM KONNTE NICHT
GEFUNDEN WERDEN“, meldete der Computer.
„Mist!“ brummte Axel.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Lilo.
Axel zuckte mit den Schultern. Es gab keine Möglichkeit, mehr
zu erfahren, wenn sie das zum Öffnen der Datei erforderliche
Programm nicht hatten. Leider gab der Computer nicht an,
welches Programm nötig war.
„Fritz!“ sagte Axel plötzlich.
Er stand auf, lief durch das kleine Zimmer und murmelte: „Fritz,
Fritz, Fritz...!“
„Spinnst du?“ fragte Lilo vorsichtig.
„Nein, aber ich muß Fritz die Diskette zukommen lassen.
Er kann da sicher was machen. Fritz ist ein Kollege meines
Vaters – ein völlig verrückter Typ!“ Beim Gedanken an den Mann
mußte Axel lachen.
Fritz verbrachte den Großteil seines Lebens am Bildschirm. Er
hatte mehrere Modelle, und sogar am Klo und im Badezimmer
standen Computer.
Seine Frau hatte sich wegen der Computerleidenschaft ihres
Mannes scheiden lassen, und da er kaum das Haus verließ, sah
Fritz meistens wie ein Mehlwurm aus.
- 23 -
„Schick mir die Datei einfach per E-Mail, und ich sehe sie mir
mal an!“ meinte er.
Mit E-Mail konnte man Textdateien, aber auch Bilder innerhalb
kürzester Zeit von einem Computer an einen anderen senden.
Fritz beschrieb Axel jeden Schritt. Herrn Klingmeiers Computer
war dafür bestens ausgerüstet.
Achtung! Dein alter Herr kommt zurück!“ meldete Lieselotte.
Axel hatte bereits den Sendebefehl eingegeben. Doch die Datei
schien ziemlich umfangreich zu sein, und deshalb dauerte die
Übertragung lange.
„Er ist schon fast da!“ rief Lieselotte aufgeregt.
„Dreh nicht durch! Halt ihn auf!“ fauchte Axel.
Lilo lief Poppi und Herrn Klingmeier entgegen und faselte
etwas von Karpfen am Steg.
Sie zog die beiden zum See.
Axel kaute an seiner Unterlippe, während er den Balken am
unteren Bildschirmrand beobachtete. Er wurde länger und länger,
- 24 -
aber bis zum Ende des offenen Kästchens fehlte noch ein gutes
Stück.
„Lilo, mir ist kühl. Ich muß ins Haus!“ hörte er seinen Vater
sagen. Wenn er ihn mit dem Laptop erwischte, gab es Krach.
Ein Pling zeigte an, daß die Übertragung beendet war. Der letzte
Teil von „Y.DOC“ war schneller gesendet worden als der Anfang.
Axel schaltete den Computer aus und verstaute ihn hastig.
Noch immer war Fritz am Apparat. „Ich sehe mir die Sache an,
und du meldest dich morgen!“ sagte er. „Übrigens habe ich im
Internet ein cooles Spiel entdeckt. Du mußt dir das einmal
vorstellen...“ Fritz war nicht zu stoppen. Axel wollte ihn aus der
Leitung werfen, doch er wußte, daß der Computerexperte dann
beleidigt sein würde.
„Warum benutzt du mein Handy?“ fragte Herr Klingmeier
streng, als er das Zimmer betrat.
Sein Vater hatte ihm einmal ein eigenes Handy geschenkt, doch
das war leider in einen Fluß gefallen und funktionierte nicht mehr.
„Äh... weil Fritz gerade angerufen hat. Er will dich sprechen!“
schwindelte Axel.
„Was soll ich ihm denn sagen?“ protestierte Fritz am anderen
Ende der Leitung.
Axel reichte seinem Vater das Handy.
Ja, was gibt’s? Mir ist kalt!“
Fritz hatte eine großartige Idee. „Zieh dich in Ruhe an! Wir
reden später!“ meinte er und legte auf.
„Das war knapp!“ sagte Lilo, als Herr Klingmeier nach oben in
sein Kämmerchen verschwunden war.
Es klopfte an der Tür, und Poppi machte auf.
Sie stieß einen Schrei aus, der ihre Freunde alarmierte...
- 25 -
Die Stimme
Die Frau war zurückgekommen. Sie packte Poppi und hielt sie
mit ihrer dürren, krallenartigen Hand fest.
„Gebt die Diskette her!“ keuchte sie. „Und wenn ihr nicht die
Klappe haltet, gibt es ein Unglück!“
Sofort brachte Axel die Diskette.
Die Frau riß sie ihm aus der Hand und stieß Poppi zurück ins
Haus. „Wenn ihr nur ein Wort zu jemandem sagt, könnt ihr was
erleben! Spielt nicht mit mir, ihr kleinen Wichtigtuer! Ich meine
es sehr, sehr ernst.“
Sie lief zur Straße und stieg in ihren VW-Käfer. Knatternd fuhr
der Wagen davon.
„Wer war das?“ fragte Herr Klingmeier, der sich die Haare
frottierend die Treppe herunterkam.
„Äh... eine Ausflüglerin, die nach dem Weg gefragt hat!“ sagte
Axel und grinste. „Und ich habe Hunger!“ wechselte er schnell
das Thema.
„So ein Blödmann! Jetzt sind wir das Ding los und wissen nicht,
was drauf ist!“ zischte Poppi.
Axel schüttelte den Kopf.
Als sie wieder allein waren, erklärte er ihr, warum der Inhalt der
Diskette nicht verloren war: Fritz hatte die Datei nun in einem
seiner Computer.
Das Surren wurde lauter. Das Licht erschien ihm plötzlich noch
greller. Rote, grüne und gelbe Blitze zuckten über ihm durch den
Raum. Und er hörte ein rhythmisches Pochen, das ihn an etwas
erinnerte.
Was war das nur?
Herzschläge!
Kein Zweifel: es waren verstärkte Herzschläge! Handelte es sich
um seine eigenen?
Langsam, aber unerbittlich begannen sich die Blitze zu nähern.
Axel wollte fliehen. Er mußte weg! Die Blitze würden ihn töten.
Außerdem machte ihn das dumpfe Pochen wahnsinnig.
Er fühlte sich wie eine Uhr, bei der jemand das Pendel immer
wieder anhält und aus dem Takt bringt.
Regungslos stand das seltsame Wesen neben ihm. Was wollte es
nur?
Axel warf den Kopf von einer Seite auf die andere und schrie.
Wie aus weiter Ferne drang eine merkwürdige Stimme an seine
Ohren.
Sie sprach langsam, aber sehr, sehr eindringlich. Es war eine
Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
- 27 -
Die Landung
- 28 -
- 29 -
Genau diese Frage stellte sich auch Lieselotte, als sie nach dem
Frühstück den Fall besprachen. Nachdenklich meinte sie: „Mich
wundert vor allem, daß ein so wichtiges Dokument so primitiv
durch die Gegend gereicht wird.“
„Ich habe die Adresse der Forschungsgesellschaft. Sollen wir
dem Verein einen Besuch abstatten und herauszufinden versu
chen, ob an der Sache mit den Außerirdischen etwas dran ist?“
Axel sah seine Freunde der Reihe nach an.
„Wer eine Botschaft so verschlüsselt, wird uns bestimmt keine
Auskunft erteilen“, meinte Lilo. Sie hatte einen anderen Vor
schlag auf Lager: „Wir stöbern diese Ricarda auf und lassen uns
den Mann von ihr zeigen. Vielleicht können wir über ihn mehr
erfahren.“
Die Junior-Detektive stimmten ab: Lilos Idee leuchtete allen
ein.
Axels Vater hatte am Vormittag in der Nähe eines der beiden
Reiterhöfe zu tun. Er erklärte sich bereit, die vier mitzunehmen.
Auf dem Gestüt wurden die Knickerbocker höchst unfreundlich
empfangen: Kinder waren hier einfach unerwünscht.
Erst als einem der Stallburschen ein Hengst durchging und
Poppi es schaffte, ihn einzufangen und zu beruhigen, wurde der
Leiter des Gestüts merklich netter. Die Knickerbocker-Detektive
erkundigten sich nach Ricarda, doch er schien sie nicht wirklich
zu kennen.
Die Bande schlenderte noch einige Zeit über den Hof und
befragte auch die Stallburschen. Schließlich erinnerte sich einer
von ihnen an eine etwa 70jährige Dame dieses Namens, die im
Sommer manchmal ihren Enkel begleitete.
Fehlanzeige.
Reiterhof Nr. 2 lag noch weiter entfernt. Wie sollten die vier
Freunde Herrn Klingmeier dazu überreden, sie dorthin zu
bringen?
Da fiel Axel etwas ein. Er betrat das Büro des Gestüts und
plauderte mit der Sekretärin, der etwas langweilig zu sein schien.
Grinsend kam er zurück. „Ganz in der Nähe des anderen
Reiterhofes gibt es ein barockes Schlößchen, das man besichtigen
- 30 -
kann. Mein Vater ist – wie ihr ja wißt – überzeugt, daß ich zu
wenig Kultur mitbekomme. Ich wette, daß wir ihn damit herum
kriegen!“
Axel behielt recht. Herr Klingmeier war begeistert, mit den
vieren ein Schloß besichtigen zu können. Fix erledigte er seine
Termine, so daß sie am frühen Nachmittag bereits an Ort und
Stelle eintrafen.
Da es keine Führung gab, konnten die Knickerbocker und Axels
Vater einfach so durch die Räume gehen. Eigentlich hatten die
Junior-Detektive gehofft, auf diese Weise schneller zu sein. Doch
das stellte sich bald als Irrtum heraus.
Herr Klingmeier hielt ihnen lange Vorträge über das Barock und
erklärte ihnen jeden Engel und jedes Stuckwölkchen an der
Decke. Nur mit Mühe unterdrückten Axel, Poppi und Lilo ein
Gähnen. Dominik aber mimte den aufmerksamen Besucher und
stellte sogar interessierte Fragen.
„Du bist wirklich ein toller Schauspieler“, raunte ihm Lilo zu.
Nach der Besichtigung des Schlosses bekam Herr Klingmeier
Hunger. Die vier wollten sich noch etwas in der Gegend umsehen.
Axels Vater war einverstanden und ließ sich an einem der Tische
des Cafés auf der Terrasse vor dem Schloß nieder.
Der Reiterhof war wirklich nicht weit vom Schloß entfernt. Als
die Knickerbocker die Auffahrt hinaufliefen, begannen ihre Her
zen schneller zu schlagen – würden sie Ricarda vielleicht sogar
antreffen?
- 31 -
- 32 -
„Nein, ich habe ihn heute noch nicht gesehen. Aber gebt mir
eure Telefonnummer, daß er sich bei euch melden kann“,
erwiderte Ricarda.
„Wo wir wohnen, gibt es leider kein Telefon“, sagte Axel
entschuldigend.
„Aber wir rufen Hugo gerne an, wenn Sie uns seine Nummer
geben!“ schlug Lieselotte vor.
Ricarda zögerte.
Sie schüttelte den Kopf. „Da wird nichts draus: Ich habe meinen
Kalender nicht bei mir – und auswendig weiß ich die Nummer
leider nicht! Habt ihr eigentlich den Umschlag geöffnet?“
Lilo verneinte.
Ricarda überlegte kurz und sagte dann: „Sagt mir, wo ihr wohnt.
Hugo wird bei euch vorbeikommen – vielleicht heute noch.“
Axel nannte ohne zu zögern die Adresse des Seehäuschens.
Ricarda warf einen Blick auf die Uhr und hatte es plötzlich sehr
eilig. Sie verabschiedete sich hastig.
Als die vier Freunde den Reiterhof verließen, sprachen sie kein
Wort miteinander. Jedem von ihnen war ein fürchterlicher Ver
dacht gekommen.
Auch die Heimfahrt verlief sehr still.
Zu Hause angekommen, fuhren die Junior-Detektive mit dem
Ruderboot langsam auf den Wolfgangsee hinaus. Dort konnten sie
ungestört sprechen und liefen nicht Gefahr, belauscht zu werden.
„Wenn jemand einen guten Freund hat, weiß er doch dessen
Telefonnummer auswendig – oder?“ murmelte das Superhirn.
„Klar!“ sagten die anderen. Genau das war ihnen auch aufgefal
len. Ricarda hatte ihnen die Telefonnummer nicht geben wollen.
„Das läßt eigentlich nur den Schluß zu, daß sie ihren Freund
Hugo decken will!“ meinte die Anführerin der Knickerbocker-
Bande.
„Vielleicht gibt es diesen Freund auch gar nicht!“ sagte
Dominik.
Lilo begann ihre Nasenspitze zu kneten. „Meint ihr, daß die Eile
und das Stehenbleiben im Halteverbot nur Theater waren? Ja,
vielleicht wollte Ricarda, daß sie jemand auf die Abschleppgefahr
- 33 -
- 34 -
„Ich habe von einer Diskette gesprochen und dann behauptet, wir
hätten den Umschlag nicht geöffnet!“ knurrte Lieselotte und
schlug sich gegen die Stirn.
„Axel!“ rief Herr Klingmeier am Ufer und winkte den Knicker
bockern zu.
Als sie sich dem Steg näherten, formte er mit den Händen einen
Trichter und rief: „Ich muß noch einmal weg! Es geht um einen
Vertrag. Tut mir schrecklich leid. Nehmt euch was zu essen: es ist
genug da! Ich komme wahrscheinlich ziemlich spät zurück!“
Die Junior-Detektive riefen ihm zu, daß sie bestimmt nicht
verhungern würden.
An diesem Abend zog ein schweres Gewitter auf. Grelle Blitze
zerrissen die Dunkelheit. Der Donner dröhnte so laut, daß die
Holzwände des kleines Hauses erbebten.
Die Knickerbocker-Freunde saßen in der Stube, lasen und
hörten Musik.
Da der Tag schon früh begonnen hatte und anstrengend gewesen
war, gingen sie früh zu Bett. Sie löschten die Lichter und waren
bald eingeschlafen.
Poppi wachte plötzlich auf, weil sie einen bohrenden Schmerz
im Bauch fühlte. Es war wie ein Messerstich. Sie stöhnte auf und
tastete sich ab. Ihr Bauch war dick aufgebläht.
„O nein, was habe ich nur gegessen!“ murmelte sie verzweifelt
und kroch aus dem Schlafsack.
Sie sah auf die Uhr.
Es war erst halb elf. Sie hatte nur etwas mehr als eine Stunde
geschlafen.
- 35 -
Auf Zehenspitzen schlich sie nach unten zur Toilette. Die Tür
zum Zimmer von Axels Vater stand weit offen. Er war noch nicht
zurückgekommen.
Das Mädchen erleichterte sich und hoffte, daß niemand die
unangenehmen Geräusche hörte – das wäre ihm peinlich gewesen.
Bevor sie nach oben ging, tappte sie in die Küche, um Wasser
zu trinken. Der Hahn klemmte, und sie hatte Mühe, ihn aufzu
drehen.
Eher zufällig fiel ihr Blick durch das kleine Fenster hinaus in
den Garten.
Das Gewitter hatte sich verzogen, und die Wolkendecke war
aufgerissen. Der Mond kam durch und tauchte die Bäume in
blasses Licht.
Poppi schob den Vorhang zur Seite und zuckte zusammen. Sie
konnte es nicht fassen!
Unten am Bootssteg standen zwei Gestalten.
Eine der beiden warf einen Blick auf die Uhr und nickte der
anderen zu. Dann kamen sie mit langsamen Schritten auf das
Haus zu.
Poppis Knie begannen zu zittern. So schnell sie konnte, huschte
sie nach oben und weckte Lieselotte.
Nur langsam wachte das Superhirn auf. „Was gibt es denn? Sag
schon!“
„Draußen ist jemand!“ hauchte Poppi. „Im Garten! Sie
kommen!“
Der Schreck zuckte ihr durch alle Glieder, als sie ein Geräusch
an der Tür hörte. Jemand versuchte, das Schloß zu knacken!
Verschlafen richtete Lilo sich auf und rieb sich die Augen.
„Verdammt, du hast recht!“
Die Mädchen schlichen ins Jungenzimmer und rüttelten Axel
und Dominik aus dem Schlaf.
Die steile Holztreppe, die nach oben führte, knarrte.
„Sie sind im Haus, sie kommen!“ keuchte Poppi.
Nachdem sich die Knickerbocker mit Kissen bewaffnet hatten,
bezogen sie hinter der Tür des Jungenzimmers Stellung. Axel
hatte im letzten Augenblick sogar einen Krug entdeckt und war zu
- 36 -
Dominik, Lilo und Poppi hatten die Kissen an nur einem Zipfel
gepackt und schleuderten sie mit aller Kraft gegen die Eindring
linge. Axel holte mit der Vase aus, um zumindest einen der
beiden zu erledigen.
„Seid ihr verrückt?“ sagte sein Vater.
Wie sich herausstellte, war er mit einer Kollegin gekommen, um
ihr das Häuschen zu zeigen. Da er seinen Schlüssel vergessen
hatte, war ihm nichts anderes übriggeblieben, als die Hintertür zu
benutzen. Der Schlüssel dafür lag immer unter einem Stein an der
Wand.
Erleichtert gingen die vier Freunde wieder zu Bett.
Als sie um Mitternacht tief und fest schliefen, kam allerdings
noch einmal Besuch.
- 37 -
- 39 -
- 40 -
Völlig schwerelos
- 41 -
- 42 -
- 43 -
Die Entführung
- 44 -
- 45 -
- 46 -
- 47 -
- 48 -
Axel saß in einem völlig leeren Raum. Die Wände und der Boden
waren aus gebürstetem Metall. Er fühlte sich wie in einem riesi
gen Abwaschbecken.
Der Raum war hell, denn zwischen den Wänden und der Decke
befand sich eine schmale Fuge, aus der helles Licht drang.
Axel wußte nicht, ob Tag oder Nacht war. Seine Uhr war ihm
abgenommen worden. Er spürte nicht einmal, ob er müde oder
ausgeruht war.
Hauptsache, die Schwere war aus seinen Gliedern gewichen. Er
konnte sich wieder normal bewegen.
Vor einiger Zeit hatte er Dominik angerufen. Er war auf ein
Telefon zugegangen und hatte mit ihm gesprochen. Die Worte
waren aber nicht aus seinem Kopf gekommen. Er hatte sie sagen
müssen, er hatte keine andere Wahl gehabt. Etwas hatte ihn dazu
gezwungen. Eine innere Stimme. Sobald er auch nur daran dachte,
sich dieser Stimme zu widersetzen, verspürte er starke Schmerzen
in der Brust.
Jetzt waren nebenan Geräusche zu hören. Axel erinnerte sich,
schon einmal dieselben Geräusche vernommen zu haben. Wann
das gewesen war, wußte er aber nicht.
Irgendwie fühlte sich Axel, als stünde er neben sich, als wäre er
gar nicht in seinem Körper.
Der Raum hatte keinen Ausgang. Auch Fenster gab es keine.
Axel verstand nicht, wie er hierher gelangt war. Doch eines wußte
er: Er befand sich im Energiefeld einer unheimlichen fremden
Macht. Es war kein Raumschiff, nichts Gegenständliches, sondern
ein umrißloses Gebilde aus Energie und Licht.
Axel mußte pinkeln. Er stand auf und sah sich suchend um.
Sollte er seine Notdurft einfach in einer Ecke verrichten? Ihm
ekelte bei dem Gedanken. Er kam sich plötzlich wie ein Hund in
einem Zwinger vor.
„He, rauslassen, ich muß mal! Laßt mich raus!“ rief er und
trommelte gegen die Metallwände, die zu seiner Überraschung
- 49 -
- 50 -
- 51 -
- 52 -
Behältern?
- 54 -
Axel hatte doch noch eine Toilette gefunden. Als er sie verließ,
fielen ihm die Geräusche ein, die er gehört hatte, als er in dem
Stahlraum gefangen gewesen war.
Er lief in den oberen Stock und kehrte zu dem Gebilde aus
Blechplatten zurück, in dem er erwacht war. Gleich dahinter be
fand sich eine Tür. Sie war abgesperrt, aber der Schlüssel steckte.
Axel öffnete sie und riß die Augen auf. Vor ihm auf dem Boden
lagen Lilo und Poppi. Ein Stück entfernt sah er die Frau vom
Bahnhof. Durch das Geräusch der Tür geweckt, richteten sich alle
drei auf.
„Axel...“, stöhnte Lilo. „Was... wo sind wir... Was ist los?“
„Das darfst du mich nicht fragen! Ich weiß nur, daß im Keller
radioaktives Material lagert. Ich habe das Zeichen eindeutig
erkannt. Vielleicht brauchen die Außerirdischen das Zeug...“,
meinte der Junior-Detektiv.
„Es gibt keine Außerirdischen!“ sagte eine Stimme hinter ihm.
Jetzt war die Verblüffung von Axel, Poppi und Lilo perfekt.
Dominik stand in der Tür.
„Wie kommst du hierher?“ fragten sie wie aus einem Munde.
- 55 -
„Egal! Wichtig ist, daß wir hier wegkommen! Die beiden Gau
ner habe ich eingesperrt. Aber es steckt nur ein Stuhl unter der
Klinke, und ich weiß nicht, wie lange der sie aufhält.“
Im Keller des Schlosses lagerte also Plutonium, ein radioaktives
Material, aus dem Atombomben hergestellt werden konnten. Der
Handel damit war strengstens verboten, und skrupellose Waffen
händler zahlten Milliardenbeträge dafür.
Ricarda und ihr Komplize hatten das Plutonium vor Jahren
einem Schmuggler abgekauft. Der Schmuggler war in Österreich
in Bedrängnis geraten und hatte die heiße Ware schnell abstoßen
müssen. Da er unter großem Druck gestanden war, hatten der
Bärtige und Ricarda das Material zu sehr günstigen Bedingungen
erstanden.
Um das Plutonium teuer weiterverkaufen zu können, entschloß
sich das Gaunerpaar, es ins Ausland zu schaffen – was natürlich
die Gefahr in sich barg, dabei erwischt zu werden. Deshalb waren
sie auf die Idee verfallen, Kuriere auszubilden, die den Transport
für sie übernahmen.
Ricardas Komplize, Ernst Egon Lutovsky, war früher einmal ein
begeisterter Ufologe gewesen und mehreren Vereinigungen und
Klubs beigetreten. Er kannte daher viele Menschen, die von der
Landung Außerirdischer in einer Weise überzeugt waren, die an
Fanatismus grenzte. Dieser Besessenheit hatte sich das Gauner
paar für seine Zwecke bedient und die Kuriere zu manipulieren
verstanden. Die Stahlkammer hatte dabei eine entscheidende
Rolle gespielt.
Die seltsame Stimme, die Axel gehört hatte, war eine elektroni
sche Konstruktion und wirkte hypnotisch. Bekam die behandelte
Person von dieser Stimme – direkt oder per Telefon – etwas
aufgetragen, mußte sie es tun – und das im Glauben, im Auftrag
außerirdischer Kräfte zu handeln. Wurde ein Kurier festgenom
men, war aus ihm nicht der geringste Hinweis auf die Drahtzieher
im Hintergrund herauszubekommen. Alles, was die Polizei zu
hören bekam, waren Geständnisse, sich den Befehlen außerirdi
scher Mächte gefügt zu haben.
- 56 -
- 57 -
- 58 -
Willkommen im Horrorland
Lieselotte erwachte als erste. Verschlafen rieb sie sich die Augen
und richtete sich auf.
Da war ein Geräusch! Dann ein Stöhnen und Wimmern. Rief da
jemand um Hilfe?
Unruhig starrte das Superhirn der Knickerbocker-Bande in die
stockfinstere Nacht.
Lilo war sehr froh, daß ihre drei Freunde Axel, Poppi und
Dominik im selben Raum schliefen. Das gab ihr ein wenig Sicher
heit.
Die schaurigen Rufe setzten von neuem ein, und Lilo zog den
Kopf zwischen die Schultern.
Das Mädchen weckte seine Freunde. „Hört ihr das auch?“ fragte
es sie.
Sehr müde und unwillig lauschten Axel, Dominik und Poppi in
die Dunkelheit.
„Da... ist eine Stimme!“ murmelte Dominik.
Axel zog unter seiner Decke eine starke Taschenlampe hervor
und knipste sie an.
Langsam ließ er den Lichtkreis über die Bücherregale gleiten,
die die ganze Wand entlang liefen und dem Raum etwas
Bedrückendes gaben.
Der Schein der Taschenlampe fiel nun auf eine der zahlreichen
Buchstützen aus Bronze, die Voodoo-Priester mit eigenartig
verzerrten Gesichtern darstellten.
Axel fuhr zusammen. Die gruseligen weißen Ringe, die um die
Augen des Priesters gezogen waren, hatten sich bewegt.
Der Mund des Jungen war staubtrocken. „Seht ihr... das auch?“
hauchte er. „Der Kopf verwandelt sich in einen Totenschädel!“
„Eine Schlange!“ wisperte Poppi. „Da kriecht eine Schlange aus
dem Mund des Mannes. Eine Mamba!“
Lieselotte kniff die Augen zusammen und murmelte: „Nein!
Das sind... das sind Skorpione in seinen Haaren!“
Dominik sah Vogelspinnen aus der Nase hervorkommen.
- 59 -
- 60 -
Wo ist Axel?
- 62 -
Der Zauberer
- 63 -
„Komm her! Schnell! Hier sind wir!“ schrie Lieselotte und kam
ihrem Freund entgegen. Sie packte ihn am Unterarm, und gemein
sam hastete die Knickerbocker-Bande nun den Hügel hinunter.
Dabei sahen sich die vier Junior-Detektive kein einziges Mal
um. Ihr einziger Gedanke war, dem unheimlichen Ort zu entkom
men.
Endlich erreichten sie die breite, aber ziemlich mitgenommene
Landstraße, die zum nächsten Dorf führte. Lilo breitete die Arme
aus. „Stopp! Da ist jemand! Seht ihr den Wagen?“ flüsterte sie.
Die Autotür wurde geöffnet, und eine junge Frau stieg aus.
„Lieselotte, ich bin es!“ rief im nächsten Augenblick eine
bekannte Stimme.
„Alice!“ jubelten die Knickerbocker und eilten auf die Frau zu.
Erleichtert fielen sie ihr um den Hals. „Bitte bring uns von hier
fort!“ flehten die sonst gar nicht so ängstlichen Abenteurer.
„Es war der blanke Horror!“ berichtete Dominik, sobald der
Wagen losfuhr.
„Ihr... ihr habt es also auch erlebt? Dann war es also keine
Einbildung!“ sagte Alice. „In dem Haus geht es nicht mit rechten
Dingen zu!“
Die Knickerbocker-Bande war ratlos, aber die vier wollten der
Sache auf den Grund gehen, sobald sie sich ein wenig gefangen
hatten.
- 64 -
Horror im „Wunderland“
„Wir fahren jetzt in das Grand Palace Hotel“, sagte Alice. „Dort
wohne ich, seit der Spuk begonnen hat. Ich wußte, daß es euch
nicht besser ergehen wird, und habe deshalb für euch schon zwei
Zimmer reserviert.“
Erschöpft fielen die Knickerbocker in die breiten, weichen
Betten. Hier waren sie in Sicherheit.
Alice war eine besonders freundliche junge Frau, die allerdings
an einer Krankheit litt, die ihr das Leben schwer machte. Sie
konnte den Lärm von Städten und die Hektik des Alltags nicht
mehr ertragen und begann – wenn etwas ihre Kräfte überstieg – so
schrecklich zu zittern, daß sie nicht einmal mehr einen Bleistift
halten oder gehen konnte. Auf der Insel St. Thomas, im Traum
haus ihres Onkels hatte sie die Ruhe zu finden gehofft, die man
ihr seitens der Ärzte dringend empfohlen hatte. Aber daraus war
nichts geworden.
Alice war völlig verzweifelt. Und Lieselotte wollte ihr aus
diesem Grund unbedingt helfen.
Das Superhirn beschloß, das Grübeln für heute sein zu lassen,
und versuchte einzuschlafen.
Doch im Halbdunkel des luxuriösen Hotelzimmers schien sich
immer wieder etwas zu bewegen. Ängstlich starrten Lilo und
Poppi auf die altmodischen geschnitzten Pfosten ihrer Betten, die
an jeder Ecke in die Höhe ragten. Die Schlangen, mit denen sie
verziert waren, schienen bei näherem Hinschauen zum Leben zu
erwachen und sich aufzurichten.
Es waren giftige Kobras, die ihre Hälse blähten.
Poppi schrie leise auf und schlüpfte zu Lieselotte unter die
Decke. „Siehst du das auch?“ fragte sie mit zitternder Stimme.
Lieselotte nickte.
„Ich will raus! Ich halte es hier nicht aus!“ gestand Poppi.
Lilo kniff die Augen zusammen. Als sie sie wieder öffnete,
waren die Schlangen auf den Pfosten erstarrt.
Das Telefon klingelte, und Lilo hob ab.
Axel war am Apparat. Er bewohnte mit Dominik das Nebenzim
mer. „Hier... hier spukt es auch... Eine Stehlampe hat sich in eine
- 66 -
- 67 -
- 68 -
schrecklich! Ich sehe sie jetzt noch vor mir, wie sie mich mit
ihren Armen umschlungen haben – ich wäre fast erstickt!“
Axel seufzte: „Alice, so traumhaft das Häuschen auch ist,
verkauf es, bevor es zu spät ist!“
Aber davon wollte Lieselotte nichts wissen. „Nein, so schnell
geben wir nicht auf! Echte Knickerbocker lassen niemals locker.
Hast du das vergessen, Axel?“
Der Junge wurde rot und senkte den Blick. Er haßte es, wenn
Lilo ihn wie ein Kleinkind behandelte. Noch mehr haßte er es,
wenn sie mutiger war als er. „Und was schlägt Frau Professor
Superschlau vor?“ zischte er empört.
„Ich schlage vor, daß wir das Haus noch einmal untersuchen!“
sagte Lilo mit bemüht fester Stimme.
„Und wie kommen wir hin?“ wollte Dominik wissen. „Zu Fuß
ist es einfach zu weit!“
Alice, die sich an diesem Tag gar nicht mehr beruhigen konnte,
lächelte entschuldigend. „Tut mir leid, aber ich... ich kann euch
nicht fahren.“
So blieb nur eine Möglichkeit: „Wir nehmen ein Taxi“, be
schloß Lieselotte. „In 15 Minuten ist Abfahrt. Wer nicht mitkom
men will, soll es sagen!“
Axel hatte keine Lust, den Helden zu spielen, und teilte das
seiner Freundin auch gleich mit. Auch Poppi und Dominik
konnten Lilos Plan nichts abgewinnen.
Lieselotte schnaubte verächtlich und zischte: „Gut, dann werde
ich eben allein alles daransetzen, Alice zu helfen!“
Das saß wie eine Ohrfeige. Lieselottes Kumpel schienen zu
zögern. Schließlich brachte jedoch keiner von ihnen den Mut auf,
das Holzhaus auf dem Hügel noch einmal zu besuchen.
Mit energischen Schritten marschierte Lieselotte ein wenig
später durch die Hotelhalle. Sie war so mit sich und ihren
Gedanken beschäftigt, daß sie nicht bemerkte, wie sie beobachtet
wurde. Seit ihrer Ankunft war die Knickerbocker-Bande verfolgt
worden.
„Ich brauche bitte ein Taxi!“ sagte Lilo zu der Frau an der
Rezeption.
- 69 -
Nur eine Minute danach kam schon der Ruf vom Eingang:
„Taxi!“
Das Mädchen verließ das Hotel und stieg in einen ziemlich ver
beulten grünen Wagen. Hinter dem Steuer saß eine etwas rundli
che Schwarze. Kaum hatte Lilo die Tür zugeschlagen, fuhr sie
auch schon los. Das Superhirn nannte ihr die Adresse des Hauses,
aber die Frau nahm davon keine Notiz. „Haben Sie mich nicht
verstanden?“ fragte Lieselotte etwas verwirrt.
Die Taxifahrerin verzog keine Miene, sondern trat das Gaspedal
bis zum Boden durch. Der Motor heulte ohrenbetäubend auf, und
die Reifen drehten auf dem glatten Asphalt durch. Der Wagen
schoß dermaßen plötzlich los, daß Lilo von der Rückbank rutschte
und im Fußraum eingeklemmt wurde.
Während das Taxi seine Höllenfahrt fortsetzte, kämpfte sich das
Mädchen allmählich nach oben.
Die Frau schien entweder betrunken oder völlig von Sinnen zu
sein. Wild riß sie das Lenkrad nach rechts und nach links und ließ
den Wagen von einer Kurve in die nächste schlittern.
Endlich war es Lilo gelungen, sich wieder auf die Rückbank zu
setzen. Geistesgegenwärtig griff sie nach dem Sicherheitsgurt. Sie
schnallte sich an und suchte nach einem Griff, an dem sie sich
festklammern konnte. „Halt! Bleiben Sie stehen! Was machen
Sie?“ brüllte das Superhirn aus Leibeskräften und versuchte, das
Quietschen der Reifen und das Dröhnen des Motors zu übertönen.
Aber sie hatte keine Chance. Die Frau schien taub zu sein.
- 70 -
Entsetzt fiel Lieselotte auf, daß der Wagen auf eine besonders
schmale Küstenstraße eingebogen war. Unmittelbar neben ihr
fielen die Felsen steil zum Meer hin ab. Durch den Regen war der
Asphalt rutschig geworden, und einige Male schlitterte das Taxi
gefährlich nahe an den Abgrund heran, der nicht durch Leitplan
ken gesichert war.
„Stopp!“ kreischte Lieselotte, deren Entsetzen immer größer
wurde. „Stopp!“
Die Frau hinter dem Steuer ließ die rechte Hand unter ihren Sitz
gleiten und holte eine Spraydose hervor. Sie richtete sie nach
hinten und umnebelte Lieselotte mit einer weißen Wolke.
Das Mädchen spürte ein Brennen und Stechen in der Nase und
in den Augen und verlor die Besinnung.
- 71 -
- 72 -
- 73 -
- 74 -
Und schon tauchte das dunkle Gesicht der Taxifahrerin vor Lilo
auf.
„Da bist du ja endlich!“ rief sie und streckte Lieselotte helfend
die Hände entgegen. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“
Die Junior-Detektivin robbte ein Stück zurück, so daß die Frau
nicht nach ihr greifen konnte. Sie traute ihr nicht. Schließlich war
sie es gewesen, die wie eine Verrückte über die schmale Küsten
straße gerast war und sie mit dem seltsamen Spray betäubt hatte.
„Ich... ich tu dir doch nichts!“ versicherte die Frau. „Glaub mir
doch!“
Aber Lilo war sich da nicht so sicher.
„Ich weiß selbst nicht, was in mich gefahren ist“, gestand die
Fahrerin. „Es war wie ein Traum. Plötzlich habe ich mich
gezwungen gefühlt, dich so schnell wie möglich hierher zu
bringen!“
Das Oberhaupt der Knickerbocker-Bande horchte auf. „Wer hat
Ihnen das befohlen?“ wollte es wissen.
„Eine Stimme... eine tiefe Stimme... aber frag mich bitte nicht,
wer das war! Wahrend der Fahrt habe ich plötzlich Angst vor dir
bekommen. Du hast dich in einen Stachelrochen verwandelt, und
deshalb habe ich dich mit dem Betäubungsgas besprüht. Ich habe
es zu meinem Schutz immer bei mir. Aber als ich an dieser Stelle
anlangte, stand plötzlich ein Mann an der Wagentür. Es war...
ein... ein ...!“ Die Frau verstummte.
„Ein Voodoo-Meister?“ fragte Lieselotte.
Die Taxilenkerin nickte. „Und dann habe ich die Besinnung
verloren. Als ich aufgewacht bin, warst du fort!“
Jetzt erst kam Lieselotte unter dem Auto hervor. Sie richtete
sich auf und klopfte den Staub von ihren zerfetzten Klamotten.
Nachdenklich betrachtete sie das Taxi, das ganz knapp an das
Dornengestrüpp herangefahren worden war. Die linke hintere Tür
war mit Stöcken verkeilt worden.
- 75 -
„Was hast du getan?“ fragte die Frau plötzlich streng. „Du wirst
von Dämonen verfolgt!“
Lilo zuckte zusammen. „Was???“
„Du wirst von bösen Geistern verfolgt. Du hast etwas Entsetzli
ches angerichtet und den Zorn eines mächtigen Magiers auf dich
gezogen!“
Lilo versuchte, nicht in Panik zu geraten. „Ich glaube nicht an
diesen Zauber!“ sagte sie mit fester Stimme.
„Schweig!“ warnte die Frau das Mädchen. „Schweig und verlaß
die Insel, so schnell du kannst! Nur so kannst du deinem Unglück
entgehen!“
Lieselotte antwortete darauf nichts. Der flehende Blick der Frau
hatte sie sehr unsicher gemacht. „Ich... ich will jetzt... zum Black
beard Drive!“ verlangte sie schließlich mit schwacher Stimme.
„Hör auf mich!“ drängte die Frau.
„Ich kann nicht!“ erwiderte Lilo.
Nachdem sie die Äste weggeräumt hatten, mit denen die Tür
verkeilt worden war, brachen sie auf.
Minuten später war Lieselotte am Ziel. Allerdings weigerte sich
die Frau, ganz an Alices Häuschen heranzufahren. Sie ließ Lilo
am Fuße des Hügels aussteigen und ermahnte sie immer wieder
zur Vorsicht. „Der schwarze Schatten des Unheils liegt auf dir!
Du mußt ihm entfliehen!“
Lieselotte rieselte ein kalter Schauer über den Rücken. War sie
mit ihren Freunden tatsächlich in einen Zauberkreis geraten? Lag
ein Fluch auf dem Haus?
- 76 -
Endlich hatte das Superhirn das weiße Holzhaus mit dem roten
Dach erreicht. Vorsichtig strich das Mädchen um das Haus.
Aufmerksam musterte es die Außenwand und die Pflanzen im
Garten. Seine Blicke schweiften ständig hin und her, um nichts zu
übersehen.
Als Lilo bei der Veranda angekommen war, die in das gruselige
Schlafzimmer führte, blieb sie erschrocken stehen. Die Tür be
wegte sich, obwohl nicht der leiseste Lufthauch zu spüren war.
Sie schien von Geisterhand geöffnet zu werden. Langsam, ganz
langsam schwenkte sie nach außen. Das Quietschen ging dem
Mädchen durch Mark und Bein.
Lieselotte trat den Rückzug an und wollte in Deckung gehen.
Wer auch immer jetzt auftauchte, durfte sie nicht sehen. Ihre
Hände ertasteten das feuchte Metall einer Tonne. Lilo machte
einen ungeschickten Schritt, und das Faß kippte um. Donnernd
krachte es zu Boden.
In der nächsten Sekunde flog die Tür auf, und eine grüne Gestalt
sprang ins Freie.
- 77 -
Gräbern. Wenn die Zombies aus der Erde kommen, darf ihnen
niemand begegnen. Wer sie stört, bezahlt das mit dem Leben!“
schilderte Jim mit schauriger Stimme. „Mister Harry hat das
gewußt und die meiste Zeit auf seinem Boot verbracht. Nur
wenige Tage im Monat hat er sich hier aufgehalten. Es waren im
mer die Tage um Neumond, an denen er es gewagt hat, in seinem
Haus zu schlafen. Dann ruhen nämlich auch die Zombies.“
Lilos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Sie schien
dem jungen Mann nicht zu glauben. „Und weshalb haben Sie
keine Angst?“ fragte sie.
Jim zog ein handtellergroßes Amulett aus Silber unter seinem
Hemd hervor. In das Amulett waren verschiedene Zeichen eingra
viert. „Es schützt mich vor dem Fluch der Dämonen, aber auch
nur bei Tag! Ich trage es immer, seit ich hier zu arbeiten begon
nen habe. Mister Harry hat gut gezahlt, weil sich sonst keiner auf
den Zombie-Friedhof getraut hat. Die Strahlungen des Bösen, die
aus der Erde dringen, haben alle in die Flucht geschlagen.“
- 79 -
aufgehoben?
- 80 -
Blackbeards Schatz
- 82 -
höchst merkwürdig vor. Wenn ich nur wüßte, wie die Dinge
zusammenhängen...“
„Ich tauche heute noch an der angegebenen Stelle nach dem
Schatz“, wiederholte Axel.
Poppi wollte mit ihm nach unten kommen. In der Karibik gab es
besonders prachtvolle Korallen und Fische, die sie unbedingt
einmal mit eigenen Augen sehen mußte.
Lilo entschied sich, mit Dominik im Boot darauf zu warten, was
der Unterwasserausflug ihrer beiden Kumpel zutage bringen
würde. „Warum Onkel Harry den Schatz wohl selber nicht geho
ben hat...?“ schoß es ihr durch den Kopf.
- 83 -
- 84 -
- 85 -
Lilo tippte nun einfach Harry und den Nachnamen ihrer Freun
din ein: Littlejohn.
Der Computer suchte nach dem Stichwort und meldete: „Not
found.“
Mist!
Der Zuname war entweder falsch, oder es gab keinen Artikel
über den Onkel von Alice.
Lieselotte gab jedoch nicht so schnell auf. Sie beschloß, ihre
Brieffreundin anzurufen und sich nach dem Nachnamen zu
erkundigen.
Das Superhirn der Bande wollte sich schon erheben, als ihm
eine andere Idee kam.
- 86 -
Vielleicht war der Onkel von Alice unter dem Namen Harold
Littlejohn erfaßt – Harry war schließlich nur eine Abkürzung.
Lieselotte ersetzte Harry durch Harold und wartete auf das
Ergebnis.
„Eine Eintragung gefunden“, lautete die Antwort des Compu
ters.
Lilo rief sie ab und wartete gespannt, was auf dem Bildschirm
auftauchen würde. Etwas enttäuscht lehnte sie sich zurück. Es
handelte sich bloß um die Todesanzeige, die vor etwa zwei
Monaten erschienen war.
Das Mädchen wollte es schon seinlassen, als es am unteren
Rand des Bildschirmes einen Hinweis entdeckte. Es gab eine Rei
he weiterer Eintragungen, die mit Harold Littlejohn zu tun hatten.
Allerdings befanden sie sich in einem anderen Speicher, der
Anzeigen zu enthalten schien.
Lilo gab den Befehl ein, auch diese Eintragungen aufzurufen.
Schon nach ein paar Sekunden wurde ihre Hartnäckigkeit
belohnt. Es handelte sich um eine längere Liste von Annoncen,
die Onkel Harry im Laufe der Jahre aufgegeben hatte.
Besonders die letzten beiden überraschten das Superhirn völlig.
Wie war das möglich?
Die junge Frau trat zu Lilo und sagte: „Die Zeitungen, die vor
dem Jahr 1988 erschienen sind, konnten wir noch nicht alle erfas
sen. Sie stehen im Keller. Aber es gibt ein Stichwortverzeichnis,
in dem Sie die Namen aller Personen finden, über die die
,St. Thomas News’ je berichtet hat.“
Die Junior-Detektivin bedankte sich für den Tip und folgte der
Frau in den Keller. Sie blätterte die Seiten des Stichwortregisters
durch und ließ ihren Zeigefinger über die langen Spalten gleiten.
„Littlejohn, Harold“! Über ihn waren drei Artikel erschienen –
alle vor ungefähr 19 Jahren.
- 87 -
- 88 -
Lilo rannte im Hafen von einem Boot zum anderen. Sie wollte das
schnellste mieten, aber die Auswahl war nicht mehr sehr groß.
Viele Verleiher hatten bereits Feierabend gemacht. Schließlich
entschied sie sich für ein Sportmotorboot, das allerdings unge
heuer teuer war. Lieselotte kratzte ihre letzten Dollars zusammen,
um die Summe aufzubringen, die der Kapitän als Sicherstellung
verlangte.
„Vielleicht brauche ich eine Taucherausrüstung“, fiel ihr ein.
- 89 -
Geld hatte sie nun keines mehr. Was tun? Sie erzählte dem
Seemann ihren Kummer, und dieser gab ihr nicht nur das Geld für
das Boot und die Anzahlung zurück, sondern half ihr sogar, die
notwendige Ausrüstung zu beschaffen. Bevor er losfuhr, reichte er
Lilo eine Schwimmweste. „Falls du über Bord gehst!“ meinte er,
ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
Schon nach wenigen Minuten fragte sich Lilo, ob sie sich für
das richtige Boot entschieden hatte. Der Bug hob sich aus dem
Wasser und zeigte in den Himmel. Wie ein Stein hüpfte das
Wahnsinnsding über die Wellen und flog dabei oft viele Meter
weit. Streckenweise schien es mehr in der Luft als im Wasser zu
sein. Lieselotte machte sich auf der weichen Ledersitzbank so
klein wie möglich und klammerte sich fest. Ihr war übel, schreck
lich übel!
Nur der Gedanke an ihre Freunde ließ sie nicht aufgeben. Am
liebsten hätte sie den Kapitän gebeten, sofort umzukehren.
In der Zeitungsredaktion war dem Superhirn etwas klar gewor
den. Der Voodoo-Zauber verfolgte einen ganz bestimmten
Zweck: Alice sollte nicht nur aus dem Haus geekelt werden, son
dern es auch verkaufen.
Da sie aber nicht gleich aufgegeben und die Knickerbocker-
Bande zu Hilfe geholt hatte, war der Horror noch gesteigert
worden. Deshalb war Lieselotte auch mit dem Taxi zu dem
Wasserfall gebracht und dort erschreckt worden. Und aus diesem
Grund war auch die Schatzkarte aufgetaucht, die gar keine war.
Lilo war fest davon überzeugt, daß an der markierten Stelle eine
große Gefahr lauerte. Etwas Entsetzliches sollte geschehen, daß
Alice und die vier Junior-Detektive für immer von der Insel
vertreiben würde.
Zwei, wahrscheinlich sogar drei Leute waren nämlich ganz wild
darauf, das Haus in ihren Besitz zu bekommen.
Lilo hatte einen sehr genauen Verdacht, um wen es sich handel
te. Auf jeden Fall waren der Gärtner und die Haushälterin in die
Sache verwickelt – und wahrscheinlich auch die tatsächliche oder
angebliche Taxifahrerin.
- 90 -
- 91 -
- 92 -
Vor ihm lag eine Bombe, deren Zeitzünder er durch das Öffnen
des Koffers in Gang gesetzt hatte.
Axel gab Poppi ein Zeichen, sofort von dem Wrack zu ver
schwinden. Sie strampelten zur Tür und stemmten sich dagegen.
Doch die Metallklappe klemmte. Der Junior-Detektiv geriet in
Panik. Das Gefühl, eingesperrt zu sein, machte ihn wahnsinnig!
- 93 -
Am Ende?
„He, da ist das Schiff, das du suchst!“ schrie der Kapitän des
Schnellbootes.
Lieselotte hob den Kopf und nickte. Sie war am Ziel. Egal, wie
sie sich nun auch fühlte: sie mußte sich zusammenreißen.
Dominik stand an der Reling und blickte dem Schnellboot miß
trauisch entgegen. Als er Lieselotte erkannte, winkte er ihr aufge
regt zu und brüllte: „Was machst denn du da?“
„Sind Axel und Poppi schon im Wasser?“ schrie das Superhirn.
„Ja! Warum?“ lautete die Antwort ihres Knickerbocker-Kum
pels.
„Hier liegt kein Schatz! Wir sind in eine Falle gegangen! Wie
lange sind sie schon unten?“ erkundigte sich Lilo.
„Gut 20 Minuten!“ antwortete Dominik verzweifelt.
Lieselotte kletterte an Bord des Fischkutters und berichtete in
Stichworten, was sie herausgefunden hatte. „Wir müssen sie
unbedingt warnen!“ keuchte das Mädchen. „Ich habe eine
Taucherausrüstung mitgebracht. Aber mir ist so schlecht...“
Hilfesuchend blickte sie die beiden Seemänner an. Aber beide
winkten ab. Die Flossen und die Brille, die Lieselotte ausgeliehen
hatte, waren zu klein für sie.
Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit. „Ich? Nein!“ japste
Dominik. „Ich... ich kann nicht tauchen... das ist... so schrecklich
für mich... wie... wie Vogelspinnen! Das weißt du doch!“
Lilo sagte nichts, sondern starrte ihn nur flehend an.
Dominik atmete schwer. Er rang mit sich. Es ging um das Leben
seiner Freunde!
„Ich versuch’ es!“ stieß er schließlich hervor. „Wir können Axel
und Poppi nicht im Stich lassen!“
Lilo nickte dankbar.
Der Junge legte die Taucherausrüstung an und verschwand im
klaren Meerwasser. Die ersten Sekunden waren die schlimmsten.
Dominik hatte, wie alle Mitglieder der Bande, einen Kurs ge
macht und bestanden. Dennoch war ihm Tauchen unheimlich.
- 94 -
An Deck des Kutters lief Lieselotte auf und ab und knetete ihre
Nasenspitze. Immer wieder ballte sie die Hände zu Fäusten und
dachte: „Es darf ihnen nichts geschehen! Es darf ihnen nichts
geschehen!“
Die Anspannung brachte die Grübelzellen der Anführerin der
Knickerbocker-Bande auf Hochtouren: Dominik hatte Angst vor
Vogelspinnen. Und Vogelspinnen hatte er auch in der Schrek
kensnacht in Onkel Harrys Haus gesehen. Sie selbst fürchtete sich
vor Skorpionen, und genau diese Tiere waren aus dem Toten
schädel der Statuette gekrochen. Jeder der vier hatte das gesehen,
wovor er sich am meisten ängstigte. Es handelte sich also be
stimmt nicht um einen technischen Trick, sondern um eine Art
Droge, die Alpträume auslöste.
Die Wirkung der Droge hatte noch angehalten, als sie bereits in
den Hotelzimmern lagen. Deshalb hatten sich die Bettpfosten in
Schlangen verwandelt. An der frischen Luft war alles besser
geworden.
Im Wrack des Schiffes rüttelten Poppi und Axel verzweifelt an
der Tür. Sie klemmte noch immer. Die beiden Junior-Detektive
hatten auch schon versucht, aus den Bullaugen zu klettern, aber
die Öffnungen waren zu eng.
Axel geriet so sehr in Panik, daß er wild um sich zu schlagen
begann und Poppi dabei den Sauerstoffschlauch aus dem Mund
riß. Das Mädchen hatte große Mühe, ihn wieder zwischen die
Zähne zu bekommen. Sie wußte, daß sie zu schwach war, um
Axel zu bändigen. Deshalb verkroch sie sich einfach und starrte
mit großen Augen auf die vierstellige Leuchtschriftanzeige der
Bombe, die verriet, daß mittlerweile bereits fast zwei Drittel der
Zeit verstrichen waren. Bald war alles aus. In Kürze würden sie in
die Luft fliegen.
Auf einmal sah Poppi Dominiks Gesicht in einem der Bull
augen. Hatte sie auch schon Wahnvorstellungen? Das Mädchen
begann zu weinen.
Aber da spürte es eine Hand an seinem Arm. Poppi blickte auf:
Es war tatsächlich Dominik.
- 95 -
- 96 -
- 97 -
- 98 -
Nach dieser Pause kehrten die vier Freunde und Alice in das
vermeintliche Geisterzimmer zurück: Hier hatte alles begonnen.
„Die da möchte ich mir zur Erinnerung mitnehmen!“ rief Axel
schließlich und nahm eine der Voodoo-Priester-Statuen aus dem
Bücherregal.
„Ihr könnt jeder eine haben!“ erwiderte Alice großzügig.
Die Junior-Detektive griffen gerne zu.
Als Lieselotte ihre Bronzefigur genauer betrachtete, fiel ihr auf,
daß an der Unterseite des Sockels ein Stück Filz angebracht war.
Es sollte wahrscheinlich verhindern, daß das harte Metall das
Holz der Regale zerkratzte. Der Filz am Sockel ihrer Statue hatte
sich jedoch gelöst.
Lilo zog daran und stieß einen Freudenschrei aus. „Da... da...
seht nur!“
Sie hatte eine der Druckplatten entdeckt. Die Sockel der Buch
stützen hatten ihr Geheimnis erst den Knickerbockern preisgege
ben.
Der Fall war damit gelöst. Alice ließ das Holzschutzmittel, das
die Halluzinationen ausgelöst hatte, entfernen und konnte endlich
das Häuschen beziehen, in dem sie die ersehnte Ruhe fand.
Aus dem Horrorland war für sie doch noch ein Paradies
geworden.
„Ruhe, endlich Ruhe!“ seufzte sie glücklich.
„Ruhe? Das ist für uns der totale Horror!“ lachte Axel.
- 99 -
- 100 -
Dominik war völlig überrascht, als er durch die große Glastür trat.
In der Halle des Flughafens von Los Angeles warteten Hunderte
Fotografen und Reporter.
Als der Junge mit seinen Knickerbocker-Freunden Axel, Lilo
und Poppi auftauchte, zückten sie ihre Kameras, Notizblöcke und
Mikrofone und stürmten auf ihn zu.
„Ich bin ein Star!“ dachte Dominik begeistert. „Ein echter
Hollywood-Star! Dabei beginnen meine Dreharbeiten erst über
morgen. Ich glaube, ich muß jetzt eine kleine Rede halten.“ Der
Junior-Detektiv stellte seinen Koffer ab und lächelte den Journa
listen entgegen. „Ich freue mich sehr...“, begann er.
Klatsch! Genau auf seinem Kopf war ein riesiger Tropfen einer
rosafarbenen Masse gelandet.
„Igitt!“ rief Poppi. „Das ist ja Schleim! Pfui!“
Dominik fuhr sich mit der rechten Hand über die Haare. Als
seine Finger die Soße berührten, schrie er entsetzt auf: „Hilfeee!
Was... was ist das?“
Lieselotte blickte zur hohen Decke der Flughafenhalle auf.
„Seht nur! Das Zeug rinnt aus den Rohren der Klimaanlage“, rief
sie.
Die Fotografen verbargen ihre Kameras unter den Hemden, um
sie vor dem unappetitlichen Schleim zu schützen. Die Reporter
verzogen angewidert die Gesichter und beschwerten sich
lautstark.
Jetzt erst bemerkte Dominik, daß der Presserummel gar nicht
ihm galt. Nur wenige Schritte hinter den Knickerbocker-Freunden
war eine sehr elegante, schlanke Dame erschienen. Sie trug ein
enganliegendes weißes Kleid und hatte lange, kupferrote Haare.
Ihr Gesicht erinnerte ein wenig an die weltberühmte Filmschau
spielerin Marilyn Monroe.
Axel öffnete den Mund und japste: „Erkennt ihr sie nicht? Das
ist Cindy Cooper. Sie spielt doch in demselben Film wie Domi
nik!“
- 101 -
- 102 -
Sie wollte gerade die Tür zuschlagen, als sie von einer alten
Dame mit Sonnenbrille aufgehalten wurde. „Bitte ein Auto
gramm“, flehte die Frau. Cindy kritzelte ihren Namen auf das
Blatt Papier, das ihr hingestreckt wurde. Als Dankeschön bekam
sie ein riesiges Ei überreicht. Cindy gab es Axel und erklärte
hochnäsig: „Ich mag diese doofen Geschenke nicht!“
„Zum Beverly Hills Ocean Hotel“, sagte die Schauspielerin zum
Chauffeur, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
Axel betrachtete das gelbliche Ei von allen Seiten.
„Es muß ein Straußenei sein“, meinte Poppi.
Axel klopfte mit dem rechten Zeigefinger gegen die Schale. „Es
ist voll!“ stellte er fest.
In diesem Augenblick geschah etwas Unerwartetes. Von innen
wurde ebenfalls an die Schale geklopft. „Ich glaube, da schlüpft
ein Vogel aus!“ keuchte Poppi.
Die Schale brach, und ein grünes Wesen mit einem langen Hals
schoß hervor.
- 104 -
Horror in Hollywood
Es war ein furchterregendes Tier. Seine Haut war naß und glit
schig. Es hatte zwei große, hervorquellende Augen und einen
weißen, scharfen Schnabel. Das kleine Ungeheuer fauchte und
spuckte.
Die Knickerbocker brüllten wie am Spieß.
Erschrocken drehte sich Cindy Cooper um. Als sie die grauen
hafte Kreatur erblickte, kreischte sie entsetzt auf und schlug die
Hände vors Gesicht.
Der Fahrer verriß den Wagen und krachte gegen ein parkendes
Auto. Wildes Hupen war die Folge.
Dominik schaffte es, die Nerven zu bewahren. Er drückte auf
einen schwarzen Knopf, und ein Fenster öffnete sich. „Axel,
schnell! Wirf das Ei hinaus!“ schrie er.
Sein Freund ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit voller
Wucht schleuderte er das Horror-Ei aus dem Fenster, das in
tausend Stücke zersprang, als es auf dem Boden aufschlug.
„Um Himmels willen, was... was war denn das?“ stammelte
Cindy Cooper. „Hilfe!“ Der Filmstar schrie schon wieder. Auf
Cindys linkem Handrücken stand in wackeligen Buchstaben:
„KOMA!“
Für einige Sekunden war nur die Musik aus dem Autoradio zu
hören. Dann plapperte ein Moderator aufgeregt los. Der Taxilen
ker stutzte, drehte lauter und sagte: „Hört euch das an!“
„Horror in Hollywood!“ verkündete die Radiostimme und be
richtete von dem Zwischenfall am Flughafen. Dann wurde ein
Brief verlesen, den der Sender erhalten hatte.
Er lautete: „Rache! Du hast mich vor sieben Jahren umgebracht.
Nun räche ich mich für den Mord. Viele Grüße aus dem Jenseits!
Professor Koma.“
Lilo knetete ihre Nasenspitze und fragte: „Mrs. Cooper, kennen
Sie diesen Professor Koma?“
Der Filmstar schüttelte den Kopf. „Ich habe den Namen noch
nie gehört.“
- 105 -
„Aber warum will er sich dann an Ihnen rächen?“ ließ das Mäd
chen nicht locker. „Er hat Ihnen dieses Ei geschickt. Das war
Absicht. Auch die Sache mit dem rosa Schleim war kein Zufall!“
Cindy begann zu schluchzen. „Ich... ich... habe keine Ahnung.
Wie oft soll ich das noch sagen? Ich... ich...“ Die Frau brachte vor
Weinen kein Wort mehr heraus.
Das Superhirn der Knickerbocker-Bande glaubte ihr nicht. Sie
war sich sicher, daß Cindy Cooper etwas verheimlichte.
- 106 -
Das Beverly Hills Ocean Hotel sah von außen wie ein riesiges
Unterseeboot aus. Aber auch das Innere war einem U-Boot nach
empfunden. In den Wänden waren mehrere Bullaugen eingelas
sen, hinter denen Aquarien untergebracht waren. Bunte tropische
Fische, außergewöhnliche Wasserpflanzen und prachtvolle Koral
len gab es hier zu bewundern.
Die Zimmer des Hotels waren wie Kabinen eines Schiffs einge
richtet. Wer wollte, konnte sogar in einer Hängematte schlafen.
Breite Balkone verbanden die Zimmer miteinander.
Die vier Freunde waren sich sofort einig: Dieses Hotel verdiente
die Höchstnote!
Am Abend fand im großen Ballsaal eine Party mit den Haupt
darstellern des Films „Das Horror-Hotel“ statt. Selbstverständlich
waren auch der Regisseur und sein Team anwesend. Die Junior-
Detektive hatten sich in feine Anzüge und elegante Kleider
gequält, was ihnen gar nicht behagte. Jeans waren ihnen einfach
lieber.
Mittlerweile war auch Mister Gray eingetrudelt, den die Knik
kerbocker am Flugplatz nicht gefunden hatten. Er war froh, die
vier gesund anzutreffen. „Warum habt ihr mich nicht ausrufen
lassen? Warum habt ihr nicht länger gewartet? Warum seid ihr
mit Cindy Cooper mitgefahren?“ sprudelte es aus ihm heraus.
„Ich bin doch für Dominik und euch verantwortlich. Ich habe
jeden Schritt, den ihr tut, zu bewachen. Das habe ich euren Eltern
versprochen. Jawohl! Das habe ich!“ verkündete Mister Gray mit
strengem Blick.
„Aha! Sie sind also unser Wachhund und Babysitter!“ meinte
Lieselotte spöttisch.
Der Mann lächelte säuerlich. Er war ziemlich steif und lang
weilig.
„Mister Gray“, begann Dominik, „können Sie mir bitte die
Geschichte des Films erzählen, in dem ich mitspiele?“ Bisher
- 107 -
- 108 -
- 109 -
Die Monsterspinne
Mister Gray brachte Axel, Lilo, Poppi und Dominik zu ihren Zim
mern. Die Mädchen bewohnten Suite Nummer 221, die Jungen
Suite Nummer 223.
Mister Gray wünschte ihnen eine gute Nacht und sagte: „Ich
wecke euch morgen um neun Uhr. Nach dem Frühstück fahren
wir zum Studio. Dominiks Dreharbeiten beginnen erst übermor
gen. Für morgen habe ich nur Termine mit dem Maskenbildner
und mit dem Kostümbildner vereinbart.“
Lilo schnalzte mit der Zunge: zuerst viermal und nach einer kur
zen Pause noch zweimal. In der Knickerbocker-Klopfsprache war
das der Buchstabe T – für Treffen.
Lilo und Poppi verabschiedeten sich von Axel und Dominik und
gingen in ihr Zimmer. Die Tür wurde von außen abgesperrt.
„He, was soll das?“ protestierte Lieselotte. „Sind wir Gefange
ne?“
Mister Gray antwortete kühl: „Nein, aber ich muß verhindern,
daß ihr eure Zimmer während der Nacht verlaßt! Übrigens, Zim
mer 222 bewohne ich.“
Dann schloß Mister Gray die beiden Jungen ein und begab sich
zu Bett.
„Die Sache stinkt! Die Sache stinkt hochgradig!“ fauchte Lilo
wütend. „Hier ist etwas faul! Ich lasse mich nicht wie ein Affe im
Zoo behandeln!“
Das Mädchen griff zum Telefon und rief ihre Knickerbocker-
Freunde an. „Wir müssen uns sehen!“ flüsterte es in den Hörer.
„Wie denn?“ wollte Axel wissen. „Ich bin schließlich kein
Geist, der durch Wände gehen kann.“
- 110 -
„Wartet, bis Mister Gray das Licht abgedreht hat. Dann kommt
ihr über den Balkon zu uns“, erklärte Lieselotte.
Axel war damit einverstanden. Nun hieß es warten.
Es dauerte fast eine Stunde, bis das Licht in Zimmer 222
erlosch. Axel und Dominik ließen noch zehn Minuten verstrei
chen, bevor sie aufbrachen.
Axel machte den Anfang.
Dominik, der solche Abenteuer nicht ausstehen konnte, warf
zuerst einen Bück nach unten. Immerhin waren sie im dritten
Stockwerk. Unter ihnen lag der beleuchtete Swimmingpool. Falls
er abstürzte, fiel er zumindest ins Wasser, dachte der Junge.
Dominik stutzte. Da war doch jemand! Zwischen den Büschen
bewegte sich etwas. Ein Liebespaar? Oder ein Tier? Der Junior-
Detektiv zuckte zurück. Aus dem Gebüsch kam eine Spinne, die
fast so groß wie ein Mensch war! Sie flitzte zur Außenmauer des
Hotels und begann mühelos daran hochzulaufen.
Für den Bruchteil einer Sekunde fiel ein Lichtstrahl auf den
Kopf der Spinne. Dominik begann vor Entsetzen zu zittern: Das
Tier hatte einen menschlichen Totenschädel.
„Ax... Axel...“, keuchte der Junge. Er brachte vor Schreck fast
keinen Ton heraus. Seine Freund drehte sich um, und Dominik
deutete nach unten.
Doch die Spinne war schon verschwunden.
War sie in ein Zimmer geklettert?
„Was ist?“ flüsterte Axel, der bereits den Balkon der Mädchen
erreicht hatte.
- 111 -
- 112 -
Todesangst
- 113 -
„Seht mal! Da ist ja Mister Kong!“ sagte Poppi und deutete zur
Hotelbar. Tatsächlich stand dort der Regisseur. Er war von zahl
reichen Leuten umringt.
„Wieso ist er nicht im Studio? Heute beginnen doch die Drehar
beiten!“ murmelte Dominik verwirrt.
Neugierig liefen die Knickerbocker zur Bar und versuchten
einige Worte aufzuschnappen.
Der Regisseur teilte eben der Presse mit, daß sich Cindy Cooper
weigerte, zu den Dreharbeiten zu erscheinen. Nach dem Schock
mit der Monsterspinne fürchtete sie um ihr Leben.
„Mister Kong“, rief ein Reporter. „Mister Kong, dieser Horror
hat doch eindeutig mit Ihren Filmen zu tun. Der Schleim, das
Grusel-Ei, die Blutsuppe und die Monsterspinne – das ist ja schon
alles einmal in Ihren Werken vorgekommen. Haben Sie eine
Erklärung für die gestrigen Vorfälle?“
Der Regisseur schüttelte stumm den Kopf. Plötzlich aber schien
ihm etwas eingefallen zu sein. Er war mit einem Schlag sehr
aufgeregt und wischte sich nervös über seine lange Nase und den
schrägen Mund, der ihm Ähnlichkeit mit einem Pinguin verlieh.
„Meine Herren... es... ist... mir...“, stotterte Kong, „etwas
Entsetzliches... eingefallen. Ich... ich...!“
Die Journalisten und die Knickerbocker starrten ihn gespannt
an.
- 114 -
Keine Dreharbeiten?
„Was ist los? Was haben Sie?“ wollte einer der Reporter wissen.
Mister Kong schwitzte und war knallrot im Gesicht. „Sie haben
mir gerade etwas Schreckliches vor Augen geführt. Der rosafarbe-
ne Schleim ist in meinem ersten Film vorgekommen. Das Ei mit
dem Monstervogel stammt aus meinem zweiten Film, die Blut
suppe aus dem dritten und die Spinne aus meinem vierten Film.
Da läßt anscheinend ein Wahnsinniger meine Horrorfilme Punkt
für Punkt Wirklichkeit werden!“
„Und was geschah alles in ihrem fünften Film?“ fragte jemand.
Kong überlegte kurz und antwortete: „Der Film hieß ,Das Meer
des Todes’. Berühmt wurde eine Szene, in der ein Schwarm
Piranhas einen Menschen zerreißt.“
Die Journalisten wandten sich, wie auf einen Befehl hin, dem
Bullauge hinter Mister Kong zu.
„Dort drinnen... in diesem Aquarium... da sind doch Piranhas“,
stotterte eine Redakteurin.
„Vielleicht springt die Glasscheibe, und die Piranhas schwim
men in die Halle!“ flüsterte Axel.
„Die armen Tiere“, meinte Poppi. „Dann landen sie nämlich auf
dem Trockenen und sterben.“
Das Superhirn der Bande grinste.
Mister Kong verabschiedete sich von den Reportern und versi
cherte ihnen: „Ich werde sofort dafür sorgen, daß die Piranhas aus
dem Hotel entfernt werden. Es muß jede Gefahr ausgeschaltet
werden!“
Schlecht gelaunt und grau im Gesicht betrat Mister Gray die
Hotelhalle.
„Wir kommen schon!“ rief Dominik. „Entschuldigen Sie bitte
die Verspätung!“
Aber der Mann schien sich nicht über die Knickerbocker, son
dern über etwas anderes zu ärgern. „Mein Wagen streikt! Dabei
war er gerade in der Reparatur!“ schrie er. „Das lasse ich mir
nicht bieten!“
- 115 -
„Nehmen Sie ruhig meinen!“ rief Kong. „Er parkt vor der Tür.
Ich habe hier noch länger zu tun. Ich sage den Film vorläufig ab!
Die Dreharbeiten werden erst fortgesetzt, wenn der Wahnsinnige
gefunden worden ist, der uns terrorisiert. Alles andere hat keinen
Sinn!“
„Gray, kümmern Sie sich jetzt endlich um die Kinder und gehen
Sie!“ sagte der Regisseur ungeduldig. „Die Kinder müssen weg.
Ich... ich habe Angst um jeden, der mit diesem Unglücksfilm zu
tun hat. Bringen Sie die vier zum Flughafen. Sie sollen mit der
nächsten Maschine zurück nach Europa fliegen. Das ist alles eine
Katastrophe! Und die Polizei... die... die schläft anscheinend!“
Mister Gray war nicht nur ein langweiliger, sondern auch ein
besonders folgsamer Mann. Er begab sich sofort zum Telefon.
„Die nächste Maschine nach Österreich startet morgen in der
Früh“, verkündete er, als er zurückkam, und zuckte mit den
Schultern.
Die Knickerbocker-Freunde grinsten zufrieden. Nun konnten sie
noch einen Tag bleiben.
Lilo blickte ihren Bewacher lange an. Irgendwie gefiel ihr dieser
Typ nicht. Mit dem stimmte etwas nicht!
„Wir nutzen am besten den Tag, indem ich euch Los Angeles
zeige“, sagte Mister Gray.
„Ich will aber eigentlich Hollywood sehen“, meinte Axel und
zog sich seine Kappe in die Stirn.
„Hollywood ist ja ein Teil von Los Angeles“, erklärte Dominik
seinem Kumpel. „Mich persönlich würde besonders das berühmte
Chinesische Theater interessieren. Auf dem Gehsteig davor gibt
es viele Hand- und Fußabdrücke von Filmstars zu bewundern.“
Dominik träumte davon, sich mit seinen Hand- und Fußab
drücken eines Tages dort verewigen zu dürfen.
Die Knickerbocker trauten ihren Augen nicht, als sie den Wagen
von Mister Kong erblickten.
Es handelte sich um einen goldfarbenen Rolls-Royce. Sie
bestiegen das edle Gefährt und ließen sich in die weichen Sitze
sinken.
- 116 -
Mister Gray startete den Motor, und die Fahrt begann. Ihr
„Wachhund“ glitt mit ihnen durch das noble Beverly Hills und
zeigte ihnen die prachtvollen Villen der Reichen und der Stars.
Nachdem sie ungefähr eine Stunde unterwegs gewesen waren
und gerade an der schier endlosen Hecke eines wunderbaren
Anwesens auf einem Hügel vorbeirollten, läutete das Autotelefon.
Die Junior-Detektive sahen einander an.
Mister Gray hob ab und sagte: „Hallo?“ Andächtig lauschte er
dann der Stimme des Anrufers.
Grays Gesichtsausdruck ließ nicht den geringsten Zweifel. Er
mußte soeben eine schreckliche Nachricht erhalten haben...
- 117 -
- 118 -
„Wo ist er?“ fragte auf einmal eine tiefe, müde Stimme. „Sag
mir, wo er ist, sonst verläßt du dieses Auto nicht lebendig!“
„Das ist Professor Koma!“ rief Axel. „Er... er spricht eindeutig
zu Ihnen! Mister Gray tun Sie, was er von Ihnen verlangt!“
„Aber ich weiß nicht, was er meint!“ jammerte der Mann
verzweifelt.
„Sag mir, wo er sich befindet! Ich will es wissen“, verlangte die
Stimme erneut. „Ich werde dich in Ruhe lassen, wenn du mir
endlich sagst, wo du ihn versteckst!“
Der Wagen raste dahin. Und Professor Koma ließ sich bei der
nächsten Kurve sehr lange Zeit, bis er die Räder in die richtige
Stellung brachte. Die Reifen quietschten, und der Rolls krachte
gegen einen Felshang. „Zum letzten Mal, sag mir, wo er ist! Du
kannst mit mir sprechen, wenn du auf den Lautstärkeregler des
Autoradios drückst.“
Mister Gray betätigte den Knopf und brüllte: „Wir... wir wissen
nicht, wovon Sie reden! Hier ist Gray... Was... tun Sie? Ich habe
Kinder im Wagen. Aufhören!“
Wieder quietschten die Reifen. Axel, Lilo, Poppi und Dominik
wurden nach vorne geschleudert und rutschten von der Sitzbank.
Plötzlich hatten die Bremsen wieder funktioniert und blockiert,
und der Wagen hatte angehalten.
Die vier Freunde rissen die Türen auf, taumelten ins Freie und
ließen sich gleich am Straßenrand niedersinken. Ihre Beine zitter
ten dermaßen, daß sie nicht einmal stehen konnten.
Mister Gray setzte sich neben sie und wischte sich den Schweiß
aus dem Gesicht. „Was... was soll das alles?“ stammelte er
fassungslos.
Lieselotte umklammerte ihre Knie und versuchte, sich zu
beruhigen. Sie hatte jetzt eine Spur zu Professor Koma...
- 119 -
- 120 -
- 121 -
- 122 -
- 123 -
Das Horrorhaus
- 125 -
Die Falle
- 127 -
Überraschung!
- 128 -
- 129 -
nach oben führte. Die vier tappten hinauf und gelangten zu einer
Tür, die ebenfalls nicht abgesperrt war.
Sie standen nun in einem stockfinsteren Zimmer.
„Wir befinden uns jetzt im Haus von Ken Kong!“ sagte Domi
nik leise.
Vorsichtig durchquerten die Junior-Detektive den Raum, der
eine Art Abstellkammer war, und erreichten die nächste Tür, die
sie in die Vorhalle der Villa führte.
Die Wand zum Haus hin war mit Fotografien übersät, die alle
den Regisseur mit berühmten Schauspielern und Filmleuten zeig
ten.
„Die Villa ist bestimmt abgesperrt. Wie kommen wir hier raus?“
flüsterte Axel.
„Gar nicht!“ verkündete eine Stimme hinter der Bande.
Die Knickerbocker-Detektive drehten sich um und blickten in
den Lauf einer Pistole.
- 130 -
Ausweglos?
„Mis... Mister Kong!“ japste Axel. „Aber Sie... Sie... sind doch
tot!“
Der Regisseur lachte. „Wie du siehst, bin ich das nicht. Aber das
weiß bis auf euch keiner. Und ihr werdet keine Gelegenheit
haben, es weiterzuerzählen. Los, marsch zurück in den Keller!“
Lilo blieb stehen. „Nein!“ rief sie stur. „Ich will da nicht mehr
hinunter. Wir gehen nicht!“
Die Pistole klickte.
„Seid nicht dumm!“ sagte Ken Kong mit ruhiger Stimme.
„Sonst muß ich abdrücken. Keiner wird meinen Erfolg zerstören.
Ihr schon gar nicht!“
Im Zeitlupentempo gingen die Knickerbocker in die Abstell
kammer zurück. Jetzt war wirklich alles aus! Mister Kong würde
sie im Keller verhungern lassen.
Lieselotte nahm all ihren Mut zusammen und fragte den Mann,
warum er seinen Tod vorgetäuscht und wie er das angestellt hatte.
Ken Kong lachte. „Es war ein Filmtrick, sonst nichts! Die
Piranhas habe ich aus dem Becken gefischt und dann habe ich
mich ins Becken fallen lassen. Gleichzeitig hat sich unter meinem
Hemd ein Beutel mit roter Farbe geöffnet. Das Aquarium hat
einen riesigen Abfluß, durch den ich in der roten Suppe ver
schwunden bin. In meinem Hotel kenne ich nämlich die Installa
tionen genau. Unverletzt bin ich herausgekrochen und – natürlich
verkleidet – in mein Haus zurückgekehrt. Mein Tod hat Schlag
zeilen gemacht, und meine Filme werden noch gefragter sein, als
sie es jetzt schon sind. Ich selbst ziehe mich auf die Insel
St. Louis in der Karibik zurück. Dort werde ich unter einem
falschen Namen und mit einem neuen Gesicht leben, das ich mir
verpassen lasse.“
Plötzlich stolperte Dominik und stürzte.
Mister Kong fuhr den Jungen an: „Steh auf! Geh weiter!
Tempo!“
- 131 -
- 132 -
Die Lösung
Er hieß Andrew und war zehn Jahre alt. Sieben Jahre lang war
er auf St. Louis im Haus Ken Kongs gefangengehalten worden.
Konstantin Markoni erzählte nun den Junior-Detektiven die
ganze unglaubliche Geschichte:
„Vor sieben Jahren habe ich das erste Drehbuch für Ken Kong
geschrieben. Ich habe auch die speziellen Horroreffekte ent
wickelt und Kong zu seinem großen Erfolg verholfen. Aber er hat
meine Arbeit verschwiegen und nur sich in den Vordergrund
gestellt. Deshalb wollte ich nicht mehr für ihn arbeiten. Außerdem
war kurz zuvor meine Frau verstorben, und ich mußte mich um
Andrew kümmern. Eines Tages wurde mein Sohn entführt. Eine
Woche lang hat die Polizei nach ihm gesucht. Erfolglos. Und
dann bin ich eines Nachts überfallen, betäubt und verschleppt
worden. Zu mir gekommen bin ich in dem Keller, den ihr ja
kennt. Ken hat mir mitgeteilt, daß er meinen Sohn in seiner
Gewalt hat. Er wollte ihn umbringen, wenn ich nicht wieder für
ihn arbeite. Was blieb mir also anderes übrig, als mich der
gemeinen Erpressung zu fügen? Es war eine Qual! Ich durfte nur
nachts kurz aus dem Verlies. Eine Flucht war unmöglich.“
„Aber wie sind Sie dann doch entkommen?“ fragte Axel.
„Es war die Verzweiflung, die mir geholfen hat. Eines Tages
habe ich völlig die Nerven verloren und bin mit dem Kopf gegen
die Wand gerannt. Hinter der Tapete war eine Tür. Ich habe einen
Monat gebraucht, um sie zu öffnen. Die Tür führte in den Raum
mit der Falltür. Der Rest war ein Kinderspiel. Ich hatte nämlich
die Falltür selbst erfunden – allerdings für einen Film. Ich habe
einen Hocker auf einen Stuhl gestellt und mit einer Gabel den
Mechanismus gelöst. So konnte ich fliehen.“
„Aber wozu dann das ganze Horrortheater?“ wunderte sich
Poppi.
Lilo meinte: „Mister Markoni wollte Ken Kong damit Angst
einjagen. Es ging um das Versteck seines Sohnes!“
Der Drehbuchautor nickte. „Ich wußte, daß Ken nur an zwei
Sachen interessiert war: an Erfolg und an Geld. Er sollte von mir
aus beides haben, aber wissen, daß ich ihn fertigmachen kann. Er
sollte um sein Leben zittern. Ich ging davon aus, daß er Andrew
- 134 -
- 135 -
- 136 -
Der Giftpfeil
- 137 -
- 138 -
Die Verwandlung
- 139 -
Wieso hielten sich die vier Freunde eigentlich in London auf? Die
Antwort war einfach: Poppis Onkel Albert hatte die Bande für
eine Woche zu sich eingeladen. Und die Junior-Detektive hatten
freudig zugesagt und sich für die zweite Februarwoche ange
kündigt.
Onkel Albert war bis vor einem halben Jahr Kriminalinspektor
bei Scotland Yard gewesen. Seit er in Pension war, langweilte er
sich entsetzlich. Der Besuch der Knickerbocker-Bande war für
ihn eine willkommene Abwechslung.
Am ersten Abend waren die vier mit ihm vor dem Kamin in
seiner gemütlichen Wohnung gesessen, und Onkel Albert hatte
von Kriminalfällen erzählt, die er gelöst hatte.
Am zweiten Tag hatte er die Knickerbocker-Bande in das neue
Wachsfiguren-Kabinett begleitet, in dem sie noch zahlreiche
Überraschungen erleben sollten.
- 140 -
- 141 -
- 142 -
Jimmy
- 144 -
Am Boden des Zimmers lag ein grünes Kostüm. Es war das Kos
tüm, das Robin Horror getragen hatte. Daneben konnte Axel den
Bogen und die schwarzen Pfeile ausnehmen.
Es gab keinen Zweifel!
„Sie sind Robin Horror!“ schrie Axel auf. „In Ihrem Zimmer
liegt die Verkleidung.“
„So ein Unsinn! Ich habe die Sachen nie zuvor gesehen. Nein...
ich... ich habe nichts damit zu tun. Ich habe... ich... nein!“
stammelte Jimmy.
„Onkel Albert!“ brüllte Poppi aus Leibeskräften. „Onkel Albert,
hier ist Robin Horror!“
Eine Tür wurde aufgerissen, und schnelle Schritte kamen näher.
Jimmy stieß die Knickerbocker-Freunde zur Seite und ergriff
die Flucht. Er stürmte in die Werkstatt und versperrte die Tür.
Als Mister McCarty eintraf und die Tür aufschloß, war Jimmy
längst über alle Berge. Er mußte durch das offene Fenster geklet
tert und an der Regenrinne nach unten gerutscht sein.
Wieso hatte sich der junge Mann verkleidet? Warum hatte er die
Besucher des Wachsfiguren-Kabinetts bedroht? Was hatte er mit
der blonden Frau angestellt? Eines stand jedenfalls fest: Durch
seine Flucht hatte der Bursche zugegeben, daß er mit der Sache
etwas zu tun hatte.
- 145 -
- 146 -
- 147 -
Helft mir!
- 149 -
Lilo knetete ihre Nasenspitze und fragte dann: „Darf ich dich et
was bitten, Onkel Albert? Könntest du einen Namen eingeben und
uns mitteilen, ob der Computer mehr über diese Person weiß?“
Der ehemalige Kriminalinspektor zögerte und meinte schließ
lich: „Eigentlich darf ich das nicht. Aber ich will eine Ausnahme
machen. Welchen Namen möchtest du denn ausprobieren?“
Lieselottes Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Jim
my Slogan“, sagte sie.
Onkel Albert stutzte. „Ist das nicht der Bursche, der gestern aus
dem Wachsfiguren-Kabinett geflüchtet ist?“
Die Knickerbocker nickten.
Onkel Albert setzte sich vor den Bildschirm und begann den
Namen einzutippen. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis die
Daten erschienen.
„Jimmy Slogan ist vor einigen Jahren in Zusammenhang mit
einem Gemäldediebstahl in Edinburgh festgenommen worden“,
teilte der ehemalige Kriminalist den Junior-Detektiven mit.
„Allerdings wurde er nach wenigen Tagen wieder auf freien Fuß
gesetzt, da es keinen stichhaltigen Beweis für seine Täterschaft
gab.“
Lilo bedankte sich für die Auskunft und überlegte fieberhaft,
was das zu bedeuten hatte.
- 150 -
- 151 -
Im Nebel
- 152 -
- 153 -
Eine gebückte Gestalt tauchte aus dem Nebel auf. Sie ging auf
einen Stock gestützt.
Poppi schrie leise auf. Aber das hätte sie nicht tun sollen. Der
Fremde war nun auf sie aufmerksam geworden. Er kam auf sie
zu!
- 154 -
- 155 -
Nächtliche Nachforschungen
- 156 -
- 157 -
- 158 -
Lilo krabbelte auf allen vieren über den Boden und leuchtete ihn
Stück um Stück ab.
„Ich glaube, ich habe es gefunden!“ meldete sie plötzlich aufge
regt. Axel, Poppi und Dominik kamen neugierig näher. Das
Superhirn zeigte auf einen dunklen Fleck. „Ich könnte mir
vorstellen, daß das der Schalter ist, von dem Jimmy gesprochen
hat!“ murmelte Lilo.
Poppi sah sie fragend an. „Willst du es ausprobieren?“ Ihre
Knickerbocker-Freundin nickte. Sie legte ihren Finger auf die
dunkle Stelle und drückte fest darauf. Ein sehr leises Knirschen
ertönte, und der Boden unter Lilos Füßen begann sich zu drehen.
Eine Sekunde später war das Mädchen verschwunden.
Axel blieb vor Staunen der Mund offen.
„Eine Drehbühne, wie im Theater!“ rief Dominik. „Seht nur,
jetzt sind die Puppen verschwunden!“
„Die Rückwand ist mit demselben Wald bemalt, wie die Vor
derwand. Deshalb ist kein Unterschied zu bemerken“, erkannte
Axel.
Ein dumpfes Klopfen erinnerte die drei Junior-Detektive daran,
daß auch ihre Freundin sich nun in einem anderen Raum befand.
„Wahnsinn! Das darf doch nicht wahr sein!“ hörten sie das
Superhirn rufen.
„Lilo, was ist los?“ wollte Axel wissen.
Wieder war das leise Summen zu hören, und die Drehbühne
setzte sich abermals in Bewegung. Lieselotte tauchte auf und
deutete auf eine Gestalt zu ihren Füßen.
Poppi schrie auf.
Da war die blonde Frau. Sie war tot. Der Pfeil steckte noch in
ihrem Arm. Auf ihren Handrücken kräuselten sich struppige Haa
re, und ihr Gesicht war entsetzlich entstellt.
„Keine Panik, Poppi!“ beruhigte Lilo ihre Freundin. „Das ist
bloß eine Puppe – eine sehr gut gearbeitete Wachsfigur. Hinter
- 159 -
dieser Wand liegt ein winziges Zimmer, in dem ich sie entdeckt
habe. Und jetzt ist mir einiges klar.“
Dominik nickte. Auch er hatte sich bereits zusammengereimt,
was gestern vormittag geschehen war. „In einem unbeobachteten
Augenblick hat jemand die Drehbühne in Bewegung gesetzt:
Robin Horror ist in den Besucherraum gefahren, während die
Robin-Hood-Wachspuppe nach hinten verschwunden ist“, sagte
er zu seinen Freunden.
Lilo nickte. „So muß es gewesen sein, Dominik. Und als das
Licht ausging, hat der Kerl sich die Frau geschnappt. Die Bühne
hat sich abermals gedreht, und auf einmal stand wieder die
Wachsfigur auf der Bühne. Zu ihren Füßen lag dann bereits die
Puppe mit dem Pfeil im Arm. Sie sah der Frau täuschend
ähnlich.“
Poppi schnappte nach Luft., Aber dann hat der Arzt gelogen.
Ihm muß doch sofort aufgefallen sein, daß die Frau nicht echt
war. Er hat aber getan, als würde sie leben.“
Lieselotte fummelte an ihrer Nasenspitze herum. „Wißt ihr, was
ich glaube: Diese Geschichte mit Robin Horror ist nichts anderes
als ein Reklametrick des Wachsfiguren-Kabinetts. Und außerdem
ist die verschwundene Schauspielerin Linda Brightman durch den
Vorfall in die Schlagzeilen gekommen. Unrecht ist ihr das
bestimmt nicht!“
Zu spät erkannte Lieselotte, woher das leise Klicken kam, das
sie hörte. Der Kopf von Sherlock Hohnes bewegte sich: Schnell
hintereinander schossen vier winzige Pfeile aus dem Blasrohr in
seinem Mund. Keiner war größer als der Dorn einer Rose. Doch
alle vier trafen genau. Sie blieben in den Nacken der Knicker
bocker-Freunde stecken.
Die Junior-Detektive griffen sich sofort an den Hals, als sie den
Stich spürten.
Doch es war bereits zu spät.
- 160 -
Gefangen!
Das Gift der winzigen Geschosse tat seine Wirkung. Axel, Liese
lotte, Poppi und Dominik sanken in sich zusammen, als hätte
ihnen jemand die Luft ausgelassen.
Regungslos blieben sie liegen.
Eine Minute verging. Dann setzte sich die Drehbühne in Bewe
gung, und eine dunkle Gestalt tauchte auf. Sie warf einen grinsen
den Blick auf die vier zusammengekrümmten Gestalten und
murmelte: „Warum mußtet ihr auch eure Nasen in etwas hinein
stecken, das euch absolut nichts angeht?“
- 161 -
Nicht einmal zwei Schritte von ihm entfernt stand eine Kerze,
die den Raum spärlich erhellte und durch ihr Flackern den Schat
tentanz erzeugte.
Dominik erschrak. Mit langsamen Schritten kam jemand auf ihn
zu. Neben seinem Kopf erschienen die langen Beine einer Frau.
Sie beugte sich zu ihm nieder, und Dominik schloß blitzartig die
Augen. Eine kühle Hand strich über sein Gesicht. Der Knicker
bocker spürte, daß die Frau es gut mit ihm meinte. Deshalb hielt
er es für an der Zeit, sich aufzurichten und zu zeigen, daß er
wohlauf war.
Langsam erhob er sich. „Hallo!“ stieß er hervor.
„Dem Himmel sei Dank“, rief die Frau, die ihn gestreichelt
hatte.“ Ich war schon in großer Sorge, daß er euch vergiftet hat.“
Nach und nach kamen nun auch die anderen Junior-Detektive zu
sich. Sie stöhnten und rieben sich die schmerzenden Arme und
Beine. Sie waren ganz dumpf im Kopf.
„Wo... wo sind wir?“ brummte Lieselotte.
„In den Klippen von Dover“, sagte die Frau.
„Und wer sind Sie?“ wollte Poppi wissen.
„Ich heiße Emma Fletcher“, stellte sich die Dame vor.
„Sie sind die Primaballerina, die entführt wurde!“ rief Dominik
aufgeregt.
Mrs. Fletcher nickte. Ihr langes rotbraunes Haar war zerzaust,
ihr elegantes blaues Kleid zerrissen. Dennoch sah man sofort, daß
sie wunderschön war, auch wenn Angst und Aufregung deutliche
Spuren hinterlassen hatten.
Dominik wiederholte langsam, was er gehört hatte: „Wir sind in
den Klippen von Dover?“ Er konnte das nicht glauben.
„Ja, so ist es“, bestätigte ihm Mrs. Fletcher.“ Ich vermute, daß
es sich hier um die Reste der nun schon 100 Jahre alten Baustelle
des Tunnels handelt, der England und Frankreich miteinander
verbinden sollte. Wie ihr vielleicht wißt, mußte man nach nur
wenigen Metern aufgeben. Damals war so ein Unterfangen noch
undurchführbar. Die alte Baustelle sollte eigentlich zugeschüttet
werden. Aber wie man sieht, ist das nicht geschehen!“
- 162 -
- 163 -
- 164 -
Nachdem sie sich einmal im Kreis gedreht hatte, gab sie die
Hoffnung auf: Sie befanden sich in einer Felsenhöhle, und der
einzige Ausgang war durch ein schweres Eisengitter mit finger
dicken Stangen versperrt; dahinter begann ein langer dunkler
Gang.
Während Lilo nachdenklich in die Finsternis starrte, tauchte am
Ende des Tunnels ein Lichtschein auf.
„Robin Horror!“ keuchte Mrs. Fletcher.
Die Knickerbocker-Freunde und die Tänzerin wichen zurück
und drängten sich an die Höhlenwand, die vom Eingang am
weitesten entfernt lag. Ein Klirren ertönte, als Robin Horror einen
Schlüsselbund hervorzog und das Tor öffnete.
Die Junior-Detektive hielten die Luft an.
Die gruselige Gestalt trug diesmal eine schwarze Maske. Mit
einer schnellen Handbewegung zückte sie ein Blasrohr und füllte
es mit einem winzigen Pfeil.
Er war nicht größer als eine Nadel und hatte Federn am
stumpfen Ende.
Axel fiel wieder der eigentümliche Geruch auf, der ihm auch im
Wachsfiguren-Kabinett in die Nase gestiegen war. Noch einmal
hatte an jenem Tag etwas so gerochen: Im Augenblick konnte er
sich aber nicht erinnern, was das gewesen war.
„Mrs. Fletcher, ich frage Sie zum letzten Mal: Wo ist das Bild
von van Gogh versteckt?“ stieß Robin Horror hervor.
Wer auch immer hier als Robin Horror auftrat, verstellte seine
Stimme. Das stand für Lieselotte sofort fest.
Die Tänzerin ballte die Hände zu Fäusten und preßte die Lippen
aufeinander.
Schritt für Schritt kam Robin Horror näher. „Ich warte auf eine
Antwort, allerdings nicht mehr lange!“ sagte er und drohte mit
dem Blasrohr.
Mrs. Fletcher schüttelte zitternd den Kopf. „Ich sage kein Wort.
Was wollen Sie damit? Ein so wertvolles Bild können Sie nicht
verkaufen.“
Robin Horror lachte hämisch. „Ein Sammler in den USA wartet
nur darauf, es in seinen Tresorraum zu hängen.“ Langsam hob er
- 165 -
das Blasrohr und zeigte auf den Schaft. „Muß ich Ihnen das
Monstergift ins Blut jagen, damit Sie endlich auspacken?“
Plötzlich fiel Lieselotte etwas ein. Das Schlafmittel, das man
ihnen verabreicht hatte, mußte ihr Denkvermögen beeinträchtigt
haben. Warum hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Das
Mädchen nahm allen Mut zusammen und rief laut: „Mrs. Fletcher,
sagen Sie kein Wort: Es gibt gar kein Gift! Die Schauspielerin hat
sich doch nie in ein Monster verwandelt: Es war bloß eine Wachs
puppe!“
Mit einem gurgelnden Aufschrei stürzte sich Robin Horror auf
das Mädchen. Lilo wich geschickt aus, und der Mann mit dem
Blasrohr donnerte gegen den Fels.
„Fort! Raus da!“ brüllte das Superhirn und rannte los. Bevor
Robin Horror sich noch aufrappeln konnte, waren die Knicker
bocker-Freunde und die Tänzerin aus der Höhle geflüchtet.
Tobend folgte ihnen der Entführer. Lilo zerrte ihre Taschen
lampe aus der Hosentasche und knipste sie an. Der Gang machte
eine scharfe Biegung und teilte sich nach wenigen Metern.
Vor den Knickerbocker-Freunden lagen die Zugänge zu drei
Stollen. Welchen sollten sie betreten?
- 166 -
- 167 -
- 168 -
Das waren die letzten Worte, die seine Gefangenen von ihm
hörten.
„Nicht weglaufen! Drehen Sie das Wasser ab!“ schrie der Arzt
und trommelte mit den Fäusten gegen die Tür. „Sie können uns
doch nicht ertrinken lassen.“
Mittlerweile stand auch den Erwachsenen das Wasser bereits bis
zu den Knien. In zwanzig, höchstens dreißig Minuten würde es
über ihren Köpfen zusammenschlagen.
„Hilfe! Hilfeeee!“ schrien die Opfer Robin Horrors, so laut sie
nur konnten. Doch wer sollte sie hören?
- 169 -
Onkel Albert stopfte sich eine Pfeife und erzählte: „Als ich nach
Hause gekommen bin und euch nicht angetroffen habe, wußte ich
sofort, daß ihr eure Nasen wieder einmal in etwas hineingesteckt
habt, das euch gefährlich werden kann. Es war mir auch klar, daß
ihr mit großer Wahrscheinlichkeit zum Wachsfiguren-Kabinett
aufgebrochen seid. Ich habe euch im stillen verflucht. Dann bin
ich in meinen Wagen gestiegen und zum ‚Wonderland’ gefahren.
Dort wurde ich bereits erwartet – von Jack und George, den
beiden Blinden. Sie hatten euch durchschaut und deshalb das
Wachsfiguren-Kabinett im Auge behalten. Doch ihr seid nicht
zurückgekommen. Statt dessen ist ein Mann aufgetaucht. An
seinem Schritt erkannten Jack und George, daß er etwas Schweres
schleppt. Er hat die Last in ein Auto geworfen und noch etwas aus
dem Haus geholt. Die Blinden haben euch stöhnen gehört. Zum
Glück konnten sie sich die Wagennummer merken.“
Dominik schüttelte den Kopf. Das glaubte er nicht. Blinde
konnten doch keine Nummerntafeln lesen.
- 171 -
„Aber ertasten!“ erklärte Onkel Albert. „Ich bin kurz nach der
Abfahrt des Wagens eingetroffen und habe natürlich sofort meine
Kollegen von der Kriminalpolizei alarmiert, die eine Großfahn
dung nach dem Auto eingeleitet haben. Aber erst am Vormittag
des nächsten Tages hat ein Streifenwagen in Dover das Fahrzeug
entdeckt. Ich habe mich auf den Weg gemacht und gemeinsam
mit der örtlichen Polizei einen Zugang zu den Höhlen und Gängen
gefunden, die Robin Horror als Versteck gedient haben.“
Poppi beschäftigte eine Frage: „Und waren die Schauspielerin
und der Arzt mit Robin Horror im Bunde?“
Der ehemalige Kriminalinspektor schüttelte den Kopf. „Nein,
beide sind hereingelegt worden. Die Schauspielerin hatte eine
Einladung in das Wachsmuseum erhalten. Darin war sie aufge
fordert worden, das Kleid, das man ihr zugesandt hatte, zu tragen:
Angeblich sollten Fotoaufnahmen gemacht werden. Als sie dann
das Robin-Hood-Zimmer betrat, wurde sie durch die ferngesteuer
te Sherlock-Holmes-Puppe und einen kleinen Pfeil ins Land der
Träume befördert. Genau wie ihr!“
„Und der Arzt?“ fragte Axel.
Onkel Albert blies einige besonders gelungene Rauchringe in
die Luft. „Er wurde ins Museum bestellt, um an einem kleinen
Scherz teilzunehmen“, berichtete er. „Deshalb hat er auch behaup
tet, die Puppe sei lebendig!“
Lilo nickte. „Mir ist damals etwas seltsam vorgekommen, und
jetzt weiß ich auch, was es war: Nur zwei Minuten nach dem
Erscheinen Robin Horrors war bereits ein Arzt zur Stelle. Er
mußte also bereits vorher gerufen worden sein.“
- 172 -
- 173 -
- 174 -
- 175 -
- 176 -
- 177 -
- 178 -
konnte erkennen, daß es mehrere Röhren gab, die von oben aus
dem Haus in diesen Gang mündeten.
,,Durch diese Zugänge gelangen die Leute, die die Geister
darstellen, in die Zimmer. Völlig klar!“ kombinierte der Junior-
Detektiv.
Rechts von sich sah der Junge eine offene Tür, die in ein
beleuchtetes Zimmer führte. Ein Schatten, der auf den Gang fiel,
verriet Axel, daß sich jemand darin aufhielt. Es schien der Pirat zu
sein.
Vom linken Teil des Ganges drangen Stimmen an Axels Ohr. Er
schwang sich in den Schacht und kletterte ein Stück nach oben.
Unter sich sah er eine Frau mit einem dunklen wallenden
Gewand und einen Mann in einem schwarzen Skelett-Trikot
vorbeigehen. Sie plauderten miteinander, als wären sie gerade
zum Bus unterwegs. Gruselig erschienen sie in diesem Augen
blick kein bißchen. Es handelte sich also tatsächlich bloß um ein
Theater.
Axel ließ einige Sekunden verstreichen, ehe er sich wieder nach
unten wagte. Auf der letzten Sprosse hielt er ein und lugte in den
Gang.
Die beiden Männer und die Frau hatten sich umgezogen und
kamen in normaler Straßenkleidung aus dem Zimmer. Das Licht
war zu schwach und Axels Blickwinkel zu schlecht, um sie
wirklich gut erkennen zu können. Die Tür wurde zugeschlagen
und die angeblichen Gespenster verließen ihren Arbeitsplatz.
Im Gang erlosch die Beleuchtung.
Axel machte sich auf den Rückweg ins Zimmer, als er unter sich
das Quietschen einer Tür und das Rauschen des Meeres hörte.
Schritte kamen näher.
Der Junge konnte den Lichtkegel einer Taschenlampe ausneh
men. Wer ging jetzt noch durch den Gang? Der Verdacht lag
nahe, daß es sich nicht um eines der Berufsgespenster handelte.
Die drei waren in der anderen Richtung verschwunden und
schienen Feierabend gemacht zu haben.
Der Junior-Detektiv tastete sich möglichst lautlos nach unten.
Diesmal wagte er sich etwas weiter aus dem Schacht hinaus, da
- 180 -
ihm die Dunkelheit des Tunnels Schutz bot. Jemand stand unge
fähr zehn Meter vor der Tür der Kleiderkammer an der Felswand
und werkte heftig an Ketten und Schlössern.
Unter lautem Knarren und Quietschen schwenkte eine Holztür
auf. Der Unbekannte betrat einen Raum und machte sich lautstark
darin zu schaffen. Dabei pfiff er vergnügt das Lied von den drei
blinden Mäusen.
Axels Neugier wuchs. Was trieb der Kerl? Langsam, Schritt für
Schritt, tastete er sich an die geheime Kammer heran. Er hatte sie
schon fast erreicht, als er über sich die Stimmen seiner Knicker
bocker-Freunde hörte.
„Axel, wo steckst du?“ rief Dominik in den Schacht, und die
Stimme hallte schaurig durch das unterirdische Labyrinth.
Der Junge erstarrte. Die Geräusche in dem Zimmer verstumm
ten. „Verdammt, warum können die Doofköpfe nicht die Klappe
halten? Jetzt haben sie mich verraten!“ dachte Axel entsetzt.
Zu seiner großen Erleichterung setzte der Unbekannte in dem
Zimmer seine Arbeit bald wieder fort.
Axel kämpfte mit sich.
Sollte er nach oben klettern, oder sollte er doch einen Blick in
den Raum werfen?
Er entschied sich für letzteres, obwohl ihm dabei sehr unbehag
lich zumute war. Axel ließ sich aus dem Schacht gleiten, huschte
auf Zehenspitzen zu der offenen Tür und spähte in den Raum.
Das einzige, was er erkennen konnte, war ein alter Koffer, der
über und über mit bunten Aufklebern versehen war. Er lag offen
auf einem Tisch. Eine Gestalt in dunklen Hosen und einer schwar
zen Windjacke stand darübergebeugt und schien sehr beschäftigt.
„He, Axel, was ist denn los?“ schrie Dominik in diesem Augen
blick.
Der Unbekannte schoß in die Höhe und drehte sich blitzschnell
um.
Für Axel war es zu spät, sich aus dem Staub zu machen.
- 181 -
Verschwindet!
Nun ging alles blitzschnell. Der Unbekannte stürzte sich wie ein
Panther auf den Jungen. Er packte Axel an der Kehle und würgte
ihn.
Der Knickerbocker spürte, wie der Druck in seinem Kopf stieg.
„Nicht... nicht!“ keuchte er und versuchte, den Angreifer
abzuschütteln.
Aber dieser war ihm einfach zu überlegen. Axel rang nach Luft
und hatte das Gefühl, daß alle Kraft aus seinen Armen und Beinen
gewichen war. Er konnte sich nicht mehr aufrecht halten, und vor
seinen Augen tanzten schwarze Punkte.
Mit einem gurgelnden Schrei schleuderte der Unbekannte den
Jungen gegen die Felswand des unterirdischen Tunnels. Axels
Kopf schlug hart auf, und aus den tanzenden Punkten wurde ein
schwarzes Meer.
Der Knickerbocker blieb bewußtlos liegen.
„He, was ist denn? Warum antwortest du nicht?“ kam nun
Lieselottes besorgte Stimme von oben.
Die schwarze Gestalt schnappte den Koffer und sperrte die
Kammer ab. Sie stieg über den Jungen hinweg und hastete in
Richtung der Gespenstergarderobe davon.
Eine halbe Minute später kletterten Lieselotte und Dominik aus
dem Schacht in den Gang und leuchteten ihn mit ihren Taschen
lampen ab.
„Da... da... liegt Axel!“ japste Dominik und rannte zu seinem
Kumpel. „Er atmet... aber da ist Blut... an seinem Hinterkopf!“
„Er muß gestürzt sein!“ vermutete Lieselotte. „Aber wie bringen
wir ihn jetzt raus? Durch den Schacht bestimmt nicht!“
Das Mädchen lief in die Richtung, in die der Unbekannte
verschwunden war und erreichte am Ende des Ganges eine Tür.
Sie war abgeschlossen.
Lieselotte trommelte mit beiden Fäusten dagegen. „Hilfe...
aufmachen! Hilfe!“ schrie sie. Doch niemand kam.
- 182 -
- 183 -
- 184 -
Unerwünschte Gäste
- 186 -
- 187 -
Neben dem Spanier stand ein alter Lederkoffer, der mit zahlrei
chen Aufklebern versehen war.
In Axels Kopf tauchten trotz der Schmerzen die Bilder der
vergangenen Nacht auf. Da war die schwarze Gestalt, die über
den Koffer gebückt stand. Sollte das der Mann gewesen sein? Wie
war der Hotelgast nach unten in den Gang gekommen? Oder hatte
jemand seinen Koffer präpariert? Aber warum war er dann den
beiden nicht abgegangen?
Der Junge wandte sich zu Lilo um und informierte sie mit
wenigen Worten.
Das Superhirn zwinkerte Dominik zu.
Dieser bewies wieder einmal, daß er ein großartiger Schauspie
ler war. Er tat so, als müsse er dringend auf die Toilette, und
stolperte dabei über den verdächtigen Koffer. Dabei löste er den
Verschluß: Der Koffer sprang auf, und schmutzige Wäsche quoll
heraus. „Es tut mir so leid!“ schwindelte Dominik und rang verle
gen die Hände.
Die Gäste bückten sich, um die Sachen in den Koffer zu stop
fen. Dominik gab vor, ihnen dabei zu helfen. In Wirklichkeit
nahm er geschickt das Innere des Koffers unter die Lupe.
„Und? Was ist?“ wollte Lieselotte wissen, als er zurückkehrte.
Der Junior-Detektiv zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.
Ich habe nichts wirklich Verdächtiges gespürt“, lautete sein
Bericht.
Lilo wurde immer klarer, daß sie mehr über den geheimen
Abgang zum Meer und die sonderbare Kammer herausfinden
mußten.
Kurze Zeit später konnten die Knickerbocker das Zimmer des
Paars aus Liverpool beziehen. Es war, wie alle Zimmer des
Hotels, sehr eng. Axel legte sich ins Bett und wollte von den
Ermittlungen seiner Kumpel nichts mehr wissen. Poppi blieb bei
ihm.
- 188 -
- 189 -
- 190 -
- 191 -
Ebbe!
Zum Abendessen wurden die vier Freunde von Julie Dyer in das
private Wohnzimmer des Hotelbesitzers und seiner Tochter einge
laden. Es gab Fish and Chips.
„Ich muß mich für die Art meines Vaters entschuldigen“, meinte
die junge Frau mit dem langen schwarzen Haar. „Er hat Angst,
daß ihr euch an einen Reporter wendet und die Wahrheit über
unser Hotel erzählt. Das wäre bestimmt nicht gut für uns. Viele
Gäste glauben nämlich tatsächlich, daß sie es mit einem Spuk zu
tun haben!“
Die Knickerbocker versicherten ihr, nichts verraten zu wollen.
„Als wir gestern im Tunnel waren, haben wir etwas gesehen...“
begann Lieselotte vorsichtig. „Es gibt da einen Raum... der ist
abgesperrt, sehr gut abgesperrt... und jemand war drinnen... und
hat Axel dann außer Gefecht gesetzt. Also muß... etwas in dem
Raum sein, das keiner entdecken soll!“
Julie horchte auf. Sie schien sehr überrascht zu sein. „Ehrlich
gesagt... also... ich habe keine Ahnung. Ich war kaum da unten.
Dad betreut die drei Leute, die für uns die Geister spielen. Ich
wüßte nicht, wer sonst noch Zutritt zu dem Tunnel hat.“
Dominik wollte es genauer wissen: „Wer besitzt einen Schlüssel
zu der Tür, die zum Schmugglerhafen in den Klippen führt?“
Julie zog die Augenbrauen hoch. „Ihr seid aber genau infor
miert“, stellte sie erstaunt fest.
„Wir sind Detektive!“ meinte Poppi stolz. „Und wir haben
schon zahlreiche Fälle gelöst. Sogar das Geheimnis der Maske mit
glühenden Augen haben wir gelüftet!“
Die junge Frau war beeindruckt. „Also der Abgang zur Höhle
ist immer verschlossen. Es gibt nur einen Schlüssel, und den
bewahrt... Dad auf!“
Julie wurde klar, was sie gerade gesagt hatte. Sie fuhr fort:
„Aber er würde niemals jemandem etwas antun. Nein, bestimmt
nicht!“
- 192 -
Die junge Frau wurde unruhig. „Hört zu... ich glaube, ich
könnte eure Hilfe gebrauchen“, sagte sie. „Wäre es nicht möglich,
daß ihr bis zu eurer Abreise hier im Hotel bleibt? Ich kenne den
Direktor der Sommerschule recht gut und kann ohne weiteres mit
ihm reden.“
Die vier Knickerbocker-Freunde hatten nichts dagegen einzu
wenden.
„Abgemacht! Und dürfen wir uns überall umsehen?“ fragte
Lieselotte.
„Bitte fragt mich aber vorher immer!“ ersuchte Julie. „Dieses
Haus ist alt und voller Gefahren. Ich werde euch jedoch überall
hin Zutritt verschaffen. Ich möchte selbst erfahren, was hier
eigentlich gespielt wird. Ich finde diese Ungewißheit unerträg
lich!“
Axel brannte noch eine Frage auf der Zunge: „Julie, wissen Sie,
was sich in dem abgesperrten Zimmer befindet? Kann es mit dem
Gepäck der Gäste zu tun haben? Ich habe dort den Koffer des
Spaniers gesehen, der heute abgereist ist.“
Die junge Frau fuhr sich durch das seidige Haar und überlegte.
„Manche Gäste geben uns ihre Koffer zur Aufbewahrung, weil
die Zimmer so eng sind“, sagte sie. „Der Gepäckraum befindet
sich neben der Empfangshalle. Ich werde mit Dad darüber spre
chen. Wahrscheinlich gibt es eine einfache Erklärung für alles.“
Julie lächelte hoffnungsvoll und verabschiedete sich dann. „Ich
muß mich um die Gäste kümmern“, meinte sie.
Axels Kopfschmerzen waren noch immer nicht wirklich besser
geworden. Deshalb zog er sich in das Zimmer zurück.
Die anderen drei Mitglieder der Bande schlenderten in den
kleinen Garten hinter dem Horrorhotel.
Er erstreckte sich direkt bis zum Rand der Klippen. Von dort
ging es mindestens 30 Meter senkrecht nach unten zum Meer, wo
die Wellen an diesem Abend sanft murmelnd gegen die Felsen
rollten.
Lilo beugte sich weit über das Geländer und starrte in die Tiefe.
Das Dämmerlicht reichte aus, um zu erkennen, daß sich etwas
geändert hatte.
- 193 -
„Es ist Ebbe!“ stellte das Superhirn zufrieden fest. „Wir holen
uns ein Boot und rudern zur Höhle. Der Eingang müßte frei sein!“
Die drei Junior-Detektive kehrten zum Hotel zurück, um Axel
von ihrem Plan zu informieren.
Das leise Rascheln in der Hecke entging ihnen. Jemand war den
Knickerbockern ins Freie gefolgt und hatte ihr Gespräch be
lauscht.
Nachdem die drei Freunde das Horrorhotel betreten hatten, kam
die Gestalt hinter den Fliederbüschen hervor und strich sich
nachdenklich über die Stirn. Dann verschwand sie im Zwielicht.
- 194 -
- 195 -
Beine hingen schlaff herab. Alle drei waren – genau wie Lilo –
angezogen.
Eine frische Brise wehte durch das offene Fenster. Lilo versuch
te, sich an etwas zu erinnern, aber in ihrem Kopf herrschte
absolute Leere. Sie wußte noch, daß sie zum Hafen wollten, um
mit einem Boot zur Höhle zu fahren. Aber dann riß der Film.
Das Mädchen, das nur mit dem Oberkörper auf dem Bett lag,
erhob sich aus der unbequemen Position und stöhnte. Es taumelte
ins Badezimmer und drehte den Hahn auf. Hell und klar plät
scherte das Wasser in das Becken. Lilo wollte sich das Gesicht
kalt abwaschen.
Aber noch immer gehorchten ihre Gliedmaßen nicht ganz. Die
Arme des Mädchens schlenkerten ziellos durch die Luft und
streiften die Zahnbürsten, die in einem Becher auf einem Sims
über dem Waschbecken standen. Sie fielen ins Wasser, und ein
leises Zischen war zu vernehmen.
Lilo traute ihren Augen nicht: Die Zahnbürsten lösten sich auf,
als wären sie aus Zucker. Das Mädchen wich zurück und ließ sich
auf den Badewannenrand sinken. „Hilfe! Poppi... Dominik...
Axel!“ stieß Lieselotte hervor.
Aus dem Zimmer kam ein verwirrtes Ächzen.
Poppi war die erste, die auftauchte. „Durst!“ krächzte sie und
stürzte zum Becken, um zu trinken.
„Nicht!“ warnte Lieselotte. „Um Himmels willen – das ist
Säure!“
- 196 -
„Kinder... hallo, Kinder! Was ist mit euch? Macht auf!“ Von
draußen wurde heftig gegen die Zimmertür geklopft.
Die Knickerbocker erkannten sofort Julies Stimme. „Ist etwas
passiert?“ fragte sie besorgt.
Axels Kopf schmerzte schlimmer denn je. Trotzdem erhob er
sich aus dem Bett und taumelte zur Tür. Er drückte die Klinke
nieder und öffnete sie. „War doch gar nicht abgesperrt!“ schnaub
te er ärgerlich und warf sich wieder aufs Bett.
„Doch! Die Tür ist nicht aufgegangen!“ meinte Julie. „Wie seht
ihr denn aus?“
Die Junior-Detektive waren leichenblaß im Gesicht und hatten
fast weiße Lippen. Poppi konnte sich kaum auf den Beinen halten.
„Was... was ist los?“ fragte Julie immer wieder.
Lilo deutete stumm auf das Badezimmer.
Julie ging hinein und rief: „Ich kann nichts entdecken.“
„Es ist Säure im Becken!“ krächzte Lieselotte.
Es plätscherte und rauschte, und Julie trat aus dem Bad. „Wollt
ihr mich an der Nase herumführen? Aus dem Hahn kommt
Wasser, was sonst!“
Lilo, Poppi und Dominik hasteten ins Badezimmer und starrten
in das Waschbecken. Die Säure mit den halb zersetzten Zahn
bürsten war verschwunden, und aus dem Hahn sprudelte frisches
Wasser.
„Aus dem Abfluß ist ein Gas ins Zimmer geströmt, das uns
betäubt hat!“ hauchte Dominik.
Julie Dyer blickte die vier ungläubig an. „Das... das kann ich
mir nicht vorstellen. Wenn das wahr ist, hat es jemand auf euch
abgesehen und ist zu allem entschlossen.“ Sie überlegte kurz und
meinte dann: „Ihr bekommt ein anderes Zimmer und rührt euch
nicht mehr hervor. Ich werde die Polizei verständigen.“
Eine halbe Stunde später konnte die Bande bereits übersiedeln
und wurde mit einem typisch englischen Frühstück verwöhnt:
Spiegeleier mit Speck, Cornflakes, Toast und Marmelade.
- 197 -
Doch die Freunde hatten keinen Hunger. Sie schlürften nur Tee
und starrten vor sich hin.
Langsam begannen Lilos graue Zellen wieder zu arbeiten.
„Jemand wollte uns davon abhalten, zu dem unterirdischen Hafen
zu fahren!“
Poppi verstand das nicht. „Aber wir haben doch niemandem
davon erzählt“, sagte sie.
Lilo zuckte mit den Schultern. Auch sie war in diesem Punkt
ratlos.
„Wenn es in den Zimmern dieses Hotels Geheimtüren gibt, kann
man vielleicht auch die Wasserzuleitungen anzapfen und Gase
und Säuren einleiten!“ murmelte sie grübelnd. „Eines steht fest:
Mit dem Horrorhotel stimmt etwas nicht. Mister Dyer führt etwas
im Schilde, und wir müssen herausfinden, was!“
Ihre Kumpel stimmten ihr zu. Allerdings war ihnen klar, daß sie
frühestens am Abend wieder halbwegs fit sein würden. Bis dahin
war Ruhe und Schlafen angesagt. Das Betäubungsgas hatte ganze
Arbeit geleistet.
Gegen sechs Uhr kamen die Knickerbocker allmählich wieder
zu Kräften.
Auch Axel war auf dem Weg der Besserung, und sein Kopf tat
ihm schon deutlich weniger weh.
Lieselotte befürchtete, belauscht zu werden, und schrieb deshalb
ihren Plan auf. „Es ist wieder Ebbe! Wir sollten endlich den
Schmugglerhafen untersuchen. Wer kommt mit?“
Axel hob die Hand.
„Wir fahren mit dem Boot hin, sobald es etwas dunkler ist. Und
Dominik und Poppi kümmern sich darum, daß unser Verschwin
den niemandem auffällt!“ kritzelte das Superhirn.
Alle waren einverstanden und wußten, was sie zu tun hatten.
Beim Abendessen taten sie so, als seien sie besonders müde,
und erzählten mehrere Male, daß sie so schnell wie möglich
wieder ins Bett wollten. Sie gähnten und gaben vor, kaum noch
aus den Augen zu sehen.
Bald zogen sie sich zurück.
- 198 -
„Das kann nur ein vereinbartes Geheimzeichen sein und hat mit
einem normalen Warnsignal nichts zu tun“, vermutete Lieselotte.
„He! Schau mal, dort... beim Hotel!“
Axel wußte sofort, was Lilo meinte. Von einem der Zimmer im
letzten Stock aus gab jemand schnelle Blinkzeichen.
- 199 -
- 200 -
Die Kühle des Meeres schien seinem Kopf gutzutun. Die Schmer
zen waren fast verschwunden, und Axel fühlte sich wieder
einigermaßen in Ordnung.
Mit kräftigen Stößen schwamm er durch die Öffnung in den
Klippen.
In der Höhle hallte es geheimnisvoll. Es mußte sich um ein
ziemlich großes Gewölbe handeln. Axel zückte seine Taschen
lampe, die in einem wasserdichten Plastikbeutel steckte, und
knipste sie an.
Er leuchtete den Raum ab und erkannte uralte Landungsstege
aus Holz und einen breiten Gang, der in die Höhlenwände
geschlagen war. Auf einer Seite führte eine Treppe nach oben.
Es mußte sich um den Zugang handeln, von dem Lilo erzählt
hatte.
Axel schwamm zu den Landungsstegen und wollte sich aus dem
Wasser ziehen. Da aber ertönte hinter ihm das Tuckern eines
Motorbootes, und der Junge konnte sich im letzten Augenblick
hinter einem Pfahl verstecken.
Ein Scheinwerfer beleuchtete die Wände der Höhle, und der
schwankende Lichtschein huschte über den grünlichen, rauhen
Stein. Das Boot legte glücklicherweise bei einem anderen Steg an.
Das Licht wurde schwächer, doch sonst geschah nichts.
Ungefähr zehn Minuten verstrichen, bis plötzlich ein metalli
sches Quietschen ertönte. Ein Lichtschein tanzte die Treppe
herunter.
Axel konnte von seinem Versteck aus kaum ausnehmen, was
sich nun zutrug. An den Geräuschen und Schatten erkannte er
allerdings, daß der Lenker des Bootes an Land kletterte und dem
Unbekannten im Stiegenhaus etwas überreichte.
Es schien sich um eine Kiste zu handeln.
Dafür erhielt er einige Bündel Banknoten. Gesprochen wurde
während der ganzen Aktion kein Wort.
- 201 -
Der nächtliche Besucher kletterte auf sein Boot zurück und ließ
den Motor an.
Gemütlich tuckerte das Fahrzeug aus dem unterirdischen Hafen
aufs Meer hinaus.
Die Gestalt, die die Lieferung entgegengenommen hatte, stapfte
langsam die Treppe nach oben.
Axel lauschte angespannt. Ihm war, als ob jemand den Inhalt
der Kiste sichtete. So leise wie möglich glitt der Junge aus dem
Wasser und eilte auf Zehenspitzen zu dem Aufgang ins Hotel.
Mittlerweile war der Unbekannte oben angekommen. Wieder
quietschte die Tür.
Axel wartete auf das Klicken des Schlüssels, aber es blieb aus.
Der Junior-Detektiv tastete sich Stufe für Stufe die Treppe hinauf.
Sein Herz begann zu rasen, als er entdeckte, daß die Tür
offenstand und im Gang dahinter Licht brannte. Und auch die so
gut gesicherte Tür war jetzt nicht verschlossen!
Aus der geheimnisvollen Kammer drang ein Klappern und
Werken.
Axel spürte das Blut in seinen Ohren pochen. Sollte er es wagen
und sich bis zu dem Zimmer heranschleichen? Es war die
Gelegenheit herauszufinden, was in dem Raum vorging!
Der Junge ballte die Hände zu Fäusten und richtete sich auf. Er
atmete einige Male tief durch, bevor er auf nackten Sohlen
loshuschte. Noch zehn Meter... noch sieben Meter... noch fünf
Meter...
Völlig unerwartet flog ein grauer Koffer in einem hohen Bogen
auf den Gang.
Erschrocken schmiegte sich der Junge gegen die kalte Felswand
und schluckte.
„Jetzt oder nie!“ dachte Axel. „Wenn ich jetzt kneife, vergebe
ich vielleicht die einzige Chance, hinter das Geheimnis zu
kommen.“
- 202 -
- 203 -
- 204 -
„Ist Axel schon da?“ Mit dieser Frage auf den Lippen stürmte
Lieselotte in das Zimmer zu Poppi und Dominik.
Die beiden blickten sie völlig überrascht an.
„Ist er nicht bei dir?“ fragte Poppi verblüfft.
Lieselotte traf die Antwort ihrer Freundin wie ein Keulenschlag.
„Nein! Er ist nicht aus der Höhle zurückgekommen und wollte
durch den Geheimgang ins Hotel gelangen!“
Dominik bekam weiche Knie. „Aber er... ist nicht da!“ hauchte
er.
Lilo wußte, was das zu bedeuten hatte. „Ihm muß etwas
zugestoßen sein. Entweder in der Höhle... oder... im Gang. Wir
müssen sofort nachsehen!“
Aber wie sollten sie in den Tunnel gelangen? Der Eingang
befand sich im Raum hinter der Rezeption, und dort saß Mister
Dyer.
Es klopfte.
Die drei Junior-Detektive starrten unschlüssig zur Tür. Es war
kurz vor elf.
, Ja... hallo?“ Lilos Stimme versagte fast.
„Ich bin es, Mister Dyer!“ rief der Hotelbesitzer von draußen.
Den dreien stockte das Blut in den Adern. „Was wollen Sie?“
fragte Lieselotte. „Wir... wir sind schon im Bett!“
„Es geht um euren Freund, bitte macht auf!“ erwiderte Julies
Vater.
Dominik und Poppi sahen das Superhirn an. War das ein Trick?
„Was... was ist mit Axel?“ fragte Lilo.
„Macht doch die Tür auf – ich will hier nicht auf dem Gang
herumschreien!“ zischte der Mann, der langsam ungeduldig
wurde.
Langsam bewegte sich das Mädchen zur Tür und drehte den
Schlüssel.
- 205 -
Der Hotelbesitzer stürzte herein und sah sich um. „Er... ist also
wirklich nicht da! Dann hat der Anrufer die Wahrheit gesagt!“
keuchte er.
Lilo, Poppi und Dominik drängten sich zu Mister Dyer und
wollten jetzt natürlich alles erfahren. „Da kam ein anonymer
Anruf... vor ein paar Minuten. Die Stimme war irgendwie
merkwürdig... Jemand hat mir mitgeteilt, daß euer Freund noch
heute nacht ertränkt werden soll, weil er zu neugierig war. Der
Anrufer sprach davon, daß der Junge festsitzt und das Wasser
bald über seinem Kopf zusammenschlagen wird.“
Poppi war verzweifelt. „Was... was bedeutet das?“ wimmerte
sie.
Mister Dyer hatte keine Ahnung.
Lieselotte wußte jedoch sofort, worum es ging: „Der Schmugg
lerhafen unter dem Hotel! Bei Flut füllt sich die Höhle – und
wenn Axel nicht entkommen kann, ertrinkt er. Ich wette, er ist in
der Höhle.“
Julies Vater wirkte ratlos. „Und wie sollen wir dorthin gelan
gen?“ fragte er.
„Sie haben doch den Schlüssel zum Abgang!“ meinte Lieselotte.
Mister Dyer schien zwar nichts von einem Schlüssel zu wissen,
meinte aber: „Aber das macht nichts, die Tür bekommen wir
irgendwie auf!“
Die drei Knickerbocker und der Mann stürmten in die Hotel
halle und stiegen von dort in das unterirdische Labyrinth hinab.
Sie liefen durch den Gang und kamen dabei auch an der Tür mit
den vielen Schlössern vorbei. Sie war abgesperrt.
Endlich hatten sie das Ende des Ganges erreicht.
Die Tür zum Hafenabgang war nur angelehnt. Aufgeregt rasten
die vier über die rutschigen Steinstufen nach unten und stolperten
in die dunkle Höhle. Mister Dyer zündete sein Feuerzeug an und
schwenkte es durch die Gegend.
„Nichts...!“ keuchte Poppi.
„Axel! Axel, bist du da wo?“ schrie Lieselotte.
Poppi schluchzte: „Bestimmt nicht, sonst wäre doch die Tür
versperrt gewesen!“
- 206 -
Lieselotte gab ihrer Freundin recht, fügte dann aber hinzu: „Er
könnte doch auch gefesselt und geknebelt worden sein!“
Abermals riefen sie nach dem Jungen, aber es war kein einziges
ungewöhnliches Geräusch zu hören. Enttäuscht und verzweifelt
stiegen sie wieder nach oben.
„Was wollte der Anrufer eigentlich bewirken?“ fragte sich
Lieselotte, als sie in der Halle standen.
„Ich brauche frische Luft!“ knurrte Mister Dyer und trat ins
Freie hinaus. Ein ziemlich scharfer, kühler Wind fegte über die
Küste.
,,Heute nacht soll noch ein Sturm aufziehen“, sagte er besorgt.
Der Mond am Himmel war bereits nicht mehr zu sehen.
Schwere Wolken hatten sich vor ihn geschoben.
Die drei Knickerbocker und der Hotelbesitzer schlenderten zum
Rand der Klippen und blickten auf das schwarze Meer hinaus.
- 207 -
- 208 -
Das Boot der Dyers lag wenige hundert Meter vom Hotel entfernt
in einer kleinen Bucht vor Anker. Es war ein alter, klappriger
Fischerkahn, der wie eine Nußschale auf den Wellen schaukelte.
Julies Vater hatte größte Mühe, das Boot zu manövrieren.
Mehrmals entgingen sie nur knapp einer Katastrophe.
Lilo und Poppi hielten je einen kleinen Handscheinwerfer auf
das Wasser vor dem Bug gerichtet.
„Hier gibt es viele Felsen im Meer“, schrie der Mann durch den
Sturm. „Wenn wir gegen einen krachen, sinken wir innerhalb von
Minuten!“
Dominik stand am Heck und klammerte sich an einer Winde
fest, mit der früher einmal die Netze eingeholt worden waren. Er
hielt Ausschau nach dem Licht und brüllte Mister Dyer immer
wieder den Kurs zu.
Der Sturm wurde von Minute zu Minute stärker. Die Wellen
klatschten auf das Deck und machten es rutschig und gefährlich.
Bald waren alle vier durch und durch naß.
„Mit ist schon ganz schlecht!“ jammerte Poppi. Bei jeder Welle
hob es ihr fast den Magen aus. „Ich glaube, ich muß mich
übergeben!“ dachte das Mädchen verzweifelt, und im nächsten
Moment mußte es sich schon über die Reling beugen.
Lilo kam ihrer Freundin zu Hilfe und hielt sie gut fest. Sie hatte
Angst, daß Poppi über Bord gespült werden könnte.
Dominik war ebenfalls totenübel. Und ständig mußte er darauf
achten, daß ihm die Wassermengen nicht die Brille vom Kopf
rissen. „Hoffentlich sind wir bald da!“ flehte er in Gedanken.
„Und hoffentlich finden wir Axel!“
Mister Dyer warf einen kurzen besorgten Bück auf die Junior-
Detektive und seufzte: In welche Lage hatte er die drei nur
gebracht! Was würde man mit ihm anstellen, wenn ihnen ein
Unglück zustieß?
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich an die Sandbank
herangekämpft hatten.
- 209 -
Das Licht wurde nach und nach größer, und Lilo hatte den
Eindruck, daß es sich um eine Art Fackel handelte, die an einem
Pfahl befestigt war.
Nach einer weiteren halben Stunde gelang es ihnen endlich, auf
den Goodwin Sands an Land zu gehen.
Im Licht der Handscheinwerfer erkannten die Knickerbocker,
wie schnell das Meer anschwoll und die Sandbank überspülte.
Sie sahen auch den Pfahl, der in den Sand getrieben war und der
Fackel als Stütze diente. Die Flammen flackerten heftig, trotzten
dem Sturm aber. Axel war an den Pfahl gefesselt. Seine Augen
leuchteten hilfesuchend auf, als er seine Kumpel erblickte.
Poppi beugte sich zu ihm und machte sich sofort daran, ihn zu
befreien.
„Wie... wie... habt ihr mich gefunden?“ stammelte der Junge
überglücklich.
„Jetzt ist keine Zeit für Fragen!“ schrie Lieselotte. „Los, wir
müssen zurück. Der Seegang wird immer lebensgefährlicher!“
Mister Dyer und die Knickerbocker stürzten Richtung Ufer und
erschraken.
Das Boot war fort!
Lilo leuchtete den Sand ab und entdeckte die Abdrücke von
riesigen Schuhen. Wahrscheinlich handelte es sich um Gummi
stiefel. Aber keiner von ihnen trug welche.
Der Hotelbesitzer raufte sich die Haare. „Er hat das Boot ins
Wasser geschoben, und die Flut hat es weggetragen!“
Aus der Dunkelheit drang das laute Aufheulen eines starken
Außenbordmotors.
„Das ist das Boot, mit dem ich hergebracht wurde!“ schrie Axel
und rannte drauflos. Seine Freunde und Mister Dyer folgten ihm.
Doch schon hörten sie, wie das Boot durch die Nacht davon
brauste.
Bald wurde es still.
„Dominik, gib mir sofort deine Jacke!“ befahl Lieselotte.
- 210 -
Der Junge zog seine Jacke aus, und Lilo griff danach. Sie lief zur
Sturmfackel zurück und hielt die Jacke davor. Sie wartete und zog
sie dann wieder weg – dreimal lang, dreimal kurz, dreimal lang:
SOS.
Lilo rief um Hilfe. Hoffentlich fielen die Blinkzeichen jeman
dem auf!
„Was machen wir jetzt?“ schrie Dominik, als auch nach dem
siebenten Signal niemand geantwortet hatte.
Lilo drückte ihm die Jacke in die Hand und sagte: „Los, mach
weiter!“ Dann ließ sie sich neben Axel nieder, der zitternd im
nassen Sand hockte.
„Ich kann nicht mehr!“ stammelte der Junge erschöpft. „Wir
werden alle sterben... vorhin, als ich gefesselt war... es war so
schrecklich! Und wenn uns jetzt niemand entdeckt, sind wir
verloren...“, begann er zu schluchzen.
Auch Lieselotte hätte am liebsten losgeheult, doch sie mußte
jetzt die Nerven bewahren. Sie tröstete ihren Freund, so gut es
ging, und nach ein paar Minuten hatte er sich wieder einigerma
ßen beruhigt.
Das Wasser rückte immer näher heran. Die Sandbank war
höchstens noch halb so groß wie bei ihrer Ankunft.
Poppi war ganz grün im Gesicht. Mister Dyer hatte seinen
rechten Arm um die Schultern des Mädchens gelegt – so fühlte es
sich sicherer. „Glauben Sie, daß jemand unsere SOS-Zeichen
sieht?“ schrie Poppi.
- 211 -
Doch die Frage ging im Geheule des Sturmes, der mit ungebro
chener Kraft tobte, unter.
„Was hast du eigentlich herausgefunden, Axel?“ wollte das
Superhirn wissen.
„Es geht um Rauschgift! Ich habe kleine weiße Säckchen sehen
können – das ist doch bestimmt Rauschgift!“ antwortete der
Junge.
Lilo stimmte ihm zu. „Jemand versteckt sie in den Koffern der
Gäste...!“
Lieselotte dämmerte nun, wie alles zusammenhing. „Die
ahnungslosen Gäste schmuggeln das Zeug in ihre Heimat, wo es
ihnen jemand heimlich wieder abnimmt. Das Horrorhotel ist
nichts anderes als ein Rauschgiftumschlagplatz. Das Gift wird in
die Höhle und von dort in das abgesicherte Zimmer im Geheim
gang gebracht. Dort präpariert man die Koffer. Axel, du hast den
Kerl doch gesehen?“
Der Junior-Detektiv schüttelte den Kopf. „Nein, die Gestalt war
schwarz gekleidet und hatte einen Strumpf über dem Kopf!“
- 212 -
Poppi drehte durch. „Lilo... ich... ich will nicht ertrinken! Das
Wasser kommt immer näher... und wir sind so weit von der Küste
weg... wir... wir kommen nie lebend an Land! Schwimmen ist
unmöglich!“
Die tödliche Falle war perfekt geplant.
- 213 -
Julie kam aus dem Zimmer hinter der Rezeption gestürzt und
starrte die vier Junior-Detektive und ihren Vater fassungslos an.
„Was... was ist mit euch los?“ stammelte sie.
„Das erkläre ich dir später. Mach uns jetzt Tee!“ schnauzte
Mister Dyer sie an.
Nachdem die Mitglieder der Knickerbocker-Bande heiß ge
duscht und sich etwas erholt hatten, schlüpften sie in ihre
Jogginganzüge und gingen noch einmal in die Wohnung der
Dyers hinunter.
„Setzt euch! Eine Tasse Tee ist jetzt genau das richtige“,
brummte der Hotelbesitzer. „Außerdem will ich endlich erfahren,
was da in meinem Hotel gespielt wird!“
Langsam begannen Axel und Lilo zu erzählen. Julie und ihr
Vater hörten angespannt zu. Der Teekessel meldete mit lautem
Pfeifen, daß das Wasser kochte, und die junge Frau sprang auf.
„Aber... aber... also... Ich habe mir nie den Kopf darüber zerbro
chen, warum der Raum abgesperrt ist. Und zu dem Gepäck hat
doch kaum jemand Zugang“, stammelte Mister Dyer.
Seine Tochter kehrte mit einem großen Tablett zurück, und weil
gerade Stille eingekehrt war, spitzte sie die Lippen und begann zu
pfeifen.
Three blind mice, see how they run! They all ran after the
farmer’s wife, Who cut off their tails with a carving knife, Did
you ever see such a thing in your life, As three blind mice?
Als Julie von neuem ansetzte, sang Poppi leise mit. Sie hatte in
der Sommerschule gerade das Lied von den drei blinden Mäusen
gelernt, die der Frau des Bauern nachliefen und durch ein Flei
schermesser ihren Schwanz verloren.
Axel schoß in die Höhe. „Julie... du... du bist es! Du bist die
Rauschgiftschmugglerin! Du hast mich zweimal fertiggemacht!
Ich erkenne die Melodie!“
Die junge Frau starrte ihn erschrocken an. Blitzschnell holte sie
eine Pistole aus der Jacke und richtete sie auf die Knickerbocker
und ihren Vater.
„Julie!“ tobte Mister Dyer.
- 215 -
„Es ist aus mit der lieben, netten Julie“, zischte die Frau. „Setz
dich, Vater! Jetzt rede nur noch ich. Mein ganzes Leben habe ich
in dieser miesen Bude verbracht. Jetzt habe ich endlich Geld, und
du wirst es mir nicht wegnehmen. Die Idee mit dem Schmuggel
war einfach genial! Die ahnungslosen Idioten!“
Julies Stimme überschlug sich.
„Engländer wurden natürlich abgewiesen oder rausgeekelt!“
fuhr die Tochter des Hotelbesitzers fort. „Ich setze mich ab. Nach
Brasilien! Und vorher werde ich euch alle für immer zum Schwei
gen bringen!“
Mister Dyer sprang auf. „Ich bin dein Vater!“ schrie er wie von
Sinnen.
„Das ist mir jetzt egal!“ antwortete Julie eiskalt. Sie hob die
Pistole und legte den Zeigefinger an den Abzug.
Ein lautes metallisches Dröhnen ertönte, und gleich darauf sank
die junge Frau zu Boden.
Hinter ihr stand Mister Higgins mit einer Bratpfanne in der
Hand. Er mußte durch den Lieferanteneingang in der Küche
gekommen sein.
„Ich wollte Sie eigentlich bloß wegen der blöden Verdächtigun
gen zur Rede stellen, Dyer!“ sagte er leise. „Aber die traurige
Erklärung für das, was vorgefallen ist, habe ich ja gerade selbst
mit angehört.“
Julie Dyer wurde verhaftet. Der Mann, der ihr das Rauschgift in
die Schmugglerhöhle geliefert hatte, konnte ebenfalls gefaßt
werden, als er wenige Tage später abermals in dem verborgenen
Hafen anlegte.
Mister Dyer konnte kaum sprechen, als sich die Bande von ihm
verabschiedete. Er war fürchterlich geschockt. „Bleibt so, wie ihr
seid!“ sagte er mit zittriger Stimme, und zwei dicke Tränen
kullerten ihm über die Wangen.
Die Junior-Detektive suchten Mister Higgins auf, um sich bei
ihm zu entschuldigen. Schließlich hatten sie ihn zu unrecht
verdächtigt. Der Mann hatte ihnen längst verziehen und teilte
ihnen mit, daß er sich um seinen Nachbarn kümmern werde.
- 216 -
- 217 -